Archiv für Januar 11th, 2008

Woher bei “Bild” der Wind in die Segel weht

Ein 21-jähriger Türke hat am vergangenen Mittwoch versehentlich ein jahrzehntelang von linken Gutmenschen kunstvoll aufgeschichtetes Lügengebäude zum Einsturz gebracht, indem er in der Gesprächssendung “Hart aber fair” nicht “Deutschland” die Schuld daran gab, dass er kriminell wurde. Dass er sich so offen und wahrheitsgemäß äußerte, war nämlich ein dramatischer Fehler: SPD, Grüne oder der WDR hatten versäumt, den Gast vor der Show zu “briefen”, wie es sonst immer üblich ist: den Türken also zu sagen, dass sie in den Medien gefälligst die mangelnden Möglichkeiten in diesem Land anprangern müssen.

Das klingt nicht sehr plausibel, meinen Sie? Das ist aber, leicht zugespitzt, der “schlimme Verdacht”, den die “Bild”-Zeitung heute äußert:

Es geht um Alaattin Kaymak, einen 21-jährigen Türken, der früher gewalttätig war. Moderator Frank Plasberg fragte ihn in seiner Sendung, was “der Staat Deutschland” für ihn persönlich hätte besser machen können. Kaymak musste lange überlegen, offenbar war er auf die Frage nicht vorbereitet. Es entstand eine Pause, dann sagte er:

“Da fällt mir jetzt eigentlich nicht viel zu ein, weil es ist hier eigentlich alles gegeben an Möglichkeiten — man muss sie auch ein bisschen selber suchen.”

Unmittelbar darauf flüsterte der Grünen-Politiker Özcan Mutlu der neben ihm sitzenden Justizministerin Brigitte Zypries zu: “Wurde der gar nicht gebrieft?”, worauf sie antwortete: “Doch!”

“Bild” fragt:

Hat Zypries und Mutlu diese Antwort nicht gefallen? (…)

Gibt es bei Plasberg Absprachen mit Gästen über ihre Antworten? Einen Tag nach der Sendung gab es Riesenwirbel. So gab es bei “FAZ-online” und anderen Internetforen den Verdacht, dass hinter dem Rücken der Zuschauer manipuliert wurde.

FAZ.net hat diesen Verdacht keineswegs. Der “FAZ”-Redakteur nennt ihn im Gegenteil eine “Verschwörungstheorie”, denn “die Erklärung” für den Vorfall sei, wie Özcan Mutlu der “FAZ” gesagt habe, “ganz einfach”:

Weil er erst in letzter Sekunde ins Studio gekommen war und die Gespräche, die Plasberg vor Sendebeginn mit den einzelnen führte, nicht mitbekam, habe ihn gewundert, warum der junge Mann bei dieser Frage so ins Stottern kam.

Es gibt aber tatsächlich ein “Internetforum”, das den Verdacht der Manipulation verbreitet: die Seite “Politically Incorrect”, ein erfolgreiches islamfeindliches Blog, das immer wieder durch Falschinformationen und rassistische Kommentare bis hin zu Morddrohungen auffällt. Es verbreitete bereits gestern Vormittag die Behauptung, bei dem “Flüsterdialog” handele es sich um einen “unfassbaren Skandal im deutschen Fernsehen und der deutschen Politik”.

Der anonyme Autor von “Politically Incorrect” behauptet, die Tatsache, dass einem jungen Türken keine Antwort auf die Frage einfiel, was Deutschland denn besser hätte machen können, sei von wegweisender Bedeutung und nennt Kaymaks Satz:

Eine Aussage, die gerade der üblichen Argumentation, Deutschland würde den Migrantenkindern nicht genug bieten und sich nicht genügend um Integration bemühen, vollkommen den Wind aus den Segeln nimmt.

Das klingt doch arg überinterpretiert, würde bedeuten, dass wir fortan nicht einmal mehr über Mängel bei der Integration reden müssten, sondern wirklich nur noch übers Wegsperren und Ausweisen, aber es handelt sich ja auch um ein für diese und andere extremen Meinungen bekanntes Blog. “Bild” dagegen nennt Kaymaks Satz:

Eine Ansicht, die der häufigen Argumentation, dass mehr für die Integration von Migrantenkindern getan werden muss, den Wind aus den Segeln nahm.

Na sowas.

Vielen Dank an Sven D.!

Ohne Worte

"11,2 Millionen Deutsche leben als Single – aus ganz unterschiedlichen Gründen. Die wenigsten von ihnen (8 Prozent) sind allein, weil sie es so wollen. Das zeigt zumindest eine aktuelle Umfrage unter 4000 Nutzern, die bei der Online-Partnervermittlung ElitePartner registriert sind."
Mit Dank an Stefan H. und Norbert P. für den sachdienlichen Hinweis.

Klinsmann hält sich nicht an “Bild”-Vorhersagen

Das ist die Sensation des Fußball-Jahres! Jürgen Klinsmann (43) wird neuer Bayern-Trainer.

“Bild.de” kann es gar nicht fassen: Jürgen Klinsmann wird in der nächsten Saison neuer Trainer beim FC Bayern München. Eine Meldung, die selbst die meisten Fußball-Experten (und von denen gibt es in Deutschland 82 Millionen) überraschen dürfte.

Das wurde aber auch Zeit, denn vermutlich wären “Bild” sonst langsam die Vereine und Nationalmannschaften ausgegangen, auf deren Trainerbänken die Zeitung Jürgen Klinsmann seit seinem Ausscheiden als Bundestrainer im Juli 2006 gesehen hat:

Die Möglichkeit, dass Klinsmann Bayern-Trainer werden könnte, bezifferte “Bild” im August 2007 mit “fünf Prozent”.

Brandheiße Fehlinformation

"FRAU VERBRANNT, weil die Feuerwehr zum falschen Haus fuhr?"Ziemlich groß berichtete “Bild” gestern bundesweit über einen Wohnungsbrand im nordrhein-westfälischen Vorst: “FRAU VERBRANNT, weil die Feuerwehr zum falschen Haus fuhr?” (siehe Ausriss).

Zwar hatte die “Rheinische Post” schon zwei Tage vorher ausführlich über diese Feuerwehr-Panne berichtet. Aber es geht gar nicht darum, dass “Bild” gerne so tut, als seien ihre Nachrichten besonders aktuell. Vielmehr geht es darum, dass “Bild” gerne so tut, als wüsste sie besonders genau Bescheid. So schrieb “Bild” gestern im Text und in zwei Fotounterzeilen:

Es ist eine Horrorvision: Feuer im Wohnhaus. (…) Die Feuerwehr fährt zum falschen Haus — und in den Flammen stirbt eine Rentnerin. (…) Bevor die Retter eintreffen, können Nachbarn Rentner Josef gerade noch aus der Feuerwohnung ziehen. Seine Frau erstickt qualvoll, wird später tot geborgen.

Feuerwehrmänner löschen den Brand (…) — zu spät für eine Bewohnerin. (…) Gisela M. schlief wahrscheinlich, als das Feuer ausbrach. Sie starb in den Flammen.

Und außerdem schrieb “Bild” noch:

Heute soll das Obduktionsergebnis Aufschluss bringen. Oberstaatsanwalt Heinz-Dieter Menden: “Dann entscheiden wir, ob gegen den Feuerwehrmann wegen fahrlässiger Tötung ermittelt wird.”

Wie gesagt, das war gestern. Heute indes finden wir keinerlei Berichterstattung über den Wohnungsbrand und über das Obduktionsergebnis. Dabei gab es gestern eine Agenturmeldung zum Thema. Überschrift: “Frau ist nicht wegen Feuerwehr-Panne gestorben” Die Obduktion habe ergeben, dass sie “krank und vor Ausbruch des Brandes eines natürlichen Todes gestorben war”.

Wollen wir hoffen, dass “Bild” jetzt auch nur wieder etwas länger braucht, als die “Rheinische Post”, die gestern online und heute in ihrer Druckausgabe darüber berichtet, dass die Feuerwehr nicht Mitschuld am Tod der Frau war.

Mit Dank an Andreas W. für den sachdienlichen Hinweis.

Nachtrag, 15.06 Uhr (mit Dank an Raphael S.): In die Düsseldorfer “Bild”-Lokalausgabe hat die Meldung über das Obduktionsergebnis es heute immerhin geschafft.

6 vor 9

Joachim Lottmann: Ich und das Internet
(netzeitung.de)
Der Schriftsteller und ehemalige «Spiegel»-Redakteur Joachim Lottmann erzählt von Computern und Netzen und davon, was sein eigenes Weblog mit der Führungskrise beim «Spiegel» zu tun hat. Teil 1.

Prix Blamage für Gauner-Brüder
(beobachter.ch, Martin Müller)
Die Gebrüder Schmidtlein haben ihren Vorjahressieg souverän verteidigt: Noch nie gab es beim Beobachter-Beratungszentrum so viele Klagen wie über die beiden Internetabzocker. Grund genug für einen Besuch bei den Schmidtleins in Deutschland.

Hintergründe zum Malware-Banner beim «Blick»
(bloggingtom.ch)
“Bis letzten Dienstag ging ich davon aus, dass Werbebanner, die den User auf eine gefährliche Seite umleiten und ihm Schadsoftware, Trojaner oder ähnliches unterjubeln wollen, ein nicht sehr verbreitetes Phänomen sind. Doch da habe ich mich gründlich getäuscht, wie ich gestern lernen durfte.”

“Die Kritik war berechtigt.”
(turi-2.blog.de, Peter Turi)
CEO Lars Hinrichs über die Werbekrise beim Business-Network Xing, über heftige Kritik und eigene Fehler – und die Sache mit dem Einschlafen.

Britischer Wissenschaftshumor: Wie deutsche Journalisten der Satire des einradfahrenden Humorforschers auf den Leim gehen
(wissenswerkstatt.net)
Ein einradfahrender Ex-Dermatologe aus Newcastle radelt ein Jahr lang durch die Stadt, dokumentiert die Reaktionen der Passanten, schreibt eine Wissenschaftspersiflage und die deutschen Journalisten haben eine Geschichte. Und die Engländer freuen sich über die Deutschen, die den Humor nicht verstanden haben, den britischen.

Gender Trouble im Web 2.0
(feministisches-institut.de, Tanja Carstensen)
Mit den heutzutage zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Weblogs, Wikis, des Podcasting und Communities wie YouTube, MySpace und dem studiVZ verspricht das Internet eine stärkere Partizipation der Netznutzer_innen und neue Beteilungsformen. Aus Geschlechterperspektiven bleibt das “Web 2.0” allerdings ambivalent. Neben queer-feministischen Interventionen kommt es gleichzeitig immer wieder zu antifeministischen, homophoben und sexistischen Angriffen aus der Mitte der Web 2.0-Community.