Archiv für Januar 10th, 2008

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Unter Ausschluss der “Bild”-Zeitung

Seit Oktober letzten Jahres verhandelt das Landgericht Bremen über den Tod des zweijährigen Kevin. Er war im Oktober 2006 tot im Kühlschrank von dessen Ziehvater gefunden worden, der nun wegen Totschlags angeklagt ist. Wie viele Medien, berichtet auch “Bild” von diesem Prozess.

Am 21. Dezember beispielsweise so*:

"Stiefvater pumpte Kevin (†2) mit Drogen voll"

Das Foto ganz links zeigt den Angeklagten, und es ist im Original völlig unverfremdet (ebenso wie das Foto von Kevin rechts daneben). Dabei hatte das Bremer Landgericht zu Beginn des Prozesses die Medien aufgefordert, in ihrer Berichterstattung die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten zu achten und keine unverfremdeten, identifizierenden Bilder von ihm zu zeigen. Das, so sagt uns eine Sprecherin, sei nicht ungewöhnlich bei Fällen mit großem Medieninteresse.

Dass “Bild” Fotos von Verdächtigen, Beschuldigten oder Angeklagten abdruckt, auf denen diese klar identifizierbar sind, ist zwar erfahrungsgemäß ebenfalls nicht ungewöhnlich. In diesem Fall könnte es aber Konsequenzen haben. Vorgestern hatte das Gericht nämlich angekündigt, prüfen zu wollen, ob die “Bild”-Zeitung vom Prozess ausgeschlossen werden soll und heute die Prozessbeteiligten dazu gehört. Wie uns die Sprecherin sagt, hat die Staatsanwaltschaft keine Stellungnahme dazu abgegeben, die Verteidigung beantragte den Ausschluss. Kommenden Mittwoch will das Gericht seine Entscheidung bekannt geben.

“Bild” erklärte den Abdruck des unverfremdeten Fotos laut “Weser Kurier” übrigens mit einem “technischen Versehen”. Auch das erscheint uns irgendwie nicht ungewöhnlich.

Mit Dank an Volkmar D. und Markus H. für den sachdienlichen Hinweis.

*) Die “Bild”-Behauptung, der “Stiefvater pumpte Kevin (†2) mit Drogen voll” ist völlig unbelegt. Zwar wurden Spuren von Ritalin, Methadon und Kokain in Kevins Haaren nachgewiesen. Zumindest was das Kokain und das Methadon angeht, sagte ein Gutachter jedoch aus, dass die Rauschgifte auch durch Einatmen von Staub in der Wohnung in den Körper des Jungen gelangt sein könnten, wie seit vorgestern auch auf Bild.de nachzulesen ist.

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“Bild”-Bearbeitungsprogramm

Wenn einem 31-jährigen DJ von einem 37-jährigen Türsteher ein “Matschauge” beigebracht wurde, ist das für Bild.de Anlass genug, den Artikel (wie man einer versehentlich veröffentlichten internen Anweisung entnehmen kann) mit einem Mehr-zum-Thema-Kasten “mit den aktuellsten themen zu jugendgewalt” anzureichern.

Aber nicht nur das: “Bild” und Bild.de zeigen neben einem Foto des Opfers und einem Foto des Vaters des Opfers auch etwas, in dem das ungeschulte Auge eine Kuh und den Treptower Park zu erkennen glauben könnte, das aber laut “Bild” die “Tanzfläche der Disco ‘Colosseum’ am Tat-Abend” zeigen soll:


Und ehrlich gesagt: Bei dem impressionistisch anmutenden Farbgewusel, das in “Bild” sogar eine, ähm, eigene Quellenangabe bekommen hat (siehe Ausriss rechts), handelt es sich tatsächlich um die Tanzfläche der Disco “Colosseum” am Tat-Abend — übrigens dem 26. Dezember vergangenen Jahres. Das glauben Sie nicht? Na, dann…

… klicken Sie doch mal hier.

“Bild” hat das Foto offensichtlich solange bearbeitet, bis sowohl die auf dem Original-Foto deutlich erkennbare Quelle als auch der ebenfalls deutliche erkennbare Copyright-Hinweis unkenntlich waren. Und “Bild” hat sich den Abdruck, wie uns der Fotograf und die Betreiber der Disco bestätigen, nicht genehmigen lassen.

Und nicht nur das: Die Disco-Betreiber schildern den Vorfall deutlich anders als “Bild”.

Vorgeschichte laut “Bild”
 
“(…) Dann wollte sich Benjamin im VIP-Bereich ausruhen. Eine Frau hatte was dagegen, warf ihn raus. Das ließ Biermann nicht auf sich sitzen. Er beschwerte sich beim Veranstalter, ging mit dessen Erlaubnis zurück in den VIP-Bereich. Doch die Frau ließ nicht locker, holte die Türsteher. (…)”

Sie bestreiten nicht, dass es zu einer Auseinandersetzung zwischen dem DJ (bei dem es sich übrigens um den Sohn von Wolf Biermann handelt) und einem der Türsteher gekommen sei und Biermann jr. anschließend die Polizei gerufen habe. Die Vorgeschichte dazu, die sich übrigens nicht im “VIP-Bereich”, sondern auf der Personaltoilette zugetragen haben soll, erzählen die Disco-Betreiber jedoch nicht nur weniger harmlos, sondern auch irgendwie plausibler als “Bild” (siehe Kasten) — und weniger rühmlich für das “Opfer”…

Die Schilderung der Gegenseite hat “Bild” jedoch offenbar nicht interessiert. In den zwei Wochen nach dem Vorfall hat “Bild” die Betreiber nicht einmal gefragt.

Nachtrag, 12.1.2008: Na, sowas! Über zwei Wochen nach dem Vorfall und zwei Tage nach dem ersten Bericht (“Schock — Wolf Biermanns Sohn in Disko verprügelt!”) berichtet “Bild” heute wieder. Überschrift diesmal: “Wolf Biermanns Sohn — Mit Frau auf Disco-Klo erwischt!” Der Artikel (der anders als der womöglich falsche Teil 1 nicht online ist) schildert zum überwiegenden Teil den fraglichen Abend aus Sicht der Disco-Betreiber, denn: “Am Donnerstag berichtete BILD über einen Vorfall in einer Disco in Neubrandenburg (…). Jetzt meldet sich Disco-Chef Norbert Lüder (56) zu Wort (…).” Warum “Bild” die Biermann-Version zunächst als Tatsache schilderte (siehe oben) und sich der Disco-Chef erst selbst zu Wort melden muss, damit auch seine Version berücksichtigt wird, lässt “Bild” offen.

6 vor 9

Konkurrenz im Internet
(taz.de, Kristina Pezzei)
Die von Verleger Lensing-Wolff geschassten Redakteure der “Münsterschen Zeitung” arbeiten an einer lokalen Online-Konkurrenz. Auf Kosten des früheren Chefs.

“Keine Liebesbriefe in Massen”
(tagesspiegel.de, Markus Ehrenberg)
Christine Henning moderiert seit Juni das satirische Videoblog “Ehrensenf“. Mit dem Tagesspiegel sprach sie über die ersten Monate beim Internetfernsehen.

Viel Meinung, wenig Echo
(berlinonline.de, Daniel Baumann)
Die Blogger-Szene streitet, ob 2008 das “Jahr des Exits” wird. Eine Zeitenwende steht bevor.

SchroBli- statt SoBli-Magazin
(werbewoche.ch, Hans Stutz)
Der SonntagsBlick hat einen «Leser-Rat» eingerichtet, denn die Zeitung möchte noch besser werden. Wir wären ja bereits zufrieden, wenn Ringiers Sonntagsblatt wieder mittelmässig würde.

Altes Interview von UBS-Chef Rohner veröffentlicht
(nachrichten.ch)
Ein von der «Handelszeitung» vorab publiziertes Interview mit UBS-Chef Marcel Rohner hat am Dienstag der Aktie der Grossbank zu einem Kurssprung verholfen. Was die Anleger erst am nächsten Tag erfuhren: Das Interview bezog sich nicht auf aktuelle Informationen.

French Press Falls For Major Facebook Prank
(techcrunch.com, Ouriel Ohayon)
“This is probably the biggest hoax in the history of Facebook.”