Suchergebnisse für ‘steinmeier’

“Spiegel” ohne Beweise, Tabuthema Politikerposts, Zivilisationsbruch

1. Nach 5 Jahren Mauern: “Spiegel” räumt ein, keinen Beweis für Enthüllung zu haben
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Es ist ein deprimierendes und unwürdiges Trauerspiel. Und es ist Wasser auf die Mühlen all der “Lügenpresse”-Rufer: Nach fünf Jahren des Mauerns und Herumlavierens hat der “Spiegel” eine unhaltbare Geschichte aus dem Netz genommen. Der Autor, den der “Spiegel” sogar zum Chef des Investigativressorts machen wollte, führte einen Facebook-Chat als Beweis an. Einen Beweis, den er jedoch nicht vorzeigen konnte, was er laut “Süddeutscher Zeitung” so begründet: “Der Chat mit dem Wettbetrüger habe sich vor seinen Augen aufgelöst. Dass er gehackt worden oder in eine Interpol-Operation gegen die Wettmafia geraten sei oder dass das Chatprogramm einen Bug gehabt habe? Alles sei möglich. Screenshots, die er in den sich selbst löschenden Chat hinein noch gemacht habe, seien verloren gegangen, als sein Handy in eine Pfütze gefallen sei.” Stefan Niggemeier kommentiert: “Der Fall wirft natürlich Fragen danach auf wie sehr dem “Spiegel”-Star-Investigativjournalisten Rafael Buschmann zu trauen ist. Er wirft aber auch Fragen auf nach der Arbeitsweise des “Spiegel” quer durch die Hierarchie. Wenn zwei Ressortleiter, das Justiziariat und die (damalige) Chefredaktion ausdrücklich der Veröffentlichung eines solchen Artikels zugestimmt haben — welchen ähnlich zweifelhaften Veröffentlichungen haben sie noch zugestimmt? Inwiefern war es allgemein akzeptabel beim “Spiegel”, heikle Behauptungen zu veröffentlichen, von denen man weiß, dass man sie nicht belegen kann?”

2. Facebook will Politikerposts nicht auf Fakten checken und auch nicht löschen
(heise.de, Eva-Maria Weiß)
Facebook müsste laut eigenem Anspruch eigentlich alle Posts entfernen, die gegen die Regeln verstoßen oder “Fake News” sind. Doch bei Aussagen von Politikerinnen und Politikern macht das Netzwerk eine Ausnahme, es wolle kein “Schiedsrichter” sein. Man ziehe jedoch die Grenze “bei Reden, die zu Gewalt und Schaden führen können.”

3. Google zeigt nur noch Überschriften von Medien an
(golem.de, Friedhelm Greis)
Durch die neue Gesetzgebung von Googles Erlösen profitieren — die Verlegerallianz hatte es sich so schön erträumt … Doch daraus wird nichts, denn Google passt einfach die Suchergebnisse an und kürzt bei Pressepublikationen die Snippets durch eine Reduktion auf die Überschrift ein. Ab dem 1. Oktober in Frankreich und bald danach wahrscheinlich in den anderen EU-Staaten.

4. Gleich an zweiter Stelle
(taz.de, Alexander Graf)
Regisseure und Schauspieler genießen im deutschen Filmbusiness Respekt, Ruhm und Anerkennung, doch Drehbuchautorinnen und -autoren stehen eher im Schatten der öffentlichen Wahrnehmung. Dieser Basiskonflikt zeigt gerade konkrete Auswirkungen: Der Verband Deutscher Drehbuchautoren und das Filmfest Hamburg zoffen sich. Vordergründig geht es um einzelne Formulierungen, doch dahinter steckt ein systemisches Problem.

5. Radiomachen 1200 Meter unter Tage
(faz.net)
Gestern wurden in der Hamburger Elbphilharmonie die Gewinner des Deutschen Radiopreises 2019 bekanntgegeben. Ein groß aufgezogenes Event mit rund 1400 geladenen Gästen und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als Ehrengast. Der (undotierte) Radiopreis wurde in zwölf Kategorien vergeben. Die Auswahl aus den mehr als 400 Einreichungen besorgte eine unabhängige Jury des Grimme-Instituts. Beim Lesen der Gewinnerproduktionen bekommt man augenblicklich Lust, den Sendungen hinterher zu googeln und den Audioplayer anzuwerfen.

6. Wie der vom Verfassungsschutz beobachtete Rapper Chris Ares die Charts erobert – und was AfD-Funktionäre damit zu tun haben
(br.de, Stefan Sommer)
Stefan Sommer nennt es einen “popkulturellen Zivilisationsbruch”: Der deutsche Rechts-Rapper Chris Ares hat es in die Amazon-Charts geschafft. Wie konnte das passieren? Das BR-Jugendradio “Puls” ist der Sache in einer Recherche nachgegangen.

“Hoffentlich verreckt das Vieh bald” – und “Bild” stört’s nicht

Beim heutigen Empfang des finnischen Ministerpräsidenten Antti Rinne zitterte Bundeskanzlerin Angela Merkel erneut. Es war der dritte Anfall dieser Art in gut drei Wochen. Viele Medien berichten derzeit über den Vorfall, so auch Bild.de. Die Redaktion hat unter anderem ein Video des Zitteranfalls bei Youtube hochgeladen, und die vielen, vielen Kommentare darunter sind voller Hass und Häme: Merkel wird als Alkoholikerin bezeichnet, Leute zeigen offen ihre Freude und wünschen der Kanzlerin immer wieder den Tod, am liebsten schon “bald” und “elendig” und “qualvoll”.

Die “Bild”-Redaktion scheint das alles nicht zu jucken — sie lässt diese Kommentare seit Stunden so stehen:

Kommentar auf der Bild-Youtube-Seite - Ne Allergie gegen Deutschland. Hoffentlich verreckt das Vieh bald.
Kommentar auf der Bild-Youtube-Seite - Hoffentlich stirbt Merkel! Was tut sie schon gutes für Deutschland!
Kommentar auf der Bild-Youtube-Seite - Die soll einfach sterben
Kommentar auf der Bild-Youtube-Seite - Die geht kapput
Kommentar auf der Bild-Youtube-Seite - Wir brauchen nur die Deutsche National Hymne um die Dschihad Raute zu vernichten
Kommentar auf der Bild-Youtube-Seite - Niemand wird sie vermissen, wenn sie endlich über den Jordan geht, diese Völkermörderin!
Kommentar auf der Bild-Youtube-Seite - Hoffentlich verreckt die so schnell wie möglich
Kommentar auf der Bild-Youtube-Seite - frau merkel bekommt ihre verdienten karma-kellen. ihr karma wird sie zerficken dafür, was sie deutschland angetan hat.
Kommentar auf der Bild-Youtube-Seite - Fette stirbt bald
Kommentar auf der Bild-Youtube-Seite - Epilepie aber happy hoffe die fällt endlich tot um .....zittert bestimmt wegen deutscher national Hymde  bekannter weise ist ihre ja türkisch ...wünsche dieser Person nur das  schlechteste
Kommentar auf der Bild-Youtube-Seite - Aller guten Dinge sind drei. Jetzt verrecken
Kommentar auf der Bild-Youtube-Seite - Man erntet was man sät. Menschen die wegen ihrer und der anderen gestorben sind hatten es schlimmer als sie. Hoffe das Merkel und Co elendig verrecken . Ps es brauch mit jetzt auch keiner ins Gewissen reden.
Kommentar auf der Bild-Youtube-Seite - Soll sie verrecken die Hoe
Kommentar auf der Bild-Youtube-Seite - Ne Verarbeitungsphase???? Die ist wirklich krank, aber im Oberstübchen. Sorgen mach ich mir nur um Deutschland und die Deutschen! sicher nicht um Merkel! Spielt ihr die Hymne in Dauerschleife vor dann sind wir sie endlich los.
Kommentar auf der Bild-Youtube-Seite - Ich hoffe sie stirbt beim nächsten Anfall
Kommentar auf der Bild-Youtube-Seite - Zur Hölle mit ihr und ihre Zitteranfälle. Die kann von mir aus verrecken wie ein erbärmlicher Hund und ich wäre froh darüber. Das ist die Strafe von Gott dafür das sie so viele Menschen das Leben genommen hat mir ihrem Erdogan.
Kommentar auf der Bild-Youtube-Seite - Voll die Jüdin
Kommentar auf der Bild-Youtube-Seite - Danke liebe Bild. Es versüsst mir jedes mal den Tag wenn ich diesen Dämon zappeln sehe. Der Teufel fordert so langsam seinen Lohn ein, die Hölle wartet schon. Irgendwann bezahlt jeder den Preis für seine Taten.
Kommentar auf der Bild-Youtube-Seite - Die brauch kein Mensch soll tot umfallen
Kommentar auf der Bild-Youtube-Seite - Sie ist Landesverräterin hat Deutschland an amerika verkauft. Möge sie Qualvoll sterben
Kommentar auf der Bild-Youtube-Seite - Die soll endlich zum letzten mal zittern und Tod umfangen dieses Pest für Deutschland

Und das ist wahrlich nur eine kleine Auswahl aus einer großen Jauchegrube.

Im Kommentarbereich auf der “Bild”-Facebookseite gibt es ebenfalls viel Häme und Schadenfreude und vor allem solche Kommentare:

Unsere Nationalhymne muss sie aber ganz schön anwidern

Und:

Wenn sie eine Nationalhymne hört überkommt sie ihr schlechtes Gewissen

Und:

Zitteranfall immer bei der Nationalhymne. Wenn man nicht mehr zu diesem Land steht, reagiert man halt allergisch bei der Nationalhymne.

Und:

Vielleicht die DDR Hymne beim nächsten mal spielen?

Diese Häufung ist kein Zufall. Die “Bild”-Redaktion hat ihren Post so anmoderiert:

Screenshot eines Facebookposts der Bild-Redaktion - Es passierte wieder bei der Nationalhymne

… als gäbe es da irgendeinen Zusammenhang. Nur nebenbei: Angela Merkels zweiter Zitteranfall ereignete sich während einer Rede des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier — also als keine Nationalhymne lief.

Mit Dank an @fisch_kopp für den Hinweis!

Nachtrag, 11. Juli: Die “Bild”-Redaktion hat den Kommentarbereich unter ihrem Youtube-Video inzwischen deaktiviert.

Bild.de befördert Angela Merkel

Manche Hauptstadtjournalisten spekulieren derzeit, ob Angela Merkel noch bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode Bundeskanzlerin bleiben wird oder ob sie schon vorher abtritt. Andere betreiben ihre Kaffeesatzleserei auf EU-Ebene: “Wechselt Merkel nach Brüssel?” Einen Knaller aber bekommen mal wieder nur die Politik-Experten aus der “Bild”-Redaktion mit: Merkel ist inzwischen nicht mehr nur Regierungschefin, sondern auch Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland.

Heute soll Angela Merkel die Ehrendoktorwürde der US-Universität Harvard verliehen bekommen und die Rede vor dem aktuellen Absolventenjahrgang halten. Die Harvard University veröffentlichte als Ankündigung ein bemerkenswertes Video.

Bei Bild.de schreibt Korrespondent Heiko Roloff über Merkels Besuch in den USA:

Screenshot Bild.de - Wie ein House-of-Cards-Trailer - Elite-Uni Harvard feiert Merkel wie eine Legende



In Deutschland ist sie seit Langem hochumstritten. Doch in den USA wird Bundeskanzlerin Angela Merkel (64) geradezu verehrt. (…)

Einer schwelgte freilich nicht im Lob. Amerikas 45. Präsident Donald Trump. Angeblich hatten sowohl das Kanzleramt in Berlin als auch das Weiße Haus versucht, ein Treffen der beiden Staatsoberhäupter zu arrangieren. Doch dann passte es nicht in den Terminkalender …

Sollte sich in letzter Zeit nicht irgendetwas ganz Grundsätzliches am Aufbau der Bundesrepublik geändert haben, ist das Staatsoberhaupt Deutschlands noch immer der Bundespräsident, aktuell also Frank-Walter Steinmeier.

Mit Dank an Stefan T. und Tim für die Hinweise!

Nachtrag, 13:59 Uhr: Die Bild.de-Redaktion hat reagiert und die Stelle ausgebessert. Dort steht nun:



Einer schwelgte freilich nicht im Lob. Amerikas 45. Präsident Donald Trump. Angeblich hatten sowohl das Kanzleramt in Berlin als auch das Weiße Haus versucht, ein Treffen der beiden zu arrangieren. Doch dann passte es nicht in den Terminkalender …

Einen Hinweis auf diese Korrektur im Sinne der Transparenz gibt es nicht.

Bild.de hat kein Problem mit Kreml-Quelle

“WikiLeaks”-Gründer Julian Assange wurde heute in der ecuadorianischen Botschaft in London verhaftet, nachdem Ecuador sein Asyl aufgehoben und ihm die Staatsbürgerschaft entzogen hatte. Auch Bild.de berichtet:

Screenshot Bild.de - Festnahme in London! Hier trägt die Polizei Assange aus der Botschaft

“MIT VIDEO”. Und die Quelle dieses Videos ist recht interessant. Bei Bild.de gibt es keine Angaben dazu, woher die Aufnahmen stammen, die die Redaktion zeigt:

Screenshot Bild.de - Quelle: - es folgt nichts

Aber im Video gibt es einen optischen Hinweis darauf. Diese kleine halbtransparente graue Ecke …

Screenshot Bild.de - Standbild aus dem Assange-Video mit einem Pfeil auf die graue Ecke

… ist das Überbleibsel des nicht komplett rausgeschnittenen Wasserzeichens von “Ruptly”:

Screenshot von Youtube - Standbild aus dem Assange-Video von Ruptly

Die Nachrichtenagentur hatte das Video von Assanges Abtransport exklusiv veröffentlicht, versehen mit dem Hinweis:

MANDATORY ON-SCREEN CREDIT THROUGHOUT: RUPTLY; ONLINE MEDIA MUST CREDIT RUPTLY

*** This file is on request. Please reach out to (…) for access or licensing information ***

Nun ist “Ruptly” nicht irgendeine Nachrichtenagentur. Sie gehört zum Netzwerk des russischen Propagandasenders RT, den die “Bild”-Redaktion wie kaum etwas anderes hasst. Wenn es dort aber ein interessantes Video gibt, bedient sich Bild.de gern, schneidet das Material so zurecht, dass man das Wasserzeichen (fast) nicht mehr sieht, packt das eigene Logo auf die Aufnahmen und schaltet Werbung davor.

Im Januar berichtete “Bild”-Redakteur Julian Röpcke empört, dass das ZDF bei einer Live-Übertragung einer Veranstaltung mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf die technischen Dienste von “Ruptly” zurückgriff:

Screenshot Bild.de - TV-Gebühren für Russland-Propaganda - ZDF hat kein Problem mit Kreml-Partner

Bild.de bei entsprechenden Videoaufnahmen anscheinend auch nicht.

Mit Dank an @Benno_Leitner für den Hinweis!

K.I.Z: Die “Gewalt-Verherrlicher”, die bei “Bild” Kultstatus haben

Nach gerade mal 50 Sekunden im Song “Wir” erklärt Nico von K.I.Z eigentlich alles, was “Bild”-Mitarbeiter über die Berliner Hip-Hop-Gruppe wissen muss:

Es liegt an eurem geistigen Fassungsvermögen,
wenn ihr bei K.I.Z nicht lacht, ihr Amöben.

“Bild”-Chefreporter Peter Tiede lacht ganz offenbar nicht bei K.I.Z. Stattdessen schreibt er solche Artikel:

Ausriss Bild-Zeitung - Beim Chemnitz-Konzert - 27 Minuten Hass auf Veranstaltung gegen Hass - gemeint ist der Auftritt von KIZ

Es geht um den K.I.Z-Auftritt am Montagabend beim Konzert #wirsindmehr in Chemnitz vor 65.000 Menschen. Tiedes Text ist auch bei Bild.de hinter der Paywall erschienen:

Screenshot Bild.de - Ich ramm die Messer-Klinge in die Journalisten-Fresse - 27 Minuten Hass beim Chemnitz-Konzert gegen Hass

In Deutschland gibt es kaum eine Band, die in ihren Songs so viel Ironie, Sarkasmus, Satire, maßlose Übertreibungen und Parodien einbaut wie K.I.Z. Keine Frage, ihre Texte sind provokant. Aber eben immer mit mehreren Ebenen versehen. Die kann oder will Peter Tiede nicht erkennen.

Er macht es sich dabei ziemlich einfach. Zum Beispiel mit einer Zeile aus dem Song “Urlaub fürs Gehirn”, die “Bild” groß zitiert:

Ich schleich mich ein bei den Sarrazins, sechs Uhr, alles pennt noch,
Selbstmordattentat!

Tiede übersetzt das alles eins zu eins:

In Bezug auf Thilo Sarrazin rappen sie von einem “Selbstmord-Attentat”.

Und wie wollen die Jungs von K.I.Z dieses Selbstmordattentat begehen, Peter Tiede? Mit einem Sprengstoffgürtel? Einer Autobombe? Oder vielleicht doch durch eine geschickte Selbstexplosion, die durch ein ausgetüfteltes Gemisch von Cola und Mentos-Bonbons herbeigeführt wird?

Die Textstelle, die “Bild” und Tiede zitieren, endet nämlich gar nicht mit einem Ausrufezeichen nach “Selbstmordattentat”, sondern geht noch weiter:

Ich schleich mich ein bei den Sarrazins, sechs Uhr, alles pennt noch,
Selbstmordattentat, ich trink drei Liter Cola mit Mentos

Wer darin ernsthaft die Ankündigung eines Selbstmordattentats erkennt, denkt auch, dass “Titanic”-Mitarbeiter immer alles ernst meinen und beim “Postillon” richtige Nachrichten zu finden sind.

Tiede zitiert noch weitere Textpassagen von K.I.Z:

“Ich ramm die Messerklinge in die Journalisten-Fresse”

Und:

“Eva Herman sieht mich, denkt sich: ‘Was’n Deutscher!’/Und ich gebe ihr von hinten wie ein Staffelläufer/Ich fick sie grün und blau, wie mein kunterbuntes Haus/Nich alles was man oben reinsteckt, kommt unten wieder raus.”

Wie gesagt: Die Texte sind zweifelsohne provokant.

Beide zitierten Stellen stammen aus dem Song “Ein Affe und ein Pferd”. Ein Lied, das mit einer Pippi-Langstrumpf-Melodie beginnt, bei dem es im Refrain heißt: “Ich war in der Schule und habe nix gelernt, doch heute habe ich einen Affen und ein Pferd, eine Pferd und einen Affen, ein Pferd und einen Affen, ratatatatatatata, wer will was machen?” Im Video hüpft ein Pippi-Double rum, die K.I.Z-Mitglieder Nico, Tarek, Maxim und DJ Craft ziehen mit anderen “Taka-Tuka-Ultras” durch Berlin.

Viel deutlicher kann man nicht in andere Rollen schlüpfen. Aber das erkennt man natürlich nur, wenn man sich nicht dagegen wehrt, es zu erkennen.

Stattdessen legt Tiede zum Ende seines Artikels noch mal richtig los:

Der K.I.Z.-Auftritt: symptomatisch: “Gegen rechts” dürfen auch Linksradikale und Gewalt-Verherrlicher ran!

Wieder die Spaltung: rechts und links. Die richtige Antwort? Gab die SPD-Geschäftsführerin für Südwest-Sachsen, Sabine Sieble. Im Partei-Blatt “vorwärts” bemängelt sie schon vor dem Skandal-Auftritt: “eine militante Antifa”, dass “eine Band mit ihren Songtexten und Ansprachen alles tat, um das Motto ins Gegenteil zu verkehren”. Sieble: “Da habe ich geweint. (…) Ich habe aber in dem Moment geweint, als mir bewusst wurde, dass Chemnitz zu einem bloßen Austragungsort im Kampf um die Deutungshoheit eines tragischen Ereignisses wurde.”

Na, gemerkt? Sabine Sieble schriebt gar nicht über den Montag in Chemnitz und den Auftritt von K.I.Z. Peter Tiede deutet das an (“bemängelt sie schon vor dem Skandal-Auftritt”), gibt sich aber auch keine große Mühe, es zu verdeutlichen und klarzustellen, worüber Sieble wirklich schreibt. Ihr Text, aus dem der “Bild”-Chefreporter zitiert, ist schon am Montagmittag erschienen — also einige Stunden bevor K.I.Z sie zum Weinen hätte bringen können. Tatsächlich äußert sich Sieble über die Veranstaltung “Herz statt Hetze”, die bereits am Samstag in Chemnitz stattfand. Die Band, die sie erwähnt, muss eine andere sein, vermutlich Egotronic.

Dass K.I.Z in “Bild” und bei Bild.de nun als Hass-Botschafter und “Gewalt-Verherrlicher” dargestellt werden, ist übrigens etwas überraschend. Früher haben die “Bild”-Medien völlig anders über die Band geschrieben. Zum Beispiel als sie 2015 bei “Rock am Ring” aufgetreten ist:

★ Noch ein Gewinner des Wochenendes ★

Die deutsche Musik! Vor allem der Freitag zeigte, wie beliebt deutschsprachige Musik bei den Kids ist. (…)

Auch Acts wie “K.I.Z.”, “Trailerpark” und “Deichkind” bewiesen, dass wir in Deutschland absolute Weltspitze sind

Oder 2016 in der Sammlung

Screenshot Bild.de - Protest in der Musik - Diese Künstler sind politisch

K.I.Z — “Hurra, die Welt geht unter” ft. Henning May

Vor allem im Deutschrap tut sich politisch gerade etwas. Die Band K.I.Z. ist schon länger dafür bekannt, sich zu Gesellschaftsthemen zu äußern. Auf ihrem letzten Album “Hurra, die Welt geht unter” machen sie das sehr deutlich — vor allem zum Thema Flüchtlinge.

Oder als ein “Bild”-Reporter 2015 zum K.I.Z-Konzert ging:

Screenshot Bild.de - Die Rüpel-Rapper KIZ und ihre Aktion zum Frauentag - Für Berlins versautestes Konzert musste ich mich als Frau verkleiden

Die Berliner Hip-Hop-Band K.I.Z. hat Kultstatus. Unter anderem auch wegen ihrer Texte, die oft ziemlich weit unter die Gürtellinie gehen.

Als all diese Artikel erschienen sind, waren die K.I.Z-Songs “Ein Affe und ein Pferd” und “Urlaub fürs Gehirn” längst veröffentlicht. Die Texte der Lieder hat die “Bild”-Redaktion damals offensichtlich nicht gestört.

Dass das nun anders ist, liegt vielleicht aber auch gar nicht an den Texten. Der Artikel von heute ist nur der nächste in einer Reihe von Beiträgen, die das #wirsindmehr-Konzert am Montag in Chemnitz schlecht dastehen lassen.

Für die “Bild”-Redaktion und ihren Chef Julian Reichelt scheint es momentan kaum etwas Bedrohlicheres zu geben als eine Handvoll Bands und ein paar Solo-Musiker, die sich gegen rechten Hass und Neonazis stellen. Seit Tagen versuchen sie bei “Bild” und Bild.de krampfhaft, #wirsindmehr und die mitwirkenden Künstler zu diskreditieren.

Nachdem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf seinem Facebook-Account #wirsindmehr bewarb, fragte “Bild” am Montag:

Ausriss Bild-Zeitung - Warum wirbt Bundespräsident Steinmeier für Linksradikale Rockband?

Gemeint war die Band Feine Sahne Fischfilet.

Während des Konzerts, bei dem 65.000 Menschen eine gute, friedliche Zeit hatten, ging es bei Bild.de um Probleme rund um das Konzert:

Screenshot Bild.de - Wir sind mehr legt Chemnitz lahm! Schon 50000 Leute da - Öffentlicher Nahverkehr eingestellt - Polizei warnt vor Rückreise Chaos

Nach dem Konzert verbreitete Julian Reichelt bei Twitter ein Gerücht über Jan Gorkow, den Sänger von Feine Sahne Fischfilet:

Screenshot eines Tweets von Julian Reichelt - Auf Twitter kursiert ein Foto von Feine-Sahne-Sänger Gorkow, der in Chemnitz den Hitlergruß zeigen soll. Allerdings weist das Foto am Handansatz zwei auffällige Pixel auf, die auf Montage hindeuten könnten. Handelt es sich um eine Fälschung? Wer kann helfen?

Der Tweet, auf den sich Reichelt dabei bezieht, stammt von einem NPD-Funktionär und Neonazi (über diese problematische Herkunft klärt der “Bild”-Chef natürlich nicht auf). Dieser hatte das Gerücht gestreut. Tatsächlich hat er das Foto, um das es geht, völlig aus dem Zusammenhang gerissen: Es ist ein Standbild aus einem Video, das die Band bei Instagram hochgeladen hat. Jan Gorkow zeigt dort nicht den Hitlergruß.

Nun könnte es sein, dass Julian Reichelt nicht in der Lage ist, zweieinhalb Minuten selbst zu recherchieren, sodass er bei Twitter um Hilfe bitten muss. Es kann aber auch sein, dass er sich lediglich dumm stellt, und es sich um einen in eine unschuldige Frage gekleideten Versuch handelt, ein bisschen mitzündeln zu können.

Am Dienstag fragte “Bild” dann noch einmal:

Ausriss Bild-Zeitung - Wie kann der Bundespräsident bloß eine radikale Band empfehlen?

Gemeint war wieder Feine Sahne Fischfilet. In der Zwischenzeit titelte Bild.de:

Screenshot Bild.de - Für diese Punkrocker warb der Bundespräsident - Die Akte Feine Sahne Fischfilet

Und heute dann eben die K.I.Z-Geschichte.

Wenn das so weitergeht, erfahren wir morgen noch, dass Casper, der ebenfalls in Chemnitz aufgetreten ist, in seinem Song “Sirenen” rappt: “Denn zehn Flaschen Wein könnten zehn Waffen sein”. Und übermorgen, dass Campino vor drei Jahren mal einen Strafzettel nicht bezahlt hat.

Dazu auch:

“Bild” fällt auf Satire-Nahles rein

Rolf Kleine ist bei “Bild” der Experte für die SPD. Und was für einer! Er wusste vor allen anderen falsch, dass Frank-Walter Steinmeier nicht als Bundespräsident kandidieren wird (was dieser dann tat). Kleine wusste ebenfalls vor allen anderen falsch, dass Sigmar Gabriel als SPD-Kanzlerkandidat bei der Bundestagswahl antritt (was dieser dann nicht tat).

Gut, man kann ja mal danebenliegen, es ist schon ziemlich peinlich gleich zweimal derart danebenzuliegen. Aber Rolf Kleine, immerhin leitender “Bild”-Politik-Redakteur und einst Sprecher von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück im Bundestagswahlkampf 2013, wird es doch wenigstens hinbekommen, einen Twitter-Account einer SPD-Politikerin von einem Satire-Twitter-Account über eine SPD-Politikerin unterscheiden zu können? Wird er doch, oder? Oder?

Nein.

Kleine heute in “Bild”:

Ausriss Bild-Zeitung Überschrift - In der SPD-Zentrale - Groko-Gespräche bei Kartoffelsalat, Würstchen und saulahmem Internet
Ausriss Bild-Zeitung - Erstaunlich: Die vereinbarte Vertraulichkeit hielt den ganzen Tag, auch an das Twitter-Verbot hielten sich die Sondierer. SPD-Fraktionschefin Andreas Nahles beklagte sich nur einmal über saulahmes Internet

Und auch bei Bild.de schrieb Rolf Kleine über die vermeintliche Nahles-Aussage:

Screenshot Bild.de - Erstaunlich: Die vereinbarte Vertraulichkeit hielt den ganzen Tag, auch an das Twitter-Verbot hielten sich die Sondierer. SPD-Fraktionschefin Andreas Nahles beklagte sich nur einmal über saulahmes Internet

Tatsächlich gab es gestern einen Tweet, der das angeblich “saulahme Internet” bei den Sondierungsgesprächen thematisierte:

Screenshot Twitter - Saulahmes Internet hier! Danke, Dobrindt! Hashtag Sondierungen

In der sogenannten Twitter-Bio des Accounts @FraktionsNahles steht:

Hier twittert die Chefin der SPD-Bundestagsfraktion. Zukünftige Kanzlerin und Twitterkönigin. ACHTUNG: Satire.

Immerhin: Das mit der Kartoffelsuppe und den Würstchen hat Rolf Kleine korrekt hinbekommen.

Nachtrag, 13:26 Uhr: “Bild”-Oberchef Julian Reichelt findet den Fehler “wirklich ärgerlich” (übrigens auch schon, bevor wir hier darüber geschrieben haben), hat den Bild.de-Artikel korrigieren lassen und verspricht auch eine Korrektur in der morgigen “Bild”-Ausgabe.

So schnell wird man in “Bild” zum Putin-Propagandisten

Hatten Sie schon mal einen Gedanken, den vor Ihnen theoretisch auch Wladimir Putin gehabt haben könnte? Also zum Beispiel sowas wie “Hundewelpen, denen es nicht gutgeht, sollten zum Tierarzt gebracht werden”? Dann: Achtung! Sie könnten auf “Putins Fake-News-Kampagne” reingefallen sein.

Auf diesem argumentativen Niveau — zusammengefasst in etwa: wer etwas fordert, das auch die Russen fordern, hilft den Russen bei ihrer Propaganda — bewegt sich dieser Bild.de-Aufmacher (“Bild-plus”-Inhalt) von Donnerstag in weiten Teilen:

Am Freitag berichtete die Print-“Bild” ebenfalls, mit einer leicht abgewandelten Version des Artikels:

Mit “Deutschland” meinen die zwei Autoren Filipp Piatov und Julian Röpcke vornehmlich die Bundesregierung und die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender. “Das Erste” und das ZDF kritisieren sie, weil diese den Publizisten Michael Lüders in mehrere Talkshows eingeladen haben und somit “den von Russland verbreiteten Fake News eine Bühne” geboten hätten. Lüders sei ein “überführter Fake News-Verbreiter”, schreiben Piatov und Röpcke und stützen sich bei diesem Urteil auch auf Aussagen des türkischen Journalisten Can Dündar. Inzwischen hat sich Dündar noch einmal zu Michael Lüders geäußert und plötzlich wirkt dessen kritisierte Aussage eher wie eine Ungenauigkeit und nicht mehr wie eine glatte Lüge.

Vor allem aber teilt das “Bild”-Autorenduo gegen die Bundesregierung aus. Deutsche Regierungspolitiker würden “den russischen Fake News Vorschub leisten bzw. die deutsche Position ihnen anpassen.” Zum Beispiel Sigmar Gabriel: Der Außenminister forderte zum jüngsten Giftgasangriff in Syrien eine “Untersuchung ohne Behinderungen”. Dass Russland zuvor ebenfalls “eine ‘unabhängige Untersuchung’ des Vorfalls” gefordert hat, reicht Piatov und Röpcke als Beweis, dass “Deutschland auf Putins Fake-News-Kampagne reinfällt”. Weil man auf dieselbe, nicht ganz abwegige Idee wie die Russen kommt, macht man sich in den Augen der beiden “Bild”-Schreiber der Russen-Propaganda verdächtig.

Und das sei nicht nur bei Sigmar Gabriel so. Auch beim früheren Außenminister Frank-Walter Steinmeier seien “russische Fake News auf fruchtbaren Boden” gefallen. Dieses Mal geht es zwar um einen anderen Fall, den Abschuss des Malaysia-Airlines-Flugs MH17 über der Ukraine, aber um dieselbe “Bild”-Logik: Russland hat damals eine unabhängige Untersuchung gefordert; auch Steinmeier war für eine unabhängige Untersuchung. Und schon sei laut Bild.de einmal mehr bewiesen, dass es eine “Anfälligkeit bestimmter Teile der Bundesregierung für russische Propaganda” gebe.

Piatov und Röpcke kommen nicht auf die Idee, dass es durchaus möglich ist, mit der gleichen Forderung völlig unterschiedliche Dinge bezwecken zu wollen. Dass es dem einen zum Beispiel um wirkliche Aufklärung geht, während der andere nur taktiert, Scheinversprechungen macht und damit hinhalten möchte. Und dass diese Forderungen unabhängig voneinander gestellt werden können. Denkt man die Argumentation der beiden Autoren weiter, könnte man nie mehr Dinge fordern, die Russland bereits gefordert hat, ohne damit zum Russland-Fake-News-Verbreiter zu werden — egal wie sinnvoll die jeweilige Forderung erscheint.

Stattdessen plädieren die zwei “Bild”-Mitarbeiter dafür, sich nach einem derartigen Angriff direkt auf eine Seite zu schlagen, ohne Zweifel und ohne unabhängige Untersuchungen.

Julian Reichelts Fehler zwischen Anspruch und Wirklichkeit

“Es fällt mir grundsätzlich leicht, mich zu entschuldigen, wenn wir Fehler gemacht haben. Es ist aber nicht so, dass ich mich über Entschuldigungen freue, gar nicht. Ich glaube aber, dass sie ein wichtiger Teil der journalistischen Aufrichtigkeit und Ausdruck unserer proaktiven Kommunikation sind.”

Julian Reichelt hat am Donnerstag eine neue Imagekampagne gestartet, für sich, für “Bild”. In einem Interview mit dem “Tagesspiegel” sprach der Leiter von Bild.de, der seit Anfang Februar auch Vorsitzender aller “Bild”-Chefredaktionen ist, übers Fehlermachen und übers Entschuldigen. Das falle ihm eben “grundsätzlich leicht”, so wie im Januar, als “Bild” und Bild.de behaupteten, Sigmar Gabriel werde SPD-Kanzlerkandidat. Als dann rauskam, dass es Martin Schulz wird, entschuldigten sich die “Bild”-Medien und Julian Reichelt für ihren Fehler. Genauso vor vier Tagen, nachdem klar war, dass es den “Sex-Mob” mit lauter Flüchtlingen, der laut “Bild” an Silvester durch Frankfurt “tobte”, nie gab.

Ein möglicher Claim für Reichelts Imagekampagne steht ebenfalls im Interview mit dem “Tagesspiegel”:

“Ehrlichstes Medium: Das ist kein Versprechen, das ist der Anspruch an mich.”

Jeder, der daran zweifelt, dass die “Bild”-Redaktionen vorzügliche Arbeit abliefern, könne laut Reichelt seit 40 Jahren nicht mehr überprüft haben, ob das überhaupt stimmt:

Na ja, “Bild” galt und gilt jetzt nicht in allen Bereichen und bei allen Geschichten als das ehrlichste Medium Deutschlands.

Der überwiegende, der überragende Teil dieser Vorbehalte ist über 40 Jahre alt. Viele, die diese Vorbehalte vor sich hertragen und aktiv verbreiten, haben ihr Weltbild vor 40 Jahren das letzte Mal bei “Bild” überprüft und geschaut, mit welchem Aufwand wir unsere Inhalte recherchieren.

Hier beim BILDblog überprüfen wir unsere Vorbehalte jeden Tag aufs Neue. Und andauernd finden wir bei “Bild” und Bild.de Artikel, die faktisch falsch sind, in denen Persönlichkeits- oder Urheberrechte oder beides verletzt werden, in denen “Bild” auf die Menschenwürde pfeift, in denen das Blatt gegen einzelne Gruppen hetzt oder Material für Hetze liefert.

Uns geht es dabei nicht darum, dass irgendjemand um Entschuldigung bitten soll. Es würde schon längst genügen, wenn ein grundlegendes Interesse darin bestünde, Fehler transparent zu korrigieren — gern ohne großes Pardon.

Ob bei “Bild” und Bild.de dieses Interesse besteht? Ob das Reagieren auf Fehler so “grundsätzlich leicht” fällt, wie Julian Reichelt einen gern glauben machen möchte? Und vor allem auch dann, wenn es nicht die spektakulären Fehler sind wie ein falscher Kanzlerkandidat oder ein herbei fantasierter “Sex-Mob”? Da haben wir größere Zweifel.

Wir haben mal unser Archiv durchwühlt und geschaut, ob die “Bild”-Redaktionen im vergangenen Jahr reagiert haben, wenn wir auf Fehler in ihrer Berichterstattung hingewiesen haben. All die Fälle, in denen wir beispielsweise kritisiert haben, dass “Bild” Persönlichkeitsrechte verletzt, haben wir ausgeklammert. Es ging uns nur um klare Fehler.

Hier eine Auswahl, in chronologischer Reihenfolge:


Die Ruhrgebiet-Ausgabe der “Bild”-Zeitung und Bild.de berichteten am 8. März 2016, dass dem “Wendler-Gitarristen” bei einem Unfall drei Finger abgerissen wurden. Noch am selben Tag schrieb der “Wendler-Gitarrist” auf seiner Facebook-Seite, dass das nicht stimmt.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite.

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Bild.de berichtete am 16. April 2016, dass ein “Schädlingsbekämpfer” aus London “Super-Ratten” gefangen habe, “rund 60 Zentimeter lang, etwa so groß wie Katzen.” Dazu seien sie möglicherweise noch Kannibalen. Das Foto, das der “Schädlingsbekämpfer” auf seiner Facebook-Seite gepostet hatte, stammte allerdings gar nicht von ihm, sondern von “National Geographic”. Und es zeigte auch keine “Super-Ratten” aus London, sondern Nutrias aus den USA. Und das Foto war bereits drei Jahre alt, als die Bild.de-Redaktion ihre Geschichte veröffentlichte.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite.

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Bild.de berichtete am 26. Juli 2016 über eine Studie des “GfK Vereins”, bei der das Ergebnis unter anderem sein soll, dass die “Angst vor Zuwanderung” gewachsen sei. Das stimmt allerdings gar nicht: Schaut man sich die “GfK”-Umfrage mal genauer an, sieht man, dass nicht nach der “Angst” gefragt wurde, sondern neutral danach, was die “am dringendsten zu lösenden Aufgaben im Land” ist. Außerdem bringt Bild.de das Ergebnis auf falsche Weise mit damals aktuellen Terroranschlägen in Verbindung.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite.

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Ebenfalls am 26. Juli 2016 behaupteten “Bild” und Bild.de, dass das Regierungspräsidium Stuttgart “ein Navi-Verbot” für die Autobahn 8 bei Leonberg verhängt habe. Dabei handelte es sich lediglich um ein Hinweisschild, das die Autofahrer sensibilisieren sollte.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite.

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Am 24. August 2016 berichtete Bild.de über eine “Burkini-Razzia am Strand von Nizza” und zeigte dabei ein Foto mit mehreren Polizisten, die eine Frau auffordern, ihre Klamotten auszuziehen. Die Frau trug nach eigener Aussage aber gar keinen Burkini, sondern eine Leggins, eine Tunika und ein Kopftuch.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite, das Foto ist kommentarlos verschwunden.

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In einem Artikel vom 12. September behauptet Bild.de, dass die Asche des verstorbenen David Bowie bei einer Zeremonie beim Festival “Burning Man” verstreut worden sei. David Bowies Sohn, die offizielle David-Bowie-Facebookseite und ein Sprecher der Verwaltung des David-Bowie-Nachlasses sagten nach der internationalen Berichterstattung über die angebliche Ascheverstreuung, dass das alles Blödsinn sei.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite.

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“Bild” und Bild.de verkündeten am 6. Oktober 2016, dass Frank-Walter Steinmeier nicht als Kandidat bei der Bundespräsidentenwahl aufgestellt werde. Steinmeier ist am vergangenem Sonntag zum Bundespräsidenten gewählt worden. Außerdem steht in dem Artikel der “Bild”-Medien: “In der SPD heißt es zudem: Wenn Merkel ‘eine einigermaßen akzeptable Frau’ als überhaupt erste Anwärterin fürs Schloss Bellevue präsentiere, könnten zumindest die GenossINNEN kaum Nein sagen.” Dabei gab es mit Luc Jochimsen und Gesine Schwan, Dagmar Schipanski und Uta Ranke-Heinemann, Hildegard Hamm-Brücher und Luise Rinser sowie Annemarie Renger bereits zahlreiche Frauen, die bei der Wahl angetreten sind. Dazu kommt noch Marie-Elisabeth Lüders, die zwar nie offiziell angetreten war, bei der Bundespräsidentenwahl 1954 allerdings eine Stimme bekam.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite.

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Gabor Steingart veröffentlichte am 10. Oktober 2016 Passagen aus seinem neuen Buch in “Bild” und bei Bild.de. Er schimpft darin über das “Europa der Selbstbediener”, was man angeblich auch an einem Supermarkt sehen könne: “Den EU-Parlamentariern in Straßburg steht im Inneren des Parlamentskomplexes ein nur für sie und ihre Mitarbeiter zugänglicher Supermarkt zur Verfügung”. Bloß: Diesen Supermarkt gibt es nicht.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite.

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Am 26. Oktober 2016, als der “Horror-Clown”-Hype in vollem Gange war, berichtete Bild.de über einen aktuellen “Horror-Clown”-Auftritt in einer “McDonald’s”-Filiale in Bocholt: “Die Mitarbeiter verstecken sich hinter dem Tresen, etwa 15 Leute laufen in Panik aus dem Laden.” Das Video, auf dem der Artikel beruht, war schon damals zwei Jahre alt. Und weder zeigt es 15 Leute, die “in Panik aus dem Laden” laufen, noch sind Mitarbeiter zu sehen, die “sich hinter dem Tresen” verstecken. Stattdessen hört man ziemlich viel Gekicher und Gelächter.

Der Artikel ist ohne jeglichen Hinweis von der Seite verschwunden.

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Die “Bild”-Medien schrieben am 23. November 2016, dass die Botschaft der Volksrepublik China “chinesische Frauen vor dem Sex-Täter von Bochum” warne, und dass das chinesische Generalkonsulat in Düsseldorf eine “Reisewarnung” ausgesprochen habe. Hintergrund ist eine Vergewaltigung einer chinesischen Studentin nahe des Uni-Geländes in Bochum. Es stimmt zwar, dass es einen “konsularischen Hinweis” gegeben hat, dieser sei allerdings nicht mit einer Reisewarnung zu vergleichen, so eine Sprecherin der chinesischen Botschaft.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite.

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Das ungarische Model Barbara Palvin hat für ein Magazin die berühmte Bein-Überschlag-Szene von Sharon Stone im Film “Basic Instinct” nachgestellt. Und das, so Bild.de am 10. Dezember 2016, “stilecht ohne Höschen”. Auf ihrem Instagram-Account hat Palvin allerdings extra geschrieben: “FYI i am wearing underwear 😉”.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite.

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Weil an einer türkisch-deutschen Schule in Istanbul zeitweise ein “Weihnachtsverbot” galt, schaute “Bild” am 19. Dezember 2016, wo in Deutschland “aus Rücksicht auf Muslime die christlichen Wurzeln des Weihnachtsfestes unterschlagen” würden. Die Redaktion präsentierte sieben Beispiele. Sechs davon waren falsch.

Wir haben keine Korrektur dieser Fehler in “Bild” gefunden.

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Bild.de schrieb am 29. Januar 2017, dass der britische Leichtathlet Mo Farah in einem Facebook-Post Donald Trump angegriffen und dabei geschrieben habe, dass der US-Präsident ihn “zu einem Alien gemacht” habe. Tatsächlich reagierte Farah mit einem Beitrag in dem Sozialen Netzwerk auf Trumps Einreiseverbot für Muslime. Farah wurde in Somalia geboren (später stellte sich allerdings raus, dass das Einreiseverbot für ihn nicht galt). In seinem Facebook-Post schrieb er: “On 27th January, President Donald Trump seems to have made me an alien.” Dieses “alien” heißt im Englischen in der Regel so viel wie “Ausländer” oder “Fremder” oder “Fremdling”. Und nicht “Alien”.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite.

(Noch einmal: All diese Beispiele stammen nicht von 1977, sondern nur aus den vergangenen zwölf Monaten (wobei wir im Sommer eine zweimonatige Pause beim BILDblog eingelegt hatten). Daneben wird es in dieser Zeit noch zahlreiche weitere Fehler in “Bild” und bei Bild.de gegebene haben. Wir können hier allerdings nur über jene schreiben, die wir selber mitbekommen, oder auf die uns unsere Leser hinweisen.

Stefan Niggemeier hat drüben bei “Übermedien” weitere “Bild”-Beispiele “für grob irreführende Berichterstattung” aus den vergangenen Jahren gesammelt.)

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Ganz am Ende seines Interviews mit dem “Tagesspiegel” sagt Julian Reichelt noch:

Werden Sie Ihre Entschuldigungen auf eine pro Tag oder eine pro Monat deckeln? Es geht ja streng Richtung Ehrentitel “Chef-Entschuldiger des Axel-Springer-Verlags”.

Den Titel will ich ganz sicher nicht. Ich will nicht die Entschuldigungen deckeln, sondern die Fehler. Aber wo Entschuldigungen notwendig sind, werden wir sie aussprechen.

Das liest sich erstmal wie ein Versprechen für die Zukunft. Sollte es auch schon im vergangenen Jahr gegolten haben, hat Julian Reichelt sich nicht dran gehalten.

Sigmar Gabriel hält sich nicht an die von “Bild” vorgegebene Kandidatur

Es kommt nicht häufig vor, dass die “Bild”-Medien so transparent mit einem Fehler umgehen:

Seit heute steht fest, dass Sigmar Gabriel nicht als SPD-Kanzlerkandidat in den anstehenden Bundestagswahlkampf ziehen wird. Der “Stern” und “Die Zeit” berichteten als Erste darüber — ein schöner Scoop.

Bild.de hatte — wie im Screenshot oben steht — am 9. Januar unter Berufung auf interne Parteikreise geeilmeldet und getitelt:


Einen Tag später gab es in “Bild” dann noch das volle Programm obendrauf: Riesenschlagzeile auf Seite zwei …

… und einen Brief von Franz Josef Wagner, der Sigmar Gabriel seine Bewunderung ausspricht, dass dieser sich tapfer “als Kanzlerkandidat der SPD” zur Verfügung stellt:

Andere Nachrichtenseiten zogen nach und beriefen sich dabei — mehr oder weniger deutlich — auf die “Bild”-Medien. Die “Huffngton Post” beispielsweise:

Oder “RP Online”:

Oder “Focus Online”:

Oder die “B.Z.”:

Und selbst das Team von stern.de, das sich aktuell zusammen mit den Print-Kollegen völlig zurecht für die Enthüllung des Gabriel-Rückzugs feiern lässt, übernahm vor zwei Wochen noch die “Bild”-Geschichte:

Auch die Nachrichtenagenturen berichteten, und so fand man den “Bild”-Fehler fast überall. Am 7. Januar, also zwei Tage vor der falschen Gabriel-Geschichte, feierte “Bild” übrigens auf der Titelseite einen “Riesenerfolg für BILD”:

Die Spitzenposition im “ZITATE-RANKING!” kommt nicht nur, aber auch daher, dass andere Medien Quatsch von “Bild” immer wieder ungeprüft übernehmen.

Dass Bild.de und Chefredakteur Julian Reichelt sich jetzt entschuldigen ist gut und verdient Respekt. Ad hoc fallen uns nur zwei Situationen ein, in der Reichelt ähnlich transparent reagiert hat: Als Bild.de mal bei einem “Tagesanzeiger”-Autoren ganze Passagen geklaut hatte, bat der Bild.de-Chef per Twitter um Entschuldigung; als Bild.de mal bei einem Zitat von Günter Wallraff eine nicht ganz unwesentliche kritische Stelle einfach weggelassen hatte, räumte Reichelt per Twitter einen Fehler ein. Gut möglich, dass es noch ein paar weitere Situationen geben mag. Wahnsinnig viele dürften es allerdings nicht sein.

Bei einer ganz ähnlichen Geschichte wie jetzt bei Sigmar Gabriel gab es zum Beispiele keine ähnliche Reaktion: “Bild” und Bild.de behaupteten Anfang Oktober vergangenen Jahres, dass Frank-Walter Steinmeier auf keinen Fall für das Amt des Bundespräsidenten kandidieren werde:

Wenn heute Mittag die Spitzen von CDU, CSU und SPD im Kanzleramt zum Koalitionsgipfel zusammenkommen, wird es KEINE Einigung auf einen gemeinsamen Vorschlag geben. Vielmehr werden die zwei prominentesten Kandidaten aus dem Rennen genommen.

Der in fast allen Umfragen beliebteste Anwärter, Außenminister Frank-Walter Steinmeier (60, SPD), wird nicht aufgestellt, weil Kanzlerin Angela Merkel (62, CDU) klar sagt: DER NICHT!

Als dann rauskam, dass SPD und CDU Steinmeier doch als Kandidaten nominieren, gab es keine Korrektur der “Bild”-Medien, keine Entschuldigung von Julian Reichelt. Der falsche Artikel ist unverändert online.

Doch zurück zur Kanzlerkandidatur bei der SPD. Inzwischen steht fest, dass Martin Schulz für seine Partei als Spitzenkandidat bei der kommenden Bundestagswahl antreten wird.

Der “Spiegel” und “Spiegel Online” berichteten noch vor wenigen Wochen, Ende 2016, dass Schulz es nicht werden wird. Der “Spiegel” titelte etwas zurückhaltender:

“Spiegel Online” etwas deutlicher:

Und Bild.de übernahm die Geschichte und titelte ganz sicher:

Auch auf diese falsche Schlagzeile reagieren “Bild” und Bild.de nicht mit einer Richtigstellung. Dafür ist aber am frühen Abend die von Julian Reichelt angekündigte Aufarbeitung des Bild.de-Fehlers im Gabriel-Fall erschienen:

Warum? Ganz einfach: Sigmar Gabriel und seine Sprunghaftigkeit sind schuld:

Tatsächlich begleiten Gabriel seit jeher Vorwürfe, er sei politisch sprunghaft und persönlich nicht immer berechenbar. Dass er sich in der für die SPD so lebenswichtigen Frage der Kanzlerkandidatur auch kurzfristig noch einmal umentscheiden würde — vielleicht hätte auch BILD das ahnen können oder gar müssen.

Bei Personalien rund um Kanzlerkandidaturen hat “Bild” wirklich immer wieder doofes Pech.

Bild.de macht Sigmar Gabriel zum Kanzlerkandidaten

Schon gut möglich, dass Sigmar Gabriel SPD-Kanzlerkandidat wird. In Interviews und Gastbeiträgen in verschiedenen Publikationen präsentiert er derzeit Grundpositionen seiner Partei zu voraussichtlichen Wahlkampfthemen. In TV-Reportagen zeigt er sich als Privatmann. Er bringt sich auf verschiedenen Kanälen in Stellung. Nur: Offiziell festgelegt hat sich Gabriel noch nicht.

Bild.de meldet aktuell:


Im “Bild plus”-Artikel klingt es dann aber doch noch nicht so sicher wie auf der Startseite. Es klingt auch nicht so, als würde hinter der Schlagzeile eine Entscheidung von Sigmar Gabriel stecken, sondern die der “Bild”-Autoren Rolf Kleine und Hans-Jörg Vehlewald:

Noch hält er sich bedeckt: SPD-Chef Sigmar Gabriel (57) will erst Ende Januar sagen, ob er als Kanzlerkandidat antritt.

Doch BILD legt sich schon jetzt fest: ER MACHT‘S!

Dass sich erstmal nur “Bild” offiziell festgelegt hat, hält andere Medien nicht davon ab, die Nachricht aufzugreifen und weiterzuverbreiten. Die “Huffington Post” beispielsweise:

Oder “RP Online” mit leichter Distanzierung:

Dass Rolf Kleine und Hans-Jörg Vehlewald Gabriels angebliche Kandidatur verkünden, ist nicht uninteressant — beide haben eine SPD-Vergangenheit. Kleine war Sprecher von Peer Steinbrück, als dieser 2013 Kanzlerkandidat war. Vehlewald arbeitete im Presse- und Kommunikationsteam des SPD-Bundesvorstands.

Das könnte nun dafür sprechen, dass sie, dank ihrer SPD-Insider-Infos, mit ihrer Einschätzung richtigliegen. Allerdings hatte Rolf Kleine erst vor wenigen Monaten bei einem anderen Spitzenpolitiker der Partei völlig danebengegriffen: Zusammen mit seinem “Bild”-Kollegen Ralf Schuler schrieb er Anfang Oktober, dass Frank-Walter Steinmeier auf gar keinen Fall als Kandidat für das Bundespräsidentenamt aufgestellt werden wird:

Wenn heute Mittag die Spitzen von CDU, CSU und SPD im Kanzleramt zum Koalitionsgipfel zusammenkommen, wird es KEINE Einigung auf einen gemeinsamen Vorschlag geben. Vielmehr werden die zwei prominentesten Kandidaten aus dem Rennen genommen.

Der in fast allen Umfragen beliebteste Anwärter, Außenminister Frank-Walter Steinmeier (60, SPD), wird nicht aufgestellt, weil Kanzlerin Angela Merkel (62, CDU) klar sagt: DER NICHT!

Inzwischen steht fest, dass die Große Koalition Frank-Walter Steinmeier als Kandidaten bei der Wahl am 12. Februar ins Rennen schickt.

Mit Dank an Boris R. für die Hilfe!

Nachtrag, 25. Januar: Fortsetzung und Auflösung (Überraschung: Sigmar Gabriel wird gar nicht SPD-Kanzlerkandidat) hier.

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