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Wo ein Willis ist, ist auch eine Story

Wer sich im Internet irgendwo anmeldet, bekommt häufig einen Text vorgelegt, der ausgedruckt in etwa die Ausmaße des Telefonbuchs von Chicago aufweisen würde. Solche Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind in der Regel so lang und sprachlich so ermüdend, dass es gut sein kann, dass man einem Anbieter sein Erstgeborenes abtritt oder der Zerstörung des Planeten Merkur zustimmt, wenn man blindlings einfach auf “OK” klickt.

Der Schauspieler Bruce Willis hat aber, wenn man Medienberichten trauen darf, offenbar irgendwie die Geschäftsbedingungen des iTunes Store, dem Musikportal des Unterhaltungsgeräteherstellers Apple, durchgearbeitet und dabei festgestellt, dass er seinen Töchtern im Falle seines Ablebens gar nicht seine digitale Musiksammlung vererben könnte. Seitdem ist er auf einer Mission, um für die Freiheit der iTunes-Nutzer und gegen Apple zu kämpfen.

Man darf diesen Medienberichten natürlich nicht trauen, auch wenn stern.de ein bisschen naiv referiert:

Das berichten übereinstimmend die britischen Boulevardzeitungen “The Sun” und “Daily Mail”.

Die “Sun” und die “Daily Mail” sind als Quellen ungefähr so seriös wie der Freund des Schwagers einer Arbeitskollegin oder das nordkoreanische Staatsfernsehen.

Die “Daily Mail” schrieb zum Beispiel am Sonntag:

Bruce Willis sieht man eigentlich eher, wenn er Explosionen entkommt und Terroristen bekämpft, um die Welt zu retten.

Sein letzte Kampf allerdings führt ihn in die deutlich leisere Welt des Gerichtssaals — obwohl er sich immer noch einem beeindruckenden Gegner stellt.

Es heißt, der Hollywood-Actionheld überlege, juristisch gegen den Technologiegiganten Apple vorzugehen, weil er seinen Töchtern seine digitale Musiksammlung hinterlassen möchte.

(Übersetzung von uns.)

Das klingt so vage, dass die “Daily Mail” das Gleiche vermutlich über jede andere Person hätte schreiben können, ohne dass sie dabei unkonkreter hätte werden müssen.

Die “Daily Mail” schreibt von verschiedenen Plänen, mit denen Willis “angeblich” sein Vorhaben umsetzen will. Aber woher sie ihre angeblichen Informationen hat, das schreibt sie nicht.

Das einzige wörtliche Zitat im Artikel stammt dann auch gar nicht von Bruce Willis:

Anwalt Chris Walton sagte: “Viele Leute werden überrascht sein, wenn sie erfahren dass all die Lieder und Bücher, die sie über die Jahre gekauft haben, ihnen tatsächlich gar nicht gehören. Es ist ganz natürlich, dass man sie an eine nahestehende Person weitergeben will.”

(Übersetzung von uns.)

Diesen Chris Walton zitiert auch die “Sun”. Außerdem hat sie herausgefunden, dass Willis’ Downloads “Berichten zufolge Klassiker von den Beatles bis zu Led Zeppelin enthalten”.

An dieser Stelle hätte man stutzig werden und sich fragen können, warum die Musiksammlung eines 57-Jährigen eigentlich so viele Downloads mit der Musik seiner Jugend enthalten soll — das dürfte Willis doch noch alles auf Vinyl oder CD haben.

Aber warum nachdenken, wenn “Sun” und “Daily Mail” übereinstimmend über den Fall schreiben?

Bild.de:
WEIL ER SEINE MUSIKSAMMLUNG VERERBEN MÖCHTE: Bruce Willis legt sich mit Apple an

krone.at:
Bruce Willis fordert mehr Rechte an Musiksammlung

oe24.at:
Bruce Willis will iTunes von Apple verklagen

kurier.at:
Bruce Willis will Apple wegen iTunes klagen

heute.at:
Wegen iTunes: Bruce Willis will Apple verklagen

20min.ch:
Verklagt Bruce Willis Apple — wegen iTunes?

“Focus Online”:
Rechtsstreit um iTunes-Musiksammlung: Bruce Willis will Apple verklagen

“Focus Online” hatte es sogar geschafft, sich nicht auf “Sun” und/oder “Daily Mail” zu berufen, sondern auf das Trashmeldungaufbereitungsportal pressetext.com, wo sie den britischen Anwalt, den die “Daily Mail” (etwas undeutlich) als Experten befragt hatte, gleich zu “Willis’ Rechtsanwalt” gemacht hatten.

Dann passierte gestern etwas Unvorhergesehenes: Ein Twitter-User gab Bruce Willis’ Ehefrau Emma einen Rat, wie er seinen Töchtern ganz leicht den Zugang zu den iTunes-Songs sichern konnte — und Emma antwortete schlicht, die ganze Geschichte sei gar nicht wahr:

Einige Medien wie stern.de, 20min.ch und zdnet.de aktualisierten daraufhin ihre Artikel, andere wie “Focus Online” veröffentlichten einfach einen weiteren Artikel zur Frage, was eigentlich nach dem Tod mit der iTunes-Bibliothek passiert.

Wiederum andere Medien wie “Welt Online” veröffentlichten nach dem Dementi heute einfach irgendwelche feuilletonistischen Aufsätze, als sei nichts geschehen:

Warum Bruce Willis Apple verklagen will: Der Actionstar will seine Musiksammlung einmal vererben. Doch nach seinem Tode gehören die Dateien wieder Apple. Nun erwägt Bruce Willis eine Klage. Sein Tun ist von erhabener Sinnlosigkeit.

Am Nachmittag brachte “Welt Online” dann dieses “Update”:

Update: Inzwischen hat sich die Ehefrau von Bruce Willis, Emma Heming-Willis, bei Twitter zu Wort gemeldet und die Meldung, Bruce Willis würde Apple verklagen wollen, wörtlich als “nicht wahre Geschichte” bezeichnet.

“Inzwischen” im Sinne von “gestern”.

Charles Arthur hat die Geschichte der offensichtlichen Falschmeldung für das Technikblog des “Guardian” aufgeschrieben und hat eine gleichermaßen alberne wie plausible Erklärung:

Lasset also die Suche für den Ursprung dieser Geschichte beginnen. Es gibt einen Artikel vom 23. August auf Marketwatch, der eine seltsame Ähnlichkeit aufweist — aber es gibt dort keine Erwähnung einer Anfechtungsklage. Es geht nur um Nachlässe und Testamente (“Estates and Wills”).

Was uns zum erschaudernden Innehalten bringt: könnte es sein, dass jemand die Erwähnung von “Estates and Wills” sah und dachte, es seien “estates and Willis”?

(Übersetzung von uns.)

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Nachtrag, 18.10 Uhr: Am späten Nachmittag, als die Geschichte so richtig schön “durch” war, legte die “Financial Times Deutschland” in ihrem Internetauftritt nach:

iTunes-Musiksammlung: Bruce Willis trickst Apple aus

Der Text erzählt die bekannte Mär, nach der Bruce Willis Apple verklagen wolle, und endet mit diesem bemerkenswerten Absatz:

Seine Ehefrau Emma Heming ließ auf Twitter zwar dementieren, Willis selbst wolle Apple verklagen. Ein User schlug ihr daraufhin eine denkbar simple Lösung vor: “Sag Bruce doch einfach”, schreibt RichieD, “er soll seinen Töchter seine iTunes Passwörter geben. Dann wird er ewig leben.”

Ein “doch” folgt auf das “zwar” nicht mehr.

Mit Dank an Stefan G.

Bild.de, dpa  etc.

Den Schuss nicht gehört (2)

Heute Nacht hatten wir über die Exklusiv-Meldung deutscher Online-Medien berichtet, nach denen sich Osama bin Laden vergangenes Jahr beim Sturm auf sein Anwesen in Pakistan selbst erschossen haben soll.

Die betroffenen Medien haben darauf unterschiedlich reagiert:

“Spiegel Online” überarbeitete den kompletten Artikel und versah ihn mit einem Hinweis:

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels wurde die Darstellung des US-Soldaten fälschlich so interpretiert, dass Osama Bin Laden Selbstmord begangen haben soll. Der Autor lässt offen, wer die Schüsse abgegeben hat. Bin Laden war, wie Bissonette schreibt, jedoch unbewaffnet – er kann sich nicht selbst erschossen haben. Wir haben den Fehler korrigiert und bitten, ihn zu entschuldigen.

Stern.de hat seinen Artikel komplett ausgetauscht, geht darauf aber nicht näher ein, und auch “Focus Online” hat Überschrift und Artikel behutsam an die Fakten und die deutsche Sprache angepasst.

Selbst bei Bild.de haben sie ihren Artikel bearbeitet:

Aus dem offensichtlich sinnlosen Satz

Außer den Kugeln mit denen Osama bin Laden sich offenbar selbst richtete, als er hörte wie die Soldaten die Villa stürmten, hatte er keinerlei Munition bei sich.

wurde

Außer der Kugel mit der Osama bin Laden sich vermutlich selbst richtete, soll sich keine weitere Munition im Raum befunden haben.

Ansonsten bliebt Bild.de bei der Darstellung.

* * *

Das waren aber auch nicht alle deutschsprachigen Medien, die von einem möglichen Selbstmord bin Ladens schwadronierten. Die folgende Auflistung ist womöglich lückenhaft:

“B.Z.”:

Hat Osama bin Laden Selbstmord begangen?

Washington – Terror-Chef Osama bin Laden soll schon tot gewesen sein, als die US-Spezialeinheit im Mai 2011 seine Villa stürmte. Das behauptet ein ehemaliger Elitesoldat, der an diesem Einsatz beteiligt war. Bin Laden habe sich selbst in den Kopf geschossen.

“Berliner Kurier”:

Bin Laden Selbstmord?
Washington – Osama Bin Laden soll bereits tot gewesen sein, als die Navy Seals im Mai 2011 in sein Zimmer im pakistanischen Abbottabad stürmten. Das behauptet der Ex-Elitesoldat Matt Bissonnette in seinem Buch “No Easy Day” (KURIER berichtete).

“Kleine Zeitung”:

“Blick”:

Enthüllungsbuch: Hat Osama Selbstmord begangen?

tagesspiegel.de, immerhin:

Als Resultat einer falschen Übersetzung herausgestellt haben sich unterdessen Meldungen mehrerer deutscher Online-Medien, auch des Tagesspiegels, der Autor habe über einen Selbstmord Bin Ladens spekuliert. Tatsächlich ist die Rede davon, Bin Laden sei schon tödlich verletzt gewesen, bevor die Soldaten sein Schlafzimmer betraten – dies beruht jedoch nicht, wie zwischenzeitlich fälschlicherweise für möglich gehalten, auf Spekulationen über einen Selbstmord, sondern auf der Behauptung, dass Bin Laden nicht erst im Schlafzimmer, sondern schon im Flur von Kugeln getroffen worden sei.

* * *

Die Deutsche Presse-Agentur dpa hatte zwar nicht von einem Selbstmord bin Ladens geschrieben (das machten manche Medien einfach selbst), gestern aber immerhin behauptet:

Angeblicher Augenzeuge bestreitet US-Angaben über Bin-Laden-Tötung

Washington (dpa) – Das neue Buch eines angeblichen Augenzeugen zieht nach Medienberichten die offiziellen US-Angaben zur Tötung des Terrorführers Osama bin Laden infrage. Der Al-Kaida-Chef sei im Mai vergangenen Jahres nicht von US-Soldaten getötet worden, sondern bereits mit einer Kugel im Kopf tot aufgefunden worden, heißt es laut dem Internetportal “Huffington Post” in dem Buch eines ehemaligen Mitglieds der US-Spezialkräfte Navy Seals, der nach eigenen Angaben bei der Kommandoaktion im pakistanischen Abbottabad dabei war.

Nun lässt der Artikel bei der “Huffington Post” tatsächlich einen gewissen Interpretationsspielraum, aber man darf wohl annehmen, dass das Onlinemagazin es etwas mehr hervorgehoben hätte, wenn bin Laden tatsächlich “nicht von US-Soldaten getötet worden” wäre.

Die dpa wiederholte diese Version heute Morgen noch zwei Mal:

dpa, 5:00 Uhr:

Der Al-Kaida-Chef sei im Mai vergangenen Jahres nicht von US-Soldaten getötet worden, sondern bereits mit einer Kugel im Kopf tot aufgefunden worden, heißt es laut dem Internetportal “Huffington Post” in dem Buch eines ehemaligen Mitglieds der US-Spezialkräfte Navy Seals, der nach eigenen Angaben bei der Kommandoaktion im pakistanischen Abbottabad dabei war.

dpa, 5:04 Uhr:

OSAMA BIN LADEN Das neue Buch eines angeblichen Augenzeugen zieht nach Medienberichten die offiziellen US-Angaben zum Tod des Terrorführers Osama bin Laden infrage. Der Autor des in wenigen Tagen erscheinenden Buches schreibt, der Al-Kaida-Chef sei im Mai vergangenen Jahres nicht von US-Soldaten getötet worden.

Nach unserer Anfrage verschickte die dpa eine korrigierte Fassung der Meldung:

Das neue Buch eines angeblichen Augenzeugen zieht nach Medienberichten die offiziellen US-Angaben zur Tötung des Terrorführers Osama bin Laden infrage. Der Al-Kaida-Chef sei bereits tödlich getroffen worden, bevor Mitglieder eines Sonderkommandos den Raum betreten hätten, heißt es laut Internetportal «Huffington Post» in dem Buch eines ehemaligen Mitglieds der US-Spezialkräfte Navy Seals, der nach eigenen Angaben bei der Kommandoaktion im pakistanischen Abbottabad dabei war.

Versehen ist diese Berichtigung mit folgendem Hinweis:

Stellt in Bin-Laden-Meldung im zweiten Satz klar, dass aus den Auszügen in der “Huffington Post” nicht genau hervorgeht, wer der Todesschütze war.

Ja, die Meldung “stellt klar”, dass unklar sei, wer der Todesschütze sei. Schreibt die Agentur die heute Morgen noch kategorisch erklärt hatte, bin Laden sei nach Aussage des Autors “nicht von US-Soldaten getötet worden”.

Die Passagen in der “Huffington Post” waren tatsächlich nicht sonderlich klar, doch zum Glück verfügt die “Washington Post” offenbar ebenfalls über ein Exemplar des Buchs und über etwas gradlinigere Autoren:

Osama bin Laden versteckte sich für mindestens 15 Minuten in seinem Schlafzimmer, als Navy Seals sich den Weg durch seine pakistanisches Anlage kämpften, und unternahm keinen Versuch, sich selbst zu bewaffnen, bevor ein US-Kommando auf ihn schoss, als er aus seiner Tür herausschaute. Das geht aus dem ersten Bericht hervor, der von einem Teilnehmer des inzwischen berühmt gewordenen Überraschungsangriffs am 2. Mai 2011 veröffentlicht wurde.

(Übersetzung von uns.)

Mit diesem Bericht im Rücken traute sich nun auch dpa ein bisschen weiter und schrieb in der neuesten Meldung, dass “das Kommando” auf Bin Laden geschossen habe.

Den Schuss nicht gehört

Als US-Präsident Barack Obama am Abend des 1. Mai 2011 vor die Weltpresse trat, um zu verkünden, dass das amerikanische Militär den Terroristenführer Osama bin Laden in Pakistan aufgetan und getötet habe, war in Deutschland gerade tiefste Nacht. Wahrscheinlich weiß noch jeder Mensch, wo er war, als er am Morgen die Nachricht hörte.

Es war 13.05 Uhr und damit eine deutlich zivilere Zeit, als Bild.de gestern eine Nachricht veröffentlichte, die eigentlich für ähnlichen Donnerhall in der Welt hätte sorgen müssen:

DIE LETZTEN MINUTEN DES TERROR-TEUFELS: Navy Seal enthüllt: Osama war schon tot, als wir kamen. DER ERSTE ELITE-SOLDAT PACKT AUS, ERKLÄRT WIE DER AL-QAIDA-CHEF SICH VERMUTLICH SELBST IN DEN KOPF GESCHOSSEN HATTE UND, DASS ER NICHT MAL AN VERTEIDIGUNG GEDACHT HATTE

Osama bin Laden, so Bild.de, habe “offenbar” bzw. “vermutlich” Selbstmord begangen. Bild.de zitierte das Internetmagazin “Huffington Post”, die ihrerseits aus einem Buch zitiert hatte, das von einem der Navy SEALs geschrieben wurde, der bei der Erstürmung von bin Ladens Residenz dabei gewesen war.

Bild.de erklärt:

Bin Laden habe bereits eine Kugel im Kopf gehabt als die Soldaten kamen, schreibt der Ex-Seal aus Alaska darin. Es sei ein Mythos, dass er den Soldaten noch in die Augen gesehen habe, bevor er starb.

“Wir waren weniger als fünf Schritte davon entfernt, oben anzukommen, als ich gedämpfte Schüsse hörte”, zitiert die Zeitung aus dem Buch. Und weiter: “Blut und Gehirn quollen aus der Seite seines Schädels.” Bin Ladens Körper habe noch gezuckt, die Soldaten richteten ihre Laser auf seine Brust und feuerten mehrere Male ab.

Und fährt fort:

Und noch ein wichtiges Detail merkt er an: Außer den Kugeln mit denen Osama bin Laden sich offenbar selbst richtete, als er hörte wie die Soldaten die Villa stürmten, hatte er keinerlei Munition bei sich.

Spätestens an dieser Stelle hätte irgendjemand bei Bild.de stutzig werden können: bin Laden soll sich mit mehreren Kugeln erschossen haben? Das wäre durchaus außergewöhnlich.

Eigentlich hätte aber schon vorher jemandem auffallen müssen, dass im Originalartikel bei der “Huffington Post” nichts darauf hindeutet, dass bin Laden Selbstmord begangen haben könnte.

Allerdings ist die Passage, die Bild.de übersetzt hat, auch ein bisschen uneindeutig:

As the SEALS ascended a narrow staircase, the team’s point man saw a man poke his head from a doorway, wrote a SEAL using the pseudonym Mark Owen (whose real identity has since been revealed by Fox News) in “No Easy Day,” a copy of which was obtained at a bookstore by The Huffington Post.

“We were less than five steps from getting to the top when I heard suppressed shots. BOP. BOP,” writes Owen. “I couldn’t tell from my position if the rounds hit the target or not. The man disappeared into the dark room.”

Team members took their time entering the room, where they saw the women wailing over Bin Laden, who wore a white sleeveless T-shirt, loose tan pants and a tan tunic, according to the book.

Despite numerous reports that bin Laden had a weapon and resisted when Navy SEALs entered the room, he was unarmed, writes Owen. He had been fatally wounded before they had entered the room.

Der Soldat schreibt aber, dass bin Laden “unbewaffnet” (“unarmed”) gewesen sei, was einen Selbstmord durch Erschießen mindestens verkompliziert haben dürfte.

Die Nachrichtenagentur AP verstand diese Sätze dann auch gründlich anders als Bild.de:

Bissonnette schrieb, dass die SEALs bin Laden am oberen Ende eines abgedunkelten Flurs entdeckten und ihm in den Kopf schossen, obwohl sie nicht sehen konnten, ob er bewaffnet war. Regierungsbeamte hatten beschrieben, dass die SEALs erst auf bin Laden geschossen hätten, als dieser sich in sein Schlafzimmer zurückgezogen hätte, weil sie annahmen, er könnte nach einer Waffe greifen.

(Übersetzung von uns.)

Auch die deutschen Agenturen schrieben nichts von einem Selbstmord — weil offenkundig bisher niemand von einem Selbstmord gesprochen hatte.

Dann zog “Spiegel Online” am späten Nachmittag nach:

Navy-Seals-Einsatz: Bin Laden soll sich angeblich selbst getötet haben

Auch “Spiegel Online” beruft sich auf die “Huffington Post” und leitet aus deren Artikel ab:

Bevor die US-Soldaten den Qaida-Chef erwischen konnten, hatte er sich dem Bericht zufolge selbst gerichtet.

Nein. In der Schilderung der “Huffington Post” steht an keiner Stelle, dass sich bin Laden selbst erschossen habe. Schon um es aus den Schilderungen dort interpretieren zu können, muss man sich ziemliche Mühe geben.

Doch “Spiegel Online” verfolgt diese Spur weiter — und wird dabei unfreiwillig komisch:

Die Erzählweise, Bin Laden habe sich selbst getötet, ist neu in der Reihe von Verschwörungstheorien und Geschichten, die zwischen den USA und Pakistan kursieren.

Die ganze Absurdität der von “Spiegel Online” geschilderten Begebenheiten hat ein Leser in einem Kommentar so zusammengefasst:

Schenkt man dem Bericht Glauben, hat Bin Laden sich selbst mit einem Kopfschuss getötet, obwohl er unbewaffnet war, als man ihn fand, und eine Waffe auch erst später in seinem ordentlich aufgeräumten Zimmer gefunden werden konnte. Er scheint also trotz schwerster Kopfverletzungen noch ans Aufräumen gedacht zu haben.

Obwohl kein namhaftes Medium die Version einer Selbsttötung verbreitete, zog am späten Abend auch stern.de mit den beiden größten deutschen Onlinemedien nach:

Angeblicher Augenzeuge: Bin Laden soll sich selbst getötet haben

In der Interpretation von stern.de war bin Laden offenbar schon angeschossen, als die SEALs sein Haus stürmten:

Der Al-Kaida-Chef sei im Mai vergangenen Jahres nicht von US-Soldaten getötet worden, sondern bereits mit einer Kugel im Kopf tot aufgefunden worden, heißt es laut dem Internetportal “Huffington Post” in dem Buch eines ehemaligen Mitglieds der US-Spezialkräfte Navy Seals, der nach eigenen Angaben bei der Kommandoaktion im pakistanischen Abbottabad dabei war.

Nach Angaben des Weißen Hauses hatte sich Bin Laden bei der Erstürmung seines Hauses “widersetzt” und sei darauf von US-Soldaten mit Schüssen in die Brust und in den Kopf getötet worden. Der Autor des Buches, das Anfang September auf den Markt kommen soll, schildert die Geschehnisse anders. “Blut und Gehirnmasse floss aus der Seite seines Schädels”, als sie Bin Laden entdeckten, heißt es laut der “Huffington Post” in dem Buch “No Easy Day: The Firsthand Account of the Mission That Killed Osama bin Laden” (Deutsch: Kein leichter Tag: Ein Bericht aus erster Hand über den Einsatz, bei dem Osama bin Laden getötet wurde).

Unentwirrbar falsch ist die Geschichte bei focus.de, wo Leser unter anderem mit diesem Rätsel konfrontiert werden:

Der El Kaida-Chef sei im Mai vergangenen Jahres nicht bereits mit einer Kugel im Kopf tot aufgefunden worden […].

Die gedruckte “Bild” fragt heute ein bisschen zurückhaltender auf Seite 2:

Die Redakteure von Deutschlands führenden Online-Medien (plus stern.de und “Focus Online”) werden sich wohl noch lange daran erinnern, wo sie waren, als sie Osama bin Laden sich selbst töten ließen.

Mit Dank an Dennis K., Frank M., Peter und Manuel W.

Hinweis/Korrektur: In der ursprünglichen Fassung dieses Artikels hatten wir im ersten Absatz behauptet, “die US Army” habe Osama bin Laden erschossen. Die Navy SEALs gehören (wie der Name schon sagt) aber zur US Navy.
Bild, dpa  

Mond ist nicht ihr Hobby

Neil Armstrong ist tot, der erste radfahrende Trompeter auf dem Mond.

Verzeihung, das war Unfug. Aber Neil Armstrong ist tot, der erste Mann auf dem Mond. NBC hatte ihn in einer Überschrift im Internet kurzzeitig “Neil Young” genannt, was schon ziemlich peinlich war, denn Neil Young ist ein Musiker. Immerhin heißt aber eines seiner Alben “Harvest Moon”.

Kommen wir aber zu den deutschen Medien: Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) eröffnete einen ihrer Nachrufe in der Nacht zum Sonntag mit folgendem Satz:

Er hinterließ den ersten Fußabdruck der Menschheit auf einem anderen Planeten: Der Astronaut Neil Armstrong ist tot.

Das war Quatsch, denn bis heute hat kein Mensch einen anderen Planeten als die Erde betreten — der Mond ist nämlich keiner, sondern ein Trabant (was, Achtung, liebe Journalisten, in diesem Fall kein Auto ist). dpa hat das am Sonntagmittag auch bemerkt und aus dem “Planeten” einen “Himmelskörper” gemacht. Der Fehler steht aber noch unter anderem bei stern.de, “Focus Online” und der Münchner “Abendzeitung”.

Im gleichen Artikel steht dieser Satz:

Seinen ersten Raumflug absolvierte Armstrong am 12. März 1966 als Kommandant der US-Raumfähre “Gemini 9”.

Er steht in insgesamt 13 dpa-Meldungen und unter anderem bei “Spiegel Online”, “Zeit Online”, sueddeutsche.de, FAZ.net, n-tv.de und n24.de, aber es ist falsch. Armstrong war an Bord der “Gemini 8” und das war keine “Raumfähre” (also ein “wiederverwendbares Transportfahrzeug für die Raumfahrt”, wie die Wikipedia es schlicht erklärt), sondern eine Raumkapsel.

Interessanterweise gibt es einen dpa-Text, in dem es richtig heißt:

Die Wolken reichten aber nicht, Armstrong wollte noch höher hinaus: 1962 akzeptierte ihn die Nasa als Astronauten, 1966 vollbrachte er als Chefpilot von “Gemini 8” das Andocken an ein unbemanntes Raumfahrzeug im Orbit – das erste Rendezvous im All.

Und dann war da noch “Bild”:

Wenn ihr den Mond seht, winkt ihm zu!

“Wer sich fragt, wie er Neil eine Ehre erweisen kann: Das nächste Mal, wenn ihr an einer sternenklaren Nacht draußen seid und der Mond auf euch herunter strahlt, denkt an Neil
 Armstrong und winkt ihm zu.” (die Familie von Neil Armstrong auf der Internetseite der Nasa)

Kann man schönere Worte wählen, um sich von dem Mann zu verabschieden, der die Menschheit auf den Mond brachte?

Nun, man kann diese schönen Worte zumindest richtig übersetzen.

Geschrieben hatte Armstrongs Familie nämlich:

For those who may ask what they can do to honor Neil, we have a simple request. Honor his example of service, accomplishment and modesty, and the next time you walk outside on a clear night and see the moon smiling down at you, think of Neil Armstrong and give him a wink.

Und “to give somebody a wink” heißt “jemandem zuzwinkern”. Das muss auch irgendjemand in der Redaktion bemerkt haben, auf Bild.de wurde der Artikel nämlich inzwischen unauffällig korrigiert.

Mit Dank an Michael, Jendrik T. und T.L.

Lena — Liebe meines Lebens

Seit Lena Meyer-Landrut bei “Unser Star für Oslo” angetreten ist, interessieren sich die deutschen Boulevardmedien für das Privatleben der jungen Frau. Mit dem Gewinn der Castingshow und der (schließlich erfolgreichen) Teilnahme beim Eurovision Song Contest stieg das Interesse immer mehr: Reporter durchstreiften ihre Heimatstadt Hannover und fanden: nichts. RTL entdeckte im eigenen Archiv einen Ausschnitt der kurzlebigen Scripted-Reality-Soap “Helfen Sie mir”, in der Lena als Laiendarstellerin mitgespielt hatte. Private Fragen in Interviews und auf Pressekonferenzen wollte Frau Meyer-Landrut zunächst gar nicht beantworten.

Einen Grand-Prix-Sieg, eine weitere ESC-Teilnahme und zwei Alben später ist Lena Meyer-Landrut “wieder da” — als sei sie in den letzten zweieinhalb Jahren je wirklich weg gewesen. Am 12. Oktober erscheint ihr drittes Album “Stardust”, für das sie zur Zeit die Werbetrommel rührt.

Bei der Albumpräsentation in Berlin (ähnliche Veranstaltungen hatte es zuvor schon in Köln und Hamburg gegeben) erfuhr die “B.Z.” Erstaunliches:

Ihr Herz hat auch eine Heimat gefunden: “Ich habe mich in Köln verliebt”, so Lena zur B.Z. Nicht nur in die Stadt: “Weil da der Mensch ist, den ich liebe. Wo ich das Glück habe, dass ich ihn lieben darf.”

Da ist sie wieder, die einmalig Süße! Lena in love. Doch Details dazu kommen ihr nicht über die Schmoll-Lippen. Dafür findet sich auf Lenas linkem Oberarm eine Art Beziehungs-Botschaft. Neben der Ritterlilie prangt nun ein zweites Tattoo mit dem Schriftzug: “to love and to be loved” (lieben und geliebt werden). Ach wie schön, ein kleiner Satellit schwebt im siebten Himmel.

Fangen wir hinten an: Das Tattoo, das “nun” auf ihrem Oberarm prangt, war da schon vor acht Monaten, wie etwa Bild.de damals ganz aufgeregt notierte.

Und das mit der Liebe ist auch keine ganz so spektakuläre Neuerung, wie Boulevardjournalisten wüssten, wenn sie im vergangenen Oktober die ARD-Sendung “Inas Nacht” gesehen hätten, die im August 2011 aufgezeichnet worden war:

Ina Müller: Was magst Du denn generell an Männern? Hast Du ‘nen Typen Mann, wo Du sagst: “Oh, den find ich ganz toll”?
Lena Meyer-Landrut: Also, meinen Freund find ich ganz toll …
Müller: Du hast ‘nen Freund?!
Meyer-Landrut: Mmmm-hhhh.
Müller: Das find ich ja toll! Da hätte ich jetzt gar nicht gefragt, weil ich dachte, das würdest Du nie erzählen.
Meyer-Landrut: Tja …
Müller: Und mit dem bist Du schon lange zusammen …
Meyer-Landrut: Joa …

Dass Frau Meyer-Landrut einen Freund hat, war damals – neben den weit verbreiteten Informationen, dass sie ihr Klo selber putze und keinen Schnaps vertrage – sogar bei einschlägigen Medien wie bunte.de, “Bild” Hannover und stern.de nachzulesen gewesen. Aber man kann es natürlich noch mal aufschreiben und als “neue Liebe” verkaufen, wie es beispielsweise “Express”, “RP Online” und “Focus Online” getan haben.

Und damit kommen wir zu dapd, nach eigener Auswertung der Realität bekanntlich Deutschland fehlerfreiste Nachrichtenagentur. Die interpretierte das Geraune der “B.Z.” so:

Grand-Prix-Sternchen Lena Meyer-Landrut ist glücklich und verliebt. “Ich habe mich in Köln verliebt”, sagte die Sängerin der “BZ am Sonntag”. Aber nicht nur die Rheinmetropole habe das Herz der 21-Jährigen erobert, sondern auch ein Mann. “Weil da ein Mensch ist, den ich liebe. Wo ich das Glück habe, dass ich ihn lieben darf”, sagte die Sängerin.

Wer der neue Mann in ihrem Leben ist, bleibt allerdings ihr Geheimnis. Erst vor wenigen Wochen war Lena von ihrer Heimatstadt Hannover nach Köln gezogen, wo sie nun mit ihrem Freund lebt.

(Nachzulesen etwa im “Westen”.)

Dass Frau Meyer-Landrut “erst vor wenigen Wochen” nach Köln gezogen sein soll, kommt etwa für die Menschen überraschend, die im August 2010 diese Meldung gelesen haben:

Lena Meyer-Landrut, Gewinnerin des Eurovision Song-Contest 2010 in Oslo, hat jetzt ein Appartement in Köln, damit sie nicht immer von ihrer Heimatstadt Hannover aus pendeln muss. Das sagte sie der Online-Ausgabe der “Frankfurter Neuen Presse”. In Köln ist Stefan Raabs Produktionsfirma Brainpool, die Lena managt.

Wobei diese Nachricht auch mit Vorsicht zu genießen ist. Der Urheber damals nämlich: dapd.

Spätestens vor einem Jahr war Lena dann aber doch in Köln angekommen, weil sie sich für ein Studium (“‘Sprachen und Kulturen Afrikas’ und Philosophie”) an der dortigen Universität eingeschrieben hatte, was damals ebenso medial ventiliert wurde wie vor einem Monat der Umstand, dass sie besagtes Studium wieder geschmissen hatte. Aber natürlich konnte sie auch im Juni 2012 noch mal nach Köln ziehen (“zu ihrem Freund”!), wenn man es denn noch mal aufschreiben konnte.

Jedenfalls hat dapd aus den Nicht-Neuigkeiten “neue Liebe, neues Tattoo” auch noch ein Video gebaut, das irgendwelche armen Cutter aus Archivmaterial zusammenschnibbeln mussten. Mit dabei ist ein Foto mit Tattoo beim Deutschen Filmpreis (April 2012, “neues Tattoo”) und diese Aussage:

Im Oktober soll Lenas drittes Album erscheinen und eine große Tournee ist auch geplant. Der Kartenverkauf läuft Medienberichten zufolge aber eher schleppend an.

Dass sich die Karten für Lenas Tournee so schlecht verkaufen, dürfte allerdings auch daran liegen, dass man sie noch gar nicht kaufen kann: Die Tourdaten sind noch nicht bekannt gegeben, der Vorverkauf noch nicht mal angelaufen.

Insofern ist der nachfolgende Satz noch dümmer, als er es sowieso schon wäre:

Ob die Nachricht von einer neuen Liebe also nur eine PR-Masche ist, bleibt offen.

Ja, die “neue Liebe” ist eine Masche. Aber eine von desinteressierten Möchtegernjournalisten, die versuchen, sich aus bereits wieder vergessenen und deshalb für neu gehaltenen alten Tatsachen und falschen Annahmen eine Geschichte zusammenbasteln.

Bei stern.de ist das dapd-Video inzwischen wieder weg, bei “Welt Online” aber zum Beispiel noch verfügbar — und das, obwohl es seit heute Mittag sogar eine korrigierte Fassung gibt, aus der der “schleppende” Vorverkauf verschwunden ist.

Mit Dank auch an Lars, Peter G. und Andreas K.

Nachtrag, 16. August: sueddeutsche.de hat die zweite Fassung des dapd-Videos aus dem Netz genommen, bei “Welt Online” läuft immer noch die erste.

Der BKA-Nazi-Lösch-Skandal, der keiner war

Es sei ein “beispielloser Vorgang”, da war sich die “Bild am Sonntag” sicher: Ein Beamter der Bundespolizei, der bei den Ermittlungen gegen die Neonazi-Terrorgruppe NSU für das BKA Handydaten ausgelesen hatte, soll diese “am 8. Dezember vergangenen Jahres nach Dienstschluss” “heimlich” und “systematisch” vernichtet haben.

So stand es am 12. Februar in der Zeitung:

Bundespolizist Jens B. sollte nach der Auswertung der Handys die Daten ans BKA übergeben und dann auf seinem Computer umgehend löschen. “Bitte löschen, wenn ich dir zurück melde, dass ich die DVD lesen kann”, schrieb BKA-Mitarbeiterin Alexandra-Maria F. am 7. Dezember an Jens B.

Was auf den ersten Blick wie Routine wirkt, ist in Wahrheit ein beispielloser Vorgang: Die BKA-Ermittlerin F. forderte den Polizeibeamten Jens B. zu Vernichtung von Beweismitteln und damit zu einem schwerwiegenden Verstoß gegen die Dienstpflicht auf. Denn die Bundespolizei muss sämtliche Ermittlungsergebnisse mindestens bis zum Abschluss des jeweiligen Gerichtsverfahrens aufbewahren, weil die Beamten wichtige Zeugen werden könnten. Dann müssen sie genau belegen, woher die von ihnen beschafften Daten stammen.

“Bild am Sonntag” war so besorgt über den Vorgang, dass sie sogar einen echten Sicherheitsexperten zu dem Thema befragt haben:

“Für die zielgerichtete Vernichtung von Beweismitteln durch eine Polizeibehörde in einem laufenden Ermittlungsverfahren, noch dazu auf Wunsch des BKA, kann es keine harmlose Erklärung geben”, betont ein Sicherheitsexperte gegenüber BILD am SONNTAG. Der dubiose Vorgang “riecht nach Beweisunterdrückung durch das BKA”.

Derlei “Experten” waren es dann auch, die “Bild am Sonntag” dazu bewogen, das ganz große Fass der Verschwörungstheorie aufzumachen:

Doch welches Geheimnis bergen die Handydaten? Polizeiexperten halten eine mögliche Erklärung, dass das BKA Informanten im Umfeld der Neonazi-Bande schützen will. Führen die Spuren der auf den Handys gespeicherten Telefonnummern, Text- und Bildnachrichten direkt ins BKA?

Immerhin: Auch beim BKA hatte “Bild am Sonntag” nachgefragt — und dann doch eine eher harmlose Erklärung erhalten:

Und was sagt das BKA zur Datenlöschung? Dazu erklärt ein BKA-Sprecher etwas umständlich: “Um in diesem sensiblen Verfahren eine Dislozierung der vorhandenen Asservate in verschiedenen Behörden zu vermeiden, wurde seitens BKA die Bundespolizei gebeten, als Kopie vorhandene Handydaten zu vernichten.” Unter Dislozierung versteht man eine Verteilung an unterschiedlichen Orten.

“Bild am Sonntag” hielt die Erklärung offenbar für wenig plausibel.

In seinem Kommentar ging Michael Backhaus, stellvertretender Chefredakteur der “Bild am Sonntag” dann auch vom Schlimmsten aus:

Der Bundespolizeibeamte B. mag gedacht haben, er tue den Kollegen vom BKA nur einen kleinen Gefallen, als er die Daten aus dem Handy eines mutmaßlichen Helfers der Zwickauer Terroristen in einer Datenbank löschte.

In Wahrheit war das möglicherweise ein Schlag gegen Prinzipien unserer Verfassung. Als Lehre aus der Nazizeit wurde in der Bundesrepublik ein Rechtsstaat etabliert wie nur in wenigen Staaten weltweit. Rechtsstaatlichkeit ist so etwas wie die Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland.

Mit den Prinzipien des Rechtsstaats aber ist es in keiner Weise zu vereinbaren, dass Polizisten Beweismittel manipulieren oder gar zerstören, wie hier offenkundig geschehen. Denn solche Daten erhalten möglicherweise Hinweise auf oder Beweise für bislang nicht aufgeklärte Verbrechen.

Zweifel an der Version seiner Zeitung äußerte er eher pro forma:

Sollte das BKA tatsächlich in manipulativer Absicht die Löschung der Daten bei der Bundespolizei veranlasst haben, dann haben wir es mit einem neuen Skandal in den mit Pannen und Fehlern reich gesegneten Ermittlungen gegen die Zwickauer Terrorzelle zu tun.

Andere Medien berichteten noch am gleichen Tag darüber, dass das BKA “offenbar” Ermittlungsdaten habe löschen lassen.

Am darauffolgenden Tag war die Geschichte in “Bild” schon deutlich kleiner. Die Überschrift lautete auch nicht mehr “Warum ließ das BKA wichtige Nazi-Ermittlungsdaten heimlich löschen?” sondern “Löschte BKA Ermittlungsdaten?”:

Berlin -Das BKA hat im Fall des Zwickauer Neonazi-Trios bei der Bundespolizei Ermittlungsdaten, u. a. Handydaten des mutmaßlichen Terror-Unterstützers Andre E., löschen lassen, berichtet die BILD am SONNTAG. Das BKA hat den Bericht bereits zurückgewiesen.

Die “taz” schrieb dazu einen Tag nach der “BamS”:

Das BKA hat ungewöhnlich heftig auf den Bericht reagiert. Der Vorwurf, man habe Beweismittel vernichtet und unterdrückt sei “absurd”, teilte die Behörde mit. “Alle in der Berichterstattung der Bild am Sonntag vorgenommenen Mutmaßungen und getroffenen Schlussfolgerungen sind unzutreffend.”

Die Version des Bundeskriminalamts geht so: Die Bundespolizei habe im Rahmen einer Amtshilfe die Daten auf dem Handy des mutmaßlichen Terrorunterstützers André E. ausgelesen. Eine anwesende BKA-Mitarbeiterin habe diese anschließend samt Telefon mitgenommen. Schließlich sei die Bundespolizei dann gebeten worden, ihre Kopie der Daten zu löschen: um die Daten “an einer Stelle zu konzentrieren”.

Die Daten seien auch nach wie vor “vollständig und unverändert” vorhanden und stünden der Bundesanwaltschaft für die Ermittlungen zur Verfügung. “Das BKA schützt weder Neonazis noch Informanten aus der rechten Szene”, teilte BKA-Chef Jörg Ziercke mit.

Immerhin soll aber das Bundesinnenministerium eine umfassende Erklärung von der BKA-Amtsleitung zu dem Vorgang angefordert haben.

Es wäre allerdings auch nicht das erste Mal, dass die Springer-Presse im Zusammenhang mit der rechtsextremen Terrorzelle “Nationalsozialistischer Untergrund” etwas hochzieht, das sich beim Genaueren hinschauen als halbwahr oder ganz falsch herausstellte.

Und so war es dann wohl auch diesmal wieder: Der beschuldigte Bundespolizeibeamte ging gegen die Berichterstattung vor und erwirkte eine Einstweilige Verfügung gegen die Axel Springer AG. Im April veröffentlichte “Bild am Sonntag” zwei Gegendarstellungen des Mannes.

Am 7. August entschied dann das Landgericht Berlin, dass “Bild am Sonntag” und Bild.de nicht weiter behaupten dürfen:

  • dass die BKA-Beamtin den Bundespolizisten zur Vernichtung von Beweismitteln und damit zu einem schwerwiegenden Verstoß gegen die Dienstpflicht aufgefordert habe,
  • dass der Bundespolizist Handydaten gelöscht habe (ohne gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass diese Daten auch nach der Löschung noch bei der Bundespolizei vorhanden waren),
  • dass der Bundespolizist nach Dienstschluss heimlich Handydaten gelöscht habe,
  • dass der Bundespolizist Beweismittel manipuliert oder gar zerstört habe.

Die beanstandeten Artikel sind bei Bild.de und aus dem Zeitungsarchiv verschwunden.

Die Geschichte dieses “beispiellosen Vorgangs” taucht diese Woche als Randepisode in einem “Focus”-Artikel über die Zustände bei der Bundespolizei auf und geht dort so:

Wie zerrüttet das Verhältnis zwischen Innenministerium und Bundespolizei ist, wurde Anfang 2012 deutlich, im Zusammenhang mit den Ermittlungen zur Terrorzelle NSU: Heinz-Dieter M., Abteilungsleiter im Potsdamer Präsidium, hatte gegenüber einem ranghohen Beamten des Ministeriums offiziell den Verdacht geäußert, das Bundeskriminalamt (BKA) könne einen Informanten “im Umfeld des Trios” geführt haben – ein schwerer Vorwurf.

Hintergrund der wüsten Spekulation, die später auch in der Öffentlichkeit kursierte: Jens B. von der Bundespolizei hatte auf Bitten des BKA Handy-Daten eines NSU-Verdächtigen gelöscht. Weil M. in die Aktion nicht eingebunden war, witterte er eine Verschwörung. Die Bundesanwaltschaft vernahm ihn als Zeugen.

Am Ende stellte sich heraus, dass die Bundespolizei lediglich eine Kopie der sensiblen Daten gelöscht hatte, das Original lag beim BKA. So war es nur den wilden Fantasien eines hohen Polizisten zu verdanken, dass das BKA zu Unrecht in den Verdacht geriet, Neonazis zu schützen.

“Wilde Fantasien” — genau das richtige für “Bild am Sonntag”.

Mit Dank an Frank und Martin.

General Knowledge

Als Medium hat man zwei Möglichkeiten, was man mit Agenturmeldungen macht: Entweder unverändert veröffentlichen (gerne gemacht bei “bunten Meldungen” in Tageszeitungen und bei Onlinemedien) oder selber noch dran rum arbeiten.

Die Meldung, dass der Bundeswehr-Oberst Georg Klein (“bekannt geworden durch die Kundus-Affäre”) zum General befördert werden soll, endete bei der Deutschen Presseagentur so:

Auf dem neuen Posten, den er vermutlich im Frühjahr 2013 übernimmt, wird Klein wie ein Brigadegeneral bezahlt. Die Ernennung zum General wird vermutlich gegen Ende nächsten Jahres erfolgen. Die Bundeswehr hat derzeit etwa 200 Generäle.

Offenbar zu unkonkret für “Focus Online”, wo sie den Schluss deshalb mit eigenen Recherchen anreichern wollten:

Auf dem neuen Posten, den er vermutlich im Frühjahr 2013 übernimmt, wird Klein wie ein Brigadegeneral bezahlt. Laut Besoldungsliste der Bundeswehr wären dies ohne Zuschläge etwa 11 000 Euro (B10). Die Ernennung zum General wird vermutlich gegen Ende nächsten Jahres erfolgen. Die Bundeswehr hat derzeit etwa 200 Generäle.

Nun ist es allerdings so, dass ein Brigadegeneral laut Bundesbesoldungsordnung (und sogar laut Wikipedia) in die Besoldungsgruppe B6 fällt und Klein damit laut Besoldungsliste der Bundeswehr ohne Zuschläge “nur” 8248,04 Euro bekäme.

Dann doch lieber eine unkonkrete Agenturmeldung als ein selbst gemachter Fehler.

Mit Dank an Stephan K.

Nachtrag, 16.55 Uhr: Nachdem “Focus Online” einen Leserkommentar mit Verweis auf die korrekte Besoldungskategorie nicht veröffentlichen wollte, wurde dort immerhin der fehlerhafte Satz entfernt — und sicherheitshalber der direkt davor stehende dpa-Satz gleich mit.

Faktor, Faktor, Faktor

Gestern vor einem Jahr trat in Deutschland das Gesetz zum Ausstieg aus der Atomenergie in Kraft. Diesen Jahrestag nahm “Focus Online” zum Anlass, um mal zu schauen, was sich seitdem so alles geändert hat. Im Text ziehen die Redakteure “eine erste Bilanz” — oder versuchen es zumindest.

Zum Thema Windkraft hieß es in der ursprünglichen Version des Artikels:

Aus den Zahlen des Bundesverbands der Windenergie geht hervor, dass von Juli 2011 bis Juni 2012 allein mögliche Spitzenleistung der installierten Windkraft-Anlagen von knapp 28 Megawatt auf 30 Megawatt gestiegen ist – also um gut sieben Prozent.

Das müssten aber ganz schön kleine Windräder sein. In Wirklichkeit liegt die Spitzenleistung der Windkraftanlagen in Deutschland nämlich nicht bei 30 Megawatt, sondern bei 30 Gigawatt — was immerhin das Tausendfache dessen ist, was “Focus Online” ursprünglich behauptet hatte. Im Laufe des heutigen Nachmittags haben die Redakteure den Fehler offenbar selbst entdeckt — und heimlich korrigiert.

Nicht korrigiert haben sie hingegen die Passage mit dem Strompreis. Dort liegen die Redakteure zwar nicht um den Faktor 1.000 daneben, aber immerhin um den Faktor 100:

Laut Statistischem Bundesamt stieg der Haushaltsstrompreis von 0,2528 Cent pro Kilowattstunde im ersten Halbjahr 2011 auf 0,2531 Cent im zweiten Halbjahr.

Schön wär’s! Doch in der Realität kostete Ende 2011 eine Kilowattstunde Strom nicht 0,2531 Cent, sondern 0,2531 Euro.

Mit Dank an Jochen D.

Weimerer Replik

Wolfram Weimer ist einer der bekanntesten konservativen Publizisten Deutschlands. Er war Chefredakteur von “Welt” und “Berliner Morgenpost”, Gründer und Chefredakteur von “Cicero” und kurzzeitig Chefredakteur des “Focus”. Bevor er dort ging, um sich “neuen Projekten zuwenden zu können”, gab es Irritationen, weil Weimer in seinen Texten Passagen recycelte, die er zuvor schon an anderen Stellen geschrieben hatte.

Nun, da er beim “Focus” weg ist, kann er natürlich in seinen Texten Passagen recyceln, die er zuvor schon im “Focus” geschrieben hatte.

In seiner aktuellen Kolumne in der “ADAC Motorwelt”, die unter dem wortverspielten Titel “Weimer autonom” läuft, widmet er sich dem “Gouvernantenstaat”, von dem sich Weimer offenbar konsequent bevormundet fühlt:

Früher durfte man sich anschnallen. Heute muss man. Und wenn die Polizei es nicht erzwingt, dann die dauernd piependen Gurtwarner. Die Sache ist gut gemeint, aber sie nervt. Das Auto behandelt uns wie Kleinkinder. Und das ist leider typisch. Vom Glühbirnenbefehl bis zur Mülltrennung, von der Skihelmpflicht bis zum Schornsteinfeger-Zwang reicht der Tugendwille in einem Staat, der zusehends auftritt wie eine Supernanny. Selbst wenn wir bürokratisch schon halb ersticken, hat Supernanny noch eine Vorschrift, eine Warnung, eine Regulierungsbehörde mehr parat. Allein 20 Millionen Straßenschilder hat sie aufgestellt, alle 28 Meter steht eines. Fehlt nur noch, dass die auch anfangen zu piepen.

Bis hierhin ganz normale Anbiederung an eine Leserschaft, die auch schon mal “freie Fahrt für freie Bürger” fordert.

Dann wird Weimer grundsätzlich. So grundsätzlich wie im Juli 2011, als er in einer der letzten von ihm verantworteten “Focus”-Ausgaben über das undurchschaubare deutsche Steuersystem schrieb, das er als Symptom eines “Gouvernantenstaats” ausgemacht hatte.

Und weil wir leider nicht Zugriff auf die Funktion “Änderungen nachverfolgen” in Weimers Textverarbeitungsprogramm haben, müssen wir das so lösen:

“ADAC Motorwelt”
“Focus”
Vom Glühbirnenbefehl bis zur Mülltrennung, von der Skihelmpflicht bis zum Schornsteinfeger-Zwang reicht der Tugendwille in einem Staat, der zusehends auftritt wie eine Supernanny. Von Finanzamt-Sheriffs bis zu den in Büschen kauernden Polizisten, die brave Muttis auf breiten Ausfallstraßen mit ihren Blitzgeräten abkassieren, vom Glühbirnenbefehl bis zum ARD-ZDF-Gebühren-Zwang reicht die Alltagserfahrung in einem Staat, der zusehends auftritt wie eine Super-Nanny.
[…] […]
Mit Quoten und Verboten kommen Supernannys Gehilfen daher, die Gleichstellungsbeauftragten und Integrationsberater. Mit Quoten und Verboten kommen sie daher, die Verbraucher- und Familienschützer, die Gleichstellungsbeauftragten, Präventionsräte und Integrationsberater.
Sie tragen Menschen teure Bildungspakete hinterher, die gar keine haben wollen. Sie tragen Menschen teure Bildungspakete hinterher, die gar keine haben wollen, denn sie wissen alles besser.
[…] […]
Der Gouvernantenstaat wird uns irgendwann verbieten, Süßigkeiten zu naschen oder Ski zu fahren – zu gefährlich, zu teuer für das Kollektiv, zu schädlich für die Natur. Der Gouvernantenstaat wird uns irgendwann verbieten, Süßigkeiten zu naschen oder Ski zu fahren – zu gefährlich für uns, zu teuer für das Kollektiv, zu schädlich für die Natur.
Er wird uns Wein und Bier madig machen, Autorennen verbieten und beim Essen ermahnen, was gesund ist. Er wird uns Wein und Bier so madig machen wie Nikotin und beim Essen genau erklären, was gesund ist und was nicht.
Alles im Gestus der Gurtpflicht. Supernanny – bei dir piepst es langsam! Der nächste Totalitarismus kommt nicht in der Uniform einer Ideologie daher, er kommt im fließenden Gewand der Bemutterung.

Mit Dank an Twipsy.

dpa  etc.

Eine Interpretationsagentur macht Nachrichten

Es war eine düstere Warnung, die am vergangenen Mittwoch Schlagzeilen machte. Eine Gruppe von 17 europäischen Ökonomen hatte am Tag zuvor in einem Gutachten gewarnt: “Europa steuert schlafwandelnd auf eine Katastrophe von unabsehbaren Ausmaßen zu.”

Die Agentur dpa berichtete über das Papier, das der Rat des “Institute for New Economic Thinking” veröffentlicht hatte, den ganzen Tag über in immer neuen Meldungen. Jedesmal schrieb sie dabei auch über die Position der Wissenschaftler:

Eine langfristige Transferunion lehnen sie dagegen ebenso ab wie Eurobonds.

Die Formulierung findet sich in minimalen Varianten in sieben dpa-Meldungen, die zwischen 3:15 Uhr morgens und 16:52 am späten Nachmittag veröffentlicht wurden. Das Problem ist nur: Die Aussage findet sich nicht in dem Papier, in dem sie angeblich stehen soll.

Dort heißt es:

“As far as the long-term vision is concerned, we do not believe that euro zone bonds, or a full fiscal union, are necessary to ensure a functioning economic and monetary union. (…) While many Council members believe that further fiscal and political integration In Europe is desirable, we do no[t] believe that they are necessary to make an economic system with a single currency viable.”

Es ist also keineswegs die Rede davon, dass die Unterzeichner eine langfristige Transferunion und Eurobonds “ablehnen”, sondern bloß, dass beides “nicht notwendig” sei, um das Funktionieren der Währungsunion zu gewährleisten.

Eine “Ablehnung” wäre von dem Rat auch nicht zu erwarten gewesen, denn zu seinen Mitgliedern gehören mehrere ausgesprochene Befürworter von Eurobonds wie der deutsche Wirtschaftsweise Peter Bofinger. Er bestätigt uns auf Anfrage, dass die Formulierung von dpa falsch ist. Unter den Autoren des Papiers herrsche keine Übereinstimmung darüber, ob die Einführung von Eurobonds wünschenswert sei; deshalb hätten sie sich auf die Kompromiss-Formulierung geeinigt, sie sei jedenfalls “nicht notwendig”. Das Papier weise ausdrücklich darauf hin, dass sich “einige Mitglieder” für dauerhafte Eurobonds aussprechen. Er zähle sich auch dazu. Außerdem spreche sich das Papier für eine temporäre Gemeinschaftshaftung in Form des Schuldentilgungspaktes aus.

Wenn in dem Text also nicht steht, dass die Wissenschaftler Eurobonds ablehnen, warum behauptet die dpa das? (Die Agentur betonte in ihren Meldungen, dass ihr das Papier vorliege; es war zu diesem Zeitpunkt eh längst im Internet veröffentlicht.)

Auf unsere Anfrage räumt dpa-Nachrichtenchefin Iris Mayer ein, dass es sich bei der Formulierung um “eine Interpretation unsererseits” handle. Die Darstellung sei “sprachlich verkürzt, inhaltlich finden wir sie aber durchaus angemessen”:

Durch das gesamte Gutachten der Ökonomen zieht sich als Grundtenor die Ablehnung einer langfristigen Transferunion, sie wird als nicht notwendig bezeichnet, im Begleitschreiben heißt es zusätzlich zur Begründung, sie würde falsche Anreize setzen.

(…) Da es sich bei dieser Position um die von Wissenschaftlern handelt, wäre es sicher besser gewesen, sprachlich neutral mit “halten für nicht notwendig” zu formulieren, anstatt dem politisch einordnenden Reflex “lehnen ab” zu unterliegen. Mit genau diesem Reflex hätten wir im übrigen eine Äußerung von Merkel “halte Eurobonds nicht für notwendig” sehr wahrscheinlich verkürzt mit “Merkel hat Eurobonds erneut abgelehnt” dargestellt.

Merkel ist aber auch bekanntermaßen eine Gegnerin von Eurobonds. Mehrere Autoren des Papiers konnten Eurobonds schon deshalb nicht “erneut” ablehnen, weil sie sie gar nicht ablehnen.

Wäre es also nur “besser gewesen”, wenn die Nachrichtenagentur den Inhalt des Gutachtens richtig wiedergegeben hätte? Oder schlicht notwendig — angesichts der Tatsache, dass sich bekannte und erklärte Befürworter von Eurobonds unter den Autoren befinden und ihr Papier, anders als dpa behauptet, eben keine klare Ablehnung von Eurobonds enthält?

Was die Nachrichtenagentur dpa meldet, wird schnell zur Tatsache. Ihre Meldungen mit der Aussage, die 17 Ökonomen “lehnen eine langfristige Transferunion ebenso ab wie Eurobonds” fanden sich u.a. in FAZ.net, “Zeit Online”, “Focus Online”, n-tv.de, stern.de, morgenpost.de, diepresse.com, “Handelsblatt”, ftd.de.

Die spezielle dpa-Behauptung übernahmen aber auch Medien in ihren (vermeintlich) eigenen Berichten, so etwa die “Rheinische Post”, “Frankfurter Neue Presse” und “Kölner Express”.

Selbst die renommierte und als Wirtschafts-Autorität geltende “Frankfurter Allgemeine Zeitung” machte sich offenbar nicht die Mühe, das Originaldokument zu lesen, verließ sich auf die dpa-Zusammenfassung und stolperte nicht darüber, dass eine “Ablehnung” angesichts der beteiligten Personen sehr überraschend gewesen wäre. In der FAZ erschien am Donnerstag ein Zeitungsartikel, der mit dem Kürzel eines Wirtschaftsredakteurs versehen war, und in dem es hieß:

Eine langfristige Transferunion lehnen die Ökonomen dagegen ebenso ab wie Eurobonds. Diese Positionen decken sich mit denen der deutschen Regierung.

Der zweite Satz zeigt, welche Kreise die dpa-Formulierung inzwischen gezogen hatte. Die Bundesregierung hatte nämlich zwischenzeitlich Stellung genommen zu dem Papier der 17 Ökonomen. Wiederum dpa gab die Aussagen des stellvertretenden Regierungssprechers Georg Streiter so wieder:

Streiter betonte, viele der Expertenpositionen deckten sich mit denen der Regierung, etwa die Ablehnung von Eurobonds oder einer langfristigen Transferunion.

Auf dem Umweg über die Antwort der Regierung fand die dpa-Interpretation sogar Einzug in den Dienst der Nachrichtenagentur Reuters, die am Mittwochmittag nun ebenfalls meldete:

Die Bundesregierung folgt zwar ausdrücklich die dramatischen Lagebeurteilung der Ökonomen nicht, sieht Übereinstimmung bei einigen Vorschlägen der Wissenschafter. Das gelte etwa in Hinblick auf die Ablehnung einer langfristigen Transferunion im Währungsraum und von Euro-Bonds.

Das war in der indirekten Rede womöglich noch korrekt, wenn auch irreführend. Anders als die Meldungen der Konkurrenz von AFP, die über die 17 Wissenschaftler und ihr Papier am Mittwochnachmittag dann ebenfalls schrieb:

Zugleich sprachen sie sich gegen eine Transferunion und gemeinsame Staatsanleihen aus.

Die dpa-“Interpretation” dieses Teils des Gutachtens hat in der öffentlichen Darstellung in den deutschen Medien seinen tatsächlichen Inhalt fast vollständig verdrängt.

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