Archiv für Februar 7th, 2008

“Bild” macht das Große Anglerlatinum

Auf der Grafik links sehen Sie einen Mann, der ungefähr 1,80 Meter groß ist und daneben einen 3,50 Meter langen Carcharodon carcharias, besser bekannt als Weißer Hai. Ein Weißer Hai dieser Größe dürfte wohl so um die 500 Kilogramm wiegen. Er ist ein Raubtier, und auf seinem Speiseplan stehen u.a. Thunfische, Rochen, kleinere Haie, Seehunde oder Seelöwen.

Jetzt stellen Sie sich mal vor, ein solcher 3,5-Meter-Fisch attackiert ein Ausflugsboot mit 16 Touristen an Bord, springt mit einem Satz aufs Vorderdeck, verfängt sich in der Anker-Winde und zappelt in Panik umher, bevor er sich befreien kann und zurück ins Meer rutscht. Schwer vorstellbar?

Genau das soll einem Paar aus Dortmund in Südafrika passiert sein. Aber die beiden blieben locker, filmten das Ganze und schickten das Video an die “Bild”-Zeitung, die heute darüber berichtet:

"Weißer Hai greift deutsche Urlauber an"

Was würden Sie tun, wenn plötzlich ein Weißer Hai in Ihr Boot springt?

Die BILD-Leser-Reporter Thomas Clemens (47) und seine Frau Cornelia (45) zückten ihre Kamera …

(…) Cornelia: “(…) Plötzlich knallte es am Bug. Ein 3,5-Meter-Hai sprang aus dem Wasser und landete auf dem Vordeck!”

Und wenn Sie sich jetzt immer noch kein Bild davon machen können, wie es ist, wenn sich eine halbe Tonne Hai auf dem Vorderdeck eines Ausflugsboots windet, dann hilft ihnen bestimmt das Video, das man sich auf Bild.de anschauen kann…

…ähm, auch nicht wirklich weiter.

Mit Dank an Benjamin h., Ulf H., Rene K., Christian, Jochen S., B.H. und Matthias von S. für den sachdienlichen Hinweis.

Nachtrag, 8.2.2008: MadeMyDay.de will “nach kurzer wissenschaftlich total fundierter Analyse unter Hinzunahme von hochgezüchteten Räumlickeits-Berechnungsmodellen inklusive 3D-Morphing-Funktionen” herausgefunden haben: “Das Ding ist nur 1,67 Meter groß!”

Unverbesserlich III

Nein, es vergeht in der Tat kaum ein Tag, an dem “Bild” nicht irgendjemandes Persönlichkeitsrechte verletzt. (Der Verlag, in dem “Bild” erscheint, hat sich zwar u.a. verpflichtet, das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen zu achten und in der Regel keine Informationen in Wort und Bild zu veröffentlichen, die eine Identifizierung von Opfern und Tätern ermöglichen würden. Darum, ob diese Selbstverpflichtung auch umgesetzt wird, kümmert sich verlagsintern aber offenbar niemand.) Nahezu täglich zeigt “Bild” beispielsweise Fotos, die unzulässigerweise eine Identifizierung von Opfern und Tätern ermöglichen. Und immer wieder mag sich (insbesondere für Boulevardjournalisten) natürlich die Frage stellen, ob das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegenüber dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen nicht doch überwiegt.

Aber es gibt Fälle, da ist diese Frage schon beantwortet.

So hatte der Presserat die “Bild”-Zeitung beispielsweise 2004 öffentlich gerügt, weil sie das Foto einer jungen Frau zeigte, der vorgeworfen wurde, ihr neugeborenes Kind getötet zu haben. Im vergangenen Jahr veröffentlichte “Bild” abermals das Foto einer Frau, der vorgeworfen wurde, ihr neugeborenes Kind getötet zu haben. Der Presserat missbilligte das: “Bild” hätte “auf eine erkennbare Darstellung der Betroffenen verzichten müssen” (wir berichteten).

Und heute?

Heute zeigt “Bild” wieder das Foto einer Frau, die verdächtigt wird, ihr neugeborenes Kindes getötet zu haben. Die Veröffentlichung unterscheidet sich nur insofern von den anderen beiden, vom Presserat beanstandeten, als “Bild” dort die Betroffenen ebenso halbherzig wie unzureichend anonymisiert hatte — wohingegen “Bild” sich heute sogar diese Mühe spart (siehe Ausriss, Unkenntlichmachung von uns).

Der zugehörige “Bild”-Artikel beginnt mit dem Wort:

"Warum?"

Im vergangenen Jahr hatte “Bild” die identifizierende Berichterstattung im Nachhinein u.a. damit zu rechtfertigen versucht, dass der Sachverhalt im Ort Stadtgespräch gewesen sei…

6 vor 9

«Google baut den VW Käfer»
(weltwoche.ch, Marc Kowalsky)
Der Schweizer Google-Pionier Urs Hölzle spricht über seinen Suchmaschinen-Grosskonzern, die Grenzen des Wachstums und die Pläne des Unternehmens zur Rettung der Welt. Zürich soll ein Silicon Valley Europas werden.

Schweizer Blog macht Furore in Paris
(swissinfo.ch, Miyuki Droz Aaramaki)
Schweizer Journalisten führten während den Aufständen in den französischen Banlieues 2005 den Bondy Blog ein, in dem das Leben in den ärmeren Vorstädten geschildert wird. Der Blog ist inzwischen ein mediales Phänomen geworden. Jetzt eröffnen die Blogger von Bondy eine Filiale in einem der nobelsten Vororte von Paris: den Neuilly Bondy Blog.

Blogs statt Bikinibilder
(taz.de, Meredith Haaf)
Nirgendwo ist die Chance auf Gleichberechtigung so groß wie im Internet. In Deutschland müssen Frauen endlich damit anfangen, sie auch wirklich zu nutzen.

“Journalisten sollen wieder an ihren Beruf glauben”
(sueddeutsche.de, Leif Kramp und Stephan Weichert)
Die Professionalität der Nachrichtenaufbereitung ist gefährdet, sagt US-Journalist Bill Kovach – und erklärt, wie er die Seriösität des Journalismus retten will.

Rhetorische Handkantenschläge
(spiegel.de, Henryk M. Broder)
Kaum ist bei RTL wieder Superstar-Casting, prügeln Medienwächter und Bedenkenträger auf Chef-Juror Dieter Bohlen und seine Sprüche ein. Zu Unrecht, meint Henryk M. Broder: Bald wird man Doktorarbeiten über Bohlens geniale Mischung aus Größenwahn, Witz und Pragmatismus schreiben.


Ausstiegsberatung für Medienschaffende

(medienspiegel.ch, Der unmündige Leser)
“Es ist nicht einfacher aus der Medienbranche auszusteigen als aus der Scientology-Sekte. Denn auch Medienschaffende fallen nach dem Ausstieg oft in ein tiefes psychisches Loch: Plötzlich bleiben Einladungen zu Glamour-Events aus, es treffen keine PR-Geschenke mehr ein, der Einfluss auf die Macht schwindet und das mühsam aufgebaute Sozial-Prestige fällt in den Keller.”