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Schoßhund-Fragen sind bei “Bild” Chefsache

Wenn der Außenminister der USA bei “Bild live” ein Interview gibt, dann ist das selbstverständlich Chefsache.

Screenshot Bild live - zu sehen sind Bild-Chefredakteur Julian Reichelt und US-Außenminister Mike Pompeo

Julian Reichelt durfte Mike Pompeo ein paar Fragen stellen. Und das hat der “Bild”-Chefredakteur genutzt — größtenteils um seine eigene Agenda abzuspulen: gegen Angela Merkel, gegen Heiko Maas, gegen die Berliner Landesregierung, gegen China.

Das schon mal vorweg: Keine der Fragen, die Reichelt in dem Interview unterbringen konnte, zielte auf mögliche Fehler oder Versäumnisse der US-Regierung in der Corona-Krise und die damit verbundene schlimme Lage in den USA. Keine Frage zu Donald Trumps Herunterspielen der Situation. Keine zu der späten Reaktion des US-Präsidenten auf das Coronavirus. Nicht mal ein vorsichtiges: “Hätte Ihre Regierung irgendetwas besser machen können, Herr Pompeo?”

Stattdessen: reichlich Suggestivfragen im Stile von “Derundder hat dasunddas gegen die USA gemacht. Ist das nicht schlimm?” Und, na klar: die Pflichten von Angela Merkel. Reichelt beginnt das Interview mit dieser Frage:

Amerika hat weltweit die meisten Toten in der Corona-Krise zu beklagen. Gibt es etwas, was das amerikanische Volk in dieser dramatischen Krise von Deutschland erwartet? Was ist Ihre Botschaft an Kanzlerin Angela Merkel?

Was für eine Verknüpfung: “die meisten Toten in der Corona-Krise” in den USA — was soll Angela Merkel jetzt liefern? Mike Pompeo steigt darauf nicht ein. Er lobt Deutschland und die Bundeskanzlerin als “großartige Partner”.

Weiter geht es mit mit Reichelts Frage zum deutschen Außenminister Heiko Maas, denn der hat es doch tatsächlich gewagt, die USA zu kritisieren:

Der deutsche Außenminister Heiko Maas hat die USA und China in einem Atemzug kritisiert. Er hat gesagt: China hätte zu autoritär auf die Corona-Krise reagiert, die USA hingegen hätten das Problem verharmlost. Macht es Sie ärgerlich, wenn die Diktatur China und die Demokratie USA in einem Atemzug so kritisiert werden?

Was soll Mike Pompeo darauf schon antworten? “Nee, finde ich super”? Stattdessen erzählt er, US-Präsident Trump habe “sehr starke Maßnahmen ergriffen, um unser Volk zu schützen.” Die chinesische Regierung hingegen hätte nicht schnell genug Informationen geliefert. Das sei “natürlich sehr bedauerlich”.

Wenn Reichelt ein wirkliches Interesse an dem Thema hätte, könnte er da natürlich mal nachhaken und anmerken, dass Donald Trump das Coronavirus noch verharmloste, als längst sehr hohe offizielle Infektionszahlen aus China bekannt waren. Macht er in seiner Schoßhundhaftigkeit aber nicht.

Dafür die nächste Suggestivfrage:

Die Berliner Regierung hat den USA sogar Piraterie vorgeworfen, fälschlich vorgeworfen, weil angeblich die USA Masken konfisziert haben sollten auf dem Weg nach Berlin, mussten sich später dafür entschuldigen. Sind Sie besorgt über diese Form von Anti-Amerikanismus in der deutschen Hauptstadt?

Es scheint, als gehe der “Bild”-Chef noch einmal die “Bild”-Aufregerthemen der vergangenen Tage durch, mit dem Ziel, die “Bild”-Positionen durch den US-Außenminister bestätigen zu lassen.

Nachdem Reichelt gefragt hat, ob es nicht eine Möglichkeit wäre, die “Zölle auf amerikanische Produkte in Deutschland oder in der EU zu senken, um die US-Wirtschaft weiter anzukurbeln”, geht es weiter mit der Bestätigung von Feindbildern:

Sie haben es selber gesagt: Diese Krise hat begonnen in Wuhan, China. Braucht es eine globale Debatte darüber, ob der chinesischen Regierung für die massiven Schäden, die weltweit angerichtet worden sind, eine Rechnung präsentiert werden muss?

Mike Pompeo lässt sich darauf nicht ein. Er antwortet (laut “Bild”-Simultanübersetzung), dass es mehr als eine solche “globale Debatte” brauche:

Wir müssen herausfinden: Wie konnte das passieren, um sicherzustellen, dass so etwas nie wieder passiert, oder wir zumindest das Risiko minimieren, dass so etwas je wieder passiert. Das ist wirklich essenziell: Dass wir verstehen, wo dieses Virus herkam, um das Risiko zu minimieren. (…) Es wird wirklich hohe Kosten geben. Und deswegen müssen wir sicherstellen, dass kein Land auf der Welt wieder der Ursprung einer solchen Krise sein kann.

Pompeo sagt nichts zu der “Rechnung” für die chinesische Regierung, nach der Reichelt gefragt hat. Also fragt der “Bild”-Chef noch mal:

Noch einmal: Soll China für diese Schäden, die dort entstanden sind, finanziell aufkommen?

Pompeo antwortet:

There will be a time when the people responsible will be held accountable. I am very confident that this will happen. At the moment, it’s absolutely necessary to focus on the current task in order to systematically restart the American, and then also the global, economy. There will be a time for assigning blame.

Also:

Es wird eine Zeit geben, in der die verantwortlichen Personen zur Rechenschaft gezogen werden. Ich bin sehr zuversichtlich, dass dies geschehen wird. Im Moment ist es absolut notwendig, sich auf die aktuelle Aufgabe zu konzentrieren, um die amerikanische und dann auch die globale Wirtschaft systematisch wieder in Gang zu bringen. Es wird eine Zeit für Schuldzuweisungen geben.

Daraus macht die “Bild”-Zeitung heute:

Ausriss Bild-Zeitung - US-Außenminister Pompeo im Bild-Intervier - Corona-Verantwortliche werden zur Rechenschaft gezogen

Bei Bild.de, wo die Redaktion eine englische Version des Artikels, der auch in der gedruckten “Bild” erschienen ist, veröffentlicht hat, klingt das etwas weniger vage:

Screenshot Bild.de - Bild interview with US Secretaroy of State Pompeo - China will be liable for the damage done by coronavirus

Die Aussage “China will be liable” hat hat sich die “Bild”-Redaktion ausgedacht.

Mit Dank an Gregor G. und anonym für die Hinweise!

“Sollten wir Fledermäuse ausrotten?” Nein.

Man sagt ja, es gebe keine doofen Fragen, nur doofe Antworten. Aber manchmal.

Screenshot Bild.de - Fledermäuse ausrotten? Fragen, die wir China stellen müssen

Der, nun ja, Gedanke hinter dieser Bild.de-Startseitengeschichte geht so: Gut möglich, dass das Coronavirus von einer Fledermaus, vielleicht über ein anderes Säugetier als Zwischenwirt, auf den Menschen übertragen wurde — also:

Screenshot Bild.de - Sollten wir Fledermäuse ausrotten?

Die “Bild”-Leute haben sogar einen Professor, den sie vorschieben können:

So oder so stellt der US-amerikanische Uni-Professor Scott Galloway (55) den Schutz von Fledermäusen infrage, geht noch weiter und spricht sogar eine Begrenzung der Zahl der Säugetiere an. Er schreibt beim Kurznachrichtendienst Twitter: “Vier von vier der tödlichsten Viren der letzten Zeit stammen von Fledermäusen: Ebola, SARS, MRSA und Covid.”

Während Scott Galloway von “limiting” spricht, also vom Begrenzen, wird bei Bild.de daraus gleich eine komplette Ausrottung der Fledermäuse. Im Original lautet Galloways Tweet:

Screenshot eines Tweets von Scott Galloway - I have questions: 1. will wet markets be banned 2. will eating bats be banned 3. four out of four of the deadliest viruses of late have come from bats (ebola, SARS, MRSA, covid). Sincere question: every species has a role, but are bats worth limiting as a species considering harms?

Scott Galloway ist tatsächlich, wie Bild.de schriebt, Professor. Allerdings nicht etwa für Virologie oder für Epidemiologie und auch nicht für Biologie oder für irgendetwas anderes zum Thema Passendes, sondern für Marketing. Das erklärt vielleicht, warum er so einen hanebüchenen Unsinn schreibt, den die “Bild”-Redaktion bedenkenlos wiedergibt: MRSA zählt nicht zu den “vier der tödlichsten Viren der letzten Zeit”, schlicht weil MRSA kein Virus ist. Bei Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus handelt es sich um Bakterien, die gegen Antibiotika resistent sein können. Sie zählen zu den sogenannten “Krankenhauskeimen”. Vielleicht meinte Galloway eigentlich MERS, das ein weiteres Coronavirus ist. Aber bis auf die Buchstaben M, R und S hat das eine mit dem anderen nicht so irre viel zu tun. Und eine Verwechselung würde aus Galloway nicht gerade einen Experten machen, den man zitieren sollte.

Die “Bild”-Leute scheinen solche Details aber nicht weiter zu jucken. Sie übersetzen einfach ohne irgendeine Einordnung und präsentieren Scott Galloway als vermeintlichen Fachmann für die Frage, ob man Fledermäuse wegen der Virusgefahr ausrotten soll.

Was dabei komplett fehlt im Bild.de-Artikel: die Konsequenzen eines solchen Schrittes. Fledermäuse haben eine wichtige Rolle im Ökosystem: Sie fressen viele Pflanzenschädlinge und haben daher einen enormen Wert für die Landwirtschaft. Außerdem bestäuben sie Blüten und verbreiten Samen. Würde man sie einfach ausrotten, was die “Bild”-Redaktion offenbar für einen möglichen Lösungsansatz hält, hätte das deutliche ökologische und ökonomische Folgen. Und auch für die Menschheit gäbe es im Alltag Nachteile: Wir wären viel mehr Mücken und anderen Insekten ausgesetzt.

In China gab es mal ein ähnliches Vorhaben wie das, das Bild.de heute ins Spiel bringt. Ende der 1950er-Jahre wollte man dort in der “Großen Spatzenkampagne” die Spatzen des Landes ausrotten. Die Folgen waren fatal: Riesige Heuschreckenschwärme, die, ohne ihren natürlichen Feind, den Spatz, ungehindert komplette Ernten auffressen konnten. Es verhungerten damals Millionen Menschen.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Atemschutzmasken-Wucherpreise im “Deal des Tages”

Unsere Redaktion durchforstet jeden Tag für Sie das Internet auf der Suche nach den besten Angeboten und präsentiert Ihnen an dieser Stelle den “Deal des Tages”. Egal, ob Sie ein echter Sparfuchs oder nur ein Hobby-Schnäppchenjäger sind, hier werden Sie jeden Tag auf das beste Angebot aufmerksam gemacht, das man zur Zeit im Internet finden kann.

Das ist doch mal ein toller Service, den die Redaktion der “Hamburger Morgenpost” bietet. Und was hat die “Mopo” heute für uns Hobby-Schnäppchenjäger und Sparfüchse?

Screenshot Mopo.de - Shoppingwelt - Mopo-Deal des Tages - FFP-2-Atemschutzmasken aus deutscher Online-Apotheke

Im Artikel steht dazu:

Atemschutzmasken sind in Zeiten von Corona zu einer echten Mangelware verkommen. Sie sind stets ausverkauft oder haben lange Lieferzeiten oder astronomische Preise.

Als Beleg für solch “astronomische Preise” bietet auch der “Mopo”-“Deal des Tages” einen: eine Maske soll 14,95 Euro kosten. Der Link, der zu der “deutschen Online-Apotheke” führt, ist ein Affiliate-Link. Das heißt: Die “Hamburger Morgenpost” dürfte an dem Wucher mitverdienen.

14,95 Euro ist noch einmal ein gutes Stück mehr als der Preis, den ein Team von WDR, NDR und “Süddeutscher Zeitung” genannt hat (13,52 Euro), um zu zeigen, dass FFP2-Atemschutzmasken sich in den vergangenen Wochen um circa 3000 Prozent verteuert haben. Eine Maske sei bis Mitte Februar für 45 Cent zu haben gewesen.

Die “Mopo”-Redaktion schreibt zu ihrem “Deal”:

Ein Deal im Sinne von einem echten Schnäppchen sind die Atemschutzmasken damit freilich nicht, aber in diesem Fall ist die Verfügbarkeit des Produkts schon eine Info wert.

Die Frage der Verfügbarkeit ist ja der nächste Punkt: In einer Zeit, in der deutschlandweit Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen verzweifelt auch nach solchen FFP2-Masken suchen, um ihr Personal bei der Arbeit schützen zu können, sollte eine Redaktion vielleicht nicht den privaten Kauf derartiger Masken promoten und dabei selbst noch ein bisschen abkassieren.

Bei Mopo.de kann man die teuren Atemschutzmasken immer noch finden, inzwischen allerdings nicht mehr als “Deal des Tages”. Die “Mopo”-Redaktion ist mit dem Angebot übrigens nicht allein: Auch beim Kölner “Express” und bei der “Kölnischen Rundschau” ist es online zu finden.

Mit Dank an Eric P. und @dan_hh für die Hinweise!

Nachtrag, 20:08 Uhr: Die “Mopo”-Redaktion hat bei Twitter mit mehreren Tweets auf unsere Kritik reagiert:

Screenshot eines Tweets der Mopo-Redaktion - Die Mopo-Redaktion findet diesen Deal genauso geschmacklos wie ihr, deshalb haben wir heute Nachmittag direkt interveniert, als uns der Artikel dazu von unserem Vermarktungspartner eingespielt wurde.
Screenshot eines Tweets der Mopo-Redaktion - Wir haben das Teaser-Element, das auf dieses mehr als zweifelhafte Angebot verweist, heute Nachmittag sofort von mopo.de entfernt. Der Artikel als solcher ist nach wie vor auch unter unserer Domain zu finden, weil er bei anderen Portalen nach wie vor online ist. Das ist technisch bedingt und ärgert uns wohl am meisten. Wir werden alles daran setzen, dass es in Zukunft zu so etwas nicht mehr kommt

Nicht alles steht im Zusammenhang mit der Corona-Krise

An manchen Dingen ändert auch das Coronavirus nichts — die “Bild”-Redaktion ist und bleibt nicht in der Lage, Studienergebnisse ordentlich wiederzugeben.

An manchen Dingen ändert auch das Coronavirus nichts — Hamburgs Immobilien sind und bleiben (fast) unerschwinglich.

schreibt “Bild”-Chefreporter Jörg Köhnemann heute. In der Überschrift und der dazugehörigen Dachzeile wird Köhnemanns Aussage noch einmal bekräftigt:

Screenshot Bild.de - Trotz Corona-Krise - Immobilien-Preise gehen weiter durch die Decke

Tatsächlich besteht zwischen den “Staun-Fakten” zum Hamburger Immobilienmarkt, über die Bild.de schreibt, und der Corona-Krise allerdings überhaupt kein Zusammenhang. Es kann kein Zusammenhang bestehen, weil es um völlig unterschiedliche Zeiträume geht.

Grundlage für den Artikel ist eine Studie der Bausparkasse LBS. Die schaut sich seit Jahren die Entwicklung der Immobilienpreise in Hamburg und Umland an. In der Pressemitteilung zum aktuellsten “Immobilienmarktatlas” steht unter anderem:

Das ergab die aktuelle Studie der LBS Bausparkasse Schleswig-Holstein-Hamburg AG in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Forschungsinstitut F+B (Forschung und Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt GmbH), in der rund 13.560 öffentlich zugängliche Immobilien-Angebote in Hamburg und Umland im zweiten Halbjahr 2019 ausgewertet wurden.

“Im zweiten Halbjahr 2019” gab es offiziell noch keinen einzigen Corona-Fall in Deutschland. Dass die Hamburger Immobilienpreise “TROTZ CORONA-KRISE” “weiter durch die Decke” gehen, wird durch die LBS-Studie also gar nicht belegt. In der Pressemitteilung sagt der Vorstandsvorsitzende der Bausparkasse Jens Grelle sogar explizit, dass man erstmal schauen muss, “welchen Einfluss die COVID-19-Pandemie” auf die Immobilienpreise haben wird:

“Welchen Einfluss die COVID-19-Pandemie auf die Entwicklung der Immobilienpreise nehmen wird, ist derzeit schwer vorhersehbar”, stellt Grelle fest.

Erste Marktanalysen für den Jahresbeginn 2020 im Vergleich zu 2019 ergeben deutliche Angebotsrückgänge von gut 15 bis 25 Prozent auf den Bestandsmärkten in Hamburg und Schleswig-Holstein. Solange der Wohnungsmarkt als Folge der Pandemie stagniert, werde sich an den Preisen kaum etwas verändern.

Für die zukünftige Preisentwicklung werden aus Sicht des LBS-Chefs die Dauer der Corona-Krise und die daraus resultierenden wirtschaftlichen Auswirkungen wichtige Faktoren sein.

Mit Dank an C für den Hinweis!

Nachtrag, 14:31 Uhr: Die Bild.de-Redaktion hat reagiert, zumindest teilweise. Die Dachzeile lautet nun nicht mehr “TROTZ CORONA-KRISE”, sondern “NEUE LBS-STUDIE”. Der erste Satz des Artikels lautet hingegen nach wie vor:

An manchen Dingen ändert auch das Coronavirus nichts — Hamburgs Immobilien sind und bleiben (fast) unerschwinglich.

Schwarz-Weiß-Denken bei “Bild”

Sitzen Weiße auf einer Parkbank, sind das laut “Bild” und Bild.de “friedliche Parkbesucher”:

Screenshot Bild.de - Bei friedlichen Parkbesuchern greift die Berliner Polizei durch

Sitzen Schwarze auf einer Parkbank, sind das laut “Bild” und Bild.de “Drogendealer”:

Screenshot Bild.de - Bei Drogendealern im Park nicht

Die Fotos und die dazugehörigen Bildunterschriften stammen aus einem Artikel, der heute in der “Bild”-Zeitung und bei Bild.de erschienen ist:

Screenshot Bild.de - Es kann doch nicht sein, dass ... sechs Corona-Regeln, die wir nicht verstehen

Eine Sache, die laut “Bild”-Redaktion “DOCH NICHT SEIN” kann: Dass …

… die Polizei jahrelang Drogendealer ungeschoren lässt, JETZT aber jeden aufschreibt, der sich im Park sonnt!

Dazu zeigen die “Bild”-Medien dann eben die zwei Fotos von oben, auf denen niemand beim Dealen zu sehen ist, aber eine Gruppe zu “Drogendealern” erklärt wird.

Und es soll jetzt niemand kommen und sagen: “Ja, aber schaut doch mal in die Parks — wer vertickt da denn Drogen? Und wie sehen die aus?” Das ist genau das rassistische Kennst-Du-einen-kennst-Du-alle-Vorurteil, das die “Bild”-Redaktion mit ihrer Fotoauswahl bedient.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Bild.de ist auf der Suche nach einem Antibiotikum gegen das Coronavirus

Es ist ja allein schon bedenklich, dass zwischen der Kombination aus Dachzeile und Überschrift …

Screenshot Bild.de - Hoffnung für Corona-Patienten - Deutsche Forscher entwickeln Antikörper-Therapie

… und dem vierten Absatz des Bild.de-Artikels

Der Frankfurter Wissenschaftler Professor Erhard Seifried arbeitet mit seinem Team und anderen Zentren unter Hochdruck daran, eine Studie zu starten, die genauere Ergebnisse zur Wirksamkeit liefern soll. Kann die Antikörper-Therapie schwere Verläufe abmildern? Kann sie Todesfälle verhindern? Das alles muss noch herausgefunden werden.

… die “HOFFNUNG FÜR CORONA-PATIENTEN” auf “Das alles muss noch herausgefunden werden” zusammenschnurrt. So schreibt auch der Deutsche Presserat in Ziffer 14 seines Pressekodex:

Bei Berichten über medizinische Themen ist eine unangemessen sensationelle Darstellung zu vermeiden, die unbegründete Befürchtungen oder Hoffnungen beim Leser erwecken könnte.

Was die medizinische Expertise der “Bild”-Redaktion angeht, wird es etwas weiter hinten im Text aber noch bedenklicher. Zur Frage, ob die Antikörper-Therapie, die die Forscher entwickeln, “Covid-19 heilen” kann, schreibt die Bild.de-Autorin:

Nein. Bei der Antikörper-Therapie geht es nicht um Heilung, sondern um die Verhinderung schlimmer Verläufe. “Die Idee ist, dass möglichst viele Viren abgefangen werden und sich nicht mehr vermehren können”, erklärt Seifried.

Aber: Die Antikörper-Therapie ist nicht vergleichbar mit einem Antibiotikum. Der Wissenschaftler sieht die Therapie eher als Überbrückung, bis ein solches Mittel gegen die Viren gefunden ist.

Das wäre wirklich eine ganz besondere medizinische Sensation: Die Entdeckung eines Antibiotikums, das nicht, wie sonst üblich, nur gegen Bakterien wirkt, sondern auch “gegen die Viren”.

Mit Dank an Florian B. und @loutum1 für die Hinweise!

Nachtrag, 16:15 Uhr: Bild.de hat die Stelle im Artikel geändert. Dort steht nun:

Der Wissenschaftler sieht die Therapie eher als Überbrückung, bis ein Heilmittel gegen das Corona-Virus gefunden ist.

Das Wort “Antibiotikum” taucht im Beitrag nun nicht mehr auf.

Am Ende des Artikels gibt es einen transparenten Korrekturhinweis der Redaktion:

Nachtrag: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir den Eindruck erweckt, Antibiotika würden auch gegen Viren helfen. Dem ist natürlich nicht so, Antibiotika helfen nur bei bakteriellen Infektionen.

waz.de  

“WAZ” verbreitet Corona-Angst mit Clickbait-Paywall-Kombination

Wie man es nicht machen sollte, hat die “WAZ”-Redaktion diese Woche gezeigt. Am Mittwoch veröffentlichte sie diesen Artikel:

Screenshot WAZ.de - Coronavirus - Corona in Bochum: Uniklinik Bergmannsheil schickt Hilferuf

Im Teaser steht:

Die Bochumer Universitätsklinik Bergmannsheil hat einen Hilferuf an Ministerien in Bund und Land geschickt. Sie benötigt mehr Beatmungsgeräte.

Dann ist Schluss für alle ohne Abo, denn dann startet die “WAZ plus”-Paywall.

Bei Facebook postete die Redaktion den Artikel auch. Dort heißt es ebenfalls:

Screenshot eines Facebook-Posts der WAZ-Redaktion - Die Bochumer Universitätsklinik Bergmannsheil hat einen Hilferuf an Ministerien in Bund und Land geschickt. Sie benötigt mehr Beatmungsgeräte. - Überschrift des geposteten Artikel Corona in Bochum: Uniklinik Bergmannsheil schickt Hilferuf

Genauso auf der “WAZ Bochum”-Facebookseite.

Das klingt ziemlich bedrohlich: Eine Uniklinik mit einem Hilferuf nach mehr Beatmungsgeräten. Die Auflösung hinter der Paywall ist allerdings das komplette Gegenteil. Eine hoffnungsvolle Geschichte in der Corona-Krise: Nicht nur, dass die Klinik es in den vergangenen Wochen hinbekommen hat, ihre Kapazitäten von 42 auf 77 Intensivbetten aufzustocken; sie könnte diese Zahl sogar noch weiter erhöhen auf rund 100 Betten — dafür wären allerdings mehr Beatmungsgeräte nötig. Deswegen der “Hilferuf”.

Der klingt in einer Pressemitteilung der Uniklinik so:

“Aufgrund unserer vorhandenen baulichen Infrastruktur wären wir — je nach personeller Besetzung — in der Lage, insgesamt rund 100 intensivmedizinische Behandlungsplätze für die Versorgung dieser Patienten zur Verfügung zu stellen”, sagt Dr. Tina Groll, Geschäftsführerin des Bergmannsheils. “Dafür ist es jedoch zwingend erforderlich, dass wir zusätzliche Beatmungsgeräte erhalten. Dazu haben wir bereits alle verfügbaren Beschaffungswege aktiviert und hoffen jetzt auf Unterstützung von staatlicher Seite.”

Das, was die “WAZ”-Redaktion macht, ist nicht nur Clickbait auf Kosten der Angst der Leserinnen und Leser. Sie löst das Ganze auch nur für jene auf, die ein Abo haben. Alle anderen müssen weiterhin glauben, dass in der Bochumer Klinik die Versorgung nicht mehr gewährleistet ist.

Sowas zeigt Wirkung. Bei Facebook schreibt eine Userin:

Ich dachte es wäre alles so super organisiert bei uns?!

Und eine andere:

Warum verlegt man nicht? Es gibt in Nrw und direkter Nähe zu Bochum definitiv freie Beatmungskapazitäten!!!

Die Aufklärung übernehmen unterdessen die Leserinnen und Leser, die hinter die Paywall schauen konnten. Während Facebook-Userin A von ihren Befürchtungen schreibt …

finde es traurig das es schon los geht mit den Beatmungsgeräten . es erschreckt mich zu tiefst und lässt meine Befürchtungen war werden ich hoffe nicht.

… antwortet Userin B:

Das Bergmannsheil hat diesen “Hilferuf” geschickt, weil es Platz hat, um dieAnzahl an Intensivbetten noch weiter auszubauen. Der Bedarf ist dafür aktuell nicht da.Es geht darum für eine eventuellen Bedarf in der Zukunft gewappnet zu sein.
Aber so eine panikmachende Schlagzeile seitens WAZ verkauft sich besser.

User C schaltet sich ein:

Aber das ist doch gut.

Und Userin A bedankt sich bei Userin B:

danke für info

Die Furcht, die die “WAZ”-Redaktion mit ihrer Clickbait-Paywall-Kombination verbreitet hat, muss die Leserschaft wieder einfangen. Das ist eigentlich nicht die Idee hinter dem Konzept “Journalismus”.

Mit Dank an Claudio G. für den Hinweis!

“Bild” fordert: Neues Wirtschaftswunder jetzt sofort!

So sieht es aus, wenn in einer Redaktion der Größenwahn herrscht:

Ausriss Bild-Titelseite - Nationaler Kraftakt gegen Corona - Bild sagt, was sofort passieren muss

Noch schlimmer als dieser Hochmut ist an der “Bild”-Titelseite vom vergangenen Dienstag nur der Eindruck, den die Redaktion dort vermittelt: dass die Politik, die Regierung, der Staat nichts mache in der derzeitigen Corona-Krise.

“Wir brauchen einen nationalen Kraftakt”, ist im Vorspann zu lesen, als würden so gut wie alle Politikerinnen und Politiker (und viele andere Menschen) in Deutschland nicht schon seit Wochen kraftakten; als würden sie nicht im Dauereinsatz daran arbeiten, diese Krise irgendwie zu bewältigen. Da muss schon die “Bild”-Redaktion kommen, damit das hier mal alles klappt:

BILD nennt zehn Maßnahmen, die wir JETZT angehen müssen.

Was im Umkehrschluss nur heißen kann: Die zehn Maßnahmen, die “Bild” nennt, sind bisher noch nicht angegangen worden — was gefährlicher Unsinn ist.

Zum Beispiel Maßnahme 3:

Ausriss Bild-Titelseite - Mit Technologie gegen Corona

In vielen Ländern helfen Handy-Apps beim Kampf gegen das Virus. Menschen können ablesen, ob sie in der Nähe einer infizierten Person waren. Freiwillig und anonym muss das auch in Deutschland möglich sein.

Das dürfte es auch bald sein. Das Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut und das Robert-Koch-Institut arbeiten schon längst an einer solchen App. In der Politik gibt es dafür viele Fürsprecherinnen und Fürsprecher.

Oder Maßnahme 9:

Ausriss Bild-Titelseite - Antikörper-Tests auf den Markt bringen

Wir müssen dringend wissen, wie viele Deutsche bereits infiziert waren — und nun immun sind.

Auch hier: Passiert schon.

“Bild”-Maßnahme 2:

Ausriss Bild-Titelseite - Masken für die Massen produzieren

Deutschland braucht Hunderte Millionen Atemschutzmasken.

Jede Person, die in den vergangenen Tagen mal in eine Corona-Sondersendung geschaltet hat, dürfte dort ein Interview mit einem Politiker oder einer Politikerin gesehen haben, in dem es um die Anstrengungen geht, endlich an mehr Atemschutzmasken zu kommen — ob nun im Ausland bestellt oder in Deutschland selbstproduziert. Diese Leute schildern aus unserer Sicht glaubhaft, dass sie dabei ihr Bestes geben.

Ganz ähnlich “Bild”-Maßnahme 6:

Ausriss Bild-Titelseite - Risikogruppen besonders unterstützen

Alte und Vorerkrankte, aber auch medizinisches Personal brauchen den besten Schutz: die stärksten Masken, die modernsten Schutzanzüge. Virologe Kekulé: “Es muss eine nationale Anstrengung sein, Risikogruppen vor Covid-19 zu schützen.”

Die “Bild”-Redaktion will doch nicht ernsthaft behaupten, dass das nicht schon längst eines der wichtigsten Ziele aller handelnden Personen ist?

Neben diesen Maßnahmen, die “wir” dem Boulevardblatt zufolge “JETZT angehen müssen” und die schon längst angegangen sind, nennt “Bild” auch ziemlich bekloppte Maßnahmen, die zum Glück noch niemand angegangen ist. Etwa Maßnahme Nummer 1:

Ausriss Bild-Titelseite - Kanzlerin Merkel muss jeden Tag zum Volk sprechen

Wie nie zuvor in Angela Merkels Amtszeit kommt es auf politische Führung an. Historische Persönlichkeiten wie Winston Churchill schworen die Menschen auf schlimmste Entbehrungen ein, schrieben mit Reden Geschichte. Merkel muss jeden Tag zur Nation sprechen.

Täglich “zum Volk sprechen” würde allerdings auch bedeuten: weniger Zeit für wirklich wichtige Dinge und Entscheidungen — und damit weniger “Kraftakt”. Wir hätten außerdem zwei Gegenbeispiele, die zeigen, dass tägliche Auftritte nicht automatisch etwas Brauchbares hervorbringen:

1. US-Präsident Donald Trump tritt momentan täglich vor die Kameras.
2. “Bild live” läuft sogar mehrmals täglich.

Eine der aus Sicht der “Bild”-Redaktion aktuell zehn wichtigsten Maßnahmen lautet tatsächlich:

Ausriss Bild-Titelseite - Notfall-Plan für Bundesliga

Der Fußball gibt Menschen Halt. Sie brauchen ihn, um die Krise durchzustehen. “Wenn nötig, dann eben zunächst mit Geisterspielen”, so Rekordnationalspieler Lothar Matthäus zu BILD.

Besonders bescheuert aber ist die Forderung von Maßnahme 7:

Ausriss Bild-Titelseite - Neues Wirtschaftswunder

Ganze Branchen, Volkswirtschaften, Währungen taumeln. Um das zu überstehen, brauchen wir ein neues Wirtschaftswunder.

Ja, es wäre toll, wenn in dieser schweren Zeiten jetzt sofort etwas wirklich Gutes wie ein Wirtschaftswunder geschehen würde. Wie genau? Das weiß auch die “Bild”-Redaktion nicht, auch wenn sie sonst gern vorgibt zu wissen, “was SOFORT passieren muss”. Aber plump fordern kann man es ja mal. Das setzt die handelnden Personen auch so schön zusätzlich unter Druck, wenn die “Bild”-Leserschaft dann kräht: Los, lasst jetzt endlich das Wirtschaftswunder stattfinden!

Wenn Franz Josef Wagner sich falsch an den Adidas-Gründer erinnert

Was hatten die beiden Dassler-Brüder Adolf und Rudolf auch den gleichen Nachnamen? Wie soll “Bild”-Briefonkel Franz Josef Wagner es bei so einer komplizierten Lage hinbekommen, den einen und den anderen auseinanderzuhalten?

Wagner schreibt heute ans “Liebe Adidas”, an die Firma also, die derzeit schwer in der Kritik steht, weil sie für ihre in der Corona-Krise geschlossenen Shops im April keine Miete zahlen wolle. Adidas verteidigt sich: Es gehe nur um eine Stundung der Mietkosten.

Sowas hätte es bei Adolf “Adi” Dassler, dem Gründer von Adidas, laut Wagner jedenfalls nie gegeben:

Ein Adi Dassler hätte nie die Mietzahlungen gestrichen. Er war ein Mann, der aus der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs kam. Wegen Fahnenflucht wurde er von der Gestapo verfolgt und in das Konzentrationslager Dachau gebracht. (…)

Adidas sollte sich an seinen Gründer erinnern.

Und Franz Josef Wagner sollte sich richtig an die Geschichte der Dassler-Brüder erinnern, bevor er sowas schreibt. Denn es war nicht Adolf Dassler, der wegen Fahnenflucht von der Gestapo festgenommen und ins Konzentrationslager Dachau gebracht werden sollte, sondern dessen Bruder Rudolf, der spätere Gründer von Puma.

Selbst wenn Wagners Aussage stimmen würde, wäre es eine bemerkenswert einseitige Darstellung von Adolf Dasslers Rolle während des Zweiten Weltkriegs und der Nazi-Zeit in Deutschland (andere Aspekte nennt Wagner nicht). Beide Dassler-Brüder wurden 1933 Mitglieder der NSDAP. Adolf Dassler war bei der Hitlerjugend aktiv. Während des Krieges stellten die Dasslers in ihrer Fabrik für das Nazi-Regime die Panzerabwehrwaffe “Panzerschreck” her, auch unter Einsatz von französischen Zwangsarbeitern. Zu Adolf Dasslers Verhalten während dieser Zeit gehört aber auch, dass er bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin gegen alle Widerstände dafür sorgte, dass der schwarze Leichtathlet Jesse Owens in Dassler-Schuhen antreten konnte. Und im Entnazifizierungsverfahren der US-Amerikaner gab es viele Fürsprecher für Adolf Dassler, unter anderem einen jüdischen Bürgermeister, der berichten konnte, dass Dassler ihn bei sich zu Hause vor der Gestapo versteckt hatte, und einen bekannten Antifaschisten, den Adolf Dassler auch während der NS-Zeit weiterbeschäftigte.

Mit Dank an Georg und @sundrio für die Hinweise!

Nachtrag, 18:10 Uhr: Die “Bild”-Redaktion hat reagiert und die Wagner-Kolumne überarbeitet: Die Passage zum Zweiten Weltkrieg ist komplett verschwunden. Dafür gibt es nun eine “ANMERKUNG DER REDAKTION” am Ende des Textes:

In einer früheren Version des Artikels hieß es über den Adidas-Gründer: “Er war ein Mann, der aus der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs kam. Wegen Fahnenflucht wurde er von der Gestapo verfolgt und in das Konzentrationslager Dachau gebracht.”

Das ist falsch, die Beschreibung trifft vielmehr auf den Rudolf Dassler zu, den älteren Bruder von Adi Dassler. Rudolf Dassler gründete den Adidas-Konkurrenten Puma.

Diese transparente Korrektur ist gut. Wenn die Redaktion schon dabei ist, könnte sie auch gleich noch Wagners Behauptung korrigieren, dass “Adi” Dassler der Erfinder der Schraubstollen ist (“Adi Dassler war Zeugwart und Schuster in der Nationalelf. Er erfand den Schraubstollen.”). Laut Patent- und Markenamt gab es einige Personen, die lange vor Dassler ein Patent auf Schraubstollen angemeldet hatten.

Mit Dank an @seelengalerie und L. S. für die Hinweise!

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