Archiv für Juni 8th, 2006

Wie Hans Leyendecker erfuhr, wie “Bild” arbeitet

Es ist, einerseits, nicht gerade ein Foto, das man als renommierter Journalist und leitender Redakteur der “Süddeutschen Zeitung” (SZ) von sich in der Zeitung sehen will: etwas dümmlich grinsend und mit einem Sturmgewehr in der Hand. Es ist, andererseits, nicht gerade ein Thema, das die Massen bewegt: irgendein peinliches Foto von irgendeinem Journalisten.

Weshalb sich heute morgen viele “Bild”-Leser die Frage gestellt haben dürften, warum ihre Zeitung aus diesem Thema und einem elf Jahre alten Foto einen Seite-2-Artikel erklecklicker Größe gemacht hat (siehe Ausriss). Hans Leyendecker, der “SZ”-Mann auf dem Foto, fällt gegenüber dem “Tagesspiegel” nur diese Antwort ein:

“Ich vermute, dass ich in irgendein Zwielicht gerückt werden soll.”

Er habe in der vergangenen Woche den “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann angerufen und ihn darauf hingewiesen, dass “ein wegen Volksverhetzung verurteilter so genannter Esoteriker, der die Judenvernichtung verharmlost, von ‘Bild’ als so genannter Experte für einen Rückführungstest eingesetzt wurde”. Unmittelbar danach habe sich ein “Bild”-Reporter bei ihm gemeldet und eine “unangenehme Frage” nach dem kompromittierenden Foto gestellt.

Am vergangenen Freitag berichtete die “Süddeutsche Zeitung”, die von Leyendecker auf das Thema aufmerksam gemacht wurde, über den Fall des Volksverhetzers Trutz Hardo als “Bild”-Mitarbeiter. Und heute berichtet “Bild” über Hans Leyendecker.

Ein sachlicher Grund dafür ist nicht offensichtlich, denn die Geschichte ist alt. Dass Leyendecker in Kolumbien mit dem Gewehr fotografiert wurde, hatte im Zusammenhang mit dem Skandal um die Beschattung von Journalisten durch den BND am 27. Mai 2006 schon die “Süddeutsche Zeitung” berichtet. Und auch das Foto selbst ist längst bekannt: Schon am 10. November 1997 hatte es der “Focus” gezeigt. Leyendecker, zuvor beim “Spiegel”, klagte gegen den Bericht.

Um warum veröffentlicht “Bild” dasselbe Foto acht Jahre später noch einmal? Als Drohung, vermutet Leyendecker und fügt hinzu:

Bislang hatte ich nur von solchen “Bild”-Arbeitsweisen gehört.

“Bild”-Chefredakteur Diekmann bestreite jeden Zusammenhang.

Kurz korrigiert (115)

“Eichmann führte Protokoll bei der berüchtigten Wannsee-Konferenz (1942), auf der die Nazi-Diktatur die ‘Endlösung der Judenfrage’ beschloß.”

Tatsächlich? Nein. Denn anders als Paul C. Martin heute in “Bild” en passant zu behaupten weiß, wurde die “Endlösung der Judenfrage” bekanntlich nicht auf der Wannsee-Konferenz beschlossen.

Mit Dank an Christian J. für den Hinweis.

Billiger geht’s nicht

So wie rechts sah gestern die Titelseite der “Bild”-Zeitung aus. In ihrem Aufmacherartikel warb sie für ein Angebot des einschlägig bekannten Discounters Lidl: Man solle in eine der “über 2600 Lidl-Filialen” gehen und einen Coupon aus der “Bild”-Zeitung an der Kasse abgeben, dann werde man für 99 Cent einen Six-Pack “köstliches Grafenwalder Premium-Pils”, “eine große Tüte knackige Erdnuß-Flips” und eine Deutschland-Fahne bekommen.

Die Tageszeitung “taz” stellte daraufhin eine naheliegende Frage: Muss man über eine solche Anzeige nicht “Anzeige” schreiben? Sie bekam unterschiedliche Antworten:

Volker Nickel, Geschäftsführer des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft, sagte, ja, das Wort “Anzeige” fehle.

Carel Mohn, Sprecher des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen, sagte, Springer verstoße zur Gewinnmaximierung bewusst gegen das Gesetz — das sei ein “besonders krasser Fall von unlauterer Werbung”.

Tobias Fröhlich, Sprecher der “Bild”-Zeitung, sagte, hier werde gegen gar nichts verstoßen — das sei “eine Aktion der Zeitung für ihre Leser mit einem Partner und als solche klar erkennbar”.

Nur als was die Aktion klar erkennbar sei, als Werbung, als redaktioneller Beitrag oder als lustige Mischform, scheint der “Bild”-Sprecher der “taz” nicht gesagt zu haben.

Danke an Franz T. und viele andere!

Nachtrag, 27.7.2006: Der Presserat teilt die Einschätzung der Verbraucherzentralen und der Werbewirtschaft nicht. Wie man in einer Pressemitteilung der Axel Springer AG nachlesen kann, hat der Presserat “drei Beschwerden gegen BILD als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen”. In der uns vorliegenden Begründung heißt es, mit der der Lidl/”Bild”-Aktion werde der “Grundsatz der klaren Trennung von Werbung und Redaktion nicht verletzt”. Laut Presserat handelt es sich vielmehr um zulässiges “Eigenmarketing”.

Mit Dank an Tobias F. für den Hinweis.