Archiv für Juni 21st, 2006

Zu Gast bei Freunden: Da könnte ja jeder kommen

Die WM wird sehr viele Völker zusammen führen, denn es geht nicht nur um Kommerz, sondern auch darum, dass sich die Menschen annähern und besser kennen lernen.

Na, das ist mal ein schöner Gedanke. Der ecuadorianische Schamane Tzamarenda Naychapi hat ihn formuliert. In allen zwölf Stadien der Fußball-WM hat er eine Friedens- und Reinigungszeremonie vollzogen. Nach eigenen Worten, “um die gute Energie der Natur hierher zu bringen”.

“Bild” formulierte es gestern so:

Auf Einladung seines Landes besuchte er Deutschland, um uns seine Kultur näher zu bringen.

Auch ein schöner Gedanke. Aber damit das funktioniert, muss der Schamane natürlich auf Menschen treffen, die sich so eine fremde Kultur näherbringen lassen wollen. Bei “Bild” hat er sie nicht gefunden.

Es liegt nicht daran, dass “Bild” — was für eine vermeintlich christliche Zeitung eigentlich nahe läge — an den Zauber von Amuletten und Reinigungstänzen an sich nicht glaubte. Im Gegenteil: “Bild” pflegt einen ganz eigenen Okkultismus, einen Aberglauben an Flüche und Verwünschungen.

“Bild” glaubt, dass die Rituale des Schamanen wirken. Was “Bild” nicht glauben kann, ist, dass er es gut meinen könnte.

Wie abwegig, dass “Bild” sich von einem Fremden dessen Kultur “näher bringen lassen” könnte! Der Schamane sagt, sein Zauber sei nicht patriotisch: Er verbreite positive Energie, die für alle Mannschaften gelte. “Bild” dagegen behauptet einen direkten Zusammenhang zwischen den Ritualen und den erfolgreichen ersten Spielen Ecuadors und schreibt:

Schamane hat unser Stadion verhext

Unser letzter Gruppengegner Ecuador greift zu faulen Tricks, um erfolgreich zu sein. (…) Ein Schamane gegen Klinsi!

Die “Bild”-Zeitung hat einen “Hexer und Voodoo-Experten” aus Bremen als “Gegenzauberer” “gefunden”. Der erklärte, der Zauber des Schamanen (“ein raffinierter Bursche”) sei böse, er habe ihn aber “neutralisiert” und gleich mal bei der Gelegenheit die Beine der Gegner schwerer gemacht, damit die Deutschen gewinnen.

Nett. Da bringt die “Bild”-Zeitung den “Freunden”, die da zu Gast bei uns sind, gleich mal unsere ihre Kultur nahe.

Danke an Andreas G., Markus L., Joern H. und Tobias M.!

Allgemein  

Journalismus kommt auch von Können

Eine geile Geschichte hat Bild.de da aufgetan. 250 japanische Pärchen hatten in einer Lagerhalle Sex miteinander, übten in Reih und Glied diverse Praktiken synchron aus. Und weil alles gefilmt wurde, kann Bild.de schöne Fotos davon zeigen.

Bild.de schreibt:

500 Menschen haben Sex in japanischer Lagerhalle. Und das soll Kunst sein...

Äh, nein. Keine Kunst. Ein Porno.

KUNST KOMMT VON KÖNNEN. Mit der Kunst ist es ja so eine Sache. Es gibt keinen "Leitfaden", der uns sagt, was Kunst zu sein hat. Jetzt gibt

Nein, keine neue Kunst-Sparte. Eine neue Porno-Sparte.

Beischlaf im Namen der Kunst!

Nicht im Namen der Kunst. Im Namen der Pornographie!

Ein Dirigent nahm die Protagonisten mit auf die Reise zum kollektiven Höhepunkt. Bis zum großen Ooooooooh war

Hä? Porno.

Alles wurde mit der Kamera festgehalten.

WEIL ES SICH UM EINEN POR-NO-FILM HANDELT! Mit dem Titel “500 Person Sex”. Produziert von der Firma “Soft On Demand”. Angekündigt mit den Worten: “Imagine going into a large room and see 500 people giving oral sex and screwing their brains out.” Kostenpflichtig im Netz herunterzuladen.

Über jedes Bild in der Galerie hat Bild.de den Satz geschrieben:

Dieser Synchron-Sex soll Kunst sein.

Soll er gar nicht. Er soll sich nur gut verkaufen. Darauf hätte auch Bild.de kommen können, denn auf einem der abgebildeten Fotos steht sogar noch der Name des Internet-Sex-Anbieters, von dem die Porno-Promo-Bilder stammen.

— Und wenn jetzt vielleicht jemand mal die Klimaanlage in den Bild.de-Büros reparieren könnte? Danke.

Vielen Dank auch an cocolo für den Hinweis.

Nachtrag, 21.17 Uhr. Na sowas: Bei Bild.de ist der Artikel spurlos verschwunden.

Nachtrag, 19.7.2006 (mit Dank an Tamino G. für den Hinweis): Sooo “spurlos” hat Bild.de ihn offenbar doch nicht verschwinden lassen…

Was “Bild” weiß

Manchmal würde es schon reichen, wenn “Bild” das Verb wissen nicht als Synonym benutzen würde für vermuten, ahnen, raten, schätzen, prognostizieren, einfach mal behaupten, gehört haben, für nicht unwahrscheinlich halten und nicht völlig ausschließen können.

Am Montag schrieb das Blatt:

Jürgen Klinsmann (41) krempelt unsere Start-Elf um! Morgen gegen Ecuador wirft der Bundestrainer zwei Reservisten ins Rennen. BILD weiß: Tim Borowski (26) und Robert Huth (21) laufen im letzten Gruppenspiel von Beginn an auf.

Seit gestern Nachmittag wissen wir: Borowski spielte nicht von Anfang an, sondern wurde erst in der 66. Minute eingewechselt.

Danke an Stefan S.!

Kurz korrigiert (120)

Darf man zur WM die DDR-Flagge hissen?
…fragte die sächsische Ausgabe der “Bild”-Zeitung gestern. Ja, lautet die klare Antwort (übrigens z.B. auch zu Weihnachten und zum Frühjahrsputz, aber das steht so nicht in “Bild”). Und doch bleiben Fragen offen.

"Jens W. aus Halle hat eine alte DDR-Fahne aufgezogen..." / "Fahnenbesitzer Lars Wiedemann..." Etwa ob der Mann mit der Fahne nun Jens heißt oder Lars. Und ob er seinen Nachnamen lieber nur abgekürzt in der Zeitung gelesen hätte. Vor allem aber, wie es die Volkskammer der DDR geschafft hat, “schon” zehn Jahre nach ihrer Selbstauflösung die Entfernung der Flagge von allen öffentlichen Gebäuden anzuordnen:
Tatsächlich verbannte die Volkskammer schon am 31. Mai 2000 das alte Staatssymbol von allen öffentlichen Gebäuden.

Danke an Daniel S. für Hinweis und Scan!