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Afghanistan, Schongau, Buntstifte

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Journalisten in Afghanistan: Recherche mit Risiko”
(tagesspiegel.de, Christine-Felice Röhrs)
Christine-Felice Röhrs schreibt zur Lage von Journalisten in Afghanistan: “Es gibt immer noch Kollegen, die nach Afghanistan kommen, um zu reisen. Aber sie werden rapide weniger. Das erschwert die detaillierte oder auch nur korrekte Berichterstattung enorm.”

2. “ZDF-Skandal: Berichte im Auftrag Kiews?”
(freitag.de, L. Applebaum)
L. Applebaum wirft dem ZDF eine zu enge Zusammenarbeit mit dem Ukrainian Crisis Media Center vor: “In welchem Maße auch die ARD, Phoenix, aber auch die privatwirtschaftlich betriebenen Medien in dieses PR-Netzwerk eingebunden sind, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht sicher beurteilt werden.”

3. “Medien in Regimen: Watchdogs sind nicht gefragt”
(de.ejo-online.eu, Karen Gass)
Medienwissenschaftler Florian Töpfl befragt junge Mediennutzer in Russland: “Nur sehr wenige Befragte gaben an, dass die Medien die Regierung kontrollieren sollten und als vierte Gewalt im Staat nötig seien, keiner sah Medien als eine Plattform für einen freien Gedanken- und Ideenaustausch an. Statt des westlichen Idealbildes von den Medien als Watchdog benannten einige Studenten auf Nachfrage alternative Konzepte, die allerdings mit demokratischen Medienideen wenig zu tun haben: So sah ein Student die Aufgabe der Medien darin, den gesellschaftlichen Eliten als Sprachrohr zu dienen.”

4. “‘Wir wollten das ZDF bloßstellen'”
(spiegel.de/einestages, Danny Kringiel)
Ein Rückblick auf die Buntstift-Wette in “Wetten, dass..?” 1988. Bernd Fritz: “Ich hatte damit gerechnet, dass die Fachleute fragen, ob es überhaupt möglich ist, Buntstifte am Geschmack zu erkennen. Oder dass sie Faber-Castell anrufen. Deren Chemiker hätte ihnen sofort gesagt: Man schmeckt nur das Leinöl, das dem Tonmehl beigemischt wird, und das ist bei allen Farben gleich. Aber die Redaktion prüfte das offensichtlich nicht weiter.”

5. “Abo, nein danke!”
(journalist.de, Simon Feldmer)
“Bezahlmodelle liegen im Trend, sind aber nach wie vor ein großes Politikum”, berichtet Simon Feldmer. “Keiner will hier einen Fehler machen. Die Angst vor dem Reichweitenverlust im Netz ist groß.”

6. “Beinah Bürgermeister”
(blog.neon.de, Martina Kix)
32 Stimmen mehr, und der 27-jährige Tobias Kalbitzer wäre Bürgermeister von Schongau geworden: “Den Wahlkampf hat er am Schreibtisch in seiner WG organisiert. Nach Feierabend.”

Die “Bild”-Theorie vom “Islam-Rabatt”

Im Februar 2013 ist in Wiesbaden eine schwangere Frau von ihrem Ex-Freund niedergestochen worden. Die Frau und das ungeborene Kind starben, und der Mann musste sich vor Gericht verantworten. Vergangene Woche wurde er zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Eine “besondere Schwere der Schuld” erkannte das Landgericht aber nicht, damit besteht nach 15 Jahren die Chance auf Haftentlassung. Die Entscheidung begründete der Richter angeblich damit, dass der Täter, ein Deutsch-Afghane, sich “aufgrund seiner kulturellen und religiösen Herkunft in einer Zwangslage befunden” habe.

Und genau das ist für die Leute von “Bild” ein Skandal.

“Keine Scharia in Deutschland!”, schrie Bild.de-Chef Julian Reichelt, und seine Print-Kollegen fragten:

Straf-Rabatt wegen religiöser Herkunft?

Drei Tage später war das Fragezeichen plötzlich verschwunden:

Ausriss: "Bild am Sonntag" vom 30. März 2014

Da waren selbst hartgesottene Islamhasser beeindruckt. Das Hetz-Portal “Politically Incorrect” schrieb:

Ja was ist denn in die BILD am SONNTAG (BamS) gefahren? […] Gleich zwei mal packt das Springer-Blatt das heiße Thema Islam an – und zwar in einer Deutlichkeit, die es in sich hat.

Schon auf dem Titelblatt prangt die unmissverständliche Headline: “Islam-Rabatt für Jolins Mörder”. Ohne Fragezeichen!

(Der andere Islam-Artikel, über den sich “PI” mindestens genauso doll freut, ist ein “Bams”-Interview mit einem deutsch-türkischen Schriftsteller – Überschrift: “‘Islam gehört zu uns wie die Reeperbahn nach Mekka'”.)

Und ohne Fragezeichen geht es bei Bild.de auch heute weiter:

Der große Report - ISLAM-RABATT - So urteilen deutsche Gerichte

… obwohl es in der Print-Ausgabe noch da war:

Geben unsere Gerichte ISLAM-RABATT? - Jolins Mörder bekam wegen seiner Religion eine mildere Strafe. Kein Einzelfall!

Die Antwort auf die Frage ist für “Bild” natürlich eindeutig:

tatsächlich bekommen Angklagte immer wieder Islam-Rabatt!

Als Beleg listet “Bild” zahlreiche einige ein paar genau zwei Fälle auf. Einer davon ist Ayhan S., der 2005 seine Schwester erschossen hatte und “gerade mal zu neun Jahren und drei Monaten Jugendhaft verurteilt” wurde.

Der Richter: “Eine Mischung aus fest verankerten Vorstellungen von Familien-Ehre und eigenem Islam-Verständnis trieb ihn zur Tat.”

… schreibt “Bild”, lässt aber offen, was das mit welchem Rabatt auch immer zu tun haben soll.

Der zweite Fall besitzt sogar noch weniger Aussagekraft: Dort ist nicht mal das Urteil gesprochen worden.

Daneben führt die “Bild”-Zeitung noch eine Studie des Max-Planck-Instituts an, offenbar zur wissenschaftlichen Untermauerung ihrer “Rabatt”-Theorie. Die Untersuchung habe nämlich ergeben, schreibt “Bild”, dass sich der “kulturelle Hintergrund” der Täter in “12 Prozent der Fälle […] strafmildernd” ausgewirkt habe.

Die Macher der Studie selbst kommen jedoch zu einem völlig anderen Schluss, wie im aktuellen “Spiegel” zu lesen ist:

Deutsche Strafgerichte behandeln sogenannte Ehrenmörder nicht milder als andere Beziehungstäter, sondern sogar strenger. Das ergibt eine Studie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg, die demnächst erscheint. Die Forscherin Julia Kasselt hat 78 Fälle zwischen 1996 und 2005 ausgewertet, bei denen die Täter Partner oder Verwandte wegen kultureller “Ehrencodices” angegriffen hatten. [..] Das Fazit der Forscherin: “Die Justiz gibt Ehrenmördern keinen ‘kulturellen Rabatt’.”

Egal. Für die “Bild”-Zeitung ist und bleibt die Sache ein Skandal. Und die ersten empörten Politiker-Zitate hat sie auch schon aufgetrieben, was bedeutet, dass spätestens jetzt auch andere Medien aufspringen:Nach Urteil gegen Isa S. - Politiker empört über "Islambonus" für Täter
(bz-berlin.de)

Politiker gegen «Islam-Rabatt» für Straftäter
(kath.net)

Nach Urteil gegen Deutsch-Afghanen - Keine Milde für „Ehrenmörder“ - Politiker lehnen „Islam-Rabatt“ für Straftäter ab
(“Focus Online”)

Anders gesagt: Politiker und Journalisten empören sich über etwas, das nach neuesten Erkenntnissen überhaupt nicht existiert, das von der “Bild”-Zeitung aber mühsam herbei- und von anderen Medien blindlings abgeschrieben wird. Und als Beleg dient ihnen ausgerechnet die Studie, die eigentlich das genaue Gegenteil aussagt, was sie aber verschweigen.

Über so viel Entgegenkommen kann man sich als Moslemhasser natürlich nur freuen. “Politically Incorrect” schreibt:

“Zum Regieren brauche ich BILD, BamS und Glotze”, sagte Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder vor zehn Jahren. Wenn die oben erwähnten Artikel eine intensive und schnörkellose Debatte über die Gefahren des Islam in Deutschland auslösen, könnte die BamS vom heutigen 30. März 2014 eine nicht zu unterschätzende Katalysator-Funktion gehabt haben.

Mit Dank an Werner H. und G.K.

Nachtrag, 8. April: Siehe auch hier, hier und hier.

Am Undercut herbeigezogen

So ganz sicher sind sich die Medien ja nicht, ob es wirklich stimmt, was da gerade wieder Verrücktes über Nordkorea berichtet wird. Die dpa hat am Ende ihrer Meldung sogar extra geschrieben:

Es ist sehr schwierig, Angaben aus Nordkorea zu überprüfen.

Aber wie immer in solchen Fällen, hält das die Journalisten natürlich auch diesmal nicht davon ab, die Geschichte trotzdem zu verbreiten.

Und wie!

Screenshots: diverse

In fast allen Überschriften und Teasern wird der angebliche “Frisurenzwang” kurzerhand zur Tatsache erklärt, auch in einigen Artikeln ist kaum ein Zweifel an der Story zu spüren.

Als erstes großes Medium hatte die BBC über die Geschichte berichtet, aufgeschnappt hatte die sie wiederum bei “Radio Free Asia”. In Deutschland war “Focus Online” zuerst darauf angesprungen, später dann dpa und Dutzende andere Medien.

Wie aber die Seite “NK News” bereits gestern berichtet hat, ist auch an dieser Story offensichtlich nicht allzu viel dran. Das in den USA ansässige Nachrichtenportal hat sich auf Nordkorea spezialisiert; Quellen sind oftmals NGO-Mitarbeiter, im Ausland lebende Nordkoreaner oder Menschen, die erst kürzlich von einer Nordkorea-Reise zurückgekehrt sind. So wie auch in diesem Fall:

“Ich bin mir ziemlich sicher, dass [die Geschichte vom Frisurenzwang] Quatsch ist. Letzte Woche hatten alle noch typische Haarschnitte”, sagte Andray Abrahamian, Executive Director der NGO “Choson Exchange” in Singapur, der regelmäßig mit jungen Nordkoreanern arbeitet.

Gareth Johnson, General Manager der “Young Pioneer Tours” in Peking, sagt NK News ebenfalls, dass — Stand: letzte Woche — keiner seiner Kollegen Beweise für die neue Frisurenverordnung entdeckt habe. “Wir waren letzte Woche in Nordkorea und haben niemanden mit besagtem Haarschnitt gesehen. Es scheint, als müsse die BBC jede Woche eine neue Nordkorea-Geschichte finden”, sagte Johnson […].

(Übersetzung von uns.)

Das Portal zitiert noch weitere Quellen, die in Nordkorea leben oder arbeiten und ebenfalls davon ausgehen, dass an der Meldung nichts dran ist. Zwar habe sich der Staat in der Vergangenheit bei diesem Thema tatsächlich eingemischt, indem er bestimmte Haarschnitte empfohlen habe, doch inzwischen seien die Mode-Richtlinien gelockert worden. Außerdem würden Verstöße gegen solche Richtlinien nur selten geahndet.

Auch eine andere haarige Geschichte, über die in diesem Zusammenhang (auch von deutschen Medien) gerne berichtet wird, entspricht laut “NK News” nicht der Wahrheit: Seit einiger Zeit geistere der Mythos umher, dass

Frauen aus einer bestimmten Palette von zugelassenen Haarschnitten auswählen müssen. Doch die Fotos, die in der Regel genutzt werden, um diese Behauptung zu untermauern, zeigen oft Poster mit einer Auswahl von Haarschnitten, die in Friseurläden in Pjöngjang hängen — und die den Kunden in Wirklichkeit nur eine Idee von den möglichen Optionen geben sollen, keine verpflichtende Auswahl.

Aber wie das nun mal so ist:

Gerüchte über Nordkorea, die auf anonymen Quellen basieren, tauchen oft in den Maintream-Medien auf — und führen zu einem “echo chamber effect”.

Mit Dank an Stefan S., Marvin S. und Christoph A.

Selma Jacobi, Audi, Kimchi

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “‘Tatort’-Kommissarin wird nach Nazi-Opfer benannt”
(tagesspiegel.de, Sonja Álvarez)
Eine neue “Tatort”-Kommissarin soll den Namen Selma Jacobi tragen, nach einer Frau, die 1943 im Ghetto Theresienstadt starb. Die verantwortliche Leiterin des HR-Fernsehspiels, Liane Jessen, wird im Artikel wie folgt zitiert: “Wir tun hier etwas Gutes. ‘Tatort’-Kommissare sind schließlich die modernen Helden unserer Zeit, und wir lassen Selma Jacobi als Heldin wiederauferstehen. Das hätte ihr sicher gefallen.”

2. “Audis Pep-Scoop: Wie aus einer PR-Story eine weltweite Sportnews wurde”
(meedia.de, Alexander Becker)
Ein Interview mit Pep Guardiola im Geschäftsbericht 2013 von Audi. “Je wichtiger das Thema Content-Marketing wird, desto häufiger werden wir schon bald solche exklusiven Interviews und Berichte auf PR-Plattformen von Unternehmen lesen, statt in den Sportteilen der großen Medienmarken. Denn längst gilt auch für Unternehmen: Content is King.”

3. “Geht es noch öffentlicher als über Twitter?”
(de.globalvoicesonline.org, Jillian C. York)
Eine Diskussion um die Frage, wie öffentlich Tweets sind und was Medien damit machen können: “Mit der immer größeren globalen Verbreitung von Twitter und anderen sozialen Medien müssen Journalisten lernen, vorsichtiger mit ihnen umzugehen.”

4. “Ödnis als Tarnkappe”
(textdump.antville.org, gHack)
“Der zuverlässigste Schutz für zeitgenössische Cracker und Fracker, die sich so ein richtig großes und saftiges Stück vom Kuchen abschneiden wollen”, bleibe die Langeweile, glaubt gHack: “Es gibt einfach nichts langweiligeres als juristische Fitzeleien, steuerrechtliche Feinsinnigkeiten und EU-Richtlinien. Und genau dort setzen die Experten der Ödnis an. Sie manipulieren mit opaken Formulierungen den Fluss der Geldströme, sichern sich die leckersten Jobs und Aufträge, oft genug unter den Augen der Öffentlichkeit.”

5. “Kimchi und Käsebrot”
(freitag.de, Ji-Hun Kim)
Ji-Hun Kim schreibt über sein Leben in Deutschland: “Es klingt absurd, aber in Korea bin ich Ausländer auf den zweiten Blick und nach einigen Wochen wünsche ich mir nichts sehnlicher als ein doppelt gebackenes Vollkornbrot mit Butter und Käse.”

6. “Awesomely fake trick shot video shows you can’t trust anything anymore”
(sploid.gizmodo.com, Video, 1:49 Minuten)

Basler Zeitung, Spießerblätter, Venezuela

6 vor 9

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1. “Limburger Enten”
(faz.net, Daniel Deckers)
Daniel Deckers listet Ungereimtheiten und Fehler auf in der Berichterstattung von “Spiegel”, “Focus” und “Süddeutscher Zeitung” über den Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst.

2. “Schleichwerbeverdacht in der ‘Bunten'”
(tagesspiegel.de, Sonja Álvarez)
“Im schönsten Werbesprech” berichtet die “Bunte”, dass Julia Klöckner mit Hilfe von Weight Watchers an Gewicht verloren habe. “‘Hätte Frau Klöckner mit Gemüsesuppe abgenommen, hätten wir auch das geschrieben – und sogar das ganze Rezept abgedruckt’, teilt ‘Bunte’-Chefredakteurin Patricia Riekel mit, die offensichtlich nicht zwischen Suppen und werbenden Unternehmen unterscheiden will.”

3. “Das Bau- und Verkehrsdepartement stellt Falschaussagen der Basler Zeitung richtig”
(medienmitteilungen.bs.ch)
Mit einer Auflistung von Fakten (PDF-Datei) reagiert das Bau- und Verkehrsdepartement Basel-Stadt auf einen Bericht der “Basler Zeitung”. Die Redaktion “hält an ihrer Darstellung fest”.

4. “Warum ich mich gegen PR abgrenze”
(ottohostettler.wordpress.com)
Soll ein Lobbyist an einem Recherchetag von Journalisten teilnehmen? Otto Hostettler ist dagegen: “Lobbyisten sind wichtige Input-Geber für Journalisten. Aber meiner Meinung nach gibt es keine ‘guten’ oder ‘bösen’ Lobbyisten. Deshalb sollten wir auch eine gesunde Distanz zu dieser Branche wahren. Die Lobbyisten machen es genauso.”

5. “Eine riesige klaffende Wunde”
(schneeschmelze.wordpress.com, Jürgen Fenn)
Jürgen Fenn antwortet auf den Beitrag “Braucht es uns noch?” (carta.info, Wolfgang Michal): “Ich brauche keine der von Wolfgang Michal benannten Spießerblätter zu zitieren, um mein Blog zu füllen. Das mag an meiner Art zu bloggen liegen. Das mag daran liegen, daß mich der professionelle Journalismus immer weniger interessiert und ich insoweit wählerischer geworden bin, indem ich Debatten und Themen verfolge, statt Zeitungen zu abonnieren.”

6. “Constructing ‘Venezuela’ protests: a photo gallery”
(drdawgsblawg.ca, englisch)
Um die Repression in Venezuela zu beschreiben, werden auch aus anderen Ländern stammende Fotos verwendet.

Honorare, Sendepläne, Netflix

6 vor 9

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1. “Honorare in der Lokalzeitung: ‘Der Job ist nur noch was für Liebhaber'”
(flurfunk-dresden.de, nik)
Die Honorare freier Mitarbeiter sächsischer Tageszeitungen inklusive Statements einiger Chefredakteure. “Für einen Artikel im Lokalteil mit rund 2.000 Zeichen (inkl. Leerzeilen) bekommt sie 20 Euro. Wenn sie das Foto gleich selbst macht, darf sie 8 Euro dafür abrechnen.” Siehe dazu auch “DJV Hessen kritisiert das ‘Geschäftsmodell Frankfurter Rundschau'” (djv-hessen.de).

2. “Beleidigende Kommentare: Presserat will Regeln für Foren einführen”
(spiegel.de)
Der Deutsche Presserat fordert, “dass Kommentare grundsätzlich wie Leserbriefe behandelt werden”.

3. “Auf verlorenem Posten”
(funkkorrespondenz.kim-info.de, Franz Everschor)
Franz Everschor bespricht die Programmpläne von US-TV-Sendern: “Inzwischen weiß niemand mehr, ob man einer der vielen, alle paar Wochen in die Sendepläne geschobenen Serien trauen kann oder ob sie nach wenigen Folgen schon wieder spurlos in der Versenkung verschwinden werden. Die vier großen Sender spielen Roulette mit Programmangeboten, die sie nur mit einer begrenzten Anzahl von Folgen in den Sendeplan rücken, viel zu kurz, als dass sich eine treue Gefolgschaft beim Publikum bilden könnte. Und die Zuschauer verlieren die Lust, fortwährend etwas Neues auszuprobieren, ohne zu wissen, ob ihnen die Serie erhalten bleibt.”

4. “Netflix-Seriendebüt wird zum wegweisenden Massenereignis”
(netzwertig.com, Martin Weigert)
Netflix stellte am Wochenende die 2. Staffel der Serie “House Of Cards” vollständig online. “Wer bislang noch daran zweifelte, dass das Ausnahmeunternehmen Netflix gerade in Eigenregie die TV- und Medienlandschaft umbaut, der dürfte spätestens jetzt überzeugt sein.”

5. “Die Abenteuer von ‘Konservatives Feuilleton Man’ – Ein exklusives Interview”
(kleinerdrei.org, Anne)
Anne Wizorek spricht mit “Konservatives Feuilleton Man”, “dem Mann hinter all den Print- und Online-Kolumnen, die euren Blutdruck in die Höhe schnellen lassen”.

6. “Abt. Geographie? Ganz schwach! – heute: SPIEGEL”
(infam.antville.org, patpatpat)

Ägypten, Anstalt, DDVG

6 vor 9

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1. “Die Medienmacht der SPD bröckelt: Die DDVG, ihre Zeitungen und Dietmar Nietan”
(blogs.faz.net/medienwirtschaft, Jan Hauser)
Jan Hauser beleuchtet die Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft (DDVG), das Medienbeteiligungsunternehmen der SPD. “Umstritten war und ist der Besitz, weil die Medien über die SPD berichten – und das unabhängig machen sollten.”

2. “Die Talkshow ist das Dschungelcamp der Mittelschicht”
(carta.info, Wolfgang Michal)
Wolfgang Michal denkt nach über Talkshows: “Weil die emotionale Anbindung der Zuschauer an eine Talkshow sowohl positiv als auch negativ funktioniert (Hauptsache Emotion!) sind die Moderatoren die Stargäste ihrer eigenen Shows. Die Moderatoren stehen im Mittelpunkt, und folgerichtig heißen die Talkshows wie sie. Die übrigen Gäste sind mehr oder weniger Staffage für die Performance des Moderators.”

3. “Die Hoffnungsträger der Öffentlich-Rechtlichen 2014”
(dwdl.de, Torsten Zarges)
Torsten Zarges identifiziert die “die sieben größten öffentlich-rechtlichen Hoffnungsträger 2014”: Bjarne Mädel, Christine Strobl, Daniel Fiedler, Bernhard Gleim, Stephan Denzer, Tom Buhrow und Jan Böhmermann.

4. “Claus von Wagner und Max Uthoff übernehmen die ‘Anstalt'”
(tagesspiegel.de, Jan Freitag)
Ein Interview mit den Nachfolgern von Frank-Markus Barwasser und Urban Priol bei “Neues aus der Anstalt”, Claus von Wagner und Max Uthoff.

5. “Kairos Regierung schüchtert Medienschaffende ein”
(derstandard.at, Astrid Frefel)
Astrid Frefel berichtet aus Ägypten: “Am vergangenen Wochenende waren zwei Online-Nachrichtenbüros in Kairo an der Reihe: Sie wurden von Sicherheitsbeamten überfallen; Kameras und Computer wurden konfisziert, die Mitarbeiter festgenommen und später wieder freigelassen.”

6. “‘Ich hab ihm öfter gesagt, dass er eine Niete ist'”
(theeuropean.de, Alexander Wallasch)
Ein Interview mit Matthias Matussek, der nach 25 Jahren den “Spiegel” verlässt und zur “Welt”-Gruppe wechselt.

NDR, Zehenmassagen, Christiane F.

6 vor 9

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1. “Salzburger Schauspielchef kommt nicht nach Düsseldorf”
(rp-online.de, Annette Bosetti)
Die Landeshauptstadt Düsseldorf und das nordrhein-westfälische Kulturministerium dementieren einen Bericht von “Bild” zur Besetzung des Intendanten am Düsseldorfer Schauspielhaus.

2. “Ich verabschiede mich!”
(christiane-f.com)
Christiane F. zieht sich erstmal zurück aus der Öffentlichkeit. “Ich pendle zwischen dem Glamour der TV-Studios in Hamburg und Paris und dem Gammel im Berliner Obdachlosenheim, wo Freunde von mir leben, die ich dort auch besuche. (…) Ich bin eine kranke Frau Anfang 50. Ich kann nicht einmal längere Strecken mit der Bahn fahren, ohne dass ich drei Mal aussteigen muss. Es ist mir zu voll da drin, zu laut, zu warm. Ach, ich bin einfach kein Promi, wie ihr ihn sonst so kennt. Viele Erwartungen kann ich einfach nicht erfüllen.”

3. “Bedrohte Pressefreiheit”
(zdf.de, Video, 8:30 Minuten)
Frontal 21 berichtet über den Zustand der Pressefreiheit in Deutschland und den USA.

4. “Selektiv: Medien-Echo auf Snowden-Interview”
(ndr.de, Video, 5:02 Minuten)
Das Medienmagazin des NDR holt Stellungnahmen ein zu einem von einer NDR-Tochter produzierten und vermarkteten und auf ARD ausgestrahlten Interview mit Edward Snowden, das “in die Mühlen von Kollegenneid, Quotenkalkül und Vermarktungsdruck geraten” sei.

5. “Zehenmassage”
(medienspiegel.ch, Andrea Masüger)
Andrea Masüger verfolgt einen “Lichtbildvortrag” von Christoph Keese: “Während zwei Dritteln seines Vortrags zeigte der Referent vor allem Fotos aus dem Familienalbum. Unternehmer A mit Springermann B beim Koteletten braten, Berater C mit Springer-Forscher D beim Cola saufen, Entwickler E mit Springer-Techniker F beim Popcorn naschen. Alles natürlich unglaublich locker und familiär, was bei Amerikanern ja eine Neuheit ist.”

6. “Uns erreichte heute Nacht eine ungewöhnliche Anfrage”
(facebook.com/handelsblatt)

Diätenerhöhung bei M. DuMont Schauberg

“Man kann Alfred Neven DuMont glauben, dass ihn der Wunsch nach gutem Journalismus antreibt.”

(“Der Spiegel”, 5/2014)

Der Jahresanfang ist die Zeit, in der die Menschen sich ganz besonders für Diäten interessieren, und deshalb ist es auch die Zeit, in der die Medien ganz besonders viel über Diäten berichten. Die Zeitungen der Mediengruppe M. DuMont Schauberg tun es in diesem Jahr mit ganz besonderem Eifer.

Der “Kölner Stadt-Anzeiger” hat eine Serie “Los geht’s” gestartet. Darin überrascht er seine Leser unter anderem mit der These: “Wer abnehmen will, muss essen”, nennt Sport “Doping für die Zellen”, stellt spätberufene Extremsportler vor, interviewt Ingo Froböse, einen Professor an der Deutschen Sporthochschule Köln — und empfiehlt jedesmal dessen kostenpflichtiges Abnehm-Programm “fitmio”.

Der Kölner “Express” hat auch eine Serie im Angebot, eine “große Stoffwechsel-Fibel” namens “Enorm in Form”, mit “Tipps vom Experten”, wie man sich schlankschläft und wie man den Jojo-Effekt vermeidet und der überraschenden These: “Wer abnehmen will, muss essen!” Der Experte ist in jedem Fall Ingo Froböse, ein Professor an der Deutschen Sporthochschule Köln — und empfiehlt jedesmal dessen kostenpflichtiges Abnehm-Programm “fitmio”.

Die Serie aus dem “Kölner Stadt-Anzeiger” findet sich mit demselben Experten und derselben Empfehlung auf den Online-Seiten von “Berliner Zeitung” , “Frankfurter Rundschau”, “Mitteldeutscher Zeitung” und “Kölnischer Rundschau”.

Und die Boulevard-Variante aus dem “Express” steht mit demselben Experten und derselben Empfehlung auf den Online-Seiten von “Berliner Kurier” und “Hamburger Morgenpost”.

In einer konzertierten Aktion werben die Medien von M. DuMont Schauburg in großen, scheinbar redaktionellen Serien für “fitmio”, das kostenpflichtige Abnehmprogramm von Professor Froböse, und verlinken praktischerweise auch direkt dorthin.

Das lässt sich leicht erklären, allerdings findet sich diese Erklärung nicht auf den Seiten dieser Zeitungen. Das kostenpflichtige Abnehmprogramm “fitmio” mit Prof. Dr. Ingo Froböse, dem “Experten an Ihrer Seite”, ist ein Unternehmen der DuMont Net GmbH & Co. KG, einer hundertprozentigen Tochter der Mediengruppe M. DuMont Schauberg.

Der Verlag M. DuMont Schauberg ist also mit seiner Internet-Tochter Betreiber eines Abnehmprogramms mit Ernährungs- und Bewegungsplan inklusive Motivationsvideos von Prof. Dr. Froböse, das immerhin 79 Euro kostet. Und nutzt seine Zeitungen und deren Online-Seiten, dieses Angebot im redaktionellen Teil und ohne Hinweis auf die wirtschaftliche Verquickung zu bewerben. Er lässt eine Leserin sogar scheinbar unabhängig das Angebot testen. Die 47-jährige TV-Programmplanerin aus Bergisch Gladbach ist, Überraschung, sehr angetan.

Auf den “fitmio”-Seiten lacht übrigens treuherzig folgender Hinweis:

“Ich bin der Spiritus Rector der Redakteure”, sagt Alfred Neven DuMont, der Patriarch des Verlages, dem “Spiegel”, der ihn als positives Gegenbeispiel zu Mathias Döpfner, dem Vorstandsvorsitzenden von Axel Springer darstellt. “Man muss doch Leidenschaften haben. Das Schlimmste für mich wäre, Bankier zu sein und nur noch an das Geld denken zu müssen.”

Neven DuMont sagt: “Ich glaube an die Zeitung.” Zumindest weiß sein Verlag, wofür sie noch nützlich sein kann.

Mit Dank an Kai B.!

Nachtrag, 30. Januar. Aus dem Internetauftritt der “Frankfurter Rundschau” sind die Artikel mit der “fitmio”-Werbung plötzlich verschwunden.

AP  etc.

Fackellauf und Fahnenfluch

Beim olympischen Fackellauf in Russland ist am Wochenende ein Mann festgenommen worden. Den Grund dafür beschreibt die Nachrichtenagentur AP so:

Ein homosexueller Aktivist ist bei dem Staffellauf mit der olympischen Fackel in Russland festgenommen worden, weil er eine Regenbogenfahne zeigte. Von seinen Freunden ins Internet gestellte Fotos zeigen Pawel Lebedew, wie er die Fahne herausholt und dann von Sicherheitsleuten überwältigt wird.

Viele deutsche Medien griffen die Meldung auf:
Schwuler Demonstrant bei Olympia-Fackellauf festgenommen - Bei einem Staffellauf mit der olympischen Fackel ist ein homosexueller Aktivist festgenommen worden. Er hatte am Rande der Strecke eine Regenbogenfahne gezeigt.

(Screenshot: abendblatt.de)

In den Artikeln entsteht der Eindruck, als hätten die Sicherheitskräfte den Mann plötzlich in der Menge entdeckt und sofort festgenommen — nur “weil er eine Regenbogenfahne zeigte.”

Was der Leser aber nicht erfährt: Es gibt noch mehr Fotos von dem Vorfall. Und die legen einen etwas anderen Schluss nahe. Denn der Aktivist hat die Flagge nicht etwa nur “am Rande der Strecke” gezeigt, sondern die Absperrung durchbrochen:Screenshot: https://vk.com/wall-38905640_219636?&offset=20Screenshot: https://vk.com/wall-38905640_219636?&offset=20Screenshot: https://vk.com/wall-38905640_219636?&offset=20Screenshot: https://vk.com/wall-38905640_219636?&offset=20

Auch eine Sprecherin der Aktivistengruppe erklärte später:

“[Lebedew] wurde festgenommen, weil die Straße für den Fackellauf gesperrt war und niemand vor die Absperrung durfte.”

(Übersetzung von uns.)

Die Regenbogenflagge war in diesem Fall also offensichtlich doch nicht der (alleinige) Grund für das Einschreiten der Sicherheitsleute — auch wenn so etwas durchaus zu Putins Umgang mit Homosexuellen passen würde.

Mit Dank an Uwe S.

Nachtrag, 23. Januar: Queer.de hat sich kritisch mit unserem Beitrag auseinandergesetzt: “Die Absperrung in unseren Köpfen”

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