Suchergebnisse für ‘Frankfurter Rundschau’

Odenwald-Internat, Henker, Philip Roth

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die BILD-Geschichte um einen Po”
(gregel.com)
Bild.de übernimmt ein YouTube-Video, versieht es mit Werbung und behauptet, eine darin zu sehende Frau würde ein Videospiel mit ihrem Po steuern. Dass das Unsinn ist, klärt sich in den von Bild.de nicht gezeigten Schlußsekunden des Videos auf.

2. “Benzin-Wut – Nunja …”
(carta.info, Robin Meyer-Lucht)
Robin Meyer-Lucht widmet sich der “Bild”-Schlagzeile “Benzin-Wut”.

3. “Missbrauch am Odenwald-Internat”
(zeit.de, Jana Simon und Stefan Willeke)
Die “Zeit” versucht aufzuklären, warum der bereits 1999 von der “Frankfurter Rundschau” aufgedeckte Missbrauch an der Odenwaldschule nicht von anderen Journalisten aufgegriffen wurde. “Fehleinschätzungen über die Dimension des Skandals, Desinteresses am Thema, die Unlust zu recherchieren – und gelegentlich das Bedürfnis, die Reformpädagogik gegen Angriffe zu schützen. Das berichten heute Journalisten, die damals für die Berichterstattung über Schulen verantwortlich waren.”

4. “Perfide Wettermacher”
(nzz.ch, ras.)
Der Fall Jörg Kachelmann: Rainer Stadler nennt jene “Wettermacher der Öffentlichkeit”, die Behauptungen zu Tatsachen verkürzen, “Henker”. “Am einen Tag zeigt man Empörung über den Wettermann, weil er während eines kurzen öffentlichen Auftritts lachte oder lächelte. Am nächsten Tag gibt irgendein Hobby-Psychologe dem letztlich vieldeutigen Lachen eine simple Erklärung, möglichst mit moralisierendem Unterton.”

5. “Counterfeit Roth”
(newyorker.com, Judith Thurman, englisch)
Der italienische Zeitungsjournalist Tommaso Debenedetti erfindet Interviews mit den Schriftstellern John Grisham und Philip Roth. Ans Licht kommt das erst, als Roth von einer italienischen Journalistin auf seine in “Libero” publizierten Aussagen angesprochen wird. “But I have never said anything of the kind!”

6. “Quotendruck macht Fernsehen dumm”
(youtube.com, Video, Nico Semsrott, 2:45 Minuten)
“Der Hauptfeind des Fernsehens ist die Realität.”

Krokodilstränen, Enke, Karnevalsberichte

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Jüngstes Trauma der Kritik”
(freitag.de, Dorothea Dieckmann)
Dorothea Dieckmann über Krokodilstränen, fernsehkompatible Trivialliteratur und “Des Kaisers neue Kleider” im Fall “Axolotl Roadkill”. “(Auch) ich habe den Hype bedient wie viele abhängige Rezensenten, die für eine dreistellige Summe über Hegemann schrieben, die derweil eine mindestens achtstellige Summe anschafft.”

2. “Der Enke-Effekt”
(sz-magazin.sueddeutsche.de, Christoph Cadenbach)
Drei Monate nach Stefan Niggemeier schreibt auch das Magazin der “Süddeutschen Zeitung” über durch die Berichterstattung über Selbstmorde angeregte Selbsttötungen. Statistische Zahlen dazu erscheinen erst in zwei Jahren: “Nachdem sich Enke im vergangenen November das Leben nahm, habe es eine ‘drastische’ Steigerung der Suizide in Deutschland gegeben, sagt der Leipziger Psychiatrieprofessor Ulrich Hegerl. Von viermal so vielen Toten allein Mitte November ist die Rede.”

3. “Kampf mit dem Verleger”
(taz.de, Steffen Grimberg)
Bei den Redaktionsmitgliedern von Zeitungen wie “Frankfurter Rundschau” und “Berliner Zeitung” kehrt Ernüchterung ein nach einer anfänglichen Begeisterung für den neuen Verleger M. DuMont-Schauberg: “In den Musterverträgen für die neue Redaktionsgemeinschaft aller vier Blätter, die am 1. April ihre Arbeit aufnehmen soll, finden sich gut drei Seiten Kleingedrucktes zum Urheberrecht und an wen der Verlag die Artikel alles weiterverkaufen darf. ”

4. “Widerstand zwecklos”
(sueddeutsche.de, Alexander Kissler)
Alexander Kissler mit einer Kritik zur RTL-Sendung “Teenager außer Kontrolle”: “Wann immer die Hauptpersonen lachen, fallen die Posen von ihnen ab. Dann sind sie tatsächlich, was ein Vater lakonisch ausspricht, ‘die Kinder’ und nicht ‘Teenager außer Kontrolle’. Lange darf solche Besinnung nicht währen. RTL, Deutschlands erfolgreichster Kontrolleur, hat die nächste Eskalationsstufe längst im Köcher.”

5. “Kreativservice für Lokaljournalisten”
(thomastrappe.wordpress.com)
“Nach Studie mehrerer bundesweiter Karnevalsberichte der vergangenen Tage stelle ich den folgenden von mir großzügig erstellten Text kostenlos zum Kopieren zur Verfügung.”

6. “Deutschland degeneriert in ein Entwicklungsland”
(netzwertig.com, Marcel Weiss)
Dritter und letzter Teil einer Serie über Deutschland und das Internet. “Das Internet ist kein Medium neben anderen. Es läuft nicht parallel. Es ist das Medium. Es wird langfristig alle anderen Übertragungsformen von Medien und Kommunikation ersetzen.”

Eine Titelgeschichte aus dem Internet

Am 21. Januar stand es in der “Stuttgarter Zeitung”, in der “Frankfurter Rundschau” und im “Tagesspiegel”: Die FDP hat mit der Krankenversicherung DKV einen Gruppenvertrag abgeschlossen, der FDP-Mitgliedern Vorteile einräumt.

Solche Rabatte sind (auch für Journalisten) nicht ganz unüblich. Für die “Hamburger Morgenpost” war es heute dennoch, wenn nicht die wichtigste, so zumindest die größte Story:

Titelseite der 'Hamburger Morgenpost' vom 22.1.201

Dierk Rohwedder, Autor des “MoPo”-Artikels, verweist in seiner Darstellung der Lage einmal auf den Online-Dienst sueddeutsche.de. Doch mehr noch.

Wir sehen links Auszüge aus einem Artikel, den Thorsten Denkler gestern Mittag auf sueddeutsche.de veröffentlicht hat — und rechts den kompletten Text von Rohwedders Titelgeschichte “Billig-Tarif für FDP-Mitglieder”:

sueddeutsche.de mopo.de
  Nach dem Hotelier-Skandal schlittert die FDP in die nächste Krise: Die Liberalen kungeln immer ungenierter mit den privaten Krankenkassen. Die 72000 FDP-Mitglieder bekommen von der DKV, Europas größter privater Krankenversicherung, sogar eine Luxus-Versicherung mit Rabatt und Rundum-sorglos-Paket.
“Exklusiv für FDP-Mitglieder”, so lautet das Angebot. (…) So wirbt die Deutsche Krankenversicherung DKV, Europas größter Privatversicherer, auf der FDP-eigenen Internet-Plattform netzwerk-mit-nutzwert.de. “Exklusiv für FDP-Mitglieder”, so wirbt die DKV (3,7 Mio. Mitglieder) auf der FDP-eigenen Internetseite www.netzwerk-mit-nutzwert.de.
Hochgespült hat die Geschichte der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion, Volker Beck. Das hatte der Grünen-Abgeordnete Vollker Beck am Vortag im Bundestag enthüllt.
Weitere Informationen? Nur für den, der sich als “FDP-Mitglied verifizieren” kann. Und das bekommen alle, die sich als “FDP-Mitglied verifizieren”
Es gibt Fünf Prozent Rabatt. Vorerkrankungen sind – anders als üblich – kein Grund, den Versicherungsschutz zu verweigern. Familienmitglieder werden mitversichert und Wartezeiten gibt es auch nicht. Fünf Prozent Rabatt, Vorerkrankungen sind kein Grund, den Versicherungsschutz zu verweigern (anders als sonst üblich), die normalen Wartezeiten gibt es nicht, Familienmitglieder werden mitversichert.
Auf den Seiten der DKV selbst wird es noch deutlicher. Das Logo der Liberalen prangt unter dem der DKV. Daneben drei glückliche Anzugträger und der Claim: “Freie Demokratische Partei und DKV – starke Partner”. “Freie Demokratische Partei und DKV – starke Partner”, so wirbt die Krankenversicherung auf ihrer eigenen Homepage ungeniert mit dem Emblem der FDP.
“Die DKV bietet insgesamt etwa 1000 Firmen und Verbänden solche Gruppenverträge an”, sagt Sybille Schneider, Sprecherin der DKV. (…) Auch der Deutsche Journalistenverband bietet über Gruppenverträge Versicherungen mit der DKV an. Tatsächlich bietet die DKV zahlreiche Gruppenverträge für Unternehmen und Berufsgruppen an, auch für die Pressebranche, Journalisten inbegriffen.
Pikant aber ist, dass ausgerechnet eine Partei, die sich ohnehin massiv für die Belange der privaten Versicherungswirtschaft einsetzt, mit Europas größtem privatem Krankenversicherer kooperiert. FDP-Gesundheitsminister Philipp Rösler sieht seine wesentliche Aufgabe darin, das Gesundheitssystem von der solidarischen Umlagefinanzierung auf private Füße zu stellen. Er hat gerade mit Christian Weber einen Chef-Lobbyisten der privaten Krankenversicherungen zum Leiter seiner Grundsatzabteilung gemacht. In diesem Fall aber ist die Sache pikant, weil die FDP sich schon seit Langem für die privaten Krankenversicherungen starkmacht, bei denen vorwiegend Besserverdienende versichert sind. Der neue FDP-Gesundheitsminister Philipp Rösler arbeitet mit aller Kraft am Umbau des Gesundheitssystems – weg von der solidarischen Umlagefinanzierung hin zur einheitlichen Kopfpauschale mit privater Zusatzversorgung. Das würde das Geschäft aller “Privaten” erheblich fördern. Unter Röslers Vorgängerin Ursula Schmidt war der Zulauf aus den gesetzlichen Krankenkassen hin zu den “Privaten” weitgehend gestoppt worden.
Eingefädelt hatte die FDP das Geschäft schon 2003. Parteichef Guido Westerwelle hatte damals seinem alljährlichen “Dreikönigsbrief” an die Mitglieder eine Broschüre beigelegt, in der FDP und DKV gemeinsam für das Angebot der DKV warben. Laut “sueddeutsche.de” soll Parteichef Guido Westerwelle selbst die Kooperation mit der DKV ausgehandelt haben.
Nina Katzemich, Sprecherin von Lobbycontrol, sagte zu sueddeutsche.de: “In der Politik entsteht bei so etwas immer der Verdacht, dass sich da ein Unternehmen eine Partei gewogen machen möchte.” Das gelte “erst recht, wenn sie in Regierungsverantwortung steht, da wird es noch etwas gefährlicher”. Nina Katzemich, Sprecherin von Lobbycontrol, findet das höchst bedenklich. Es entstünde hier der Verdacht, dass “sich da ein Unternehmen eine Partei gewogen machen möchte”. Das gelte erst recht, wenn diese Partei in der Regierungsverantwortung stehe. “Da wird es noch etwas gefährlicher.”

Fast die gleiche Version seiner “Morgenpost”-Geschichte hat Autor Rohwedder übrigens auch im “Berliner Kurier” und
“Kölner Express” platzieren können, dort allerdings nicht ganz so prominent:

Titelseite 'Express' vom 22.1.2010

Bild  

Stasi-Akten-Recycling mit Verena Becker

Es sah aus wie eine Enthüllung, was die “Bild”-Zeitung gestern zum Thema der wieder verhafteten ehemaligen RAF-Terroristin Verena Becker zu bieten hatte:

Die Akten über Verena Becker und ihre Kontakte zum Verfassungsschutz hält das Innenministerium unter Verschluss. BILD liegen dagegen die Stasi-Akten über Verena Becker vor. Daraus geht hervor: Die RAF-Terroristin, die 1989 begnadigt wurde, soll bereits 1972 Kontakt zum Verfassungsschutz gehabt haben. Also bereits fünf Jahre vor dem brutalen Mord an Buback. Im Aktenvermerk der Hauptabteilung II/2 vom 2. Februar 1978 heißt es: "Es liegen zuverlässige Informationen vor, wonach die B.(ecker) seit 1972 von westdeutschen Abwehrorganen wegen der Zugehörigkeit zu terroristischen Gruppierungen bearbeitet bzw. unter Kontrolle gehalten wird."

“Bild” fragte den Sat.1-Moderator Stefan Aust, was das zu bedeuten habe, und Aust antwortete:

“Wenn sich jetzt herausstellt, dass Verena Becker schon 1972 Kontakt zum Verfassungsschutz hatte, dann muss man diesen Informationen nachgehen.”

Er vermutet “irgendeine Art Deal mit den Ermittlungsbehörden oder dem Geheimdienst”.

Spannende Sache, nur: Da hat sich jetzt nichts herausgestellt. Der Inhalt der Stasi-Akten, aus denen “Bild” zitiert, war erstens längst bekannt und ist zweitens mit größter Wahrscheinlichkeit anders zu interpretieren.

Der Südwestrundfunk berichtete schon im Juni 2007 über die Formulierung, über die “Bild” jetzt gestolpert ist. Die SWR-Reporter Tobias Hufnagl und Holger Schmidt fragten damals, anders als “Bild” heute, sogar bei dem zuständigen Stasi-Mitarbeiter nach, was dahinter steckte.

Nach den Worten Hufnagls bedeutet die Formulierung “von gegnerischen Diensten bearbeitet” nicht, dass Verena Becker schon 1972 in irgendeiner Weise für den Verfassungsschutz gearbeitet habe, sondern nur, dass sie Terroristin sei und von den Diensten als solche behandelt werde. “Unter Kontrolle halten” sei Stasi-Jargon für “beobachten”, als “Terrorist führen”. Auch das Bundeskriminalamt und die Generalbundesanwältin seien zu diesem Schluss gekommen.

Über den Satz aus der Stasi-Akte von Verena Becker ist seit 2007 immer wieder berichtet worden, zum Beispiel im Juli 2007 in der “taz”, im Oktober 2007 in der “Frankfurter Rundschau”, im Dezember 2007 in der “Zeit”, im November 2008 in der “Süddeutschen Zeitung”.

Aber weil die “Bild”-Zeitung im August 2009 so tut, als sei er erstens neu und zweitens spektakulär, glauben es viele Nachrichtenagenturen und Medien. Die Agentur AFP meldete gestern:

Laut “Bild” soll Becker bereits fünf Jahre vor dem Buback-Mord Kontakt zum Verfassungschutz gehabt haben. Die Zeitung zitiert einen Aktenvermerk der Stasi-Hauptabteilung II/2 vom 2. Februar 1978. Dort heißt es dem Blatt zufolge: “Es liegen zuverlässige Informationen vor, wonach die B.(ecker) seit 1972 von westdeutschen Abwehrorganen wegen der Zugehörigkeit zu terroristischen Gruppierungen bearbeitet bzw. unter Kontrolle gehalten wird.”

Die Agentur AP demonstrierte ihre Ahnungslosigkeit mit einer Meldung unter der Überschrift:

Verfassungsschutzkontakt offenbar schon vor Buback-Mord / Laut “Bild” entsprechende Stasi-Akten über Verena Becker.

Und auch die Agentur ddp verbreitete die alte Geschichte unter Berufung auf “Bild” treuherzig als brisante Neuigkeit.

Am Nachmittag brachte AFP immerhin das nüchterne Dementi:

Die Bundesanwaltschaft bezeichnete den in den Stasi-Akten erhoben Vorwurf als bekannt und bereits widerlegt.

Und auch die Stasi-Unterlagenbehörde wies gestern laut “FAZ” darauf hin, “dass nach ihrer Lesart der Akte Frau Becker das Objekt, nicht die Kontaktperson für Aktivitäten des Verfassungsschutzes gewesen sei”.

Schöne Medienwelt: Am Montag bringt “Bild” eine alte und grob irreführende Geschichte. Am Dienstag steht sie in ungezählten vermeintlich seriösen Medien.

Gratiszeitungen, Poschmann, Street View

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Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Umsonst ist der Tod”
(ftd.de, Lutz Knappmann)
Die Werbekrise verschärft den Wettbewerb zwischen den Gratisblättern – einige werden derzeit eingestellt. Nach Deutschland wage sich nach dem “Kölner Zeitungskrieg” niemand mehr. “Seither gibt es hierzulande keine Gratiszeitung mehr. Und so wird es wohl auch bleiben.”

2. “Empörung über ZDF-Reporter wächst”
(sueddeutsche.de)
ZDF-Sportreporter Wolf-Dieter Poschmann sagt über den Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf: “Wenn man in Marzahn aufgewachsen ist und das unbeschadet überlebt hat, ist man zu allem fähig”. Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Petra Pau, ist empört, ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz sieht die Aussage als “humoristische Randnotiz”.

3. “Was soll die Empörung über Google Street View?”
(blog.jacomet.ch, Andi Jacomet)
Andi Jacomet ärgert sich über den “Riesenaufstand” zur Einführung von Google Street View in der Schweiz: “Wieso gibts keinen Aufschrei, wenn die Tagesschau Strassen-Alltagsszenen sendet oder Zeitungen klar erkennbare Personen in Menschenansammlungen abdrucken, was täglich zig-fach vorkommt, wie diese Woche im ‘Bund’?”

4. “alpha- und beta-journalismus”
(gig.antville.org, Andrea Diener)
Andrea Diener über eine Buchrezension in der “Frankfurter Rundschau”: “Ich weiß ja, daß das für die Kollegen vom Qualitätsjournalismus wirklich schwer vorzustellen ist, aber es gibt tatsächlich so etwas wie eine Lust am Schreiben, die auch mit dem offiziellen abendlichen Ablegen des Redaktionsbleistiftes im modernsten Newsroom Deutschlands noch nicht restlos versiegt.”

5. “Presseeinfalt”
(wortfeld.de, Alexander Svensson)
Alexander Svensson schiesst am U-Bahn-Kiosk ein Foto von verschiedenen angebotenen Frauenzeitschriften.

6. Tippfehler im Titel der Zeitung
(probablybadnews.com)
Die Zeitung “Valley News” macht einen gravierenden Tippfehler auf der Titelseite (“Valley Newss”).

Bild, focus.de  etc.

Michael Jackson – Jahre vor seinem Tod

Man kann nicht sagen, dass “Bild” dieser Geschichte nicht genug Platz eingeräumt hätte:

Michael Jackson Stunden vor seinem Tod - Da tanzte er noch auf dem Tisch

Im Innenteil widmet “Bild” Jackson drei Seiten, zeigt “die letzten Fotos” und wagt weitreichende Interpretationen:

Vor vier Tagen starb der “King of Pop” mit nur 50 Jahren. Nur wenige Stunden zuvor probte er noch in Los Angeles für seine neue Show. Jacko trägt schwarze Klamotten, er tanzt, er wirkt gelöst, zufrieden, er spricht mit den Komparsen. Es sind Fotos der letzten Probe, die das Drama um Michael Jackson in einem noch mysteriöseren Licht erscheinen lassen. Denn der Jackson, den wir auf den Fotos sehen, sieht nicht totkrank [sic] aus.

Dass Jackson auf den Fotos so vital wirkt, könnte natürlich auch damit zusammenhängen, dass sie nicht am “vergangenen Mittwoch” entstanden sind, sondern schon etwas früher: im November 2003, bei den Dreharbeiten zum Musikvideo “One More Chance”, das nie fertiggestellt wurde, weil zeitgleich die Ermittlungen gegen den Popstar wegen Kindesmissbrauchs begannen.

Ein Kalender für 2006 zeigt Jackson im gleichen Aufzug und mit der gleichen Frisur an dem Tisch sitzen, auf dem er angeblich am Mittwoch tanzte.

Möglicherweise ist das auch der Grund, warum der Artikel bei Bild.de — ohne jede Erklärung — plötzlich nicht mehr verfügbar ist.

Aber “Bild” ist nicht als einziges Medium auf die umetikettierten Fotos hereingefallen. Auch “Welt” und “Berliner Morgenpost” und viele andere internationale Medien berichteten über die Bilder vom “Tag vor seinem Tod”. Auch der Internetdienst TMZ.com, der am Donnerstag als erstes Medium über Jacksons Tod berichtet hatte, zeigte zwischenzeitlich die Fotos und präsentierte sie als neu.

“Focus Online” hat inzwischen recherchiert, wie es zu dem Vorfall kommen konnte:

Des Rätsels Lösung: Die “Bild”-Zeitung ist einem dreisten Betrug aufgesessen, denn die Aufnahmen schienen zwar exklusiv und noch nie veröffentlicht worden zu sein, doch sie entstanden bereits 2003. “Es stimmt, die Bilder sind sechs Jahre alt”, erklärte Michael Symanowski von der Potsdamer Agentur Reflex im Gespräch mit FOCUS Online. […]

“Wir sind den Tränen nah”, sagt Michael Symanowski. Für die “Bild”-Redaktion gilt heute sicher das Gleiche.

Was “Focus Online” dabei elegant verschweigt: In einem eigenen Artikel, auf den sich wiederum max.de und tvspielfilm.de bezogen, prangten bis vor kurzem noch diese Bilder:

Einen Tag vor seinem Tod steht Jackson nochmals im Rampenlicht, klatscht seine Komparsen ab. / Jacksons letzter Tisch-Tanz.

PS: Einigermaßen bemerkenswert ist übrigens die selektive Wahrnehmung der “Focus Online”-Redaktion:

Die Verwunderung war groß, als der Blick in die Montagausgabe der “Bild”-Zeitung fiel. Stolz präsentierte das Blatt die angeblich letzten Fotos von Michael Jackson. […]

Doch schnell kamen Zweifel an der Echtheit der Bilder auf.

Mit Dank auch an die vielen Hinweisgeber.

Nachtrag, 16:15 Uhr: “Focus Online” hat seinen Artikel noch mal ein bisschen nachbearbeitet. Plötzlich finden sich darin auch Bezugnahmen aufs eigene Medium:

Auch FOCUS Online war den falschen Bildern zunächst aufgesessen und hatte einige davon für die Berichterstattung zum Tod von Michael Jackson übernommen. […]

Die “Bild”-Zeitung und andere Medien, darunter auch FOCUS Online, sind einem dreisten Betrug aufgesessen […]

Über die Tränen der “Bild”-Redaktion wird dafür nicht mehr gemutmaßt.

2. Nachtrag, 17:15 Uhr: Bild.de erklärt in einem eigenen Artikel, wo die falschen Bilder herkamen, und schließt ungewohnt offen:

Ausdrücklich bedankt sich BILD bei den zahlreichen Michael-Jackson-Fans, die uns auf den Schwindel aufmerksam gemacht haben. Dass auch wir darauf reingefallen sind, bedauern wir.

3. Nachtrag, 30. Juni: Auch “Welt Online”, “Berliner Morgenpost” und “Frankfurter Rundschau” haben bereits gestern teils ausführlich erklärt, wie die falschen Bilder in ihre Angebote gekommen waren.

Presserabatte, Münkler, Zimmermann

1. “Ist der Journalismus am Ende?”

(carta.info, Robert G. Picard)

Robert G. Picard mit einem aus seinem Blog “The Media Business” übersetzten Beitrag: “Journalismus ist kein Geschäftsmodell, keine Arbeitsstelle, kein Unternehmen, keine Branche, keine Medienart und kein Distributionssystem. Im Kern ist Journalismus eine Aktivität.”

2. “Herfried Münkler kämpft gegen das Internet”

(netzpolitik.org, markus)

Markus Beckedahl analysiert auf eine Kolumne des in Berlin lehrenden Politikprofessors Herfried Münkler in der Frankfurter Rundschau: “Hilfe. Sowas drucken Qualitätsmedien im Jahre 2009! Und da wundern sich Verlage, dass junge und gebildete Menschen sich keine Zeitungen mehr kaufen?”

3. “Presserabatte: Wie Journalisten um Prozente feilschen”

(ndr.de, Video, 11:25 Minuten)

“Ein günstiger Flug, ein ermäßigtes Auto, ein Computerschnäppchen – als Journalist zahlt man meist weniger als andere. Ohne großen Aufwand. Ganz einfach, weil sich Unternehmen positive Berichte erhoffen.”

4. Interview mit Albert P. Stäheli

(handelszeitung.ch, Gret Heer)

Der CEO der NZZ-Gruppe hat Sparmassnahmen eingeleitet, dennoch schreibt das Unternehmen Verluste. Er denkt nun über Einnahmen aus dem Internet nach. Die allgemeinen News sollen kostenlos bleiben: “Bei Finanzdienstleistungen, spezifischen Wirtschaftsthemen und Kommentaren von exzellenten Autoren ist eine Veränderung aber denkbar.”

5. Interview mit Russell Crowe

(morgenpost.de, Rüdiger Sturm)

Schauspieler Russell Crowe wäre gerne Journalist geworden. Allerdings: “Die Medien sind völlig zynisch geworden. Da nimmt man ein Stück Nichtigkeit und bläst es so auf, dass es in den freien Platz neben der Anzeige auf Seite fünf passt. Und die Generation, die damit aufwuchs, kann schon nicht mehr Unsinn von Wahrheit unterscheiden. Ich bin noch in einer Zeit groß geworden, wo bestimmte Zeitungen als unerschütterliche Vermittler von Fakten galten, aber das hat sich leider geändert.”

6. “Leiser Ruf nach dem Staat”

(weltwoche.ch, Kurt W. Zimmermann)

Kurt W. Zimmermann versucht das Kunststück, sich für “indirekte Beihilfen” des Staats an die etablierten Verlage auszusprechen und gleichzeitig dem Leser zu vermitteln, dass er eigentlich eine gegenteilige Haltung hat: “Wir haben an dieser Stelle immer liberale Positionen vertreten. Wir sind gewiss keine Etatisten. Aber wir wissen, dass die Medien vor wüsten Zeiten stehen. Sie brauchen Unterstützung vom Staat.”

Bild  

Der Superserienmilchbubigangster

Man muss vermuten, dass diesem Mann so ziemlich alles egal war: Er nahm beim Überwinden des “messerscharfen Stacheldrahts” erhebliche Verletzungen in Kauf und hinterließ sichtbare Blutspuren. Danach sprang er von einem Dach, das zwischen sechs und sieben Meter hoch war — “schwere Verletzungen”, so heißt es, hätten hier die Folge sein können.

Lyes B., ein 26jähriger Algerier, nahm das alles in Kauf, ganz offensichtlich um seine Abschiebung aus Deutschland zu verhindern. Denn die stand unmittelbar bevor, B. befand sich bereits in Abschiebehaft in Frankfurt und sollte am kommenden Mittwoch ins Flugzeug gesteckt werden, um Deutschland zu verlassen. Sorgen muss sich die Bevölkerung indes nicht machen: B. gilt laut Angaben des hessischen Justizministeriums als “nicht gefährlich”; es handle sich bei ihm nicht um einen “klassischen Kriminellen”, wie es in der “Frankfurter Rundschau” heißt. Abgeschoben werden sollte er insbesondere wegen Verstößen gegen das Ausländerrecht.

Ausländer und Ausbrecher zugleich — und dann soll der Mensch harmlos sein? Völlig unmöglich, und außerdem auch keine wirklich knackige Geschichte, dachte man sich anscheinend bei “Bild”.

Und so, liebe Leser, macht man dann aus dem wenig spektakulären Abschiebehäftling eine wirkliche “Bild”-Geschichte.

Schritt 1: Abschiebehäftling klingt fad und passt in keine Überschrift. Abschiebehäftling flieht aus Abschiebehaft, das will ja nun auch wirklich kein Mensch lesen. Konstruieren Sie deshalb Gegensätze und Superlative und fügen alles in einer einprägsamen Zeile zusammen. Beispielsweise so:

Milchbubi floh aus Super-Knast

Schritt 2: Der “Bild”-Leser mag sich wahlweise bei der Lektüre seines Blattes aufregen, entrüsten und auch mal ein wenig gruseln. Sorgen Sie also bitte dafür, dass aus langweiligen Abschiebehäftlingen irgendetwas wird, was ein wenig zum Fürchten ist. Man könnte ihn beispielsweise als “Serien-Verbrecher” titulieren, müsste aber, nur um ganz sicherzugehen, auch darauf hinweisen, dass er eine Gefahr für die Bevölkerung darstellt. Ein schöner Vorschlag wäre beispielsweise das hier:

Im Polizei-PC ist er als „Gewalttäter” und Serien-Verbrecher gespeichert. Zuletzt war die Bevölkerung sicher vor ihm – schließlich saß dieser Gangster seit 2 Wochen im Knast!

Und wenn Ihnen danach der Rest der Geschichte wirklich ein wenig unspektakulär gerät, macht nichts, die Message ist nach den ersten zwei Absätzen und der Überschrift angekommen: Als Milchbubi getarnter ausländischer Seriengangster  trickst kompletten Superknast aus, du liebe Güte — wenn das mal kein Grund zum Gruseln ist.

Mit Dank an Volkmar D.!

Bild  

Ein Gewinn für die Tonne

Oh ja, “ausgerechnet” (O-Ton “Bild”) Jakob Augstein lobt die “Bild”. Das Blatt zitiert den Herausgeber Verleger der Wochenzeitung “Freitag” aus einem Interview in der “Frankfurter Rundschau”:

“Jeden Tag eine BILD, das macht total Sinn. Ich glaube, dass ich über das, was tatsächlich in der Gesellschaft los ist, aus der BILD mehr erfahre als aus der ‘Süddeutschen’.”

Weswegen “Bild” sofort ein “Stimmt!” hinzufügt und ihn heute zum “Gewinner des Tages” macht.

Übrigens, Augstein sagte in diesem Zusammenhang sogar noch mehr:

“Jeden Tag eine Bild, das macht total Sinn, weil das Boulevard ist, großflächig, flashig, das kriegen Sie nur mit Papier hin. Die kaufen Sie für kleines Geld, blättern sie einmal durch und stecken sie dann in die nächste Mülltonne.”

Mit Dank an Thomas L.!

Prantl, Nerds, Resolutionen

1. “‘Das Internet’ gibt es nicht”

(spiegel.de, Christian Stöcker)

“Es wird viel geschimpft auf ‘das Internet’ in diesen Tagen. Es macht dumm, es ist der Feind des Geistes, es tut demokratisch, ist es aber nicht, behaupten seine Kritiker. Alles Quatsch, findet Christian Stöcker – ‘das Internet’ existiert gar nicht.”

2. “Leidenschaft statt Larmoyanz, Haltung statt Beliebigkeit”

(sueddeutsche.de, Heribert Prantl)

Der anlässlich der Jahrestagung von Netzwerk Recherche gehaltene Vortrag von Heribert Prantl (pdf, 48kb) wurde in einen lesenswerten Text gegossen. Prantl hält Zeitungen wie FAZ, Spiegel, Zeit, Welt, Frankfurter Rundschau und die taz für “systemrelevant”. Dennoch spricht er sich ausdrücklich gegen Staatsfinanzierungen aus: “Keine Solidaritätsabgabe für die Presse, keine Staatsbürgschaft, kein Hilfspaket und keinen Notgroschen. Den Zeitungen fehlte es gerade noch, dass es bei ihnen zugeht wie beim ZDF (…).”

3. “Die korrigierte Resolution im Wortlaut”

(blogbar.de, Don Alphonso)

Schutz im Internet” fordern die deutschen Verleger, unter anderem Axel Springer, Bauer, Gruner + Jahr, der Spiegel- und der Zeitverlag. Don Alphonso kommentiert die einzelnen Sätze der Resolution.

4. “10 Sätze zur Zukunft des Journalismus”

(agorazein.de)

“10 Sätze zur Zukunft des Journalismus, auf die ich beim Netzwerk-Recherche-Tag 09 vergebens gehofft habe.”

5. “Schlechte Quoten für das RTL-Special zur Becker-Hochzeit”

(meedia.de, Stefan Winterbauer)

“Die Hochzeitsvorbereitungen von Ex-Tennisspieler Boris Becker und seiner Verlobten Lilly Kerssenberg interessierten am Sonntag nur 1,29 Millionen 14- bis 49-jährige Zuschauer. (…) Der Fall Becker ist ein Lehrstück für Selbstvermarktung, die an ihre Grenzen stößt.”

6. “Can Computer Nerds Save Journalism?”

(time.com, Matt Villano)

“A cadre of newly minted media whiz kids, who mix high-tech savvy with hard-nosed reporting skills, are taking a closer look at ways in which 21st century code-crunching and old-fashioned reporting can not only coexist but also thrive.”

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