KW 35: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Wie krass manipuliert die ARD?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 36:00 Minuten)
Die Öffentlich-Rechtlichen haben kurz hintereinander für zwei Aufreger gesorgt: Das WDR-Wissensmagazin “Quarks” hat in einem zweifelhaften Parteien-Ranking die FDP zunächst als Top-Klimaretter eingestuft, dann aber mehr oder weniger willkürlich herabgestuft. In einem Nachrichtenbeitrag des MDR-“Sachsenspiegel” wurde das “Bild”-Logo von einem Mikrofon retuschiert. Holger Klein hat sich mit dem Medienkritiker Stefan Niggemeier über die beiden Vorgänge unterhalten, die wahrlich keine Glanzleistungen der öffentlich-rechtlichen Sender waren und sogar gefährliche Folgen haben könnten.

2. Noise, Folge 1: Bild im Bild – Wenn Boulevard Politik macht
(noise-podcast.podigee.io, Audio: 32:50 Minuten)
Von den Machern und Macherinnen der erfolgreichen Podcast-Produktion über Ken Jebsen (“Cui Bono – WTF happened to Ken Jebsen“) gibt es einen neuen Mehrteiler, von dem die erste Folge nun online ist: Bei “Noise” geht es im Wortsinn um Lärm. Um medialen Lärm, der oft aus Falschinformationen, Irreführungen, Desinformation und “Fake News” besteht. In der ersten Episode geht es um den schädlichen Einfluss der “Bild”-Medien auf die Gesellschaft. Als Experten kommen der ehemalige und der jetzige BILDblog-Leiter zu Wort.

3. Kunstfreiheit! Müssen wir die Kunst von den Kunstschaffenden trennen?
(zdf.de, Salwa Houmsi & Stefan Münker, Video: 37:32 Minuten)
Bei dem TV-Format “13 Fragen” wird eine Diskussion über ein strittiges Thema auf ein Spielfeld verlagert: Auf aufgemalten Feldern stehen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gegenüber, können sich aber während der Debatte noch stärker voneinander weg- oder aufeinander zu bewegen. In der aktuellen Folge geht es um die schwierige Frage, ob wir Kunst von Künstlerinnen und Künstlern, die sich etwas zu Schulden haben kommen lassen, unsere Aufmerksamkeit entziehen sollten, oder ob man Kunst und die Person dahinter trennen sollte.

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4. Made to Measure: Eine digitale Spurensuche
(ardmediathek.de, Moritz Riesewieck & Hans Block & Cosima Terrasse, Video: 44:18 Minuten)
Vorbemerkung: Der verlinkte Film enthält laut Warnhinweis “Szenen, die für Zuschauer:innen, die an Depressionen oder an einer Essstörung leiden sowie für Menschen in labilen Zuständen möglicherweise belastend sein können”.
Ist es möglich, alleine anhand der persönlichen Google-Daten einer Person ihre Doppelgängerin zu erschaffen? Ihre Persönlichkeit, Verhaltensmuster und verborgenen Wünsche zu rekonstruieren? Zusammen mit einem ehemaligen Youtube-Entwickler, einem Google-Marketer, einer Expertin für personalisierte Werbung sowie mehreren Datenschützerinnen und -schützern geht “Made to Measure” der Frage nach, welche Potenziale und Risiken in der algorithmischen Persönlichkeitsermittlung und Verhaltensvorhersage stecken.

5. Bilanz: Falsche Prophezeiungen zu Corona
(ardaudiothek.de, Tagesschau Faktenfinder, Michail Paweletz & Carla Reveland, Audio: 32:02 Minuten)
Im “Faktenfinder”-Podcast der “Tagesschau” geht es um die falschen Prophezeiungen aus dem Umfeld der Corona-Leugner, “Querdenker” und Verschwörungsideologen: Was davon ist nach anderthalb Jahren übrig geblieben? Wie konnte es passieren, dass sich Leute wie Attila Hildmann immer mehr radikalisierten? Unter anderem darüber sprechen Moderator Michail Paweletz, Faktenfinderin Carla Reveland und “Tagesspiegel”-Redakteur Sebastian Leber.

6. Warum Disney es keinem recht machen kann
(youtube.com, Philipp Walulis, Video: 12:19 Minuten)
Der Disney-Konzern will für familientaugliche und harmlose Unterhaltung stehen, in den alten Filmen stecken jedoch einige rassistische Karikaturen und überkommene Klischees. Der Konzern ist sich dessen auch bewusst und verspricht Aufklärung und Verbesserung. Das Walulis-Team hat sich angeschaut, was davon zu halten ist: “Wird Micky Maus jetzt zum Social Justice Warrior, oder ist das nur woke PR-Propaganda? Wir haben genauer hingesehen, warum der Wandel schleppend läuft.”

Wahl-O-Mat und Alternativen, Kein CDU-Takeover bei RTL, Laschet-TV

1. Wahl-O-Mat gestartet – die Alternativen sind längst online
(deutschlandfunk.de, Stefan Fries, Audio: 24:04 Minuten)
Die Bundeszentrale für politische Bildung hat den Wahl-O-Mat für die anstehende Bundestagswahl freigeschaltet. Das Tool ist über die vergangenen fast 20 Jahre immer wieder überarbeitet worden. In der neuen Ausgabe lassen sich Positionen und Gewichtungen anpassen. Doch mittlerweile gibt es mehr als ein Dutzend weitere Online-Wahlberater, darunter den Wahl-Kompass der Uni Münster, den Sozial-O-Mat der Diakonie und den Klima-Wahlcheck der Klima-Allianz Deutschland.

2. RTL sagt Übernahme von Instagram-Account durch CDU-Mitarbeiterinnen ab
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
“Was könnte es im Wahlkampf besseres geben für eine Partei als den Social-Media-Account einer Nachrichtensendung zu übernehmen? Dass diese Art von Werbeaktion schaden könnte, stellte RTL dann doch noch fest – und blies die Aktion ab.” Markus Reuter berichtet über eine Aktion, bei der CDU-Influencerinnen für einen Tag den Instagram-Account der Nachrichtensendung “RTL Aktuell” (450.000 Followerinnen und Follower) übernehmen sollten. Mittlerweile hat sich auch der Sender dazu geäußert: “Es gibt grundsätzlich keine Übernahme unserer journalistischen Kanäle! Hier ist schlicht und einfach ein Fehler im Social Team passiert.”

3. Kommentar: Laschets Dauer-Werbesendung im Amt
(wdr.de, Marc Steinhäuser)
Marc Steinhäuser wirft NRW-Ministerpräsident und Union-Kanzlerkandidat Armin Laschet in seinem Kommentar eine fragwürdige Pressearbeit vor: “Pressekonferenzen als Landesvater gibt er derzeit regelmäßig in Berlin. Der strauchelnde Kanzlerkandidat will seine Regierungserfolge groß rausbringen, und das soll jeder sehen. Minister loben den Ministerpräsidenten vor laufenden Kameras, Journalisten bekommen in Düsseldorf gedruckte Leistungsbilanzen der Regierung in die Hand. Dabei steht die Landtagswahl erst im kommenden Jahr an.”

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4. Desinformation: Was ist das, wer definiert das, ist das gefährlich?
(socialmediawatchblog.de, Simon Hurtz & Martin Fehrensen)
Das “Social Media Watchblog” befasst sich in der neuesten Ausgabe seines Briefings schwerpunktmäßig mit dem Themenkomplex Desinformation. Ausnahmsweise ist diese Ausgabe frei verfügbar. Weitere Themen sind: Social-Media-Nutzung bei Jugendlichen, TikToks Erfolg in der Schweiz und LinkedIns Entscheidung, die Stories-Funktion einzustellen.

5. Keine Sorge, Kameraden: Es sind nicht alle links!
(arminwolf.at)
In der österreichischen Tageszeitung “Die Presse” war in einem Gastkommentar von der angeblichen “Linkslastigkeit der österreichischen Journalisten” die Rede. Laut Andreas Kirschhofer-Bozenhardt gebe es “keinen Meinungspluralismus” und für “konservativ-liberale” Österreicher und deren politische Ansichten “keinen sicheren Hafen”. Der Journalist und Fernsehmoderator Armin Wolf schreibt in seiner Replik: “Ich bin in dieser heimischen Medienlandschaft nun schon 36 Jahre lang tätig, und ich frage mich ehrlich, wie weit rechts man politisch stehen muss, um die Kronenzeitung, oe24, heute, den Kurier, Die Presse, die NÖN, die OÖN, die SN, die Tiroler Tageszeitung, die Vorarlberger Nachrichten und die Kleine Zeitung für ‘links’ zu halten. Möglich ist es natürlich, vom südlichen Polarkreis aus gesehen liegen Südamerika, Afrika und Australien schließlich auch im Norden. Es sagt halt mehr über den Standort als über die Geografie.”

6. Tschüss Schreibblockade – Kreativitätstechniken gezielt anwenden
(fachjournalist.de, Florian Beißwanger)
Beim “Fachjournalist” stellt Florian Beißwanger Kreativtechniken vor, “mit denen Sie in den Schreibflow kommen und neuen kreativen Input generieren.” Der strukturierte Übersichtsartikel liefert wertvolle Anregungen für alle Schreibenden, und manch ein Tipp ist auch eine gute Schreibübung für Nicht-Blockierte.

Afghanistan ohne Journalistinnen, Ungeeignete Metapher, Globukalypse

1. Medienlandschaft ohne Journalistinnen
(reporter-ohne-grenzen.de)
Laut Reporter ohne Grenzen entspricht die Behauptung der Taliban, die Pressefreiheit respektieren zu wollen und Journalistinnen weiterhin arbeiten zu lassen, nicht der Wahrheit: “In der Hauptstadt Kabul ist die Zahl der Frauen, die für die acht größten Medienunternehmen arbeiteten, von mehr als 500 auf unter 80 gesunken. Auch in den Provinzen Kabul, Herat und Balkh waren die meisten Journalistinnen gezwungen, ihre Arbeit einzustellen.”

2. Hört auf, Vergewaltigung als Metapher zu benutzen!
(spiegel.de, Margarete Stokowski)
Der Komiker Dieter Hallervorden, Mitglied im neuerungsfeindlichen “Verein Deutsche Sprache”, hat unlängst das Gendern als “Vergewaltigung der Sprache” bezeichnet. Ein Anlass für die “Spiegel”-Kolumnistin Margarete Stokowski, daran zu erinnern, wie ungeeignet und unpassend dieses Bild ist: “Wenn Vergewaltigung als Metapher verwendet wird, ist das Problem nicht nur, dass Vergewaltigung verharmlost wird: Es ist noch viel schlimmer. Denn es geht nicht nur darum, dass einer Sache Gewalt angetan wird, sondern darum, dass sie kaputt gemacht, entstellt und entwürdigt wird.”

3. Globukalypse in der Apotheken-Umschau: “Wissen, was wirkt”
(blog.gwup.net, Bernd Harder)
Vor acht Jahren hat die älteste und größte Skeptiker-Organisation im deutschsprachigen Raum, die GWUP, noch vor dem Gratisblatt “Apotheken-Umschau” als “Sprachrohr der Homöopathie” gewarnt. Nun herrscht bei den Skeptikern große Freude: Die “Apotheken-Umschau” (Auflage: etwa 8 Millionen Exemplare) habe die alternativmedizinischen Therapien auf den Prüfstand gestellt und lasse kritische Stimmen zu Wort kommen.

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4. “Das Spiel um Aufmerksamkeit”
(taz.de, Sabina Zollner)
Im Interview mit der “taz” erklärt der Medienwissenschaftler Simon Strick, was er unter “digitalem Faschismus” versteht und was ihn so gefährlich mache: “Rechtsextreme haben sich dem digitalen Zeitalter früh angepasst. Sie verstehen das Spiel um mediale Aufmerksamkeit und strategische Provokationen, die Klicks bringen und Debatten entstehen lassen. Sie sind Profiteure der derzeitigen Informationskrise oder waren sogar deren Architekten, wie etwa Andrew Breitbart.”

5. Spartensender im Aufwind: Rekorde für Sat.1 Gold & ZDFinfo
(dwdl.de, Alexander Krei)
Alexander Krei hat die Einschaltquoten der kleinen Sender ausgewertet. Sat.1 Gold habe mit einer Mischung aus Oldies und Crime im August einen Rekord-Marktanteil erzielt. Konkurrent RTLplus sei mit einer ähnlichen Ausrichtung sogar noch etwas stärker gewesen. Stärkster unter den kleinen Sendern war beim Gesamtpublikum aber auch im August wieder ZDFneo, das sich auf 2,9 Prozent Marktanteil steigerte.

6. Ruhe, bitte!
(deutschlandfunk.de, Marina Weisband, Audio: 3:53 Minuten)
“Wenn es nicht Afghanistan ist, sind es Wirbelstürme oder Fluten. Oder Kanzlerkandidaten. Irgendwas Schreckliches geht in der Welt immer vor und mit dem Smartphone ist es in unsere Hosentasche gezogen, in unsere Betten, auf unseren Weg zur Arbeit und in unsere Mittagspausen.” Marina Weisband plädiert in ihrer Deutschlandfunk-Kolumne für Qualität statt Quantität: “Vielleicht ist es besser, etwas Tageszeit in bewussten Konsum einiger weniger, guter Reportagen zu investieren. Und mehr Zeit für Natur, Familie und politische Arbeit zu haben.”

Baden-Württemberg führt nicht die “Steuer-Stasi” ein

Auf der “Bild”-Titelseite gibt es heute große “Stasi”-Aufregung:

Ausriss Bild-Titelseite - Bürger sollen Nachbarn denunzieren - Grünen-Minister führt Steuer-Stasi ein

Genauso auf der Bild.de-Startseite:

Screenshot Bild.de - Bürger sollen Nachbarn denunzieren - Grünen-Minister führt Steuer-Stasi ein

Im Artikel heißt es dazu:

Die Grünen in Baden-Württemberg haben offenbar keine hohe Meinung von ihren Steuerzahlern: Finanzminister Danyal Bayaz (37, Grüne) führt einen neuen Steuerpranger ein!

Über das “anonyme Hinweisgeberportal für Finanzämter” sollen Baden-Württemberger künftig Bekannte, Nachbarn, Kollegen etc. anschwärzen.

“Bürgerinnen und Bürger können damit sicher und anonym Verstöße gegen Straf- und Steuergesetze melden”, heißt es zur Begründung. Mit dem Portal, dem Ersten bundesweit, könne Steuerbetrug (z. B. Putzfrau, Handwerker schwarz beschäftigen) “künftig noch besser verfolgt werden”.

Das Sprachliche ist an diesem “Bild”-Beitrag vermutlich das kleinste Problem. Aber fangen wir dennoch mit der sprachlichen Ebene an, weil die Art und Weise, wie die “Bild”-Redaktion diese Geschichte erzählt, gut zeigt, welchen Spin sie ihr zu geben versucht.

Da ist zum Beispiel das Wort “Steuerpranger”, das schlicht falsch ist in diesem Zusammenhang. Ein Pranger dient laut Duden dem öffentlichen Verächtlichmachen. Das neue Onlineportal in Baden-Württemberg soll aber niemanden öffentlich als Steuersünder zur Schau stellen. Es geht um die nicht-öffentliche Übermittlung von Anzeigen an die Steuerverwaltung.

Und natürlich geht es den Grünen in Baden-Württemberg nicht um “ihre Steuerzahler”, von denen sie laut “Bild” “keine hohe Meinung” haben sollen, sondern gerade um die Nicht-Steuerzahler, von denen man aus guten Gründen keine hohe Meinung haben kann.

Außerdem ist es höchst tendenziös, dass “Bild” im gesamten Artikel lediglich zwei Beispiele einer möglichen Steuerhinterziehung nennt: “z. B. Putzfrau, Handwerker schwarz beschäftigen”. Natürlich ist die Meldung solcher Fälle über das neue Portal möglich (auch wenn fraglich sein dürfte, ob die Steuerfahndung bei derartigen Kleinigkeiten und entsprechenden Summen, um die es dabei geht, wirklich loslegt). Dass das neue Portal auch die Möglichkeit bietet, Steuerhinterziehung im größeren oder ganz großen Rahmen zu melden, bei denen der Allgemeinheit Millionen Euro flöten gehen, findet bei “Bild” keine Erwähnung.

In eine ähnliche Richtung geht die “Bild”-Aussage, dass Baden-Württemberger “künftig Bekannte, Nachbarn, Kollegen etc.” anschwärzen “sollen”. Dabei geht es vielmehr ums können. Es gibt keine Aufforderung des Ministeriums im Sinne von: “Bitte schwärzen Sie jetzt hier endlich ihre Bekannten, Nachbarn und Kollegen an!” Das Portal bietet eine weitere Möglichkeit, anonym eine Steuerhinterziehung zu melden, egal um wen es dabei geht.

Und damit sind wir bereits beim Inhaltlichen. Denn: Dass Bürgerinnen und Bürger anonym eine Steuerhinterziehung anzeigen können, ist mitnichten etwas Neues. Seit vielen Jahren geht das per Telefon, per Brief oder per E-Mail. Es ist rein technisch zwar richtig, wenn “Bild” mit Blick auf das Portal in Baden-Württemberg von “dem Ersten bundesweit” spricht. Wirklich neu ist daran aber nur, dass es nun diesen zusätzlichen Weg für eine Anzeige gibt, nicht die anonyme Anzeige an sich.

Dennoch hat es die “Bild”-Redaktion geschafft, empörte Politiker-Zitate einzusammeln:

Baden-Württemberg führt die Steuer-Stasi ein!

Politiker sind empört! FDP-Vize Wolfgang Kubicki (69) zu BILD: “Dieses Portal zeigt, was uns droht, wenn Grüne ihre moralischen Vorstellungen über Recht und Gesetz stellen und in staatliches Handeln gießen – und die CDU dem nichts entgegensetzt.”

Fraktionskollege Michael Theurer (54) spricht von “Blockwart-Mentalität”. Für Unions-Fraktionsvize Carsten Linnemann (44) säen die Grünen “noch mehr Misstrauen”.

Linnemann zu BILD: “Es wäre verheerend, wenn ein grüner Finanzminister so etwas bundesweit umsetzen würde.”

Das Echauffieren von Kubicki, Theurer und Linnemann ist bemerkenswert bigott. In Schleswig-Holstein, wo Wolfgang Kubicki seinen Wahlkreis hat, und wo Kubickis FDP mit in der Regierung sitzt, ist es ebenfalls möglich, Steuerhinterziehung anonym anzuzeigen:

Bei Verdacht einer Steuerhinterziehung kann jeder gegenüber der Steuerfahndung Anzeige erstatten. Auch anonyme Anzeigen sind möglich.

In Nordrhein-Westfalen, wo Carsten Linnemann seinen Wahlkreis hat, und wo Linnemanns CDU den Ministerpräsidenten stellt, ist es ebenfalls möglich, Steuerhinterziehung anonym anzuzeigen:

Geht das Finanzamt auch einer anonymen Anzeige nach?

Ja. Aber namentliche Anzeigen besitzen in der Regel größere Bedeutung, weil sie Rückfragen ermöglichen.

Und auch in Baden-Württemberg, wo Michael Theurer seinen Wahlkreis hat, und wo Theurers FDP viele Jahre Teil der Landesregierung war, gab es schon lange vor dem neuen Portal die Möglichkeit anonymer Anzeigen bei Steuerhinterziehung.

Auch in anderen Bundesländer ist das möglich, völlig unabhängig davon, ob dort nun Grüne in der Regierung sitzen oder nicht, zum Beispiel in Rheinland-Pfalz, in Bayern, in Niedersachsen, in Berlin. Der einzige Unterschied zwischen all diesen Bundesländern und Baden-Württemberg: In Baden-Württemberg gibt es jetzt eine weitere Möglichkeit der Anzeigenübermittlung.

Und damit eine nicht ganz unwesentliche Weiterentwicklung: Die Steuerfahnder können mit dem Hinweisgeber, trotz Anonymität, weiter in Kontakt bleiben und beispielsweise Nachfragen stellen, wenn dieser einverstanden ist. Das gibt Whistleblowern zusätzliche Möglichkeiten (David Böcking weist beim “Spiegel” völlig zu Recht darauf hin, dass Wolfgang Kubickis FDP sich in ihrem Wahlprogramm (PDF) ausdrücklich zum Schutz von Whistleblowern bekennt). Und erhöht die Chance auf eine erfolgreiche Ermittlung. Nicht ohne Grund schreibt etwa die Finanzverwaltung Schleswig-Holsteins: “Namentliche Anzeigen besitzen in der Regel aber höhere Erfolgsaussichten, weil sie Rückfragen ermöglichen.”

Zum Schluss noch einmal zurück zum Sprachlichen: Wenn die “Bild”-Redaktion aus all dem eine neue Stasi macht, und Politiker das willfährig weiterdrehen zu NS-Vergleichen (“Blockwart-Mentalität”), dann verharmlosen sie geschichtsvergessen die Situation in der DDR beziehungsweise im Nationalsozialismus.

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Zurückgelassen in Kabul, Kein Sack Reis, Deutscher Klimajournalismus

1. Zurückgelassen in Kabul
(reporter-ohne-grenzen.de)
Gestern hat die US-Armee ihre letzten Einsatzkräfte aus Afghanistan abgezogen. Nun wird die Bedrohungslage für Journalistinnen und Journalisten vor Ort immer größer, so Reporter ohne Grenzen. Die Organisation fordert die Bundesregierung auf, eine Grundsatzentscheidung für Visa für in Drittstaaten gestrandete, bedrohte Medienschaffende zu treffen, anstatt weiterhin nach Einzelfällen zu entscheiden.
Weiterer Lesehinweis: “Nach dem Abzug der letzten US-Soldaten mussten auch zahlreiche Journalistinnen und Journalisten in Afghanistan zurückbleiben. Er wisse von Fällen, die nun ‘von Haus zu Haus fliehen’, sagt der Journalist und Afghanistan-Kenner Marc Thörner im Deutschlandfunk. Diejenigen, die noch arbeiten, würden versuchen, “tastend weiterzumachen”.

2. “Es wird erst dann interessant, wenn man Widersprüche akzeptiert”
(journalist.de, Thilo Komma-Pöllath)
Die freie Journalistin und Umweltaktivistin Leonie Sontheimer und der journalistisch ausgebildete Sprecher des Lobbyverbands der deutschen Gaswirtschaft, Charlie Grüneberg, diskutieren über das Selbstverständnis im deutschen Klima­journalismus. In dem Interview steckt mehr drin als der Streit um Wahrheit und Deutungshoheit. Es liefert Stoff für eine gesellschaftliche Debatte, der man sich in den nächsten Jahren kaum entziehen können wird.

3. Kein Sack Reis in China umgefallen
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier schreibt in einer Glosse über ein merkwürdiges Genre im Politikjournalismus: Die Berichte darüber, “dass wichtige Parteimenschen exakt das sagen, was von ihnen in dieser Situation erwartet wird”.

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4. Wenn Influencerinnen Politik machen
(deutschlandfunk.de, Michael Meyer, Audio: 5:25 Minuten)
In Sachen Politik halten sich Influencerinnen und Influencer in Deutschland in der Regel eher zurück. Es gibt jedoch auch Instagram- und Youtube-Größen, die sich im weitesten Sinn politisch betätigen, darunter Louisa Dellert und Marvin Neumann. Der Politberater Martin Fuchs unterstreicht und relativiert den Einfluss dieser Personen: “Das heißt also, diese Multiplikator*innen sind schon nicht uninteressant für Parteien. Man muss aber das Big Picture sehen: Und da sind die jungen Wähler*innen eine vernachlässigbare kleine Gruppe, die nicht ganz entscheidend im Fokus der Parteien steht.”
Weiterer Lesehinweis: Ab heute gibt es beim Deutschlandfunk in einem Live-Blog Neues zur Bundestagswahl in leichter Sprache.

5. Der “80 Prozent-Corona-Tote”-Fake: Häussler distanziert sich von “falscher” Welt-Schlagzeile
(volksverpetzer.de, Thomas Laschyk)
Die “Welt” titelte online, dass 80 Prozent der Covid-Toten wohl nicht an Corona gestorben seien. Auf Anfrage distanzierte sich ihre Quelle von der Aussage: Diese Überschrift sei “in ihrer Allgemeinheit falsch und würde von uns niemals so vertreten werden.” Thomas Laschyk hat am Ende seiner Ausführungen einen Tipp für alle Experten und Expertinnen, die ähnliche Anfragen von der “Welt” bekommen: “Das sollte eine Lehre für alle Wissenschaftler:innen sein, sich nicht von der WELT für deren skrupellose Profitmache einspannen zu lassen, die gerade jetzt vor einem Delta-Winter mit weiterhin vielen Ungeimpften für viele ihrer neuen (und alten) Leser:innen tödlich enden kann.”

6. Ist das so okay für dich?
(taz.de, Emeli Glaser)
“In­ti­mi­täts­ko­or­di­na­to­r:in­nen sorgen dafür, dass der Dreh respektvoll und einvernehmlich verläuft, wenn sich Schau­spie­le­r:in­nen vor der Kamera körperlich nahekommen müssen. Denn bei schlechter Kommunikation oder unsensiblem Verhalten können Traumata entstehen. Und das passiert beim Dreh häufiger, als man vielleicht vermuten würde.” Emeli Glaser berichtet über einen Berufsstand, der sich mit dem wachsenden Bewusstsein für die Problematik auch in Deutschland allmählich etabliert.

Die Opfer von “Bild” (9)

Bei “Bild” konnte man in den vergangenen Tagen eine interessante Doppelwendung beobachten. Denn eigentlich war die Redaktion vor zwei Wochen gerade lauthals damit beschäftigt, Angst vor Migranten aus Afghanistan zu schüren: “Viele Täter stammen aus Afghanistan”, warnte sie etwa unter der Überschrift “Neue Zahlen der Schande – FAST JEDE WOCHE EIN ‘EHRENMORD'”.

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "FAST JEDE WOCHE EIN 'EHRENMORD'" - Neue Zahlen der Schande - Viele Täter stammen aus Afghanistan", dazu drei Porträtfotos von Opfern sogenannter Ehrenmorde sowie das Bild-Plus-Logo
(Unkenntlichmachungen von uns.)

In düsteren Kommentaren forderten “Bild”-Autoren einen “Aufschrei” der Gesellschaft – und von der Politik, dass sie konsequenter Maßnahmen ergreifen müsse, genauer: “Maßnahmen wie Abschiebung”.

Anlass für diese Kampagne war ein Mordfall aus Berlin (BILDblog berichtete), bei dem zwei Brüder aus Afghanistan unter dem Verdacht stehen, ihre Schwester getötet zu haben, weil sie sich laut Haftbefehl “gekränkt gefühlt haben, weil das Leben ihrer geschiedenen Schwester nicht ihren Moralvorstellungen entsprochen hatte”.

Fazit von “Bild”: Die deutsche Migrationspolitik sei “gescheitert”. Und:

Und viele Bundesbürger fragen sich: Werden wir afghanische Schwerverbrecher, die ausreisepflichtig sind, nun gar nicht mehr los?

Auch Polizeigewerkschafter und Ausländerangstverbreiter Rainer Wendt ließ “Bild” zu Wort kommen und finstere Szenarien zeichnen. Und einige Politiker – die selbstverständlich vor allem eines verlangten: härtere Abschiebungen.

Die Chefin des Bundestags-Innenausschusses, Andrea Lindholz (50, CSU) dringt auf sofortige Abschiebung der Täter.

Innenexperte Michael Kuffer (49, CSU) verlangt: “Wer als Afghane in Deutschland seine Schwester aus islamischer Verblendung ermordet, der gehört lebenslang hinter Gitter und ins Heimatland abgeschoben – und zwar unabhängig davon, welche Lage dort herrscht.”

Wenige Tage später überrannten die Taliban die afghanische Hauptstadt Kabul. Bilder der Verzweiflung gingen um die Welt: Afghanen, die versuchen, sich an Flugzeugen festzuhalten; die ihre Babys über Stacheldraht in die Hände der US-Soldaten heben, um sie vor den Taliban zu retten. Auch “Bild” berichtete fortan immer wieder groß aus der “Hölle von Kabul” und darüber, dass die Lage im Land “immer dramatischer” werde.

Und offenbar erschien es dann selbst den Leuten von “Bild” irgendwie unpassend, inmitten solcher Nachrichten weiterhin Stimmung gegen afghanische Migranten zu machen, und so fand die Kampagne zum herbeigesehnten Abschiebe-Aufschrei mit einem Mal ein Ende: Während in der Vorwoche nahezu täglich über kriminelle Afghanen, über “Ehrenmorde” und das angebliche Versagen der Politik berichtet worden war, verschwand das Thema plötzlich komplett aus der “Bild”-Berichterstattung.

Inzwischen geht es aber langsam wieder los, insbesondere bei “Bild TV”. Allein gestern hieß es dort unter anderem:

“Man tischt uns wieder ein Märchen auf darüber, wer jetzt zu uns kommt”, meint BILD-Chef @jreichelt bei #BILDLive. Es müsse geklärt werden, welche Menschen aus #Afghanistan zu uns kommen.

“Liebe Regierung, klärt so schnell wie möglich auf, wer diese Menschen im Flugzeug sind!”, fordert @ClausStrunz bei #BILDLive. Womöglich waren Menschen dabei, die wir in Deutschland nicht haben wollen wie Verbrecher. #Afghanistan

“Die Menschen haben Angst, dass Menschen kommen, die kriminell sind” – Julian Reichelt bei BILDLive.

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Aber das nur als Beobachtung am Rande, denn eigentlich geht es in dieser Rubrik ja um etwas anderes: die Bebilderung. Und die bestand – vor dem plötzlichen Aufschrei-Ende und -Wiederanfang – konsequent aus privaten Fotos der ermordeten Frau:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Afghanin (34) brutal ermordet - KOPFTUCH-KONTROLLE - So streng überwachten Brüder [...]", dazu ein Foto der Frau, das Bild-Plus-Logo und die Aufschrift "MIT VIDEO"
Screenshot von BILD.de: Ein Foto der ermordeten Frau, dazu die Bildunterschrift:"Selbstbewusst und ohne Kopftuch steht [...] vor der Kamera: Ihre Brüder sollen sie aus 'verletztem Ehrgefühl' heraus getötet haben. Foto: Privat"
Screenshot von BILD.de: Ein Foto der ermordeten Frau, dazu die Bildunterschrift: "[...] (34) wurde getötet, ihre Brüder sind dringend tatverdächtig - Foto: privat"
Screenshot von BILD.de: Ein Foto der ermordeten Frau, dazu die Bildunterschrift: "Auf dem Passfoto musste sie noch ein Kopftuch tragen - Foto: privat"
Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Mord an [...] (34) ++ Polizei veröffentlicht Foto - GESUCHT! Taxi-Fahrer, der Killer-Brüder zum Bahnhof fuhr", dazu ein Foto des gesuchten Taxis sowie ein Porträtfoto der Frau
Ausriss aus der BILD-Zeitung: "Ermittler stellen den 'Ehrenmord' an [...] (34) nach - So karrten die Brüder ihre tote Schwester durch Deutschland", dazu ein großes Foto der Frau sowie zwei Fotos der Brüder
Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Afghanen töten Schwester und verscharrten sie. Die unglaublichen Aussagen der Killer-Brüder im Polizeiverhör - 'Eine Frau ist wie eine Mitarbeiterin ...'", dazu ein großes Foto der Frau sowie zwei Fotos der Brüder
(Alle Unkenntlichmachungen von uns. Die Verdächtigen haben von “Bild” einen schwarzen Augenbalken bekommen, die ermordete Frau bekommt keinerlei Verpixelung.)

Woher die Fotos der Frau stammen, verrät “Bild” weiterhin nicht. Als Quelle steht dort bloß: “privat”.

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Insgesamt veröffentlichten die “Bild”-Medien in jener Woche (9. bis 15. August) mindestens 31 Mal Fotos von Menschen, die Opfer eines Unglücks oder Verbrechens geworden sind, davon viermal Kinder.

In zwei Fällen waren die Gesichter verpixelt, in einem Fall die Augen. In 28 Fällen verzichtete “Bild” auf jede Unkenntlichmachung.

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Veröffentlicht wurde zum Beispiel das Gesicht eines Priesters, der in Frankreich ermordet wurde:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Brandstifter von nantes tötet Geistlichen - Priester-Mord in Frankreich!", dazu ein Porträtfoto des Mannes

Fotoquelle: “Twitter.com”.

Und das Gesicht eines jungen Mannes, der nach einem Autounfall gestorben ist:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Mercedes-SUV rast Pizza-Boten (23) tot - Er wollte gerade die nächste Bestellung ausliefern", dazu ein Foto des zerstörten Wagens, ein Porträtfoto des Mannes sowie das Bild-lus-Logo

Fotoquelle: “Privat”.

Und das Gesicht einer Frau, die in den Pyrenäen verunglückte (und das Gesicht ihres Lebensgefährten):

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Im November verunglückt - Freund findet Überreste von vermisster Britin", dazu ein großes Foto des Paares

Fotoquelle: “Privat”.

Und das Gesicht einer Frau, die versehentlich von ihrem Kind erschossen wurde:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Ein lauter Knall, dann fiel sie vom Stuhl - Kleinkind erschießt Mutter bei Zoom-Meeting", dazu ein großes Foto der Frau

Fotoquelle: “privat”.

Und das Gesicht eines Mannes, der bei der Explosion im Chempark Leverkusen ums Leben kam (und das Gesicht seiner Frau; immerhin das Gesicht des Kindes ist verpixelt):

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "[...] starb bei Leverkusen-Explosion - Minuten vorher telefonierte er noch mit seiner Familie", dazu ein Foto der Explosion, ein Foto des Mannes, seiner Frau und ihres Kindes sowie das Bild-Plus-Logo

Fotoquelle: “Privat”.

Und – sowohl online als gedruckt – das Gesicht eines ehemaligen Richters, der in seiner Villa ermordet wurde:

Titelseite der BILD am SONNTAG: "Er saß abends vor dem Fernseher, als der Killer durchs Fenster kam - RICHTER IN SEINER VILLA ERMORDET - Ehefrau flüchtete ins Bad. Rätsel um Motiv", dazu ein Foto des Mannes sowie ein Foto seiner Villa

Fotoquelle: “privat”.

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Nach einem Verbrechen oder Unglück in Social-Media-Profilen zu wühlen und daraus Fotos der Opfer zu veröffentlichen, ist redaktioneller Alltag bei “Bild”. Häufig erscheinen solche Fotos ohne jede Verpixelung und ohne Zustimmung der Angehörigen oder Hinterbliebenen.

In vielen Fällen werden Freunde, Kollegen oder Familienmitglieder sogar von Reportern bedrängt, damit sie Fotos der Menschen herausrücken, die sie gerade verloren haben.

“Bild” begründet die Veröffentlichung solcher Bilder damit, dass “nur so” die Tragik “deutlich und fassbar” werde.

Wie jedoch viele Betroffene selbst darüber denken, kann man zum Beispiel hier nachlesen. Dort sagt der Vater eines Mädchens, das beim Amoklauf von Winnenden getötet wurde und deren Foto in den Tagen darauf immer wieder in der “Bild”-Zeitung erschien:

Die “Bild”-Zeitung und andere, auch Fernsehsender, ziehen Profit aus unserem Leid! Dreimal hintereinander sind Bilder [unserer Tochter] erschienen, ohne dass wir das gewollt hätten. Wir hätten das nie erlaubt. Die reißen die Bilder an sich und fragen nicht danach, was wir Hinterbliebenen denken und fühlen.

Pressekodex Richtlinie 8.2

Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben, oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt.

In einem Interview in unserem Buch sagt ein anderer Betroffener, dessen Bruder bei einem Skiunfall gestorben ist und später ohne Erlaubnis der Angehörigen groß auf der Titelseite der ”Bild”-Zeitung zu sehen war:

Das war eines der schlimmsten Dinge an der Geschichte: Dass die “Bild” die Kontrolle darüber hat, mit welcher Erinnerung mein Bruder geht. Dass das letzte Bild von der “Bild”-Zeitung kontrolliert wird und nicht von ihm selbst oder von uns.

Auch in anderen Medien kommt es vor, dass solche Fotos veröffentlicht werden. Doch niemand macht es so häufig und so eifrig wie “Bild”. Mehr als die Hälfte aller Rügen, die der Presserat je gegen die “Bild”-Medien ausgesprochen hat, bezog sich auf die unzulässige Veröffentlichung von Opferfotos.

Um zu verdeutlichen, in welchem Ausmaß “Bild” auf diese Weise Profit aus dem Leid von Menschen zieht, wollen wir hier regelmäßig dokumentieren, wie häufig die “Bild”-Medien solche Fotos veröffentlichen.

Wahlwerbespots, Lobbymacht der Digitalkonzerne, Presse(un)freiheit

1. Warum Radio- und Fernsehsender Wahlwerbung senden
(deutschlandfunk.de, Stefan Fries, Audio: 4:36 Minuten)
Seit gestern laufen in Radio und Fernsehen wieder vier Wochen lang Wahlwerbespots der Parteien zur Bundestagswahl. Welche Partei darf was senden? Müssen die Parteien das bezahlen? Müssen die Sender alles senden, was eingereicht wird? Gab es schon mal Fälle von abgelehnten Spots? Und warum gibt es die Wahlwerbung in Radio und Fernsehen überhaupt? Stefan Fries klärt über die wichtigsten Fragen zum Thema Wahlwerbung auf.

2. “Wir müssen mit der Zielgruppe gehen und flexibel bleiben”
(medienpolitik.net, Helmut Hartung)
Das Engagement der öffentlich-rechtlichen Anstalten auf Drittplattformen wie Facebook, Instagram, Youtube und TikTok ist umstritten. Mehrere Bundesländer würden eine Reduzierung, Begrenzung und Konzentration auf eigene Plattformen fordern. Medienpolitik.net hat mit der ARD-Verantwortlichen Tanja Hüther über das Thema gesprochen und sie gefragt, warum Beitragsmittel “dazu beitragen müssen, diese Netzwerke zu stärken”.

3. Digitalbranche lässt sich Lobbying in Brüssel 100 Millionen Euro im Jahr kosten
(netzpolitik.org, Alexander Fanta)
Ein neuer Bericht von LobbyControl und dem Corporate Europe Observatory (PDF) beschäftigt sich mit der Lobbymacht der Digitalkonzerne in Brüssel. Demnach wollen Unternehmen wie Google, Facebook und Microsoft viel Geld in die Hand nehmen, um neue Gesetzesvorschläge der Europäischen Union zu verwässern. In diesem Zusammenhang erneuern die beiden Organisationen ihre Forderungen wie jene nach einem verpflichtenden Transparenzregister für alle EU-Institutionen, mehr Offenheit bei der Gesetzesarbeit sowie wirksamen Blockaden gegen “Drehtürwechsel” zwischen Politik und Lobbying.

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4. Vorurteile provokant in Bildsprache übersetzt
(verdi.de, Nadine Pustelnik)
“Vorbilder*innen – Feminismus in Comic und Illustration” heißt eine aktuell im Berliner Museum für Kommunikation gezeigte Wanderausstellung: “In der Ausstellung selbst werden Vorbilder aufgezeigt und analysiert, soziale Verhaltensweisen kritisch reflektiert sowie Vorurteile provokant in Bildsprache übersetzt, um dem Publikum möglichst kontrastreich und nicht immer auf ästhetische, aber authentische Weise die Augen für unsere Gesellschaft zu öffnen.”

5. RSF veröffentlicht Bericht zu fehlender Pressefreiheit in Russland
(reporter-ohne-grenzen.de)
Die Pressefreiheit in Russland ist akut bedroht. Laut Reporter ohne Grenzen mussten mindestens fünf kremlkritische Nachrichtenseiten ihre Arbeit einstellen; immer mehr Medien würden willkürlich zu ausländischen Agenten erklärt, darunter der kremlkritische Sender Doschd, das Nachrichtenportal “Meduza” und mehrere Investigativseiten. Nun hat Reporter ohne Grenzen einen Länderbericht veröffentlicht (PDF), der zeigt, wie massiv die Staatsführung unter Präsident Wladimir Putin die Presse- und Meinungsfreiheit in den vergangenen Monaten eingeschränkt hat.

6. Jugendliche dürfen in China nur noch drei Stunden pro Woche online spielen
(spiegel.de)
China schränkt den Medienkonsum bei Jugendlichen ein. Diese dürfen künftig nur noch an durchschnittlich drei Tagen pro Woche für jeweils eine Stunde an Online-Spielen teilnehmen. Anbieter solcher Spiele dürfen diese nur noch von Freitag bis Sonntag, von jeweils 20 bis 21 Uhr, zugänglich machen. Damit wolle man die “körperliche und geistige Gesundheit” der Jugendlichen schützen.

Merkwürdigste Verwunderung

Josef Nyary kann so einiges: Der Mann, der bei “Bild” die Polit-Talkshows im TV guckt und dann darüber schreibt, kann Zitate so aus dem Zusammenhang reißen, dass aus Greta Thunberg eine Atomkraft-Aktivistin wird. Er kann Kehrtwenden hinlegen wie sonst nur Franz Josef Wagner. Und er kann sich völlig verblüfft zeigen über Aussagen, die eigentlich niemanden überraschen dürften.

Am vergangenen Donnerstag waren unter anderem der CDU-Politiker Friedrich Merz und der Grünen-Co-Vorsitzende Robert Habeck in der ZDF-Sendung von Maybrit Illner zu Gast. Darüber hat Josef Nyary natürlich bei Bild.de geschrieben:

Screenshot Bild.de - Merz bei Illner - Mit Habeck ginge es den Grünen besser

Und er konnte gar nicht glauben, was Harbeck gleich zu Beginn der Sendung sagte. Unter der Zwischenzeile “Merkwürdigste Formulierung” schreibt der “Bild”-Autor:

Über den Einsatz der Bundeswehr sagt der Grüne: “Die Soldaten und Soldatinnen, die da gekämpft haben, müssen sich auch im Stich gelassen fühlen. Die Leute, die dort gestorben sind, Kameraden verloren haben, Leid erlebt haben und Leid zugefügt haben, auch die stehen ja jetzt vor dem Trauma, dass alles umsonst gewesen ist.”

Wie bitte? Wem haben die deutschen Soldaten denn “Leid zugefügt”? Dazu leider keine Nachfrage aus der Runde.

Nyarys Verwunderung ist verwunderlich. Es gab zahlreiche zivile Opfer beim langen Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Vor allem bei der von der Bundeswehr veranlassten Bombardierung zweier Tanklaster in der Nähe von Kunduz im September 2009. Die Anzahl der damals Getöteten und Verletzten schwankt je nach Quelle. Sie liegt aber meist bei etwa 100 Menschen, darunter viele Zivilisten und wahrscheinlich auch Kinder und Jugendliche. Auch wenn es Josef Nyary nicht glauben kann – dass deutsche Soldaten Afghanen “Leid zugefügt” haben, zeigen nicht zuletzt die (freiwillig) gezahlten Entschädigungen Deutschlands an afghanische Familien.

Mit Dank an Oliver O. für den Hinweis!

Nachtrag, 31. August: Wie wir oben bereits geschrieben haben, schwankt die Anzahl der beim Luftangriff bei Kunduz Getöteten und Verletzten je nach Quelle. Ein BILDblog-Leser wies uns darauf hin, dass zwei Richter des Bundesgerichtshofs, wo es ein Verfahren zu dem Vorfall gab, von lediglich 30 bis 40 Opfern ausgehen, größtenteils Taliban und nicht Zivilisten. Sie beziehen sich unter anderem darauf, dass ISAF-Soldaten vor Ort Spuren von nur zwölf bis 13 getöteten Menschen gefunden hätten. Doch auch das ist kein sicherer Beweis. Der Generalbundesanwalt zum Beispiel schreibt, dass vor Eintreffen der Soldaten “die Leichen durch Einheimische und Waffenreste durch die afghanische Polizei bereits abtransportiert worden” waren.

Mit Dank an Thorsten B. für den Hinweis!

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Verschwundene Journalisten, “Bild” wirbt mit Laschet, Wortungetüme

1. RSF erinnert an verschwundene Journalisten
(reporter-ohne-grenzen.de)
Anlässlich des heutigen Internationalen Tages der Verschwundenen erinnert Reporter ohne Grenzen (RSF) an Medienschaffende, die zum Teil schon vor Jahrzehnten spurlos verschwunden sind. “Die Praxis des Verschwindenlassens soll Medienschaffende einschüchtern; es ist ein perfides Mittel, um kritische Journalistinnen und Journalisten mundtot zu machen”, so RSF-Vorstandssprecher Michael Rediske: “Die meisten der seit Jahrzehnten zurückliegenden Fälle wurden bis heute nicht aufgeklärt.”

2. “Bild” wirbt mit Armin Laschet für neuen TV-Sender – Kritik in sozialen Medien
(rnd.de)
Die “Bild am Sonntag” veröffentlichte am Wochenende eine ganzseitige Werbeanzeige für den Fernsehsender “Bild TV”. Prominentes Testimonial: der CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet. Dies wurde vor allem in den Sozialen Medien stark kritisiert. Auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur sagte ein CDU-Sprecher: “Es gab von ‘Bild am Sonntag’ weder eine Anfrage für das Motiv, noch ist die Werbeanzeige von der CDU freigegeben worden.” Auf Twitter kommentiert der “6-vor-9”-Kurator: “In passiv-aggressivem Tonfall kommentiert die CDU, die ‘Bild’-Werbung mit Laschet sei nicht genehmigt worden. Nur mal ne Frage, CDU: Wen habt Ihr für Laschets Imagepflege angeheuert? Ja, genau: Ex-‘Bild’-Chefin Tanit Koch. Also spart Euch die Krododilstränen und das Opfer-Getue.”

3. Wortungetüme und Bandwurmsätze – Wahlprogramme laut Studie unverständlich
(heise.de)
Die Wahlprogramm-Texte aus den Parteizentralen seien einer Studie (PDF) zufolge zwar so umfangreich wie nie zuvor – sie würden sich aber auch so schwer verstehen lassen wie kaum andere in der bundesdeutschen Geschichte. In den Programmen, so die Studienautoren der Universität Hohenheim, fanden sich Wortungetüme und Bandwurmsätze mit bis zu 79 Wörtern. Am formal verständlichsten sei laut “Hohenheimer Verständlichkeitsindex” das Wahlprogramm der Partei Die Linke, den letzten Platz belegen die Grünen.

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4. Historisches Fingerspitzengefühl
(taz.de, Sabine Seifert)
Engelbert Reineke war von 1966 bis 2004 als Fotograf im Presse- und Informationsdienst der Bundesregierung tätig, davon 36 Jahre fest angestellt. “taz”-Redakteurin Sabine Seifert hat die berufliche Karriere Reinekes nachgezeichnet und ihn am Ende gefragt, wie er Angela Merkel fotografieren würde: “Erst mal gar nicht, sagt Reineke. Sie möge sich von ihren Pflichten erholen, den Ruhestand genießen. Fotografieren würde er sie dann nach ihrem 75. Geburtstag, das wäre im Jahr 2029. An der Ostsee bei schmuddeligem Wetter.”

5. Eine kleine Geschichtsstunde für Springer
(freitag.de, Karsten Krampitz)
Karsten Krampitz hat Texte von Sven Felix Kellerhoff, dem leitenden Redakteur Geschichte der “Welt”, gelesen und ist entsetzt. Bei der Springer-Tageszeitung wisse man nicht, wie Rosa Luxemburg aussah, und verbreite Falsches über einen verstorbenen SPD-Spitzenpolitiker: “Entweder hat der Kollege Kellerhoff völlig neue Quellen aufgetrieben – oder er verbreitet Lügen über einen toten SPD-Spitzenpolitiker, dessen Partei im Bundestagswahlkampf langsam aufholt.”

6. Tor, Tor, Tor: Fußball, Radio und viele Bilder im Kopf
(dwdl.de, Jochen Rausch)
Viele empfinden die Fußball-Live-Reportage als Königsdisziplin für Radio-Reporter und -Reporterinnen, vor allem wenn es über die volle Spiellänge geht. Jochen Rausch huldigt dem Genre, ist sich aber nicht sicher, wie es weitergeht: “Welche Rolle Audio in der digitalen Zukunft spielen wird, ist schwer einzuschätzen, es hängt unter anderem auch davon ab, wer die Verwertungsrechte hält, ob die Fans das Audioangebot in ausreichender Zahl wahrnehmen und sich Live-Events als digitale Audio-Produkte durchsetzen können, wie sich das Image des Profi-Fußballs generell entwickelt.”

KW 34: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Journalismus in Afghanistan
(inforadio.de, Jörg Wagner, Audio: 15:40 Minuten)
Im “Medienmagazin Spezial Afghanistan” des rbb geht es um die Rolle der in- und ausländischen Medien in den vergangenen rund 20 Jahren. Jörg Wagner hat dazu mit Willi Steul gesprochen, der zeitgleich mit dem Einmarsch sowjetischer Truppen 1979 ARD-Sonderkorrespondent in Afghanistan geworden war.
Weitere Hörtipps: Im Schweizer “Republik”-Podcast analysiert “Republik”-Autor Emran Feroz die dramatische Lage in Afghanistan: “Es gibt international keinen anderen Weg mehr, als mit den Taliban zu reden” (republik.ch, Marguerite Meyer, Audio: 36:20 Minuten). Und auch beim WDR5-Medienmagazin geht es in einem Beitrag um das Thema Afghanistan: Bangen um afghanische Ortskräfte; Schwieriges Berichten aus Kabul (wdr.de, Anja Backhaus, Audio: 41:21 Minuten). Außerdem interessant: Frauen in Afghanistan: Wie kann man Journalistinnen, Filmemacherinnen, Bloggerinnen schützen? (br.de, Audio: 28:00 Minuten). Und beim Deutschlandfunk kommt Saad Mohseni zu Wort, Chef der Moby Group, dem größten privaten Medien- und Nachrichtenunternehmen in Afghanistan: “Wir haben viele Mitarbeitende verloren” (deutschlandfunk.de, Katja Bigalke & Martin Böttcher, Audio: 17:27 Minuten).

2. Diskurs zur Wahl
(play.acast.com, Audio)
In der Podcastreihe “Diskurs zur Wahl” geht es um die Frage, ob und wie der Wahlkampf 2021 von Online-Hass und Falschinformationen beeinflusst wird. Dazu spricht Gilda Sahebi mit Expertinnen und Experten aus Medien, Zivilgesellschaft, Politik und Wissenschaft. Mittlerweile stehen sechs Folgen zur Verfügung, weitere vier sollen noch erscheinen.

3. BILD TV: Wie Julian Reichelt mit Emotionen Fernsehen macht
(ndr.de, Daniel Bouhs, Video: 16:26 Minuten)
“Bild” hat einen eigenen Fernsehsender gestartet. Daniel Bouhs hat für das Medienmagazin “Zapp” hinter die Kulissen geschaut und mit “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt sowie “Bild-TV”-Programmchef Claus Strunz darüber geredet, mit welcher Strategie der neue Kanal andere Sender angreift. Bei dem früheren “Bild”-Journalisten Georg Streiter und dem ehemalige n-tv-Geschäftsführer Hans Demmel hält sich die Begeisterung über “Bild TV” in Grenzen. Streiter sieht ein großes Problem: “Es ist ein Verdienst der ‘Bild’-Zeitung, dass sie AfD-Politiker nie groß rausbringt, aber sie sprechen die Sprache der AfD.”

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4. “Kulturzeit extra: Gefahr aus dem Netz – Wege, die Macht von Facebook, Twitter und Co. zu brechen”
(3sat.de, Vivian Perkovic, Video: 38:04 Minuten)
Facebook, Twitter und Co. machen Daten zu ihrem Geschäft. Was wäre alles zu erreichen, wenn die Bürgerinnen und Bürger die Hoheit über ihre Daten wieder übernähmen? Ein “Kulturzeit extra” berichtet über erfolgreiche Alternativen.‎ Mit im Studio dabei: Michael Seemann, Kulturwissenschaftler, Sachbuchautor und Journalist.

5. Wie habt ihr Krautreporter neu erfunden, Leon Fryszer?
(wasmitmedien.de, Daniel Fiene & Sebastian Pähler, Audio: 50:35 Minuten)
Das Online-Magazin “Krautreporter” hat in den vergangenen Jahren Höhen und Tiefen erlebt. Leon Fryszer ist seit 2020 “Krautreporter”-Vorstand und verrät bei “Was mit Medien”, wie sich die “Krautreporter” neu erfunden haben, was er über durch Mitgliedschaften finanzierte Medienangebote gelernt hat, und was die “Krautreporter” für die Zukunft planen.

6. Die Zerstörung der ARD Mediathek
(youtube.com, Walulis Story, Philip Walulis, Video: 15:16 Minuten)
Schlechte Suchmöglichkeiten, abbrechende Streams, keine Livefunktion, ein fehlender Abo-Button, Ausweispflicht für FSK16-Inhalte … “Wir finden, es ist Zeit, mal en Detail zu klären, warum die ARD-Mediathek so scheiße ist. Und wir wollen wissen, wer ist schuld. Wer hat dieses Desaster zu verantworten?” Philipp Walulis und sein Team klären die Sache mit einem Beitrag, der Anklage und Verteidigung in einem ist.

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