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Studenten verbummelt

Mit Klischees ist es wie mit Topfpflanzen: Wenn sie nicht regelmäßig gepflegt werden, dann gehen sie irgendwann ein. Entsprechend titelte die Hamburger Regionalausgabe von “Bild” gestern zum Thema Langzeitstudenten an der Universität Hamburg:

Bummelrekord!

“Bild” präsentiert ein paar “drastische Einzelfälle” und behauptet,

(…) dass Langzeitstudenten an vielen Fakultäten ein verbreitetes Problem sind. An der Uni gilt das für 16,2 Prozent aller Studenten, also 2319 von 14 248.

Und genau an dieser Stelle hätte der “Bild”-Redakteur stutzig werden müssen. Immerhin hat die Hamburger Universität nicht nur 14.248, sondern insgesamt 39.402 Studierende (Stand WS10/11), woraus sich eigentlich ergeben müsste, dass nur knapp 6 Prozent der Studenten Langzeitstudenten sind.

“Bild” beruft sich bei der Berechnung der Anzahl der Langzeitstudenten auf die Ergebnisse einer Kleinen Anfrage des Abgeordneten Dr. Wieland Schinnenburg (FDP) und unterschlägt dabei diesen elementaren Aspekt aus der Antwort des Hamburger Senats:

für die neuen Studiengänge trifft das in der Frage genannte Kriterium [Langzeitstudium] noch nicht zu.

Alle Zahlen aus der Kleinen Anfrage beziehen sich also ausschließlich auf die zur Zeit auslaufenden Diplom- und Magisterstudiengänge, denn:

Im Bachelor- und Masterbereich kann es keine Langzeitstudierenden geben, da die Prüfungsordnungen bei Überschreiten der doppelten Regelstudienzeit eine Exmatrikulation vorsehen.

Dass es wiederum unter den Studierenden der alten Studiengänge, die seit 2004 kaum mehr Nachwuchs verzeichnen, anteilig immer mehr Langzeitstudenten geben muss, versteht sich von selbst: Ein Großteil der wenigen, die jetzt noch auf Magister oder Diplom studieren, besteht zwangsläufig aus Langzeitstudenten, denn alle anderen haben ihr Studium bereits weitgehend abgeschlossen.

Insofern sind auch die anderen Beispiele, die “Bild” aus der kleinen Anfrage genommen und damit aus dem Zusammenhang gerissen hat, obsolet:

Im Fachbereich Sozialökonomie studieren beispielsweise 73 von 120 Studenten (60,8 Prozent) schon doppelt so lang wie die Regelstudienzeit, also länger als 16 Semester. Bei den Informatikern sieht es genauso schlimm aus: 130 von 213 Studenten (61 Prozent)

Insgesamt, also mit Bachelor- und Masterstudenten, sind derzeit 1.376 Studenten für Informatik eingeschrieben, woraus sich ein Anteil von nur 9,4 Prozent Langzeitstudenten ergibt. Die Gesamtzahl der Studenten, die Sozialökonomie studieren, liegt bei 2.200 (Langzeitstudenten 3,3 Prozent).

Obwohl die Zahlen von “Bild” also letztlich nichts wert sind, verbreiten der Online-Auftritt der “Hamburger Morgenpost” und die Nachrichtenagentur dpa die Mär von den faulen Informatik- und Sozialökonomiestudenten munter weiter.

Vielleicht hätten die Journalisten die Quellen einfach ein bisschen länger studieren sollen.

Mit Dank an bono und Jan G.

Nachtrag, 21. September: Christian Röwekamp von der dpa hat uns auf folgendes hingewiesen:

Wir haben den falschen Bezug in unserer Meldung inzwischen berichtigt. Eine entsprechende Neufassung des Textes ist um 15.11 Uhr in den Landesdienst Nord der dpa eingegeben worden. (…)

Außerdem möchte ich feststellen, dass Ihr implizit erhobener Vorwurf mangelnder Recherche so nicht stehenbleiben kann. Wir bei der dpa haben eben nicht etwas “munter weitererzählt”, sondern die Hamburger Kollegen haben bei der Wissenschaftsbehörde eigens nachgefragt und zur Antwort bekommen, dass alle Zahlen aus der “Bild” korrekt seien. Wir haben den Sprecher der Behörde in unserer Meldung sogar wörtlich zitiert, wenn auch zu einem anderen Aspekt dieses Themas. Dass im Gespräch mit der Pressestelle nicht der Gedanke entwickelt wurde, dass es in dem Bericht ja gar nicht um die Gesamtzahl aller Studierenden ging, mag misslich sein. “Nachgeplappert” haben wir aber keinesfalls.

Warum bei der dpa niemandem aufgefallen ist, dass eine der größten Universitäten Deutschlands nur 14.248 Studenten haben soll, geht aus der Stellungnahme nicht hervor.

Spiegel Online, Piratenpartei, Staatsbankrott

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Off Topic 2: Noch mehr Fakten zu SPIEGEL Online”
(security-informatics.de, 13. September 2011)
Wissenschaftler “im Bereich Korpus- und Computerlinguistik sowie Informatik” liefern Statistiken zu “Spiegel Online” von 2000 bis 2010. Im Fokus: die “Wortschatzkomplexität”, der “Skandalisierungs- und Mutmaßungsindex”, der “Manipulativitätsindex” und der “Angstindex”. Zur Entwicklung der Ressorts siehe diesen Beitrag vom 21. August 2011.

2. “Der Großteil des Journalismus wird datengetrieben sein”
(derstandard.at, Tatjana Rauth)
Tatjana Rauth spricht mit Shazna Nessa von AP über visuelles Geschichtenerzählen: “Viele Journalisten, mit denen ich spreche, glauben, dass sie Data nicht betrifft. (…) Viele glauben noch, dass Daten nur den Bereich des investigativen Journalismus betreffen.”

3. “Im Schraubstock”
(tagesanzeiger.ch, Felix Schindler)
Felix Schindler gerät bei Krawallen in Zürich zwischen die Fronten: “Während die Jugendlichen überzeugt sind, wir würden sie in unseren Berichten ungerecht behandeln und nur die Position der Polizei vertreten, nehmen es offenbar viele Polizisten genau umgekehrt wahr.”

4. “Rambo mit Fliegenkultur”
(tagesspiegel.de, Gerrit Bartels)
Oliver Gehrs und sein Magazin “Dummy”: “Die Werbekunden wollen keine politischen Artikel, keine Gewalt, keinen Sex im Umfeld ihrer Anzeigen? Dann erst recht. Behinderte auf dem Cover gehen nicht? Mal sehen. Über Juden kann man in Deutschland nicht schreiben? Und ob.”

5. “Protestpartei? Ach was!”
(heise.de/ct, Jan-Keno Janssen)
“Für manche Journalisten ist die Sache sonnenklar. Wer eine so seltsame Partei wie die Piraten gewählt hat, kann das nur aus Protest getan haben – und auf keinen Fall aus inhaltlichen Gründen.”

6. “Staatsbankrott – ein Fiasko mit Tradition”
(sf.tv, Video, 9:18 Minuten)
Staatsbankrotte in der Geschichte. Spanien: 13. Frankreich: 8. Deutschland: 8. Griechenland: 5. Schweiz: 0.

Hokusai, Ürümqi, Women’s Health

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Hokusai und die Linguistik”
(schnellinterkulturell.de, Marco Damm)
“Im Land der aufgehenden Sonne” (Japan) gebe es “kein Wort für die mörderische Wucht meterhoher Wellenwände, überhaupt kaum Begriffe für Katastrophen”, schreibt Roland Mischke auf mainpost.de. Schnellinterkulturell.de setzt eine Grafik mit den Entsprechungen von Wörtern wie Taifun, Erdbeben, Hochwasser, Erdrutsch, Vulkanausbruch, Hitzewelle und Kältewelle im Japanischen dagegen.

2. “Women’s Health – Zeitlos langweilig”
(kioskforscher.posterous.com)
Der Kioskforscher liest die “Women’s Health”: “Austauschbarkeit Zeitlosigkeit scheint bei den Health-Zeitschriften zum Markenkern zu gehören.”

3. “Richter fördern Presse-Monopol”
(taz.de, Jean-Philipp Baeck)
“Nur eine einzige Journalistin des marktbeherrschenden Weser-Kuriers war geladen, als sich fünf Bremer GerichtspräsidentInnen gemeinsam mit der Generalstaatsanwältin und dem Leiter der Justizvollzugsanstalt zu Sparplänen des Bremer Senats äußerten.”

4. “Hausrecht oder Pressefreiheit?”
(journalist.de, René Martens)
Bundesliga-Vereine machen in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen Vorschriften darüber, wer von wo aus dem Stadion berichtet. “De facto wird damit die Pressefreiheit beschnitten, denn selbstverständlich muss ein Journalist das Recht haben, sich privat – bei einem Stadionbesuch ja sogar als zahlender Kunde – an jedem beliebigen Ort aufzuhalten und darüber zu schreiben.”

5. “Entwicklung Leichtathletik-Weltrekorde: Datenjournalismus”
(danieldrepper.de)
Datenjournalismus im Sport: “Im Gegensatz zu brisanten Daten bei harten Recherchen sind Zahlen und Fakten im Sport sehr leicht zugänglich.”

6. “Internetzensur in China – ein Selbstversuch”
(klartext-magazin.de, Friedrich Leist)
Friedrich Leist testet das Web in Ürümqi: “Als Suchmaschine kann man nur baidu.cn aufrufen, Google ist nicht erreichbar. Dafür kommt man auf Spiegel.de oder die Seite der Bildzeitung, bei letzterer sind aber alle Bilder gesperrt.”

Apfelkraut und Rüben

Technik und Juristerei sind (wie Abwassersysteme) keine Gebiete, mit denen sich der Durchschnittsbürger gerne befasst: Beides versteht er nicht so richtig, aber es “funktioniert halt irgendwie” und hilft ihm im Leben — und wenn es nicht in seinem Sinne funktioniert, ist das Gemecker groß. Keine guten Voraussetzungen, dass noch irgendjemand den Überblick behält, wenn beide Themengebiete aufeinander treffen.

Der amerikanische Unterhaltungselektronikkonzern Apple hat im vergangenen Jahr das iPad auf den Markt gebracht, einen mobilen Computer ohne Tastatur. Auch der südkoreanische Mischkonzern Samsung hat einen solchen Computer produziert, das sogenannte Galaxy Tab 10.1. Apple wirft Samsung vor, das Galaxy Tab beim iPad abgeguckt zu haben, und hat Anfang August vor dem Düsseldorfer Landgericht eine einstweilige Verfügung erwirkt: Samsung verletze den Geschmacksmusterschutz von Apple, das Galaxy Tab darf in Deutschland (ursprünglich sogar in der EU) bis auf Weiteres nicht verkauft werden.

Samsung legte gegen die Entscheidung Widerspruch ein — unter anderem, weil die Fotos, mit denen Apple die optische Ähnlichkeit zwischen den beiden Geräten beweisen wollte, verzerrt waren, so dass die Proportionen des Galaxy Tab denen des iPad viel stärker ähnelten als in echt.

Heute nun begann die mündliche Verhandlung vor dem Düsseldorfer Landgericht und die Nachrichtenagentur dapd bewies schon mal mit ihrer ersten Zusammenfassung um 11.28 Uhr, nicht exakt verstanden zu haben, worum es eigentlich ging:

Das kalifornische Unternehmen wirft den Koreanern vor, bei Gestaltung und Design des eigenen Tablet-PCs Markenrechte von Apple verletzt zu haben und hatte deshalb vor dem Düsseldorfer Gericht ein Verkaufsverbot für den iPad-Rivalen erwirkt.

Nein, ums Markenrecht, das die Bezeichnung von Produkten oder Dienstleistungen regelt, geht es in diesem Prozess nicht, sondern ausschließlich um das Design.

Um 12.46 Uhr berichtete Reuters:

Apple hat im Patentstreit mit seinem Rivalen Samsung erneut einen Sieg vor Gericht errungen. Das Landgericht Düsseldorf bestätigte am Donnerstag die einstweilige Verfügung, wonach Samsungs Tablet-PC Galaxy in Deutschland nicht verkauft werden darf. Die Kammer folgte der Argumentation der Amerikaner, das koreanische Gerät verletze Patentrechte.

Dass es um Geschmacksmuster ging und nicht um Patentrechte ging, ist hier fast zweitrangig, denn das Gericht hatte zu diesem Zeitpunkt die Einstweilige Verfügung noch gar nicht bestätigt — und würde es bis zum Ende des heutigen Verhandlungstages auch nicht mehr tun. Die Entscheidung soll erst am 9. September verkündet werden, bis dahin bleibt die Einstweilige Verfügung weiterhin bestehen, wurde vom Gericht aber noch nicht bestätigt.

Zu den vielen Medien, die die vorschnelle Reuters-Meldung übernahmen, zählte auch tagesschau.de, deren Mitarbeiter aber irgendwann selbst beim Gericht nachfragten und ihren Artikel alsbald korrigierten:

tagesschau.de hat – auf Basis von Agenturmeldungen – zunächst berichtet, die mündliche Verhandlung vor dem Landgericht Düsseldorf über die einstweilige Verfügung sei bereits zu Ende. Eine Sprecherin des Gerichts stellte aber auf Nachfrage gegenüber tagesschau.de klar, dass die Verhandlung noch laufe und die entsprechenden Meldungen nicht zutreffend seien.

Bei Reuters selbst brauchten sie fast zwei Stunden, um festzustellen, dass sie vorzeitig Fakten berichtet hatten, die noch gar nicht geschaffen waren:

DEUTSCHLAND/APPLE/SAMSUNG (KORREKTUR)
KORRIGIERT-Richterin hält Verbot von Samsung-Tablet für gültig=

(Stellt klar, Richterin hält einstweilige Verfügung für rechtens. Entscheidung der Kammer erst später erwartet.)
Düsseldorf, 25. Aug (Reuters) – Apple hat im Patentstreit mit seinem Rivalen Samsung gute Aussichten in Deutschland. Die Vorsitzende Richterin im Verfahren vor dem Landgericht Düsseldorf erklärte am Donnerstag, sie halte die einstweilige Verfügung, unter der Samsungs Tablet-PC Galaxy in Deutschland nicht verkauft werden darf, weiterhin für rechtens.

Diese Korrektur kam zu spät für Bild.de, das von einer “Niederlage vor Gericht” für Samsung und einem “Sieg” für Apple berichtet.

Die “Deutsche Welle” hat in ihrem Internetauftritt ziemlich genau alles falsch gemacht und beeindruckt im Vorspann mit einem überraschenden Kausalzusammenhang:

Trotz des Rücktritts von Steve Jobs kann Apple einen Erfolg verbuchen. Im Patentstreit mit seinem Rivalen Samsung hat Apple einen Sieg vor Gericht errungen. Samsungs Tablet-PC erhält Verkaufsverbot in Deutschland.

Und während dapd weiter ahnungslos mit dem Begriff “Markenrecht” hantiert, fasst dpa den Sachverhalt in zwei Sätzen korrekt zusammen:

In dem Verfahren geht es ausschließlich um das sogenannte Geschmacksmuster, also Design und Äußeres aussehen. Bei der Bewertung, ob ein Geschmacksmuster verletzt wurde, geht es darum, ob ein Produkt vom Gesamteindruck her mit einem anderen identisch ist.

Mit Dank an Patrick D. und Gabriel W.

Nachtrag, 26. August: Gestern in der “Tagesschau” um 20 Uhr:

Patentstreit

Am Text, den Marc Bator vorlesen musste, war so ziemlich alles falsch:

Im Patentstreit mit seinem Konkurrenten Samsung hat Apple einen Etappensieg errungen. Das Düsseldorfer Landgericht bestätigte heute in mündlicher Verhandlung eine Einstweilige Verfügung gegen die Koreaner. (…) Es gebe deutliche Hinweise, dass Markenrechte von Apple verletzt worden seien.

Mit Dank an Klaus M., Kiki W., Dennis R. und Johannes.

Selbsttötung, Solarbäume, Bauer sucht Frau

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Loblied des Links”
(spiegel.de, Sascha Lobo)
Sascha Lobo lobt den Link: “Der Link verheisst Vernetzung, Zugänglichkeit, Offenheit. Ein Link gibt dem Nutzer auch die Möglichkeit, die Seite zu verlassen; im Link steckt deshalb die Freiheit des Netzes. (…) Verlinkung ist digitales Leben, der Rest ist Konsum.”

2. “Dreifach-Suizid: Fragwürdige Details”
(ndr.de, Video, 4:32 Minuten)
“Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen und die Schilderung näherer Begleitumstände”, heisst es in Richtlinie 8.5 des Pressekodex. “Zapp” berichtet über einen aktuellen Fall aus Niedersachsen: “Selbsttötungen haben als solche in der Presse nichts verloren. Das sollten Journalisten wissen, spätestens seit Robert Enke. Von daher war es unverantwortlich, was sich letzte Woche in vielen Medien abspielte.”

3. “Bauernopfer”
(sueddeutsche.de, Frederik Obermaier)
Frederik Obermaier berichtet aus dem oberbayerischen Aiglsham, dem Wohnort des durch die Doku-Soap “Bauer sucht Frau” bekannt gewordenen Bauers Josef und seiner Frau Narumol. “An einem einzigen Wochenende, so erzählen einige Dorfbewohner hier, fahren so viele Autos durch den 60-Einwohner-Weiler wie vor Bauer sucht Frau nicht mal in einem Monat.”

4. “Von Solarbäumen, Fibonacci-Folgen und unbelehrbaren Schreiberlingen”
(intern.de)
“13-Jährigem gelingt Durchbruch in Solarenergiegewinnung”, meldete beispielsweise Gizmodo.de vor wenigen Tagen. Intern.de schreibt auf, was sich ereignete, nachdem ein Blogger daran öffentlich zweifelte.

5. “Wenn Gerüchte Fakten schaffen”
(dw-world.de, Video, 4:09 Minuten)
Detlef Saitner liest keine Zeitungen mehr: “Er liest lieber im Netz, bei den Crash-Propheten. Deren Klickraten haben sich seit 2008 fast verdreifacht.”

6. “Der Lottogewinner Erwin Lindemann”
(youtube.com, Video, 3:41 Minuten)
“Wie kann man einen ‘Brennpunkt’ zum WM-Aus für Michael Ballack machen aber keinen zum Abschied von einer Legende, die so lustig war wie sonst kein Deutscher und so deutsch wie sonst kein Lustiger?”, fragt Imre Grimm auf haz.de.

Als Moslem sieht Mesut Özil schnell rot

Beim spanischen Supercup zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona am Donnerstag ging es (wieder einmal) hoch her: Unter anderem sahen David Villa und der deutsche Nationalspieler Mesut Özil die rote Karte, nachdem sie nach ihrer Auswechslung in einem großen Tumult aneinander geraten waren.

Özil hat sich zu den Ereignissen noch nicht groß geäußert. Das einzige Zitat, das seit Freitag die Runde macht, stammt von “Bild”:

Mesut Özil gestern zu BILD: “Ich bin unschuldig! Das kann man im Fernsehen sehen. Rangeleien sind nie auszuschließen, das ist dann pure Emotion. Und wenn Kollegen angegriffen werden, dann versuche ich zu helfen.”

Nur bei kicker.de wussten sie schon genau, was los gewesen war:

Supercopa-Rotsünder in der Liga nicht gesperrt - Özil: "Er hat meine Religion beleidigt"

Und weiter:

Warum ging der sonst eher besonnene Mesut Özil im Schlussakt des Supercopa-Endspiels beim FC Barcelona (2:3) so aus sich heraus und sah die Rote Karte? War es ein Schlag des ebenfalls vom Platz gestellten David Villa? Inzwischen hat der Spielmacher von Real Madrid das Rätsel gelöst. “Ich habe mich so verhalten, weil ich meine Religion verteidigen wollte. Er hat den Islam beleidigt”, so der Nationalspieler.

Das Webportal “questionhalal.com” zitiert den Ex-Bremer am Donnerstagabend. (…)

Nur: “gelöst” war damit gar nichts.

Wer auf questionhalal.com ging, konnte auch ohne größere Französischkenntnisse herausfinden, dass sich die Seite auf football.fr beruft — und zu Bedenken gibt:

Es gibt keine andere zuverlässige Quelle für die Richtigkeit dieser Informationen, die zum jetzigen Zeitpunkt nicht bestätigt sind.

Inzwischen gibt es nicht mal mehr diese eine Quelle: In einem Nachtrag stellt questionhalal.com fest, dass der Ursprungsartikel bei football.fr offline genommen wurde. Einer Stellungnahme der Verantwortlichen von football.fr kann man entnehmen, dass es wohl zu “inakzeptablen Kommentaren” gekommen war und auch der Blogger, der das Gerücht über Villas Islam-Beleidigung in die Welt gesetzt hatte, sich nicht ordnungsgemäß verhalten hatte.

Aber weil sie diese Entwicklungen bei kicker.de nicht mehr verfolgt haben, behauptete die populäre Sportseite weiter, Mesut Özil habe so reagiert, weil David Villa dessen Religion beleidigt habe.

Nachdem wir bei kicker.de angefragt haben, ob man diese Art der Recherche und der Verkürzung dort für legitim halte (auch angesichts der Reichweite von kicker.de und des heiklen Themas), schrieb uns die Redaktion:

Wir werden den Quellen nochmal genauer nachgehen und das Thema redaktionsintern diskutieren.

Bis dahin haben wir uns entschlossen, den Beitrag aus dem Angebot zu nehmen.

Da war die Geschichte natürlich schon andernorts abgeschrieben worden.

sport1.de drehte die Irrsinnsspirale der Quellenangabe einfach weiter:

Mesut Özil hat eine Beleidigung von David Villa als Grund seines Ausrasters nach dem Supercup-Spiel gegen den FC Barcelona genannt. “Ich habe mich so verhalten, weil ich meine Religion verteidigen wollte. Er hat den Islam beleidigt”, so der Nationalspieler im “kicker”.

blick.ch bemühte sich noch ein wenig um Relativierung und schrieb von “verschiedensten Gerüchten”:

Aber was bringt den Deutsch-Türken bloss so auf die Palme? Auf verschiedenen Internetseiten wird Özil nun zitiert: “Ich habe dies getan um meine Religion zu verteidigen, weil David Villa den Islam beleidigt hat.” Ob dieses Zitat aus Özils Mund stammt, ist jedoch unklar.

Das freilich ficht die üblichen Islamhasser im Internet nicht an, die sich unabhängig jeder Faktenlage schon wieder in Rage geschrieben haben.

Das Zentralorgan für Moslemhasser, “Politically Incorrect”, schreibt:

Man stelle sich nur einmal vor, ein Christ oder Jude würde sich aufgrund seines Glaubens so aufführen. Die FIFA würde sich vermutlich einschalten und drastische Strafen aussprechen. Doch bei der “Religion des Friedens” sollten wir weiter fleißig Toleranz üben und Verständnis aufbringen…

Und “Nachrichten ohne Zensur” sekundiert:

Beim Abspielen der deutschen Nationalhymne erleben die Fans den Fußballsöldner Mehmet Özil schweigend und meistens mit seinen Gedanken abwesend. Dagegen rastet Özil aus, wenn es um die Religion des Friedens geht. In der Nachspielzeit des Supercups zwischen Real und Barca kam es zu Wild West Szenen, wobei auch Özil mit Handgreiflichkeiten nicht sparte und seinen Herausforderer David Villa attackierte, der angeblich den Islam beleidigte.

Wer hätte auch anderes erwartet, außer der DFB, schließlich sind die Heilsbringer für ihr hitziges Gemüt bekannt.

In den Leserkommentaren wird weiter gegen den Islam gehetzt, während bei Facebook Gruppen wie “Fuck you David Villa because you insulted religion of Mesut Ozil” gegründet werden.

Und so hat das ohnehin schon emotional aufgeladene Spiel zwischen Barcelona und Madrid völlig grundlos noch mehr Emotionen provoziert.

Mit Dank an Erik G.

Die Meute, Vampirismus, BlaBlaMeter

6 vor 9

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1. “Die Meute – Macht und Ohnmacht der Medien”
(youtube.com, Video, 88 Minuten)
Der sehenswerte Film “Die Meute” von Herlinde Koelbl über die Politiker und Journalisten in Berlin wird zehn Jahre alt, siehe dazu auch umblaetterer.de. Unter den vielen bekannten Gesichtern von Journalisten auch Kai Diekmann, Chefredakteur “Bild”: “Ich denke schon manchmal, dass wir aufpassen müssen, dass uns das Maß nicht verloren geht.”

2. “Konfliktsensitiv twittern”
(training.dw-world.de, Steffen Leidel)
Die Krawalle in Großbritannien bei Twitter: Steffen Leidel schreibt über “Falschmeldungen und Gerüchte, die sich via Re-Tweets wie ein Lauffeuer verbreiten und nach unzähligen Re-Tweets als Fakten gehandelt werden. So war unter dem hashtag #riot von brennenden Geschäften und abgefackelten Tankstellen zu lesen. Das Problem: die Infos stimmten schlicht nicht. Das bringt selbst Leute ins Grübeln, von denen man eher Jubelgesänge auf die neuen Technologien gewohnt ist.”

3. “Instant-Angst mit Schauderlust”
(sueddeutsche.de, Heribert Prantl)
Heribert Prantl konstatiert “einen deutschen Katastrophen-Vampirismus. Er nutzt Unglücke, Attentate und Verbrechen, die anderswo in der Welt passieren, um sie sogleich für die politische Debatte in Deutschland zu verwerten. Das ist nicht unbedingt immer verwerflich, aber rasend egozentrisch.”

4. Interview mit Oliver Stör
(basicthinking.de, Christian Wolf)
Oliver Stör hört mit dem Bloggen auf, nachdem er “innerhalb von weniger als einem Jahr dreimal anwaltliche Schreiben” erhalten hatte. “Bisher hat mich das Ganze etwa 1800 Euro gekostet. Die Forderung nach Schadenersatz ist aber noch offen. Da können nochmal über 1000 Euro dazukommen.”

5. “Internettool entlarvt Schwafeleien”
(wissen.dradio.de, Pascal Fischer, Audio, 8 Minuten)
Pascal Fischer redet mit Bernd Wurm, dem Programmierer des BlaBlaMeters. Höre dazu auch dieses Gespräch.

6. “Was ich während der Arbeit im Internet mache”
(graphitti-blog.de, katja)

Lomografie, Journalistenpreise, SPD

6 vor 9

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1. “Stoppt die Breivik-Soap!”
(zeit.de, Michael Schlieben)
Deutsche Medien machen den Norwegen-Attentäter zur Ikone, wenn sie jedes Detail seines Lebens ausbreiten, glaubt Michael Schlieben. “Man fühlt sich wie in einer Diashow mit Endlosschleife, die dem Mann eine Präsenz verschafft, wie er sie sich größer nicht wünschen konnte. Hinzu kommen Psychologisierungen, in denen von der Steuererklärung bis hin zum Musikgeschmack nichts undurchforstet bleibt.”

2. “Ein steiniger Weg”
(begleitschreiben.net, Gregor Keuschnig)
Gregor Keuschnig thematisiert den Umgang mit dem “Manifest” des Täters. “Wie weit und ob das Buch überhaupt rezipiert werden soll, ist jetzt umstritten. Vorsorglich wird es als wirr oder wahnsinnig eingeschätzt – was dann wohl die genaue Lektüre entbehrlich machen soll. Allenfalls die schnelle Suche nach entsprechenden Schlagworten wie ‘Broder’ (12 x) oder ‘Wilders’ (29 x) wird vorgenommen, um ersatzweise Journal­ismus zu simulieren. Wobei die Suche bei ‘Adorno’ (26 x) oder ‘Orwell’ (12 x; mehr­fach verwendet der Autor Orwell-Zitate zu Beginn seiner Kapitel) ähnlich ergiebig gewesen wäre.”

3. “Aus der Nachrichtenagentur: die unanständige Methode eines dpa Journalisten”
(fakeblog.de, Floyd Celluloyd)
Floyd Celluloyd erinnert sich daran, wie er 2001 mit einer Aussage zur Lomografie in der “Kölnischen Rundschau” zitiert wurde.

4. “This is Why Your Newspaper is Dying”
(bradcolbow.com, englisch)
Neun Gründe, warum Zeitungsverlage online keinen Erfolg haben.

5. “Zwölf total randseitige Fakten über Journalistenpreise”
(netzfundbuero.de, Tom Hillenbrand)
“Quellen: Teilnahmebedingungen der jeweiligen Journalistenpreise, Newsroom.de, eigene Recherche.”

6. “Sozialdemokraten. 18 Monate unter Genossen”
(ardmediathek.de, Video, 88:35 Minuten)
Eineinhalb Jahre SPD, zusammengefasst in eineinhalb Stunden. Lutz Hachmeister mit einer Reportage, die Aufschluss über den Zustand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gibt.

Bild  

Nur gucken, nicht anfassen!

“Japan, ihr habt’s verdient”, schreibt “Bild” heute an die Adresse der japanischen Fußballfrauen, die gestern Abend in Frankfurt die Weltmeisterschaft gewonnen haben.

Aber so ganz scheint die Zeitung das Aus der Deutschen im Viertelfinale noch nicht verwunden zu haben, wie die Titelseite zeigt:

Japan Weltmeister! Passt gut auf unsere "Spirale" auf! Japan ist Frauen-Weltmeister! 5:3 nach Elfmeterschießen im Finale gegen die USA. Aber den Pokal (sieht aus wie eine Spirale) haben euch die deutschen Mädchen nur geliehen...

Von aller Überheblichkeit mal ab: Es ist einfach Quatsch, dass “die deutschen Mädchen” den Japanerinnen den Pokal “nur geliehen” hätten.

Der Fußballweltverband FIFA schreibt in seinen “50 Fakten zur FIFA Frauen-Weltmeisterschaft” (PDF):

Für jede Weltmeisterschaft wird eine eigene Trophäe hergestellt, die der Sieger behalten darf, dies im Gegensatz zum FIFA WM-Pokal, der stets im Besitz der FIFA bleibt.

Insofern stimmt auch nicht, was “Bild” weiter schreibt:

Die letzten Deutschen, die den Pokal bis zur WM 2015 in Kanada anfassen durften, sind OK-Chefin Steffi Jones und Renate Lingor, Weltmeisterin von 2003 und 2007. Sie tragen die Pokal-Spirale ins Stadion.

Denn selbst wenn “wir” 2015 wieder Weltmeister würden, würden “unsere Mädels” eine andere Version des Pokals in Empfang nehmen, als die, die die Japanerinnen gestern in die Höhe gereckt haben.

Mit Dank an Stefan K.

Spiegel, DSK, Bagelheads

6 vor 9

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1. “Spaß und Spannung mit Adolf und Josef”
(blaetter.de, Uli Gellermann)
Uli Gellermann vermisst in der “Spiegel”-Titelgeschichte “Bruder Todfeind” vom 11. Juni einige Fakten. Es kommt ihm ausserdem vor, als werde “der Krieg Deutschlands gegen die Sowjetunion, der vor 70 Jahren begann, zu einem sportiven Duell zwischen Josef und Adolf.” Zum aktuellen “Spiegel”-Titel “Die digitale Unterwelt” siehe “Welcome to Germany. ‘Der Spiegel’ in Full Retard Mode” (davaidavai.com, englisch).

2. Interview mit Christian Stöcker
(basicthinking.de, Jürgen Vielmeier)
Wie geht Christian Stöcker, Ressortleiter “Netzwelt” von “Spiegel Online”, mit Fehlern um? “Fehler machen wir natürlich auch, und es ist klar, dass sich das nie ganz vermeiden lassen wird. Unser Anspruch besteht darin, dem Leser das Beste zu liefern, was unter den aktuellen Umständen drin ist – was auch bedeutet, dass wir schnellstens und transparent korrigieren, wenn tatsächlich mal ein Fehler auf der Seite gelandet sein sollte.”

3. “Achtet mir die Blogger”
(kundenkunde.de, Peter Soltau)
Henrik Böhme von dw-world.de reagiert auf einen kürzlich angebrachten Plagiatsvorwurf.

4. “Neue Medienmode lateinamerikanischer Potentaten”
(faz.net, Josef Oehrlein)
Wie der Präsident von Venezuela, Hugo Chávez, mit Medien umgeht. “Für ihn zählt nur der direkte Kontakt zu seinem Publikum, dem ‘Volk’. Dazu braucht es für ihn weder Regierungssprecher noch Journalisten. Bei Pressekonferenzen, so sie überhaupt noch stattfinden, sind Journalisten bloße Stichwortgeber für schier endlose Monologe.”

5. “DSK darf wieder lächeln”
(katrinschuster.de)
Die Berichterstattung der Medien über die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Dominique Strauss-Kahn: “Offenbar will man einfach nicht wahrhaben, dass Journalisten weder der Exekutive noch der Judikative angehören. Und wenn Medien einen Angeklagten erst als schuldig vorstellen, noch bevor die Ermittlungen begonnen haben, um es dann ‘spektakulär’ zu nennen, wenn während der Ermittlungen Zweifel an dieser Schuld aufkommen, wird auch ihre Befähigung zur Ausübung der so genannten Vierten Gewalt in dieser unserer Gesellschaft des Spektakels ziemlich fraglich.” Siehe dazu auch Stefan Niggemeier, der Artikel in “Stern” und “Spiegel” analysiert.

6. “Und um das Sommerloch: ein Bagel”
(snoeksen.blogspot.com)
Bild.de berichtet über “Bagelheads”: “Nur: zum einen ist es kein wirklicher Trend, neu ist es auch nicht und aus Japan… naja, entstanden ist es zumindest woanders.”

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