Archiv für Juni 1st, 2006

Risiken und Nebenwirkungen des Hypno-Tourismus


Wenn man in diesen Tagen die “Bild”Zeitung liest, könnte man glauben, dass “Rückführungen”, also die Erforschung vermeintlicher früherer Leben unter Hypnose, eine Art neuer Massensport sind. Oder dass die “Bild”-Zeitung wenigstens ihren Beitrag dazu leisten will, sie zu einem Massensport werden zu lassen.

Heute stellt “Bild” die nicht ganz unwichtige Frage:

Ist eine Rückführung gefährlich?

Und:

Kann mir eine Hypnose-Rückführung schaden?

“Bild” hat den Leiter der medizinischen Psychologie der Uni Köln, Prof. Dr. Volker Tschuschke, gefragt. Und der gibt eine scheinbar klare Antwort:

Nein. (…) wen es ins Jenseitige zieht, der braucht sich nicht zu sorgen. Eine professionelle Hypnose ist nicht schädlich, sie trägt sogar zur Entspannung bei.”

Na, dann ist ja alles gut. Womöglich hat Professor Tschuschke danach noch etwas über die Gefahren nicht-professioneller Hypnosen gesagt. Aber in “Bild” steht nichts davon.

Dass es Experten gibt, die anderer Ansicht sind, was die Bedenkenlosigkeit der lustigen Hypno-Reisewelle angeht, ahnt der “Bild”-Leser nicht. Denn die kommen in “Bild” nicht zu Wort. Dabei hatte zum Beispiel der Psychologe Dr. Colin Goldner schon 1999 gegenüber der “Badischen Zeitung” von dem beunruhigenden Fall einer Opernsängerin berichtet:

“Sie litt unter der Angst, auf der Bühne könnte ihr plötzlich die Stimme versagen. In einer Reinkarnationstherapie “erinnerte” sie sich — d.h. sie folgte den Suggestionen des “Therapeuten” –, sie sei im 15. Jahrhundert Scharfrichter in Rothenburg o. d. Tauber gewesen, als welcher sie Hunderte von Delinquenten an den Galgen geknüpft habe. (…) Diese Schuld äußere sich in ihrem jetzigen Leben — naheliegenderweise — in Problemen an ihrem Halse. Sie steigerte sich in die Vorstellung hinein, sie könne dieses Karma nur abtragen, wenn sie sich selbst antue, was sie ihren unschuldigen Opfern angetan habe. (…) Aufgrund akuter Selbstmordgefährdung kam sie in stationäre psychiatrische Behandlung, in der sie mehr als ein halbes Jahr verbleiben mußte.”

Bernd Borckmann, Arzt und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Hypnose, äußerte sich im “Kölner Stadtanzeiger” am 21. November 2005 kritisch über “Showhypnosen” und angebliche “Rückführungen” in frühere Leben und warnte:

“Die Hypnose kann für den Hypnotisierten brandgefährlich werden, etwa wenn sie mit traumatischen Erinnerungen konfrontiert werden, von denen der Hypnotiseur nichts weiß.”

Und der Münchner Psychotherapeut und “Hypnotherapeut” Burkhard Peter berichtete in der Zeitschrift “P.M.” im Dezember 2004 zwar davon, dass die Katzenphobie einer Patientin behandelt werden konnte, nachdem sie sich in der Hypnose an eine negative Erfahrung als Baby erinnert hatte, warnte aber:

“Es gibt keine Möglichkeit, innerhalb der Hypnose zu beurteilen, ob es sich um eine historisch korrekte Erinnerung handelt oder um eine suggerierte Konstruktion. Im Fall einer Katzenphobie ist das unproblematisch — bei hypnotisch erinnerten Missbrauchs-Taten dagegen fatal.”

(Alle Hervorhebungen von uns.)

Ach, und noch was: Vielleicht lohnt es sich an dieser Stelle, einmal auf den Mann zurückzukommen, der die aktuelle Wiedergeburts-Kampagne der “Bild”-Zeitung scheinbar ausgelöst hat: Hape Kerkeling. Seit drei Tagen tut “Bild” so, als habe Kerkeling behauptet, er hätte schon einmal gelebt. Das hat er nicht getan. Bei “Johannes B. Kerner” im ZDF sagte er am Donnerstag vergangener Woche über seine vermeintlichen früheren Leben:

“Ich zweifle daran, ob man das wirklich ernst nehmen kann. (…) Ich kann es mir vorstellen, dass ich schon mal gelebt habe, aber dass ich’s glaube, kann ich nicht sagen, nein. (…) Ich glaube nicht daran, dass es wirklich so war. Keine Ahnung, welche Streiche einem da die Phantasie und die Psyche so spielen. (…) Ich kann das nicht wirklich glauben.”

Und schon der ausführlichen Schilderung seiner außergewöhnlichen Hypnose-Erfahrung in seinem Buch (und in “Bild”) hat Kerkeling drei nicht ganz unwesentliche Sätze hinzugefügt:

Ob mir das alles wirklich zugestoßen ist? Keine Ahnung. Das würde ich niemals behaupten.

“Bild” schon.

Danke an Frank S. und Markus Robert M.

Allgemein  

“Bild” beschäftigt Volksverhetzer II

Von dem Thema “Reinkarnation” ist “Bild” nicht erst seit dieser Woche fasziniert — und der Volksverhetzer Trutz Hardo ist für die Zeitung schon mehrmals der “Experte” ihrer Wahl gewesen.

Diese Woche entwickelte er “exklusiv für BILD” einen Wiedergeburtstest; 2001 bat ihn “Bild” um einen Rat für die um ihre Tochter trauernde Fernsehmoderatorin Petra Schürmann (“Alexandras Seele ist durch den Schock des Unfalls noch erdgebunden und nicht im Jenseits”).

Doch die Partnerschaft zwischen “Bild” und dem Volksverhetzer währt schon länger. Am 7. Oktober 1999 warb “Bild” in einem Artikel für die Praktiken von Trutz Hardo:

BILD-Reporterin Verena Schulemann lässt sich in die Vergangenheit gucken
Vor 90 Jahren war ich ein Mann

(…) Der ehemalige Gymnasial-Lehrer, Taxifahrer, Matrose, Kellner und heute Autor und selbsternannter Reinkarnations-Experte führt für 250 Mark jeden in ein früheres Leben zurück.

(…) Trutz führt mich in Gedanken über eine grüne Wiese, hinauf in die Wolken. Dort treffe ich mein “höheres Selbst”. Es öffnet mir ein Tor zu meinem vorigen Leben…

(…) Trutz ist überzeugt: “Wir haben alle schon tausendmal gelebt. Mit meiner Rückführung kann ich es endlich jedem beweisen.”

Wieso werden wir wiedergeboren? “Um vollkommene Liebe und Güte zu lernen. Erst dann werden wir erlöst.”

Seminare bei Trutz Hardo sind unter 787 xx xx zu buchen.

Dieser Artikel erschien, wie gesagt, im Oktober 1999. Da war es gerade erst gut ein Jahr her, dass das Amtsgericht Neuwied Hardo wegen Volksverhetzung und Verunglimpfung des Ansehens Verstorbener zu einer Geldstrafe verurteilt hatte. In der Begründung hieß es: “Er hat den Nationalsozialismus in einer Weise verharmlost, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.”

Über Hardo und das Urteil hatten zahlreiche deutsche Medien berichtet. Der “Spiegel” zitierte Hardo am 28. Dezember 1998 mit den Worten, der Holocaust sei das “Bestmögliche” gewesen, was den Juden habe zustoßen können.

Vor Gericht hatte Hardo laut “taz” erklärt:

“Eine Frau, die vergewaltigt wird, erhält damit die gerechte Strafe dafür, daß sie einmal — als Mann — vergewaltigt hat. Wenn Kinder ermordet werden, ist das eine Strafe für die Eltern, die womöglich in einem früheren Leben ein Kind verstoßen haben.”

So denkt der Mann, an den sich die “Bild”-Zeitung wendet, wenn sie einen Experten in Sachen Reinkarnation sucht oder sich exklusiv einen “Test” entwerfen lässt: “Haben Sie auch schon einmal gelebt?”

Der “Stern” zitierte unter der Überschrift “Esoterischer Schwachsinn” noch am 30. März 2006, also gerade einmal zwei Monate, bevor sich “Bild” wieder an den Okkultisten wandte, aus Hardos verbotenem Buch “Jedem das Seine”:

“Die meisten, die vergast wurden, (…) hatten früher andere Menschen getötet oder zugestimmt, dass andere Erdenbewohner, meist Juden und Minderheiten, dem mordenden Mob zum Opfer fielen.”

“Bild” muss für “Kronjuwelen” zahlen

Die “Bild”-Zeitung ist vom Wiener Landesgericht zur Zahlung von je 20.000 Euro Entschädigung an den österreichischen Finanzminister Karl-Heinz Grasser und seine Ehefrau verurteilt worden. Grund ist der Abdruck mehrerer Paparazzifotos in der “Bild”-Ausgabe vom 5. Mai 2006, die (wie bereits berichtet) Grasser und seine Frau — teilweise verpixelt — in einer intimen Situation auf ihrer schwer einsehbaren Terrasse auf Capri zeigen und von der “Bild”-Klatschkolumnistin Christiane Hoffmann anzüglich betextet wurden.

Die österreichische Nachrichtenagentur APA spricht von einer “Rekordentschädigung”, weil es sich (nach Paragraf 7 des österreichischen Mediengesetzes) um die Höchststrafe für eine “Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches” handelt. “Bild” hat eingeräumt, eine Persönlichkeitsverletzung “durchaus erkennen” zu können, aber auch Rechtsmittel gegen die Entscheidung angekündigt.

Soweit das. Doch was hatte eigentlich die “Bild”-Zeitung zu ihrer Verteidigung vorzubringen? Schließlich waren die Grasser-Fotos vermutlich von einer 300 Meter entfernten Bucht oder einer zweieinhalb Meter hohen Stützmauer aus aufgenommen worden.

APA zitiert den “Bild”-Anwalt mit den Worten:

“Wenn solche Fotos existieren, müssen sie veröffentlicht werden. Wenn es nicht in der ‘Bild’-Zeitung geschehen wäre, hätte es jemand anderer gemacht.”

Und das ist eine Aussage, die offenbar nicht nur der Richterin nicht einleuchten wollte. Nein, sie klingt zudem auch irgendwie ganz anders, als das, was “Bild”-Chef Kai Diekmann noch vor knapp zwei Jahren der Zeitschrift “Cover” sagte. Damals hatte ihn das Magazin anhand eines fiktiven Beispiels gefragt, was er denn täte, wenn ihm jemand “heimlich geschossene Fotos” aus dem Privatleben von Politikern anböte — ob er das Material kaufen würde. Und Diekmann hatte geantwortet:

“Ja — um es vom Markt zu nehmen und dem Betroffenen zu geben. Das ist übrigens keine fiktive Annahme, sondern bereits häufiger geübte Praxis. Denn wer mit wem etwas hat, ist Privatsache.”