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“Blitz-Heilungen” kann nicht mal “Bild” voraussehen

Wenn die Leute bei “Bild” eines können, dann — so sagt man gemeinhin — Fußball (“Aber der Sportteil …”). Die Reporter sind stets nah dran an den Vereinen, geben vor, Interna zu kennen, horchen in die Körper der Spieler. Geht ja auch gar nicht anders, wenn man eine tägliche Fußballzeitung herausbringen will.

Ende vergangener Woche hat das Blatt mal wieder einen Nachweis seiner Fähigkeiten im Kerngeschäft geliefert.

Die Ruhrgebiets-Ausgabe der “Bild”-Zeitung (in der Fußballberichterstattung unter anderem für den BVB zuständig) am Freitagmorgen so:

Der DFB am Freitagnachmittag so:


(Hervorhebung durch uns.)

Die Ruhrgebiets-Ausgabe der “Bild”-Zeitung am Samstag so:

Mit Dank an XY @VM_83!

Silvesternacht, Kummer, Alleserklärer

1. Der Horror von Köln
(nachdenkseiten.de, Jens Wernicke & Walter van Rossum)
In der Silvesternacht 2015/16 in Köln schienen die schaurigsten Pegida-Fantasien Wirklichkeit zu werden. Doch was ist wirklich geschehen? Der Autor, Medienkritiker und Investigativjournalist Walter van Rossum hat dazu unlängst ein Feature für den Deutschlandfunk produziert. Auf den “Nachdenkseiten” ordnet van Rossum das Geschehen nochmal ein. “Man muss die Mythen schmieden, bevor die Tatsachen sie erkalten lassen. Und das ist hier auf eine Weise gelungen, dass man sich fragt, wie irre das Abendland inzwischen eigentlich geworden ist, wie tollwütig. Und eben, weil man so wenig wusste, hat der Mythos die Dramaturgie übernommen.” Ein langes Interview, ein überaus lesenswertes Interview ist es geworden, das man sich auch als Soundfile auf den MP3-Player packen kann.

2. Tom Kummer: «‹Bad Boy›, das kommt meinem Wesen nahe»
(bernerzeitung.ch, Stefan von Bergen)
Stefan von Bergen von der “Berner Zeitung” hat den für seine Fake-Interviews berühmt-berüchtigten Tom Kummer getroffen. Dieser ist zurück in seiner Heimatstadt Bern und arbeitet dort u.a. als Tennislehrer. Kummer gibt sich unbeeindruckt von seinem Absturz. Interviewer von Bergen hat den Bericht über seine Unterhaltung mit den Worten “Protokoll eines misslungenen Gesprächs” überschrieben.

3. Kulturelle Vielfalt und internationaler Hass
(ndr.de, Janina Kalle)
“Zapp” hat sich den englischsprachigen Facebookauftritt der “Deutschen Welle” näher angeschaut. Was da in den Kommentarspalten passiere, sei spannend, so Autorin Janina Kalle. Hier würden Menschen aus der ganzen Welt über Deutschland diskutieren, ob über Fritz Langs “Metropolis” oder Merkels Willkommenskultur. Das große Interesse ginge aber auch mit einem starken Anstieg von Hass-Kommentaren einher.

4. »Es ist nur Fußball«
(neues-deutschland.de, Manuel Schumann)
ZDF-Sportreporter Boris Büchler hat Sportwissenschaften an der Deutschen Sporthochschule Köln studiert (Schwerpunkt Sportpublizistik) und begleitet für seinen Sender seit fast 20 Jahren die deutsche Nationalmannschaft. Im Interview verrät er, wie ein gutes Field-Interview aussehen muss, wie er mit dem Spott und den Beleidigungen im Netz umgeht und welche Fragen er einem Fußballprofi niemals stellen würde.

5. Willkürlich inhaftierten Journalist freilassen
(reporter-ohne-grenzen.de)
Auf der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit von “Reporter ohne Grenzen” steht Turkmenistan auf Platz 178 von 180 Staaten. Noch schlechter sei die Lage nur in Nordkorea und Eritrea. Vor mehr als einem Jahr wurde der Journalist Saparmamed Nepeskuliew von den turkmenischen Behörden inhaftiert. “Reporter ohne Grenzen” fordert seine umgehende Freilassung. Turkmenistans Präsident Gurbanguli Berdimuhamedow treffe heute in Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammen – dies sei eine seltene Gelegenheit, einen der weltweit schlimmsten Feinde der Pressefreiheit auf die Unterdrückung unabhängiger Medien in seinem Land anzusprechen.

6. Harald Lesch, der Alleserklärer im Autoverkäuferhemd
(dwdl.de, Hans Hoff)
“DWDL”-Kolumnist Hans Hoff mit einer Hommage an den Wissenschaftsjournalist und Astrophysiker Harald Lesch: “Das Schöne ist, dass einer wie Lesch oft für einen Langweiler gehalten wurde. Seine Art war noch nie hip, und die Schaumkrone jeglicher Erregung fiel in sich zusammen, wenn er auf den Bildschirm kam. Genau das aber macht ihn in diesen Zeiten, da alle so gerne und schnell aufschäumen und sinnfrei eskalieren, so wertvoll. Lesch steht für einen Typ Fernsehmensch, der das öffentlich-rechtliche Medium mit einer Grundsubstanz versorgt: mit Glaubhaftigkeit. Er weiß um die Kraft seines Wissens und setzt genau die ein.”

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Herbert Grönemeyer hat keine 28-Jährige geheiratet

Zwischen Herbert Grönemeyer und den “Bild”-Medien herrscht nicht gerade das beste Verhältnis. Als der Musiker beispielsweise im Dezember 2014 am Flughafen Köln/Bonn mit Paparazzi aneinandergeriet, schrieb “Bild am Sonntag” dazu: “Herbert Grönemeyer vermöbelt Fotografen”. Grönemeyer wehrte sich gegen die Berichterstattung.

Am 12. Mai dieses Jahres brachte “Bild” ebenfalls eine große Geschichte über den Sänger. Auf der Titelseite machte das Blatt so auf:


(Unkenntlichmachung durch uns.)

Und im Innenteil gab es auf Seite 4 dann noch einen großen Artikel obendrauf:

In der heutigen “Bild”-Ausgabe durfte dann auch Herbert Grönemeyer — beziehungsweise sein Anwalt Christian Schertz — etwas zu der Hochzeitsgeschichte sagen:

Gegendarstellung
Auf der Titelseite der “Bild”-Zeitung vom 12. Mai 2016 heißt es: “JA-WORT MIT J… (28) IN FRANKREICH Grönemeyer heiratet seine junge Freundin!”
Hierzu stelle ich fest: Meine Partnerin ist nicht 28. Sie ist mehrere Jahre älter.
Berlin, den 12. Mai 2016 — Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Schertz für Herbert Grönemeyer
Anmerkung der Redaktion: Herbert Grönemeyer (60) hat recht. Vor Gericht hat er angegeben, seine Partnerin sei acht Jahre älter als von BILD behauptet.

Und da auch in dem Artikel auf Seite 4 von damals etwas nicht stimmte, gibt es in der “Bild”-Zeitung von heute auf Seite 4 gleich noch eine weitere Grönemeyer-Gegendarstellung:

Gegendarstellung
In der “Bild”-Zeitung vom 12. Mai 2016 schreiben Sie auf Seite 4 in einem Artikel mit der Überschrift “Männer heiraten heimlich“:
“Am vergangenen Wochenende sollen der Sänger und seine Lebensgefährtin (…) Gäste zur Trauung auf das Anwesen ‘La Fabrique’ (…) im südfranzösischen Ort Saint-Rémy-de-Provence eingeladen haben.”
Hierzu stelle ich fest: Es hat keine Trauung zwischen mir und meiner Lebensgefährtin auf dem Anwesen ‘La Fabrique’ stattgefunden.
Berlin, den 12. Mai 2016
Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Schertz für Herbert Grönemeyer

Gottes Werk und Reichelts Foto


(Screenshot: BILDblog, Rahmen: Theen Moy)

“‘Bild’ ist ein Gesamtkunstwerk”, sagte der Medienwissenschaftler Norbert Bolz vor Jahren. Doch während “Bild”-Texte und -Überschriften schon einige literarkritische Behandlung erfahren haben, steckt die kunstwissenschaftliche Würdigung der “Bild”-Bilder noch in den Kinderschuhen. Die Kolumne “Bildbetrachtung” soll hier nachbessern.

Katastrophen sind nicht schön. Die “Bild”-Berichterstattung darüber auch nicht. Viele ethische Grundsätze müssen im Kopfe von “Bild-plus”-Chef Julian Reichelt hin- und hergerollt werden: Wie leuchtet man eine Leiche richtig aus? Wo kriegen wir am schnellsten Klassenfotos der toten Kinder her? Wo wohnen die Eltern, haben wir exklusive Heulbilder?

Leo Fischer hat mit seinen 35 Jahren bereits alles erreicht: Als Chefredakteur der “Titanic” wurde er vom Papst verklagt, ein CSUler wollte ihm “die Lizenz zum Schreiben” entziehen, als Politiker holt er regelmäßig unter 0,1 Prozent der Stimmen. Aktuell schreibt Fischer für die “Titanic”, die “Jungle World”, “Neues Deutschland” und die “taz”. Fürs BILDblog untersucht er die Bildsprache der “Bild”-Zeitung.
(Foto: Tom Hintner)

Angesichts dieser komplizierten Ethik-Lage überrascht es nicht, daß “Bild” im Fall des kaputtgerummsten Städtchens Amortadella schnell handeln mußte — und statt toter Kinder ausnahmsweise eine quietschfidele Nonne vor die Kamera gebracht hat: “Ich war mir sicher, dass ich sterben würde”, sagt Schwester Mariana zu “Bild”. “Aber in dem Moment, als eigentlich schon alles vorbei war, kam eine Stimme und rief meinen Namen. Da war ich mir sicher: Gott ist da.”

Wer mag dieser Gott sein, wer hat Mariana erhört? Eventuell hält Bild.de sich selber dafür. Gottgleiche Ausmaße hat jedenfalls der angenehm fleischige Mikrofon-Dödel, der sich da von linksunten ins Nonnen-Face schraubt. Mikro-Glieder gehören bekanntlich zur Grundausstattung von “Bild”-Mitarbeitern, bei “Bild plus” dürfen es dann gerne ein paar Zentimeter mehr sein. Eine notdürftig abgeklebte Kopfwunde weckt Assoziationen an die Stigmata des Heilands bzw. eine kurz zuvor erfolgte persönlichkeitsoptimierende Schläfenlappen-Op (Lobotomie).

Im Hauptbild hingegen sehen wir die geschwätzige Gottesdienerin attraktiv auf eine Leiter hindrapiert — als wäre sie gerade frisch vom Kreuz herabgestiegen. Den Blick hochkonzentriert aufs Handy gerichtet, den Podex auf einem Stück Sackleinen kühlend, bringt das nackte Füßlein sogar etwas zarte Erotik in dieses pietà-hafte Tableau. Auf welcher App ihre glaubensstarken Augen wohl ruhen? Auf Twitter, Snapchat oder Xhamster? Oder nicht doch besser auf der “Bild”-App? Schauen, welche Mitschwestern es zwischenzeitlich zerbrezelt hat?

Das BILDblog begrüßt jedenfalls den Trend, nur mehr leichtverletzte Opfer von Katastrophen zu zeigen und die wirklich guten Splatter-Effekte schön hinter der Paywall zu verstecken. Dann wird uns beim Besuch von Bild.de auch nicht mehr ganz so schlecht.

Fotoverbot, Revolverblatt, Fußballdoping

1. Wer auf sozialen Netzwerken Bilder von Polizeiaktionen gegen Burkini-Trägerinnen teilt, wird verklagt
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
An einigen französischen Badeorten ist das Tragen von körperverhüllender muslimischer Schwimm-Bekleidung verboten. Nun sorgten Bilder für weltweite Empörung und Verwunderung, auf denen man sehen kann, wie eine Frau in Nizza von vier Polizisten am Strand gezwungen wird, Kleidung abzulegen. Zukünftig wollen die französischen Behörden klagen, wenn Bilder derartiger Polizeimaßnahmen in sozialen Medien verbreitet werden. Man begründet dies damit, dass die Aufnahmen der Polizeiaktion zu Beleidigungen und Drohungen gegen die Polizeibeamten geführt hätten.

2. Wieder über 50.000 Euro”
(taz.de, Ilija Matusko)
Die “taz” setzt bei ihren Bezahlmodell “taz.zahl ich” auf Freiwilligkeit und Solidarität. Über 8.000 Menschen würden mit ihren Unterstützungszahlungen dafür sorgen, dass es auf der Webseite keine Tagespässe oder Bezahlschranken gibt. Im Monatsbericht Juli werden die Zahlen genau aufgeschlüsselt.

3. Schritt für Schritt zur Webreportage: Adobe Spark
(get.torial.com, Peter Gardill-Vaassen)
Für Journalisten ist Mobilität immer wichtiger. Von unterwegs eine ansprechende Webreportage produzieren, das soll mit “Adobe Spark Page” gelingen. Peter Gardill-Vaassen hat sich das Tool angeschaut und eine kleine Reportage damit gebastelt. Das Fazit: Die kostenlose Software sei einfach zu bedienen und hinterlasse einen professionellen Eindruck, die fertigen Dateien würden jedoch auf Adobe-Servern liegen und müssten eingebunden werden.

4. Dopingberichterstattung im Fußball: Das Nähe-Distanz-Problem
(fachjournalist.de, Moritz Belmann & Paul Schönwetter)
Über Doping im Fußball wird wenig berichtet, man könne fast denken, dass die Deutschen keine kritische Fußballberichterstattung wollen, so Moritz Belmann und Paul Schönwetter. Für Journalisten sei es schwer, aus dem System von Abhängigkeiten auszubrechen: “Die Journalisten scheinen gefangen in einem System Fußball, dessen Selbstverteidigung immer besser wird. Einige versuchen sich als Dopingjäger und verlassen den objektiven Pfad im Sportjournalismus. Mit der professionellen Ausrichtung der Vereine, gerade im Bereich Öffentlichkeitsarbeit und PR, verstärkt sich die Abhängigkeit der Journalisten, um Informationen zu erhalten. Nur ein Insider, der auspackt und ein eventuelles System offenlegt, oder ein erster großer Dopingfall im Fußball können daran etwas ändern.”

5. Wahlkampf: Die BaZ ballert sich ins Abseits
(tageswoche.ch, Gabriel Brönnimann)
Gabriel Brönnimann kommentiert die Linie der “Basler Zeitung”, die sich derzeit im Wahlkampf-Modus befinde. Weil dem, wie er es bezeichnet, “Revolverblatt” der nötige Pulverdampf fehle, schieße man selber scharf und erkläre Basel mit alarmistischen Artikeln zur Gefahrenzone. Brönnimann hat sich die von der “Basler Zeitung” verbreiteten Zahlen angeschaut und kommt zum Schluss: “Der BaZ-Mix aus statistisch nichtssagenden Tatbeschreibungen und ausgewählten Beschreibungen der Herkunft der mutmasslichen Täter ist ein Gift-Cocktail, nichts weiter.”

6. Von wegen Altpapier!
(rnd-news.de, Ulrike Simon)
Da wo andere digitalisieren, dass der Scanner glüht, verlässt sich “RND”-Kolumnistin Ulrike Simon auf ihr analoges Archiv aus Dutzenden von Aktenordnern: “Mir ist klar, dass mich einige für meine altmodische Art, Unterlagen zu horten, auslachen. „Steht doch alles im Netz“, werden die einen sagen. Ach ja? Auch der vor Jahrzehnten verfasste Gesellschaftervertrag vom Spiegel-Verlag? „Kann man doch alles einscannen und auf Festplatte speichern“, werden die anderen sagen. Könnte man, ja. Aber würde es helfen, den Ellbogen beim Schreiben auf die Festplatte zu legen, um sich an sein Wissen zu erinnern?”

Der “Express” erklärt Köln zum Kriegsgebiet

Vor einer Shisha-Bar in der Kölner Innenstadt kam es vor zehn Tagen zu einem Aufeinandertreffen zweier Gruppen. Am Ende musste ein Mann mit acht Messerstichen ins Krankenhaus gebracht werden, außerdem hatte er Verletzungen, weil mit einem Hammer auf ihn eingeprügelt wurde. Die Polizei fand später auch Patronenhülsen am Tatort.

Die eine Gruppe soll aus Männern bestanden haben, die sich im Umfeld des Rappers Xatar bewegen. Die andere aus Männern, die aus dem Umfeld des Rappers KC Rebell stammen. Der Mann, der ins Krankenhaus musste, soll ein Geschäftspartner von KC Rebell sein; die zwei inzwischen festgenommenen Tatverdächtigen sollen mit Xatar befreundet sein. Es deutet allerdings nichts darauf hin, dass der eine und/oder der andere Rapper vor Ort war und unmittelbar etwas mit dem Geschehen zu tun hat.

Bisher sind nicht viele Fakten darüber bekannt, was vor der Shisha-Bar genau passiert ist und wie die Hintergründe aussehen. Die Kölner Polizei hält sich noch bedeckt, die Staatsanwaltschaft ermittelt derzeit wegen versuchten Totschlags.

Als örtliches Medium könnte man das alles nun sachlich berichten und seinen Leserinnen und Lesern klarmachen, dass noch nicht viel klar ist. Man könnte etwas Dampf aus der Sache nehmen, sich auf die bekannten Fakten beschränken und auf Spekulationen verzichten.

Man könnte aber auch das Kölner Stadtgebiet zur Konflikt- und Krisenzone erklären. Man könnte von “Blutrache” sprechen. Man könnte das ohnehin schon schreckliche Geschehen noch schrecklicher wirken lassen und daraus eine Art Kriminalseifenoper machen. Man könnte über Hintergründe mutmaßen und weitere Prominente mit dem Fall in Verbindung bringen. Man könnte das Ganze zu einem “Rapper-Krieg” hochrappen hochjazzen.

Für welche Variante sich der “Express” aus Köln entschieden hat? Nun ja:



















Mit Dank an Yannik S. und Ben F.!

Durchfall! Kollaps! Schenkelklopfer!

Am vergangenen Freitag, zwei Tage bevor die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro zu Ende gingen, waren die männlichen Geher über 50 Kilometer an der Reihe. Kaum Chancen auf spektakuläre Knochenbrüche, lediglich zwei deutsche Starter mit Außenseiterrollen, wenig Hoffnung für schwarz-rot-geilen Goldmedaillen-Patriotismus. Also eine Disziplin, die eher nicht in der Berichterstattung von “Bild” und Bild.de Platz findet.

Dass die “Bild”-Medien dann doch über den Wettbewerb berichteten, lag vor allem an Yohann Diniz. Der Franzose war als Weltrekordhalter einer der großen Favoriten in Rio. Und er führte das Rennen auch lange Zeit an. Doch dann bekam Diniz Verdauungsprobleme, er konnte den Durchfall nicht mehr zurückhalten, versuchte, alles mit einem Schwamm zu säubern, Blut lief seine Beine runter, Diniz brach mehrfach zusammen. Am Ende schleppte er sich als Achter ins Ziel, wurde direkt an einen Tropf angeschlossen und in einen Rollstuhl gesetzt.

Am Tag drauf berichten also “Bild” und Bild.de über diesen Wettbewerb. Dass der Slowake Matej Tóth Gold gewann und der Australier Jared Tallent Silber, erwähnt “Bild” noch schnell im letzten Absatz. Der Fokus der Geschichte liegt auf Yohann Diniz:

Völlig klar: Über so ein Drama kann man berichten, das haben einige andere Medien ebenfalls getan. Die Art und Weise, wie “Bild” und Bild.de das aber tun, ist schlicht verachtend.

Sie zeigen Großaufnehmen von Diniz’ Beinen, an denen der Durchfall runterläuft:

Und das, obwohl der Autor die Bilder bei der TV-Übertragung schon “gnadenlos” fand:

Mit einem Schwamm versuchte er noch, das Schlimmste zu verhindern. Vergeblich! Die TV-Kameras fingen das Durchfall-Malheur gnadenlos ein.

“Bild” zeigt Yohann Diniz, wie er zusammengebrochen auf dem Boden liegt und verkauft es als Kraftauftanken:

Und als wäre das alles nicht schon grässlich genug, machen sich “Bild” und Bild.de mit dämlichen Wortspielen über Diniz lustig:

Dieser Gang ging in die Hose. Aber Schwamm drüber …

Der “flotte Otto” läuft ihm für alle sichtbar die Beine herunter.

Geher musste laufenlassen

Läuft beim 50-km-Geher Yohann Diniz. Nur leider etwas zu doll.

Er war kurz davor, aus Sch**** Gold zu machen. Doch dann läuft’s beim 50-km-Geher Yohann Diniz — so richtig

Yohann Diniz sagte in einem späteren Interview, dass er über weite Strecken des Rennens nicht mehr wusste, wo er ist. Ein verwirrter Mensch, der nicht mehr Herr seiner Sinne und seiner Verdauung ist — genau die richtige Zielscheibe für die Schenkelklopfer bei “Bild”.

Mit Dank an @BalderHelix!

Füllerfragen, Kriegsberichterstatter, Weltenwanderer

1. Die Zeitung ist keine Zahnbürste
(scienceblogs.de, Florian Aigner)
In Wien wird wieder einmal eine Tageszeitung eingestellt. Man könne dies mit dem freien Markt und dem freien Spiel der Kräfte rechtfertigen, doch dies greife zu kurz, so Florian Aigner in seinem leidenschaftlichen Plädoyer für den Printjournalismus: “Der freie Markt ist eine großartige Sache – ein Werkzeug für viele verschiedene Aufgaben. Er ist beispielsweise ziemlich gut darin, den passenden Preis für Zahnbürsten zu bestimmen. Er kann auch recht gut entscheiden, ob es im Raum Wien eine angemessene Anzahl von Freibädern mit Wasserrutsche gibt. Aber dort, wo es um öffentliche Güter und um externe Effekte geht, etwa um versteckte Kosten, die nicht vom Käufer, sondern von der Gesellschaft getragen werden, stößt der freie Markt genauso an seine Grenzen wie eine Edelstahlfüllfeder bei einer Blinddarmoperation.”

2. Pressefreiheit in Europa: Eine Bestandsaufnahme
(de.ejo-online.eu, Marlis Prinzing)
Die Journalistik-Professorin Marlis Prinzing mit einer detaillierten und mit Zahlen unterfütterten Betrachtung europäischer Presse- und Medienfreiheit. Der Tenor: So frei und unabhängig wie in Europa würden Journalistinnen und Journalisten weltweit sonst allenfalls in den USA und Kanada, in Australien und Neuseeland arbeiten können. Die Pressefreiheit sei jedoch auch in Europa gefährdet.

3. Wie sich Netflix’ aggressive Expansionsstrategie auszahlt
(wuv.de, Susanne Herrmann)
Netflix expandiert aggressiv, was zu wachsenden Nutzerzahlen führt. Nach einer Prognose des Marktforschungsunternehmen “IHS Markit” wird der Streaming-Dienst vor allem außerhalb der USA massiv zulegen. Allein zwischen 2014 und 2015 sei die Gesamtzahl der Abonnenten um 30 Prozent gewachsen, IHS-Prognosen zufolge würden 2016 weitere 38 Prozent hinzukommen. Die “Binge-Skala” von Netflix zeige, welche Serien eher verschlungen und welche in Häppchen genossen werden: Formate mit Horror- und Thriller-Elementen sowie “Dramedys” sind bingeverdächtig. Für vielschichtige und komplexe Erzählungen würden sich die Zuschauer mehr Zeit nehmen.

4. Affäre muss Konsequenzen haben
(djv.de, Hendrik Zöllner)
113 Bundestagsabgeordnete sollen sich auf Kosten der Steuerzahler mit kostspieligen Schreibgeräten eingedeckt haben. Anfragen von Journalisten zu Namen und Summen hat der Chef der Bundestagsverwaltung jahrelang ins Leere laufen lassen. Nun fordert der Deutsche Journalisten-Verband den Gesetzgeber auf, unverzüglich das nach seiner Ansicht längst überfällige Presseauskunftsgesetz in Angriff zu nehmen.

5. Syrien-Geisel: “Jeder kann dich verkaufen”
(derstandard.at, Jan Marot)
Der spanische Journalist Ángel Sastre spricht mit dem “Standard” über seine zehn Monate andauernde Zeit als Gefangener der radikalislamischen syrischen Al-Nusra-Front. Seinen Journalistenkollegen rät er unbedingt ab, nach Syrien zu fahren: “Die Lage ist katastrophal. Entführungen sind dort, wie auch im Jemen, ein allgegenwärtiges Risiko. Ein jeder kann dich verkaufen. Dein Fahrer, deine Dolmetscher, jeder Kontakt, jeder Informant. Das ist ein neuer Kontext für uns Kriegsberichterstatter.”

6. Herumwandern in Videospielen: Ich will doch nur chillen!
(spiegel.de, Markus Böhm)
“Spiegel”-Redakteur Markus Böhm interessiert sich leidenschaftlich für Computerspiele. Doch anders als die meisten Gamer hat er selten Lust auf Action, sondern wandert lieber durch die Spielewelten und bewundert die schöne Umgebung.

Den Papageien zum Kolumnisten machen

Bei Wolfgang Bosbach und “Bild” ist es ein bisschen wie bei der Henne und dem Ei: Was war zuerst da? Der Quatsch, den Wolfgang Bosbach erzählt und den “Bild” dankbar aufgreift? Oder der Quatsch, den “Bild” verbreitet und den der CDU-Politiker in einem seiner vielen Talkshowauftritte und Interviews zitiert und weiterdreht?

So oder so — “Bild” und Bosbach sind ein starkes Team. Wenn der eine etwas von sich gibt, plappert es der andere gerne nach. Sie leben in Symbiose. Doch jetzt hat “einer der beliebtesten Politiker” (“Bild” meint damit Bosbach) angekündigt, dass er bei der Bundestagswahl 2017 nicht erneut kandidieren wird, aus politischen und privaten Gründen.

Gestern schaffte es lediglich eine kurze sachliche Meldung darüber auf die “Bild”-Titelseite (“Bosbach tritt nicht mehr an”). Dafür gab es heute aber eine umso größere Würdigung:

117 Zeilen Lobhudelei (“So einer wird im Bundestag fehlen”), einen Brief von Franz Josef Wagner (“Warum lieben wir diesen Menschen? Weil er die Wahrheit spricht!”) und obendrauf eine Urkunde mit “Bild”-Siegel:

Für seine besonderen Verdienste als Volksvertreter wird Wolfgang Bosbach ausgezeichnet,
– weil ihm in der Großen Koalition seine Überzeugungen wichtiger sind als Macht und Mehrheiten
– weil er im Bundestag und im Fernsehen so redet, dass ihn Millionen Menschen verstehen
– weil ihm die Wähler in seinem Wahlkreis 22 Jahre lang die Treue hielten
– weil er kein Querulant ist, sondern kritisch UND loyal zu seiner Partei steht
– weil er stets mit dem Florett für seine Meinung kämpft und auch über sich selber lachen kann

Na, da läuft es einem doch eiskalt den Rücken runter das geht doch runter wie Öl.

Der größte Coup der “Bild”-Zeitung aber ist: Die Redaktion hat Wolfgang Bosbach vom Fleck weg als Kolumnisten verpflichtet.

Dort hört er also auf. Aber bei BILD macht er weiter — ab 2017 mit einer wöchentlichen Kolumne. Klar, kantig, kenntnisreich und manchmal mit einem Augenzwinkern.

… und hin und wieder sicher auch genauso falsch wie Berichte der “Bild”-Medien. Denn bei Bosbachs eingangs erwähnter Nachplapperei von “Bild”-Geschichten kommt es immer mal wieder vor, dass er falsche Behauptungen übernimmt und – ganz der Kolumnist – zuspitzt.

Zwei Beispiele.

Im Dezember 2014, kurz vor Weihnachten, vermeldeten “Bild” und Bild.de ganz aufgeregt:

Laut “Bild” sollte der Grünen-Politiker Omid Nouripour gefordert haben, dass in Kirchen zu Weihnachten auch ein muslimisches Lied gesungen wird. Nur: Das hat er nie. Die Idee kam eigentlich von “Bild” selbst, und die Reporter riefen Nouripour an, um zu fragen, was er davon halte. Der Bundestagsabgeordnete war dagegen. Und wenn schon, dann sollte es einen Austausch geben: Im Gegenzug sollten auch christliche Lieder in Moscheen gesungen werden. Gefordert hatte Nouripour also nichts, sondern lediglich einen Gegenvorschlag gemacht.

Und Wolfgang Bosbach? Der schnappte sich die falsche “Bild”-Geschichte und ließ im Interview mit “Focus Online” ordentlich Dampf ab:

“Weihnachten ist kein Hochamt für Multikulti, sondern ein christliches Fest, bei dem traditionell nur christliche Weihnachtslieder gesungen werden. Dabei soll es bleiben”, sagte Wolfgang Bosbach am Montag zu FOCUS Online. “Mir ist auch nicht bekannt, dass in irgendeiner Moschee ‘Stille Nacht, heilige Nacht’ gesungen wird oder es entsprechende Pläne gibt”, fuhr der Innenpolitik-Experte der Union fort. “Bevor Herr Nouripour vorschlägt, dass der Muezzin zur Christmette ruft, hoffe ich sehr, dass es beim christlichen Glockenläuten bleibt.”

Der heutigen “Bild”-Würdigung zufolge ist Bosbach übrigens “nie polternd populistisch”. Joar.

Zweites Beispiel: In der Hochphase der “Bild”-Kampagne gegen die faulen Griechen verkalkulierte sich Dirk Hoeren, Chefverrechner des Hauses, mal wieder. Hoeren wollte zeigen, dass das Renteneintrittsalter in Griechenland viel niedriger sei als in Deutschland — 56 Jahre versus 64 Jahre. Und zog dafür eine völlig unpassende Statistik ran: Die zeigte nämlich nur das angepeilte Renteneinstiegsalter für den öffentlichen Dienst. Hoeren machte daraus das aktuelle Renteneinstiegsalter aller Griechen. Und langte dann auch beim Renteneinstiegsalter in Deutschland daneben. Kurz gesagt: Alles völlig falsch.

Und Wolfgang Bosbach? Der schnappte sich die falsche “Bild”-Geschichte und ließ bei seinem Auftritt bei “Günther Jauch” ordentlich Dampf ab:

Der Griechische Ministerpräsident hat jetzt angeboten, das reale Renteneintrittsalter in Griechenland, das bei uns bei fast 64 Jahren liegt, auf 56 Jahre anzuheben.

Bosbach hatte seinen TV-Auftritt drei Tage, nachdem Dirk Hoeren die Zahlen falsch ins Spiel gebracht hatte, und als schon längst klar war, dass da was nicht stimmt.

Nächstes Jahr wird Wolfgang Bosbach dann also “Bild”-Kolumnist. Das Ei wird zur Henne.

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