Archiv für August 15th, 2012

Hinterm Mond gleich links

“Der Mond ist aufgegangen”, dichtete Matthias Claudius Ende des 18. Jahrhunderts und das ist er auch bei stern.de:

Nächtliche Mondschau. Yangpyeong-gon, Südkorea. Ein toller Anblick: Der Mond ist nur als dünne Sichel zu sehen, weil sich der Planet Venus heute Nacht so weit davorgeschoben hat.

Nun ist der Name “stern.de” etwas irritierend, denn dabei handelt es sich – hohoho – gar nicht um ein astronomisches Fachportal, wie durch die Bildunterschrift eindrucksvoll belegt wird:

Yangpyeong-gon, Südkorea. Ein toller Anblick: Der Mond ist nur als dünne Sichel zu sehen, weil sich der Planet Venus heute Nacht so weit davorgeschoben hat.

Die Venus hat sich zwischen Mond und Erde geschoben und den Mond verdeckt? Das wäre eine wissenschaftliche Sensation, womöglich aber auch eine extrem schlechte Nachricht.

Doch die Welt geht nach wie vor erst am 21. Dezember unter — oder auch nicht.

In Südkorea war jedenfalls nichts Schlimmes passiert, wie die Original-Bildunterschrift belegt, mit der das Foto von der European Press Agency (EPA) verbreitet wurde:

A view of the planet Venus occultation by a thin crescent moon seen over Yangpyeong-gon in Gyeonggi province, South Korea, early 14 August 2012. In an occultation one object (in this case a planet) is briefly hidden behind another object.

Ja, das ist ein grammatisch nicht völlig anspruchsloser erster Satz mit einigen unbekannten Vokabeln. Aber der zweite Satz erklärt ja, dass bei einer “occultation” (oder “Bedeckung”) ein Objekt (“in diesem Fall ein Planet” = Venus) kurzzeitig hinter einem anderen Objekt versteckt wird. In diesem Fall hinter dem Mond mit schmaler Sichel.

Mit Dank an den Hinweisgeber.

Nachtrag, 16. August: stern.de hat die Bildunterschrift korrigiert.

Bild  

Die Ente bleibt draußen!

Auf der Titelseite der heutigen “Bild” prangt ein Foto von zwei Menschen im Wasser:

Es zeigt den früheren Bundesverteidigungsminister, früheren SPD-Vorsitzenden, früheren Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz und heutigen Präsidenten des Bundes Deutscher Radfahrer Rudolf Scharping und seine Ehefrau Kristina Gräfin Pilati von Thassul zu Daxberg und es spricht wenig dafür, dass der “BILD-Leser-Reporter” die Aufnahme mit Genehmigung der Abgebildeten gemacht und die Zeitung eine Genehmigung für den Abdruck hat. Aber das soll uns heute mal nicht interessieren.

Interessieren soll uns diese Behauptung:

Vor elf Jahren hatte Scharping ein Foto mit Gräfin Pilati im Pool auf Mallorca das Amt des Verteidigungsministers gekostet.

Die stimmt nämlich so nicht.

Die Geschichte mit den Fotos (wenn’s nur eines gewesen wäre — es war eine neunseitige Titelgeschichte in der “Bunte”!) ist tatsächlich elf Jahre her: “Bunte”-Reporter Paul Sahner und ein Fotograf dokumentierten damals mit Erlaubnis (wenn nicht gar im Auftrag) der beiden die “ausgelassenen Wasserspiele” der Frischverliebten. Das kam unter anderem deshalb in Deutschland so schlecht an, weil zur gleichen Zeit, als der deutsche Verteidigungsminister auf Mallorca planschte, deutsche Soldaten kurz vor einem Einsatz in Mazedonien standen.

Wenige Wochen später kritisierte die Opposition, dass Scharping bei den Unterbrechungen des besagten Mallorca-Urlaubs (“für die Beschlüsse von Kabinett und Bundestag zum Mazedonien-Einsatz sowie für einen Truppenbesuch in Mazedonien”) auf die Flugbereitschaft der Bundeswehr zurückgegriffen hatte. Scharping wies die Kritik zurück, doch die Lage spitzte sich so weit zu, dass die “Süddeutsche Zeitung” schrieb, “ranghohe Politiker der Koalition” hätten Scharping als “politisch tot” bezeichnet.

Das war am 11. September 2001. Am Nachmittag deutscher Zeit ereigneten sich die Anschläge in New York City und Washington, D.C. und Deutschland brauchte für den damit eingetretenen NATO-Bündnisfall einen Verteidigungsminister. Rudolf Scharping blieb im Amt.

Erst als der “Stern” im Juli 2002 über “zweifelhafte Geschäfte” berichtete, die Scharping mit dem PR-Berater Moritz Hunzinger gemacht haben soll, entließ Bundeskanzler Gerhard Schröder seinen Verteidigungsminister.

Und so endete die politische Karriere des Rudolf Scharping. Aber nicht “vor elf Jahren” und nicht wegen “eines Fotos”.

Kartell, Helena Fürst, Apple-Schraube

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Ein Kartell nutzt seine Macht: Wie die Verlage für das Leistungsschutzrecht kämpfen”
(stefan-niggemeier.de)
Ein Rückblick auf die Berichterstattung von Presseverlagen über das von ihnen angestrebte Leistungsschutzrecht für Presseverleger.

2. “Fürst Class abwärts”
(fernsehkritik.tv, Video, 11 Minuten)
“Helena Fürst – Anwältin der Armen” taucht als “Beistand” von Menschen, die Probleme mit den Behörden haben, unangemeldet im Jobcenter auf: “Eine Anfrage bei Jobcenter und Krankenkassen, die in der Sendung zum Thema gemacht wurden, ergab zunächst einmal die Bestätigung, dass es nie eine vorherige Anfrage seitens RTL gab. Damit wird schon deutlich: Man will den friedlichen Dialog gar nicht. Um krawallige Fernsehbilder zu bekommen, setzt man auf die Konfrontation und dringt einfach mal unangemeldet ein.”

3. “How we screwed (almost) the whole Apple community”
(day4.se, Lukasz Lindell, englisch)
Aus dem Blog eines schwedischen Unternehmens, das Grafikanimationen und Videos produziert: “One afternoon we sketched out a screw in our 3D program, a very strange screw where the head was neither a star, tracks, pentalobe or whatever, but a unique form, also very impractical. We rendered the image, put it in an email, sent it to ourselves, took a picture of the screen with the mail and anonymously uploaded the image to the forum Reddit with the text ‘A friend took a photo a while ago at that fruit company, they are obviously even creating their own screws’. Then we waited …” Siehe dazu auch “Asymmetrische Apple-Schraube war ein Schwindel” (golem.de)

4. “Bild: Stimmungsmache gegen Ökostrom-Förderung”
(klima-luegendetektor.de)
Der Klima-Lügendetektor thematisiert ein “Bild”-Interview mit Günther Oettinger zum Thema Strompreise.

5. “Wutreden: Buschmanns Lärm um nichts”
(hogymag.wordpress.com, almasala)
Eine Analyse einiger Artikel von Rafael Buschmann auf “Spiegel Online” zur Fußball-Nationalmannschaft.

6. “Macht mehr Feuilleton!”
(timklimes.de)
Nicht das Feuilleton, sondern der Rest der Zeitung gehöre abgeschafft, findet Tim Klimes: “Solange Zeitungen mehrheitlich aus Nachrichten bestehen, wie sie es heute tun, braucht sie kein Mensch mehr. Ich glaube stattdessen, dass dem Zeitungsfeuilleton, wie wir es heute kennen, die Zukunft gehört. Und zwar nicht die Zukunft kultureller Berichterstattung, sondern die Zukunft des Zeitungsjournalismus.”