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“Bild” probt den Aufstand gegen die Rote Flora

“Bild” will gern eine richtige Zeitung sein. Also eine mit Journalisten, die recherchieren und besondere Dinge rausfinden und diese dann exklusiv veröffentlichen. Nicht mehr nur dieses ekelige Revolverblatt, das einfach mal Geschichten erfindet oder Leute fertigmacht. Und wenn man sich schon kampagnenhaft auf Leute einschießt, dann soll auch das wenigstens “EXKLUSIV” sein. So zum Beispiel:

Ausriss Bild-Zeitung - Bild exklusiv - Millionen-Gläubiger packt aus - Boris Becker verpfändete auch das Haus seiner Mutter!

Die Hamburg-Ausgabe der “Bild”-Zeitung brachte am Freitag auch eine Geschichte ganz exklusiv, nirgendwo anders war sie so zu finden:

Ausriss Bild-Zeitung - Händler und Wirte haben genug vom Links-Terror - Aufstand der Nachbarn gegen Rote Flora

Nach den Krawallen rund um den G20-Gipfel in Hamburg, durch die es auch an und in vielen Läden, Restaurants, Cafés Schäden gab, organisierte die Handelskammer ein Treffen direkt neben der Roten Flora. “Bild” war da, Mitarbeiter anderer Redaktionen kamen ebenfalls. Aber so genau wie “Bild”-Autor Jörg Köhnemann hat sonst niemand hingehört und -geschaut:

Die Rote Flora als Rückzugsort für Chaoten und Brutstätte linker Gewalt — nach den verheerenden G20-Krawallen haben die Geschäftsleute aus dem Schanzen- und Karoviertel genug.

Mehr als 50 Unternehmer kamen zum Gipfel-Forum der Handelskammer. Unterstützt von Präses Tobias Bergmann (46) machten sie im Haus 73 neben dem autonomen Zentrum ihrer Empörung Luft.

Der Aufstand der Flora-Nachbarn!

► Gegen die G20-Gewalttäter, die von der Roten Flora eingeladen, koordiniert und toleriert wurden.

► Gegen den Vandalismus, der besonders verängstigte Anwohner und Ladenbetreiber im Schulterblatt traf.

Zwei Belege hat Köhnemann für die “Empörung” über die Rote Flora und den Vandalismus:

Katharina Roedelius (36), Möbelladen “Lokaldesign” am Schulterblatt: “Schon im Vorfeld von G20 blieben Kunden weg. Und seit einer Woche habe ich gar keinen Umsatz mehr, musste meine acht Mitarbeiter in bezahlten Urlaub schicken. Der Gipfel bedroht meine Existenz!”

Und:

Hotel-Direktorin Julia Knieschewski (27), Hotel “St. Annen”: “Der Sachschaden liegt im fünfstelligen Bereich. Aber schlimmer ist der Imageverlust.”

Joar, klingt nun nicht zwingend nur nach großer Wut auf “die G20-Gewalttäter”, sondern eher auf den G20-Gipfel im Allgemeinen und auch auf die Krawalle, aus denen die Schäden resultierten. Und auf die Rote Flora?

Schauen wir doch mal, was die anderen Redaktionen, die die Handelskammer-Veranstaltung besuchten, so zu diesem “Aufstand der Flora-Nachbarn” schreiben:

Abendblatt.de: nichts.

Welt.de: nichts.

shz.de: nichts.

mopo.de: nichts.

Und bei mopo.de steht nicht nur nichts dazu. Dort, wo ebenfalls Katharina Roedelius von “LokalDesign” und Julia Knieschewski vom Hotel “St. Annen” zitiert werden, steht auch:

Dass es in Schanze, Karoviertel und St. Pauli Nord “wild, alternativ und anders als in Steilshoop” sei, so Falk Hocquél von der Schmidt & Schmidtchen GmbH, das soll unbedingt so bleiben. Aber Julia Knieschewski wünscht sich genauso, “dass hier der Polizist den Kindern erklärt, wie sie über den Zebrastreifen gehen”. Und so ein positives Bild könne man nur gemeinsam vermitteln, so die Einzelhändler.

Auch mit der Flora? Ja, die gehört unbedingt zum Viertel dazu, da sind sich die Gewerbetreibenden einig. Allerdings müsse sie sich dann auch klar zu den Ereignissen positionieren und weiterhin auf Anwohner und Einzelhändler zugehen.

Diese durchaus positive Einstellung gegenüber der Roten Flora deckt sich mit einem lesenswerten, bis heute mehr als 15.500 Mal geteilten Facebook-Post der am Schulterblatt ansässigen “Cantina Popular”. Dort steht unter anderem:

Wir leben seit vielen Jahren in friedlicher, oft auch freundschaftlich-solidarischer Nachbarschaft mit allen Formen des Protestes, die hier im Viertel beheimatet sind, wozu für uns selbstverständlich und nicht-verhandelbar auch die Rote Flora gehört.

Unterschrieben haben den Beitrag “einige Geschäftstreibende aus dem Schanzenviertel”:

BISTRO CARMAGNOLE
CANTINA POPULAR
DIE DRUCKEREI – SPIELZEUGLADEN SCHANZENVIERTEL
ZARDOZ SCHALLPLATTEN
EIS SCHMIDT
JIM BURRITO’S
TIP TOP KIOSK
JEWELBERRY
SPIELPLATZ BASCHU e.V.
MONO CONCEPT STORE
BLUME 1000 & EINE ART
JUNGBLUTH PIERCING & TATTOO
SCHMITT FOXY FOOD
BUCHHANDLUNG IM SCHANZENVIERTEL
WEIN & BOULES

Den “Aufstand der Nachbarn gegen (die) Rote Flora” hat die “Bild”-Zeitung ganz exklusiv. Sie bleibt damit das alte ekelige Revolverblatt.

Mit Dank an Martin T. für den Hinweis!

“Schicken Sie uns Ihre Urlaubsfotos aus der Flammenhölle”

In Kroatien, in Montenegro, in Griechenland, in Italien, in Frankreich und in Portugal gibt es derzeit heftige Waldbrände. Die Feuer bedrohen viele Menschen, ihre Häuser und Existenzgrundlagen. In der Nähe von Neapel soll ein Mann in den Flammen ums Leben gekommen sein.

Auch die “Bild”-Medien berichten über die Brände. Doch ihre Mitarbeiter interessieren sich nur am Rande für die Einwohner der betroffenen Länder. Es geht ihnen nicht um die tragische Situation der Menschen vor Ort, um deren Probleme und Überlebenskampf. Auf der Bild.de-Startseite geht es um “uns”, die deutschen Urlauber:

Ausriss Bild.de - Waldbrände in Italien, Kroatien Frankreich - Hilfe, unser Urlaub brennt - Sind Sie auch betroffen? Schicken Sie uns Ihre Urlaubsfotos aus der Flammenhölle

Der dazugehörige Artikel beginnt so:

Wald- und Buschfeuer schrecken Touristen in vielen Urlaubsregionen Europas auf. In mehreren Ländern gibt es Wald- und Buschbrände, in Italien starb ein Mann auf der Flucht vor den Flammen, Badegäste flohen vor den Rauchwolken.

HILFE, UNSER URLAUB BRENNT!

Als es im vergangenen Jahr im August ebenfalls im Süden Europas heftig brannte, schlagzeilte Bild.de bereits mit viel Selbstmitleid und wenig Mitgefühl:

Ausriss Bild.de von 2016 - Hier fackelt unser Urlaub ab - Waldbrände lodern auf Madeira, den Kanaren, in Frankreich, Spanien, Portugal

Neu ist in diesem Jahr, dass die “Bild”-Redaktion ihre Leser — statt ihnen zu raten, möglichst schnell das Weite und einen sicheren Ort zu suchen — munter auffordert, “Urlaubsfotos aus der Flammenhölle” aufzunehmen und ihr zu schicken:

WERDEN SIE ZUM LESER-REPORTER!

Sind auch Sie im Urlaub und von der Flammenhölle betroffen? Schicken Sie uns Ihre Fotos! Die 1414-Redaktion will IHR exklusives Foto und zahlt bis zu 250 Euro.

Laden Sie Ihre Fotos und Videos HIER hoch oder mailen Sie diese an [email protected].

… vorausgesetzt, Sie überleben Ihren Einsatz als “LESER-REPORTER”.

Das Traurige an der ganzen Sache: Die Leute machen auch noch mit. “Bild” und Bild.de präsentieren heute die ersten Einsendungen ihrer tapferen Feuerfotografen:

Ausriss Bild - BILD-Leser schicke ihre Waldbrand-Fotos - Urlaubs-Grüße aus der Flammen-Hölle
Ausriss Bild.de - Wald- und Busch-Brände in vielen Ferien-Regionen - BILD-Leser schicke ihre Feuer-Fotos - Urlaubs-Grüße aus der Flammen-Hölle

Mit Dank an Sebastian, @piepenbrook und @Kathy_Kolumna für die Hinweise!

Medien verbreiten Ehe-für-alle-Unsinn der AfD

Wenn Sie gestern eine Runde auf deutschen Online-Nachrichtenseiten gedreht haben, ist es nicht unwahrscheinlich, dass Sie auch auf diese Schlagzeile hier gestoßen sind:


(“Spiegel Online”)

Oder auf diese:


(Stern.de)

Oder diese:


(Welt.de)

Oder auf eine von diesen:


(FAZ.net)

(“Focus Online”)

(Morgenpost.de)

(“Deutschlandfunk”)

(derstandard.at)

(Express.de)

(FR.de)

(rp-online.de)

(Merkur.de)

(derwesten.de)

(maz-online.de)

(rbb-online.de)

(orf.at)

Die Liste ließe sich noch lange weiterführen — es stand gestern so gut wie überall, auch weil Agenturen die Nachricht übernommen und verbreitet haben: Die AfD prüfe, ob sie die gerade erst im Bundestag beschlossene “Ehe für alle” vor dem Bundesverfassungsgericht verhindern könne.

Als Ursprung für diese Neuigkeit nennen die Artikel, die hinter den oben aufgeführten Titelzeilen stecken, alle die gleiche Quelle: “Bild am Sonntag”. Die “BamS”-Redaktion hatte die AfD-Info gestern, beziehungsweise online bereits vorgestern am späten Abend, exklusiv:

Die AfD plant, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen und die am Freitag im Bundestag beschlossene “Ehe für alle” zu kippen. AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland (76) zu BamS: “Wir prüfen derzeit eine Klage beim Bundesverfassungsgericht. Ich bin für einen solchen Schritt. Die Ehe für alle bedeutet eine Wertebeliebigkeit, die unserer Gesellschaft schadet.”

Nun kann die AfD das so sehr wollen und planen und prüfen, wie sie mag — sie kann nicht wegen der “Ehe für alle” vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.

Wie Patrick Gensing bereits gestern am Nachmittag beim ARD-“Faktenfinder” schrieb, gibt es verschiedene Wege, die dazu führen, dass sich das Bundesverfassungsgericht mit einem Gesetz beschäftigt. Im Fall der “Ehe für alle” kommt eigentlich nur die abstrakte Normenkontrolle in Frage. Und die kann nicht von jedem einfach so beantragt werden. Das Bundesverfassungsgericht schreibt dazu:

Der Antrag kann nur von der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Viertels der Mitglieder des Bundestages gestellt werden. Bürgerinnen und Bürger sind in dieser Verfahrensart nicht antragsberechtigt.

Die AfD sitzt zwar in einigen Landesparlamenten, sie gehört aber weder der Bundesregierung noch einer Landesregierung an, und keiner ihrer Mitglieder ist aktuell Bundestagsabgeordneter. Über die abstrakte Normenkontrolle kann sie eine Überprüfung der “Ehe für alle” durch das Bundesverfassungsgericht derzeit nicht beantragen.

Eine Verfassungsbeschwerde, die auch einzelne AfD-Mitglieder initiieren könnten, macht bei der “Ehe für alle” auch keinen Sinn. Denn dazu schreibt das Bundesverfassungsgericht:

Die beschwerdeführende Person muss selbst, gegenwärtig und unmittelbar in ihren Rechten betroffen sein.

Und wer soll schon ernsthaft in seinen Rechten betroffen sein, weil nun auch Frauen Frauen und Männer Männer heiraten können sollen und sonst durch die “Ehe für alle” niemandem etwas weggenommen wird?

All das hätten auch die zwei “Bild am Sonntag”-Autoren herausfinden können, bevor sie (und in der Folge all die anderen Redaktionen, die auch nicht recherchierten) der AfD riesige Werbeflächen für eine Null-und-nichtig-Ankündigung einräumten.

Gratis-“Titanic” gegen Gratis-“Bild” reloaded

Morgen könnte, wir berichteten bereits gestern darüber, in Ihrem Briefkasten eine Gratis-“Bild” stecken. Bisher hatten sie dann vier Möglichkeiten bei Ihrem weiteren Vorgehen:

  • alles völlig egal finden
  • den Briefkasten nie wieder leeren
  • genüsslich die “Bild”-Zeitung lesen

Dank der Partei “Die PARTEI” gibt es seit heute aber noch eine fünfte Möglichkeit: Sie können Ihre Gratis-“Bild” gegen eine Gratis-“Titanic” tauschen. Zumindest, wenn Sie morgen zwischen 13 und 18 Uhr in Hannover sind (weitere Orte siehe “Nachtrag” weiter unten).

In einer Pressemitteilung von heute unterbreitet “Die PARTEI Hannover” folgenden Vorschlag, was Sie morgen mit Ihrem Gratis-“Bild”-Exemplar anfangen könnten:

Der Axel-Springer-Verlag wird am morgigen Donnerstag, den 22.06.2017, erneut an alle Haushalte in der BRD ungefragt eine Bildzeitung zustellen. Doch was tun mit einem Geschenk, das doch eigentlich keiner will? (…)

Eine wünschenswerte Heizstoffspende nach Syrien oder Irak kommt aus logistischen Gründen nicht in Frage, so dass sich Die PARTEI Hannover mit Hilfe ihres exklusiven Sponsors, dem Titanic-Magazin, eine praktikable Lösung des Papierproblems erdacht hat und der Bevölkerung folgendes großzügige Angebot unterbreitet:

Die PARTEI Hannover wird am morgigen Donnerstag, den 22.06.2017 (direkt am Kröpcke, zwischen 13.00 – 18.00h) jede* (in Versalien: JEDE*) “Gratisbild” gegen eine Ausgabe des Faktenmagazins der Marke “TITANIC” umtauschen. Ohne Wenn und Aber!*

* Solange der Vorrat reicht! Danach werden bereits eingenommene Gratis-BILD-Zeitungen gegen Gratis-BILD-Zeitungen getauscht. Abgabe nur in haushaltsüblichen Mengen, max. 3 pro Person!

Also, an alle Hannoveranerinnen und Hannoveraner: Morgen tagsüber ab zum Kröpcke und sich endlich mal ein ordentliches journalistisches Produkt sichern.

Und ja: Dieses Angebot ist ernst gemeint, wie uns auf Nachfrage bestätigt wurde. Vor knapp drei Jahren gab es schon einmal eine große, erfolgreiche “Bild”-gegen-“Titanic”-Tauschaktion.

Nachtrag: An folgenden Orten können Sie am Donnerstag, 22. Juni, ebenfalls die Gratis-“Bild” gegen eine Gartis-“Titanic” eintauschen:

  • Göttingen: 13:15 bis 16:45 Uhr, Reinhäuser Landstr. 4, Raum 232 P² Fraktion

Neuanfang, juristische Nachhilfe, Autobahn

1. Danke, Trump
(medium.com, Jochen Wegner)
“Zeit Online” Chefredakteur Jochen Wegner berichtet von einer Serie von innovativen Experimenten, die das Medienhaus als Reaktion auf die Krisen der Demokratie, Trump und Brexit, Europa und die neue Rechte und die Debatte um “Fake News” und “Lügenpresse” angestellt hat. Wegner nennt es eine Art Laborprotokoll. Den Anfang macht “Deutschland spricht”, eine Art Dating-Plattform für politischen Streit, über die man tausende Paare zum politischen Zwiegespräch zusammenführen will. Ein anderes Projekt sind die “Z2X-Festivals”, auf denen junge Menschen zwischen 20 und 29 über die Verbesserung der Welt diskutieren. Er erzählt von der Serie “Heimatreporter”, die mit “emphatischem Lokaljournalismus” aufwartet. Und es geht um die kleine Frage “Wie geht es Ihnen heute?”, mit der man die Befindlichkeit der Leser abfragt. Nach der Lektüre möchte man es fast glauben, wenn Wegner zum Schluss sagt: “Journalismus ist nicht am Ende, sondern an einem neuen Anfang.”

2. FAZ, BILD und das Urheberrecht
(kapselschriften.blogspot.de, Eric W. Steinhauer)
Die “FAZ” hat sich verschiedentlich gegen die geplante Novelle im Wissenschaftsurheberrecht ausgesprochen und Horrorszenarien an die Wand gemalt, die nun auch von “Bild” wiederholt wurden, so der Jurist Eric W. Steinhauer auf seinem Blog. Im Nachgang hätte es auf Twitter eine rege Diskussion mit dem zuständigen “Bild”-Redakteur Ralf Schuler gegeben, der jedoch die Auseinandersetzung mit Urheberrechtsbeiträgen zu anstrengend gefunden hätte. Rechtswissenschaftler Steinhauer hat ihm die Angelegenheit daher mit einem Fallbeispiel erklärt. “Und wenn Herr Schuler diese Unterscheidung bescheuert und nicht nachvollziehbar findet, dann beginnt er vielleicht zu verstehen, warum das geltende Urheberrecht im digitalen Zeitalter noch lange nicht angekommen und total lebensfremd ist und warum es Bildung und Wissenschaft so wichtig ist, dass hier endlich notwendige Reformen angepackt werden.”

3. Keiner schreibt über die Privatisierung der Autobahnen!
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Auf den “Nachdenkseiten” ist Autor Jens Berger empört: Niemand, außer den “Nachdenkseiten” selbst, schreibe über die Gesetzesänderung, die eventuell eine Privatisierung der deutschen Autobahnen möglich mache! Doch dem ist nicht so, wie Stefan Niggemeier auf “Übermedien” berichtet und anhand von Beispielen dokumentiert. “Oft genug – zu oft – ist die Kritik von sogenannten alternativen Medien an sogenannten Mainstream-Medien berechtigt, dass sie bestimmte Themen und Perspektiven unter den Tisch fallen lassen. Oft genug – zu oft – ist diese Beschwerde aber auch eine bloße Behauptung. Der Satz „Darüber berichtet natürlich keiner“ fällt häufig als Reflex, und je häufiger er wiederholt wird, desto weniger sehen Leute noch nach, ob er überhaupt stimmt.”

4. Die EU zerstört Europas Filmwirtschaft
(faz.net, Jörg Seewald)
Zerstört die EU mit einer neuen Regelung Europas Filmwirtschaft? Das befürchten zumindest die 411 Mitglieder verschiedenster Verbände und Unternehmen aus dem audiovisuellen Sektor, die mit einem offenen Brief gegen die neue EU-Verordnung protestieren. Im Kern geht es um die Abschaffung des sogenannten “Territorialprinzips”, was zur Folge hätte, dass Film-Lizenzen nicht mehr exklusiv und länderbezogen eingeräumt werden können. Die Regelung stärke große Sender- und Plattformbetreiber und schwäche die Film- und Fernsehschaffenden, so der Tenor.

5. Medienangebote für Flüchtlinge
(de.ejo-online.eu, Johanna Mack)
Johanna Mack hat sich die verschiedenen Medienangebote für Geflüchtete angeschaut. Darunter die “Ankommen-App” des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, die App “Willkommen in NRW”, das Angebot von “Deutscher Welle” und “WDR” und “SWR” und den “Guide for Refugees” der “ARD”. Sie erwähnt die Videoreihe “Marhaba – Ankommen in Deutschland” (n-tv), den “Wegweiser für Flüchtlinge” (BR) und verschiedene unabhängige Projekte. Eine gute Zusammenstellung, auch für Leute, die mit Geflüchteten in Kontakt stehen.

6. Wittenberg, 11.02 Uhr: Wie wurden daraus 120.000?
(zeit.de, Hannes Leitlein)
Wie viele Gläubige waren im Rahmen des Kirchentags beim Festgottesdienst in Wittenberg? Wenn es nach den Veranstaltern geht, jede Menge… Fast detektivisch ist Hannes Leitlein der Frage nachgegangen, wie die Veranstalter zu ihrer extrem hohen Schätzung kommen. Mit endgültiger Sicherheit lässt sich die Frage nicht klären, aber es spricht einiges dafür, dass die Werte stark übertrieben sind.

Böse Übersetzung

Fangen wir mit drei Binsenweisheiten an: 1) US-Präsident Donald Trump spricht Englisch. 2) Deutsche Medien berichten in der Regel auf Deutsch. 3) Wenn deutsche Medien über eine Aussage von Donald Trump berichten wollen, müssen sie diese Aussage vom Englischen ins Deutsche übersetzen. Und da liegt das Problem.

Aktuell macht das Trump-Zitat “Die Deutschen sind böse, sehr böse” die ganz große Medien-Runde:








“Spiegel Online” hatte gestern zuerst über Trumps Deutschland-Schelte berichtet. Die Aussage stammt aus einem nicht-öffentlichen Treffen des US-Präsidenten mit Vertretern der EU in Brüssel. “Spiegel Online” schreibt:

US-Präsident Donald Trump hat sich bei seinem Treffen mit der EU-Spitze in Brüssel heftig über den deutschen Handelsbilanzüberschuss beklagt. “The Germans are bad, very bad”, sagte Trump. Dies erfuhr der SPIEGEL von Teilnehmern des Treffens.

Nun kann das englische Wort “bad” vieles bedeuten: schlecht (so beispielsweise von süddeutsche.de übersetzt), schlimm, schwierig, schädlich, mangelhaft und auch ungezogen oder böse. Dass Trump mit “The Germans are bad, very bad” sagen will, dass “die Deutschen” “böse, sehr böse” seien, ist nicht so eindeutig, wie die Titelzeile bei “Spiegel Online” es darstellt. Hätte er “The Germans are evil, very evil” gesagt, wäre es etwas anderes.

Apropos “evil”: Die Nachricht, die “Spiegel Online” gestern Abend exklusiv veröffentlichte, griffen auch englischsprachige Medien auf. Bei der Rückübersetzung vom Deutschen ins Englische machten sie mitunter aus “Die Deutschen sind böse, sehr böse” interessanterweise “The Germans are evil, very evil”:



EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der beim Treffen mit Donald Trump dabei war, hat die Worte des US-Präsidenten inzwischen bestätigt. Juncker sagt allerdings auch:

Ich bin kein Spezialist im Englischen, wie man weiß, aber: “Bad” heißt nicht böse, schlecht reicht.

Mit Dank an Jolf B. für den Hinweis!

Julian Reichelt vergisst den Anschlag von Anders Breivik

Wenn “Bild”-Oberchef Julian Reichelt twittert, wird es häufig unsachlich oder aufbrausend oder beides. Manchmal ist es aber auch einfach faktisch falsch, was er schreibt. Zum Beispiel dieser Tweet von ihm von heute zum gestrigen Anschlag in Manchester:

Tweet von Julian Reichelt - Die (wieder mal) neue Qualität des Terrors von Manchester: Es ist der erste Anschlag in Europa, der sich gezielt gegen Kinder richtet.

Abgesehen von dem Versuch, diesem Attentat etwas Neues, Exklusives zu verleihen: Es stimmt schlicht nicht. Am 22. Juli 2011 fuhr der norwegische Rechtsterrorist Anders Breivik gezielt auf die Insel Utøya, um dort, wo ein Sommercamp mit vielen Jugendlichen stattfand, Menschen zu töten. Auf Utøya starben 32 Mädchen und Jungen unter 18 Jahren.

Vielleicht sieht Julian Reichelt Anders Breivik nicht als Terrorist, sondern als Verwirrten oder rechten Spinner. Oder er bezog sich in seiner Aussage nur auf islamistischen Terror, ohne es zu schreiben. Aber selbst dann ist seine Behauptung nicht richtig: Am 19. März 2012 fuhr Mohamed Merah, der sich selbst als “Gotteskrieger” bezeichnete, zu einer jüdischen Schule in Toulouse und tötete dort unter anderem drei Kinder.

Der Anschlag gestern nach dem Konzert von Ariana Grande in Manchester bleibt eine abscheuliche, grausame Tat, natürlich auch, wenn es nicht “der erste Anschlag in Europa” ist, “der sich gezielt gegen Kinder richtet.” Und sicher gibt es nach einem derartigen Attentat wichtigere Themen als einen falschen Tweet von Julian Reichelt. Es handelt sich bei ihm aber nun mal um diejenige Person, die beim größten deutschen Online-Nachrichtenportal die Richtung vorgibt und auch bei Deutschlands größter Tageszeitung einiges zu sagen hat. Und das macht das Vergessen von Anders Breivik und Mohamed Merah dann doch erwähnenswert.

Mit Dank an @fiiinix und Ralf H. für die Hinweise!

Politisches Facebook, “Sexskandal”, Emotionsanalyse

1. Von AfD bis Linkspartei – so politisch ist Facebook
(sueddeutsche.de, Katharina Brunner & Sabrina Ebitsch)
Eine bemerkenswerte Kraftanstrengung hat die “Süddeutsche” mit ihrer Datenrecherche zur politischen Landschaft auf Facebook unternommen: Über Monate hat man eine Million öffentliche Likes von Nutzern untersucht, die auf den Facebookseiten der sieben großen Parteien interagiert haben. Ein schönes Stück Datenjournalismus, das unter “Der Facebook-Faktor” nochmal in Textform und mit Animationen aufbereitet wurde.
Weiterführender Link: Politikjournalismus im Superwahljahr 2017 mit einem Gespräch mit der Journalistik-Professorin und Politikexpertin Marlis Prinzing.

2. Nazi! Hure! AfD!
(salonkolumnisten.com, Martin Niewendick)
Für allgemeines Kopfschütteln sorgt derzeit ein Artikel des gemeinnützigen Recherchezentrums “Correctiv”. Dort ist man mit einer Exklusiv-Meldung an die Öffentlichkeit gegangen, nach der eine AfD-Politikerin als “Teilzeitprostituierte” gearbeitet haben soll. “Salonkolumnist” Martin Niewendick hält “Correctiv” für ein wichtiges Netzwerk, das gemeinhin gute Arbeit leiste und den selbst gesteckten Ansprüchen in der Regel gerecht werde. Jedoch: “Der journalistisch-investigative Background der Recherche-Profis ist ein scharfes Schwert. Mit voyeuristischen und letztlich sexistischen Beiträgen wie diesem droht es, zu einem labbrigen Gummi-Dildo zu werden.”

3. Verhaltensbasierte Werbung: Facebook identifiziert emotional verletzliche Jugendliche
(netzpolitik.org, Ingo Dachwitz)
Kann Facebook seine Daten tatsächlich mit “Emotionsanalyse-Tools” durchsuchen lassen? Um emotional verletzliche Jugendlichen aufzuspüren, denen man daraufhin zielgerichtete Werbung unterjubeln kann? Dies wollen jedenfalls Journalisten der australischen Tageszeitung “The Australian” herausgefunden haben, die behaupten im Besitz entsprechender Beweise zu sein. Laut “Australian” habe sich Facebook zunächst entschuldigt, dann jedoch ein eigenes Statement veröffentlicht und den Text der Zeitung als irreführend bezeichnet.

4. Eines der gefährlichsten Länder für Journalisten
(deutschlandfunk.de, Christoph Dreyer & Brigitte Baetz, Audio, 4:16 Minuten)
Der Jemen zählt zu einem der gefährlichsten Länder für Journalisten. Gefährlicher ist es nur noch im Irak, in Mexiko, in Afghanistan und in Syrien. Mittlerweile gibt es nur noch wenige unabhängige Journalisten vor Ort. Es gebe eigentlich nur noch parteilich berichtende Medien – für die Regierung oder für die Huthis, die weite Teile des Landes und die Hauptstadt kontrollieren. (Für den Hörbeitrag auf die Schaltfläche rechts im Beitragsbild klicken.)

5. Le Pen klaut bei Fillon
(faktenfinder.tagesschau.de, Nele Pasch)
Der “Faktenfinder” der “Tagesschau” beschäftigt sich mit der Frage, ob sich die französische Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen bei ihrer Wahlkampfrede fremder Inhalte bedient hat: Mindestens sechs Passagen würden mit einer Rede übereinstimmen, die der konservative Kandidat Fillon gehalten hat.

6. Lasst die Zeitung leben!
(taz.de, Mark-Stefan Tietze)
Mark-Stefan Tietze, Satireautor und langjähriges Besatzungsmitglied der “Titanic”, schreibt in der “taz” über die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Diesmal über die Nachteile des Digitalen und die unschlagbaren Vorteile von Printprodukten (z.B. für Wohnungslose, die darauf ihr Nachtlager bereiten).

Oberstes “Bild”-Gericht hat “BVB-Bomber” längst schuldig gesprochen

Die “Süddeutsche Zeitung”, NDR und WDR berichten heute, dass der Mann, der verdächtigt wird, die drei Bomben neben dem Mannschaftsbus des BVB gezündet zu haben, sagt, er sei es nicht gewesen:

“Mein Mandant bestreitet die Tat”, erklärt der Tübinger Anwalt Reinhard Treimer, der den 28-jährigen Mann vertritt. Sergej W. habe auch gegenüber dem Haftrichter des Bundesgerichtshofs bestritten, dass er der Täter gewesen sei.

Auch die weiteren Ermittlungen der zuständigen Behörden sollen bislang kein weiteres belastendes Material zutage gefördert haben:

Die bisherige Auswertung des bei Durchsuchungen sichergestellten Materials hat nach Recherchen von Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR keine weiteren eindeutigen Belege für die Tat gebracht.

Dennoch seien sich die Ermittler “weiterhin sicher, dass der wegen dringenden Tatverdachts festgenommene 28-jährige Sergej W. den Anschlag auf den Bus verübt hat.” In dem Fall geht es um versuchten Mord, gefährliche Körperverletzung und die Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion.

Bild.de berichtet, mit Bezug auf die “Süddeutsche Zeitung”, ebenfalls über die neueste Entwicklung:

Moment mal! “Mutmaßlicher Attentäter”? Warum denn auf einmal diese Zweifel, liebe “Bild”-Richter? Ihr wart doch schon vor Tagen sicher:


(Diese und alle weiteren Unkenntlichmachungen im Beitrag von uns.)

Wozu auf eine offizielle Verurteilung warten, wenn man medial schon mal vorverurteilen kann? Warum nicht einfach schon mal schreiben, dass es sich um “seinen 30-fachen Mordversuch” handelt?

Warum nicht jemanden schon mal ohne jeden Zweifel zum “Dortmund-Attentäter” erklären?

Warum nicht immer und immer wieder vom “BVB-Bomber” beziehungsweise, wenn man in besonderer Alliterationslaune ist, vom “BVB-Bus-Bomber” schreiben und ein unverpixeltes Foto des Tatverdächtigen danebenpacken, als hätte ein Gericht bereits rechtskräftig festgestellt, dass es sich bei dem Mann um den Attentäter handelt?



Keine Frage: Aufgrund der Indizien — zum Beispiel die Börsenwette des Tatverdächtigen auf einen fallenden BVB-Aktienkurs oder sein Bestehen auf ein Hotelzimmer mit Blick auf den Anschlagsort — kann man der Meinung sein, dass der Mann etwas mit dem Attentat zu tun hat. Aber es sind eben nur Indizien. Und ein “mutmaßlich” oder “angeblich” oder “wahrscheinlich” in die Berichterstattung einzubauen, ist kein großer Akt. Wenn eine Redaktion es denn will.

Die Mitarbeiter von “Focus Online” schrieben übrigens auch schon vom “BVB-Attentäter”. Aber im Gegensatz zu ihren “Bild”-Kollegen hatten sie auch schon ein Geständnis des Tatverdächtigen gehört. Jedenfalls meinten sie vor einer Woche, eins gehört zu haben:

Die “dpa” griff die “Focus Online”-Hinhör-Geschichte damals auf und machte eine Meldung daraus. Diese tauchte dann erneut bei “Focus Online” auf:

Heute veröffentlichte “Focus Online” diese Eilmeldung:

Ebenfalls zum Thema:

Mit Dank an @LSAwesome und @ziesmannmedia für den Hinweis!

Lügenstatistiken, Republik-Rekord, CSU-Bot

1. Manipulierte Statistiken entlarven
(faktenfinder.tagesschau.de, Verena Stöckigt)
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Auch deshalb sind Kurven- und Balkendiagramme so beliebt, wenn es um die Darstellung komplexer Informationen geht. Kein Wunder, dass sie besonders in sozialen Netzwerken so gern geteilt werden. Doch oft sind die Bilder fehlerbehaftet oder verfälscht. Verena Stöckigt erklärt, wie man “manipulierte Statistiken” entlarven kann. Eine Wortwahl, die Blogger Fefe übrigens für ungeeignet hält, stattdessen eher von “manipulativen grafischen Darstellungen von Statistiken” sprechen würde. Fefe weiter: “Ich bin irritiert, dass jemand, der den Anspruch an sich selbst erhebt, die Bevölkerung über Irreführung zu informieren, dann schon bei der Nomenklatur solche Schwächen zeigt.”

2. Weltrekord für journalistisches Crowdfunding
(republik.ch)
Ein neues journalistisches Projekt will die Schweizer Medienlandschaft umkrempeln: “Republik”. Es sieht so aus, als ob das Vorhaben bei den zukünftigen Lesern und Leserinnen gut ankommt: Per Crowdfunding hat man die Rekordsumme von mehr als zwei Millionen Franken eingesammelt.

3. Schlechtes von gestern
(sueddeutsche.de, Susan Vahabzadeh)
Als eine “schwarze Woche für Frauen” bezeichnet Susan Vahabzadeh die vergangenen Tage in Medien und Politik. Besonders auf die Nerven seien ihr die “Rollenzuweisungen aus den Untiefen des vorigen Jahrtausends” gegangen. Das Frauenbild sei auf dem Rückschritt in die Fünfziger. Zu den Wochenaufregern gehören für sie Ivanka Trumps angeblicher Feminismus im Blümchenkleid, die zum Umsatztöter erklärte “dicke” Barbie und der französische Präsidentschaftskandidat François Fillon. Sogar bei den nichtexistenten, aber gut dotierten Scheinjobs von Sohn und Tochter des konservativen Politikers hätte es ein Gender Pay Gap gegeben.

4. Alles schick
(taz.de, Anne Fromm)
Anne Fromm stellt „SZ Familie“ vor, ein Heft für Eltern und Kinder. Sie findet insgesamt lobende Worte für die Zeitschrift, die man sich jedoch leisten können müsse. “Am stärksten ist das Magazin, wenn deutlich wird, dass es aus der SZ-Redaktion stammt: bei den anspruchsvollen Geschichten. Ein Text beleuchtet das konservative Familienbild der AfD, an anderer Stelle erzählen Paartherapeuten, woran Beziehungen zerbrechen, wenn Kinder dazukommen. Star-Geiger und Leistungssportler berichten, wie früh sie ihre Kinder fördern (sehr früh). Das liest sich alles schön weg, transportiert aber immer auch ein exklusives Familienbild.”

5. Die „Öffentlich-Rechtlichen“ und das Internet
(boell.de, Oliver Passek)
Die Frage „Was dürfen ARD und ZDF eigentlich im Netz?“ ließe sich gar nicht so schnell beantworten, findet Oliver Passek und beschreibt die teilweise verworrene Lage mit ihren unterschiedlichen Verfahren: “All diese Regelungen kratzen am Image der Öffentlich-Rechtlichen und stehen einer für die Zukunft des Systems unverzichtbaren Weiterentwicklung im Wege. Deshalb brauchen wir einheitliche Online-Regelungen bei ARD und ZDF für alle gängigen Formate. Abweichungen sollten in der Mediathek per Klick kurz erklärt werden.”

6. Ich habe mit dem neuen CSU-Bot gechattet, damit ihr es nicht müsst
(motherboard.vice.com, Gregor Thomanek)
Ein Gesprächsversuch mit dem Facebook-Chatbot der CSU: “Mit allen Mitteln habe ich versucht, mit dem christsozialen Facebook-Roboter ein ernsthaftes Gespräch über Politik und Markus Söder zu führen — und alles, was ich bekam, waren diese lausigen Memes.”

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