Strafbare Retweets, literarische Medienkritik, Merkel-Plagiat

1. Hamiltons Sieg in Japan: Alles wie immer – nur die TV-Bilder nicht
(spiegel.de, Karin Sturm)
Sportlich gab es beim Formel-1-Rennen in Suzuka keine Überraschung: Lewis Hamilton gewann zum achten Mal in dieser Saison. Für Verwunderung sorgten aber die TV-Bilder: Das Mercedes-Spitzenduo war kaum zu sehen, stattdessen die Autos aus dem Mittelfeld. Jetzt vermuten manche, es könne sich um eine Strafaktion von Formel-1-Chef Ecclestone handeln, der für die Bildregie verantwortlich ist. René Hofmann kommentiert bei sueddeutsche.de: “Allein der Verdacht, dass es so laufen könnte, beschädigt das Vertrauen in die Darstellung und damit den Wert des Sports.”

2. Journalist landet nach “Dölf”-Tweet vor dem Richter
(nzz.ch, Pascal Hollenstein)
“Privat hier”, “Meinungen sind meine eigenen” und “RT doesn’t mean endorsement”, diese Phrasen gehören zum beliebten Twitter-Bio-Bullshit-Bingo. Zumindest letztere kann man sich künftig sparen: Ein Schweizer Journalist wurde wegen Verleumdung angeklagt — weil er einen beleidigenden Tweet weitervebreitet hatte. Übrigens: Auch das FBI hält Retweets für eine strafbare Meinungsäußerung.

3. Betreutes Recherchieren
(sueddeutsche.de, Korbinian Eisenberger)
“Recherchescout” will Unternehmen mit Journalisten vernetzen. Wer für ein bestimmtes Thema nach einem Experten sucht, findet auf der Plattform Vorschläge für Gesprächspartner. Die Firmen zahlen einen dreistelligen Monatsbeitrag, für die Journalisten ist das Angebot kostenlos. Das “Netzwerk Recherche” kritisiert fehlende Transparenz und meint: “Wer zahlt, erkauft sich Einfluss auf die Berichterstattung.”

4. Medienkritik in der Literatur: Reporterpack
(spiegel.de, Klaus Brinkbäumer)
In den neuen Romanen von Umberto Eco (“Nullnummer”) und Jonathan Franzen (“Unschuld”) geht es um Medien und Journalisten und in beiden Fällen kommen sie nicht besonders gut weg. Eine Doppelrezension von “Spiegel”-Chef Klaus Brinkbäumer. Dazu auch: Umberto Eco im Interview mit “DRadio Kultur” zu den “Schattenseiten der Medien” und im Interview mit der “SZ” zur überraschend simplen Namensgebung bei seinen Protagonisten.

5. The Wall Street Journal, reported.ly, Baltimore Sun and BBC News take home 2015 Online Journalism Awards
(journalists.org)
Die “Online News Association” hat ihre jährlichen Awards verliehen. Eine Übersicht mit allen Gewinnern und reichlich Links zu interessanten und — spätestens jetzt — prämierten Onlineprojekten.

6. EIL: Plagiat in Text von Angela Merkel gefunden
(twitter.com, Moritz Döbler)
Die Liste der (möglichen) Plagiatoren wird länger und länger: Guttenberg, Schavan, von der Leyen. Und jetzt auch noch die Bundeskanzlerin zum Geburtstag des “Tagesspiegel”.

Alkohol im Dienst


Danke an Jürgen N.

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Danke an Martina S.

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Danke an Johannes P.

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Was man in Kirchen nicht alles findet …

Danke an Juri B.

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(Unkenntlichmachung durch uns.)

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Wer gegen Massenunterkünfte ist, muss gegen Flüchtlinge sein

In Potsdam sieht es derzeit so aus, wie in vielen anderen Städten und Gemeinden: Die Verwaltung sucht dringend nach möglichem Wohnraum für Geflüchtete. Bei der durchaus schwierigen Suche nach freien Plätzen hat die Stadt Potsdam auch beim örtlichen Kulturzentrum “freiLand” nachgefragt. Und das hat in einem offenen Brief geantwortet:

Am Montag dem 14.09.2015 erreichte uns über eine Arbeitsgruppe der Stadt Potsdam die Anfrage, ob auf dem freiLand-Gelände über einen längeren Zeitraum Unterkünfte für Geflüchtete aufgestellt werden könnten. Längerer Zeitraum bedeutet hier eine Unterbringung von Flüchtlingen über mehrere Jahre und nicht ein vorübergehendes Provisorium.

Die Pläne sähen vor, “zwei Container mit Stoffdächern” aufzustellen, die “jeweils 48 Geflüchteten Platz bieten sollen.” In diesen Containern befänden sich lediglich Schlafplätze, “Sanitäreinrichtungen würden zusätzlich auf dem Gelände installiert werden.” Gemeinschaftsräume und Küchen seien nicht vorgesehen, die Beheizung solle per Heißluftgebläse erfolgen.

Das ist nach Meinung des Kulturzentrums keine angemessene Lösung:

Aus unserer Sicht ist diese Form der massenhaften Unterbringung von Geflüchteten über Monate und Jahre hinweg unzumutbar. Sie nimmt den Menschen die letzten Möglichkeiten, selbstbestimmt zu leben und zu handeln.

Das “freiLand”, nach eigenen Angaben recht aktiv in der Flüchtlingshilfe vor Ort, schreibt aber auch, dass es “absolut bereit” sei, “Menschen einen Zufluchtsort — auf bestimmte oder unbestimmte Zeit — zu bieten.”

Also: Ein Angebot, Flüchtlingen einen Platz zu bieten, gleichzeitig die Forderung nach einer würdevollen Unterbringung — müsste doch eigentlich was für die “Wir Helfer” der “Bild”-Zeitung sein. Oder?

Mal abgesehen von der Verkürzung, der Verdrehung und der einseitigen Auslegung des offenen Briefes: Einer Einrichtung, die sich für eine würdevolle Unterbringung von Geflüchteten stark macht, vorzuwerfen, sie sei “richtig herzlos”, ist so, als würde man dem FC St. Pauli vorwerfen, er hätte “Kein Herz für Flüchtlinge”.

“Auto Bild”, vergesslicher “Spiegel”, Nachfolge von Hans Leyendecker

1. Bild-Kampagne “Wir helfen”: Flüchtlingshilfe als PR-Instrument?
(wdr.de, Philipp Jahn und Andreas Maus, Video, 5:00 Minuten)
Im August startete die “Bild”-Zeitung die Aktion “Wir helfen”. Zahlreiche Fußballvereine wollten sich nicht für die Kampagne einspannen lassen, viele Spitzenpolitiker hatten damit offenbar weniger Probleme. Was brachte Frank-Walter Steinmeier, Sigmar Gabriel und sogar Gregor Gysi dazu, gemeinsame Sache mit “Bild” zu machen? Ging es dabei wirklich um Flüchtlingshilfe, oder steckte nicht auch und vor allem ein geschicktes PR-Kalkül dahinter?

2. Diesel-Skandal: Auto Bild rudert bezüglich BMW-Abgasen zurück
(bimmertoday.de, Benny)
“Auto Bild” meldete gestern exklusiv, beim BMW-Modell X3 gebe es ebenfalls Probleme mit einer Abgasnorm. Zwangsläufig sei der Eindruck entstanden, “dass auch BMW bei Abgastests betrogen habe”, schreibt das Autoportal “BimmerToday”. Der Aktienkurs des Konzerns litt unter der Meldung, in einer Stellungnahme musste BMW gegen die Nachricht anarbeiten. Und “Auto Bild” zurückrudern: “Hieß es am Morgen noch ‘Exklusiv: BMW-Diesel überschreitet Abgasgrenzwerte deutlich’, lautet die Überschrift inzwischen ‘Kein Indiz für Manipulation bei BMW’.”

3. Der “Spiegel” vergisst sich
(stefan-niggemeier.de, Boris Rosenkranz)
Nach dem Germanwings-Unglück stand für den “Spiegel” fest: Der Co-Pilot “tötete, per Knopfdruck, vielleicht nur, weil er es […] konnte; ein größenwahnsinniger Narzisst und Nihilist.” Ziemlich genau ein halbes Jahr später klingt das geringfügig anders: “In der Ermittlungsakte von [L.] findet sich keine Spur von krankhafter Selbstliebe.” Die Rolle der Medien beschreibt der “Spiegel” dabei so: “Nach der Tat vermuteten viele übersteigerten Narzissmus.” Die Redaktion versuche, “pfeifend im Getümmel zu verschwinden”, schreibt Boris Rosenkranz.

4. Die Nischenreporter
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Christian Jakubetz, der das Crowdfunding der “Krautreporter” im vergangenen Jahr schon einmal etwas vorschnell für gescheitert und das Projekt im Juni für “belanglos” erklärte, übt nun erneut Kritik. Außerhalb der digital-medialen Filterblase habe niemand Notiz genommen, eine wirklich herausragende Geschichte sei nicht in Erinnerung geblieben. Für die Zukunft ist Jakubetz wenig optimistisch: “Dass es das Projekt doch noch in eine breite öffentliche Wahrnehmung schafft, glauben sie vermutlich nicht mal mehr selbst.”

5. Investigativ-Chef: “Süddeutsche Zeitung” klärt Nachfolge von Leyendecker
(rnd-news.de, Ulrike Simon)
Im Sommer, beim Jahrestreffen des “netzwerk recherche”, hat Hans Leyendecker angekündigt, in absehbarer Zeit in Rente gehen zu wollen. Seitdem gibt es die Frage, wer seine Nachfolge als Leiter des Investigativressorts der “Süddeutschen Zeitung” antritt. Ulrike Simon hätte da jemanden: “SZ”-Washingtonkorrespondent Nicolas Richter.

6. Online-Kommentator, der gutes Argument vorbringt, durch Schreibfehler als Idiot entlarvt
(der-postillon.com)

Ein Schubser wie ein Schlag ins Gesicht

Auch wenn der VfL Osnabrück und Preußen Münster in der 3. Liga nicht auf der ganz großen Fußballbühne spielen — bei den Derbys zwischen beiden Vereinen ist immer richtig was los. Pyrotechnik, Stadionverbote, Strafen durch den Verband.

Gestern war es wieder soweit, Preußen Münster kam zum Duell nach Osnabrück. Und erneut ging es hoch her: 2:1-Führungstreffer in der 90. Minute für die Münsteraner. Großer Jubel. In der Nachspielzeit der 2:2-Ausgleich für Osnabrück. Noch größerer Jubel. In all dem Drunter und Drüber läuft auch Tom Merkens aufs Spielfeld. Merkens ist Profi beim VfL Osnabrück, nach einem Knöchelbruch im Derby gegen Preußen Münster vor eineinhalb Jahren aber kaum noch einsatzfähig. Seit der Verletzung und der anschließenden Operationen kam er lediglich auf zwei Kurzeinsätze. Auch gestern sitzt er nur auf der Tribüne.

Merkens läuft also in Jeans und VfL-Jacke aufs Spielfeld, erst zum 2:2-Torschützen, dann zu Münsters Amaury Bischoff. Bischoff war es, der Merkens im März 2014 so hart foulte, dass dessen Knöchel brach. Im Handgemenge gestern geht Amaury Bischoff zu Boden, nachdem Tom Merkens ihn geschubst hat.

“Bild” hat die Situation so interpretiert:

Eklat in der 3. Liga: Direkt nach dem Spiel Osnabrück gegen Münster (2:2) stürmt ein Zuschauer aufs Spielfeld, rennt direkt auf Münsters Spielmacher Amaury Bischoff (28) zu und streckt ihn mit einem Handschlag nieder. […] Der “Amok-Läufer” ist Tom Merkens

Und in der Bildunterschrift heißt es:

Osnabrücks Merkens stürmt in Zivil den Platz und schlägt Münsters Bischoff zu Boden

Der NDR hat das Spiel gestern im Internet live übertragen. Einen Großteil der zusammengeschnittenen Höhepunkte machen die Tumulte am Ende des Spiels aus (ab Minuten 1:50). Und da ist von einem “Handschlag” rein gar nichts zu sehen. Von “Faust-Rache” kann keine Rede sein. Und auch nicht davon, dass Tom Merkens Amaury Bischoff zu Boden schlägt.

Online hat “Bild” den Artikel inzwischen unauffällig entschärft, und auch die Überschrift geändert:

Nur beim “‘Amok-Läufer'” bleibt die Redaktion.

Die Print-Geschichte ließ sich naturgemäß nicht mehr ändern und klingt damit nach wie vor wie ein aufgebauschter Fanbericht aus dem Preußen-Lager. Joachim Schuth, der Autor des Artikels, hat übrigens eine “ganz besondere Leidenschaft”: Preußen Münster.

Mit Dank an Fabian P. und Rüdiger!

Al Dschasira, Abgaswerte, Ausländerfeinde

1. Al-Dschasira-Reporter profitieren von Massenamnestie in Ägypten
(dw.com)
Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi hat zwei Reporter des Fernsehsenders “Al Dschasira” begnadigt. Der kanadische Journalist Mohammed Fahmi und sein ägyptischer Kollege Baher Mohammed waren 2013 festgenommen und Ende August endgültig zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Sie gehören zu einer Gruppe von hundert begnadigten Häftlingen. Der harte Kurs gegen die Opposition und kritische Journalisten geht aber weiter, mehr dazu in einem Erfahrungsbericht eines deutschen Fernsehjournalisten.

2. VW-Skandal: Was wussten Auto-Journalisten?
(ndr.de, Daniel Schmidthäussler, Video, 5:10 Minuten)
Als die große Finanz- und Bankenkrise ins Rollen kam, folge schnell die Frage an alle Wirtschaftsjournalisten, warum sie die Probleme nicht haben kommen sehen. Bei den manipulierten Abgaswerten von VW jetzt das gleiche Spiel: Warum sind die Automagazine bei ihren eigenen Tests nicht stutzig geworden? “Zapp” hat bei der Fachpresse nachgefragt.

3. Die “Huffington Post” ist zu blöd, um Ausländerfeinden Blödheit vorwerfen zu können
(stefan-niggemeier.de)
Die “Huffington Post” hat einen Text veröffentlicht, in dem sie generell Ausländerfeinden vorwirft, “nicht sonderlich viel in der Birne” zu haben, und konkret Michael Stürzenberger, eine Falschmeldung zu einem Machetenangriff durch einen Flüchtling zu verbreiten. Nur: Die Geschichte scheint zu stimmen. Man bekämpfe Ausländerfeinde “nich dadurch, dass man bestreitet, dass es solche Fälle gibt”, schreibt Stefan Niggemeier: “Wenn man es tut, liefert man ihnen nur noch mehr Munition.”

4. Covering the refugee crisis on Snapchat and Periscope as “a day-by-day documentary”
(journalism.co.uk, Caroline Scott, englisch)
Während Facebook mittlerweile in den meisten Redaktionen angekommen ist, sind insbesondere jüngere Zielgruppen längst zu anderen Plattformen und Netzwerken weitergewandert. Medien wie die BBC, “Time” und “Bild” haben das erkannt und experimentieren mit Livestreams bei Periscope und Storytelling auf Snapchat.

5. Der missliebige Gewinner
(medienwoche.ch, Nick Lüthi)
Der Schweizer “Beobachter” feiert sich selbst als “erneut sympathischste Medienmarke”, die “NZZ” freut sich über den Titel der drittsympathischsten Medienmarke hinter “Beobachter” und “Radio SRF 1”. Nick Lüthi wundert sich: “Der Superlativ stimmt nicht. In der Mitteilung zum Ranking steht deutlich: ‘Die sympathischste Medienmarke in der deutschen Schweiz ist Google. Sie lässt den traditionsreichen Beobachter knapp hinter sich.'”

6. Super Timing, wohin man auch schaut
(taz.de, Silke Burmester)
Kai Diekman stellt klar: Wer nicht unterschreiben will, dass “Bild” ein “Bollwerk gegen Hass” ist, der lügt. Silke Burmester dazu in ihrer Kolumne “Die Kriegsreporterin”: “Letzte Woche habe ich mich noch dagegen gewehrt, als ‘Lügenpresse’ bezeichnet zu werden. Jetzt trage ich den Titel mit Stolz und gebe mit dem Ruf ‘Lügenpresse! Lügenpresse!’ erhobenen Hauptes zurück nach Berlin!”

“Focus Online” macht Edward Snowden zum Alien-Spinner

Edward Snowden hat sich vergangenen Freitag mal wieder zu Wort gemeldet. Bei seinem Gastauftritt in der “Star Talk Radio Show” des US-Astrophysikers Neil deGrasse Tyson ging es aber nicht um Enthüllung rund um die NSA, sondern — Gastgeber und Name des Podcasts lassen es erahnen — ums Weltall.

Snowden sprach unter anderem über SETI, Search for Extraterrestrial Intelligence, also die Suche nach extraterrestrischer Intelligenz, wie sie auch von der Nasa betrieben wird. Er habe Zweifel daran, dass das Forschen nach Signalen fremder Zivilisationen im All erfolgreich sein werde. Das Problem sei laut Snowden eine mögliche Verschlüsselung dieser Signale:

Wenn man eine außerirdische Zivilisation hat, die nach anderen Zivilisationen sucht — oder umgekehrt –, dann gibt es nur einen kleinen Zeitraum in deren Entwicklung, in der die komplette Kommunikation auf primitivste und ungeschützte Art übertragen wird.

Bei einer weiter entwickelten Spezies, so Snowden, würde man die Übertragungen aufgrund von Verschlüsselungen nicht als solche erkennen können und lediglich für kosmische Hintergrundstrahlung halten: “Man kann ordentlich verschlüsselte Kommunikation nicht von zufälligen Signalen unterscheiden.”

Also, zusammengefasst: Edward Snowden sagt, dass es für die Wissenschaft ziemlich schwierig sein dürfte, Signale anderer Zivilisationen zu entdecken.

Und das macht “Focus Online” daraus:

Gefunden und abgeschrieben hat die Redaktion diesen Quatsch beim britischen “Mirror”. Auf einen besonders abstrusen Vorwurf in Richtung Snowden ist sie dann aber noch selber gekommen:

In einem Podcast äußerte sich Snowden nun zu außerirdischem Leben und stellte fest: Aliens versuchen derzeit, mit der Menschheit in Kontakt zu treten. […]

 Einen Beweis für außerirdisches Leben bleibt Snowden dann allerdings schuldig.

Und die Redaktion bleibt weiterhin einen Beweis schuldig, dass es sich bei “Focus Online” um Journalismus handelt.

Mit Dank an Carsten und Lutz!

Nachtrag, 24. September, 11:02 Uhr: Ist so eine Unsinnsmeldung erst einmal in der Welt, bekommt man sie da kaum noch weg. Im Gegenteil: Meist wird sie weiterverbreitet, so auch bei der Snowden-Alien-Geschichte. Denn sowohl Chip.de als auch News.de berichten, dass Edward Snowden von Aliens gesprochen habe, die versuchen sollen, mit der Menschheit Kontakt aufzunehmen. Beide Redaktionen haben die Meldung ungeprüft von “Focus Online” übernommen.

Gestern Abend stellte auch noch “TV Total” (ab Minute 1:15) die Geschichte als korrekt dar. Hätte das Team von Stefan Raab mal besser bei den “Pro Sieben”-Kollegen von “Galileo” nachgelesen. Die sind der Frage nachgegangen, ob Edward Snowden wirklich behauptet, “dass Außerirdische mit uns kommunizieren”. Und kommen zu dem Schluss: Nee, er “stellt dazu lediglich eine Theorie auf.”

Eine andere Passage im “Galileo”-Text ist hingegen ebenfalls problematisch:

Nach dem Motto: Sollte es intelligentes außerirdisches Leben geben, dann könnte es sein, dass wir ihre Kontaktversuche aufgrund von Verschlüsslung nicht einmal wahrnehmen.

Warum sollte eine andere Spezies bei dem Versuch, mit uns Kontakt aufzunehmen, ihre Nachricht so verschlüsseln, dass wir sie nicht verstehen können?

Mit Dank an Gregor M. und Timo L.

Nachtrag, 14:16 Uhr: Das Team von “Galileo” hat die kritisierte Passage inzwischen erweitert und spricht nun von “Verschlüsselung oder Codierung”, die ein Erkennen der Kontaktversuche von Außerirdischen unmöglich machen könnten.

Friede Springer, Lobbyisten, Datenschmuggel

1. “Ich würde nie einen Artikel in unseren Zeitungen kritisieren”
(deutschlandfunk.de, Stephan Detjen)
Friede Springer hat nach wie vor das Sagen in einem der größten Verlagshäuser Europas. Im Interview mit dem Deutschlandfunk sagt sie, dass sie bei den Zeitungen wie “Bild” oder “Welt” inhaltlich aber keinen Einfluss nimmt — jedenfalls nicht vor dem Erscheinen. Danach ruft sie schon mal durch beim betroffenen Chefredakteur oder beim Vorstandsvorsitzenden, wenn ihr ein Text nicht gefällt: “Das kommt schon mal vor, das kommt schon mal vor, ja.”

2. “Verbotene Mitteilungen”
(sueddeutsche.de, Thomas Hahn)
Am Donnerstag soll in Hamburg das Urteil in einem Prozess fallen, der “ein Lehrstück für Investigativ-Journalisten [ist], die etwas über die rechtlichen Grenzen ihres Tuns erfahren wollen.” Vor Gericht stehen zwei Redakteure des “Hamburger Abendblatts”. Sie hatten aus Whatsapp-Chats der Eltern einen getöteten Kindes zitiert, die in der Strafakte standen. Es geht um eine Frage, die bereits seit den 70er-Jahren kontrovers diskutiert wird: “Verletzt es nicht die Pressefreiheit, wenn das Gesetz vorschreibt, wie Journalisten vor einer Verhandlung aus Gerichtsakten zitieren dürfen?”

3. “Krautreporter”: Geschrumpft und demütig ins zweite Jahr
(derstandard.at, Oliver Mark)
Die schlechte Nachricht: Zwei Drittel der ursprünglich 15.000 “Krautreporter”-Mitglieder verlängern ihr Abo nicht. Die gute: Trotzdem reichen die zugesagten 300.000 Euro für ein zweites Jahr. Die beiden wichtigsten Neuerungen: Artikel stehen nur noch den zahlenden Mitgliedern zu Verfügung, außerdem gründen die “Krautreporter” eine Genossenschaft nach dem Vorbild der “taz”, die bis Ende des Jahres weitere 100.000 Euro akquirieren soll.

4. Facebook Ramps Up Its Instant Articles, and the Washington Post Is All In
(recode.net, Peter Kafka, englisch)
Der Anfangswirbel um Facebooks Instant Articles schien sich gelegt zu haben, doch jetzt verkündet das Unternehmen, noch einmal in das Projekt reinbuttern zu wollen. Das Vorhaben: Mehr Publisher, die veröffentlichen können, mehr Benutzer, die die Artikel sehen können. Mit dabei ist die “Washington Post”, die “All In” geht, wie Peter Kafka schreibt: “If you wanted to, you could read the Post’s entire output — some 1,200 articles a day, including wire stories — without ever leaving Mark Zuckerberg’s app.”

5. “Letzten Sonntag hatte ich in einer Sonntagszeitung eine grössere Story drin”
(nachbern.ch, Ronnie Grob)
Ronnie Grob hat den selbstständigen Lobbyisten Michael Gehrken interviewt. Und der erzählt freimütig, dass und wie er Themen und Geschichten für seine Auftraggeber regelmäßig in Zeitungen platziert — in Gehrkens Augen eine Win-win-win-win-Situation. Siehe dazu auch: Um ein Zeichen gegen den medialen Wahlkampfzirkus zu setzen, will ein Schweizer per Crowdfunding die Titelseite der “20 Minuten” kaufen.

6. This is Cuba’s Netflix, Hulu, and Spotify — all without the internet
(vox.com, Johnny Harris, Video, 7:02 Minuten, englisch)
Kubaner können nicht einfach zu Spotify gehen gehen, wenn sie Musik streamen wollen, oder zu Hulu, um einen Film zu schauen. Es gibt so gut wie keine schnellen Internetverbindungen, und sowieso sind die meisten ausländischen Webseiten blockiert. Aus dieser Lage heraus hat sich “El Paquete Semanal” entwickelt, das wöchentliche Paket, eine Sammlung von Raubkopien, die Datenschmuggler ins Land bringen. Johnny Harris hat den Kopf hinter diesem System gesucht — und gefunden.

Stimmungsbarometer, “Auto Bild”, Todesdrohung vom Kaiser

1. Wechsel auf die wirklich dunkle Seite der Macht
(medienwoche.ch, Carmen Epp)
Wechselt ein Journalist in die PR, ist die Empörung gewiss. Wenn dagegen der Presseausweis durch ein Parteibuch oder ein Abgeordnetenmandat ersetzt wird, ertönt die Kritik ungleich leiser oder bleibt gleich ganz aus. “Ist denn der Gang in die Politik so viel anders als derjenige in die PR?”, fragt sich Carmen Epp — und antwortet: “Ein Journalist, der fortan in aller Öffentlichkeit als Politiker für eine Position einsteht, unterscheidet sich kaum vom Journalisten, der im Auftrag einer PR-Agentur für eine Sache wirbt.”

2. How “mood meters” impact reader responses to online news
(journalistsresource.org, Denise-Marie Ordway, englisch)
Viele Online-Medien, darunter bis vor Kurzem auch Bild.de, bieten ihren Lesern an, per Mausklick ihre Reaktion auf den jeweiligen Artikel auszudrücken. Das führt bisweilen zu bizarren Situationen, wenn etwa Hunderte Leser über ein brennendes Flüchtlingsheim “Lachen”. Überhaupt scheinen die “Mood Meters” keine allzu gute Idee zu sein, wie eine Studie herausgefunden hat: Ohne Stimmungs-Buttons erinnern sich die Leser besser an die Inhalte des Textes, empfinden mehr Emotionen und haben nach dem Lesen ein besseres Gefühl.

3. Sport Bild Watch
(der-letzte-zehner.de, Cihan Acar)
Cihan Acar pflegte früher ein inniges Verhältnis zur “Sport Bild”. Dann war lange Pause, doch jetzt wärmte er die Beziehung noch einmal auf: “Diese Woche strahlte sie mich dann beim Vorübergehen an einem Kiosk an, und ich griff spontan zu. Das lag vor allem an Neugier: Ist Sport Bild in der Zwischenzeit vielleicht etwas zur Vernunft gekommen? Hat sie sich in all den Jahren gemäßigt, oder poltert und hetzt und verdreht sie Tatsachen wie damals?” Achtung, Spoiler: Es hat sich nicht viel getan.

4. Atemlos bei Auto-Bild
(1300ccm.de, Tom Schwede)
Das Arbeiten als Journalist bei “Auto Bild” ist kein leichtes, vor allem seit diese Blogger auch über PS-Neuvorstellungen schreiben: Da muss man bei der IAA erstmal “vier Leute wegschubsen” und dann auch noch den “Blogger mit dem Handy ausbremsen”, bis man zum neuen Alfa Romeo vorgedrungen ist. Tom Schwede, auch so ein Blogger, ärgert sich über einen “Auto Bild”-Artikel, genau wie die Seite “Fredericken”. Zu den Spannungen zwischen Autojournalisten und Autobloggern hat auch “bigblogg” etwas aufgeschrieben.

5. “Dann wäre er jetzt schon tot!”
(11freunde.de, Tobias Zwior)
Bei der Fußballweltmeisterschaft 1986 in Mexiko drohte Franz Beckenbauer vor laufenden ZDF-Kameras einem Journalisten mit dem Tod: Miguel Hirsch erzählt im Interview, wie ein einziger Nebensatz in einem seiner Artikel sein Leben in Gefahr brachte und was die “Bild”-Zeitung damit zu tun hatte.

6. Der Stand der Flüchtlingskrise im Überblick
(nzz.ch, Nina Belz, Ivo Mijnssen und Benjamin Schudel)
Die “NZZ” hat — inspiriert von der “New York Times” — ein Dossier zur Lage der Refugees in Europa erstellt. Vorangestellt ist eine interaktive Grafik, die zeigt, wie viele Asylanträge in jedem europäischen Land gestellt werden — allerdings nicht in absoluten Zahlen, sondern gemessen an der Bevölkerung des jeweiligen Staates. Dadurch relativiert sich die vermeintlich überproportionale Belastung Deutschlands. Einen ähnlichen Vergleich gibt es bei “Vox”: Während auf 1000 Einwohner in Deutschland 2,6 Refugees kommen, sind es im Libanon 232.

“Warum schreibt ihr dann immer solche Scheiße?”

Der VfL Bochum ist Tabellenführer in der 2. Fußballbundesliga. Nun sind gerade einmal sieben von 34 Spieltagen absolviert, aber laut Ruhrgebiets-“Bild” und Bild.de steht das Saisonziel für VfL-Trainer Gertjan Verbeek schon fest:

Klartext nach 1:1 gegen Fortuna. Verbeek spricht vom Meister-Titel!

Im Interview mit SPORT1 stellte der Holländer bereits klar: “Wir sind angetreten, um Meister zu werden!”

Hoppla! Der ehrgeizige Coach legt die Latte selbst hoch, sagt weiter: “Die Ambition muss immer sein: Raus aus der 2. Liga und aufsteigen in die Bundesliga. Aber das wird schwer.”

Morgen steht bereits das nächste Spiel auf dem Programm, die Bochumer treten in Bielefeld an. Daher gab es heute beim VfL die übliche Vor-dem-Spiel-Pressekonferenz. Großes Thema dort: die “Bild”-Schlagzeile und Verbeeks vermeintlicher Titeltraum.

Ein Reporter der “Ruhr Nachrichten” fragt:

Herr Verbeek, ich habe gelesen und gehört, dass Sie den Meistertitel jetzt als Ziel ausgegeben haben. Ist das so?

Gertjan Verbeek ist offenbar klar, wo der Reporter das gelesen hat. Er antwortet:

Das ist so unglaublich kindisch von “Bild”, immer wieder so zu schreiben. […] Die Ambition hier beim VfL ist, den Aufstieg zu machen. Das kann man erreichen, um Meister zu werden, Zweiter zu werden oder Dritter zu werden. Und wir wollen kein Ziel ausgeben. Und das ärgert die “Bild”. Und darum schreiben sie so. Weil ich habe nicht gesagt, dass wir Meister werden. Jeder sieht, dass wir die Qualität nicht haben, um Meister zu werden in der 2. Liga. […] Also was wollt ihr, “Bild”?

Ein Zwischenruf, vermutlich vom anwesenden “Bild”-Reporter:

Nö, gar nichts.

Dann wieder Verbeek:

Nee. Warum schreibt ihr dann immer solche Scheiße? Warum spielt ihr immer zwei Parteien gegeneinander aus? Selbst mit Flüchtlingen dazwischen. Ihr seid ja Arschlocher. Das seid ihr.

Wieder ein schwer zu verstehender Zwischenruf, irgendwas mit:

Das geht an die Berliner Adresse. Den Schuh zieh’ ich mir nicht an.

Darauf Verbeek:

Du arbeitest für “Bild”, oder nicht? Du sitzt hier für “Bild”. Und du schreibst immer falsch. Ja, ja, ja, ja, ja. Jetzt sind auch die Fans schon. Du bist unglaublich, immer wieder. Immer wieder willst du gerne zwei Parteien haben, die gegenüber einander stehen. Immer. Und ihr lügt auch noch. Das ist die “Bild”.

Zwischenfrage:

Hat “Sport 1” gelogen? Das steht auf der Homepage.

Verbeek:

Ja, dasselbe. Hör mal zu, was ich vor der Kamera gesagt habe. Die Ambition des VfL ist, Aufstieg zu machen. […] Man muss die Ambition haben, und das erkläre ich dir noch mal, schlechten Lehrlingen muss man immer viele Male dasselbe gesagt haben: Wir wollen gerne den Aufstieg machen. Wir haben die Ambition, den Aufstieg zu machen. Aber das Ziel ist nicht, den Aufstieg zu machen. Das ist ganz was anderes.

Die Pressekonferenz widmet sich anschließend einem Definitionsversuch der Worte Ambition und Ziel, bis die Themen Aufsichtsratssitzung und eine dort mögliche Vertragsverlängerung angesprochen werden. Und auch da ist Gertjan Verbeek nicht glücklich — mit der Berichterstattung im Allgemeinen und konkret mit der von “Bild”:

Ich verstehe nicht, dass ihr wisst, was besprochen wird, weil ich das selber noch gar nicht weiß. […] Es ist mir sehr fremd, dass ihr wisst, dass es heute Abend um meine Kontraktverlängerung geht. Ich habe gerade verlängert, im Mai habe ich gesagt, ich bleibe noch ein Jahr. Und jetzt sind wir vier Monate weiter und ich muss wieder reden über eine Verlängerung von meinem Kontrakt? Das hat “Bild” auch schon geschrieben. Das war letzte Saison im Mai. Haben die auch wieder falsch.

So langsam beruhigt sich die Lage. Es werden noch ein paar Personalien für das anstehende Spiel in Bielefeld besprochen. Dann aber doch noch einmal Gertjan Verbeek:

Und dann noch eine falsche Aussage: Letztes Mal war Piotr Cwielong nicht dabei, weil ich ihn nicht in den Kader gestellt habe, er war verletzt. Also kann er nicht im Kader sein. […] Der Trainer konnte ihn nicht fragen und er war verletzt. “Bild”, schreibst du mit?

Antwort vom “Bild”-Reporter:

Hier hat gerade eine Legende angerufen. Das war wichtiger.

Verbeek:

Ja, das ist wichtiger, natürlich. Wir können auch ohne Pressekonferenz, ohne “Bild”.

Hier die gesamte Pressekonferenz (um “Bild” geht’s ab Minute 2:20):

Mit Dank an Christian H. und Matthias S.

Nachtrag, 22. September, 13:47 Uhr: Der Vorstand des VfL Bochum hat sich heute in einer Stellungnahme zu den Aussagen von Trainer Gertjan Verbeek geäußert: “Fußball lebt von Emotionen, die manchmal in Aussagen gipfeln, die zwar Anklang und Nachhall finden, zuweilen in der Tonalität aber daneben liegen.” Man habe mit Verbeek gesprochen, der sich für die Kraftausdrücke entschuldige. Christian Hochstätter und Wilken Engelbracht sagen allerdings auch:

Die Kernaussagen bleiben davon aber unberührt und in dieser Sache hat Gertjan Verbeek unserer Meinung nach vollkommen Recht

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