Archiv für Februar 15th, 2008

“Bild” berichtigt Charakterlosigkeit

Erinnern Sie sich an diese “Bild” Geschichte von vor einem Vierteljahr?

Als scheinbaren Beweis dafür, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages nichts so sehr interessiert wie ihre eigenen Bezüge, zeigte “Bild” eine Aufnahme des vollen Plenarsaales (oben links). Das Foto war aber, anders als “Bild” behauptete, gar nicht während einer Debatte über höhere Diäten und Pensionen entstanden (wir berichteten).

Zwei Tage später demonstrierte die “Bild”-Zeitung, wie üblich, wie erfolgreich sie die Leser in die Irre geführt hatte. Bei der Abstimmung über eine Diätenerhöhung “kämen die Volksvertreter sogar an einem Feiertag”, hieß es in einem Leserbrief, den “Bild” veröffentlichte. “Wie viel Charakterlosigkeit und Raffgier muss man haben, um Bundestagsabgeordneter zu werden?”

Die Bild-Manipulation löste im Bundestag — verständlicherweise — erheblichen Ärger aus. Nach guter Zurede durch das Parlament stellte “Bild” die Sache heute, mit drei Monaten Verspätung, aber ohne dass juristischer Druck notwendig gewesen wäre, richtig (Ausriss rechts).

Womöglich wird es nun nur noch wenige Wochen dauern, bis auch Bild.de nicht mehr auf der Unwahrheit beharrt.

“Mehr sowas Praktisches”

In unserer Reihe “Pionierwerke der neuen Medien” präsentieren wir Ihnen heute: “Die Kanzlerin bei BILD — Videoblog über den Besuch von Angela Merkel”, Bild.de, 14. Februar 2008.

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Hallo, mein Name ist Oliver Auster. Ich bin Redakteur bei BILD in Hamburg. Heute kommt Kanzerlin Angela Merkel zu uns zu Besuch, und das hier ist mein Video-Blog.

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So, pünktlich. Hier kommt die Kanzerlin gefahren. Ups.

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Da is’ sie. Da ist die Kanzlerin. Wird begrüßt von Kai Diekmann.

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Ganz schön voller Fahrstuhl.

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Ja, für uns beide war kein Platz mehr im Fahrstuhl (lautes Lachen einer Frau).

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Ja, wir haben jetzt so den Fahrstuhl genommen und warten oben auf Frau Merkel, befürchten aber, wir sind bisschen langsamer.

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So jetzt geht’s oben weiter. Jetzt geh’n wir in den Produktionsraum. Zu den Redakteuren.

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So viele Leute.

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Kai Diekmann: Liebe Frau Bundeskanzlerin, sehr geehrte Frau Doktor Merkel, wir freuen uns ganz herzlich, Sie hier bei uns begrüßen zu dürfen. (Applaus)

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Diekmann: Das ist die Original-Druckplatte von “Miss World”. (Applaus) Wir sagen ganz herzlichen Dank und haben jetzt noch Gelegenheit mit den Kollegen vom Leser-Beirat. Zehn Minuten.

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Ein Geschenk für Frau Merkel, und jetzt noch der Leser-Beirat.

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Leser-Beirätin: …dass die Seite 4 geändert wird mit Vorschlägen, Tipps, was für den Alltag…
Angela Merkel: Mehr sowas Praktisches.
Leser-Beirätin: …Ratgeberseite…
Kai Diekmann: Lebenshilfe war eine ganz wichtige Forderung aller Kollegen im Leserbeirat.
Leser-Beirätin: …weil doch immer wieder Fragen auftauchen, wo man dann sagt: Ach, jetzt könnt man die mal grad brauchen, jetzt wo kriegste das grad her [unverständlich].

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Jau, das war der Besuch von Angela Merkel — und wir machen jetzt die Zeitung fertig. Und tschüss.


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Für den Teil ihrer Leserschaft, der für diese radikal avantgardistische Form noch nicht bereit ist, hat die “Bild”-Zeitung übrigens auch einen konventionell produzierten Videobeitrag von dem Ereignis veröffentlicht.

Wer ist hier eigentlich der Idiot? (Korrektur)

Wir müssen uns korrigieren und entschuldigen.

Es geht um die Familie, bei der die “Bild”-Zeitung beispielhaft vorrechnete, dass sie einen Euro mehr im Monat zur Verfügung hätte, wenn sie keine Arbeit hätte, sondern von den Bezügen nach Hartz IV leben müsste. Wir haben der “Bild”-Zeitung gestern einen groben Rechenfehler vorgeworfen: Sie habe vergesessen zu berücksichtigen, dass bei Hartz-IV-Empfängern das Kindergeld, das sie bekommen, als Einnahme gilt, um die sich die Ansprüche verringern. In Wahrheit, so unsere Rechnung gestern, wäre die Familie ohne Arbeit um 150 Euro bzw. 300 Euro schlechter gestellt.

Wir hatten unrecht, “Bild” hatte (abgesehen von kleineren Rechenfehlern) recht. Denn der Hartz-IV-Anspruch verringert sich zwar um das Kindergeld; aber dieses Kindergeld steht den Hartz-IV-Familien ja tatsächlich zur Verfügung.

“Wer ist hier eigentlich der Idiot?”, hatten wir unseren Eintrag überschrieben. Im konkreten Fall lautet die Antwort leider: Wir.

Berechtigt war allein die Kritik an “Bild”-Kommentator Nicolaus Fest, der seine eigene Unkenntnis über die Grundlagen von Hartz IV mit folgenden Sätzen demonstrierte:

Vor allem mit Kindergeld ist Hartz IV häufig mehr, als viele Arbeitnehmer mit gleicher Kinderzahl nach Hause tragen.
(…) Jetzt will die CDU das Kindergeld erhöhen. Damit wird der Anreiz, eine Arbeit anzunehmen, noch geringer.
Dann gilt noch mehr als bisher: Wer (legal) arbeitet, ist ein Idiot.

Das ist, wie gesagt, Unsinn, weil sich bei einer Erhöhung des Kindergeldes auch das anzurechnende Einkommen erhöht, womit der Hartz-IV-Anspruch sinkt. Von einer Kindergeld-Erhöhung würden Hartz-IV-Empfänger also gerade nicht profitieren.

Bild.de bekennt sich zur Generation Doof

“Bild” macht heute ganz unverblümt Werbung für ein neues Buch namens “Generation doof”.

Wir kennen das Buch nicht, haben aber den Eindruck, dass sich sein Kauf oder die Lektüre nicht lohnt. “Bild” behauptet nämlich, die Buch-Autoren würden darin “zeigen, wie wenig manche Menschen heute wissen — z.B. in Quiz-Shows”, und dokumentiert anschließend ein paar der “dümmsten Antworten”.

Diese Antworten scheinen die Buch-Autoren allesamt von der Seite Unmoralische.de übernommen zu haben — oder aber von Bild.de (wo man die Antworten selbst schon mal im März 2007 als “Die dümmsten Antworten bei Jauch & Co” von Unmoralische.de übernommen hatte). Und eine der “dümmsten Antworten” lautet:

<b data-lazy-src="https://www.bildblog.de/wp-content/doof_txt.jpg"/><noscript><img src= Clarissa

Kein Kopf-an-Kopf-Rennen in “Bild” Hamburg

In gut einer Woche ist in Hamburg Bürgerschaftswahl. Die beiden aussichtsreichsten Kandidaten für den Bürgermeister-Posten sind der amtierende Ole von Beust (CDU) und sein Herausforderer Michael Naumann (SPD). Dass Naumann, der sich in der Vergangenheit öfter kritisch über die “Bild”-Zeitung geäußert hatte, in der Wahlkampfberichterstattung von “Bild” nur selten und wenn doch, selten in einem positiven Zusammenhang vorkam, ist in groben Zügen bereits bekannt (wir berichteten).

Die Uni Hamburg hat nun, angeregt vom Verein “Mehr Demokratie Hamburg”, die Berichterstattung der “Bild”-Hamburg vom 29. Oktober 2007 bis zum 13. Februar 2008 wissenschaftlich ausgewertet. Und siehe da, Naumann kam sowohl in Wort als auch im Bild nicht einmal halb so oft in der “Bild”-Zeitung vor wie von Beust:

Und wenn Naumann überhaupt in “Bild” vorkam, dann viel häufiger in einem negativen Zusammenhang und viel seltener in einem positiven Zusammenhang als von Beust:

Wie wohl die Bilanz erst ausgefallen wäre, wenn Naumann sich nicht entschieden hätte, am 22. Oktober bei der Präsentation des neuesten Buches von “Bild”-Chef Kai Diekmann als Laudator aufzutreten?

Mehr dazu beim NDR-Medienmagazin Zapp.

6 vor 9

Zur Zukunftstauglichkeit von Schweizer Medien-VRs
(medienspiegel.ch, Martin Hitz)
Martin Hitz nimmt die Verwaltungsräte von Schweizer Medienunternehmen unter die Lupe und findet “zahlreiche Rechtsanwälte, kaum Frauen, wenig Medienpraxis und nicht allzu viel Knowhow im Bereich Neue Medien”. Fazit: “Zukunftstauglich oder nicht?”

Manipulation im Internet
(moritzleuenberger.blueblog.ch, Moritz Leuenberger)
Der Verkehrs- und Medienminister denkt über seine Vorbildfunktion nach, meint, sein Wikipedia-Eintrag sei etwas verzerrt, bloggt aber trotzdem fröhlich weiter, denn er sieht die Rückmeldungen auf seine Beiträge als wichtigen Input: “Tatsächlich liess ich mich schon oft von Kommentaren beeinflussen und eines anderen, hoffentlich Besseren, belehren.”

Dummheit in der ersten Reihe
(zeit.de, Jens Jessen)
Was ARD und ZDF wollen.

Das Fernsehen stirbt!
(watchberlin.de, Video, 3:55 Minuten)
Harald Martenstein gibt dem professionell ausgeleuchteten und aufwändig produzierten Fernsehen noch etwa zehn Jahre, in der aktuellen Form. Kurz: Perfektion verhindert Kreativität.

Die inszenierte Meinung
(dradio.de, Heribert Seifert)
“Das aktuelle Getöse gegen das Böse, das aus dem Internet kommt, ist verlogen. Den Lautsprechern dieses Feldzugs geht es in Wirklichkeit darum, auf einem Medienmarkt, in dem ihre Zeitungen immer mehr an Glaubwürdigkeit und Aufmerksamkeit auch durch eigenes Versagen verloren haben, die alte Autorität, ihr Monopol auf Information und Deutung wieder herzustellen.”

Brockhaus, Spiegel, Wikipedia: Steigert meinen Wissenswert!
(spreeblick.com, Johnny Haeusler)
“Ich finde es erstaunlich, mit welcher Selbstsicherheit gerade diejenigen, die doch oft für eine Öffnung bisher konservativer Unternehmen in Richtung Netzgemeinde plädieren, diesen Firmen jede Überlebenschance absprechen, sobald sie die gewünschte Öffnung vollziehen.”