Archiv für August 2nd, 2012

Nicht alles, was hitler ist, ist verboten

Hasnain Kazim sitzt als Südasienkorrespondent für “Spiegel Online” in Pakistan. Für die Serie “Mein Leben als Ausländer”, in der Korrespondenten über ihren Alltag im Ausland schreiben, berichtet er aus Islamabad:

Hitlers “Mein Kampf” mit seinen kruden Ideen gibt es in jedem Buchladen und auf jedem Bücherbasar zu kaufen. Lesen können es die meisten nicht, in einem Land mit einer der höchsten Analphabetenraten der Welt. Die Händler wundern sich, wenn man ihnen erzählt, dass das Buch in Deutschland verboten ist. “Aber ich dachte, Deutschland sei eine Demokratie mit Meinungsfreiheit?”, sagte mir kürzlich einer. Wie führt man ein solches Gespräch?

Beim Führen eines solchen Gesprächs könnte es natürlich hilfreich sein, erst mal die Fakten auf die Kette zu kriegen: “Mein Kampf” ist in Deutschland gar nicht verboten, worauf die Kommentatoren unter dem Artikel auch seit heute Mittag hinweisen.

Da Adolf Hitler bis zuletzt in München gemeldet war, ging sein Vermögen nach seinem Tod am 30. April 1945 an den Freistaat Bayern über – inklusive des Urheberrechts an “Mein Kampf”. Das bayrische Finanzministerium hat sich einer neuen Drucklegung des Textes bisher verweigert. Dieses Urheberrecht läuft am 31. Dezember 2015 aus, am Ende des 70. Jahres nach Hitlers Tod, danach ist das Buch gemeinfrei. Es gibt aber Pläne der bayrischen Landesregierung, das Werk dann in einer kommentierten Ausgabe als Schulbuch auf den Markt zu bringen. Nachzulesen ist das unter anderem auf “Spiegel Online”.

Mit Dank an Gerd P. und Martin.

Nachtrag, 12. September: “Spiegel Online” hat den Artikel irgendwann in den letzten Wochen leicht angepasst.

Die Passage lautet nun:

Die Händler wundern sich, wenn man ihnen erzählt, dass der Nachdruck des Buches in Deutschland verboten ist. “Aber ich dachte, Deutschland sei eine Demokratie mit Meinungsfreiheit?”, sagte mir kürzlich einer. Wie führt man ein solches Gespräch?

Der erste Satz ist damit korrekt, steht aber in keinerlei Sinnzusammenhang zu den weiteren.

Planlos durchs Weltall

Der Weltraum. Unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2012. Dies sind die Abenteuer der Internationalen Raumstation ISS, die mit ihrer 30 Mann starken Besatzung unterwegs ist, um neue Welten zu erforschen, neues Leben und neue Zivilisationen. Drei Autostunden von der Erde entfernt kreist die ISS in Umlaufbahnen, auf denen die meisten Menschen noch nie waren.

Bitte, was? Wir sind bekloppt? Da passen überhaupt keine 30 Leute auf die ISS?

Na, sagen Sie das mal den Leuten von Bild.de:

Moment, man kann’s nicht so gut lesen:

Europa aus dem Weltall. Diese atemberaubende Aufnahme machte ein 30-köpfiges internationales Team 240 Kilometer über der Erde. Ein Großteil des Fotos zeigt Italien

Das “30-köpfige internationale Team” ist nicht das einzig rätselhafte daran: Das Foto ist auch schon ein halbes Jahr alt und taugt deshalb irgendwie nicht so richtig in die Kategorie “Der Tag bei BILD.de” von gestern.

Andererseits liefert die Original-Bildunterschrift bei der US-Weltraumbehörde NASA schon mal eine Antwort auf die Frage, warum bei Bild.de 30 Menschen (statt sechs) an Bord der ISS sind:

This nighttime panorama of much of Europe was photographed by one of the Expedition 30 crew members aboard the International Space Station flying approximately 240 miles above the Tyrrhenian Sea on Jan. 25, 2012. Most of the country of Italy is visible running horizontally across the center of the frame, with the night lights of Rome and Naples being visible to the left and right of center, respectively. Sardinia, and Corsica are in the lower left quadrant of the photo. The Adriatic Sea is on the other side of Italy, and beyond it to the east and north can be seen parts of several other European nations.

Es geht also nicht um “30 crew members” (30 Crew-Mitglieder), sondern “one of the Expedition 30 crew members”, eines der Mitglieder der Crew von Expedition 30.

Aber warum war das Foto gestern bei den Bildern des Tages dabei?

Die Deutsche Presseagentur (dpa), die Bild.de als Quelle angibt, hat eine vielleicht etwas merkwürdige, aber durchaus plausible Erklärung dafür:

Wir haben das bereits ältere Foto am vergangenen Dienstag (31. Juli) neu als Illustration zum Thema “Euro-Schutzschirm ohne Limit im Gespräch” gesendet. Dabei haben wir den Original-Nasa-Text verwendet (“ILLUSTRATION – HANDOUT – This nighttime panorama of much of Europe was photographed by one of the Expedition 30 crew members …”). Wir haben auch nochmals auf das Datum der Aufnahme verwiesen (25. Januar 2012).

Ein Symbolfoto zum Euro-Schutzschirm sorgt für eine Überfüllung der ISS — und das rückwirkend um ein halbes Jahr. Was klingt wie ein Fehler im Raum-Zeit-Kontinuum, ist einfach nur die Fotoredaktion von Bild.de.

Mit Dank an Lorenz G.

Nachtrag, 15.46 Uhr: Mehrere Leser haben uns darauf hingewiesen, dass Bild.de sich auch bei der Umlaufbahn der ISS vertan hat: In der Bildbeschreibung von NASA und dpa ist von “240 miles” die Rede (rund 386 Kilometer), bei Bild.de von “240 Kilometern”.

Umfragen, Kommentare, Pferde

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Eine Umfrage – und was daraus wird…”
(blog.tagesschau.de, Jörg Schönenborn)
Wie man mit Umfragen zum Euro “fast jedes Ergebnis behaupten und jede Schlagzeile gestalten kann”.

2. “Man muss Heribert Prantl verteidigen”
(freitag.de, Michael Angele)
Michael Angele weist auf Heribert Prantls “man” hin: “Man muss erleben. Man! Hallo? Schon mal was von Heidegger gehört? Bei diesem vermutlich bedeutendsten Philosophen aller Zeiten ist das Man ja gerade das Gegenteil des Ich! ‘Abständigkeit, Durchschnittlichkeit, Einebnung’ zeichnen es aus.”

3. “Meinung mit Maske – Kommentare im Internet”
(ndr.de, Video, 5:14 Minuten)
Kommentieren im Internet zwischen Anonymität und Echtnamen. Siehe dazu auch “‘Nach diesem Urteil sollten wir uns über die NSU nicht mehr wundern'” (stefan-niggemeier.de, 19. Juli).

4. “Sterbenden Mann fotografiert – angeklagt”
(20min.ch, kle)
Einem 19-Jährigen wird in Schottland vorgeworfen, er habe einen verunfallten Mann fotografiert, statt ihm Nothilfe zu leisten – und das Foto wenige Minuten später bei Twitter hochgeladen.

5. “Am nächsten Tag im Kleingedruckten”
(facebook.com/kobuk)
Eine Geschichte mit je einer Meldung am Dienstag und Mittwoch in der “Kronen Zeitung”.

6. “Franz Josef Wagners Weisheiten (11)”
(mediensalat.info, Ralf Marder)
Franz Josef Wagner und sein Umgang mit olympischen Athleten, die keine Medaille erringen. Siehe dazu auch “Olympia: Deutsche Reiter müssen Medaillen an ihre Pferde abgeben” (eine-zeitung.net).