Suchergebnisse für ‘Julian Reichelt’

Wikipedias Sachsen-Sperre, “Bild” vs. Gack, Bär “nicht ausgebootet”

1. Wikipedia sperrt 62.000 sächsische Rechner aus
(t-online.de, Lars Wienand)
An der freien Enzyklopädie Wikipedia kann prinzipiell jeder mitschreiben. Dies machen sich auch im politischen Umfeld arbeitende Menschen zunutze, indem sie für sie unvorteilhafte Passagen umschreiben oder einfach löschen. Ein Wikipedia-Administrator wusste sich in einem aktuellen Fall (Rassismus in Sachsen/Bewertung von Pegida) nicht anders zu helfen, als anonyme sächsische Landesbedienstete und Mitarbeiter des sächsischen Landtags vom Editieren der Wikipedia auszuschließen.

2. Wehe dem, der gegen den Strom schwimmt!
(nachdenkseiten.de, Jens Berger)
Die ZDF-Sendung „heute“ ging der Frage nach, ob in der syrischen Stadt Duma geächtete Chemiewaffen eingesetzt wurden und befragte dazu in einer Zwei-Minuten-Schalte ihren Korrespondent Uli Gack. Dieser berichtete über Augenzeugenaussagen aus einem Flüchtlingslager, nach denen es sich um eine Inszenierung der Islamisten gehandelt haben könne, wies aber ausdrücklich daraufhin, dass es sich um keine gesicherten Erkenntnisse handeln würde. Daraufhin ergoss sich der geballte Twitterhass der „Bild“-Autoren Björn Stritzel, Julian Röpcke sowie ihres Chefs Julian Reichelt über ihm.
Jens Berger hat den Vorgang unter Zuhilfenahme der jeweiligen Tweets aufgearbeitet und erklärt, was er an der Vorgehensweise der „Premium-Trolle“ besonders verwerflich findet.

3. „Cumhuriyet“-Journalisten verurteilt
(taz.de, Wolf Wittenfeld)
Im Prozess gegen Mitarbeiter der linksliberalen türkischen Tageszeitung „Cumhuriyet“ sind hohe Haftstrafen ergangen. Von den 17 Angeklagten wurden 14 wegen angeblicher Unterstützung von wahlweise gleich drei „Terrororganisationen“ zu Haftstrafen bis zu acht Jahren verurteilt, darunter der Herausgeber, der Chefredakteur und der bekannteste Reporter des Blatts.
Weiterer Lesetipp: Meşale Tolu darf die Türkei weiterhin nicht verlassen (sz.de)

4. Verhandlungen unterbrochen
(djv.de, Hendrik Zörner)
Der Deutsche Journalisten-Verband und der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger konnten sich bislang nicht über einen neuen Gehaltstarifvertrag für die rund 13.000 Zeitungsjournalisten einigen. Die Verleger hätten ein Angebot vorgelegt, das unter der Teuerungsrate liegen würde, was von Journalistenseite als nicht hinnehmbar abgelehnt wurde. Nun haben die Journalistenvertreter die Verhandlungen unterbrochen und wollen das weitere Vorgehen in ihren Gremien besprechen. Damit droht eine Fortsetzung bzw. Ausweitung der Streiks.
Weiterer Lesetipp: DJV-Chef Frank Überall: “In so einem Laden würde ich nicht arbeiten wollen” (kress.de, Bülend Ürük) über die Reaktion der Condé-Nast-Deutschland-Geschäftsführung auf ein anonymes Schreiben an alle Mitarbeiter, einen Betriebsrat zu gründen.

5. Ein wirklich mysteriöser Todesfall
(faz.de, Nikolai Klimeniouk)
Der russische Investigativjournalist Maxim Borodin recherchierte, bevor er unter ungeklärten Umständen vom Balkon seiner Wohnung stürzte, über russische Söldner in Syrien. Die Behörden würden von Selbstmord oder Unfall reden, dabei jedoch so oft lügen, dass man selbst den plausibelsten Auskünften nicht trauen könne.

6. »Die Bundeskanzlerin hat mich nicht ausgebootet«
(zeit.de, Marc Brost, Video, 1:33 Minuten)
Seit kurzem ist Dorothee Bär (CSU) Staatsministerin für Digitalisierung. Doch nun wird bekannt, dass Bundeskanzlerin Merkel parallel ihre wichtigste Vertraute Eva Christiansen zur Digitalbeauftragten ernannt hat. Marc Brost von der „Zeit“ hat der Ministerin die alles entscheidende Frage gestellt, wie es zusammenpasst, dass man Digitalisierung erst in eine Hand geben wollte und es jetzt immer mehr Hände werden.

7. Exclusive Interview: President Trump on Fox & Friends
(youtube.com, Fox News)
Als Bonus fürs Wochenende noch eine letzte Empfehlung: Donald Trump hat bei seinem Lieblingssender „Fox News“ angerufen und „plaudert“ dort mit drei Moderatoren über Politik. Es ist eine Art dreißigminütiger Monolog, in dem er schreit und tobt und wütet, und für den ein Youtube-Kommentierer folgende Zusammenfassung gefunden hat: „When you talk policies with your crazy Uncle.“

Der Troll-Journalismus übernimmt

Ein Gastbeitrag von Alf Frommer

Der Journalist Jens Jessen war bisher wohl vor allem Kollegen und “Zeit”-Lesern ein Begriff. Seit dieser Woche kennt ihn zumindest das netzaffine Deutschland zur Genüge: Seine provokative Titelgeschichte über das Ende des Mannes …

Ausriss der Zeit-Titelseite - Schäm dich Mann

… trifft zielgenau sowohl den Nerv der Zeit als auch einen Ton, der Aufmerksamkeit garantiert. Jessen schreibt vom “Triumph des totalitären Feminismus”, vom “Schema des bolschewistischen Schauprozesses”, dem “das System der feministischen Rhetorik” folge, vom “feministischen Volkssturm”, “diesem Zusammentreiben und Einsperren aller Männer ins Lager der moralisch Minderwertigen”. Es folgten Kritik und Entsetzen in sozialen Netzwerken und Online-Artikeln.

Im Journalismus sind die Troll-Mechanismen der Kommentarspalten nun sogar in Leitartikeln von seriösen Medien zu finden. Trolle sind sattsam bekannt, weil sie jede noch so respektvolle Diskussion im Netz durch hanebüchene Beiträge in ihr genaues Gegenteil umkehren. Aussagen, Behauptungen und Meinungen, die im Grunde nur stören und zerstören wollen, machen eine sinnvolle Lösungssuche vollkommen unmöglich. Was man früher an den “Klowänden des Internets” bewundern durfte, blickt einem heute von der Titelseite einer journalistischen Institution entgegen.

Genau dies hat Jens Jessen gemacht: Provoziert und verzerrt, um nach Aufmerksamkeit zu heischen. Und er ist damit beileibe nicht allein. Schon vor drei Jahren hatte sich die damalige “Welt”-Journalistin Ronja von Rönne vor dem Feminismus nach eigener Aussage geekelt. Das Thema taugt sowieso hervorragend für Troll-Journalismus, weil man damit zumindest den Nerv vieler Männer treffen kann, die sich benachteiligt fühlen. Das Genre ist gar nicht dafür da, ernstgemeinte Beiträge abzuliefern, sondern soll nur die Aufmerksamkeitsökonomie bedienen. Gut ist, was Klicks, Auflage und Reichweite bringt. Es geht nicht um die Qualität des Debattenbeitrags, sondern um Quantität. Ob radikale Positionen wie “Ekel” oder der weinerliche Abgesang auf den Mann eine wichtige gesellschaftliche Diskussion weiterbringen, ist komplett egal. Hauptsache, man ist im Gespräch — nicht mit Menschen mit anderen Meinungen, sondern in der öffentlichen Wahrnehmung. Das macht den Troll-Journalismus so banal wie gefährlich.

Der Godfather of Troll-Journalismus ist und bleibt natürlich Julian Reichelt. Der “Bild”-Chef hat das System perfektioniert und in Serienreife gebracht. An ernsthafter Diskussion ist “Bild” nicht interessiert, es geht nur darum, gesellschaftliche Reizpunkte zu setzen. Alarmismus, wohin man blickt. Aktuell nutzt Reichelt dazu gern Gesundheitsminister Jens Spahn, der im Grunde ein Troll der Politik ist: Spahn hat die (Internet-)Mechanismen genauso verinnerlicht wie viele Medienvertreter. Er setzt mit kurzen harten Statements (“Hartz IV bedeutet nicht Armut”) sogenannte Diskussionen in Gang, die zu nichts führen. Das Duo Reichelt/Spahn arbeitet Hand in Hand, erst vor zwei Tagen wieder auf der “Bild”-Titelseite:

Ausriss der Bild-Titelseite - Groko-Minister tritt Debatte los - Sorge um Recht und Ordnung in Deutschland

Sie zeichnen das Bild eines Deutschlands, in denen kriminelle Clans die Städte übernommen haben, der Islam unsere christliche Kultur zerstört oder niemand mehr Diesel fahren darf. Alles Unsinn oder so nicht wahr. Aber es geht ja nicht um die Sache, sondern darum, den Ton zu setzen und die Agenda zu bestimmen.

Was man bei “Bild” getrost als moderne Erweiterung des Geschäftsmodells verstehen kann, sorgt für Nachdenklichkeit, wenn auch Medien wie “Welt” oder “Zeit” Troll-Journalismus nutzen. Zwar hat schon Maxim Biller in “Tempo” in seinen “100 Zeilen Hass” mehr polarisiert als abgewägt, doch “Tempo” war halt “Tempo” und Billers Kolumne mehr Kunstform als Debattenbeitrag. Wir können uns darauf einstellen, dass wir nun öfter Artikel wie jene von Jessen oder von Rönne sehen werden. Aber was bringt es? Oft nicht mal den Schreibern selbst etwas. Oder kann sich jemand an irgendeinen relevanten Artikel von Ronja von Rönne aus den vergangenen drei Jahren erinnern? Genau.

BILD wird BreitBILD

Ein Gastbeitrag von Alf Frommer

Mal Hand aufs Herz: Hätte man sich jemals vorstellen können, dass man sich Kai Diekmann als BILD-Chefredakteur zurückwünscht? Der Kai Diekmann, der meinte, er könnte einen Politiker wie Karl-Theodor zu Guttenberg zum Kanzler hochschreiben, und der selbst zahllose BILD-Kampagnen gegen Minderheiten fuhr. Doch bei Diekmann hatte man noch das Gefühl, der macht dies als professioneller und abgewichster Boulevard-Journalist. Der schreibt heute “Hü” und morgen “Hott”, weil er wusste, dass sich schweigende Mehrheiten durchaus mal ändern, und das gesunde Volksempfinden eine launische Diva sein kann. Ihm war das Produkt im Zweifel näher als seine persönliche Meinung.

Dies hat sich unter Julian Reichelt komplett geändert. Der jetzige BILD-Chef ist erst ein Überzeugungstäter und dann ein Boulevard-Journalist. Wahrscheinlich ist Julian Reichelt der gefährlichste Medienmacher, den die wiedervereinigte Bundesrepublik je erleben durfte. Denn er macht aus BILD ein Weltuntergangs-Angebot im Stile der neurechten Medien wie “Breitbart”, “Tichys Einblick” oder “Compact”. Nur eben mit der Reichweite und dem Einfluss von BILD. In den neurechten Medien wird spätestens seit der “Flüchtlingswelle” 2015 der Untergang unseres schönen Deutschlands beschworen — mehr noch: fast herbeigesehnt. Da ging es früher um “Massenvergewaltigungen” (natürlich vornehmlich durch Ausländer) und heute um “massenhafte Messerangriffe” (natürlich auch vornehmlich durch Ausländer). Unter einer Epidemie machen es die Untergangspropheten nämlich nicht mehr. Sonst wäre es ja kein gesellschaftliches Problem.

Was früher ausschließlich in den Echokammern der Neurechten für Aufregung sorgte, findet heute Gehör bei einem der mächtigsten Medienmenschen des Landes. Dessen Filterblase ist so durchlässig, dass dort bekannte Hetz-Accounts als Teil einer ernsthaften Investigativ-Recherche wahrgenommen werden. Mehr noch: Julian Reichelt retweetet oder zitiert diese Accounts, die unter anderem die “Tagesschau” als “staatliche Lügenfabrik” bezeichnen. Sind das wirklich nur Mausrutscher oder hat das nicht vielmehr System? BILD reiht sich nun ein und beschwört das Bild eines Deutschlands herauf, welches islamisiert wird, überall Messerangriffe von Flüchtlingen, an jeder Ecke importierter arabischer Antisemitismus. Im Grunde unterscheidet BILD bei dieser Endzeit-Berichterstattung nichts mehr von “Breitbart” und Co. Die Redaktion macht nun ein Blatt für die 13 Prozent der Gesellschaft, die AfD gewählt haben.

Eine der verbleibenden positiven Aspekte bei BILD ist das klare Bekenntnis gegen Antisemitismus in jeder Form. Nun jedoch wird der Kampf genau dagegen missbraucht, um den Religionshass gegen Muslime zu schüren. Da wird der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben. Natürlich ist der Kampf gegen Antisemitismus zu begrüßen. Aber selbst da darf nicht jedes Mittel recht sein. Vor allem, wenn man dafür eine andere Religion als per se rückständig, frauenfeindlich, antidemokratisch, gefährlich hinstellt (übrigens auch befeuert von der Seehofer-CSU). Diese Entwicklung ist mehr als bedenklich — insbesondere, weil Julian Reichelt immer vollkommen überrascht ist, wenn man ihm oder seiner Zeitung Nähe zur AfD unterstellt. Tja, manchmal sieht man den Blätterwald vor lauter braunen Bäumen nicht mehr. Das kann selbst einem Julian Reichelt passieren.

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“Bild” lässt Wladimir Putin “Atom-Rakete auf Europa” richten

Bitte nicht erschrecken!

Ausriss Bild-Zeitung - Angst vor Satan 2 - Putin richtet neue Atom-Rakete auf Europa

Nein, nein — keine Sorge. Russlands Präsident Wladimir Putin hat nicht wirklich eine “neue Atom-Rakete auf Europa” gerichtet. Er hat auch keinem europäischen Staat konkret mit dem Abfeuern einer “Atom-Rakete” gedroht. Die “Bild”-Redaktion schreibt das nur einfach so auf ihrer heutigen Titelseite:

Ausriss Bild-Titelseite mit der Atom-Raketen-Schlagzeile

Wladimir Putin hat gestern in seiner jährlichen “Rede zur Lage der Nation” auch neue Waffensysteme vorgestellt. Darunter ein atombetriebener Marschflugkörper, eine Hyperschallrakete, mit Kernwaffen bestückte Unterwasserdrohnen und die Interkontinentalrakete “RS-28 Sarmat”, die von der NATO “Satan 2” genannt werden soll. Es gibt Zweifel daran, dass Russland all diese Waffen wirklich entwickelt oder bereits entwickelt hat. Und dennoch: Diese atomare Aufrüstung ist schon bedrohlich genug. Es braucht keine “Bild”-Redaktion, die mit ihrer Schlagzeile nicht nur “Angst” abbilden, sondern vor allem “Angst” machen will. Man sollte Putins Rede und seine Drohgebärden nicht herunterspielen. Man sollte sie aber auch nicht noch gefährlicher wirken lassen als sie ohnehin schon sind.

Denn im Waffen-Part der Rede des russischen Präsidenten ging es gestern kaum um Europa, sondern größtenteils um die USA. Putin sagte:

Es geht um neue strategische Raketensysteme Russlands, die wir entwickelt haben als Reaktion auf den einseitigen Ausstieg der USA aus dem Vertrag über Raketenabwehr und die De-facto-Stationierung solcher Systeme auf dem Gebiet der USA und außerhalb der US-Grenzen.

Eine Animation zeigte, wie eine Rakete Abwehrsysteme vor der US-Küste umfliegt, eine Kurve um Südamerika dreht und dann auf das US-Festland zusteuert, bevor die Animation stoppt. Um das Ausrichten einer “neuen Atom-Rakete auf Europa” ging es dabei nicht. Das weiß natürlich auch die “Bild”-Redaktion. Im, am Seite-1-Alarmismus gemessen, sehr kleinen Artikel auf Seite 2 kommt das Wort “Europa” nicht mal vor.

Diese Geschichte zeigt einmal mehr, wie sich die “Bild”-Zeitung unter Julian Reichelt schon geändert hat: Sie ist noch knalliger, noch zugespitzter. Es gibt weiterhin eine abstoßende Freude am Angstverbreiten. Nur steckt hinter den dazugehörigen Schlagzeilen auf der Titelseite nun noch weniger als bisher.

“Bild”-Richter vorverurteilen “G20-Plünderer”

Bei der von vielen Tiefpunkten geprägten “Bild”-Berichterstattung zu den G20-Ausschreitungen gibt es seit drei Tagen einen neuen Tiefpunkt: Nun (vor)verurteilen die “Bild”-Richter schon jemanden, bei dem einiges dafür spricht, dass er unschuldig ist, und stellen ihn an den Pranger.

Derzeit läuft in Hamburg der Prozess gegen den 30-jährigen Dimitri K.:

Als G20-Chaoten am 7. Juli einen Supermarkt im Schanzenviertel plünderten (Schaden: 1,7 Mio. Euro), soll er mittendrin gewesen sein. Anklage: besonders schwerer Landfriedensbruch.

K. sagt, er sei nicht vor Ort gewesen. Stattdessen sei er am fraglichen Tag mit Schmerzen zu Hause geblieben, schließlich hätten ihn am Vortag Polizisten angegriffen. Die Verlobte von K. bezeugte dessen Aussage.

Doch, so die “Bild”-Medien …

Doch ein verknackter G20-Plünderer identifizierte ihn. Sven B. (19) ist sich sicher: K. war dabei. Die Hals-Tattoos erkenne er wieder, hundertprozentig!

Für den Prozess zwar unerheblich, für die “Bild”-Redaktion aber bemerkenswert: Dimitri K. hat nicht nur ein Hals-Tattoo. Unter seinem rechten Auge hat er das Wort “Fuck” tätowiert und unter dem linken das Wort “Cops”. Was jetzt schon nach einer Folge “Richterin Barbara Salesch” klingt, wird noch besser:

Als der Angeklagte dann aber seine linke Hand zeigte, war plötzlich alles anders. Statt des von B. beschriebenen “187”-Tattoos stehen dort arabische Schriftzeichen. Irritiert änderte der Zeuge seine Aussage: “Ich bin mir sicher, dass er es nicht ist.”

Fassen wir mal zusammen: Ein Angeklagter, der ein Alibi für die Tatzeit zu haben scheint. Ein Zeuge, der den Angeklagten erst schwer belastet und dann komplett umkippt. Eine Tätowierung, die den Angeklagten belasten könnte, die es aber gar nicht gibt. Es sieht aktuell nicht gerade so aus, dass Dimitri K. während des G20-Gipfels “einen Supermarkt im Schanzenviertel” geplündert hat.

Und was machen die “Bild”-Medien? Trotz dieser Entwicklung im Prozess zeigen sie K. vor drei Tagen bei Bild.de unverpixelt ganz oben auf der Startseite und nennen ihn “G20-Plünderer” …

Screenshot Bild.de - G20-Plünderer mit Fuck Cops-Tattoo - Ihm steht der Hass ins Gesicht geschrieben - Dazu ein unverpixeltes Foto von Dimitri K
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

… und drucken vorgestern in der Hamburg-Ausgabe der “Bild”-Zeitung das Foto des angeblichen “Plünderers” ebenfalls ohne jegliche Unkenntlichmachung:

Ausriss Bild-Zeitung - Prozess gegen Plünderer - Der Hass steht ihm ins Gesicht geschrieben - Dazu ein unverpixeltes Foto von Dimitri K

Persönlichkeitsrechte eines möglicherweise Unschuldigen? Sind der “Bild”-Redaktion doch egal. Und sowieso: Unschuldsvermutung? Ist der “Bild”-Redaktion doch egal. Julian Reichelt und sein Team treten elementare Prinzipien eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens mit den Füßen. Für sie, die sich als Deutschlands oberste Ankläger und Richter sehen, reicht es offenbar, dass jemand angeklagt ist, um diese Person einem Millionenpublikum als Verbrecher zu präsentieren.

Reichelts Verachtung für deutsche Gerichte kann man regelmäßig in seinem Blatt beobachten. Sein gefährliches Rechtsverständnis präsentierte er am vergangenen Montag bei seinem Besuch in der Talkrunde “Hart aber fair”.

Mit Dank an Julia und @DonPepone110 für die Hinweise!

#miomiogate, Antisemitismus, Schleichwerbeverdacht

1. „Man hätte sehen können, dass es ein Fake sein kann“
(faz.net, Oliver Georgi)
Reißerisch und prominent auf der Titelseite schrie „Bild“ eine schier unglaubliche Geschichte in die Welt hinaus: Juso-Chef und Groko-Gegner Kevin Kühnert hätte in Kontakt mit russischen Trollen gestanden. Ziel der angeblichen Zusammenarbeit mit Mittelsmann „Juri“: Die Juso-Kampagne gegen die große Koalition zu unterstützen. „Bild“ meinte Belege für diese Räuberpistole zu haben. „Ein unfassbarer E-Mail-Wechsel, der BILD exklusiv vorliegt“, schrieb die Zeitung (obwohl große Zweifel bestanden,BILDblog berichtete).
Nun behauptet die „Titanic“, dass das ganze Russenmärchen auf ihr Konto geht. Im Interview mit der „FAZ“ erzählt „Titanic“-Redakteur Moritz Hürtgen, wie leicht es gewesen sei, die Geschichte der „Bild“ unterzujubeln: 
„Wir haben einfach eine Runde „Copy and paste“ gespielt und uns eine Konversation zwischen Kevin Kühnert und einem ominösen Russen namens Juri aus St. Petersburg ausgedacht. Dieser Mailwechsel umfasst neun Mails, die angeblich zwischen beiden hin- und hergingen. Wir haben die Mails aufgeschrieben, die Zeitstempel angepasst und auch einige Serverdaten in eine Maildatei hineinkopiert. Das haben wir dann einem Politikredakteur der „Bild“ per Mail zugespielt, den wir uns vorher ausgesucht und über Twitter kontaktiert hatten.“
Mittlerweile hat Julian Reichelt in einer einzigartigen Kombination aus Rechtfertigungsversuch und Uneinsichtigkeit reagiert, die wir hier auf BILDblog bereits eingeordnet haben.
Weitere Lesetipps: Medienwissenschaftler Volker Lilienthal schreibt “Auf die ‘Bild’-Zeitung ist kein Verlass” und berichtet von seiner persönlichen Haltungsänderung: Seine Einschätzung, “Bild” habe sich sozusagen zivilisiert, sei blauäugig gewesen. Er nehme sie zurück …
Stefan Kuzmany kommentiert im „Spiegel“: “‘Bild’ ist in der Kühnert-Mail-Affäre nicht etwa einer ‘Titanic’-Fälschung aufgesessen. Vielmehr scheint dem Springer-Blatt jede noch so windige Geschichte recht zu sein, um der SPD einen Tritt zu versetzen.”
In der “Frankfurter Rundschau” schreibt Arnd Festerling: “Das Boulevard-Blatt hat eine erfundene Nachricht für ihre niederträchtigen Ziele benutzt und ist deshalb kein Opfer.”
Einzig Jakob Augstein sorgt auf Twitter für, nennen wir es neutral: Erstaunen.

2. Was bleibt von #MeToo?
(deine-korrespondentin.de, Pauline Tillmann)
Unter dem Hashtag „metoo“ haben sich weltweit Frauen zu Wort gemeldet und von ihren Erfahrungen mit Sexismus oder sexualisierter Gewalt berichtet. Was ist in der Zwischenzeit passiert? Hat die Debatte etwas verändert? Die Journalistin Pauline Tillmann hat fünf Medienfrauen nach ihrer Einschätzung gefragt.

3. “Die Menschheit hat nach Auschwitz nichts gelernt”
(derstandard.at, Vanessa Gaigg & Oona Kroisleitner)
Der „Standard“ hat sich mit der Kognitionswissenschafterin Monika Schwarz-Friesel über Antisemitismus unterhalten: „Wir können Antisemitismus ohne seine starke emotionale Basis überhaupt nicht verstehen, erklären und auch nicht bekämpfen. Eigentlich ist Antisemitismus eine Emotionskategorie für sich. Es findet eine sehr starke Abwehr statt, verbunden mit Hass und Argwohn. Antisemitismus ist ein Glaubenssystem: Antisemiten glauben so unerschütterlich an ihre Konzeptualisierung, wie sie daran glauben, dass es Erde und Mond gibt .“

4. Tödliche Fake-News in Zentralafrika
(nzz.ch, David Signer)
Zentralafrika ist eines der ärmsten Länder der Welt und ohne funktionierende Medien. Gefährlicher als Granaten seien die Handys mit denen Falschnachrichten und Gerüchte verbreitet werden: „In einem Umfeld wie Zentralafrika können Nachrichten wie ein Zündholz wirken, das in ein Pulverfass geworfen wird – oder wie Wasser, das ein Feuer löscht, bevor es zum Flächenbrand wird.“ Eine der wenigen Hoffnungsschimmer sei „Radio Ndeke Luka“, das sich um Objektivität und Ausgewogenheit bemühe, aber immer wieder von Rebellengruppen ins Visier genommen werde.

5. “Sie können gar nicht an Mediamarkt vorbeigucken”
(deutschlandfunk.de, Stefan Fries, Audio, 5:14 Minuten)
Die neue Pastewka-Staffel bei Amazon strotzt vor eingebetteter Marken. Die Medienaufseher gehen nun dem Verdacht der Schleichwerbung nach. Doch noch ist unklar, wer den Anbieter Amazon Prime überhaupt beaufsichtigt, wie Stefan Fries im Deutschlandfunk berichtet.

6. Copyright Update #2: Upload-Filter für alle außer Google, Facebook & Co?
(netzpolitik.org, Leonhard Dobusch)
Leonhard Dobusch berichtet über den derzeitigen Stand in Sachen Upload-Filtern. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD würde sich gegen die Einführung von Upload-Filtern zur Urheberrechtsdurchsetzung aussprechen. Auf EU-Ebene hätte der deutsche CDU-Abgeordnete Axel Voss jedoch einen Vorschlag vorgelegt, der weiterhin Upload-Filter vorsieht und die Dominanz von großen Internetunternehmen weiter verschärfen könnte.

“Schmutz-Kampagne bei der SPD”: “Bild” fällt auf “Titanic” rein

Es ist alles noch viel schlimmer und trauriger und lustiger.

Die vermeintlichen E-Mails von Kevin Kühnert, die die “Bild”-Redaktion vergangene Woche dazu veranlasst haben, eine große Titelgeschichte über eine “Neue Schmutz-Kampagne bei der SPD” zu veröffentlichen, stammen gar nicht von einem Russen namens “Juri”. Sie stammen auch nicht — wie wir vermutet haben — von einem Jugendlichen, der dank dreieinhalb Minuten Microsoft-Outlook-Gefummel “Bild” mit einer plumpen Fälschung reingelegt hat. Die E-Mails stammen von der “Titanic”-Redaktion:

Screenshot Titanic-Website - miomiogate – Juri, Kühnert, Bild und TITANIC

Die “Bild”-Zeitung ist einem Fake der TITANIC aufgesessen. Am Freitag hatte “Bild” unter der Schlagzeile “Neue Schmutzkampagne bei der SPD” einen Mailverkehr veröffentlicht, der belegen soll, daß Juso-Chef Kevin Kühnert bei seiner NoGroKo-Initiative Hilfe eines russischen Internettrolls namens Juri in Erwägung gezogen hat. Dieser Schriftverkehr wurde aber u.a. von TITANIC-Internetredakteur Moritz Hürtgen an “Bild” lanciert: “Eine anonyme Mail, zwei, drei Anrufe – und ‘Bild’ druckt alles, was ihnen in die Agenda paßt.”

Stimmt das denn nun? Oder handelt es sich nach Jan Böhmermanns “Varoufake” um den nächsten Fake-Fake? Wir waren auch erst skeptisch. Inzwischen glauben wir der “Titanic” aber voll und ganz. Vor allem aus zwei Gründen:

1) Auf der “Titanic”-Seite kann man sich den angeblichen Mail-Verkehr zwischen Kühnert und “Juri” runterladen. Diese Unterhaltung enthält deutlich mehr Mails als von “Bild” bisher veröffentlicht. Soll heißen: Hätte sich die “Titanic”-Redaktion zusätzliche Mails zwischen dem falschen Kühnert und “Juri” erfunden, wäre es für die “Bild”-Redaktion ein Leichtes, die “Titanic”-Version zu widerlegen. Das hat sie bisher nicht getan.

2) Bereits am Freitag haben wir aus “Bild”-Kreisen erfahren, dass der “anonyme Informant” die “Bild”-Redaktion besuchen wird, um seine Geschichte weiter zu verifizieren. In einem Telefonat hat uns “Titanic”-Chefredakteur Tim Wolff heute erzählt, dass Moritz Hürtgen als Informant bei “Bild” zu Gast war — ohne dass Wolff wusste, dass wir von dem Besuch bereits wissen. Es wäre ein sehr großer Zufall, wenn Tim Wolff sich diesen Besuch nur ausgedacht und damit exakt unsere Informationen bestätigt hat.

Und dann gibt es noch einen dritten Punkt. Diesen Rechtfertigungsversuch bei Twitter von “Bild”-Oberchef Julian Reichelt:

Das ist der Julian Reichelt, der von sich selbst gern behauptet, dass es ihm “grundsätzlich leicht” falle, “mich zu entschuldigen, wenn wir Fehler gemacht haben.” Das ist der Julian Reichelt, der nach dem Flüchtlings-“Sex-Mob”-Reinfall in Aussicht gestellt hat, bei “Geschichten, die für ‘Fake News’ anfällig sind”, eine “Bild”-Spezialtruppe mit “noch mehr gestandenen Nachrichtenleuten” einzusetzen, damit es solche Reinfälle nicht wieder gibt. Das ist der Julian Reichelt, der in seinen Worten stets so groß ist und in seinen Taten stets so klein. Das ist der Julian Reichelt, dem man nichts glauben kann.

Was Reichelt offenbar nicht versteht: Die “Titanic”-Redaktion hat mit dieser Aktion nicht versucht, “journalistische Arbeit bewusst zu diskreditieren”. Sie hat es geschafft, das nicht-journalistische Arbeiten von “Bild” zu verdeutlichen. Denn es bleibt trotz der längeren Erklärung bei Bild.de, wie es “zu dieser Schlagzeile” kam, dabei: Die “Schmutz-Kampagne” wurde erst in dem Moment zur “Schmutz-Kampagne”, als die auflagenstärkste Zeitung Deutschlands aus der ganzen Sache eine große Titelgeschichte gemacht hat. Die “Schmutz-Kampagne” ist bei “Bild” entstanden. Vorher war es lediglich ein Spinner (beziehungsweise “Titanic”-Redakteur Moritz Hürtgen) mit offensichtlich gefälschten E-Mails, für den sich niemand interessiert hätte. Es bleibt auch dabei, dass stets mehr gegen die Echtheit der Mails gesprochen hat als dafür. Warum greift “Bild” die Story überhaupt auf, wenn sie von Anfang an mindestens merkwürdig ist? Warum in dieser großen Aufmachung? Warum bringen “Bild” und Reichelt gerade diese Titelzeile, wenn sie doch die ganze Zeit so skeptisch waren? Warum “Schmutz-Kampagne bei der SPD” und nicht “Schmutz-Kampagne gegen die SPD”? Und natürlich bleibt bei dieser Schlagzeile, die “Bild” gewählt hat, bei vielen Leuten hängen: “Der Kühnert? Das war doch der, der mit den Russen gemeinsame Sache gemacht hat!” — auch wenn “Bild”-Autor Filipp Piatov ganz am Ende auflöst, dass es “für die Echtheit der E-Mails” “keinen Beweis” gebe. Das alles nun als die große Skepsis “von Beginn an” darzustellen, zeugt nur davon, was für ein schlechter Verlierer Julian Reichelt ist.

Und nur nebenbei: Dieser Tweet, den Piatov vorgestern noch gepostet hat, sieht nun nicht nach massivem Misstrauen aus:

Nein, es war anscheinend keine “plumpe Fälschung”, auf die Piatov und “Bild” reingefallen sind und die sie zur Titelgeschichte aufgeplustert haben, sondern eine filigrane Fälschung.

Die “Titanic”-Aktion zeigt, dass man bei Julian Reichelt, Filipp Piatov und der gesamten “Bild”-Redaktion sehr gute Chancen hat, mit Desinformationen ins Blatt zu gelangen, wenn man nur die richtigen Knöpfe drückt. Im aktuellen Fall hat die “Titanic”-Redaktion sehr geschickt eine Mischung aus SPD (bei “Bild” nicht sehr beliebt) und dem bösen Russen (bei “Bild” nicht sehr beliebt) gewählt.

Zum Schluss bleibt uns nur, uns vor Moritz Hürtgen, Dax Werner und der “Titanic”-Redaktion zu verneigen. Und alle BILDblog-Leser aufzufordern, sofort ein “Titanic”-Abo abzuschließen, um die Redaktion in ihrer wichtigen Aufklärungsarbeit zu Deutschlands größter Satire-Zeitung “Bild” und zu “Bild”-Oberwitz Julian Reichelt zu unterstützen.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Nachtrag, 8. September: “Bild” hat für die falsche SPD-“Schmutz-Kampagne” bereits im März eine Rüge vom Presserat kassiert. Das Gremium sehe “einen schweren Verstoß gegen das Wahrhaftigkeitsgebot in Ziffer 1 des Pressekodex. Diese Irreführung der Leser beschädigt Ansehen und Glaubwürdigkeit der Presse”.

Heute ist die Redaktion ihrer Verpflichtung nachgekommen und hat die Rüge im Blatt versteckt veröffentlicht:

Ausriss der Bild-Doppelseite mit der Rüge

Nicht gefunden? Hier:

Erneuter Ausriss der Bild-Doppelseite mit der Rüge
Ausriss Bild-Zeitung - Rüge des Presserats - Der Deutsche Presserat hat Bild wegen der Berichterstattung Neue Schmutzkampagne bei der SPD vom 16. Februar 2018 eine Rüge erteilt. Beanstandet wird, dass die Redaktion den Artikel veröffentlicht hat, obwohl die SPD die angeblichen Mails ihres Juso-Chefs mit offensichtlichen Argumenten wie der falschen Endung der E-Mail-Adresse dementiert habe. Vor allem aber sei dem Leser suggeriert worden, dass es eine neue Schmutzkampagne bei der SPD gegeben habe, was tatsächlich nicht der Fall gewesen sei. Auf diese Ungereimtheiten hatte die Redaktion den Leser zwar ausdrücklich hingewiesen. Der Presserat sieht gleichwohl einen Verstoß gegen das Wahrhaftigkeitsgebot in Ziffer 1 Pressekodex.

Hart aber Unfair, “Bild”s SPD-Hund, Maximal dumme CEOs

1. Ein Fall für den Presserat
(faz.net, Hans Hütt)
Sowohl „FAZ“ als auch „taz“ sind sich einig in ihrer Kritik der letzten Ausgabe von „Hart aber Fair“ (ARD). Die Fälle, über die Frank Plasberg in seiner Sendung über eine überlastete Justiz diskutierte, seien schrecklich. Noch schrecklicher aber sei es, dem „gesunden Rechtsempfinden“ Vorschub zu leisten. Die Sendung hätte ihren Informationsauftrag verfehlt, was auch an den mitunter suggestiven Fragen des Gastgebers gelegen hätte. Die Aussagen von „Bild“-Chef Julian Reichelt hält “FAZ”-Autor Hans Hütt gar für einen Fall für den Presserat.
Christoph Kammenhuber sieht es in der „taz“ ähnlich: Dem Moderator Frank Plasberg fehle es an juristischem Fingerspitzengefühl, er agiere als Vertreter des „gesunden Volksempfindens“ und mache Stimmung gegen die Justiz.

2. SPD wendet sich wegen “Bild”-Bericht an Presserat
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Die SPD geht juristisch gegen die Behauptung der „Bild“ vor, ein Hund könne über die GroKo abstimmen. „Bild“ hatte das Tier als SPD-Mitglied angemeldet, die Abstimmungsunterlagen für den Mitgliederentscheid über den Eintritt in die Große Koalition bekommen und das Ganze publizistisch ausgeschlachtet. Was „Bild“ verschwieg: Für eine gültige Stimmabgabe muss dem Wahlzettel eine unterschriebene eidesstattliche Erklärung beigefügt werden.

3. Newsletter statt Blog?
(1ppm.de, Johannes Mirus)
Johannes Mirus hat sich auf Twitter umgehört, warum viele Menschen lieber persönliche Newsletter versenden, statt ein Blog zu führen. Die Antworten hat er in einem Blogartikel zusammengefasst. Manche Newsletterversender folgen einfach nur dem allgemeinen Trend, andere schätzen das ausgesuchte Zielpublikum. An möglichen Gründen wurde auch die Bequemlichkeit der Empfänger genannt und das Gefühl, Teil einer “elitären Gruppe” zu sein.

4. Ralf Höcker kritisiert PR-Profis: Warum Homestorys tabu sein sollten
(kress.de, Marc Bartl)
Wenn ein Vorstandsvorsitzender einem Magazin verrät, dass er im Winter fast jedes Wochenende zum Skifahren in die Berge fährt und ein passendes Foto beisteuert, hält Medienanwalt Ralf Höcker das aus presserechtlicher Sicht für „maximal dumm“. Höcker weiter: „Wer sich selbst öffnet, opfert einen Teil seiner Persönlichkeitsrechte. Homestorys sind deshalb tabu. Diese bescheuerten Fragebögen, in denen man erklärt, welche Bücher man mit auf eine einsame Insel nimmt, sind tabu. Man redet auch nicht über seine Familie. Wenn ein CEO sich mit seinem Auto, seiner Frau und seinen Haustieren fotografieren lässt und erzählt, wie toll sein Familienleben ist, und er drei Monate später besoffen aus dem Puff kommt und einen Hund tot fährt, kann er den Bericht darüber in der “Bild” natürlich nicht mehr verhindern. Ansonsten wäre ein solcher Artikel durchaus verbietbar gewesen.“

5. Auf dem Weg zum Blockbuster-Journalismus
(medienwoche.ch, Adrian Lobe)
In Amerika experimentieren große Medienhäuser wie die „New York Times“ und „Washington Post“ mit Augmented- und Virtuality-Reality-Lösungen. Adrian Lobe schreibt in der „Medienwoche“ über Chancen und Risiken der neuen Technologien.

6. Dichotom-Energie
(dirkhansen.net)
Dirk Hansen philosophiert über die Gründe einer zunehmend aggressiver werdenden Mediengesellschaft: „Wir streiten weit unter unserem Skalen-Niveau. Weil wir die Debatten quasi mit Dichotom-Energie anheizen. Und das ist gefährlich dumm. Denn die Verhältnisse werden schwer kalkulierbar, wenn wir nur mit „gleich/ungleich“ rechnen können.“

Das Gewehr des Amokschützen wird Ihnen präsentiert von Bild.de

Julian Reichelt hatte heute Nacht eine Idee. Bei Twitter schrieb der “Bild”-Oberchef zum Amoklauf im US-Bundesstaat Florida:

Screenshot des Tweets von Julian Reichelt - When will America realize that it makes sense to ban that single rifle, the AR15? Guns have their own gravity. Availability of the AR15 makes shootings more likely to happen. For everyone considering horrific violence this rifle‘s message has become: You can do it.

Also: Das Gewehr AR-15 verbieten — und schon könnte es weniger Amokläufe geben. Ob das wirklich so einfach ist, wissen wir nicht. Es handelt sich aber sicher nicht um den schlechtesten Gedanken, den Reichelt je hatte.

Allerdings will dieser Tweet nicht so ganz zu dem Artikel passen, den Bild.de — also die Seite, die Julian Reichelt verantwortet — nur wenige Minuten zuvor mit dieser Überschrift veröffentlicht hat:

Screenshot Bild.de - Sturm-Gewehr AR-15 - Die tödliche Waffe des Amok-Schützen von Parkland

Neben dem Hinweis, dass das Gewehr “als Lieblingswaffe vieler Amokläufer” in den USA “eine traurige Berühmtheit erlangt hat”, einer detaillierten Auflistung, wo nun genau das Gewehr von welchem Schützen eingesetzt wurde, und der beruhigenden Nachricht, dass es auch “mit der AR-15” möglich sei, “sehr zügig viele Schüsse abzugeben”, findet man in dem Bild.de-Artikel eine Grafik, die in dieser Form auch aus einem Verkaufsprospekt des Herstellers stammen könnte (die Grafik zeigen wir hier natürlich nicht — wir sind ja nicht blöd). Dort erklärt die Redaktion, welche Mündungsgeschwindigkeit das Gewehr hat. Mit welchen Modulen man es erweitern kann. Dass es ein ergonomisches Design hat. Wie schwer es ist. Wie weit die Schüsse reichen. Dass das Magazin “NATO-Standard” hat. Und all diesen Mist, den man zum Beispiel wissen möchte, wenn man auf der Suche nach einer Waffe ist, um damit wasauchimmer anzustellen. Um das alles zu erfahren, muss man jetzt praktischerweise nicht mehr in einen Waffenladen gehen oder sich in düsteren Foren rumtreiben. Es reicht ein Besuch auf dem größten Nachrichtenportal Deutschlands.

Bild.de macht bei Amokläufer-Inszenierung mit

Wir raten in solchen Fällen immer: Zeigt nicht das Gesicht des Täters, nennt nicht den Namen. Er soll nicht zur “Berühmtheit” werden, sondern dem Vergessen anheimfallen. Das kann Nachahmer abschrecken.

Das sagte der Psychologe Jens Hoffmann in einem Interview nach dem Amoklauf in München im Juli 2016. Seit vielen Jahren warnt er Redaktionen davor, Amokläufer (unfreiwillig) zu Helden der Szene zu machen, indem sie die Täter in der Berichterstattung auf ein Podest heben.

Bei Bild.de scheinen sie von solchen Bedenken nicht viel zu halten. Die Mitarbeiter des Portals nennen — entgegen Hoffmanns Empfehlung — den Namen des Amokschützen, der in Florida 17 Menschen erschossen hat. Sie zeigen — entgegen Hoffmanns Empfehlung — sein Gesicht, zum Beispiel auf einem Foto, das ihn bei der Festnahme zeigt. Beides gehört seit langer Zeit zum “Bild”-Standardprogramm und wird auch von anderen Medien im aktuellen Fall praktiziert.

Bild.de geht in der Berichterstattung über den Amoklauf in Parkland aber noch einen gefährlichen Schritt weiter: Das Portal zeigt Fotos, auf denen sich der Schütze mit Waffen in Szene setzt. Er posiert darauf mit Messern und mit einer Pistole. Das Bild.de-Team tut ihm den Gefallen, diese Inszenierungen einem Millionenpublikum zu präsentieren — groß in einem Artikel und etwas kleiner, aber dafür ganz oben auf der Startseite:

Screenshot der Bild.de-Startseite, auf der Fotos des Amokschützen zu sehen sind, darunter auch ein Foto, auf dem er mit einer Pistole posiert
Screenshot Bild.de - Fotos, auf denen der Amokschütze mit mehreren Messern posiert
(Alle Unkenntlichmachungen durch uns.)

Jens Hoffmann sagt:

Wer die Amokläufer mit Gesicht und vollem Namen zeigt, der macht sie damit zu Helden. Potenzielle Nachahmungstäter sehen das und begreifen, dass eine solche Tat sie unsterblich machen wird.

… und dass ihnen mit ihren Poser-Fotos ein prominenter Platz in den “Bild”-Medien sicher ist.

Es geht hierbei auch gar nicht darum, dass wir beim BILDblog laut “Bild”-Chefchef Julian Reichelt die “Das-darf-man-nicht-Ayatollahs” sind. Es geht schlicht um den gesunden Menschenverstand: Wenn das Veröffentlichen derartiger Fotos auch nur im Ansatz die Gefahr birgt, dass sich Nachahmungstäter dadurch angesprochen und motiviert fühlen, dann muss man eine solche Veröffentlichung unbedingt bleiben lassen.

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