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dapd  etc.

Hilfe!

Gestern Mittag vermeldete die Nachrichtenagentur dapd aufgeregt das “Aus für Notrufsäulen an deutschen Straßen bis Jahresende”. Wer bei dieser Überschrift angenommen hatte, die orangefarbenen Notrufsäulen entlang der Autobahnen (die ja durchaus als “deutsche Straßen” durchgehen dürften) würden – etwa bis Jahresende – verschwinden, wurde schon im ersten Satz eines besseren belehrt:

Alle Notrufsäulen an den deutschen Bundes-, Landes- und Kreisstraßen werden bis zum Jahresende abgebaut. Dies teilte die Björn-Steiger-Stiftung in Stuttgart auf Anfrage der Nachrichtenagentur dapd mit. (…)

Nicht betroffen vom beschlossenen Abbau sind die derzeit rund 16.000 Notrufsäulen an den deutschen Autobahnen, für die der Gesamtverband der Deutschen Versicherer (GDV) zuständig ist.

Aber auch das war offensichtlich nicht ganz richtig, denn dapd verschickte rund vier Stunden später eine “Berichtigung”. Dort hieß es nun:

Nur Baden-Württemberg behält Notrufsäulen

Was genau es bedeutet, wenn “nur Baden-Württemberg” die Notrufsäulen behält, erklärte dapd natürlich auch gerne:

Nur Baden-Württemberg behält Notrufsäulen an den Bundes-, Landes- und Kreisstraßen, in den anderen Bundesländern werden sie abgebaut. Das teilte die Björn-Steiger-Stiftung in Stuttgart auf Anfrage der Nachrichtenagentur dapd mit. Bundesweit gibt es den Angaben zufolge derzeit knapp 2.100 Säulen, davon allein rund 1.800 in Baden-Württemberg.

dapd hatte also herausgefunden, dass immerhin 14% der noch bestehenden Notrufsäulen an deutschen Bundes-, Landes- und Kreisstraßen abmontiert werden sollen — nämlich die außerhalb Baden-Württembergs. Die restlichen der ehemals rund 7.000 Notruftelefone sind nämlich seit der Einführung eines Handyortungssystem für die Leitstellen im Jahr 2006 sukzessive abgebaut worden, wie uns die Björn-Steiger-Stiftung auf Anfrage erklärte.

Nun würde man als Laie sagen: “Hmmmmm, das ist dann wohl eher keine Meldung! dapd war sich nur zu fein, den ursprünglichen Schwachsinn komplett zurückzuziehen.” Doch Profis denken da anders.

“Bild” bringt heute auf der Titelseite folgende Kurzmeldung, die sich offensichtlich auf eine der ersten dapd-Varianten beruft:

Notrufsäulen an Bundesstraßen werden abgeschafft

Stuttgart – Alle Notrufsäulen an den deutschen Bundes-, Landes- und Kreisstraßen werden bis zum Jahresende abgebaut. Das teilte die Björn-Steiger-Stiftung in Stuttgart mit. Die Notrufsäulen seien nicht mehr finanzierbar. Außerdem habe die heute selbstverständliche Handynutzung sowie die nun mögliche Ortung von Mobiltelefonen die Säulen zuletzt zunehmend überflüssig gemacht. Bundesweit gibt es noch rund 2000 Säulen. Nicht betroffen sind die rund 16000 Notrufsäulen an den Autobahnen.

Diese Quelle muss auch der “Tagesspiegel” benutzt haben:

Notrufsäulen an deutschen Straßen verschwinden bis Jahresende

Stuttgart – Für die Notrufsäulen an Bundes-, Landes- und Kreisstraßen kommt das Aus. Sie würden bis zum Jahresende abgebaut, teilte die Björn-Steiger-Stiftung mit. Die Säulen seien nicht mehr finanzierbar. Zudem seien sie durch die Handynutzung zunehmend überflüssig. Nicht betroffen sind die 16 000 Notrufsäulen an den Autobahnen. dapd

Die “Süddeutsche Zeitung” brachte einen längeren Artikel, der auf der ersten dapd-Meldung basierte und auch die Online-Medien haben die NichtGeschichte natürlich dankbar aufgenommen — wobei abendblatt.de eine wahre Meisterleistung geglückt ist: In dem Artikel, der mit den Worten “nur Baden-Württemberg behält Notrufsäulen” beginnt, zeigt sich ein ADAC-Experte vom “kompletten Aus für die Notrufsäulen an Bundes-, Landes- und Kreisstraßen” überrascht. Der dapd hatte das ADAC-Zitat aus seiner berichtigten Fassung herausgenommen, weil sich das “komplette Aus” als wenig haltbar erwiesen hatte.

Auch die dpa erweckt seit gestern den Eindruck, der seit fünf Jahren voranschreitende Abbau der Notrufsäulen sei eine Neuigkeit:

Aus für Notrufsäulen – Steiger Stiftung baut ab

Stuttgart (dpa) – Die Björn Steiger Stiftung baut ihre Notrufsäulen bundesweit nach und nach ab. Von den ursprünglich 7000 Säulen stehen noch 2095, davon gut 1800 in Baden-Württemberg, sagte eine Sprecherin der Stiftung am Mittwoch in Stuttgart. Die hohen Kosten für das Notrufsystem über die Säulen an Bundes-, Landes- und Kreisstraßen seien in Zeiten von Handys nicht mehr zu rechtfertigen, begründete sie die Entscheidung. Nicht betroffen sind die Säulen an Autobahnen. Sie werden vom Gesamtverband der Deutschen Versicherer (GDV) betrieben.

Mit großem Dank an Tobias.

Hinweis, 19.10 Uhr: In der ursprünglichen Fassung dieses Eintrags hatten wir geschrieben, die dpa-Meldung sei “immer noch völlig unkorrigiert”. Die dpa erklärte uns dazu, dass es an der Meldung “nichts zu korrigieren” gebe, da alle Fakten korrekt wiedergegeben würden.

Papier, WWF, Frauenfußball

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Ich habe sie so lange bearbeitet, bis sie ‘Ja’ sagten”
(einestages.spiegel.de, Hanno Krusken)
Hanno Krusken erinnert sich an seine Zeit als Fotograf für die Illustrierte “Quick”. “Der Brotjob bestand im Aufspüren menschlicher Schicksale. Und wenn es keine dramatischen Ereignisse gab, musste sich die Redaktion etwas einfallen lassen – etwa mit einer Anzeige in der Lokalzeitung, in der sie ‘Kindermütter’; ‘Eltern, die ihr Kind verloren haben’ oder sonst wie anders Betroffene suchte, deren Erlebnisse sie zu Sammelgeschichten zusammenfasste und dann einen ‘Trend’ deklarierte.”

2. “Betonierung des status quo”
(perlentaucher.de, Thierry Chervel)
Thierry Chervel kommentiert die Klage deutscher Printverlage gegen die “Tagesschau”-App: “Sie versuchen im Moment des Verschwimmens der Gattungsgrenzen zwischen den Medien ihren vormaligen Status zu zementieren. (…) Das eigentlich Absurde an den öffentlich-rechtlichen Anstalten sind jedenfalls nicht die Tagesschau-Apps. Die politischen Aufgaben sind viel tiefgreifender. Das Problem ist das Festhalten an Strukturen, die vor dreißig jahren noch Sinn gehabt haben mögen.”

3. “Das Hoffen auf die ewige Kraft des Papiers”
(netzwertig.com, Martin Weigert)
Zeitungs- und Zeitschriftenmacher neigen dazu, die technische Entwicklung zu ignorieren und Print zu romantisieren. “Irgendwann werden bis auf einige wenige Sammler alle Konsumenten über die Pro-Print-Argumente aus der Zeit des digitalen Wandels schmunzeln.”

4. “Die verflixten 7”
(journalist.de, Ernst-Marcus Thomas)
Sieben Tipps für eine lebendige Radiomoderation, die ohne abgestandene Formulierungen und unpassende Adjektive auskommt.

5. “Der Pakt mit dem Panda: Was uns der WWF verschweigt”
(mediathek.daserste.de, Video, 43 Minuten)
Eine WDR-Reportage beleuchtet die Zusammenarbeit des WWF mit der Bank HSBC und Palmölherstellern: “Warum kooperiert der WWF mit Unternehmen, die die Natur zerstören?” Eine Entgegnung findet sich auf wwf.de, ein Interview mit dem Autor des Films, Wilfried Huismann, auf radiobremen.de (Audio, 7 Minuten).

6. “sportstudio-Classics: Die Anfänge des Frauenfußballs”
(youtube.com, Video, 3:27 Minuten)
Das Thema Frauenfußball im Sportstudio von 1970 mit dem Moderator Wim Thoelke.

Bunte  etc.

Kachelmann-Prozess: Gericht verurteilt Medien

Es ist ein vernichtender Satz, den das Mannheimer Landgericht am Ende des Prozesses gegen Jörg Kachelmann den Medien mit auf den Weg gegeben hat. Michael Seidling, der Vorsitzende der 5. Großen Strafkammer, formulierte in seiner Urteilsbegründung:

Auf der anderen Seite hat die Kammer aber auch gesehen, dass einige Medienvertreter – wenn auch eher eine überschaubare Anzahl – durchaus sachgerecht und ausgewogen über das Verfahren berichtet haben.

(Hervorhebung von uns.)

Er nannte leider keine Namen, aber vermutlich ist eh kein größeres Medium gemeint, das man kennen könnte.

Ausführlich hatte der Richter zuvor die Medien gescholten:

Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Aber auch sie kennt Grenzen. Diese Grenzen existieren offensichtlich im Internet nicht.

Vorwiegend hinter der Fassade der Anonymität wurden im Verlauf des Verfahrens in den Meinungsforen, Blogs und Kommentaren im Internet die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten, der Nebenklägerin, aber auch des Gerichts und der Verfahrensbeteiligten immer wieder mit Füßen getreten, ohne dass die Möglichkeit bestanden hätte, sich dagegen in irgendeiner Weise effektiv zur Wehr zu setzen.

Auch angeblich Sachkundige konnten nicht der Versuchung wiederstehen, ohne Aktenkenntnis und ohne an der Hauptverhandlung teilgenommen zu haben, häufig aber auf der Grundlage unvollständiger und fehlerhafter Medienberichte per Ferndiagnose ihre persönliche Meinung zum Besten zu geben, die in der Regel nichts mit sachlicher Kritik zu tun hatte, sondern häufig nur Klischees bediente. (…)

Statt der gebotenen Zurückhaltung gegenüber einem laufenden Verfahren prägten vorschnelle Prognosen, das einseitige Präsentieren von Fakten und mit dem Anschein von Sachlichkeit verbreitete Wertungen die Berichterstattung. Diese mögen zwar als Garant für Schlagzeilen und Verkaufszahlen dienen; der Wahrheitsfindung in der Hauptverhandlung sind sie jedoch in hohem Maße abträglich. Sie erzeugen Stimmungen, wo Sachlichkeit gefragt ist; letztlich vertiefen sie den mit der Durchführung eines Strafverfahrens verbundenen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten und der Nebenklägerin in nicht gerechtfertigter Weise. Vor allem aber erschweren sie die Akzeptanz eines Richterspruchs in der Öffentlichkeit und schaden damit dem Ansehen der Justiz.

Mit Befremden hat die Kammer die Aufrufe an die Bevölkerung registriert, im Wege der Abstimmung über Schuld und Unschuld des Angeklagten zu entscheiden. Damit verkommt das Gerichtsverfahren nicht nur zu einem reinen Event; vielmehr werden Entscheidungen von Gerichten, denen nicht selten eine hochkomplizierte Entscheidungsfindung vorausgeht, in der öffentlichen Wahrnehmung mit dem Merkmal der Beliebigkeit behaftet. Dass auch dadurch dem Ansehen der Justiz in der Öffentlichkeit massiver Schaden zugefügt wird, liegt auf der Hand.
Mit öffentlicher Kontrolle der Gerichte durch die Medien hat diese Form der Medienarbeit nichts zu tun. (…)

Ob einer Hauptverhandlung für die breite Öffentlichkeit ein ausreichender Unterhaltungswert zukommt, ist für die Beurteilung der Schuldfrage und damit für die Gestaltung der Hauptverhandlung ohne Belang. Das Gericht ist bei der Durchführung der Hauptverhandlung nicht der Befriedigung des Sensations- und Unterhaltungsinteresses verpflichtet.

Die medienwirksam vorgetragene Kritik des Verteidigers am Ausschluss der Öffentlichkeit ließ vordergründig den Eindruck entstehen, die Kammer habe bis zu seinem Auftreten ohne sachliche Rechtfertigung die Öffentlichkeit in exzessiver Weise ausgeschlossen. Dass sich drei Zeuginnen durch Interviews ihrer Persönlichkeitsrechte – jedenfalls teilweise – begeben hatten, verstärkte diesen Eindruck.

Ohne Zweifel haben diese drei Zeuginnen und die entsprechenden Medien durch ihr Verhalten dem Ablauf der Hauptverhandlung geschadet.

Gemeint ist mit dem letzten Punkt mindestens die Zeitschrift “Bunte”, die drei Zeuginnen für ihre anklagenden Auftritte im Blatt bis zu 50.000 Euro zahlte.

Angesprochen fühlen dürfen sich aber u.a. auch:

  • die “Süddeutsche Zeitung”, die am 22. April 2010 unter der Überschrift “Messer mit Fingerabdrücken” exklusiv berichtete, Ermittler hätten “nach eigener Aussage Teile von Fingerabdrücken und DNS von Kachelmann“ auf einem Messer gefunden. In Wahrheit hat die Spurensicherung keine eindeutig nachweisbaren Spuren gefunden.
  • die “Zeit”, in der Sabine Rückert massiv Partei für Kachelmann ergriffen hat — in der Regel (und auch aktuell) ohne die Leser wenigstens darüber darüber zu informieren, dass Rückert mit dem Anwalt Kachelmanns zusammengearbeitet hat und ihn sogar der Verteidigung empfohlen hat.
  • der “Focus”, der im Dezember eine “neue Zeugin gegen Kachelmann” präsentierte, deren Aussage ihn angeblich “schwer belastet”, und bereits vor Eröffnung der Hauptverhandlung “Indizien auch im Bad” gefunden, “Tausende Ermittlungsseiten” der “Akte Kachelmann” protokolliert und das Tagebuch des mutmaßlichen Opfers abgedruckt hatte.
  • und natürlich die “Bild”-Zeitung mit ihrer Kommentatorin Alice Schwarzer, die munter mangelnde Fachkenntnis durch Parteilichkeit ausgeglichen hat.

“Welt Online” hat aus der Urteilsbegründung sicherheitshalber die Kritik an den Medien einfach mal herausgekürzt.

  

Wer anderen eine Falle stellt

— Ein Gastbeitrag von Anatol Stefanowitsch —

Bei der geballten und systematischen Bösartigkeit der Bildzeitung und ihrer Spin-offs mag es ein wenig kleinlich erscheinen, sich über ein eher randständiges Possenspiel aus Sprachnörgelei und Scheinheiligkeit aufzuregen, das BILD.de letzte Woche aufgeführt hat. Aber das Aufregen über Sprachnörgelei ist nun einmal Beruf und Berufung für mich, und die Scheinheiligkeit der BILD kann man nicht oft genug entblößen.

Worum geht es? Nun, BILD.de hat sich mit dem “Sprach-Trainer” Andreas Busch zusammengetan, um den Leser/innen eine Liste der “10 am häufigsten falsch verwendeten Wörter” zu präsentieren. Und das sind die 10 “fiesen Sprach-Fallen”, in absteigender Reihenfolge ihrer Fiesigkeit:

  • Public Viewing (soll vermieden werden, da es angeblich nur “Leichenschau” bedeuten kann).
  • Sympathie (soll nur in seiner “ursprünglichen” Bedeutung “Mitleid” verwendet werden).
  • Busen (soll nur für seine angebliche Ursprungsbedeutung, “das Tal zwischen den Brüsten”, verwendet werden).
  • Reifenwechsel (da wir das ganze Rad wechseln, sollen wir Radwechsel sagen).
  • Kult (sollen wir nur in seiner ursprünglichen Bedeutung “religiöses Ritual” verwenden).
  • für etwas sorgen (sollen wir nur mit der Bedeutung “sich um jemanden kümmern” verwenden).
  • männliche Berufsbezeichnungen wie Arzt (sollen nur für Männer verwendet werden).
  • verstorben (sollen wir nie verwenden, um über etwas zu reden, das den Verstorbenen zu Lebzeiten betraf).
  • irritiert (sollen wir nur mit der ursprünglichen Bedeutung “gereizt” verwenden).
  • wollen (sollen wir nicht in Sätzen wie “Ich wollte fragen, ob…” verwenden).

Wenn Sie sich über diese Liste wundern, vielleicht sogar zaghaft anzweifeln, dass es sich dabei überhaupt um “Sprach-Fallen” (geschweige denn um “fiese”) handelt, seien Sie beruhigt: Sie sind nicht allein. Tatsächlich will ich nicht verschweigen, dass mindestens neun dieser zehn Tipps kompletter Blödsinn und durch nichts zu rechtfertigen sind und getrost ignoriert werden können.

Aber hier soll es nicht darum gehen, ob diese Sprachtipps nützlich oder richtig sind. Stattdessen interessiert es mich, ob BILD.de in der Lage ist, sich wenigstens drei Tage lang selbst daran zu halten. Die Liste wurde am Mittag des 23. Mai 2011 veröffentlicht, der Suchraum ist also die Zeit bis zum 26. Mai 2011. Gehen wir die Liste also Wort für Wort durch.

Public Viewing. Es gab zwar Ausschreitungen im Umfeld des Spiels VfL Osnabrück–Dynamo Dresden am 24. Mai 2011, aber zu Tode gekommen ist glücklicherweise niemand. Warum also kündigt BILD.de Public Viewings an, nur einen Tag nachdem man die Leserschaft eindringlich davor gewarnt hat, das Wort für etwas anderes zu verwenden als für eine Leichenschau? Konnte man dieser fiesesten unter den “fiesen Sprach-Fallen” nicht ausweichen — schon allein, um ohnehin gewaltbereite Fußballfans nicht noch auf dumme Ideen zu bringen?

Sympathie. Ich will ehrlich sein: Auch ich bemitleide Menschen, die BILD.de lesen oder an Horoskope glauben, und mit Menschen, die an Horoskope glauben, die sie auf BILD.de gelesen haben, habe ich doppelt Mitleid. Aber ich habe das Gefühl, dass es in diesem Horoskop, das BILD.de am 25. Mai 2011, nur zwei Tage nach den tollen Sprach-Tipps von Busch, veröffentlicht hat, nicht um Mitleid geht sondern darum, dass man Zwillingen — nun ja, Sympathie entgegenbringt. War es zuviel verlangt, dieses immerhin doch am zweithäufigsten falsch verwendete Wort zu meiden und zu ersetzen durch — ja, was denn eigentlich?

Busen. Es ist sonst nicht mein Stil, über die sekundären Geschlechtsmerkmale mir nicht persönlich bekannter Damen zu sprechen, aber ich komme um den Hinweis nicht herum, dass in dieser informativen Bildergalerie vom 24. Mai 2011 eins nicht zu sehen ist: das “Tal” zwischen Lindsey Lohans Brüsten. Denn das verdeckt sie geistesgegenwärtig und gesittet. Was dagegen recht gut zu erkennen ist, sind die Brüste selbst — mit der Überschrift tappt BILD.de also direkt in “Sprach-Falle” Nr. 3.

Reifenwechsel. Über Wechsel von Rädern und Reifen schreibt BILD.de nur, wenn es entweder Zeit ist, Winter- oder Sommerreifen aufzuziehen oder in der Formel-1-Berichterstattung. In den drei Tagen nach der Veröffentlichung der “fiesen Sprach-Fallen” gab es keins von beidem, deshalb musste ich hier auf den Vortag, den 22. Mai 2011, zurückgreifen. Aber dafür bin ich mir zu einhundert Prozent sicher, dass bei Vettels angeblichen Reifenwechsel in Wahrheit die Räder gewechselt wurden: Wenn Vettels Mechaniker tatsächlich die Reifen neu aufgezogen hätten, hätte der Boxenstopp länger gedauert als das gesamte Rennen, und er hätte es nicht gewinnen können. Ich sage deshalb einfach mal “reingetappt” — wenn in der Berichterstattung über das Rennen von diesem Wochenende plötzlich von Radwechseln die Rede ist, nehme ich natürlich alles zurück.

Kult. Man kann schon den Eindruck bekommen, dass Jimmy Choo zusammen mit Manolo Blahnik und Christian Louboutin eine Art Dreifaltigkeit für Schuhfetischisten darstellen, aber wenn BILD.de Jimmy Choo in Überschrift und Teaser dieser Meldung vom Abend des 23. Mai 2011 gleich zwei Mal als Kult bezeichnet, geht es nicht um eine Verwendung überteuerter High Heels bei rituellen religiösen Handlungen — obwohl man doch nur wenige Stunden zuvor darauf gedrängt hat, das Wort nur zur Bezeichnung solcher Rituale zu verwenden. Im Spiel BILD.de gegen die “fiesen Sprach-Fallen” führen die Sprach-Fallen also mit 0:5.

Sorgen. “Mütter sorgen für Kinder, Lehrer für ihre Schüler, da stimmt das Verb”, erfahren wir aus den Sprachtipps von Sprechtrainer Busch, die BILD.de mahnend an uns weitergibt. Keinesfalls aber stimme es in Sätzen wie “Blitzeis sorgt für Verkehrschaos”, denn Blitzeis könne “für nichts und niemanden sorgen”. Chemikaliencocktails sind demnach in der Vorstellung von BILD.de offenbar eher so etwas wie Mütter, und Großeinsätze der Feuerwehr sind wie deren Kinder — anders lässt sich diese Schlagzeile vom 25. Mai 2011 nicht erklären. Oder ist man bei BILD.de trotz aller guten Vorsätze auch in die sechste “fiese Sprachfalle” getappt? Das ließe dann langsam Fahrlässigkeit vermuten.

Mann statt Frau. Man muss BILD.de zugestehen, dass man sich sehr konsequent an die Regel hält, für Männer die männliche und für Frauen die weibliche Berufsbezeichnung zu verwenden. Das eröffnet übrigens die Möglichkeit zu interessanten Untersuchungen über das dort gepflegte Geschlechterbild: Das Wort Arzt hat über 260 000 Treffer auf bild.de, das Wort Ärztin nur ca. 40 000. Das ist ein Zahlenverhältnis von etwa als 6:1, in der echten Welt kommen auf jede Ärztin aber nur zwei Ärzte. Aber ich schweife ab. BILD.de vergisst diese Regel in dem Moment, in dem man über gemischte Gruppen, z.B. von Ärztinnen und Ärzten, schreibt: Dann wird plötzlich nur noch die männliche Bezeichnung gewählt, wie in diesem Artikel vom 26. Mai 2011 (in dem noch dazu ausschließlich Männer erkrankt scheinen). So tappt man doch noch in die “fiese Sprach-Falle” Nr. 7.

Verstorben. “Frau Müller hat das Lebensmittelgeschäft mit ihrem verstorbenen Mann geführt” — die “fiese Sprach-Falle”, die Sprechtrainer Busch in diesem Satz ausgemacht hat, erklärt er wie folgt:
“Nein, das hat sie nicht. Das wäre ausgesprochen makaber. Natürlich hat sie das Geschäft mit ihrem LEBENDEN Mann geführt.” Man darf seinem Gegenüber anscheinend nicht zumuten, diesen offensichtlichen Schluss selbst zu ziehen. Warum, muss man sich dann fragen, mutet BILD.de seinen Leser/innen genau das in dieser Meldung vom 25. Mai 2011 zu, in der ein Rentner natürlich nicht auf einen Toten, sondern auf einen Lebenden geschossen hat, der erst als Folge dieser Schüsse verstarb?

Irritiert. Es kann sein, dass die Fahne, um die es in der folgenden Meldung, ebenfalls vom 24. Mai 2011, geht, den einen oder anderen gestört hat — der wäre dann irritiert im von Sprechtrainer Busch vorgeschlagenen Sinne gewesen. Aber die Mehrzahl war wohl irritiert in dem angeblich falschen und zu vermeidenden Sinne des Wortes — verwirrt, und ein wenig besorgt. Damit tappt BILD.de ist in die neunte der zehn “fiesen Sprachfallen”. Ich lehne mich mal aus dem Fenster und sage: Das ist kein Zufall. Man nimmt die Sprachtipps von Sprach-Trainer Busch bei BILD.de gerade ernst genug, um die Leser/innen damit zu piesacken, aber keinesfalls ernst genug, um sich selbst daran zu halten (Parallelen im Umgang von BILD.de mit Fakten ganz allgemein mag jeder selbst ziehen, ich bin hier nur für Sprache zuständig).

Wollte. Das Ergebnis 9/10 reicht mir, meine Schlussfolgerung ist gezogen, mein Auftrag erfüllt. Die letzte “Sprach-Falle” bezieht sich auf ein Sprachmuster, das in journalistischen Texten sehr selten und wegen seiner Variabilität allgemein zu schwer zu suchen ist. Ich schenke BILD.de also diesen einen Punkt im sicheren Bewusstsein, dass sich mit etwas Mühe auch dafür ein Beispiel fände.

Wie alle anderen Sprachfallen existiert auch diese, wie eingangs angedeutet, ohnehin nur in den Köpfen von Sprach-Trainer Busch und BILD.de. Ich werde das im Laufe der Woche im Sprachlog für alle sprachlich Interessierten genauer zeigen. Los geht es mit Folge 1, in der es um sorgen, Kult und Busen geht.

Nachtrag, 5. Juni: Inzwischen hat Anatol Stefanowitsch auch Folge 2 und 3 online gestellt.

Wie dränge ich ein Land aus der Eurozone?

Nachdem BILDblog vor einem Jahr aufgezeigt hatte, wie man erfolgreich gegen ein Land aufhetzt, ist es nun Zeit für die Königsdisziplin: Der ultimative Leitfaden für das Herausdrängen eines Landes aus der Eurozone — veranschaulicht anhand einiger ausgesuchter Artikel von “Bild” und Bild.de aus den vergangenen vier Wochen:

1. Stellen Sie rhetorische Fragen, die entweder nicht zu beantworten sind oder deren Antworten eigentlich schon klar sind. Wichtig: Bereits die Fragestellung muss eine Provokation beinhalten.

Etwa so:

EU zögert mit finanzieller Hilfe: Muss Griechenland die Akropolis verkaufen?

Oder fragen Sie:

EIN JAHR NACH DER STAATSPLEITE Haben die Griechen die Kurve gegriecht?

Sorgen Sie außerdem mit Fragen wie “Was machen die anderen Euro-Versager?” dafür, dass klar ist, dass Sie Griechen für Versager halten, auch wenn Sie es nicht konkret ansprechen.

Oder fragen Sie:

Nach Berichten über Ausstiegs-Pläne: Macht Griechenland den Euro kaputt?

2. Damit sind wir auch schon beim zweiten Punkt: Verwenden Sie möglichst symbolische Bilder. Hier: Ein Foto der alten griechischen Währung neben einer griechischen Euromünze unterstreicht Ihre Forderung nach der Rückkehr der Griechen zur Drachme.

3. Heizen Sie Spekulationen, dass Griechenland aus dem Euro austreten wolle, fleißig selbst mit an:

Angeblich Krisen-Gipfel Steigt Griechenland aus dem Euro aus? Premier Papandreou will möglicherweise eigene Währung einführen

EU-Geheimtreffen nach Gerüchten: Wie ernst meinen es die Griechen mit dem Euro-Austritt?

Verschweigen Sie anschließend unbedingt, dass es sich bei den “Gerüchten” um eine unbestätigte Falschmeldung von “Spiegel Online” gehandelt hatte.

4. Natürlich gilt wieder: Lassen Sie fast ausschließlich “Top-Ökonomen” zu Wort kommen, die sich negativ über Griechenland äußern — oder in anderen Worten: Lassen Sie fast ausschließlich Hans-Werner Sinn zu Wort kommen:

Top-Ökonom Hans-Werner Sinn "Griechenland muss aus dem Euro raus!"

ifo-Chef Hans Werner Sinn: Griechenland muss wieder wettbewerbsfähig werden

Ignorieren Sie dabei völlig, wenn Ihr Experte seine Position anderswo später relativiert:

Er fordere nicht den Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Gerade erst hat Sinn gegenüber der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” einen Austritt Griechenlands als “das kleinere Übel” bezeichnet. Dies sei aber keine Empfehlung gewesen, präzisiert er nun, er habe lediglich die Möglichkeiten aufgezählt; die Journalisten neigten dazu, Dinge zu überspitzen.

Sollte doch einmal ein Verteidiger zu Wort kommen, dann kompensieren Sie diesem Umstand am besten mit einer krawalligen Überschrift:

Ex-Minister Theo Waigel: Euro-Gefahr Griechenland: "Wir können die Griechen nicht einfach rauswerfen" sagt Ex-Minister Waigel

5. Als flankierende Maßnahme empfiehlt es sich, den Austritt Griechenlands aus der Eurozone auch ganz unverblümt und direkt in Kommentaren zu fordern. Etwa so:

Kommentar: Bye, bye, Griechenland

6. Lassen Sie Ihre bereits aufgehetzten Leser zwischendurch auch gerne über eine Frage abstimmen, bei der das Ergebnis dank Ihrer einseitigen Berichterstattung ohnehin schon klar ist: “Soll Griechenland raus aus der Euro-Zone?”

Fühlen Sie sich in Ihrer Kampagne bestätigt, wenn 84 Prozent diese Frage mit “Ja” beantworten!

7. Geben Sie Aussagen von Experten wie dem Ökonom Thomas Straubhaar möglichst verzerrt wieder, sodass es aussieht, als müsste Griechenland austreten, um nicht so unterzugehen wie seinerzeit die DDR:

Top-Ökonom spekuliert Endet Griechenland wie die DDR? Gauweiler fordert Ausscheiden Athens aus dem Euro - Noch mehr Geld aus Brüssel?

Man beachte das harmonische Zusammenspiel von rhetorischer Frage (siehe 1.) und Symbolbild (siehe 2.).

Ignorieren Sie, dass Straubhaar in Wahrheit das exakte Gegenteil dessen gesagt hatte — nämlich dass ein Austritt für Griechenland einen ähnlichen Niedergangseffekt haben könnte, wie er in der Endphase der hochverschuldeten DDR zu beobachten war.

8. Sie können den Niedergang der Wirtschaft des Landes, das Sie loswerden wollen, sogar selbst beschleunigen. Berichten Sie einfach darüber, dass Griechen ihr Geld auf deutschen Konten in Sicherheit bringen, damit noch mehr Griechen ihr Geld auf deutschen Konten in Sicherheit bringen:

Griechen bringen ihr Geld auf deutsche Konten

9. Berichten Sie über die durch die Sparmaßnahmen hervorgerufenen Streiks stets so, als wären die Griechen zu faul zu arbeiten:

Europa stützt Griechenland mit Milliarden Euro, die nächste Hilfsaktion ist in Vorbereitung – doch die Griechen weigern sich weiter, den Gürtel richtig eng zu schnallen. Stattdessen gehen sie wieder auf die Straße.

Unterstützen Sie dies durch weitere Schlagzeilen:

Griechenland-Krise: Griechen-Streiks kosten 11 Milliarden Euro ...aber Athen baut neue Formel-1-Strecke!

10. Nutzen Sie überhaupt jede Gelegenheit, um Missstände unter Verwendung wenig repräsentativer Extrembeispiele anzuprangern. Wichtig: Ignorieren Sie dabei alle bisher gemachten Fortschritte und scheuen Sie sich nicht vor schalen Wortspielen!

Euro: Darum kriechen die Griechen nie aus der Krise +++ 18 Monatsgehälter +++ Doppel-Pensionen +++ Prämie für Händewaschen und Pünktlichkeit +++ Freie Tage haben 28 Stunden +++ 800 Politiker wollen Millionen-Gehaltsnachschlag +++

11. Berichten Sie groß darüber, wenn sich ein Politiker dazu hinreißen lässt, etwas zu sagen, was auch von Ihnen stammen könnte:

Merkel erhöht Druck auf Europas Schuldenstaaten Griechen sollen weniger Urlaub machen

Ignorieren Sie dabei jegliche Kritik innerhalb Deutschlands — etwa von der Opposition oder Wirtschaftsexperten und Wirtschaftsjournalisten, die das Gegenteil belegen können.

Berichten Sie stattdessen über die Reaktion im betroffenen Land. Denken Sie dabei immer daran, dass alle Aussagen, die Ihnen nicht passen, als “Pöbelei” bezeichnet werden müssen:

Nach Standpauke: Griechen pöbeln gegen Merkel. Fleiss-Appell unseren Kanzlerin löst Empörung aus ++ Lage in Griechenland immer desolater

Viel Erfolg! Ihre Leser werden die bemitleidenswerten Opfer Ihrer Kampagne so schnell wie möglich loswerden wollen, die Politik wird sich Ihnen womöglich anschließen.

Strauss-Kahn, Meinungsfreiheit, Brügelmann

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “nr-Mediendisput zur Bild-Zeitung”
(ustream.tv, Video, 102 Minuten)
Bela Anda, Markus Feldenkirchen, Wolfgang Storz, Ulrike Simon, Harald Schumann und Thomas Leif diskutieren über “Bild”. Ab 2 Minuten stellt Hans-Jürgen Arlt die “Bild-Studie” vor: “Das Wesentliche an der Bild-Zeitung kriegt man nicht mit, wenn man sie journalistisch und politisch beobachtet.” Über den Abend berichtet auch Sonja Pohlmann für Tagesspiegel.de.

2. “Falsche Fotos, falsche Fakten”
(spiegel.de, Stefan Kuzmany)
Der in Peking lebende Autor Christian Y. Schmidt hält Teile der westlichen China-Berichterstattung für Propaganda: “In den westlichen Medien wird zum Teil Propaganda betrieben, wenn es um China geht. Und das wird in China gerade von den Nationalisten immer wieder aufgegriffen: Falsche Fotos, falsche Fakten, das wird alles mit großer Begeisterung im chinesischen Internet aufgelistet. Die Fallbeispiele sind sehr umfangreich.”

3. “Schwarm-Intelligenz und Schwarm-Feigheit”
(sprengsatz.de, Michael Spreng)
Die Meinungsfreiheit ist (neben seiner Frau) die grosse Liebe des Lebens von Michael Spreng: “Meinungsfreiheit ist nicht von Generationen vor mir mit Blut und Opfern erkämpft worden, um im Internet zu anonymer Denunziation zu verkommen. (…) In einer freien Gesellschaft, in der man seine Meinung offen äußern darf, gehört zur Meinungsäußerung, erst recht zur Entblößung anderer, auch der Absender. Das bisschen Mut muss sein.”

4. “Die mediale Vorverurteilung von Strauss-Kahn”
(ndr.de, Video, 6:39 Minuten)
Dominique Strauss-Kahn wird von einer Hotelangestellten der Vergewaltigung beschuldigt. “Spekulationen gibt es viele, Tatsachen bislang nur wenige. (…) Er ist noch nicht einmal angeklagt, doch in den Medien schon verurteilt.”

5. “Hamburger Anzeigenblatt”
(golfnerd.de, Denis Krah)
Denis Krah über das Golfmagazin “Eagle”, das unter der Marke “Hamburger Abendblatt” erscheint. “500 Euro werden für ein redaktionelles Clubporträt plus 1/4-Seiten-Anzeige verlangt. Einen Hinweis auf diese bezahlte Berichterstattung sucht man in ‘Eagle’ vergebens. Keine ‘Sonderveröffentlichung’ und auch keine ‘Anzeige’ prangt über den Auftragsarbeiten/Advertorials.”

6. “Mit den Millionären kann man es ja machen”
(sportmedienblog.de)
Matthias Brügelmann, Chefredakteur von “Sport Bild”, fordert in einem Editorial sowas wie ein Berufsverbot für Fußballspieler Diego: “Spieler wie Diego, die so drastisch gegen ihren Arbeitsvertrag verstoßen, müssen für Vereine in der ganzen Welt gesperrt werden können bei gleichzeitigem Gehaltsstopp. Das wäre die einzig wirksame Abschreckung für solche Typen.”

Handelsblatt, Klaus Kocks, Ralph Grosse-Bley

6 vor 9

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1. “Sport Bild-Watch (17)”
(el-futbol.de, Sidan)
Fußball: “Sport Bild” kritisiert Bastian Schweinsteiger: “Sport Bild-Kenner wissen, wer die absoluten Lieblingsspieler der Sport Bild sind bzw. waren: Platz 1. Lahm. Klar. Auf den nächsten 238 Plätzen erstmal niemand, dann aber, immerhin: Schweinsteiger. Doch das ist Vergangenheit.”

2. “Du bist bewaffnet bis über beide Backen”
(tagesspiegel.de, Markus Ehrenberg)
Die eigentlichen Vorbilder von Fußball-Kommentator Wolff-Christoph Fuss sind “die guten Rhetoriker”: “Ehrlich, häufig wird schlechtes Deutsch verwendet. Auch wenn ich manchmal vielleicht etwas flapsig herüberkomme, das alles passiert idealerweise in hundertprozent korrektem Deutsch.”

3. “Eintritt frei”
(juliane-wiedemeier.de)
Juliane Wiedemeier fragt sich, warum PR-Berater Klaus Kocks im Deutschen Journalisten-Verband DJV Mitglied ist.

4. “Handelsblatt versucht sich als iPad2-Discounter – und mogelt mit den Fakten”
(stenographique.wordpress.com, philipp)
Philipp rechnet das iPad2-Angebot von “Handelsblatt” nach und kommt auf eine zu hoch ausgewiesene Ersparnis von fast 1000 Euro.

5. “The People misleads on William’s ‘stag do'”
(tabloid-watch.blogspot.com, englisch)
Die britische Sonntagszeitung “The People” füllt seine Titelseite mit einem Bild von Prinz William aus dem Jahr 2002. “The implication, of course, is that these are pictures from Prince William’s stag do, in advance of his wedding on Friday.”

6. “Star für einen Tag – Wie aus Frauen Blick-Girls werden”
(videoportal.sf.tv, Video, 26:17 Minuten, teilweise Dialekt)
Die Sendung “Reporter” begleitet zwei Frauen, die sich für die Titelseite von “Blick” bis auf die Unterwäsche ausziehen. Die Auswahl der Fotos ist dabei Chefsache, wie ab 16:30 Minuten zu sehen ist. “Blick”-Chefredakteur Ralph Grosse-Bley (Ex-“Bild”): “Wo kommt die Frau her? Aus dem Emmental. Hausfrau und Mutter. Okay. Ich finde das Höschen ein wenig gewöhnungsbedürftig. Ich würde es versuchen mit dem Querformat, also Ganzkörper. Ich find das ganz gut mit den Stiefeln. Gefällt mir ganz gut. (…)”

German Angst, Grotte, E-Mails

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Zahlen-Zynismus”
(dradio.de, Burkhard Müller-Ullrich)
Burkhard Müller-Ullrich glaubt, beim Thema Atomkraft herrsche in Deutschland Rationalitätsverbot. “Seit einer Woche geht Möglichkeit vor Wirklichkeit. Statt Berichten gibt es Befürchtungen. Statt Kennzahlen Kann-Zahlen.”

2. “German Atom-Angst”
(spiegel.de, Cécile Calla)
Cécile Calla wundert sich über die deutsche Diskussion zu den Risiken der Atomkraft: “So hitzig die Diskussion aber auch war, bislang zählte dabei meist das Argument – doch zur Zeit regiert die Panik.” Arno Widmann dagegen verteidigt die “German Angst” – selten sei sie nützlicher gewesen als heute: “Fürchtet euch!” (berlinonline.de).

3. “Verbreiten Japans Medien verbales Opium?”
(diepresse.com, Peter Horvat)
Roland Domenig vom Institut für Ostasienwissenschaften/Japanologie in Wien schätzt die Berichterstattung der überregionalen japanischen Zeitungen als “seriös, nüchtern, rasch, aber unaufgeregt” ein. “Man stellt keine Spekulationen an, sondern die Qualitätsmedien in Japan veröffentlichen nur wirklich fundierte Fakten, aber detailliert und in einer neutralen Sprache, die weder übertreibt noch verharmlost.”

4. “Die gesteuerte Nachricht”
(sueddeutsche.de, Cornelius Pollmer)
Cornelius Pollmer stellt den Krisenredaktionsraum des ZDF, die “Grotte”, vor: “Ein halbes Dutzend Mal wurde das Krisenzentrum seitdem gebraucht: Erdbeben in Haiti und Pakistan, Proteste in Iran, Tsunami, Libyen, Japan.”

5. “Anmerkungen zur ‘Berliner Erklärung'”
(neunetz.com, Marcel Weiß)
Marcel Weiß kommentiert die 5 Punkte der “Berliner Erklärung” einiger europäischer Presseverleger.

6. “Die Kunst der Mailminimierung – Hermetisches Schreiben”
(webciety.de, Sascha Lobo)
Sascha Lobo hat die Zahl neu eintreffender E-Mails von 800 auf 40 am Tag reduziert. “Hermetisches Schreiben bedeutet, eine Mail so zu verfassen, dass die Chance auf eine Rückmail aktiv auf ein absolutes Minimum reduziert wird. Denn die langwierigen Mail-Dialoge sind es, die die Zeit fressen – und nicht die Mailinglistenmails, die man überfliegt oder gar nicht erst beachtet.”

Wie man Luft erwärmt

Im Allgemeinen hält Bild.de klassische Bildung ja eher für überflüssig — es sei denn, man kann damit jemanden anschwärzen. Einen weiteren Grund gibt es aber doch:

Mit diesem Wissen können Sie richtig angeben

Da Wissen nicht auf Bäumen wächst, haben die Bild.de-Redakteure einfach in dem Buch “Physik für Eierköpfe” des britischen Wissenschaftlers Brian Clegg geblättert und daraus zehn “kuriose Fakten” abgeschrieben. Das heißt: fast abgeschrieben. Denn obwohl Clegg in jedem Mini-Kapitel ein paar mundgerecht aufbereitete “Fakten zum Angeben” auflistet, schafft es Bild.de, trotzdem noch Fehler einzubauen.

BILD.de stellt hier die zehn kuriosesten Fakten der Physik vor: 1. Fällt Schweres wirklich schneller als Leichtes?  Der griechische Philosoph Aristoteles behauptete genau das. Macht ja auch Sinn, wenn man gleichzeitig Hammer und Feder fallen lässt. Da er als der Mann in der Physik überhaupt galt, zweifelte niemand an seiner Theorie, bis Apollo-15-Kommandant Dave Scott kam. 1972 führte er das Experiment auf dem Mond durch. Und siehe da: Ohne Luftwiderstand erreichten beide Gegenstände gleichzeitig den Boden.

Aristoteles hatte zwar einigen Einfluss, aber Galileo Galilei hatte bereits 1604 festgehalten, dass Gegenstände unabhängig vom Gewicht von ihrer Masse gleich schnell fallen, wenn der Luftwiderstand keine Rolle spielt — über 350 Jahre vor den Mondmissionen. Das steht im übrigen auch in Brian Cleggs Buch und sollte eigentlich jedem bekannt sein, der im Physikunterricht nicht geschlafen hat. Und wer es nicht weiß, kann es sich von Dave Scott selbst erklären lassen.

Doch dann wagt sich Bild.de auch noch an die Relativitätstheorie heran:

3. Der einfachste Trick, um Einsteins Relativitätstheorie zu kapieren  Wenn man einem Objekt Energie zuführt, vergrößern wir dessen Masse. Heißt: es wird schwerer. Eine Tasse heißer Kaffee wiegt daher mehr als eine Tasse kalter Kaffee.

Das ist zwar hypothetisch richtig: Wie Einstein in seiner Relativitätstheorie festgestellt hat, besteht ein Zusammenhang zwischen Energie und Masse. Der Effekt bei der Erwärmung einer Tasse Kaffee wäre aber so gering, dass er sich nicht messen lässt. Gleichzeitig dehnt sich Kaffee bei der Erwärmung aus, die Flüssigkeit wird also im Verhältnis zum Volumen leichter. Außerdem nimmt seine Masse durch Verdunstung ab. Der erwärmte Kaffee ist also in der Realität eher leichter als zuvor.

Wer also – wie von Bild.de vorgeschlagen – beim “Smalltalk im Aufzug oder bei einem wichtigen Geschäftsessen” mit der Kaffee-Version von Einsteins Relativitätstheorie aufwarten will, kann nur darauf hoffen, dass sein Gegenüber noch weniger Ahnung von Physik hat als er selbst (oder als Bild.de).

Mit Dank auch an Markus K.

Verliebt in Benzin

Nachdem “Bild”, “Bild am Sonntag” und Bild.de in den letzten Tagen alles getan haben, um das “Chaos um den Öko-Kraftstoff” weiter anzuheizen (BILDblog berichtete), scheinen sich die Redakteure jetzt für eine Linie entschieden zu haben:

Nein, tanke! Der Irrsinn mit dem Bio-Sprit

In gleich zwei Artikeln erklären “Bild” und Bild.de, “warum E10 Mist ist”:

1. Schadet vielen Motoren!*
2. Erhöht Verbrauch!
3. Lässt Preise steigen!*
4. Verschlimmert Hungersnöte!*
5. Schadet dem Klima!*
6. Zerstört Regenwald!*
7. Verteuert Sprit!*

*) Diesen “Fakt” hatte “Bild am Sonntag” vorgestern als “Irrtum” zu widerlegen versucht.

Mit Dank auch an Sebastian S.

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