Archiv für Januar 23rd, 2008

Mitfahrzentralenjournalismus

Huub Stevens ist derzeit und noch etwa sechs Monate Trainer des Fußballbundesligisten Hamburger SV. Im Sommer wird er aus privaten Gründen den Verein verlassen. Folgerichtig sucht der HSV einen neuen Chefcoach. Aber welche Rolle spielt Stevens dabei? Die Hamburg-Ausgabe der “Bild” meinte am Montag:

"Stevens hilft bei Trainersuche"
Kein Wunder, dass nach dem Test in Aachen (2:1) Stevens und Sportchef Dietmar Beiersdorfer in den Wagen sprangen, auf “Trainer-Tour” in die Niederlande fuhren.

Gestern war sich dagegen das “Hamburger Abendblatt” sicher:

"Trainer Huub Stevens über seinen Nachfolger: Ich suche nicht mit"

Im Artikel wird Stevens dann recht deutlich (siehe auch Kasten):

Fahrgemeinschaft
 
“Schmunzeln musste Stevens dagegen über Vermutungen, dass er dem HSV bei der Suche nach seinem Nachfolger helfen und bereits intensiv involviert sein soll. Tatsächlich nahm Stevens am Freitagabend auf dem Weg in seiner [sic] Heimat Sportchef Dietmar Beiersdorfer ein Stück mit dem Auto mit, bevor sich dieser zu einem Treffen verabschiedete — ohne Stevens.”
(Quelle: “Abendblatt”)

Ich bin bei der Trainerfrage weder einbezogen worden noch nach meiner Meinung gefragt worden und habe auch keine Tipps gegeben.

Laut “Abendblatt” ging es bei Beiersdorfers Reise “offenbar ausschließlich um das Sichten von Spielern”. Aber Stevens Version ist ohnehin plausibler, denn kein Trainer wird sich die Blöße geben, seinen eigenen Nachfolger zu bestimmen. Dann könnte er nämlich gleich zurücktreten und dem Neuen das Feld auf der Stelle überlassen, so groß wäre der Autoritätsverlust — oder, wie man es heute beim HSV auf unsere Nachfrage hin formulierte:

Stevens würde ja wohl der Teufel reiten, wenn er nach dem neuen Chefcoach suchen würde.

Mit Dank an Lennart F. für Hinweis und Scans.

Mars-Füllung macht mobil

Schwer zu sagen, ob die Mars-Menschen entgegen anders lautender “Bild”-Berichte doch nicht im Mars leben, oder ob kürzlich bloß ein Marsbewohner an die Oberfläche gekommen ist, um mal zu sehen, wie das Wetter ist. Jedenfalls stellt “Bild” heute auf der Titelseite (!) folgende Frage:

"Sehen wir hier zum 1. Mal ein Mars-Männchen?"

Als Quelle für die Geschichte, nach der NASA-Forscher derzeit über ein bestimmtes Foto “rätseln”, das Ende letzten Jahres auf der Mars-Mission “Rover” aufgenommen wurde, gibt “Bild” artig die britische “Times” an. Die schreibt tatsächlich, ähnlich wie “Bild”:

Zeigt das hier, dass es Leben auf dem Mars gibt?

Ist es ein Felsen? Spielt das Mars-Licht den Augen einen Streich? Oder winkt Osama Bin Laden aus seinem öden Versteck, 300 Millionen Meilen entfernt vom Planeten Erde?

Dass Osama bin Laden hier auftaucht, könnte man als subtilen Hinweis darauf deuten, wie ernst die “Times” es mit ihrer Frage nach Leben auf dem Mars wirklich meint. “Bild” tut das jedoch nicht, und kommt in ihrem kleinen Artikel gänzlich ohne Osama bin Laden und auch sonst ohne Ironie oder Humor aus — und ohne Erkenntnisgewinn.

Anders als die “Times”, die in ihrem Wissenschafts-Teil schreibt…

[Das Foto] wird Weltraumbeobachter begeistern, die bis jetzt enttäuscht waren vom Mangel an Bildern kleiner Grüner Männchen (…).

…um dem interessierten Leser immerhin allerhand Details über die Mars-Mission nahe zu bringen.

Mit Dank an thori und Sebastian M. für den sachdienlichen Hinweis.

6 vor 9

Wir machen es wie im Weißen Haus
(faz.net, Thilo Komma-Pöllath)
Bayern München teilt Journalisten künftig in Kategorien ein – einflussreiche und freundlich gestimmte Medien sollen bevorzugt berichten dürfen. Auch das ist der FC Bayern dieser Tage – ein irrationales Gebilde, wenn es um Public Relations geht.

Gegen Einschüchterung
(taz.de, Christian Rath)
Bisher konnte jeder eine Gegendarstellung erwirken, über den Medien etwas behaupteten. Das Bundesverfassungsgericht hat die Hürden nun höher gesetzt.

Ausweise im Internetcafé, Dauer-Handyüberwachung?
(tagesschau.de, Holger Schmidt)
Vier Monate nach der Festnahme von drei Terrorverdächtigen im Sauerland beraten Verfassungsschützer heute über Folgen. Ihre Ermittlung war immer wieder von Pannen gefährdet worden. Jetzt fordern sie mehr Befugnisse.

“Was würde Google tun?”
(focus.de, Torsten Kleinz)
Das Internet hat die Spielregeln der Medien verändert: Immer neue Techniken und Plattformen geben quasi jedem die Gelegenheit, seine Gedanken und Arbeiten zu veröffentlichen.

ÖSTERREICH und seine Experten
(medienschelte.at, Richard)
Da ÖSTERREICH gerne dabei hilft, die selbst ausgerufene Panik ein wenig zu beruhigen, gibt?s im Blattinneren ein kleines FAQ das die wichtigsten Fragen von KleinanlegerInnen klären soll.

Facts 2.0 mit Perspektiven – Interview mit Christoph Lüscher
(blog.kooptech.de, Christiane Schulzki-Haddouti)
Mit Facts 2.0 hat sich der Tamedia-Verlag für den radikalen Schritt entschieden eine eingeführte Medienmarke zu einem reinen Aggregationsdienst mit News-Community umzuwandeln. Seither sind rund vier Monate vergangen. Zeit für ein paar Nachfragen bei Projektmanager Christoph Lüscher.