In einer Zeit, in der nicht endgültig geklärt ist, welche gesundheitlichen Schäden eine Infektion mit dem Coronavirus hinterlässt, in der gerätselt wird, ob die Erkrankung vielleicht sogar Langzeitfolgen haben kann, braucht es eins ganz gewiss nicht: Eine Redaktion, die vermeintliche Corona-Symptome ausnutzt, um ein paar schnelle Klicks einzusammeln, und dabei mit der Verunsicherung und der Angst der Leserschaft spielt.
Womit wir auch schon bei Bild.de wären.
Dort war gestern auf der Titelseite dieser Teaser zu finden:
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)
Stellen Sie sich vor, Sie haben plötzlich eine ganz andere Hautfarbe.
So ist es angeblich zwei chinesischen Ärzten ergangen, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben. Entsprechende Bilder zeigte der Staatssender “Beijing TV Station” in einer Dokumentation.
Erst nach mehreren Absätzen, am Ende des Textes, gibt es die Auflösung auf die Frage “Was ist der Auslöser der Haut-Veränderung?”. Erst dort erfährt man, dass das alles nichts mit dem Coronavirus beziehungsweise Covid-19 an sich zu tun haben soll, sondern mit einem Medikament, mit dem die zwei Männer behandelt worden sein sollen:
Ein behandelnder Arzt sagte dem Sender, dass womöglich ein Medikament schuld an der dunkel gewordenen Haut sei. Beide Patienten hätten es zu Beginn ihrer Behandlung bekommen. Die Hautverfärbung sei eine der Nebenwirkungen des Medikaments.
Er erwarte, dass sich die Hautfarbe beider Mediziner wieder normalisieren würde, wenn sich die Funktion ihrer Leber verbessert, so der Arzt weiter.
Der Plan der Redaktion, mit diesem Verwirrspiel reichlich Klicks zu generieren, ist offensichtlich aufgegangen:
Mit Dank an @jbecker98 und Florian H. für die Hinweise!
Bundesland um Bundesland beschließt momentan, wegen der Corona-Pandemie eine Maskenpflicht einzuführen — hier nur im öffentlichen Nahverkehr, dort auch zusätzlich in Supermärkten. Daher wäre es gut, wenn möglichst viele Leute wüssten, welche Maske in welchem Umfang schützt. Eigentlich bekommen es auch alle Redaktionen hin, die Wirksamkeit der verschiedenen Masken, die es auf dem Markt gibt, richtig zu erklären. Fast alle.
Als Antwort auf “Welche Masken wirklich schützen” präsentieren “Bild” und Bild.de diese Grafik:
Während man so gut wie überall seit Wochen hört und liest, dass der Mund-Nasen-Schutz (MNS), häufig auch als “OP-Maske” bezeichnet, vor allem das Gegenüber schützt und nicht so sehr den Träger beziehungsweise die Trägerin, setzt die “Bild”-Redaktion einen grünen Haken bei “Mund-Nasen-Schutz (MNS)” und “Schützt den Träger”. Der Grafik zufolge bietet der MNS also optimalen Schutz für alle und wirkt scheinbar so gut wie FFP2- und FFP3-Masken ohne Ventil.
Im “Bild”-Artikel wird das noch einmal durch die Aussage eines Arztes bekräftigt:
Mund-Nasen-Schutz (MNS): Der Klassiker im Krankenhaus und aus der Apotheke. Prof. Zastrow: “Diese einfachen Masken sind der beste und sicherste Schutz. Sie werden sogar bei Operationen getragen.”
Dass die Umgebung — etwa eine Person, die sich mit einem Corona-Infizierten unterhält, der einen Mund-Nasen-Schutz trägt — durch solche Masken geschützt werden kann, bestätigen auch offizielle Stellen (wobei es eine Untersuchung aus Südkorea gibt, die zu etwas anderen Ergebnissen kommt). Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zum Beispiel schreibt (PDF):
Medizinische Mund-Nasen-Schutzmasken (MNS), so genannte Operations (OP)-Masken werden vor allem im medizinischen Bereich wie Arztpraxen, Kliniken oder in der Pflege eingesetzt. Sie können die Verbreitung von Speichel- oder Atemtröpfchen der Trägerin oder des Trägers verhindern und dienen primär dem Schutz des Gegenübers.
Insofern ist es durchaus sinnvoll, einen MNS zu tragen, selbst wenn man keine Symptome zeigt. Es gibt schließlich auch asymptomatische Infektionsverläufe.
Dass der Träger oder die Trägerin ordentlich vor Coronaviren geschützt wird, sehen viele offizielle Stellen hingegen anders. Beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte heißt es:
Medizinischer Mund-Nasen-Schutz (MNS; Operations-(OP-)Masken) dient vor allem dem Fremdschutz und schützt das Gegenüber vor der Exposition möglicherweise infektiöser Tröpfchen desjenigen, der den Mundschutz trägt. Zwar schützen entsprechende MNS bei festem Sitz begrenzt auch den Träger der Maske, dies ist jedoch nicht die primäre Zweckbestimmung bei MNS. Dieser wird z.B. eingesetzt, um zu verhindern, dass Tröpfchen aus der Atemluft des Behandelnden in offene Wunden eines Patienten gelangen. Da der Träger je nach Sitz des MNS im Wesentlichen nicht durch das Vlies des MNS einatmet, sondern die Atemluft an den Rändern des MNS vorbei angesogen wird, bieten MNS für den Träger in der Regel kaum Schutz gegenüber erregerhaltigen Tröpfchen und Aerosolen.
Der Schutz für Trägerinnen und Träger bestehe vor allem in dem Umstand, dass sich durch den MNS etwas vor Mund und Nase befindet, das beispielsweise größere herumfliegende Speicheltropfen abfangen kann:
[Die Masken] können jedoch Mund- und Nasenpartie des Trägers vor einem direktem Auftreffen größerer Tröpfchen des Gegenübers schützen sowie vor einer Erregerübertragung durch direkten Kontakt mit den Händen.
Das könnte man aber auch sagen, wenn man sich eine “Bild”-Zeitung oder ein großes Stück Pizza nah vor Mund und Nase hält.
Dass die “Bild”-Redaktion den Eindruck erweckt, dass das Tragen von OP-Masken für die Trägerin oder den Träger einen optimalen Schutz bietet, kann zu einem gefährlichen, falschen Sicherheitsgefühl führen.
Mit Dank an Andreas und @chappitoday für die Hinweise!
Die “Bild”-Redaktion versucht heute mal wieder, Religionen und deren Anhänger gegeneinander auszuspielen:
Die vier “Bild”-Autoren Ralf Schuler, Filipp Piatov, Nikolaus Harbusch und Tomas Kittan schreiben, dass sie aus Quellen rund um die “Schalte von Bundeskanzleramt und Länderchefs” erfahren hätten, dass die Furcht vor einem möglichen Chaos zum muslimischen Fastenmonat Ramadan dafür sorge, dass auch die christlichen Kirchen und die jüdischen Gemeinden weiter geschlossen bleiben müssen:
Bislang untersagte die Bundesregierung den Bürgern das gemeinsame Beten aus Angst vor Corona — jetzt ist es die Sorge wegen eines möglichen Chaos an Ramadan. (…)
Wahrer Hintergrund der Entscheidung [weiterhin keine Gottesdienste stattfinden zu lassen] nach BILD-Informationen: Anders als bei den großen christlichen Kirchen und jüdischen Gemeinden sieht die Politik bei den Muslimen in Deutschland keine zentralen Ansprechpartner, die verlässlich Regeln (Abstand, Hygiene et cetera) in den Moscheen flächendeckend durchsetzen könnten. Deshalb sollen nun alle Gotteshäuser möglichst mindestens noch bis zum Ende des in der kommenden Woche beginnenden Fastenmonats Ramadan (23. April bis 23. Mai) geschlossen bleiben.
Warum es mit Blick auf die Corona-Pandemie jetzt weniger gefährlich sein soll als noch vor ein paar Tagen, wenn vorwiegend ältere Menschen in einem geschlossenen Raum dicht beieinander sitzen und christliche Lieder schmettern, wobei sicher auch das eine oder andere Speicheltröpfchen durch die Luft fliegen dürfte, erklärt “Bild” nicht. Stattdessen der Tenor: Die wilden Muslime, die in ihren Schmuddelmoscheen aufeinanderhocken und sich nicht mal richtig die Hände waschen, sind schuld, dass wir Christen nicht zum Gottesdienst in unsere Kirchen dürfen.
So treibt man einen Keil zwischen Menschen, die momentan eigentlich dieselbe für sie schwierige, ärgerliche Situation durchleben.
Bereits gestern Abend erschien der Beitrag auch bei Bild.de:
Natürlich hinter der “Bild plus”-Paywall, wodurch alle die spalterische Überschrift lesen, aber nur wenige die angeblichen Hintergründe erfahren konnten.
Die einschlägig islam- und muslimfeindlichen Kreise hat die “Bild”-Redaktion mit ihrem Artikel jedenfalls zielgenau erreicht:
Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!
Nachtrag, 15:12 Uhr: Mal abgesehen von der Stimmungsmache durch die “Bild”-Redaktion: Es stimmt auch nicht, dass die Kirchen alle “geschlossen” sind, wie etwa Bild.de teasert. Es gibt eine ganze Reihe von Kirchen, die fürsstilleGebetweiterhingeöffnetsind. Nur Gottesdienste dürfen nicht stattfinden.
Auf den ersten Blick mag es wie eine schöne, beruhigende Geste erscheinen. (…) Vergebliche Hoffnung, denn beim Lesen des Artikels, der auf der Website der deutschen Zeitung ins Italienische übersetzt wurde, stehen wir vor einer heuchlerischen Seite voller unterschwelliger Botschaften und voller Klischees.
Der Rest des “Bild”-Artikels, in dem zum Beispiel nie Coronabonds oder die Möglichkeit wirtschaftlicher Hilfe aus Deutschland erwähnt werden, ist eine Sammlung von Klischees, die das Bild Italiens in der kollektiven deutschen Vorstellung begleiten.
Am deutlichsten wird Paolo Valentino, Deutschland-Korrespondent von “Corriere della Sera”, der auflagenstärksten Tageszeitung in Italien. Die Überschrift seines Kommentars lautet: “‘Wir sind bei Euch’. Die (heuchlerische) Seite der ‘Bild’ über Italien und den Kampf gegen das Virus”.
Der “Bild”-Artikel sei laut Vorspann “eine Liste von (falschen) Solidaritätsbekundungen und Klischees, die zeigt, wie weit wir vom Konzept des Europäismus entfernt sind”.
Und ja, die Klischees. Mit aller Gewalt hat die “Bild”-Redaktion sie in ihren Brief gepresst. Er liest sich wie ein Skript eines ZDF-Samstagabendfilms, in dem Veronica Ferres und Jan Josef Liefers das “Dolce Vita” und ein “Gelato” in “Bella Italia” genießen. Hach, und diese “Pasta” und der “Vino” — da finden die beiden doch glatt ihre “Amore” wieder! Paolo Valentino schreibt:
Die übliche Liste von Klischees: Tiramisù, Rimini, Capri, Toskana, Umberto Tozzi und, für die Raffinierteren, Paolo Conte. Der Wunsch nachzueifern, die Jagd nach “Eurer Gelassenheit, Schönheit, Leidenschaft”. Die Kunst des Kochens, Pasta, Campari, Dolce Vita, fehlt nur die Mandoline. “Darum haben wir Euch immer beneidet.” Als ob niemand in Italien arbeiten würde. Niemals. “Jetzt sehen wir Euch kämpfen. Sehen Euch leiden”, fährt “Bild” fort und erinnert daran, dass es in Deutschland “gerade auch nicht leicht” ist.
Und es geht noch weiter mit den Stereotypen:
Das Finale: “Wir sind in Gedanken bei Euch. Ihr schafft das. Weil Ihr stark seid. Italiens Stärke ist es, anderen Liebe zu schenken.” Der Abschied am Ende ist ein Triumph des Stereotyps: “Ciao Italia. Wir werden uns bald wiedersehen. Auf einen Espresso, einen Vino rosso. Ob im Urlaub — oder in der Pizzeria.” Ich habe es noch einmal gelesen. Da ist etwas, das nicht funktioniert: “Ihr schafft das. Weil Ihr stark seid.” Also allein. Kein Hinweis auf die Solidarität, die man den Brüdern schuldet, denen die “Bild” zuerkennt, dass sie Deutschland beim Wiederaufbau der Wirtschaft geholfen haben. Kein Hinweis auf die Bedrohung unserer gemeinsamen Heimat Europa. Kein Hinweis auf die Notwendigkeit, dass die reicheren Brüder den ärmeren helfen müssen.
Tatsächlich fällt im gesamten “Bild”-Brief nicht einmal das Wort “Europa”. Keine Erwähnung von “Solidarität”. Und man findet erst recht nichts, was irgendwie in Richtung finanzieller Unterstützung von Deutschland für Italien deutet, von “Coronabonds” beziehungsweise “Eurobonds” ganz zu schweigen.
Paolo Valentino kommentiert:
Bei allem Respekt, es ist eine heuchlerische und eigennützige* Seite, ein beschämendes Manifest des Egoismus, ein weiterer Beweis dafür, dass “Bild” und Europäismus an entgegengesetzten Polen stehen.
Er sei nicht erstaunt, schreibt Valentino. Das sei bereits in der Wirtschaftskrise so gewesen, “als die Griechen laut ‘Bild’ ihre Laster mit den Ersparnissen deutscher Rentner bezahlen wollten”.
Wir verzichten gerne auf solche Zuneigungsbekundungen. Zum Glück ist die “Bild”-Zeitung nicht (ganz) Deutschland, von dem wir in diesen Tagen konkrete Solidaritäts- und Hilfsbekundungen erhalten. Aber von dem wir bald Klarheit über die Mutter aller Fragen erwarten: die finanzielle Garantie zum Schutz des Binnenmarktes und der europäischen Wirtschaft. Der Rest ist triviales Gerede.
Mit Dank an Anna, Margherita und Th. K.!
*Nachtrag, 17. April: In einer ersten Version hatten wir das italienische Wort “pelosa” mit “haarig” übersetzt, was laut Wörterbuch grundsätzlich auch richtig ist. In dem Zusammenhang, in dem Paolo Valentino das Wort benutzt, dürfte aber eine weitere mögliche Übersetzung passender sein: “eigennützig”.
Schaut man sich den Reuters-Artikel an, den Schuler für seine Stimmungsmache missbraucht, erkennt man sofort, dass das alles nichts mit einem Beschluss des (deutschen) Koalitionsausschusses zu tun hat. Die Jugendlichen auf dem Foto gehören zu den zwölf minderjährigen Geflüchteten, die Luxemburg gestern aufgenommen hat. Am Wochenende sollen in Deutschland 50 Minderjährige ankommen, die sich bisher in Lagern auf den griechischen Inseln aufgehalten haben.
Neben diesem falschen Zusammenhang, den Schuler herstellt, ist seine Aussage an sich auch irreführend. Der Koalitionsausschuss hat nicht beschlossen, nur “unbegleitete minderjährige Mädchen” aufzunehmen. Im Beschluss der Großen Koalition (PDF) von Anfang März steht:
Ordnung und Humanität gehören für uns zusammen. Deswegen wollen wir Griechenland bei der schwierigen humanitären Lage von etwa 1000 bis 1500 Kindern auf den griechischen Inseln unterstützen.
Es handelt sich dabei um Kinder, die entweder wegen einer schweren Erkrankung dringend behandlungsbedürftig oder aber unbegleitet und jünger als 14 Jahre alt sind, die meisten davon Mädchen.
Wenn der Außenminister der USA bei “Bild live” ein Interview gibt, dann ist das selbstverständlich Chefsache.
Julian Reichelt durfte Mike Pompeo ein paar Fragen stellen. Und das hat der “Bild”-Chefredakteur genutzt — größtenteils um seine eigene Agenda abzuspulen: gegen Angela Merkel, gegen Heiko Maas, gegen die Berliner Landesregierung, gegen China.
Das schon mal vorweg: Keine der Fragen, die Reichelt in dem Interview unterbringen konnte, zielte auf mögliche Fehler oder Versäumnisse der US-Regierung in der Corona-Krise und die damit verbundene schlimme Lage in den USA. Keine Frage zu Donald Trumps Herunterspielen der Situation. Keine zu der späten Reaktion des US-Präsidenten auf das Coronavirus. Nicht mal ein vorsichtiges: “Hätte Ihre Regierung irgendetwas besser machen können, Herr Pompeo?”
Stattdessen: reichlich Suggestivfragen im Stile von “Derundder hat dasunddas gegen die USA gemacht. Ist das nicht schlimm?” Und, na klar: die Pflichten von Angela Merkel. Reichelt beginnt das Interview mit dieser Frage:
Amerika hat weltweit die meisten Toten in der Corona-Krise zu beklagen. Gibt es etwas, was das amerikanische Volk in dieser dramatischen Krise von Deutschland erwartet? Was ist Ihre Botschaft an Kanzlerin Angela Merkel?
Was für eine Verknüpfung: “die meisten Toten in der Corona-Krise” in den USA — was soll Angela Merkel jetzt liefern? Mike Pompeo steigt darauf nicht ein. Er lobt Deutschland und die Bundeskanzlerin als “großartige Partner”.
Weiter geht es mit mit Reichelts Frage zum deutschen Außenminister Heiko Maas, denn der hat es doch tatsächlich gewagt, die USA zu kritisieren:
Der deutsche Außenminister Heiko Maas hat die USA und China in einem Atemzug kritisiert. Er hat gesagt: China hätte zu autoritär auf die Corona-Krise reagiert, die USA hingegen hätten das Problem verharmlost. Macht es Sie ärgerlich, wenn die Diktatur China und die Demokratie USA in einem Atemzug so kritisiert werden?
Was soll Mike Pompeo darauf schon antworten? “Nee, finde ich super”? Stattdessen erzählt er, US-Präsident Trump habe “sehr starke Maßnahmen ergriffen, um unser Volk zu schützen.” Die chinesische Regierung hingegen hätte nicht schnell genug Informationen geliefert. Das sei “natürlich sehr bedauerlich”.
Wenn Reichelt ein wirkliches Interesse an dem Thema hätte, könnte er da natürlich mal nachhaken und anmerken, dass Donald Trump das Coronavirus noch verharmloste, als längst sehr hohe offizielle Infektionszahlen aus China bekannt waren. Macht er in seiner Schoßhundhaftigkeit aber nicht.
Dafür die nächste Suggestivfrage:
Die Berliner Regierung hat den USA sogar Piraterie vorgeworfen, fälschlich vorgeworfen, weil angeblich die USA Masken konfisziert haben sollten auf dem Weg nach Berlin, mussten sich später dafür entschuldigen. Sind Sie besorgt über diese Form von Anti-Amerikanismus in der deutschen Hauptstadt?
Es scheint, als gehe der “Bild”-Chef noch einmal die “Bild”-Aufregerthemen der vergangenen Tage durch, mit dem Ziel, die “Bild”-Positionen durch den US-Außenminister bestätigen zu lassen.
Nachdem Reichelt gefragt hat, ob es nicht eine Möglichkeit wäre, die “Zölle auf amerikanische Produkte in Deutschland oder in der EU zu senken, um die US-Wirtschaft weiter anzukurbeln”, geht es weiter mit der Bestätigung von Feindbildern:
Sie haben es selber gesagt: Diese Krise hat begonnen in Wuhan, China. Braucht es eine globale Debatte darüber, ob der chinesischen Regierung für die massiven Schäden, die weltweit angerichtet worden sind, eine Rechnung präsentiert werden muss?
Mike Pompeo lässt sich darauf nicht ein. Er antwortet (laut “Bild”-Simultanübersetzung), dass es mehr als eine solche “globale Debatte” brauche:
Wir müssen herausfinden: Wie konnte das passieren, um sicherzustellen, dass so etwas nie wieder passiert, oder wir zumindest das Risiko minimieren, dass so etwas je wieder passiert. Das ist wirklich essenziell: Dass wir verstehen, wo dieses Virus herkam, um das Risiko zu minimieren. (…) Es wird wirklich hohe Kosten geben. Und deswegen müssen wir sicherstellen, dass kein Land auf der Welt wieder der Ursprung einer solchen Krise sein kann.
Pompeo sagt nichts zu der “Rechnung” für die chinesische Regierung, nach der Reichelt gefragt hat. Also fragt der “Bild”-Chef noch mal:
Noch einmal: Soll China für diese Schäden, die dort entstanden sind, finanziell aufkommen?
Pompeo antwortet:
There will be a time when the people responsible will be held accountable. I am very confident that this will happen. At the moment, it’s absolutely necessary to focus on the current task in order to systematically restart the American, and then also the global, economy. There will be a time for assigning blame.
Also:
Es wird eine Zeit geben, in der die verantwortlichen Personen zur Rechenschaft gezogen werden. Ich bin sehr zuversichtlich, dass dies geschehen wird. Im Moment ist es absolut notwendig, sich auf die aktuelle Aufgabe zu konzentrieren, um die amerikanische und dann auch die globale Wirtschaft systematisch wieder in Gang zu bringen. Es wird eine Zeit für Schuldzuweisungen geben.
Daraus macht die “Bild”-Zeitung heute:
Bei Bild.de, wo die Redaktion eine englische Version des Artikels, der auch in der gedruckten “Bild” erschienen ist, veröffentlicht hat, klingt das etwas weniger vage:
Die Aussage “China will be liable” hat hat sich die “Bild”-Redaktion ausgedacht.
Das ist falsch. Richtig wäre gewesen, dass es laut Johns Hopkins University zu diesem Zeitpunkt weltweit etwa 1,7 Millionen bestätigte COVID-19-Fälle gab. Die Zahl der Menschen, die am neuartigen Coronavirus verstorben sind, lag bei ungefähr 108.000.
Mit Dank an @vunallemebbes und Timo R. für die Hinweise!
Man sagt ja, es gebe keine doofen Fragen, nur doofe Antworten. Aber manchmal.
Der, nun ja, Gedanke hinter dieser Bild.de-Startseitengeschichte geht so: Gut möglich, dass das Coronavirus von einer Fledermaus, vielleicht über ein anderes Säugetier als Zwischenwirt, auf den Menschen übertragen wurde — also:
Die “Bild”-Leute haben sogar einen Professor, den sie vorschieben können:
So oder so stellt der US-amerikanische Uni-Professor Scott Galloway (55) den Schutz von Fledermäusen infrage, geht noch weiter und spricht sogar eine Begrenzung der Zahl der Säugetiere an. Er schreibt beim Kurznachrichtendienst Twitter: “Vier von vier der tödlichsten Viren der letzten Zeit stammen von Fledermäusen: Ebola, SARS, MRSA und Covid.”
Während Scott Galloway von “limiting” spricht, also vom Begrenzen, wird bei Bild.de daraus gleich eine komplette Ausrottung der Fledermäuse. Im Original lautet Galloways Tweet:
Scott Galloway ist tatsächlich, wie Bild.de schriebt, Professor. Allerdings nicht etwa für Virologie oder für Epidemiologie und auch nicht für Biologie oder für irgendetwas anderes zum Thema Passendes, sondern für Marketing. Das erklärt vielleicht, warum er so einen hanebüchenen Unsinn schreibt, den die “Bild”-Redaktion bedenkenlos wiedergibt: MRSA zählt nicht zu den “vier der tödlichsten Viren der letzten Zeit”, schlicht weil MRSA kein Virus ist. Bei Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus handelt es sich um Bakterien, die gegen Antibiotika resistent sein können. Sie zählen zu den sogenannten “Krankenhauskeimen”. Vielleicht meinte Galloway eigentlich MERS, das ein weiteres Coronavirus ist. Aber bis auf die Buchstaben M, R und S hat das eine mit dem anderen nicht so irre viel zu tun. Und eine Verwechselung würde aus Galloway nicht gerade einen Experten machen, den man zitieren sollte.
Die “Bild”-Leute scheinen solche Details aber nicht weiter zu jucken. Sie übersetzen einfach ohne irgendeine Einordnung und präsentieren Scott Galloway als vermeintlichen Fachmann für die Frage, ob man Fledermäuse wegen der Virusgefahr ausrotten soll.
Was dabei komplett fehlt im Bild.de-Artikel: die Konsequenzen eines solchen Schrittes. Fledermäuse haben eine wichtige Rolle im Ökosystem: Sie fressen viele Pflanzenschädlinge und haben daher einen enormen Wert für die Landwirtschaft. Außerdem bestäuben sie Blüten und verbreiten Samen. Würde man sie einfach ausrotten, was die “Bild”-Redaktion offenbar für einen möglichen Lösungsansatz hält, hätte das deutliche ökologische und ökonomische Folgen. Und auch für die Menschheit gäbe es im Alltag Nachteile: Wir wären viel mehr Mücken und anderen Insekten ausgesetzt.
In China gab es mal ein ähnliches Vorhaben wie das, das Bild.de heute ins Spiel bringt. Ende der 1950er-Jahre wollte man dort in der “Großen Spatzenkampagne” die Spatzen des Landes ausrotten. Die Folgen waren fatal: Riesige Heuschreckenschwärme, die, ohne ihren natürlichen Feind, den Spatz, ungehindert komplette Ernten auffressen konnten. Es verhungerten damals Millionen Menschen.
Unsere Redaktion durchforstet jeden Tag für Sie das Internet auf der Suche nach den besten Angeboten und präsentiert Ihnen an dieser Stelle den “Deal des Tages”. Egal, ob Sie ein echter Sparfuchs oder nur ein Hobby-Schnäppchenjäger sind, hier werden Sie jeden Tag auf das beste Angebot aufmerksam gemacht, das man zur Zeit im Internet finden kann.
Das ist doch mal ein toller Service, den die Redaktion der “Hamburger Morgenpost” bietet. Und was hat die “Mopo” heute für uns Hobby-Schnäppchenjäger und Sparfüchse?
Atemschutzmasken sind in Zeiten von Corona zu einer echten Mangelware verkommen. Sie sind stets ausverkauft oder haben lange Lieferzeiten oder astronomische Preise.
Als Beleg für solch “astronomische Preise” bietet auch der “Mopo”-“Deal des Tages” einen: eine Maske soll 14,95 Euro kosten. Der Link, der zu der “deutschen Online-Apotheke” führt, ist ein Affiliate-Link. Das heißt: Die “Hamburger Morgenpost” dürfte an dem Wucher mitverdienen.
14,95 Euro ist noch einmal ein gutes Stück mehr als der Preis, den ein Team von WDR, NDR und “Süddeutscher Zeitung” genannt hat (13,52 Euro), um zu zeigen, dass FFP2-Atemschutzmasken sich in den vergangenen Wochen um circa 3000 Prozent verteuert haben. Eine Maske sei bis Mitte Februar für 45 Cent zu haben gewesen.
Die “Mopo”-Redaktion schreibt zu ihrem “Deal”:
Ein Deal im Sinne von einem echten Schnäppchen sind die Atemschutzmasken damit freilich nicht, aber in diesem Fall ist die Verfügbarkeit des Produkts schon eine Info wert.
Die Frage der Verfügbarkeit ist ja der nächste Punkt: In einer Zeit, in der deutschlandweit Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen verzweifelt auch nach solchen FFP2-Masken suchen, um ihr Personal bei der Arbeit schützen zu können, sollte eine Redaktion vielleicht nicht den privaten Kauf derartiger Masken promoten und dabei selbst noch ein bisschen abkassieren.
An manchen Dingen ändert auch das Coronavirus nichts — die “Bild”-Redaktion ist und bleibt nicht in der Lage, Studienergebnisse ordentlich wiederzugeben.
An manchen Dingen ändert auch das Coronavirus nichts — Hamburgs Immobilien sind und bleiben (fast) unerschwinglich.
… schreibt “Bild”-Chefreporter Jörg Köhnemann heute. In der Überschrift und der dazugehörigen Dachzeile wird Köhnemanns Aussage noch einmal bekräftigt:
Tatsächlich besteht zwischen den “Staun-Fakten” zum Hamburger Immobilienmarkt, über die Bild.de schreibt, und der Corona-Krise allerdings überhaupt kein Zusammenhang. Es kann kein Zusammenhang bestehen, weil es um völlig unterschiedliche Zeiträume geht.
Grundlage für den Artikel ist eine Studie der Bausparkasse LBS. Die schaut sich seit Jahren die Entwicklung der Immobilienpreise in Hamburg und Umland an. In der Pressemitteilung zum aktuellsten “Immobilienmarktatlas” steht unter anderem:
Das ergab die aktuelle Studie der LBS Bausparkasse Schleswig-Holstein-Hamburg AG in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Forschungsinstitut F+B (Forschung und Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt GmbH), in der rund 13.560 öffentlich zugängliche Immobilien-Angebote in Hamburg und Umland im zweiten Halbjahr 2019 ausgewertet wurden.
“Im zweiten Halbjahr 2019” gab es offiziell noch keinen einzigen Corona-Fall in Deutschland. Dass die Hamburger Immobilienpreise “TROTZ CORONA-KRISE” “weiter durch die Decke” gehen, wird durch die LBS-Studie also gar nicht belegt. In der Pressemitteilung sagt der Vorstandsvorsitzende der Bausparkasse Jens Grelle sogar explizit, dass man erstmal schauen muss, “welchen Einfluss die COVID-19-Pandemie” auf die Immobilienpreise haben wird:
“Welchen Einfluss die COVID-19-Pandemie auf die Entwicklung der Immobilienpreise nehmen wird, ist derzeit schwer vorhersehbar”, stellt Grelle fest.
Erste Marktanalysen für den Jahresbeginn 2020 im Vergleich zu 2019 ergeben deutliche Angebotsrückgänge von gut 15 bis 25 Prozent auf den Bestandsmärkten in Hamburg und Schleswig-Holstein. Solange der Wohnungsmarkt als Folge der Pandemie stagniert, werde sich an den Preisen kaum etwas verändern.
Für die zukünftige Preisentwicklung werden aus Sicht des LBS-Chefs die Dauer der Corona-Krise und die daraus resultierenden wirtschaftlichen Auswirkungen wichtige Faktoren sein.
Mit Dank an C für den Hinweis!
Nachtrag, 14:31 Uhr: Die Bild.de-Redaktion hat reagiert, zumindest teilweise. Die Dachzeile lautet nun nicht mehr “TROTZ CORONA-KRISE”, sondern “NEUE LBS-STUDIE”. Der erste Satz des Artikels lautet hingegen nach wie vor:
An manchen Dingen ändert auch das Coronavirus nichts — Hamburgs Immobilien sind und bleiben (fast) unerschwinglich.