Natürlich könnte man jetzt sagen: Selbst schuld, der Martin Schulz, dass er “Bild” ein Interview gibt, und die Redaktion seine Aussage in der Überschrift dann so verfälscht, dass er aussieht wie eine Mischung aus einem bockigen Kind und einem “selbstsüchtigen Clown”, wie Juso-Chef Kevin Kühnert es treffend formuliert. Schulz hatte im Gespräch mit “Bild” zur Nominierung von Ursula von der Leyen für das Amt der EU-Kommissionspräsidentin und zu dem Prozess dahinter gesagt:
“Eindeutig habe ich das Gefühl: Gewisse Leute machen meine Vorstellung eines demokratischen Europas kaputt.”
Und die “Bild”-Redaktion machte daraus:
… als meinte der SPD-Politiker, ihm gehöre Europa (was er ja so gar nicht behauptet hat).
Natürlich könnte man jetzt also sagen: selbst schuld. Und dennoch ist das ständige Verfehlen minimaler journalistischer Standards durch die “Bild”-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter kein Persilschein für diese, Leuten das Wort im Mund umzudrehen.
Der bereits erwähnte Kevin Kühnert sagt übrigens, dass er “persönlich andere Konsequenzen als Martin Schulz” ziehe und den “Bild”-Medien “keine Interviews und Statements” gebe. Das halten wir nicht für die schlechteste Idee.
1. Hallo Leser, noch da? (kontextwochenzeitung.de, Rainer Stephan)
Rainer Stephan hat sich Gedanken zum Medienwandel gemacht und zieht einen interessanten historischen Vergleich: “An wen erinnern wir uns, wenn wir an große deutsche Publizisten denken? An Maximilian Harden, der sich im Untertanenklima des deutschen Kaiserreichs nicht scheute, den Monarchen persönlich in die Schranken zu fordern. An Karl Kraus — als die tonangebenden Geistesgrößen 1914 unisono den Krieg begrüßten, überzog er sie unnachgiebig mit seinen Wut- und Intelligenztiraden. Weil die großen Zeitungen das nicht ertrugen, gründeten Harden wie Kraus kurzerhand eigene Blätter, “Die Zukunft” und “Die Fackel”, die sie praktisch im Einmannbetrieb gestalteten. Sie, und nicht die heutigen Leitmedien, sind die Vorgänger der kritischen Blogger und Youtuber.”
2. “Die nächsten Monate werden supergefährlich” (sueddeutsche.de, Martin Bernstein)
Der Journalist Robert Andreasch ist für seine jahrelange Dokumentation der rechtsextremen Szene mit dem Publizistikpreis der Stadt München ausgezeichnet worden. Andreasch geht seiner Tätigkeit bereits seit mehr als 25 Jahren nach und ist dabei sowohl ins Visier von Neonazis als auch Verfassungsschutz geraten.
Weiterer Lesetipp: Drohbriefe an Journalisten: ABC-Alarm beim WDR Studio Dortmund (wdr.de).
3. Der Nutzer wünscht sich einen Kiosk im Netz (faz.net, Nora Sefa)
Die Landesanstalt für Medien NRW hat Menschen zur “Zahlungsbereitschaft für digitaljournalistische Inhalte” befragt. Von vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Befragung wurde die Idee einer allumfassenden Kiosk-Lösung geäußert, die Inhalte verschiedener Medienhäuser zum Einzelabruf anbietet. Kommentar des “6 vor 9”-Kurators: Die Befragten mögen sich ein derartiges Angebot wünschen, ob sie es nutzen, ist eine andere Frage. Bemühungen in dieser Richtung blieben in der Vergangenheit erfolglos (“Blendle”). Und auch “Readly” mit seiner Magazin-Flatrate tut sich noch schwer in Deutschland.
4. Wenn der Mensch mit der Maschine: die Zukunft des Journalismus ist hybrid (medienwoche.ch, Adrian Lobe)
Der US-Journalist Nicholas Diakopoulos hat ein Buch zur Automatisierung des Journalismus geschrieben (“Automating the News”). Adrian Lobe hat sich das Buch angeschaut und fasst die wichtigsten Erkenntnisse daraus zusammen.
5. Lizenz zum Lesen, oder auch nicht (taz.de, Helena Werhahn)
Stell dir vor, dein Buchhändler bricht nachts in dein Haus ein, entwendet einige deiner Bücher und schleicht sich wieder aus dem Haus. Was in der Realwelt schwer vorstellbar ist, praktiziert derzeit Microsoft mit dem Einstellen seiner E-Book-Sparte. Microsofts E-Book-Kunden können nicht nur keine weiteren Bücher erwerben, es gehen auch alle in der Vergangenheit erworbenen Bücher verloren. Der deutsche Buchhandel hätte sich kein besseres Szenario zur Bewerbung des klassischen Buchs ausdenken können.
6. Presserat: “Bild”-Artikel über Ausgewogenheit von “Bild” zu einseitig (uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Der Deutsche Presserat stellt nach einer Beschwerde von “Übermedien” fest, dass der “Bild”-Artikel über die Ausgewogenheit von “Bild” zu unausgewogen war, und spricht einen “Hinweis” (PDF) aus. “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt gibt sich wie gewohnt uneinsichtig. Stefan Niggemeier dröselt den Vorgang auf.