Suchergebnisse für ‘gleichstellung’

Faktenfinder, Schweigegeld, Verpartnerung

1. Wie umgehen mit Fake News?
(faktenfinder.tagesschau.de, Patrick Gensing)
Die ARD startet den “Faktenfinder”, ein Projekt, das sich der Aufklärung über Fake News verschrieben hat. Projektleiter Patrick Gensing: “Der Kampf gegen gezielte Falschmeldungen und Desinformation lässt sich nicht durch Gesetze gewinnen. Es ist vielmehr Aufgabe von Journalisten und Medien, über dieses Problem aufzuklären” Weitere Informationen bei “Deutschlandradio Kultur”: Mit journalistischem Handwerk gegen Fake News

2. Schadenersatz wegen Fake News zu “Amoklauf”
(kn-online.de, Gerrit Sponholz)
Laut “Kieler Nachrichten” geht in Schleswig-Holstein eine Behörde erstmals gegen den Urheber von Falschmeldungen vor, die über Twitter und Facebook verbreitet wurden. Ein Mann soll mit seinen Fake News einen Großeinsatz im Kreis Segeberg behindert und Panik geschürt haben. Für den zusätzlichen Personaleinsatz wird der Mann nun zur Kasse gebeten.

3. Fox-News-Moderator soll Mitarbeiterinnen Schweigegeld gezahlt haben
(sueddeutsche.de, Sacha Batthyany)
Der prominente Nachrichtenmoderator des konservativen US-Fernsehsenders “Fox News” Bill O’Reilly soll Mitarbeiterinnen Schweigegeld gezahlt haben, die ihm zuvor sexuelle Belästigung vorgeworfen hätten. Der 67-jährige O’Reilly und sein Sender sollen rund 13 Millionen Dollar Schweigegeld an fünf Frauen gezahlt, die dem Starmoderator sexuelle Belästigung vorgeworfen hätten. Bill O’Reilly wies sämtliche Anschuldigungen zurück. Er ziehe wegen seiner Prominenz “Klagen von Personen an, die von mir Geld wollen, um negative Berichterstattung zu vermeiden”.

4. Zeitschriftenverleger kritisieren Gesetz gegen Hasskommentare im Netz
(heise.de)
Der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) kritisiert das geplante Gesetz gegen Hasskommentare im Internet. Zukünftig sollen Internetplattformen unter Androhung einer Geldbuße von bis zu 50 Millionen Euro alle strafrechtswidrigen Äußerungen entfernen.
“Ein privates Unternehmen ist aber nicht in der Lage, die Wahrheit oder Unwahrheit kritischer Behauptungen über Politiker, Sportler, Unternehmer oder wen auch immer zu überprüfen. Es hat dafür weder die Ressourcen noch die nötigen Ermittlungsrechte”, so der Verbandspräsident. “Plattformen bleibt angesichts solcher Bußgelddrohungen keine andere Wahl als im Zweifel zu löschen. Das halte ich für eine große Gefahr.”

5. 14 Millionen Dollar für Studien zu Fake-News
(zeit.de, Götz Hamann)
Facebook und weitere Unternehmen finanzieren mit 14 Millionen Dollar eine neu gegründete Organisation zur Erforschung des digitalen Journalismus, die News Integrity Initiative (NII). Zu dem internationalen Konsortium gehören in Deutschland das Hans-Bredow-Institut in Hamburg und die Hamburg Media School. Die Facebook-Managerin Campbell Brown erhofft sich neue Erkenntnisse und eine Unterstützung bei der Zurückdrängung von Fake-News. Man möchte der Managerin zurufen, dass sie sich ihre Millionen sparen kann, wenn sie sich zunächst den offensichtlichsten Missständen auf ihrer Plattform zuwenden würde.

6. Hape Kerkeling hat nicht geheiratet
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Hape Kerkeling ist mit seinem Freund eine Lebenspartnerschaft eingegangen und viele Medien verkündeten diese Verpartnerung als “Hochzeit”. Stefan Niggemeier sieht diese Bezeichnung mit gemischten Gefühlen. Einerseits sei es positiv, wenn Boulevardmedien wie “Bild” und “Bunte” homosexuelle Partnerschaften als relativ selbstverständlich darstellen würden. Andererseits handele es sich bei dem Begriff um eine trügerische Gleichsetzung, die in der Realität nicht bestehe. “Es ist eine furchtbar bequeme Illusion: Man tut so, als sei die Gleichstellung ja im Grund schon erreicht, und kann sie so verhindern. Wenn Journalisten eingetragene Partnerschaften ohne größere Umstände als „Ehen“ bezeichnen, machen sie eine Diskussion darüber fast unmöglich, warum eingetragene Partnerschaften in Deutschland (im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern Westeuropas) keine Ehen sind.”

Linke Nummer mit der/die ComputerIn

Ja, bei “Bild” gab es heute auf der Titelseite mal wieder eine richtig schöne Möglichkeit, sich aufzuregen. Bild.de lieferte der Stammleserschaft bereits gestern Abend die Vorlage zum Blutdruckhochschrauben und Empören über den “GENDER-GAGA”:

In beiden Artikeln geht um die Linksfraktion in Flensburg. Die haben nämlich am vergangenen Mittwoch einen Vorschlag gemacht, der seitdem für ziemlich viel Rummel sorgt. “Bild”-Mann Ralf Schuler schreibt dazu:

Irre Gender-Posse im Flensburger Rathaus!

Die Linke beantragt im Gleichstellungsausschuss, Arbeitsgeräte künftig geschlechtsneutral zu benennen. Beispiel: der/die BleistiftanspitzerIn, der/die StaubsaugerIn.

Begründung: Es sei in einer “sozial gerechten und antidiskriminerenden Gesellschaft nicht hinzunehmen”, dass häufig nur der männliche Artikel (der) benutzt würde. Am Mittwoch wird der Antrag beraten.

In einem Kommentar legt Schuler noch mal nach:

Es gibt diese Idee der Flensburger Linksfraktion tatsächlich. Genau genommen handelt es sich allerdings nicht um einen Antrag, sondern um einen Ergänzungsantrag (PDF). Und dieser feine Unterschied ist in dieser Geschichte nicht unwesentlich. Denn die Linken-Fraktionsvorsitzende Gabriele Ritter sagt, dass das mit der genderneutralen Bezeichnung für Arbeitsgeräte nie ernst gemeint war, sondern lediglich eine satirische Reaktion auf einen Antrag der freien Wählergemeinschaft “Wir in Flensburg”. Die hatte einen Tag vor dem Ergänzungsantrag der Linksfraktion den Vorschlag (PDF) eingebracht, “Ratsfrauen” in Zukunft “Ratsdamen” zu nennen, weil das doch viel besser zum männlichen Pendant “Ratsherren” passe. Gabriele Ritter und ihr Team fanden das so bescheuert, dass sie nicht anders wussten, als mit ihrem völlig abwegigen Ergänzungsantrag zu reagieren und den “Ratsdamen”-Vorschlag der Wählergemeinschaft ad absurdum zu führen.

Bei Bild.de erwähnt Ralf Schuler diese Abfolge von Antrag und Ergänzungsantrag am Ende seines Textes, auf der “Bild”-Titelseite steht davon hingegen kein Wort. Dafür aber dieser letzte, kurze Absatz:

Die Linke ruderte gestern zurück, will den Antrag nun als Satire verstanden wissen.

Das ist schlicht falsch. Denn die Flensburger Linksfraktion stellte bereits am 22. September, also einen Tag nach ihrem Ergänzungsantrag, klar, dass die Sache mit der/die ScannerIn und der/die ComputerIn und der/die BleistiftanspitzerIn nicht ernst gemeint war:

DIE LINKE wird den Antrag der WiF ablehnen und empfiehlt dies übrigens auch für den eigenen Ergänzungsantrag, der durch die Neuschaffung von Begriffen wie “der/die ScannerIn”, “der/die AbfalleimerIn” oder “der/die StaubsaugerIn” bestenfalls für Lachanfälle in den 13 Etagen des Rathauses sorgen sollte.

Das hätte auch Ralf Schuler mit anderthalb Minuten Recherche rausfinden können, wenn er mal auf die Website der Linksfraktion in Flensburg geschaut hätte. Oder wenn er den Artikel von Lars Wienand gelesen hätte, der für die “Funke Mediengruppe” schon vor drei Tagen über den Fall schrieb und klarstellte, dass es sich um einen Witz handelt. Oder wenn er den ebenfalls drei Tage alten Artikel des rechten Blatts “Junge Freiheit” (den verlinken wir natürlich nicht) entdeckt hätte …

… unter dem recht schnell stand:

AKTUALISIERUNG: Die Linke im Flensburger Rat teilte auf ihrer Internetseite mit, sie selbst werde gegen den von ihr eingebrachten Antrag stimmen. Die Beschlußvorlage, die sich auch in der offiziellen Dokumentendatenbank des Rats der Stadt Flensburg findet, habe “bestenfalls für Lachanfälle in den 13 Etagen des Rathauses sorgen” sollen.

Aber Schuler machte all das nicht. Stattdessen echauffierte er sich über den “GENDER-GAGA IN FLENSBURG” — und der machte schell Medienkarriere. “Spiegel Online” übernahm die Geschichte zum Beispiel:

Und selbst bis nach Österreich und in die Schweiz hat es die Meldung geschafft, zu oe24.at beziehungsweise 20min.ch:


Die Folgen ihres kleinen Witzes seien heftig gewesen, sagte uns Linken-Fraktionschefin Gabriele Ritter am Telefon. Es habe freundliche Reaktionen gegeben von Leuten, die das alles verstanden hätten. Es habe kritische Reaktionen gegeben. Auf die habe sie geantwortet. Und es habe böse Reaktionen gegeben. In einer dieser bösen Reaktionen schrieb der Autor, dass Gabriele Ritter sich einen Pistolenlauf in den Mund stecken solle.

Mit Dank an Peter U. für den Hinweis!

Himmelhoch jauchzend, zu Tode vergnügt

Nun will Facebook also Emojis einführen. Statt ein Foto, ein Posting, einen Link nur zu liken, können ausgewählte Nutzer jetzt testweise ihre Zustimmung oder Ablehnung oder Überraschung durch kleine Symbole kundtun: ein Herz zum Beispiel oder ein Gesicht mit einer Träne.

Aber gibt’s das nicht schon längst woanders?

Sicher nicht ohne Stolz retweetet Kai Diekmann — nicht nur “Bild”-Chef, sondern auch Herausgeber von Bild.de –, dass Facebook bei ihm und seinem Team abkupfere.

Man könnte einwenden, dass Facebook ein entsprechendes Patent bereits im März 2013 angemeldet hat, also lange bevor Bild.de mit dem sogenannten Moodtagging loslegte. Und auch, dass in der Medienbranche beispielsweise “Buzzfeed” viel früher eine solche Funktion eingeführt hat.

Aber: Bild.de war mit dabei. Wenn es zum Beispiel ein Feuer im Flüchtlingscamp gab, und die Redaktion darüber berichtet hat, konnten die Leser mit einem Klick ihr Entsetzen ihre Freude darüber äußern:

Diese Reaktion über ein Unglück war keine Ausnahme. Ein Schwertfisch spießt einen Seemann auf? Lachen! Ein toter Porsche-Fahrer? Lachen! Gleichstellung für Homo-Ehe? Wut!















Dabei war es durchaus möglich, das Tool bei einzelnen Texten auszuschalten — zum Beispiel bei Kommentaren der “Bild”-Chefs. Wissen wir bis heute nicht, warum es nicht auch bei solchen Artikeln gemacht wurde:




Seit ein paar Wochen ist das Moodtagging bei Bild.de nicht mehr zu finden, die Redaktion hat die Funktion abgestellt.

Bedrohte Journalisten, Merkel mit Kopftuch, Reporterleben in den 80ern

1. Was hinter der Zahl von 1,5 Millionen steckt
(sueddeutsche.de, Robert Roßmann)
Am Montag sorgte “Bild” für Aufregung bei Politikern und anderen Medien. Genauer gesagt eine Zahl, die in der “Bild”-Zeitung zu lesen war: 1.500.000 — so viele Flüchtlinge sollen “Geheimpapieren deutscher Behörden” zufolge in diesem Jahr nach Deutschland kommen. Zumindest im Innenministerium scheint besagtes Papier nicht bekannt, dort kann man die genannten Zahlen “nicht bestätigen”. Robert Roßmann erklärt, warum zuverlässige Prognosen derzeit so schwierig sind.

2. Bericht aus Berlin: Was soll das?
(falk-steiner.de)
Falk Steiner beschreibt die “Bericht aus Berlin”-Sendung, in der Angela Merkel im Tschador und der Reichstag mit Minaretten gezeigt wurde. Die Erklärung der “BaB”-Redaktion auf Facebook will Steiner nicht gelten lassen: “‘Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Gleichstellung’ sollten diese beiden Grafiken symbolisieren, schreiben die BaB’ler. Nur wo sich das darin gefunden haben soll, ist das Geheimnis der Macher geblieben — schleierhaft, könnte man sagen.” Die “taz” schreibt, dass die ARD “von den Besten” kopiere, den “Pegida”-Mitmarschierern, die Merkel ähnlich abbildeten. Und der “Tagesspiegel” beobachtet, dass sich Moderator Rainald Becker nicht zur Kritik äußert, seine Redaktion allerdings schon.

3. Pressefreiheit ja – solange es die eigene Meinung deckt
(mdr.de, Uta Deckow)
Uta Deckow schreibt darüber, wie Journalisten von “Pegida”-Anhängern bedroht werden. “Jeder Kollege der berichtet, kann solche Geschichten erzählen — bis hin zu denen, die Zettel im Briefkasten fanden mit den Worten ‘Wir wissen wo Du und Deine Kinder wohnen’.” In den letzten Wochen habe sich die Bedrohungslage für Berichterstatter “erheblich verschärft”. Auch sie selbst habe solche Erfahrungen gemacht: Bei einer Demo habe sich ein “Pegida”-Ordner vor ihr aufgebaut und erklärt, “er habe noch nie eine Frau geschlagen, für mich mache er gern eine Ausnahme.”

4. Wie gut waren “die guten alten Zeiten”?
(medienwoche.ch, Nik Niethammer)
Früher war alles besser! Journalisten erinnern sich gerne an die “guten, alten Zeiten”. Nik Niethammer gesteht zu, dass das Reportleben Ende der 80er-Jahre “spassig” war, “unbeschwerter, weniger atemlos”, mit größeren Redaktonsbudgets und mehr Zeit für Recherche. Doch führt das zwangsläufig zu besserem Journalismus? “Fehlanzeige. In meinen Texten von damals knirscht und ächzt es an vielen Ecken. Viele von uns waren satt, selbstzufrieden.” Im Gegenteil: “So seriös, nachhaltig und kompetent wie der Journalismus in der Schweiz heute ist, war er nie. Finde ich!”

5. “Ich bin nicht der Typ, der jedem Reporter die Hand schütteln und sich nach seinem Wohlbefinden erkundigen muss”
(nachbern.ch, Ronnie Grob)
Laut “Sonntagsblick” ist Ulf Schläfli — nomen est omen — der “größte Hinterbänkler” unter den Schweizer Parlamentariern. Im Interview mit “Nachbern.ch” spricht er über den Umgang mit Journalisten, seinen Kontakt zu Lobbyisten und die Teilnahme am Medientraining.

6. Wer Österreichs BloggerInnen sind: Die Ergebnisse 2015
(digitalschmankerl.at, Petra Köstinger)
Weiblich, jung, “professionelle Hobbyisten”: Die beiden Blogger Petra Köstinger und Tom Schaffer haben ihre Kollegen in Österreich vermessen. “Trending Topics” fasst unter ökonomischen Gesichtspunkten zusammen: “64 Prozent verdienen überhaupt kein Geld mit dem Bloggen, 15 Prozent verdienen pro Monat mehr als 1.000 Euro (8 Prozent mehr als 2000 Euro).” Zum Vergleich: Konrad Lischka hat berechnet, welchen Umsatz “Medienfirmen je Mitarbeiter” erlösen.

Bremen, Bulgarien, Armut

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Shitstorm gegen die Vernunft”
(taz.de, Simone Schnase)
Annemarie Czichon, Ortsamtsleiterin von Bremen Neustadt, erhält beleidigende und hasserfüllte E-Mails, nachdem sie nach einem Überfall öffentlich vor Vorverurteilungen warnt.

2. “Schlumpfine: BILD und die ‘irre’ Gleichstellung”
(blog.kerstenartus.info)
Politikerin Kersten Artus kritisiert “Bild”: “Bei der Berichterstattung über frauenpolitische Themen und auch über die Gleichstellungssenatorin wird systematisch scharf auf alle Feinde und Feindinnen der androzentristischen Denkweise geschossen – Querschläger einkalkuliert.”

3. “David Miranda, schedule 7 and the danger that all reporters now face”
(theguardian.com, Alan Rusbridger, englisch)
Alan Rusbridger kommentiert die Arretierung von David Miranda in der Transitzone des Flughafen Heathrow: “Miranda was held for nine hours under schedule 7 of the UK’s terror laws, which give enormous discretion to stop, search and question people who have no connection with ‘terror’, as ordinarily understood. Suspects have no right to legal representation and may have their property confiscated for up to seven days.”

4. “Viel Aufwand für wenig Erkenntnis”
(funkkorrespondenz.kim-info.de, Dietrich Leder)
Der Film “Macht Mensch Merkel” (zdf.de, Video, 43:29 Minuten) betreibt “fleißig Eigenreklame für das ZDF”, schreibt Dietrich Leder: “Mit dem Physiker Harald Lesch und dem Kabarettisten Urban Priol kamen zwei ZDF-Gesichter zu Wort. Zudem wurde eine Ausgabe der ‘Heute-Show’ zitiert, in der sich Oliver Welke begeistert über Angela Merkel äußerte (und zugleich ein Honorar einforderte), weil sie ein Bonmot über die FDP aus seiner ZDF-Satire-Sendung übernommen hatte.”

5. “Armut als Lebensstil – Das prekäre Leben”
(neueelite.de, Yeah Sara)
Yeah Sara schreibt über das Prekariat in der Kreativ- und Medienbranche: “Wir haben uns aus den Top-Down Verhältnissen befreit und arbeiten nun in der Netzwerkgesellschaft; hierarchielos und ohne Aufpasser. Dabei hat sich nicht wirklich irgendetwas geändert, denn abhängig sind wir immer noch. Newsflash: die Opfer von heute sind immer noch die Opfer von damals, mit dem Unterschied, dass sie das nicht mehr erkennen können oder wollen. Blogger, die sich mit Schuhen bezahlen lassen. Generation Praktikum a.k.a. ‘Irgendwann wird sich die Sklaverei schon gelohnt haben’. PR-Agenten, die nach fünf Jahren Berufserfahrung immer noch am Existenzminimum kratzen.”

6. “Deutschlands neue Slums”
(daserste.de, Video, 28:47 Minuten)
Isabel Schayani und Esat Mogul besuchen Wohnungen in Dortmund. Und fahren nach Bulgarien: “Nie hätten wir in der Europäischen Union solche Slums erwartet.”

Mein lieber Frau Gesangsverein

Ein Shitstorm ist für die, die drinstehen, keine angenehme Sache. Doch wenn sie zu Unrecht drinstehen, wird es besonders beschissen.

Die Uni Leipzig muss sich derzeit viele Vorwürfe gefallen lassen. Der Stammtisch ist entsetzt, die Feuilleton-Chefs genauso, die sozialen Netwerke schreien auf. Und das alles wegen einer ziemlich banalen Entscheidung.

Rektorin, Dozentinnen, Wissenschaftlerinnen – da, wo früher in der Grundordnung der Universität Leipzig die sogenannte Schrägstrich-Variante genutzt wurde, also etwa Professor/Professorin, steht künftig ausschließlich die weibliche Personenbezeichnung. Eine Fußnote ergänzt, dass diese feminine Bezeichnung sowohl für Personen männlichen als auch weiblichen Geschlechts gilt.

Bevor es jetzt zu Missverständnissen kommt, wollen wir das mal kurz erklären.

Der erweiterte Senat der Uni Leipzig hat in seiner Sitzung unter anderem über die Grundordnung, also die Verfassung der Hochschule diskutiert. Dabei ging es auch um die Frage, wie man die Personen bezeichnen soll, die in diesem Dokument vorkommen.

Bisher hatte die Uni die Schrägstrich-Variante genutzt. Das sah dann so aus:

Die Vertreter/innen der Gruppe der Hochschullehrer/innen, der Gruppe der akademischen Mitarbeiter/innen und der Gruppe der sonstigen Mitarbeiter/innen im Fakultätsrat, die Dekane/Dekaninnen, Prodekane/Prodekaninnen und Studiendekane/Studiendekaninnen sowie die Gleichstellungsbeauftragten werden für eine dreijährige Amtszeit gewählt.

Statt “Vertreter/innen” könnte die Uni auch “Vertreter_innen” schreiben. Oder “VertreterInnen”. Oder “Vertreter/Vertreterinnen”. Oder “Vertreterinnen und Vertreter”. Sie könnte auch — wie es bisher jahrzehntelang üblich war — einfach nur “Vertreter” schreiben und in einer Fußnote klären, dass damit auch Frauen gemeint sind.

Sie könnte aber auch — und damit kommen wir zur neuen Variante an der Uni Leipzig — einfach nur “Vertreterinnen” schreiben und in einer Fußnote klären, dass Männer damit auch gemeint sind.

In der Grundordnung – und zwar nur in diesem Dokument – sollen künftig also ausschließlich weibliche Personenbezeichnungen benutzt werden. Dies sei eine “spontane Entscheidung ohne politische Ziele” gewesen, sagte der Professor, der die Variante vorgeschlagen hatte.

So viel zum Kern der Geschichte.

Nachzulesen war das alles erstmals in einem Artikel der Universitätszeitung “duz”:

Geschlechtergerechtigkeit - Uni Leipzig verweiblicht ihre Grundordnung - Nach 600 Jahren Männerdominanz setzt sich die Uni Leipzig auf feminine Personenbezeichnungen. Die Schrägstrich-Variante "Professor/Professorin" ist Geschichte. Ein Novum in Deutschland.

Der Artikel erschien am 31. Mai, danach geschah ein paar Tage lang erst mal gar nichts. Kaum jemand nahm Notiz von den Neuigkeiten aus Leipzig.

Bis der “UniSpiegel” kam. Der übernahm den Text zu Beginn der Woche. Und “Spiegel Online” verpasste ihm gleich mal eine knackigere Überschrift:

Sprachreform an der Uni Leipzig: Guten Tag, Herr Professorin

Fatalerweise hat sich der Erfinder dieser Schlagzeile den Artikel nicht richtig durchgelesen. Denn sie hat rein gar nichts mehr mit der eigentlichen Nachricht zu tun. Geschweige denn mit der Wahrheit.

Der Teaser macht es nicht gerade besser:

Das ist ein Novum in Deutschland: Nach 600 Jahren Männerdominanz schwenkt die Uni Leipzig radikal um und setzt nur noch auf weibliche Bezeichnungen: Der Titel “Professorin” gilt künftig auch für Männer. “Jetzt läuft das mal andersrum”, freut sich eine Befürworterin im Hochschulmagazin “duz”.

Der “UniSpiegel” erweckt in der Überschrift und im Teaser den Eindruck, als müssten die Studierenden künftig auch die männlichen Professoren als “Professorin” ansprechen.

Doch das größte Problem ist: Einige haben diesen Unfug tatsächlich geglaubt.

Bild.de, 4. Juni:

Irsinn an der Uni Leipzig - Ab heute sagt man: "Herr Professorin"
Dass die Männer an den Universitäten dominieren, das war einmal. In Leipzig denkt man jetzt völlig neu: An der Uni heißen jetzt auch die Männer “Professorin”.

Bild.de, 5. Juni:

Gleichberechtigungs-Irrsinn in Leipzig - An der Uni heißen alle Dozenten jetzt Herr ProfessorinEs klingt wie ein Kalauer aus der Emanzen-Ecke: Ab sofort heißen männliche Dozenten an der Uni Leipzig nicht mehr “Herr Professor”, sondern “Herr Professorin”.
Mehr noch: Die neue weibliche Personenbezeichnung soll von nun grundsätzlich an der Uni verwendet und sogar im Statut der 600 Jahre alten Alma Mater festgeschrieben werden.

Bild.de, 5. Juni:

Jörg Junhold an der Uni-Leipzig - Zoo-Chef wird ProfessorinJörg Junhold übernimmt eine Honorarprofessur an der Uni Leipzig. Eine neue Regel an der Uni legt fest, dass künftig alle Dozenten mit Herr Professorin angesprochen werden – also auch Junhold. […] Die Bezeichnung Professorin ist künftig an der Leipziger Uni vorgeschrieben, unabhängig vom Geschlecht.

Berliner Kurier, 4. Juni:

Bald heißt es also Herr Doktorin, Herr Professorin etc. Und das ist gut und richtig – endlich Schluss mit plumper männlicher Dominanz.

Focus.de, 5. Juni:

Feminisierte Sprachreform - An der Uni Leipzig heißen nun auch Herren ProfessorinHerr Professorin? Ja, Herr Professorin, sollen Studenten der Uni Leipzig ihre männlichen Hochschullehrer künftig nennen.

rtl.de, 4. Juni:

"Guten Tag, Herr Professorin!": Gender-Wahn an der Uni LeipzigAlle männlichen Professoren sind jetzt Professorinnen. Der Rektor wird zur Rektorin – zumindest an der Universität Leipzig. Hier werden die männlichen Kollegen künftig mit weiblichen Titeln angeredet, auch in offiziellen Schreiben.

Berliner Zeitung, 4. Juni:

Sprachreform Uni leipzig - Hallo, Herr Professorin!
Mit einer kleinen Begriffsreform will die Universität Leipzig als erste in Deutschland umständliche sprachliche Gleichstellungsversuche beenden. In Texten künftig soll es nur noch eine Form geben: Professorin.

Heute.at, 5. Juni:

Gleichberechtigung - "Herr Professorin": 1. Uni schafft männliche Titel abKein Scherz! Die Universität in Leipzig (D) orderte jetzt an, außschließlich weibliche Bezeichnungen zu verwenden. Mit dem Wort “Professorin” sind künftig auch Männer gemeint.

Süddeutsche.de, 6. Juni:

Ein Sprachstreit ist entbrannt, seit an der Uni Leipzig männliche Dozenten mit “Herr Professorin” tituliert werden.

Die Welt, 7. Juni:

Sprachstreit - Herr Professorin, was denken Sie sich dabei?An der Uni Leipzig werden männliche Dozenten jetzt als “Herr Professorin” bezeichnet. Problematisch ist daran nicht die falsche Grammatik, sondern das Sprach-Opfer im Namen des Feminismus.

All diese Journalisten und Kommentatoren waren also entweder zu faul, den ganzen Artikel zu lesen — oder sie haben ihn einfach nicht verstanden.

Doch selbst solche Medien, die die Entscheidung der Uni korrekt wiedergegeben haben, konnten sich nicht von dieser bescheuerten Formulierung lösen:

Kleinezeitung.at, 4. Juni:

"Herr Professorin" eckt an

“Süddeutsche Zeitung”, 5. Juni:

feminin12

Berliner Kurier, 5. Juni:

"Herr Professorin" - Leipziger Universität macht alle Männer zu Frauen

BR.de, 5. Juni:

Uni Leipzig wird weiblich - Respekt, Herr Professorin!

“Spiegel Online”, 5. Juni:

Sprachreform: Uni Leipzig verteidigt Herr Professorin

Tagesspiegel.de, 4. Juni:

Uni Leipzig schafft die männliche Schreibweise ab - Hallo, Herr Professorin!

Tagesspiegel.de, 5. Juni:

Gender-Debatte an der Uni Leipzig - Auch die FU Berlin erwägt den "Herrn Professorin"

Derwesten.de, 7. Juni:

Bildung - "Herr Professorin" - Nicht in Essen

Genau. Nicht in Essen, nicht in Leipzig, nicht in Sonstwo. “Herr Professorin” gibt es nicht und wird es auch nicht geben! Ein für allemal: Diese Ansprache ist nichts weiter als eine Erfindung von “Spiegel Online”.

Dennoch entwickelte sich vergangene Woche eine hitzige Debatte, die zu großen Teilen auf diesem Trugschluss basierte. Viele Kommentatoren ereiferten sich über die (nie dagewesenen!) Pläne, “alle Fachkräfte nur noch als Frauen” anzusprechen, in sozialen Netzwerken forderten Tausende den Rücktritt der Uni-Rektorin.

Selbst der Dekan der Juristenfakultät ließ in einer Erklärung (PDF) verkünden:

Wir missbilligen den Beschluss des Senats. Wir werden ihm nicht folgen. Kein männlicher Student der Juristenfakultät Leipzig muss damit rechnen, als “Studentin” angesprochen zu werden.

Ähm, ja.

Natürlich darf man die Entscheidung der Uni kritisieren. Aber dann sollte man doch bitteschön bei den Fakten bleiben.

Die Uni sah sich jedenfalls gezwungen, eine Richtigstellung zu veröffentlichen. Darin heißt es, bei der “umfangreichen Berichterstattung zur neuen Grundordnung der Universität” sei “ein klares Missverständnis zu Tage getreten”. Die Rektorin schreibt:

“Da wird von vielen ein Missverständnis gesät, als ob die neue Grundordnung so furchtbar viel verändern würde. Zur Klarstellung möchte ich sagen, dass diese Neuerung auf den Alltag an der Universität und auf den universitären Sprachgebrauch keinerlei Auswirkungen haben wird.”

Doch das Märchen vom deutschen “Herrn Professorin” wird inzwischen sogar schon im Ausland erzählt.

Mit Dank an Simon, Thomas D. und Benjamin M.

Frührente, Sprachgerechtigkeit, Marken

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die Medien im Zeitalter der Erregbarkeit”
(faz.net, Michael Naumann)
“Der politische Journalist will nicht regieren”, schreibt Michael Naumann: “Manche Hauptstadtjournalisten schnuppern an der Macht, aber streben sie nicht an, sondern wollen sich allenfalls in ihrem Glanz ein wenig sonnen und – beraten. Ansonsten warten sie geduldig auf die nächste Beute: Dummköpfe und Charaktermasken, davon sind sie überzeugt, wachsen auch in der Politik immer wieder nach.” Siehe dazu auch “Irrsinn? Oder doch Methode?” (stern.de/blogs, Hans-Martin Tillack)

2. “Medien vermehrt an die Kandare nehmen – zum Schutz der Verbrecher?”
(nzz.ch, Brigitte Hürlimann)
Brigitte Hürlimann berichtet von einem Prozess mit strengen Auflagen zum Persönlichkeitsschutz des Angeklagten: “Bei Zuwiderhandlung gegen die Auflagen stellte das Gericht einen Antrag auf Entzug der Akkreditierung und eine Bestrafung wegen Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen in Aussicht; Letzteres kann mit einer Busse von bis zu 10 000 Franken bestraft werden.”

3. “Verdrehte Rentendebatte”
(demografie-blog.de, Björn Schwentker)
Björn Schwentker kritisiert den Beitrag “Trend zur Frührente – trotz Einbußen” der “Süddeutschen Zeitung”: “Politisch dreht sich der SZ-Text um die Frage, ob die kommenden Rentner immer häufiger in Altersarmut leben müssen. Entsprechende Ängste aus dem linken Spektrum benennt und zitiert Öchsner in seinem Artikel. Ich bin sehr beunruhigt, wie unkritisch Deutschlands beste Qualitätszeitung sich hier zum politischen Sprachrohr machen lässt. ”

4. “Die Marke Journalist: 10 Schritte zur journalistischen Selbstvermarktung”
(lousypennies.de, Karsten Lohmeyer)
Karsten Lohmeyer gibt Tipps, wie Journalisten sich selbst als Marke aufbauen können.

5. “Hört auf mit dem Krampf”
(welt.de, Ingrid Thurner)
“Drei Jahrzehnte sprachlicher Gleichbehandlung haben bloß unschöne Texte, aber keine gesellschaftliche Gleichstellung gebracht”, schreibt Ingrid Thurner zu den Versuchen, Sprachgerechtigkeit zwischen den Geschlechtern herzustellen.

6. “For 40 Years, This Russian Family Was Cut Off From All Human Contact, Unaware of World War II”
(smithsonianmag.com, Mike Dash, englisch)

Weimerer Replik

Wolfram Weimer ist einer der bekanntesten konservativen Publizisten Deutschlands. Er war Chefredakteur von “Welt” und “Berliner Morgenpost”, Gründer und Chefredakteur von “Cicero” und kurzzeitig Chefredakteur des “Focus”. Bevor er dort ging, um sich “neuen Projekten zuwenden zu können”, gab es Irritationen, weil Weimer in seinen Texten Passagen recycelte, die er zuvor schon an anderen Stellen geschrieben hatte.

Nun, da er beim “Focus” weg ist, kann er natürlich in seinen Texten Passagen recyceln, die er zuvor schon im “Focus” geschrieben hatte.

In seiner aktuellen Kolumne in der “ADAC Motorwelt”, die unter dem wortverspielten Titel “Weimer autonom” läuft, widmet er sich dem “Gouvernantenstaat”, von dem sich Weimer offenbar konsequent bevormundet fühlt:

Früher durfte man sich anschnallen. Heute muss man. Und wenn die Polizei es nicht erzwingt, dann die dauernd piependen Gurtwarner. Die Sache ist gut gemeint, aber sie nervt. Das Auto behandelt uns wie Kleinkinder. Und das ist leider typisch. Vom Glühbirnenbefehl bis zur Mülltrennung, von der Skihelmpflicht bis zum Schornsteinfeger-Zwang reicht der Tugendwille in einem Staat, der zusehends auftritt wie eine Supernanny. Selbst wenn wir bürokratisch schon halb ersticken, hat Supernanny noch eine Vorschrift, eine Warnung, eine Regulierungsbehörde mehr parat. Allein 20 Millionen Straßenschilder hat sie aufgestellt, alle 28 Meter steht eines. Fehlt nur noch, dass die auch anfangen zu piepen.

Bis hierhin ganz normale Anbiederung an eine Leserschaft, die auch schon mal “freie Fahrt für freie Bürger” fordert.

Dann wird Weimer grundsätzlich. So grundsätzlich wie im Juli 2011, als er in einer der letzten von ihm verantworteten “Focus”-Ausgaben über das undurchschaubare deutsche Steuersystem schrieb, das er als Symptom eines “Gouvernantenstaats” ausgemacht hatte.

Und weil wir leider nicht Zugriff auf die Funktion “Änderungen nachverfolgen” in Weimers Textverarbeitungsprogramm haben, müssen wir das so lösen:

“ADAC Motorwelt”
“Focus”
Vom Glühbirnenbefehl bis zur Mülltrennung, von der Skihelmpflicht bis zum Schornsteinfeger-Zwang reicht der Tugendwille in einem Staat, der zusehends auftritt wie eine Supernanny. Von Finanzamt-Sheriffs bis zu den in Büschen kauernden Polizisten, die brave Muttis auf breiten Ausfallstraßen mit ihren Blitzgeräten abkassieren, vom Glühbirnenbefehl bis zum ARD-ZDF-Gebühren-Zwang reicht die Alltagserfahrung in einem Staat, der zusehends auftritt wie eine Super-Nanny.
[…] […]
Mit Quoten und Verboten kommen Supernannys Gehilfen daher, die Gleichstellungsbeauftragten und Integrationsberater. Mit Quoten und Verboten kommen sie daher, die Verbraucher- und Familienschützer, die Gleichstellungsbeauftragten, Präventionsräte und Integrationsberater.
Sie tragen Menschen teure Bildungspakete hinterher, die gar keine haben wollen. Sie tragen Menschen teure Bildungspakete hinterher, die gar keine haben wollen, denn sie wissen alles besser.
[…] […]
Der Gouvernantenstaat wird uns irgendwann verbieten, Süßigkeiten zu naschen oder Ski zu fahren – zu gefährlich, zu teuer für das Kollektiv, zu schädlich für die Natur. Der Gouvernantenstaat wird uns irgendwann verbieten, Süßigkeiten zu naschen oder Ski zu fahren – zu gefährlich für uns, zu teuer für das Kollektiv, zu schädlich für die Natur.
Er wird uns Wein und Bier madig machen, Autorennen verbieten und beim Essen ermahnen, was gesund ist. Er wird uns Wein und Bier so madig machen wie Nikotin und beim Essen genau erklären, was gesund ist und was nicht.
Alles im Gestus der Gurtpflicht. Supernanny – bei dir piepst es langsam! Der nächste Totalitarismus kommt nicht in der Uniform einer Ideologie daher, er kommt im fließenden Gewand der Bemutterung.

Mit Dank an Twipsy.

Von Fehlern und Fehlerinnen

Zugegeben: Das mit Europa, das ist unübersichtlich. Es gibt die Europäische Union (EU), die auf die Europäischen Gemeinschaften (nicht zu verwechseln mit der Europäischen Gemeinschaft) zurückgeht, den Europarat (nicht zu verwechseln mit dem Europäischen Rat oder dem Rat der Europäischen Union), den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (nicht zu verwechseln mit dem Europäischen Gerichtshof der Europäischen Union, obwohl genau das immer wieder geschieht), das Europäische Parlament und die Europäische Kommission, die wiederum Teil der EU sind, außerdem die Europäische Rundfunkunion, die UEFA und die Band Europe. Da kann man schon mal durcheinander kommen.

Trotz dieser offensichtlichen Verwechslungsgefahren nähern sich Journalisten Themen, in denen es irgendwie um Europa geht, häufig mit großer Ahnungslosigkeit Sorglosigkeit. Statt noch mal eben schnell nachzugucken, wird da gerne mal einfach vor sich hinbehauptet. Denn letztlich wissen vor allem die Leser: Europa, das ist immer auch Bürokratie-Irrsinn und irgendwie schlecht für Deutschland.

Im Mai rief die Schweizer Politikerin Doris Stump bei einer Gleichstellungskonferenz des Europarats zum Kampf gegen sexistische Stereotype in den Medien auf, im Juni schließlich schloss sich der Europarat ihren Forderungen an und empfahl dem Ministerkomitee (und damit seinen Mitgliedsstaaten), in den eigenen Verwaltungen auf eine Verwendung “nicht-sexistischer Sprache” zu achten. Beobachter(innen), die zur Resignation neigen, werden festgestellt haben, dass die Fortschritte auf dem Gebiet in den letzten 20 Jahren anscheinend nicht sehr groß waren.

Gestern veröffentlichte dann “Bild” auf Seite 1 eine kleine Meldung, deren Langfassung auf Bild.de erschien. Autor Stefan Ernst ging dabei nicht nur auf die Empfehlung des Europarats ein, sondern füllte seinen Text auch mit zahlreichen Beispielen geschlechtsneutraler Sprache aus Frau Stumps Schweizer Heimat an, die allerdings in keinem direkten Zusammenhang zur Empfehlung des Europarats standen. Das alles war also nicht gerade neu und einigermaßen irreführend, aber auch nicht falsch.

“Welt Online” verkürzte schon etwas und hob den “Leitfaden zum geschlechtergerechten Formulieren” der Schweizer Bundeskanzlei (PDF) in neue Höhen:

Der Rat in Straßburg will Sexismus bekämpfen und rät zu geschlechtsneutraler Sprache. Es gibt bizarre Ersatzvorschläge.

Europamäßig war da aber noch alles im grünen Bereich.

Schlimmer erwischt hat es da schon den “Berliner Kurier”, der dem Thema heute gleich zwei Kommentare, geschlechtergerecht geschrieben von Mann und Frau, widmet: Martin Geiger echauffiert sich über den “EU-Irrsinns-Stadl” und fragt angesichts der Straßburger Empfehlungen und des Schweizer Leitfadens:

Wie viel Fantasie muss in Brüsseler Amtsstuben herrschen, um im Wort “Fußgängerzone” den puren Sexismus der übelsten, chauvinistischen Art auszumachen.

Geigers Kollegin Stefanie Monien geht gleich noch einen Schritt weiter und listet unter der Überschrift “EU will Mama und Papa abschaffen” noch ein paar “Gaga-Empfehlungen für die EU” (“zum Schmunzeln”) auf und erklärt, dass die Schweiz “im Übrigen” gar nicht zum Europarat gehöre — was dann richtig wäre, wenn es tatsächlich um die EU ginge und nicht um den Europarat. Konsequenterweise hat die “Hamburger Morgenpost” Moniens Kommentar gleich die Dachzeile “EU total verrückt” verpasst.

Mit Dank an Florian S. und Henning.

Dicke Dinge im Damen-Tennis

Verehrter Ex-Tennisstar Michael Stich, mit Verlaub… — Sie sind ein Macho! Da beginnt das wichtigste Tennisturnier der ganzen Hemisphäre und Sie, Stich, Sie mosern rum, dass es zumindest im Damenwettbewerb doch wieder nur um das Eine (nein, nicht um Sport) gehe.

Wundern Sie sich da noch, dass die Sport-Gleichstellungsbeauftragten von Bild.de daraus sogleich eine dicke Schlagzeile machen?

Und wer könnte Stich berechtigter zum “Macho” erklären als das Tennis-Fachorgan “Bild”, das den Stich-Artikel online mit zwei Fotogalerien (“Sexy Fotos: So schön ist Ana Ivanovic” und “Sexy Kalenderfotos: Maria Scharapowa in Bademode”) illustriert und die Dinge im Damen-Tennis ohnehin erst kürzlich auf den Punkt brachte?

Und das dann gleich noch mit praktischer Lebenshilfe (und einer Bildergalerie für den Tennisinteressenten) garnierte…

… um sich anschließend in kreativer Namensgebung für Sportlerinnen (Sportart + Vorname + Körbchengröße) zu betätigen:

Ach ja: Nach Bild.de hat sich dann übrigens auch die gedruckte “Bild” Stichs “Macho-Attacke” angenommen — neben den Brüsten von Simona Halep (“Lässt tief blicken”) und unter dem Titel:

Michael Stich beleidigt Tennis-Frauen

Was nun insofern in die Irre führt, als Stich in der Geschichte ebenfalls zu Wort kommt. Allerdings wie folgt:

Michael Stich zu BILD: “Die Zitate sind aus dem Zusammenhang gerissen. (…)” Das mit dem Sex-Appeal habe er so nie gesagt, es sei doch allen klar, dass die Tennisspielerinnen Wert auf ihr Äußeres legen.

Blättern:  1 2 3