KW 31: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Kühler Kopf oder heißes Herz? Wie berichten über Katastrophen?
(ardaudiothek.de, Isabel Sonnabend & Kai Schmieding, Audio: 14:53 Minuten)
Isabel Sonnabend und Kai Schmieding haben sich mit dem stellvertretenden “Zeit”-Chefredakteur Bernd Ulrich zusammengeschaltet. Im Gespräch geht es um die Rolle des Journalismus bei der Berichterstattung über Klimawandel und Klimakrise. Ist Parteinahme bei existenziellen Fragen erlaubt oder gar Pflicht?

2. Verschwiegene Tech-Konzerne: Die Strategie von Google und Co.
(ndr.de, Daniel Bouhs, Video: 16:27 Minuten)
Daniel Bouhs beschäftigt die Frage: “Warum können Konzerne wie Google und Facebook nicht so offen kommunizieren, dass man auf konkrete Fragen auch konkrete Antworten bekommt?” Er hat sich dazu mit dem Youtuber Tilo Jung getroffen, aber auch mit Medienschaffenden, die regelmäßig über die Konzerne berichten. Eins wird klar: Die Tech-Giganten schirmen sich weitgehend ab, sind intransparent und agieren wie eine Black Box.

3. Frauen als Opfer der Medien – Jolanda Spiess-Hegglins Kampf gegen Hatespeech
(youtube.com, Rosanna Grüter & Patrizia Laeri, Video: 44:45 Minuten)
Der Beitrag des Schweizer Senders SRF beschäftigt sich mit Personen wie Jolanda Spiess-Hegglin, die sich aktiv gegen den Sexismus der Schweizer Medienbranche stellt. Es geht um Frauen als Opfer der Medien im Allgemeinen und um Spiess-Hegglins Kampf gegen Hatespeech im Speziellen.

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4. Wie verändert sich die Podcast-Welt?
(wasmitmedien.de, Daniel Fiene & Sebastian Pähler, Audio: 1:54:42 Stunden)
Bei “Was mit Medien” dreht sich alles um den Wandel in der Podcast-Welt: Was bedeuten die ganzen Veränderungen, die in diesem Jahr angekündigt wurden – vor allem für die bisher freie Podcast-Szene? Und was bedeuten die Veränderungen für die Medienschaffenden mit ihren bestehenden oder künftigen Podcast-Angeboten? Darüber und vieles mehr sprechen die Gastgeber mit Meike Laaff, Redakteurin im Ressort Digital bei “Zeit Online”, und Timo Hetzel vom “Bits-und-so”-Podcast.

5. OMR #407 mit Spotifys Europa-Chef Michael Krause
(omr.com, Philipp Westermeyer, Audio: 1:11:04 Stunden)
Im OMR-Podcast hat Philipp Westermeyer Spotifys Europa-Chef Michael Krause zu Gast. Ihr Gespräch dreht sich um die Fragen: Welche konkreten Ziele verfolgt Spotify derzeit? Welchen Stellenwert hat das Podcast-Business inzwischen? Und an welche großen Audio-Trends glaubt die Plattform gerade besonders?

6. Online-Werbung: Der größte Schwindel im Internet
(youtube.com, Philipp Walulis, Video: 9:18 Minuten)
“Werbung nervt! Vor allem im Internet: Riesige Werbebanner, nicht überspringbare Werbeclips und natürlich viele Frauen in deiner Nähe, die dich kennenlernen möchten. Dabei bringt die Online-Werbung den Unternehmen nicht mal viel und auch Bots mischen kräftig mit.” Philipp Walulis schlägt satirisch zurück und zeigt auf, wo die Online-Ads nicht nur Nerven kosten, sondern auch Schaden anrichten.

Gezerre um Rundfunkbeitrag, Erneut eingegriffen, Stilkritik Parteiplakate

1. Rundfunkbeitrag darf erhöht werden
(tagesschau.de)
Eigentlich hatten sich alle Beteiligten auf eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags verständigt, doch Sachsen-Anhalt blockierte das Vorhaben, indem es die dafür notwendige Abstimmung im Landtag absagte. Das Bundesverfassungsgericht wertete dies nun als eine Verletzung der im Grundgesetz festgeschriebenen Rundfunkfreiheit – der Rundfunkbeitrag darf um um 86 Cent auf 18,36 Euro pro Monat erhöht werden. Bei “DWDL” kommentiert Uwe Mantel: “All jenen, die nun von einer ‘undemokratischen Entscheidung’ des Gerichts sprechen: Es hat einen guten Grund, dass der Einfluss der Politik auf ARD und ZDF begrenzt ist und die Höhe des Rundfunkbeitrags eben kein Ergebnis demokratischer Verhandlungen ist, sondern sich am Bedarf der Anstalten festmacht. Schließlich ist es die Aufgabe der Journalistinnen und Journalisten der Häuser, der Politik auf die Finger zu schauen – da sollte man sie so unabhängig wie möglich vom Wohlwollen einzelner Parteien in einzelnen Ländern machen.”
Weiterer Lesetipp: Springers rasende Wut auf das Bundesverfassungsgericht (uebermedien.de, Stefan Niggemeier).

2. Erneut eingegriffen
(taz.de, Volkan Ağar)
In der Theorie agiert die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) unabhängig und überparteilich, doch in der Praxis und mit Blick auf das Agieren des Bundesministeriums des Innern (BMI) muss dies bezweifelt werden: “Denn nachdem das BMI der bpb letzthin eine Links-Extremismusdefinition des Verfassungsschutzes diktiert hat, hat es auch die Veröffentlichung des Sammelbandes ‘Extreme Sicherheit. Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz’ verzögert und erst in Begleitung eines ergänzenden Onlinedossiers erlaubt.”

3. Wenn das neue Format der Topfpflanze nicht gefällt
(journalist.de, Mark Heywinkel)
Mark Heywinkel ist Leiter der Abteilung Formatentwicklung bei “Zeit Online”. In der Reihe “Wie machen wir den Journalismus widerstandsfähiger?” verrät er seine fünf persönlichen Tipps zur Entwicklung neuer journalistischer Formate. Vieles davon ist für jeden interessant, der sich im weitesten Sinn schöpferisch, schriftstellerisch oder redaktionell betätigt.

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4. Die Plakate zur Bundestagswahl 2021
(designtagebuch.de, Achim Schaffrinna)
Der Kommunikationsdesigner Achim Schaffrinna hat sich mit den Plakaten zur anstehenden Bundestagswahl beschäftigt und dabei die Kampagnen von CDU, SPD, FDP, Grünen, AfD und Linken analysiert. Er rät jedoch dazu, sich nicht zu sehr von Äußerlichkeiten beeinflussen zu lassen: “Wahlprogramme bieten eine deutlich bessere Grundlage für einen Wahlentscheid als Plakate, unabhängig davon, wie sie gestaltet sind. Nicht, dass Ästhetik und Gestaltungsqualität nicht auch wichtig wären, gerade im Kontext der Informationsvermittlung sind sie bedeutsam! Der persönliche Geschmack in Sachen Farben sowie Bild- und Formensprache sollte jedoch nicht ausschlaggebend dafür sein, an welcher Stelle man sein Kreuzchen macht.”

5. Gerd Schulte-Hillen ist tot
(sueddeutsche.de)
Fast 20 Jahre lang leitete Gerd Schulte-Hillen den Zeitschriftenverlag Gruner + Jahr, in dem unter anderem “Stern”, “Geo” und “Brigitte” herausgegeben werden. Jetzt ist der Verlagsmanager im Alter von 80 Jahren gestorben.

6. Türkische Zeitung druckt erfundenes Laschet-Interview
(faz.net)
In der Europa-Ausgabe der türkischen Zeitung “Sabah” ist ein Interview mit Armin Laschet erschienen, das laut Düsseldorfer Staatskanzlei nie stattgefunden haben soll. “Sabah” habe erklärt, man habe das Interview von der Website von Faruk Şen übernommen, dem ehemaligen Direktor des Zentrums für Türkeistudien in Essen. Dort sei es mittlerweile gelöscht worden.

Dieses “Willkür”-Geraune ist gefährlich

Vor wenigen Tagen veröffentlichte “Bild” keinen herkömmlichen Kommentar zur Corona-Lage, sondern einen “CORONA-WUT-KOMMENTAR”, schließlich musste “Bild”-Parlamentsbüro-Leiter Ralf Schuler in seinem Urlaub in Bayern derartigen “Wahnsinn” durchleben:

Am Frühstücksbuffet geht es in Pfeilrichtung am Müsli vorbei. In Plastikhandschuhen angelt man mit der Zange nach Brötchen.

Irre.

Am Montag gab es in “Bild” erneut eine Art Wut-Kommentar, verfasst von “Bild”-Chef Julian Reichelt, allerdings nicht als “WUT-KOMMENTAR” deklariert, sondern als “Essay”.

Screenshot Bild.de - Staat verbietet Querdenker-Demos, aber andere nicht - Diese Willkür ist gefährlich!

Liest man Reichelts Text, könnte man auf die Idee kommen, dass es in Deutschland keine Gewaltenteilung mehr gibt, als wären demokratische Grundprinzipien abgeschafft worden. Der Rechtsstaat? Laut Reichelt nicht mehr existent, zumindest nicht in Berlin. Gerichtliche Entscheidungen? Alles nur noch “Willkür” im Sinne der Regierung. In jeder Zeile riecht es nach Verschwörung, der “Bild”-Chef mischt alles zusammen: “viele Politiker”, die “Regierenden”, die Justiz, die Polizei – bei Reichelt klingen sie alle wie Demokratie-Gefährder.

Reichelts zentrale Beobachtung: In Berlin werden mehrere “Querdenker”-Demos verboten, obwohl eine Woche zuvor noch die Teilnehmer des Christopher Street Day durch die Stadt ziehen durften. Er schreibt dazu:

Und immer mehr beschleicht mich das Gefühl: Recht scheint immer häufiger, was den Regierenden gefällt. Zwei Wochenenden in unserer Hauptstadt, in der unser Parlament steht, sich aber zu den wichtigsten Fragen unserer Freiheit wegduckt: Vor einer Woche der Christopher Street Day (CSD), gestern die verbotene Demo der “Querdenker”.

Erst habe er beim CSD Zehntausende Menschen auf den Straßen gesehen, “dicht an dicht, ohne Maske, tanzend, singend, feiernd, Arm in Arm”, am vergangenen Sonntag hingegen: “Polizei in der ganzen Stadt. An Autobahnabfahrten und Zufahrtsstraßen. Die deutsche Hauptstadt abgeriegelt. Blaulicht, Hubschrauber, Martinshorn.”

Seinen Artikel könnte man auf “Querdenker”-Plakate drucken: “Rechte hat, wer den Wünschen unserer Regierung folgt”. Dort, wo der Regierung der Protest nicht passe, setze sie laut Julian Reichelt Polizei und Justiz ein. Exekutive, Legislative, Judikative – für Reichelt und “Bild” alles die gleiche freiheitsberaubende oder sich wegduckende Bande.

Reichelts Gleichsetzung von CSD und “Querdenken” funktioniert auch nur, weil er sich keinerlei Mühe macht, das Verbot der “Querdenker”-Demos zu erklären. An keiner Stelle nennt er die Begründungen des Gerichts. Man kann sie nachlesen, etwa in einer der drei Pressemitteilungen des letztinstanzlichen Oberverwaltungsgerichts (OVG) Berlin-Brandenburg. Darin bestätigt das OVG zuvor getroffene Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Berlin folgendermaßen:

Der Auffassung der Antragsteller, dass das Nichttragen einer Maske sowie die Nichteinhaltung der Abstandsregeln von ihrer verfassungsrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit gedeckt sei, hat sich das Gericht nicht angeschlossen. (…) Das Verwaltungsgericht habe eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen, weil Leben und Gesundheit von Menschen mit Blick auf die Gefahr einer COVID-19-Infektion gefährdet seien, wenn die Versammlungsteilnehmer den Mindestabstand und die jeweils zu beachtenden Hygieneregeln wie das Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske missachteten. Diese Annahme habe das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet. Nichts anderes ergebe sich daraus, dass die Polizei bei anderen Versammlungen – etwa zum Christopher Street Day – nicht gegen die Missachtung der Pflicht zum Maskentragen und zur Einhaltung des Mindestabstandes eingeschritten sei. Die vorliegenden Versammlungen seien nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts anders zu beurteilen. Sie stünden im Zusammenhang mit einer Vielzahl von für dieses Wochenende angemeldeten Versammlungen, die den Corona-Maßnahmen-Kritikern und “Querdenkern” zuzurechnen seien. Deren Versammlungen zeichneten sich deutschlandweit dadurch aus, dass die Teilnehmer sie nutzten, um öffentlichkeitswirksam gegen zur Eindämmung der Infektionsgefahr geschaffene Rechtsnormen zu verstoßen, insbesondere indem sie das Abstandsgebot und die Maskenpflicht missachteten.

Und:

Das Hygienekonzept lasse deutliche Zweifel an der Bereitschaft des Antragstellers aufkommen, effektiv auf die Einhaltung der infektionsschutzrechtlichen Anforderungen hinzuwirken. So sehe es etwa das Tragen eines Mund-Nasenschutzes grundsätzlich nicht vor.

Und:

Der 1. Senat weist darauf hin, dass Verstöße gegen allgemeine rechtliche Vorgaben nicht als Teil des Protests gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen von der Versammlungsfreiheit gedeckt sind, wenn sie wie hier zugleich Gefahren für die Gesundheit und das Leben von Menschen begründen.

Während die “Querdenker”-Demos laut OVG also darauf ausgelegt sind, gegen die Hygieneregeln zu verstoßen, gibt es dieses verbindende Element beim CSD nicht. Es stimmt ganz sicher, dass beim Umzug durch Berlin neulich auch zahlreiche CSD-Teilnehmer ohne Maske unterwegs waren. Aber eben nicht als zentrale Idee der Demonstration. Dafür liefert die “Bild”-Redaktion selbst den Beleg: Zur Bebilderung von Reichelts “Essay” wählte sie ein Foto des CSD, auf dem die Personen zwar sehr eng beieinander stehen, aber so gut wie alle eine Maske tragen:

Ausriss Bild-Zeitung - Foto vom CSD

Wenn Julian Reichelt schreibt, dass “mit identischen Methoden” auch der CSD verboten werden könnte, dann hat er insofern Recht, dass auch der CSD beispielsweise im nächsten Jahr nicht stattfinden dürfte, wenn sich überraschend herausstellen sollte, dass das Nicht-Tragen von Schutzmasken zum grundlegenden CSD-Konzept gehört, oder dass der Veranstalter es darauf auslegt, die rechtlichen Vorgaben zu missachten. Auch das ist ein Aspekt, den Reichelt nicht erwähnt: Das Verbot der “Querdenken”-Demos basiert auf zuvor gemachten Erfahrungen mit der Bewegung. Beim CSD gab es zuvor hingegen keine massenhafte Missachtung der Hygieneregeln, auf deren Grundlage ein Gericht ein Verbot hätte aussprechen können.

Reichelts Justiz-Verachtung gipfelt in diesem Absatz:

Gerichte haben die Verbote der “Querdenker”-Demo bestätigt. Das kann man rechtsstaatlich nennen, aber ich sage: In Berlin ist inzwischen zu vieles politisch. Die Justiz, die Straftäter aus politischen Gründen nicht mehr verfolgt, weil sie als “bunt” gelten – Hausbesetzer zum Beispiel.

Der “Bild”-Chef meint offenbar, dass sich die Berliner Justiz nicht mehr im rechtsstaatlichen Rahmen bewegt. Damit sein Weltbild passt, muss Reichelt gleich mehrere Teile der Realität ausblenden: Er verschweigt, dass die Gerichte in Berlin sehr wohl Urteile gegen Hausbesetzer sprechen. Im Oktober 2020 beispielsweise räumte die Polizei das Haus in der Liebigstraße 34 im Berliner Bezirk Friedrichshain, nachdem das Berliner Landgericht ein entsprechendes Urteil gesprochen hatte. Im Januar 2018 räumte die Polizei eine ehemalige Schule in Berlin-Kreuzberg, die von Geflüchteten besetzt wurde. Auch dazu gab es ein Urteil des Berliner Landgerichts. Zum Køpi-Wagenplatz sprach ein Gericht im Juni dieses Jahres ein Räumungsurteil, die Räumung steht noch aus. Im August 2020 räumte die Polizei die linke Kiezkneipe Syndikat in Berlin-Neukölln. Das Betreiberkollektiv hatte auf die Kündigung des Eigentümers nicht reagiert und die Kneipe weiterbetrieben. Ein Berliner Gericht sprach daraufhin ein Räumungsurteil. Und sollte es Julian Reichelt bei seinem Geraune über die politisierte “Willkür”-Justiz um die Rigaer Straße 94 gehen: Dort scheiterten die Räumungsklagen bisher nicht daran, dass die Gerichte die Bewohner für so wunderbar “bunt” hielten, sondern daran, dass für sie unklar blieb, wer der wahre Eigentümer ist, und ob die Klagenden wirklich klagebefugt sind.

Und noch ein Stück Realität, das Reichelt für seine Argumentation ausblenden muss: Derselbe Senat desselben Oberverwaltungsgerichts, der am vergangenen Wochenende die “Querdenken”-Demo verbot und dessen Treue zum Rechtsstaat der “Bild”-Chef infrage stellt, ließ Reichelts Stellvertreter Florian von Heintze Ende August 2020 noch in einem Kommentar jubeln:

Screenshot Bild.de - Gericht kippt Demo-Verbot in Berlin - Triumph für den Rechtsstaat

Das OVG Berlin-Brandenburg kippte am 29. August 2020 nämlich ein Versammlungsverbot des Berliner Polizeipräsidenten, wodurch Proteste gegen die Corona-Maßnahmen, auch der “Querdenker”-Bewegung, in der Hauptstadt stattfinden konnten. Das Gericht schrieb damals dazu:

Zur Begründung hat der 1. Senat u.a. darauf abgestellt, dass die Anmelder konkrete individuelle Hygienekonzepte vorgelegt hätten. Sowohl die ausreichend dimensionierten Versammlungsflächen als auch die Anzahl der eingesetzten Ordner und Deeskalations-Teams sowie die vorgesehene Blockbildung innerhalb des Aufzugs rechtfertigten kein Versammlungsverbot.

Es scheint ganz einfach zu sein: Wenn ein Gericht ein Urteil fällt, das der Meinung Reichelts entspricht, feiern er und sein Blatt den Rechtsstaat; lernt das Gericht dazu – auch das massenhafte Missachten der Maskenpflicht und der Abstandsregeln bei den Protesten am 29. August 2020 dürften dazu geführt haben, dass das OVG inzwischen zu einer anderen Entscheidung gelangt – und fällt ein gutes Jahr später auf einer veränderten Grundlage ein anderes Urteil, ist das laut Reichelt alles “Willkür”, politisch motiviert und nicht rechtsstaatlich.

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Bündnis gegen missbräuchliche Klagen, Laschets Bilder, Sommerloch

1. SLAPPs: Zivilgesellschaftliches Bündnis warnt vor Gefahren für Rechtsstaat und Demokratie
(dju.verdi.de)
Ein breites Bündnis aus Medienorganisationen und NGOs hat sich an die medien- und rechtspolitischen Sprecherinnen und Sprecher der demokratischen Parteien im Bundestag gewandt, um auf die wachsende Bedrohung öffentlicher Partizipation durch sogenannte SLAPPs aufmerksam zu machen. Die Abkürzung SLAPP leitet sich aus dem Englischen ab und steht für “strategic lawsuit against public participation”, also “Strategische Klage gegen öffentliche Beteiligung”, und lehnt sich an das Wort “slap” an (Ohrfeige, Schlag ins Gesicht). Primäres Ziel der strategischen und oftmals als missbräuchlich empfundenen Klagen sei nach Einschätzung des Bündnisses, Kritikerinnen und Kritiker einzuschüchtern und aus der Öffentlichkeit zu drängen. Dies stelle eine ernstzunehmende Gefahr für die Demokratie dar.

2. Ein Bild von einem Kandidaten
(uebermedien.de, Hendrik Wieduwilt)
CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet gibt in der Öffentlichkeit nicht immer ein gutes Bild ab, und das ist in diesem Fall wörtlich zu verstehen. Wiederholt fällt er durch unglückliche Bildbotschaften auf, ob mit falsch aufgesetzter Gesichtsmaske, unpassendem Schuhwerk im Katastrophengebiet, den Händen in den Taschen, mitten in Müllbergen oder im Hintergrund vergnügt kichernd, während der Bundespräsident zu den von der Flutkatastrophe heimgesuchten Menschen spricht. Wie wichtig sind derlei Medien-Pannen und öffentlich transportierte Tollpatschigkeiten? Hendrik Wieduwilt kommentiert: “Laschet möchte einer der mächtigsten Männer des Globus werden. In einer medialisierten Welt ist die Frage, warum er ständig durch die Szenerie stolpert wie ein Schulpraktikant durch eine Uhrenwerkstatt, relevant – und das Internet ist zudem groß genug für mehr als ein Thema. Offenbar hat niemand aus seinem Umfeld den nicht eben unerfahrenen Politiker beiseite genommen und gesagt, Armin, diese Kanzlersache geht vermutlich mit ein bisschen Medienaufmerksamkeit einher, achte da mal drauf. Vielleicht hat Laschet auch einfach besonders gemütlich geantwortet, dass ihm sowas egal sei, er sei Armin Laschet.”

3. Ewige Suche nach dem B-Sager
(taz.de, René Martens)
René Martens denkt über gelingenden Wissenschaftsjournalismus nach und hat dazu nicht nur einen Reader des Bildungs- und Forschungsministeriums gelesen, sondern auch mit Experten und Expertinnen gesprochen. Am Ende steht bei ihm eine Erkenntnis: “Die Voraussetzung dafür, dass der Wissenschaftsjournalismus den Journalismus in Gänze befruchten kann, wäre, dass sich Redaktionen zumindest teilweise von ihrer bisherigen Reichweitenstrategie verabschieden. Nachrichten- und Po­li­tik­jour­na­lis­t:in­nen müssten dem Druck widerstehen, alles ganz schnell in die Info-Stratosphäre zu pusten, weil die anderen es auch tun. Um es pathetischer oder eben mit Kant zu sagen: Sie bräuchten den Mut, sich des eigenen Verstandes zu bedienen.”

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4. Stichtag Freitag: Kommt die Fusion von RTL und G+J?
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Am morgigen Freitag veröffentlicht die RTL Group ihre Geschäftszahlen für das zweite Quartal. Dann wird es wohl auch Informationen über die mögliche Fusion zwischen der Mediengruppe RTL Deutschland und dem Medienhaus Gruner + Jahr geben.

5. Ranking: Die Frauenmachtanteile bei deutschen Leitmedien 2021
(kress.de, Marc Bartl)
Nach der neuen “Leitmedienzählung” von ProQuote erreiche die “taz” einen “Frauenmachtanteil” von 56,3 Prozent, doch wie sieht es bei “Stern”, “Zeit”, “SZ”, “Spiegel”, “Bild”, “Focus”, “Welt” und “FAZ” aus? Marc Bartl fasst zusammen, wie es um die Frauenanteile in journalistischen Führungspositionen laut ProQuote bestellt ist.

6. Sachen gibt’s
(kontextwochenzeitung.de, Anna Hunger)
Das berühmt-berüchtigte Sommerloch sorgt Jahr für Jahr dafür, dass wir in den Genuss von allerlei läppischen oder skurrilen Meldungen kommen. Anna Hunger hat sich ein paar besonders schöne Sommer-News herausgesucht. Es geht um den Schnitz-Hitler aus Weil im Schönbuch, ein vermeintliches Wollmammut im Fluss und einen Baggerfahrer mit ordentlich Wut in der Schaufel.

Bärs doofe Suchmaschine, Fifty Shades of einseitig, Medien-Start-ups

1. Dorothee Bärs intelligente Suchmaschine ist leider ziemlich doof
(netzpolitik.org, Jana Ballweber)
Gestern haben wir in den “6 vor 9” auf das neue “Netzwerk für digitale Aufklärung” der Staatsministerin für Digitalisierung, Dorothee Bär, hingewiesen, das einen ressortübergreifenden Zugang zu Digitalthemen bieten soll. Jana Ballweber hat sich das Projekt für netzpolitik.org angeschaut und kommt zu einem vernichtenden Urteil: “Die Suchmaschine der Bundesregierung ist ein weiteres Beispiel für aufgeblasene PR rund um ein nutzloses Digitalprojekt und der nächste Akt in der peinlichen Initiative der Staatsministerin für Digitalisierung.”

2. Fifty Shades of Grey & Co. – wie die Darstellung weiblicher Sexualität in Medien Frauen unter Druck setzt
(media-bubble.de, Theresa Hoff)
Theresa Hoff beklagt die oft einseitige oder fehlende Darstellung der weiblichen Sexualität in Filmen und Serien. Oft würden Frauen gezeigt, die alles tun, um dem Mann Vergnügen zu bereiten. Die Bedürfnisse der Frauen würden nur eine untergeordnete Rolle spielen. “Gerade junge Frauen können sich von dieser verzerrten Darstellung unter Druck gesetzt fühlen. Dadurch, dass sie häufig auf die Befriedigung des Mannes ausgelegt ist und seine Bedürfnisse zeigt, weckt sie bei jungen Frauen besonders am Anfang ihres Sexuallebens das Gefühl, sie müssten die Bedürfnisse ihres Partners erfüllen, statt auf die eigenen zu achten.”
Weiterer Lesehinweis: Vom Älterwerden und dem “Verfallsdatum” von Frauen – im Fernsehen und anderswo (fachjournalist.de, Susanne Conrad).

3. Twitter kooperiert mit Nachrichtenagenturen für seriöse Informationen
(zeit.de)
Twitter hat nach eigenen Angaben einen Vertrag mit den Nachrichtenagenturen Reuters und Associated Press unterzeichnet. Bei großen Ereignissen sollen die Agenturen gesicherte Informationen beisteuern, die man beispielsweise Tweets anhängen könne. Dies soll anscheinend auch prophylaktisch geschehen: “Anstatt zu warten, bis etwas viral geht, wird Twitter es in einen Zusammenhang mit der öffentlichen Debatte stellen oder ihr vorgreifen”.

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4. War was?
(sueddeutsche.de, Kathrin Müller-Lancé)
Immer wieder beschweren sich Verlage über die ihrer Ansicht nach unerlaubten Konkurrenzangebote der Öffentlich-Rechtlichen. Für derlei Konflikte gebe es seit Jahren eine extra eingerichtete Schlichtungsstelle. Die sei jedoch noch nie eingeschaltet worden, schreibt Kathrin Müller-Lancé: “Es scheint also, als wolle niemand dieses neu geschaffene Instrument nutzen. Dabei hatte dessen Einrichtung vielversprechend gewirkt im Konflikt zwischen Verlagen und Öffentlich-Rechtlichen.”

5. Startups: Trendsetter im Journalismus
(verdi.de, Bärbel Röben)
Zwischen 70 und 140 Medien-Start-ups soll es derzeit in Deutschland geben. Die neuen Angebote setzen auf mehr Perspektivenvielfalt, Diversität und Kollaboration, sie bedienen Spezialthemen oder füllen, wie im Fall der Lokaljournalismus-Projekte, entstandene Lücken. Bärbel Röben stellt in ihrem Beitrag einige der Projekte und die dahinterstehenden Finanzierungsmodelle vor.

6. Spotify und YouTube testen Billig-Abos
(spiegel.de)
Immer mehr Streaming-Dienste, Online-Anbieter, Medienangebote und Apps wollen ihre Kundinnen und Kunden zu Dauerzahlenden machen und bieten entsprechende Abo-Modelle an. Weil das Budget des Einzelnen begrenzt ist, experimentieren einige Unternehmen mit neuen Preismodellen. Youtube und Spotify unterbreiten anscheinend ausgewählten Personen niedrigpreisigere, jedoch deutlich abgespeckte Versionen ihrer Dienste.

Die Opfer von “Bild” (6)

Nach den verheerenden Überschwemmungen in vielen Regionen Deutschlands titelte “Bild” am 21. Juli:

Ausriss aus der BILD-Zeitung: "Feuerwehrmann [...] (46) aus Altena wurde von den Wassermassen getötet, als er helfen wollte. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet sagte im TV: "ER IST EIN HELD" - dazu ein großesFoto des Feuerwehrmanns, der ein "Daumen Hoch" gibt.Sein Gesicht ist verpixelt.

Auch online erschien das Foto groß auf der Startseite:

Screenshot von BILD.de: "Feuerwehrmann [...] (46) wurde getötet, als er helfen wollte - DER FLUT-HELD VON ALTENA"

Die Unkenntlichmachung des Gesichts stammt ausnahmsweise nicht von uns, sondern von “Bild”. Neben dem Foto erklärt die Redaktion:

Feuerwehrmann […] (46) ist ein Held unseres Landes. Mit Rücksicht auf seine Witwe hat BILD ihn auf diesem Foto unkenntlich gemacht.

Die Witwen und Hinterbliebenen vieler anderer Menschen sind “Bild” hingegen egal. Allein in der Woche vom 19. bis 25. Juli haben die “Bild”-Medien mindestens 30 Mal Fotos von Menschen gezeigt, die Opfer eines Unglücks oder Verbrechens geworden sind – bis auf den Feuerwehrmann war keines der Fotos unkenntlich gemacht.

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Bild.de veröffentlichte zum Beispiel das Foto eines Mannes, der bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Pilot und drei Teenager sterben bei Absturz - Rundflug in den Tod", dazu ein Foto der Trümmer an der Unglücksstelle sowie ein Foto des Piloten

(Unkenntlichmachung von uns.)

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Und Fotos einer Frau, die beim Bungeespringen gestorben ist. Quelle: Facebook.

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Horror-Unfall in Kolumbien - Frau springt ohne Bungee-Seil von 50-Meter-Brücke - tot", dazu ein Foto der Frau

(Unkenntlichmachung von uns.)

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Und das private Foto einer Frau, die in Frankreich ermordet wurde:

Screenshot von BILD.de: Ein großes Foto einer Frau und ein kleineres Foto eines Mannes, dazu die Bildunterschrift: "[...] (32) wurde von ihrem Killer über Monate hinweg gestalkt und schließlich ermordet"

(Unkenntlichmachungen von uns.)

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Bild.de und “Bild am Sonntag” zeigten auch Fotos einer fünfköpfigen Familie, die mutmaßlich im Hochwasser ums Leben gekommen ist:

Titelseite der BILD am SONNTAG: "GANZE FAMILIE VON DER FLUT VERSCHLUCKT", dazu ein Foto der Eltern sowie drei Fotos der Kinder

(Unkenntlichmachungen von uns.)

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Am häufigsten zeigten die “Bild”-Medien Fotos einer Frau, die sie “Die Tote aus dem Nazi-Bunker” nennen:

Ausriss aus der BILD-Zeitung: "Tote [...] lag im Nazi-Bunker", dazu ein Foto der Frau

Screenshot von der BILD.de-Startseite:: "ERMORDET! - 5 Tage galt [...] (26) als vermisst - Jetzt wurde die junge Mutter tot im Nazi-Bunker gefunden", dazu ein Foto des Bunkers und ein Foto der Frau

SScreenshot von der BILD.de-Startseite:: "Liche lag in Nazi-Bunker mitten im Wald - Hier wurde die ermordete [...] (26) gefunden", dazu ein Satellitenbild, auf dem der Fundort mit einem großen Pfeil markiert ist, außerdem ein Foto der Frau

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Junge Mutter ermordet in Nazi-Bunker gefunden - [...] (26) wurde auf Waldweg abgefangen!", dazu ein Foto des Bunkers, ein Foto der Frau und das Bild-Plus-Logo

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Tote [...] (26) aus dem Nazi-Bunker - 'Entweder liebt man mich oder man hasst mich' - Die junge Mutter mochte Schlager und hatte ein Herz für Schwächere", dazu ein Foto des Bunkers und ein Foto der Frau

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Junge Mutter lag tot im Nazi-Bunker - Drei Theorien zum Mord an [...] (26)", dazu ein Foto des Bunkers, ein Foto der Frau und das Bild-Plus-Logo

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Die Tote aus dem Nazi-Bunker - Die letzten Bilder von [...] (26) - Was verraten die Aufnahmen aus der Überwachungskamera am Bahnhof?", dazu ein Foto der Überwachungskamera, auf dem die Frau zu sehen ist

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Die Tote aus dem Nazi-Bunker - Darum nahm [...] (26) den dunklen Waldweg", dazu ein Foto der Überwachungskamera, auf dem die Frau zu sehen ist

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "[...] (26) letzte Worte an Freunde - 'Ich fahre doch den anderen Weg, da ist Schatten' ++ Ihre Leiche lag in einem Nazi-Bunker ++ Wie die Ermittler das Mord-Puzzle lösen wollen ++", dazu ein Foto der Überwachungskamera, auf dem die Frau zu sehen ist

(Alle Unkenntlichmachungen von uns.)

Bild.de zeigt zahlreiche Fotos des Bunkers (unter anderem per Drohne aufgenommen), außerdem ein Foto des Hauses, in dem die Frau gelebt hat; sogar ein Foto ihrer Wohnungstür. Und immer wieder Fotos aus ihrem Facebookprofil:

Screenshot von BILD.de: Ein Foto einer Frau, dazu die Bildunterschrift: "Nachdenklich, romantisch: Auch so zeigte sich [...] (26) in ihren Facebook-Profilen. Sie liebte Schlager, hatte ein großes Herz für Schwächere" "Foto: Privat"

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Nach einem Verbrechen oder Unglück in Social-Media-Profilen zu wühlen und daraus Fotos der Opfer zu veröffentlichen, ist redaktioneller Alltag bei “Bild”. Häufig erscheinen solche Fotos ohne jede Verpixelung und ohne Zustimmung der Angehörigen oder Hinterbliebenen.

In vielen Fällen werden Freunde, Kollegen oder Familienmitglieder sogar von Reportern bedrängt, damit sie Fotos der Menschen herausrücken, die sie gerade verloren haben.

“Bild” begründet die Veröffentlichung solcher Bilder damit, dass “nur so” die Tragik “deutlich und fassbar” werde.

Wie jedoch viele Betroffene selbst darüber denken, kann man zum Beispiel hier nachlesen. Dort sagt der Vater eines Mädchens, das beim Amoklauf von Winnenden getötet wurde und deren Foto in den Tagen darauf immer wieder in der “Bild”-Zeitung erschien:

Die “Bild”-Zeitung und andere, auch Fernsehsender, ziehen Profit aus unserem Leid! Dreimal hintereinander sind Bilder [unserer Tochter] erschienen, ohne dass wir das gewollt hätten. Wir hätten das nie erlaubt. Die reißen die Bilder an sich und fragen nicht danach, was wir Hinterbliebenen denken und fühlen.

Pressekodex Richtlinie 8.2

Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben, oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt.

In einem Interview in unserem Buch sagt ein anderer Betroffener, dessen Bruder bei einem Skiunfall gestorben ist und später ohne Erlaubnis der Angehörigen groß auf der Titelseite der ”Bild”-Zeitung zu sehen war:

Das war eines der schlimmsten Dinge an der Geschichte: Dass die “Bild” die Kontrolle darüber hat, mit welcher Erinnerung mein Bruder geht. Dass das letzte Bild von der “Bild”-Zeitung kontrolliert wird und nicht von ihm selbst oder von uns.

Auch in anderen Medien kommt es vor, dass solche Fotos veröffentlicht werden. Doch niemand macht es so häufig und so eifrig wie “Bild”. Mehr als die Hälfte aller Rügen, die der Presserat je gegen die “Bild”-Medien ausgesprochen hat, bezog sich auf die unzulässige Veröffentlichung von Opferfotos.

Um zu verdeutlichen, in welchem Ausmaß “Bild” auf diese Weise Profit aus dem Leid von Menschen zieht, wollen wir hier regelmäßig dokumentieren, wie häufig die “Bild”-Medien solche Fotos veröffentlichen.

Querdenkende Querschläger, TikToks Bytedance mit Amthor, MTV wird 40

1. Geschlagen und getreten
(taz.de, Volkan Ağar)
Jörg Reichel, ein Landesgeschäftsführer der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union, ist bei der (eigentlich verbotenen) “Querdenken”-Demo in Berlin angegriffen und verletzt worden. Reichel sei laut Angaben der Gewerkschaft seit Monaten von Personen aus der “Querdenken”-Szene diffamiert und bedroht worden, sein Name und Foto hätten in einschlägigen Telegram-Kanälen kursiert: “Jörg hat sich davon nicht einschüchtern lassen und weitergemacht. Er hat zahllose Journalistinnen und Journalisten, die von diesen Demos berichten, unterstützt und sich dafür eingesetzt, dass sie sicher arbeiten können. Für dieses Engagement als Gewerkschafter ist er nun selbst offenbar gezielt angegriffen worden.”

2. Tiktoks Ringen um Einfluss
(deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz, Audio: 8:58 Minuten)
Wie der “Spiegel” jüngst herausfand, lobbyiert die Videoplattform TikTok verstärkt in Deutschland, unter anderem beim CDU-Abgeordneten Philipp Amthor. Was steckt dahinter? Und welche Absichten verfolgt der chinesische Mutterkonzern Bytedance? Darüber hat sich der Deutschlandfunk mit Simon Hurtz unterhalten, einem der Köpfe des “Social Media Watchblogs”.

3. Nachrichten von ARD und ZDF: keine Olympia-Bilder in den Mediatheken
(rnd.de)
ARD und ZDF bieten online bis zu zehn parallele Olympia-Livestreams, doch Olympia-Bilder in den Nachrichtensendungen in den Mediatheken gibt es nicht zu sehen. Das sei eine Folge des Geoblockings, wie ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky erklärt. Die Olympia-Rechte der öffentlich-rechtlichen TV-Sender gälten nur in Deutschland.

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4. Die FAZ verkündet mehr als 180.000 Digitalabos – und erhöht die Gehälter
(kress.de, Marc Bartl)
Die “FAZ” zeigt sich zufrieden mit den aktuellen Geschäftszahlen. Diese hätten sowohl im Jahr 2020 als auch in den ersten Monaten des laufenden Jahres eine “erfreuliche Entwicklung” genommen. Im Unterschied zu anderen Medienhäusern hatten die Frankfurter keine Kurzarbeit wegen Corona angemeldet und würden jetzt nicht nur die Gehälter erhöhen, sondern auch eine Sonderprämie ausschütten.

5. Bundesregierung startet ressortübergreifende Suchmaschine
(sueddeutsche.de)
Die Staatsministerin für Digitalisierung Dorothee Bär will ein “Netzwerk für digitale Aufklärung” etablieren, das einen ressortübergreifenden Zugang zu Digitalthemen bieten soll. “Gerade bei Querschnittsthemen wie etwa der Digitalisierung, die die Zuständigkeit verschiedener Ressorts berühren, fehlte bislang eine zentrale Suche, mit der alle Informationsangebote angezeigt werden”, so die CSU-Politikerin zum Start des Projekts.

6. Musikfernweh
(faz.net, Axel Weidemann)
Der Musiksender MTV ist 40 Jahre alt geworden, und Axel Weidemann weiß nicht, ob er gratulieren oder lieber höflich schweigen soll: “Als Distinktionswerkzeug ist MTV unbrauchbar geworden, ein geschminkter Zombie, der – das Kinn in die Hände gestützt – am Grab seines deutschen Kollegen ‘Viva’ (1993 bis 2018) sitzt und darauf wartet, dass das Internet wieder abgestellt wird.”

Uploadfilter-Gesetz, Schleichwerbung auf Insta, 10 Jahre “FragDenStaat”

1. Was sich jetzt mit dem Uploadfilter-Gesetz ändert
(spiegel.de, Patrick Beuth)
Gestern trat das lang umkämpfte Uploadfilter-Gesetz in Kraft. Patrick Beuth hat die Unternehmen hinter Youtube, Facebook, TikTok und Twitch gefragt, wie sie ihre Plattformen umgebaut haben, um Overblocking zu vermeiden. Drei der vier Befragten wollten nicht darüber reden. Der Widerstand gegen die Regelung gehe weiter: Die ehemalige Europaabgeordnete Julia Reda will die Umsetzung des Gesetzes überprüfen und hat mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte einen Aufruf gestartet.

2. Influencer:innen müssen sich vor Gericht wegen Schleichwerbung behaupten
(netzpolitik.org, Rahel Lang)
Derzeit verhandelt der Bundesgerichtshof (BGH) anhand von drei Fällen über die Kennzeichnungspflicht von Produktempfehlungen auf Instagram. Dem für September erwarteten Urteil wird große Bedeutung beigemessen: “Die anstehende Entscheidung des BGH ist ein Meilenstein in der Frage um Kennzeichnungspflicht von Produkten auf Instagram. Das Urteil des obersten Gerichts wird sich auf die Prozesse weiterer Influencer:innen, die von dem Verband abgemahnt wurden, auswirken.”

3. 10 Jahre FragDenStaat: Fortschritte sind durchaus erkennbar
(fragdenstaat.de, Arne Semsrott)
Wohl kaum eine Institution hat sich um die Informationsfreiheit in Deutschland so verdient gemacht wie die Transparenz-Initiative “FragDenStaat”. Nun feiert das mittlerweile 13-köpfige Team den zehnten Geburtstag der Plattform: “Wir sind stolz darauf, dass es uns mit FragDenStaat trotz aller Widerstände seit zehn Jahren immer besser gelingt, Menschen dabei zu unterstützen, sich für Informationsfreiheit einzusetzen und zu zeigen, was für demokratische Möglichkeiten im freien Zugang zu Informationen stecken. Mehr als 100.000 Personen haben fast 200.000 Anfragen über die Plattform gestellt.”

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4. Die Zeitungsfälscher: Wie ein skurriles Netzwerk aus Fake-Accounts auf Facebook Stimmung macht
(correctiv.org, Alice Echtermann)
Eine “Correctiv”-Recherche hat ein Netzwerk gefälschter Profile rund um die erfundene Zeitung “NRW Kurier” aufgedeckt: “Dahinter steckt ein Mann, der uns gegenüber seine Identität nicht preisgeben wollte. Er bezeichnet das Ganze als privates Kunstprojekt. Eine ‘Liebhaberei’, die er weiter betrieb, obwohl seine Seite schon seit einiger Zeit so gut wie keine Aufmerksamkeit auf Facebook mehr erzeugte. Dies ist eine Geschichte über die Skurrilität von Desinformation und über Menschen, die aus Wut über die ‘Lügenpresse’ beginnen, ‘Fake News’ zu produzieren.”

5. Kein Einzelfall
(taz.de, Jessica Ramzcik)
Der Fotojournalist Tim Mönch soll ins Visier des sächsischen Verfassungsschutz geraten sein, weil er 2019 (in rechtlich zulässiger Weise) einen rechten “Zeitzeugenvortrag” im sächsischen Leubsdorf fotografierte. Er gelte beim Staatsschutz nun als Linksextremist. Mönch wolle sich gegen diese Einstufung wehren. Das werde – trotz anwaltlicher Hilfe – jedoch “wahrscheinlich noch Jahre dauern”.

6. Wer stärkt hier eigentlich wen?
(deutschlandfunkkultur.de, Vera Linß & Dennis Kogel, Audio: 21:06 Minuten)
Die ARD hat seriöse Inhalte und sehnt sich nach jungem Publikum. TikTok hat das junge Publikum und sehnt sich nach seriösen Inhalten. Da liegt der Gedanke einer Zusammenarbeit nahe. Doch neben Zukunftschancen bietet eine derartige Kooperation auch Gefahren. Die Liste der Vorwürfe an TikTok ist recht umfassend. Erst jüngst ist das Unternehmen wieder ins Gerede gekommen: Es habe laut “Spiegel” versucht, verdeckte Spenden an die Junge Union zu zahlen (nur mit Abo lesbar).

KW 30: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. ZAPP Spezial: Strategien im Online-Wahlkampf
(ndr.de, Nils Altland & Johannes Jolmes & Kim Kristin Mauch, Video: 28:43 Minuten)
94 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung sind laut Onlinestudie von ARD und ZDF zumindest gelegentlich online. Da drängt es sich geradezu auf, den Wahlkampf nicht nur offline, sondern auch online zu führen. Vielleicht war der Online-Wahlkampf sogar noch nie so entscheidend wie bei der kommenden Bundestagswahl. Wie gehen die Parteien vor? Welche Strategien verfolgen sie? Das Medienmagazin “Zapp” hat sich auf Social Media umgeschaut und mit verschiedenen Politikerinnen und Politikern gesprochen.

2. Pressefreiheit grenzenlos
(reporter-ohne-grenzen.de)
Im neuen Podcast von Reporter ohne Grenzen geht es um die Leute, für die sich die Organisation tagtäglich einsetzt. Welchen Gefahren sind Medienschaffende durch ihre Arbeit ausgesetzt? Und wie gelingt es, dass sie frei berichten können? Die aktuelle Folge von “Pressefreiheit grenzenlos” führt nach Belarus: Mit der Macht der Bilder gegen die Mächtigen.

3. Sabine Rückert, wie kamen Sie zum Verbrechen?
(zeit.de, Jochen Wegner & Christoph Amend, Audio: 7:31:15 Stunden)
Beim “Zeit”-Podcast “Alles gesagt?” wird so lange geplaudert, bis alle Fragen beantwortet sind und alles gesagt wurde, was zu sagen war. Auch wenn das, wie im vorliegenden Fall, siebeneinhalb Stunden dauert. Deswegen das Geständnis des Kurators: Ich habe diese Folge nicht komplett gehört, empfehle sie trotzdem. Zu Gast ist Sabine Rückert, stellvertretende Chefredakteurin der “Zeit” und erfolgreiche Podcast-Macherin (“Zeit Verbrechen”). Es geht unter anderem um ihren persönlichen Werdegang, auch um ihre Zeit bei “Bild”, ihren Blick auf den heutigen Feminismus sowie ihr Verhältnis zum Journalismus und zum Fall Kachelmann.

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4. Generation Praktikum: Kampf um den Lebenslauf
(druckausgleich.podigee.io, Annkathrin Weis & Luca Schmitt-Walz, Audio: 36:32 Minuten)
“Alle Praktika, die ich gemacht habe, waren eine mega Erfahrung. Aber …”, sagt die Journalistin Luisa Thomé. Um exakt jenes “Aber” geht es in der aktuellen Folge von “Druckausgleich”, dem Podcast über den Berufsstart in der Medienbranche. Der Talk dreht sich um Bezahlung, Einbindung und Wertschätzung für Praktikanten und Praktikantinnen im Medienbusiness.

5. Blick hinter die Fassade politischer Kampfbegriffe
(deutschlandfunkkultur.de, Arno Orzessek, Audio: 6:29 Minuten)
In David Ranans Sammelband “Sprachgewalt” dreht sich alles um missbrauchte Wörter und andere politische Kampfbegriffe. Arno Orzessek hat das Buch gelesen: “‘Sprachgewalt’ verknüpft Begriffsgeschichte mit Realgeschichte, blickt kritisch auf den Medienhype, in dem manche Wörter jeden präzisen Sinn verlieren, entlarvt die sprachpolitischen Strategien von Rechten und Linken, von Konservativen und Revoluzzern, von Israel-Freunden und -Feinden.”

6. Unsere Väter – die größten Showmaster Deutschlands
(ndr.de, Andreas Gerling & Christian Stöffler, Video 2:19:00 Stunden)
Wie haben die Kinder der größten Showmaster der deutschen Fernsehgeschichte ihre Väter erlebt? Wie sehen die Söhne und Töchter jetzt, aus der zeitlichen Distanz, das Werk und Schaffen ihrer Väter? Wie war es früher, das Kind eines berühmten Fernsehstars zu sein? Welche Schattenseiten, welche Brüche gab es im Leben und in der Karriere der Väter? In der mehr als zweistündigen Doku erinnern sich die Töchter und Söhne von Hans Rosenthal, Hans-Joachim Kulenkampff, Peter Frankenfeld, Wim Thoelke, Harald Juhnke, Dieter Thomas Heck, Kurt Felix, Rudi Carrell und Heinz Quermann sowie die Enkelin von Peter Alexander an die Zeiten von damals.

7. Was können wir von der BILD im Wahlkampf erwarten?
(wasmitmedien.de, Audio: 1:32:44 Stunden)
Als zusätzliche Empfehlung, weil in eigener Sache: In der neuen Ausgabe von “Was mit Medien” ist mein BILDblog-Kollege Moritz Tschermak zu Gast und spricht unter anderem über das von ihm und Mats Schönauer verfasste Buch “Ohne Rücksicht auf Verluste – Wie BILD mit Angst und Hass die Gesellschaft spaltet”.

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“Das ist schon sehr viel”, was bei “Bild TV” alles weggelassen wird

Bei “Bild TV” war am Mittwoch der Publizist und Verleger Wolfram Weimer zu Gast. Er kommentierte unter anderem einen Fall aus Leer, wo drei Asylbewerber eine 16-Jährige vergewaltigt haben sollen. Weimer sagte dazu:

Screenshot der Bild-TV-Sendung

Das Problem ist größer als öffentlich drüber geredet wird. Und wenn man sich die Zahlen vom BKA einmal anguckt, ich habe die mal mitgebracht, dann haben wir, die Zahlen sind ganz frisch, im Jahr 2020 5.719 sexuelle Übergriffe von Personen mit Zuwanderungs, also jüngster Zuwanderungshintergrund. Das heißt, das sind jeden Tag 15. Wir haben jeden Tag 15 Fälle in Deutschland. Das ist schon sehr viel.

Und wenn man sich anguckt: Die Entwicklung, im Jahr 2016 waren das nur 3.400. Natürlich: Jeder Fall ist zu viel. Aber man sieht diesen dramatischen Anstieg. Wir haben einen Anstieg um 80 Prozent in wenigen Jahren. Aus einer ganz bestimmten Tätergruppe, man weiß, das sind die 18- bis 30-Jährigen eines ganz bestimmten Milieus. Und das Problem muss adressiert werden.

Mit den “Zahlen vom BKA” dürfte Wolfram Weimer das “Bundeslagebild Kriminalität im Kontext von Zuwanderung 2020” (PDF) des Bundeskriminalamts meinen, das im Juni veröffentlicht wurde. Darin geht es um Straftaten in unterschiedlichen Deliktsbereichen, darunter auch Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Der Fokus dieser Sonderauswertung liegt auf Delikten, bei denen mindestens ein Zuwanderer oder eine Zuwanderin als tatverdächtig gelten. Das BKA schreibt dazu:

Analog den Festlegungen in der [Polizeilichen Kriminalstatistik] gilt eine tatverdächtige Person in diesem Bundeslagebild als Zuwanderer/Zuwanderin, wenn sie mit dem Aufenthaltsanlass “Asylbewerber/-in”, “Schutzberechtigte/-r und Asylberechtigte/-r, Kontingentflüchtling”, “Duldung” oder “unerlaubter Aufenthalt” registriert wurde.

Bei den Angaben handelt es sich also nicht um verurteilte Täter, sondern um ermittelte Tatverdächtige (eine Unterscheidung, mit der die “Bild”-Redaktion häufiger Probleme hat, die aber ausgesprochen wichtig ist).

Wenn man sich dieses Lagebild tatsächlich “einmal anguckt”, wie Wolfram Weimer vorschlägt, erkennt man, dass seine Wiedergabe bei “Bild TV” teils so unvollständig, so einseitig oder schlicht so falsch ist, dass wir hier für eine umfassendere Darstellung ein paar Infos hinterherschicken wollen.

Vielleicht erstmal zu Weimers Rechenfähigkeiten. Bei einer Steigerung von 3.400 Fällen im Jahr 2016 (ganz genau sind es laut BKA 3.404) auf 5.719 Fälle im Jahr 2020, kommt er auf “einen Anstieg um 80 Prozent”. Richtig gerechnet sind das allerdings 68 Prozent. Die 80 Prozent, die Weimer nennt, sind aber ganz interessant, denn es gibt in der BKA-Statistik tatsächlich eine Steigerung von etwa 80 Prozent: Bei den aufgeklärten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung insgesamt – also bei den Zahlen, die sich nicht nur auf tatverdächtige Zuwanderer beziehen, sondern auf alle Tatverdächtigen in Deutschland. 2016 waren es 37.442 Straftaten, 2020 67.656 – ein Plus von 80,7 Prozent. Das heißt also: Die Straftaten mit tatverdächtigen Zuwanderern sind im selben Zeitraum weniger stark gestiegen als die Straftaten aller Tatverdächtiger.

Eigentlich ist dieser Vergleich mit den Zahlen aus 2016 aber – ob nun bei den Zuwanderern oder insgesamt – sowieso nicht richtig sinnvoll. Denn es gab in der Zwischenzeit eine Gesetzesänderung, die die Statistik verzerrt. Da weist das BKA in seinem Bundeslagebild auch extra drauf hin:

Mit dem “50. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung” vom 04.11.2016 wurden im Sexualstrafrecht Straftatbestände geändert und neue Straftatbestände eingeführt. Dies führt im Ergebnis dazu, dass im Bereich “Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und sexueller Übergriff im besonders schweren Fall einschl. mit Todesfolge (§§ 177, 178 StGB)” ab dem Berichtsjahr 2017 ein Vergleich mit den Vorjahreszahlen nur eingeschränkt möglich ist.

Wolfram Weimer macht es bei “Bild TV” trotzdem einfach. Hätte er ein anderes Jahr aus der Statistik genommen, hätte seine Erzählung auch nicht mehr so richtig gepasst: Für 2017 nennt das BKA 5.258 “Straftaten mit mindestens einem/einer tatverdächtigen Zuwanderer/Zuwandererin” – eine Steigerung bis 2020 von gerade mal noch 8,8 Prozent. 2018 sind es 6.046 Straftaten. Und seitdem sinkt der Wert: 2019 sind es 5.802 und 2020 die bereits erwähnten 5.719. So stellt das BKA in seinem Lagebild auch optisch extra groß heraus:

Anteil der tatverdächtigen Zuwanderer/Zuwandererinnen an Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung weiter rückläufig

Die Behörde schreibt dazu:

Während die Gesamtzahl der 2020 in der [Polizeilichen Kriminalstatistik] registrierten aufgeklärten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung im Vergleich zum Vorjahr weiter angestiegen ist (+17,4 %; 2019: +12,7 %), sanken die Fallzahlen mit mindestens einem/einer tatverdächtigen Zuwanderer/Zuwanderin im Berichtsjahr um 1,4 %.

All das bleibt bei Weimers “Bild-TV”-Auftritt gänzlich unerwähnt. Genauso der Vergleich mit den 67.656 aufgeklärten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung insgesamt in Deutschland im Jahr 2020. Dazu kein Wort von Weimer. Er nennt nur die Straftaten der tatverdächtigen Zuwanderer, liefert keinerlei Einordnung, lässt es so wirken, als wären Sexualstraftaten nur ein Zuwanderer-Problem, eine Sache “eines ganz bestimmten Milieus”. Stattdessen rechnet er 15 Fälle pro Tag aus und sagt: “Das ist schon sehr viel.” Insgesamt sind es noch viel mehr: 185 Fälle pro Tag.

Und dann noch zum Sprachlichen. Wenn Wolfram Weimer sagt: “Und wenn man sich die Zahlen vom BKA einmal anguckt, […] dann haben wir […] im Jahr 2020 5.719 sexuelle Übergriffe von Personen mit Zuwanderungs, also jüngster Zuwanderungshintergrund”, dann ist das gleich doppelt irreführend. Einmal ist nicht endgültig juristisch geklärt, ob diese Personen wirklich die Täter sind. Und vor allem wirkt seine Aussage im Kontext der “Bild-TV”-Sendung so, als würde es sich bei den “5.719 sexuellen Übergriffen” um Delikte wie Vergewaltigungen handeln. Die 5.719 Fälle aus der BKA-Statistik decken aber das gesamte Feld der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ab – von exhibitionistischen Handlungen und Erregung öffentlichen Ärgernisses bis zu sexuellem Missbrauch. Darunter auch die Paragrafen 177 und 178 des Strafgesetzbuches, in denen es um “Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung” geht. Aber eben nicht nur.

Natürlich kann und soll man über Kriminalität von Zuwanderern berichten und diskutieren. Wir finden nur, dass man dann auch umfassend berichten sollte. Die einseitige Darstellung der BKA-Statistik durch Wolfram Weimer und “Bild TV” verfängt jedenfalls ganz wunderbar. In den Tausenden Kommentaren unter dem Youtube-Video sowie den Facebook- und Twitter-Posts von “Bild” gibt es reichlich Wut auf die Politik, auf “Mutti” Merkel, auf die Justiz, auf Zuwanderer. Und es gibt zahlreiche Danksagungen an die Redaktion, dass jetzt endlich mal jemand die Fakten auf den Tisch lege.

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