In mehreren türkischen Großstädten hat die Opposition bestehend aus der kemalistischen CHP und der säkular-konservativen Iyi-Partei die Mehrheit geholt. Besonders wichtig dabei ist die Hauptstadt Ankara, die 20 Jahre lang von der AKP regiert wurde. Auch in der Ferienhochburg Antalya und in Izmir wechselt die Regierung und die Erdogan-Partei muss gehen.
Für Ankara und Antalya stimmt das. Dort war bisher jeweils Erdogans AKP die stärkste Kraft, nun ist es die Republikanischen Volkspartei CHP. Izmir wird hingegen seit Jahren schon von der CHP regiert. Auch die gleichnamige Hauptstadt der Provinz Izmir ist lange schon eine Hochburg der CHP: Aziz Kocaoglu ist dort seit 2004 Bürgermeister, zuvor war es mehrere Jahre dessen Parteikollege Ahmet Piristina.
In Berlin und im schleswig-holsteinischen Neustadt ist jeweils ein Mann aus dem Maßregelvollzug geflohen. Die Polizei sucht derzeit öffentlich nach den zwei verurteilten Verbrechern. “Bild” und Bild.de schreiben heute dazu:
Die zwei hoch gefährlichen aus dem Maßregelvollzug geflohenen Verbrecher sind weiter auf der Flucht. Und die Justiz kann nur hoffen, dass nichts Dramatisches passiert.
Wir sind uns auch ziemlich sicher, dass die Justiz in Berlin und die Justiz in Schleswig-Holstein und der Berliner Justizsenator und die schleswig-holsteinische Justizministerin hoffen, “dass nichts Dramatisches passiert.” Wer hofft das schon? Sollte die “Bild”-Redaktion damit aber meinen, dass der Justizsenator oder die Justizministerin für die zwei Geflohenen zuständig sind, dann liegt sie damit falsch. Der Maßregelvollzug ist in Berlin und in Schleswig-Holstein, anders als der Justizvollzug, bei der Gesundheitssenatorin beziehungsweise dem Gesundheitsminister angesiedelt.
Das steht so auch angedeutet im “Bild”-Text (“Montag präzisierte die zuständige Gesundheitsverwaltung der rot-rot-grün-regierten Hauptstadt”), was den Einleitungssatz mit der Justiz, die nur hoffen könne, umso merkwürdiger macht.
DFB-Präsident Reinhard Grindel ist heute zurückgetreten. Dieser Schritt ist die Reaktion auf verschiedene Vorwürfe — der ausschlaggebende war wohl jener zu einer teuren Uhr, die Grindel von einem ukrainischen Oligarchen und Fußballfunktionär geschenkt bekommen hatte. Steht auch so bei Bild.de:
Tick, tick, tick…
Der Druck war am Ende zu groß und seine Uhr als DFB-Boss heute Vormittag endgültig abgelaufen.
Über diesen “UHREN-SKANDAL” berichteten zuerst die “Bild”-Medien:
Eine “geschenkte Luxus-Uhr”? Sowas würde bei “Bild” ja niemand annehmen. Also, außer … Bei dem ganzen Wirbel um Reinhard Grindel fiel uns eine Geschichte von vor zehn Jahren ein: Damals bekam der Hamburger Sportchef der “Bild”-Zeitung Jürgen Schnitgerhans eine 1000 Euro teure Armbanduhr vom HSV-Vorstand geschenkt — also von dem Verein, über den er selbst und seine Redaktion berichteten. Schnitgerhans und “Bild” fuhren unter anderem eine ordentliche Kampagne zugunsten des HSV-Vorstandsvorsitzenden Bernd Hoffmann.
Konsequenzen aus diesem “UHREN-SKANDAL” bei “Bild”? Keine. Denn das hatte ja alles überhaupt nichts miteinander zu tun. Und außerdem handelte es sich ja auch gar nicht um ein Geschenk, wie der damalige “Bild”-Sprecher Tobias Fröhlich erklärte:
Hr. Schnitgerhans hat sich keine Uhr vom HSV-Vorstand “schenken lassen”. Sondern vielmehr wurde ihm diese Uhr vom gesamten HSV-Vorstand zum 60. Geburtstag als Würdigung und Anerkennung für seine 37-jährige Tätigkeit als Sportreporter für verschiedene Medien und speziell als journalistischer und kritischer Begleiter des Vereins überreicht. Dies wurde auch so in der Ansprache des Vorstands artikuliert.
Er wurde also für seine Gesamtleistung als langjähriger Sportjournalist und nicht als BILD-Reporter ausgezeichnet. Schnitgerhans schrieb über den HSV 1971 beim Sportmegaphon Lübeck, ab 1973 bei der Hamburger Morgenpost, seit 1980 für BILD. Aus diesem Grund sehen wir diese Auszeichnung nicht im Widerspruch zu unseren Leitlinien.
Schon der Anschein, die Entscheidungsfreiheit von Journalisten könne durch Gewährung von Einladungen oder Geschenken beeinträchtigt werden, ist zu vermeiden.
Klar, so einen Anschein kann man natürlich auch durch Kleinreden vermeiden.
Bietet ein Vermisstenfall, bei dem Medien wie im Live-Ticker-Modus jede Kleinigkeit zu einem Beitrag verwursten, mal keine Neuigkeiten, greifen Redaktionen auch auf besondere Mittel und Quellen zurück, um dem Klickvieh etwas hinwerfen der Leserschaft einen Artikel präsentieren zu können:
Was für ein erbärmlicher Clickbait auf Kosten einer vermissten 15-Jährigen und deren Familie. Wohlgemerkt: Es steht nicht fest, ob Rebecca noch lebt oder tot ist. Die Polizei geht davon aus, dass sie nicht mehr lebt, aber sicher ist das nicht.
Ärgerlicherweise geht die rücksichtslose, klickgeile Rechnung der “Der Westen”-Redaktion auch noch auf:
Wie man aus der angeblich “ehrlichsten Antwort” die verlogenste Zusammenfassung macht, zeigt heute “Bild”-Autor Josef Nyary.
Nyary schaut sich regelmäßig Polit-Talkshow im Fernsehen an und fasst sie anschließend für “Bild” und Bild.de zusammen. Gestern lief im Ersten “Anne Will”, Thema: “Streiken statt Pauken — ändert die Generation Greta die Politik?” Mit der titelgebenden Greta Thunberg hatte Moderatorin Anne Will zuvor ein Interview geführt, von dem ein längerer Ausschnitt auch in der Sendung zu sehen war. Josef Nyary schreibt dazu:
Das ist eine bemerkenswert freie Zusammenfassung von Thunbergs Antwort. Tatsächlich sagte die 16-Jährige (ab Minute 23:36):
Anne Will: Zuletzt hieß es, Sie seien für Atomkraft. Stimmt das?
Greta Thunberg: Persönlich: nein. Aber ich meine, Atomkraft ist nicht die Zukunft. Sie ist nicht erneuerbar. Aber nach Meinung des Weltklimarats, nicht meiner Meinung nach, nach Meinung des Weltklimarats kann Atomkraft ein kleiner Teil einer großen Lösung für Energie ohne fossile Brennstoffe sein in Ländern, in Regionen, in denen die Option 100 Prozent erneuerbarer Energie nicht besteht. Aber ich meine, Atomkraft ist sehr gefährlich, teuer und zeitaufwendig.
Sie zitiert also nur das häufig als “Weltklimarat” bezeichnete Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Und sie betont extra noch mal, dass das nicht ihre Meinung ist. Bei Bild.de machen sie daraus:
Anne Will: Recently, it has been said that you are in favor of nuclear power. Are you?
Greta Thunberg: Personally, no. I mean nuclear power is not the future. It’s not renewable. But according to the IPCC, not according to me, according to the IPCC nuclear power can be a small part of a very big new fossil free energy solution in countries, in areas that lack the possibility of 100 percent renewables. But I mean nuclear power is very dangerous, expensive and time consuming. I mean just ask a scientist if we were to replace fossil fuels with nuclear power: How many new nuclear power plants we will have to build each week within the time frame of the Paris Agreement to reach the Paris Agreement? And how much money that will cost? How much time it takes to build nuclear power? And how much it takes from our remaining carbon budgets? But if we should talk about these things, we should talk about energy efficiency and especially reducing our energy demand. But still we can’t keep focussing on these small things. We need to realize that there are no solutions within these current systems. And we need to see the whole picture and to have a holistic view on climate crisis.
Anne Will: Let me follow up. If one wants to stop the emissions — and that is what you want: not to lower them but to stop the emissions — is it then possible to avoid nuclear energy in your understanding?
Greta Thunberg: Ask scientists. That is something I can’t speak out on because I don’t have that scientific education. That is such a big decision that we need to have scientific evidence and scientific based recommendations on what we should do. So, I can’t say what we should do.
Diese komplette Verzerrung von Greta Thunbergs Aussage passt ganz gut zu Josef Nyarys gesamter “TALK KRITIK”: Höhnisch schreibt er, eine “Fridays for Future”-Aktivistin komme “aus der Schülervertretungsszene”, Thunberg sei “ein Milchgesicht aus Pipi-Langstrumpf-Land”, ZDF-Moderator Harald Lesch (den Nyary fälschlich bei der ARD einsortiert) sei ein “Angstmann”, und die Grünen seien die “erfolgreichste deutsche Bevormundungspartei”.
Interessant ist auch Nyarys Seitenhieb Richtung Grünen-Chef Robert Habeck (“Rumms! Was sagt Habeck dazu? Der Grünen-Chef macht keinen Mucks.”). Was Nyary nicht schreibt: Habeck konnte gar keinen “Mucks” machen, schließlich war das eingespielte Interview mit Thunberg aufgezeichnet und lief nach der Frage zur Atomenergie noch einige Zeit weiter. Aber wie soll man sowas als “Bild”-Talkshow-Kritiker auch mitbekommen, wenn man zu diesem Zeitpunkt schon damit beschäftigt ist, Aussagen aus dem Zusammenhang zu reißen?
Mit Dank an Andreas P., Farid A. und @EvaStegen für die Hinweise!
Nachtrag, 3. April: “Bild”-Polittalk-Kritiker Josef Nyary hat es schon häufiger auf Grünen-Chef Robert Habeck abgesehen. Bei einer früheren “TALK KRITIK” aus dem Juli 2018 etwa hieß es in der Dachzeile: “AUSRASTER BEI ‘ILLNER'”, in der Überschrift: “Grünen-Chef Habeck brüllt CSU-Staatssekretärin nieder” und in einer Zwischenüberschift: “Brüll-Attacke des Jahres”. Nyary schreibt:
Da ist der nette Herr Habeck auf einmal gar nicht mehr souverän. “Sie vergiften den Diskurs!”, donnert er die Staatsministerin an. (…) “Bleiben Sie doch bei der Wahrheit!” brüllt er die CSU-Frau an.
Das ist alles ziemlicher Unsinn — von “niederbrüllen”, “anbrüllen” oder der “Brüll-Attacke des Jahres” findet man in der Sendung (ab Minute 59:00) nichts. Daher gab es wegen des Verstoßes gegen das Wahrhaftigkeitsgebot auch einen Hinweis vom Deutschen Presserat für Nyarys Text.
Wenn eine Stadt eine Gedenktafel aufstellt, die an die zwei Todesopfer einer Geiselnahme und an einen bei dieser Geiselnahme im Einsatz gestorbenen Polizisten erinnern soll, dann sollte eine Nachrichtenagentur es doch hinbekommen, die Namen der Personen, an die dort erinnert wird, richtig zu schreiben. Sollte.
Rund 30 Jahre nach dem Gladbecker Geiseldrama erinnert Bremen mit einem Gedenkstein an die drei Todesopfer. An einer Bushaltestelle im Stadtteil Huckelriede wurde am Samstag ein Erinnerungsort eingerichtet. An diesem Ort hatten die Geiselnehmer Dieter Degowski und Hans-Jürgen Rösner bei ihrer mehrtägigen Irrfahrt im August 1988 einen Bus gekapert. Auf dem Stein stehen die Namen der getöteten Businsassen Silke Bischoff und Emanuele di Giorgio sowie des Polizisten Ingo Hagen, der bei einem Verkehrsunfall umkam.
… schrieb die dpa gestern unter anderem in einer Agenturmeldung. Doch der 14-jährige Junge, der damals im Bus erschossen wurde, hieß nicht “Emanuele di Giorgio”, sondern Emanuele De Giorgi. Manchmal wird das “De” auch kleingeschrieben. Die dpa nennt den falschen Namen gestern noch einmal in einer kürzeren Version des Artikels in ihrem “Nachrichtenüberblick” und heute zweimal in “Wochenendwiederholungen”.
Vom Ticker der dpa verbreitete er sich auf viele Seite: Bild.de, Welt.de, ZDF.de, nwzonline.de, ln-online.de, Kreiszeitung.de, Abendblatt.de und so weiter.
Immerhin: Die Redaktionen, die das von der dpa mitgelieferte Foto in ihre Beiträge eingebaut haben, haben den Namen zumindest einmal richtig auf ihrer Seite:
Mit Dank an Jürgen B. für den Hinweis!
Nachtrag, 20:39 Uhr: Die dpa hat auf unsere Kritik reagiert und angekündigt, die Texte mit diesem “extrem bedauerlichen Fehler” zu korrigieren.
Beim FC Schalke 04 läuft es in dieser Saison nicht besonders gut. Die Mannschaft steht in der Bundesliga nach 26 von 34 Spieltagen auf Rang 15, mit nur drei Punkten Vorsprung auf den Relegationsplatz, der einen möglichen Abstieg in die 2. Bundesliga bedeuten könnte. Und jetzt das:
… schreibt die “Sport Bild”-Redaktion auf der Titelseite ihrer gestern erschienenen Ausgabe. Im Heft hat sie die Nachricht ähnlich wirksam platziert:
Man muss ein “Bild plus”-Abo haben, um lesen zu können, wer “dieser Schalke-Star” ist:
Nach SPORT BILD-Informationen hat Sebastian Rudy (29) jedoch keinen Vertrag für die 2. Liga. Der Nationalspieler (27 Einsätze), der vor einem Jahr für 16 Mio Euro Ablöse vom FC Bayern gekommen war, wäre im Sommer ablösefrei. Sein bis 2022 laufender Kontrakt ist nur für die Bundesliga gültig!
Für solche exklusiven Geschichten zahlt man doch gern. Laut Sebastian Rudys Verein ist sie aber vor allem exklusiv erfunden:
Zu heute in der “Sport-Bild” verbreiteten Behauptungen stellt der FC Schalke 04 klar: Der Arbeitsvertrag von Sebastian Rudy, datiert bis zum 30. Juni 2022, ist unabhängig von der Zugehörigkeit zur 1. oder 2. Bundesliga gültig.
Er beinhaltet keinerlei Klausel, die einen ablösefreien Wechsel zu irgendeinem Zeitpunkt vor dessen Ablauf ermöglicht. Alle anders lautenden Aussagen sind falsch. Der FC Schalke 04 geht davon aus, dass diese falschen Behauptungen ebenso öffentlichkeitswirksam von deren Urhebern richtiggestellt werden.
Ja, davon sollte man eigentlich ausgehen. Bei Bild.de ist der Artikel allerdings auch heute noch unverändert online.
Mit Dank an UtahJazz45, @athloni und @mika84 für die Hinweise!
Als stellvertretender Chefredakteur beim Berliner Boulevardblatt “B.Z.” muss man besondere Fähigkeiten besitzen: Man muss salbungsvolle Reden auf die Unschuldsvermutung halten, sich empören, dass ein Mensch “mit Fahndungsfotos der Öffentlichkeit preisgegeben wurde” — und gleichzeitig mit geschlossenen Augen durch die Redaktion laufen, um nicht zu sehen, was für Schweinereien die Kollegen und man selbst so auf Papier druckt. Der aktuelle stellvertretende “B.Z.”-Chefredakteur Jorin Verges kann das.
Das klingt erstmal gar nicht doof. Es ist aber komplett verlogen. Verges’ Kommentar erschien auf dieser Doppelseite:
Die Titelseite derselben Ausgabe sah so aus:
Die Unkenntlichmachungen der Fotos, die Florian R. zeigen, stammen von uns — auf dem “B.Z. Exklusiv-Foto” ist der Mann nicht verpixelt und eindeutig zu erkennen. Was würde Jorin Verges dazu schreiben, wenn er sich seine eigene Zeitung mal ansehen würde? Wohl sowas wie: Rebeccas Schwager wurde von der Redaktion mit Fahndungsfotos Paparazzifotos der Öffentlichkeit preisgegeben “wie ein bereits geständiger Schwerverbrecher”. Und natürlich suggeriert eine Unterzeile wie “Beweise reichen nicht”, dass Florian R. der gesuchte Täter ist, man es ihm aber bisher nur nicht nachweisen konnte. Dazu würde Verges vermutlich kommentieren, “dass die Unschuldsvermutung bei Florian R. nie eine Chance hatte”. Und er hätte sogar Recht damit.
Dass der Mann nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft erstmal “AB ZU MUTTI” und nicht nach Hause gegangen ist, dürfte übrigens auch an wartenden Journalisten und Fotografen gelegen haben. Die Anwältin von Florian R. erzählt, dass ihr Mandant wegen “der Medienmeute” derzeit nicht wieder arbeiten und auch nicht sein Kind in den Kindergarten bringen könne.
Die Polizei hat die Fotos, die sie von Florian R. veröffentlicht hatte, inzwischen wieder zurückgezogen. Es bestünden “keine weiteren Erfolgsaussichten durch die Öffentlichkeitsfahndung”, so die Begründung. Redaktionen, die den Schwager von Rebecca bisher ohne jegliche Unkenntlichmachung gezeigt haben, verpixeln die Bilder nun. Auch die “B.Z.”.
Die “Bild”-Medien sind auffallend still beim Thema EU-Urheberrechtsreform. Gestern, als deutschlandweit Zehntausende auf die Straße gingen, um unter anderem gegen die Einführung von Uploadfiltern zu demonstrieren, erschien bei Bild.de einer der wenigen Artikel zu dem großen aktuellen Streitthema. Und der hatte dann auch eine besondere Ausrichtung:
Ohne Frage: Morddrohungen gegen CDU-Politiker Axel Voss sind unter keinen Umständen in Ordnung.
Im Bild.de-Artikel kommt nicht nur Voss zu Wort, sondern auch dessen Parteikollege Daniel Caspary. Und der erzählt gar Unglaubliches:
Daniel Caspary, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, wirft Internet-Konzernen in den USA sogar unlautere Mittel vor, mit denen sie die Reform zu torpedieren versuchten — und sich so die Zahlungen von Lizenzgebühren zu sparen. Caspary zu BILD: “Der Kampf gegen eine faire Bezahlung von Musikern, Journalisten, Fotografen und anderen Kreativen wird mit allen Mitteln geführt.”
Casparys Verdacht: “Nun wird offensichtlich versucht, auch mit gekauften Demonstranten die Verabschiedung des Urheberrechts zu verhindern. Bis zu 450 Euro werden von einer sogenannten NGO für die Demoteilnahme geboten. Das Geld scheint zumindest teilweise von großen amerikanischen Internetkonzernen zu stammen. Wenn amerikanische Konzerne mit massivem Einsatz von Desinformationen und gekauften Demonstranten versuchen, Gesetze zu verhindern, ist unsere Demokratie bedroht.”
Von amerikanischen Internetkonzernen bezahlte Demonstranten? Das ist entweder ein ganz schöner Skandal oder ein ziemlich übler Desinformationsversuch. Da würden wir ja gern mal mehr wissen: Welche “sogenannte NGO” soll das sein? Woher hat Daniel Caspary diese Geschichte? Und: Stimmt die überhaupt? Bild.de-Autorin Anne Merholz und ihr Kollege Florian Kain stellen keine dieser Fragen. Sie haken bei Caspary nicht nach. Sie äußern keine Zweifel. Der CDU-Mann kann das alles einfach so bei Bild.de behaupten. Ein bemerkenswertes Desinteresse einer Redaktion, die sich sonst auf jedes Skandälchen stürzt.
Journalist Dennis Horn hat eine ganz plausible Erklärung, was hinter den angeblichen 450 Euro Demogeld stecken könnte: Die Vereinigung von Bürgerrechts-NGOs EDRi hat für rund 20 Personen, die mit Abgeordneten des Europaparlaments über die Urheberrechtsreform sprechen wollten, die Kosten dieser Lobbyreise übernommen: bis zu 350 Euro Reise- und 100 Euro Übernachtungskosten — insgesamt also bis zu 450 Euro. Die Finanzierung dafür stamme zu zwei Dritteln von der von George Soros gegründeten Open Society Foundation und zu einem Drittel von Copyright 4 Creativity.
Das ist dann doch ein ziemlicher Unterschied zu einer “von großen amerikanischen Internetkonzernen” finanzierten “sogenannten NGO”, die “gekauften Demonstranten” “für die Demoteilnahme” 450 Euro biete. Aber das scheint bei Bild.de niemanden zu interessieren.
Ach, und ein Service-Hinweis noch für alle, die gestern bei den Demonstrationen waren und ihr Demogeld noch nicht bekommen haben: Das kann man sich hier holen. Aber dabei bitte auch diese “wichtigen Informationen” beachten.