Vergangene Woche meinte die “Bild”-Redaktion, bei ihrer Suche nach Argumenten und Mitstreitern gegen die Energiewende mal wieder fündig geworden zu sein:
Die beiden “Bild”-Autoren Jan Schäfer und Carl-Victor Wachs schrieben:
Knallhart-Abrechnung mit der Energiepolitik von Robert Habeck (53, Grüne)!
Der neue Präsident des Chemieverbands VCI, Markus Steilemann (52), warnt den Wirtschaftsminister vor dem Kollaps des Industriestandorts Deutschland. Es drohe gigantischer Strommangel, da der geplante Ausbau der Windkraft nicht zu stemmen sei.
Konkret warnt Steilemann: Um Habecks Energieziele bis 2030 zu erreichen, bräuchte man “jeden Tag zehn Windkraftanlagen. Eine davon braucht 4000 Tonnen Stahl; das ist ein halber Eiffelturm. Das heißt: fünf Eiffeltürme jeden Tag. Und das für die nächsten 8 Jahre.”
Steilemann knallhart: “Das möchte ich mal sehen, wie wir das auf den Weg kriegen.” Deutschland drohe der Absturz “vom Industrieland zum Industriemuseum”.
An dem Eiffelturm-Vergleich von Markus Steilemann ist so ziemlich alles falsch, was falsch sein kann. Der Bundesverband WindEnergie hat das in einem Twitter-Thread wunderbar aufgedröselt: Steilemanns Angabe zum benötigten Stahl ist viel zu hoch (den Fehler hat er selbst auch längst eingeräumt), die Anzahl der täglich neu benötigten Windenergieanlagen soll ebenfalls zu hoch sein, und das Gesamtgewicht des Eiffelturm-Stahls hat Steilemann in seiner Rechnung auch eher grob angegeben. “Wir brauchen also weniger als einen halben Eiffelturm pro Tag – nicht fünf”, so das Fazit des Bundesverbands WindEnergie.
Das alles hätte man mit ein wenig Recherche herausfinden können. Aber darauf haben die zwei “Bild”-Autoren offensichtlich verzichtet.
Interessant ist, wie sie die Stelle zitieren, die es zum Teil auch in die Überschrift bei Bild.de geschafft hat. Schäfer und Wachs schreiben:
Steilemann knallhart: “Das möchte ich mal sehen, wie wir das auf den Weg kriegen.” Deutschland drohe der Absturz “vom Industrieland zum Industriemuseum”.
Das gesamte Steilemann-Zitat ist etwas länger. Es ist in einer Diskussionsrunde des Verbands der Chemischen Industrie zum Thema “Energie und Klima” gefallen, bezieht sich auf die falsche Eiffelturm-Rechnung sowie die Ausbauziele bei den erneuerbaren Energien und lautet:
Das möchte ich mal sehen, wie wir das auf den Weg kriegen. Da müssen wir hin. Weil ansonsten wird alles, was wir hier heute diskutieren, Makulatur bleiben. Und Deutschland wird sich von einer Industrienation in ein Industriemuseum verwandeln, und zwar schneller, als wir uns das vorstellen.
Die Forderung “Da müssen wir hin.” haben die “Bild”-Autoren einfach weggelassen. Stattdessen schreiben sie, Steilemann wäre der Ansicht, dass “der geplante Ausbau der Windkraft nicht zu stemmen sei.” Tatsächlich aber fordert er – selbst unter dem Eindruck seiner viel zu hohen Stahl-Annahme -, die Herausforderung anzunehmen und den Ausbau der Windkraft voranzutreiben. Das passt auch vielmehr zu früheren Aussagen Steilemanns. So sprach er sich beispielsweise 2019 in einem Interview mit dem “Tagesspiegel” für eine Beschleunigung beim Ausbau der Erneuerbaren und der dazugehörigen Infrastruktur aus.
Der Artikel bei Bild.de wurde inzwischen überarbeitet. Nun weist ein “Update” auf den Fehler bei der Stahl-Rechnung hin, eine Aussage des Bundesverbands WindEnergie wurde hinzugefügt. Das verkürzte Zitat wurde kommentarlos gestrichen, dafür steht im Text aber noch immer fälschlicherweise, dass Markus Steilemann der Meinung ist, der geplante Ausbau der Windkraft sei nicht zu stemmen.