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Und wer schützt uns vor Katastrophen wie “Bild”?

Es gibt bei “Bild” eine Art Bullshitsiegel, und das sieht so aus:

Von: Ralf Schuler

Wenn man diese Zeile über einem Artikel liest, kann man mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass mit dem Text etwas nicht stimmt. Denn wie kaum ein zweiter Name steht Ralf Schuler für die Unfähigkeit, selbst einfachste Fakten zu recherchieren. Oder, je nachdem, für die Böswilligkeit, Fakten zugunsten der Knalligkeit einer Story zu verzerren oder zu verschweigen.

Was es davon ist, ist nachher oft nicht mehr auszumachen, vermutlich sind die Übergänge mitunter auch fließend.

Nachdem Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer vor gut einer Woche mit der Idee für Aufsehen gesorgt hatte, Soldaten in Uniform kostenlos Bahn fahren zu lassen, und das nicht etwa in einem exklusiven “Bild”-Interview getan hatte, sondern in ihrer ersten Regierungserklärung im Paul-Löbe-Haus, wollte “Bild” natürlich noch mit einer eigenen spektakulären Meldung aufwarten. Und so berichtete Ralf Schuler nur einen Tag später exklusiv:

Screenshot BILD.de: Debatte um Gratis-Bahn-Tickets für Soldaten - THW-Chef fordert Freifahrten für ALLE Uniformträger

Nachdem Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (56, CDU) kostenlose Bahn-Fahrten für Soldaten in Uniform gefordert hat, fordert der Präsident der THW Bundesvereinigung, Marian Wendt (34, CDU), kostenlose Fahrten für ALLE Uniformträger!

„Jeder Uniformträger sollte in Deutschland kostenlos Bahn fahren, wenn er diese trägt. Ohne großes bürokratisches Hin- und Her“, sagte Wendt zu BILD.

Auch Feiern wie Eidesleistungen oder Beförderungen sollten öffentlich stattfinden, so Wendt.

Und Schuler wurde nicht müde zu betonen, dass es der THW-Chef persönlich war, der das gefordert hatte, und zwar in “Bild”!

(…), sagt der THW-Chef zu BILD.

Marian Wendt (34, CDU) ist nicht nur THW-Chef, sondern auch Bundestagsabgeordneter

Der 34-Jährige sitzt nicht nur auf dem Chefsessel der größten deutschen Katastrophenschutz-Organisation, sondern auch für die CDU im Deutschen Bundestag.

Nun. In Wahrheit sitzt Marian Wendt nicht auf dem Chefsessel der größten deutschen Katastrophenschutz-Organisation. Er ist nicht der THW-Chef. Er ist, wie man in wenigen Sekunden herausfinden kann, Präsident des “THW-Bundesvereinigung e.V.”. Das wiederum ist eben nicht die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk, sondern der “Dachverband der bundesweiten THW-Fördervereine auf Landes- und Ortsebene”.

Auf dem “Chefsessel” des THW sitzt nun mal dessen Präsident, Albrecht Broemme, der auch nicht Mitglied des Bundestages ist.

Das heißt, entweder hat Ralf Schuler es nicht hingekriegt, das selber herauszufinden, oder er hat es herausgefunden und verschwiegen. Aber “Präsident der bundesweiten THW-Fördervereine auf Landes- und Ortsebene fordert Freifahrten für alle Uniformen” wäre ja auch nicht so schön knackig gewesen.

Wie dem auch sei – leider gibt es in Deutschland immer noch viele Medien, die Ralf Schuler für einen glaubwürdigen Journalisten halten, und so landete die Geschichte (auch dank freundlicher Unterstützung der dpa) ruckzuck überall:

ZDF: Feiern von Polizei und Feuerwehr: THW-Chef will mehr Anerkennung - Münchner Merkur: THW-Chef fordert mehr Anerkennung für Helfer und ein Zuckerl für "Uniformträger" - Stern: THW-Chef: Feiern von Polizei und Feuerwehr öffentlich machen

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Kollegahs Würstchen-Mentoring, Empörungslust, DHLs “Fan-Fotos”

1. Exklusiv: Undercover bei Kollegahs Alpha-Armee
(vice.com, Daniel Drepper & Paul Schwenn & Johann Voigt)
Der Rapper Kollegah hat ein Online-Coaching-Programm aufgelegt, das er “Alpha Mentoring” nennt. Recherchen von “Vice” und “BuzzFeed News” zeigen nun, was dahinter steckt — allerlei kruder Unsinn und wilde Verschwörungstheorien: “Unter anderem behauptet er, die Weltordnung sei ein “Pyramidensystem” und die Menschen an der Spitze bekämen direkte Instruktionen vom Satan höchstpersönlich. Experten, die wir mit unseren Recherchen konfrontieren, nennen das Programm unseriös, sprechen von “klarer Täuschung”, von einer Guru-Bewegung und von Gehirnwäsche.”

2. Leser per Klick anlocken
(sueddeutsche.de, Jacqueline Dinser)
Das österreichische Nachrichtenportal oe24.at ist auf eine Strategie gekommen, die man getrost als Verzweiflungstat einstufen kann: Man zahlt den Nutzerinnen und Nutzern Geld für ihre Klicks, hofft dabei auf mehr Reichweite und höhere Anzeigenerlöse.

3. Wenn Empörung zur Lust wird
(spiegel.de, Sascha Lobo)
Sascha Lobo schreibt über die schwierige Gemengelage von Provokation und Reaktion: “Gegenruhm durch Empörungslust ist gleichzeitig das PR-Konzept der AfD und das Bindeglied zwischen Identität und Öffentlichkeit, es ist aber auch konstitutives Element der sozialen Medien, wie wir sie heute kennen, mit dem sich die Erfolge der Rechten erklären lassen. Gegenruhm durch Empörungslust bedeutet, soziale Anerkennung nicht durch Lobpreisung der eigenen Anhänger zu bekommen, sondern durch wütenden Widerspruch der Gegner.”

4. Wie Überschriften unsere Wahrnehmung von Nachrichten dominieren
(twitter.com, Kevin Kühnert)
Kevin Kühnert weist auf Twitter auf eine Schlagzeile der “Berliner Zeitung” hin, die eine “neue Hiobsbotschaft” verkündet: “Entscheidender Techniktest am BER wird verschoben”. Beim näheren Hinklicken wird klar, um welchen Zeitraum es sich dabei handelt, aber lest selbst …

5. Hohn für die Pressefreiheit
(taz.de, Steffen Grimberg)
Vergangenes Jahr behinderte die Polizei auf Betreiben des auf traurige Weise berühmt gewordenen “Hutbürgers” die Arbeit von Journalisten. Hat die Polizei daraus gelernt, gab es mittlerweile ein Umdenken? Leider nicht, wie Steffen Grimberg findet: “Wer meinte, die Vorkommnisse bei der Pegida-Demonstration in Dresden vor knapp einem Jahr hätten für ein grundsätzliches Umdenken gesorgt oder für eine intensivere Auseinandersetzung mit der Presse- und Berichterstattungsfreiheit in den Schulungen der Bundespolizei, liegt leider falsch.”

6. Das passiert, wenn DHL seine Kund*innen um Fan-Fotos bittet
(jetzt.de)
Der Paketzusteller DHL hat einen Fotowettbewerb gestartet: Unter dem Hashtag #DHLFotowettbewerb sollen Menschen ihr “DHL Fanfoto” posten. Einsendungen gab und gibt es reichlich. Viele von Menschen, die man nicht unbedingt als “DHL Fans” bezeichnen würde. “Jetzt” zeigt einige schöne Beispiele einer verunglückten Social-Media-Kampagne.

“Operation Reisswolf”-Video, Geschmacklos, Newsroom-Klimbim

1. Die Wahrheit über die Operation Reisswolf
(youtube.com, Falter, Video: 4:43 Minuten)
Die “Falter”-Redaktion hat das Video zur “Operation Reisswolf” ausgegraben: “Sehen Sie hier exklusiv, wie ein enger Mitarbeiter von Sebastian Kurz mit Fake-Accounts und falschem Namen 5 Festplatten des Bundeskanzleramts vernichtete.”
Dazu auch: Geheimoperation Reißwolf (sueddeutsche.de).

2. “Finden Sie das nicht geschmacklos?”
(cicero.de, Bastian Brauns)
Beim ARD-Sommerinterview mit dem FDP-Vorsitzenden Christian Lindner stellte die Interviewerin eine Frage, die Lindner schlicht mit “Geschmacklos!” beantwortete. In der Schnellfragerunde hatte ARD-Moderatorin Tina Hassel Lindner die Wahl gelassen zwischen “Lieber Vermögenssteuer oder gleichaltrige Freundin?”. Als sich Lindner über die Art der Fragestellung beschwerte, verteidigte sich Hassel damit, dass es sich um eine Zuschauerfrage handele und sie “Anwalt” der eingehenden Fragen sei. Bastian Brauns erklärt, was an der Frage alles falsch ist.

3. Newsroom-Klimbim
(journalist-magazin.de, Olaf Wittrock)
Bundestagsfraktionen und Parteizentralen muss es wie ein herrlicher Traum vorkommen: Wie schön müsste es sein, wenn man die lästigen Journalistinnen und Journalisten abschütteln könnte und mittels eines eigenen Newsrooms die Berichterstattung lenken könnte? Eine Art Trendsetter ist ausgerechnet die AfD, die dies schon lange angekündigt und dafür angeblich 20 Planstellen geschaffen hat. Olaf Wittrock erklärt, inwieweit die Hoffnungen der Parteien auf die eigenen Nachrichtenzentralen berechtigt sind und inwieweit nicht.

4. Liebe Parlamente: Dass kleineanfragen.de stirbt, ist auch eure Schuld
(netzpolitik.org, Anna Biselli)
Wenn die Dokumentationsseite kleineanfragen.de stirbt, stirbt auch ein kleines Stück Demokratie. Seit fünf Jahren wurde auf der Plattform alles zusammengetragen, was die Parlamentarier aus den Bundes- und Landesparlamenten so wissen wollten. Ende 2020 steht nun das traurige Ende der Seite bevor. Der Grund: “Es fehlt auf Seiten der Parlamente und Verwaltungen an Konsistenz, an einheitlichen Standards und am Wille, etwas Kompatibles und Langfristiges zu schaffen. Es ist eine Sisyphosarbeit, die Informationen zugänglich zu machen. Ein einzelner Mensch, der das bei kleineanfragen.de ehrenamtlich leistete, kann das nicht schaffen.”

5. Die Angst vor dem Wort “Rassismus”
(taz.de, Carolina Schwarz)
Carolina Schwarz hat sich die Medienberichterstattung über einen Angriff auf einen Eritreer in Hessen angeschaut und kritisiert das dabei verwendete Vokabular: “Dass verschiedene Medien den brutalen Vorfall vermelden, ist richtig, doch ihre Wortwahl ist falsch. Bei den Schüssen auf den Eritreer handelt es sich nicht um ein fremdenfeindliches, sondern um ein rassistisches Motiv. Und das ist ein großer Unterschied.”

6. Neue Vorwürfe gegen Spiegel TV wegen Saarbrücken-Film
(saarbruecker-zeitung.de, Niklas Folz)
Die Stadt Saarbrücken hat sich über den “Spiegel TV”-Beitrag “Saarbrooklyn – Der Randbezirk der Gesellschaft” geärgert und bei der zuständigen Medienanstalt Beschwerde eingelegt. Der Fernsehbeitrag sei extrem einseitig und verzerrt. Außerdem habe man der Stadt nicht die Gelegenheit gegeben, sich zu den angeblichen Missständen zu äußern. Weiterhin habe das TV-Team einen “überaus verantwortungslosen Umgang” mit Drogenabhängigen an den Tag gelegt.

Fragen kostet nichts, Antworten bringt bei Bild.de nichts

Immerhin haben sie gefragt, könnte man nun sagen. Aber was bringt das schon, wenn die abschlägige Antwort nicht zählt, und die Bild.de-Redaktion ein Video, das der Urheber nicht bei Bild.de sehen will, doch einfach zeigt?

Am Sonntag fand die Mitgliederversammlung des VfB Stuttgart statt. Sie endete in einem mittelgroßen Chaos, auch weil das extra eingerichtete WLAN offenbar nicht funktionierte, wodurch die im Stadion anwesenden Fans nicht an geplanten Abstimmungen teilnehmen konnten. Unter anderem stand der gestern noch amtierende und inzwischen zurückgetretene VfB-Präsident Wolfgang Dietrich zur Abwahl.

Von dessen Abgang aus dem Stadion unter Beschimpfungen und einem kräftigen Pfeifkonzert nahm der Twitter-User @RikyPalm ein Video auf:

Screenshot eines Tweets von RikyPalm - Dietrichs Abgang - dazu ein Video des Abgangs des da noch amtierenden VfB-Präsidenten

Daraufhin meldete sich die “Bild”-Sportredaktion:

Screenshot eines Tweets von Bild Sport - Hallo lieber Riky, wir von BILD Sport wären interessiert an deinem Video, in dem Wolfgang Dietrich das Stadion verlässt, und würden dieses gerne auf BILD .de zeigen. Wärst du damit einverstanden? Vielen Dank schon mal für deine Rückmeldung und viele Grüße

Nee, damit wäre Riky nicht einverstanden:

Screenshot eines Tweets von RikyPalm- Liebe Bild Sport ich habe kein Interesse daran, dass mein Video auf der Bild-Webseite gezeigt wird.

Und das hat die Bild.de-Redaktion dann natürlich respektiert. Und das hat die Bild.de-Redaktion dann offenbar nicht interessiert:

Screenshot Bild.de - Grenzenlose Fan-Wut beim VfB Stuttgart - VfB-Präsident mit Leibwächtern aus dem Stadion gebracht - dazu ein Video mit der Quellenangabe: Twitter/RikyPalm

Nach mehreren Beschwerden ist “BILD Sport” dieser, ähm, “Fehler” dann heute auch aufgefallen:

Screenshot eines Tweets von Bild Sport- Hallo lieber RikyPalm, das ist ein klarer Fehler von uns – tut uns leid! Wir haben das Video gelöscht. Schönen Montag noch und beste Grüße

Dazu auch:

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Noch so’n Spruch – doch kein Kieferbruch!

“Bild” hat ihn gefunden:

Screenshot Bild.de - Rammstein-Rocker schlägt Hotelgast - Diesen Anwalt hat Lindemann vermöbelt

In einem Münchner Hotel soll Rammstein-Sänger Till Lindemann einen Mann (“DIESEN Anwalt”) angegriffen und verletzt haben. Die Schilderungen, wie es dazu kam, gehen auseinander: Die eine Seite sagt, der später Verletzte habe eine Frau, die mit Lindemann in der Hotelbar saß, zumindest indirekt als Prostituierte bezeichnet, woraufhin Lindemann eine Entschuldigung forderte, woraufhin das spätere Opfer mit geballten Fäusten vorschlug, nach draußen zu gehen, woraufhin Lindemann ihm mit dem Ellenbogen ins Gesicht geschlagen haben soll. “DIESER Anwalt” namens Bernd Roloff sagt hingegen, dass es von ihm keine Beleidigung, keine geballten Fäuste und auch keine Aufforderung, nach draußen zu gehen, gegeben habe. Aber wie das auch immer gewesen sein mag — eines steht laut “Bild”-Autor Stephan Kürthy fest: Einen Kieferbruch, neenee, den hat’s nicht gegeben:

Die Behauptung, Roloff hätte einen Kieferbruch erlitten, stimmte nicht. Roloff: “Ich habe eine Lippe, die genäht werden musste, ein Hämatom am Kopf, ein Hämatom am rechten Arm und am rechten Bein.”

Ja, diese “Behauptung” mit dem Kieferbruch hat ja wirklich gut die Runde gemacht. Von wem stammte die eigentlich? Ah, hier, von Stephan Kürthy und zwei “Bild”-Kollegen:

Laut BILD-Informationen erlitt er einen Kieferbruch.

Und damit diese exklusive “BILD-Informationen” auch jeder mitbekommt, hat die Redaktion das Ganze noch als Tatsache auf der Bild.de-Startseite …

Screenshot Bild.de - Nachts im Hotel in München - Rammstein-Sänger bricht Hotelgast den Kiefer

… und groß in “Bild” präsentiert:

Ausriss Bild-Zeitung - Es ging um eine Frau: Rammstein-Sänger schlägt Hotelgast nieder - Kieferbruch nach Ellbogencheck

Da sie sich bei Bild.de offenbar nicht dafür interessieren, was so auf ihrer Seite steht, ist der “Bild plus”-Artikel zum vermeintlichen Kieferbruch selbstverständlich weiter unverändert online.

Mit Dank an MS4 für den Hinweis!

Nachtrag, 17. Juni: Die Bild.de-Redaktion hat reagiert und ihren Artikel gleich an mehreren Stellen geändert. Die Überschrift lautet nun:

Rammstein-Sänger prügelt Hotel-Gast nieder

Der Satz “Laut BILD-Informationen erlitt er einen Kieferbruch.” ist komplett verschwunden. Dafür findet man am Ende des Textes jetzt folgenden Absatz:

In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, dass Lindemann dem Hotel-Gast den Kiefer brach. Diese Behauptungen stimmten nicht. Der Hotel-Gast musste nach eigenen Angaben an der Lippe genäht werden und erlitt mehrere Hämatome am Kopf, Arm und Bein.

Bild.de lässt mit riesigem “Frauen-Ball” im DFB-Pokal-Finale spielen

Gestern, beim DFB-Pokal-Finale zwischen RB Leipzig und dem FC Bayern München — da war doch irgendwas merkwürdig mit dem Spielball, oder? War der …

Screenshot Bild.de - Bei Bayerns Pokal-Triumph - War der Frauen-Ball nicht richtig aufgepumpt?

Nee, das war’s nicht, was uns aufgefallen war. Aber: Was ist denn ein “Frauen-Ball”? Bild.de erklärt das so:

Leipzig und Bayern spielten beim Finale (0:3) nicht mit dem Bundesliga-Ball von Derbystar, sondern mit einem bunten Adidas-Ball. Das Modell “Conext 19” wird ab dem 7. Juni bei der Frauen-WM verwendet.

Okay, es ist also kein “Frauen-Ball”, sondern ein ganz normaler Fußball, der bald auch bei der Weltmeisterschaft der Frauen eingesetzt werden soll. Das schreibt auch Bild.de irgendwie:

Klar ist aber natürlich: Obwohl er bei der Frauen-WM zum Einsatz kommt, hat er die gleichen Maße wie der Bundesliga-Ball der Männer. Laut Fifa-Regeln sind das 68,5 bis 70 Zentimeter Durchmesser und 410 bis 450 Gramm Gewicht.

Genau, das war das Merkwürdige gestern: die Größe des Balles. Der ragte mit seinen “68,5 bis 70 Zentimetern Durchmesser” den Spielern schließlich bis über deren Knie.

Für dieses Nichtauseinanderhaltenkönnen von Durchmesser und Umfang soll man übrigens zahlen — es handelt sich um einen “Bild plus”-Artikel.

Mit Dank an Stephan J. für den Hinweis!

Nachtrag, 15:23 Uhr: Die Bild.de-Redaktion hat die Stelle — ohne irgendeinen Korrekturhinweis — geändert. Dort steht nun richtig: “Laut Fifa-Regeln sind das 68,5 bis 70 Zentimeter Umfang und 410 bis 450 Gramm Gewicht.” Es gibt also offenbar keine neuen “Fifa-Regeln”, die das Spielen mit Riesenbällen vorschreiben und von denen die “Bild”-Medien exklusiv wussten.

Außerdem haben uns mehrere Leserinnen und Leser noch auf diesen Satz von Bild.de hingewiesen: “Obwohl er bei der Frauen-WM zum Einsatz kommt, hat er die gleichen Maße wie der Bundesliga-Ball der Männer.” Und ja, der ist tatsächlich dämlich und nicht besonders respektvoll den Fußballerinnen gegenüber.

Einmal falschen Wal-Spion mit ohne Kamera aus Russland

Die Rechnung der Deutschen Presse-Agentur (dpa) geht so:

Norwegische Fischer haben am Wochenende einem Wal möglicherweise das Leben gerettet. Vor der Küste von Finnmark im Norden des Landes hatte der Weißwal (Beluga) mehrere Tage lang die Nähe ihres Bootes gesucht. Bei näherer Betrachtung sahen die Männer, dass der Wal Riemen umgebunden hatte. Nach mehreren Versuchen gelang es ihnen, das Tier davon zu befreien.

… plus …

An der Innenseite der Riemen befand sich der Aufdruck “Equipment of St. Petersburg” (Ausrüstung St. Petersburgs).

… plus …

Außerdem war dort eine Kamera befestigt.

… gleich:

Screenshot Zeit Online mit der dpa-Überschrift - Zahmes Tier mit Kamera - Wal in Norwegen von Zaumzeug befreit - Russischer Spion?

Aber wie das bei Additionen so ist: Ist einer der Summanden falsch, stimmt auch was mit der Summe nicht. Sind zwei Summanden falsch, dann erst recht.

Und wie das mit der dpa so ist: Falsche Fakten, die die Agentur in Umlauf bringt, landen bei sehr vielen Medien.

Erstmal zur angeblich am Riemen befestigten Kamera: Die gibt es nicht. An dem Gurt, von dem die Fischer den Wal befreit haben, soll zwar auch eine Halterung für eine Kamera angebracht gewesen sein, aber keine Kamera. Das bestätigte Audun Rikardsen von der Arktischen Universität in Tromsø — den auch die dpa mit anderen Aussagen zitiert — der BBC:

Prof Rikardsen told the BBC that the harness “was attached really tightly round its head, in front of its pectoral fins and it had clips”. He said there was a GoPro attachment, but no camera.

Und dann zum angeblichen “Aufdruck ‘Equipment of St. Petersburg’ (Ausrüstung St. Petersburgs)”, der sich “an der Innenseite der Riemen” befinden soll. Nun könnte man sich natürlich erstmal wundern, dass ein möglicher tierischer Spion von wem auch immer losgeschickt wird mit einem ziemlich klaren Hinweise auf den Auftraggeber. Vor allem aber sollte man sich den Gurt mal genauer anschauen. Dann würde man nämlich sehen, dass der Aufdruck erstens nicht “an der Innenseite” zu finden ist, sondern auf der Schnalle; und dass er zweitens nicht “Equipment of St. Petersburg” lautet, sondern “Equipment St. Petersburg” — also ohne “of”. Das mag nach Erbsenzählerei klingen, ist aber nicht ganz unwichtig: Es gibt eine russische Firma, die Utensilien für Outdoor-Aktivitäten herstellt und verkauft. Ihr Name: Снаряжение, was übersetzt so viel heißt wie “Ausrüstung” oder “Equipment”. Ihr Sitz: St. Petersburg. Das aktuelle Logo dieser Firma ähnelt bereits ziemlich jenem, das auf der Schnalle des Gurtes zu sehen ist. Das alte Firmenlogo ist exakt jenes, das sich auch auf der Schnalle befindet. Der Aufdruck ist also erstmal nur ein Hinweis darauf, dass es sich um ein Produkt einer russischen Firma handelt, das jeder kaufen konnte.

Die dpa-Meldung ist mit ihren Fehlern auch bei Bild.de gelandet:

Screenshot Bild.de - Vor Norwegens Küste entdeckt - Ist dieser Beluga Wal ein russischer Spion?

Zusätzlich hat die Bild.de-Redaktion noch ein exklusives Zitat, nun ja, eingeholt:

Joar Hesten, einer der Seeleute, sei mit seinem Kollegen Joergen Ree Wiig ins kalte Wasser gesprungen, als sie den Beluga sahen. Wiig: “Das norwegische Militär hat großes Interesse an der Kamera gezeigt”.

… was etwas überraschend ist angesichts der Tatsache, dass überhaupt keine Kamera gefunden wurde. Bild.de wird doch nicht etwa wörtliche Zitate erfinden?

Mit Dank an Alex und @ReneG_20_19 für die Hinweise!

Nachtrag, 17:39 Uhr: Die dpa hat auf unsere Kritik reagiert und die “Berichterstattung entsprechend berichtigt”.

DW-Türkei-Kanal, Steingarts Podcast-Expansion, Ungültiges Baby

1. “Journalismus ohne Risiko gibt es nicht.”
(sueddeutsche.de, Hans Hoff)
Die Deutsche Welle (DW) hat sich mit einigen internationalen Partnern zusammengetan und einen YouTube-Kanal für die Türkei gestartet. In Anlehnung an die türkische Ländervorwahl hat man den Kanal “+90” getauft. “Kontakt halten, Meinungsfreiheit und Vielfalt stärken” sei das Ziel. Man setze auf längere Erklärstücke und wolle keinen “Billigramsch” anbieten, so Intendant Peter Limbourg über die Pläne des Senders.

2. Phoenix lässt über Misstrauen gegen Medien diskutieren
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Am 3. Mai wird der Internationale Tag der Pressefreiheit begangen. Bereits am Vorabend bietet der Fernsehsender Phoenix einen Themenabend unter dem Motto “Wie mächtig sind Medien?” an. Zunächst gibt es drei Dokus über die Situation in den USA. Um 21:45 Uhr geht es dann in einer Diskussion um das gewachsene Misstrauen gegenüber den Medien und die Frage, inwiefern diese selbst dazu beigetragen haben.

3. Was für ein Job!
(twitter.com, Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs, Video: 1 Minute)
Die Redaktion von “Zeiglers wunderbarer Welt des Fußballs” (WDR) hat einen wunderbaren Filmschnipsel von 1977 aus dem Archiv ausgegraben: “Was für ein Job! Dieser Mann betreibt alleine einen Fussball-Ergebnisdienst. Er hört mit Kurzwellengeräten ausländische Radiosender ab und verkauft die Ergebnisse an deutsche Sender.”

4. Diese Instagram-Accounts gingen im April durch die Decke
(horizont.net, Giuseppe Rondinella)
“Horizont Online” lässt regelmäßig die wachstumsstärksten deutschsprachigen Instagram-Accounts ermitteln. Im April kommen die Top 4 der Kanäle mit dem größten Follower-Zuwachs aus Heidi Klums Model-Rekrutierungsmaschine “Germany’s Next Topmodel”.

5. Ohne Werbung: Gabor Steingart baut an einem Medienimperium mit 30 neuen Leuten.
(turi2.de, Markus Trantow & Peter Turi)
Gabor Steingart war zwei Jahrzehnte beim “Spiegel” und danach einige Jahre in führender Position beim “Handelsblatt”. Vergangenes Jahr hat Steingart ein eigenes Medienunternehmen gegründet und bietet den täglichen Newsletter “Morning Briefing” und einen begleitenden Podcast an. Nun will er expandieren und für fünf bis zehn neue Podcasts sein Personal von 20 auf 50 Mitarbeiter aufstocken.
Weiterer Lesehinweis: Podcast Logbuch: Netzpolitik feiert 300. Ausgabe mit einer Gala in Berlin (netzpolitik.org, Markus Reuter).

6. Glücks-Tragödie bei Harry & Meghan: Ist ihr Baby ungültig?
(uebermedien.de, Mats Schönauer)
Yellow-Press-Experte Mats Schönauer pflegt beim medienkritischen Onlineportal “Übermedien” die Rubrik “Topf voll Gold”. Anlässlich der Schwangerschaft von Herzogin Meghan lädt Schönauer zum lustigen Schlagzeilenbasteln ein: Anhand einer vorgegebenen, eher nüchternen bis langweiligen Meldung darf man raten, was ein Regenbogenblatt Knalliges daraus gemacht hat. Die Ergebnisse dürften überraschen.

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“Bild”, Kai Diekmann und der Wunder-Krebstest

Vor zwei Monaten verkündete die “Bild”-Zeitung eine “Weltsensation”, die jedoch gar keine war — und die sich zu einem wissenschaftlichen und journalistischen Skandal entwickelte, zu dem inzwischen sogar die Staatsanwaltschaft ermittelt. Beteiligte, unter anderem: die Uniklinik Heidelberg und ein chinesisches Pharmaunternehmen. Auch Ex-“Bild”-Chef Kai Diekmann spielt bei der Geschichte eine Rolle.

Eine Chronik.

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21. Februar 2019: Exklusiv bejubelt die “Bild”-Zeitung auf der Titelseite eine “Weltsensation aus Deutschland”:

Es sei “ein echter Durchbruch”, heißt es da, eine “medizinische Sensation”:

Seit vielen Jahren wird daran geforscht, Krebs im Blut zu erkennen. Ärzte der Universitätsklinik Heidelberg erreichten jetzt revolutionäre Ergebnisse: Sie weisen mit einem Test Brustkrebs im Blut nach. Und zwar mit einer Treffsicherheit, die vergleichbar ist mit der einer Mammografie! Wie BILD exklusiv erfuhr, soll der Bluttest noch in diesem Jahr auf den Markt kommen.

Im Innenteil: ein großes Interview mit Christof Sohn, dem Geschäftsführenden Ärztlichen Direktor der Universitäts-Frauenklinik Heidelberg.

Darin darf er den Bluttest ausführlich bewerben: viel sicherer als bisherige Tests, hohe Treffsicherheit, besonders gut für Risikopatientiennen, und so weiter und so fort.

Am selben Tag gibt die Uniklinik eine Pressemitteilung heraus, in der sie die “neue, revolutionäre Möglichkeit” des Bluttests noch einmal selbst feiert: “Dies ist ein Meilenstein in der Brustkrebsdiagnostik”, schreibt sie.

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21. bis 27. Februar 2019: Andere Medien greifen die Geschichte auf. Dabei melden einige schon Zweifel an, etwa “Spiegel Online” oder die “Zeit”. Viele aber, etwa “Focus Online” oder “DerWesten”, verlassen sich blind auf “Bild” und bezeichnen den Bluttest ihrerseits als “Sensation”, “Durchbruch” oder “Revolution”.


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27. Februar 2019: Sieben renommierte Verbände, von der Deutschen Krebsgesellschaft über die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe bis zur Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie, geben eine gemeinsame Stellungnahme heraus, in der sie die Berichterstattung kritisieren:

Eine Berichterstattung, die ohne Evidenzgrundlage Hoffnungen bei Betroffenen weckt, ist aus unserer Sicht kritisch zu bewerten und entspricht nicht den von uns vertretenen Grundsätzen medizin-ethischer Verantwortung.

Es sei einfach noch zu früh für Jubelstimmung, so die Experten: Die Studie sei “noch nicht abgeschlossen, die Ergebnisse sind nicht in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift publiziert und der Test noch nicht zugelassen”. Daher “halten wir Schlussfolgerungen über die Validität und den klinischen Nutzen für verfrüht und raten ausdrücklich davon ab, diagnostische oder therapeutische Entscheidungen basierend auf Blutuntersuchungen zu treffen, die nicht von nationalen oder internationalen Leitlinien empfohlen werden.”

In den nächsten Tagen häuft sich die Kritik an der “Bild”-Berichterstattung, aber auch am Vorgehen der Heidelberger Forscher. So schreibt etwa Gerd Gigerenzer vom Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung:

Nach üblichen wissenschaftlichen Standards veröffentlichen Forscher zuerst eine Studie in einer Fachzeitschrift, die dort begutachtet wird, und gehen erst dann an die Presse. Beim Bluttest wurde dieser Standard nicht eingehalten. Die Heidelberger Forscher sind zuerst medienwirksam zur BILD-Zeitung gegangen. Eine wissenschaftliche Veröffentlichung liegt nicht vor.

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8. März 2019: Der Journalist Jan-Martin Wiarda berichtet in seinem Blog und bei den “Riffreportern” ausführlich über den Fall und deckt weitere Merkwürdigkeiten auf. “Welche Rolle spielt das Joint Venture mit einem chinesischen Pharma-Unternehmen?”, fragt er unter anderem, denn: Partner der Uniklinik sei ein chinesisches Pharmaunternehmen, dessen Aktienkurs seit einigen Tagen, insbesondere seit der gehypten Berichterstattung über den Bluttest, einen steilen Anstieg zeige.

Erstmals äußert sich auch Christof Sohn, der Geschäftsführende Ärztliche Direktor der Universitäts-Frauenklinik, der von “Bild” groß interviewt wurde, zur Formulierung “Weltsensation”: Diese Schlagzeile sei nicht angebracht gewesen, er habe sie vor Veröffentlichung auch nicht gekannt, und er und seine Kollegen hätten sie “in dieser Form” nicht mitgetragen.

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20. März 2019: Die “Rhein-Neckar-Zeitung” (“RNZ”) steigt in die Berichterstattung ein und leistet in den darauffolgenden Wochen ausgezeichnete journalistische Arbeit; ihre zahlreichen Artikel sind unter rnz.de/heiscreen nachzulesen.

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22. März 2019: Der Aktienkurs des chinesischen Pharmaunternehmens erreicht den höchsten Stand seit acht Monaten. Seit dem 21. Februar, dem Erscheinungstag des “Bild”-Artikels und der Pressemitteilung der Uniklinik, ist der Kurs um fast 60 Prozent gestiegen:

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23. bis 29. März 2019: Die Kritik reißt nicht ab. Das Wissenschaftsministerium Baden-Württemberg erklärt in der “RNZ”, dass die “verfrühte Kommunikation nicht den hohen Ansprüchen an eine verantwortungsvolle Wissenschaftskommunikation entspreche”. Gerade im medizinischen Bereich, “der für die Betroffenen mit so viel Ängsten und großer Hoffnung verbunden ist, darf es keine Effekthascherei geben”. Auch die Heidelberger Universität teilt mit, dass sie “eine umfassende Klärung der Vorgänge für zwingend erforderlich” halte.

Die Uniklinik ist derweil um Schadensbegrenzung bemüht. Sie “bedauert, dass es zu Irritationen gekommen ist” und verkündet die Gründung einer internen Arbeitsgruppe und einer externen Expertenkommission, die die Vorgänge aufarbeiten sollen.

Außerdem distanziert sie sich von der PR-Strategie zum Bluttest: Die Medienbegleitung habe die Heiscreen GmbH verantwortet, sagt die Kliniksprecherin der dpa. (Die Heiscreen GmbH wurde 2017 gegründet und soll den Bluttest in Deutschland vermarkten. Hauptanteilseigner ist eine Tochterfirma der Uniklinik, weitere Anteile hält über eine Beteiligungsgesellschaft der schillernde Unternehmer Jürgen Harder. Auch der von “Bild” interviewte Christof Sohn und eine weitere Ärztin der Uniklinik sind an der Heiscreen GmbH beteiligt.)

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30. März 2019: Der “Spiegel” berichtet über “Das Märchen vom Wundertest aus Heidelberg” und bringt einen alten Bekannten ins Spiel:

Wie die angebliche Weltsensation am Ende genau in der “Bild”-Zeitung landete, ist zwar nur schwer nachzuvollziehen. Fest steht aber: Ohne Zustimmung vonseiten des Universitätsklinikums ist dies nicht geschehen. Auch ein weiterer Bekannter Harders war daran offenbar beteiligt: Ex-“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann, der sich dazu nicht äußern will. Aber was wäre der Mann für ein Journalist, wenn er sich nicht dafür einsetzen würde, dass ein Thema, das ihm am Herzen liegt, in seine alte Zeitung kommt?

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4. April 2019: Die Uniklinik erstattet Anzeige gegen Unbekannt — warum genau, wird allerdings nicht klar. In einer Pressemitteilung teilt sie lediglich mit, dass sie sich “aufgrund der Anzeichen eines unlauteren Vorgehens bei der Entwicklung und Ankündigung” des Bluttests zu diesem Schritt veranlasst sehe. Der Sprecher der Heidelberger Staatsanwaltschaft erklärt in der “RNZ”, in der eingegangenen Anzeige stünden “weder der vermutete Tatbestand, noch weitere Hintergründe zum Sachverhalt, noch Personen, gegen die sich die Strafanzeige richtet.” Das sei sehr ungewöhnlich. Sollte sich jedoch ein Anfangsverdacht ergeben, werde die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen aufnehmen.

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6. April 2019: Die “RNZ” berichtet, dass Vorstand und Pressestelle des Klinikums “sehr frühzeitig in die unseriöse PR-Kampagne eingeweiht” waren. So sei das “Bild”-Interview …

sowohl von der Pressestelle der Uniklinik als auch von zwei Vorständen gegengelesen worden. Achtete die Ärztliche Direktorin Annette Grüters-Kieslich auf inhaltliche Korrekturen, so freute sich der Dekan der Medizinischen Fakultät, Andreas Draguhn, über die wissenschaftliche Korrektheit: “Präziser, als ich es ‘Bild’ zugetraut hätte”.

Auch die Pressemitteilung der Klinik sei “in großer Runde abgesprochen” worden. Der Entwurf sei unter anderem an Kai Diekmann geschickt worden.

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11. April 2019: Die “RNZ” geht genauer auf die Rolle Diekmanns ein:

Kai Diekmann war von 2001 bis 2015 Chefredakteur der “Bild”-Zeitung. 2018 startete er mit dem Investmentbanker Lenny Fischer den “Zukunftsfonds”. Die Markenstrategie für diesen Kapitalanlagefonds entwickelte die Digitalagentur “diesdas.digital” — die auch für die Heiscreen GmbH den Internetauftritt machte. Diekmann war “bei mehreren Treffen” in Sachen Brustkrebstest dabei, wie er der RNZ sagte, “aus Interesse”. Finanziell beteiligt sei er aber nicht. Jürgen Harder bezeichnet er gegenüber der RNZ als “persönlichen Freund”.

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11. April 2019: Die Staatsanwaltschaft nimmt die Ermittlungen auf. Genauer: die Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität in Mannheim. Die Anweisung dazu habe die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe erteilt, schreibt die “RNZ”:

Hintergrund der Ermittlungen soll unter anderem der Verdacht auf Kursmanipulation und Insiderhandel mit Aktien sein. Die “Bild”-Schlagzeile “Weltsensation aus Heidelberg” könnte in diesem Szenario eine gewichtige Rolle spielen, weil sie womöglich den Kurs einer Aktie in China beflügelt hat. Zwar gibt man sich bei der Justiz bedeckt und verweist lediglich auf erste Erkenntnisse durch die Berichterstattung der RNZ — ermittelt wird schließlich “in allen rechtlichen Belangen”. Dennoch kam schnell der Verdacht auf, dass hinter dem “Bluttest-Skandal” im Grunde ein Verstoß gegen das Wertpapierhandelsgesetz stecken könnte.

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14. April 2019: In der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” (“FAS”) kritisiert die Leitende Ärztliche Direktorin des Klinikums, Annette Grüters-Kieslich, die Wortwahl der “Bild”-Zeitung:

“Die Schlagzeile einer Boulevardzeitung, die von einer Weltsensation in diesem Zusammenhang sprach, hat mich betroffen gemacht. Als Ärztin und Wissenschaftlerin hätte ich niemals von einer Weltsensation gesprochen; ich habe eine solche Wertung stets als vollkommen irreführend angesehen.” Man sei damit befasst, die Verantwortlichkeiten zu klären und werde die Öffentlichkeit so schnell wie möglich informieren.

Zudem deckt die “FAS” neue Details auf. So sei für die PR-Kampagne unter anderem Christina Afting zuständig gewesen — die frühere Büroleiterin von Kai Diekmann bei “Bild”. Mit der “Bild”-Berichterstattung, so Afting, habe sie jedoch nichts zu tun gehabt. Laut “FAS” soll die PR-Kampagne etwa 80.000 Euro gekostet haben.

Neben den Staatsanwälten aus Mannheim würden sich demnächst auch Spezialermittler des Landeskriminalamtes mit dem Fall befassen, schreibt die “FAS”.

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Heute: Noch sind eine Menge Fragen offen. Fest steht aber: Viele Details wären ohne die hartnäckige Arbeit einiger Journalisten, vor allem von “Riffreporter” Jan-Martin Wiarda und den Journalisten der “Rhein-Neckar-Zeitung”, wohl nie an die Öffentlichkeit gelangt. Und: Obwohl die Berichterstattung der “Bild”-Zeitung, insbesondere die Bezeichnung als “Weltsensation”, von Experten als verantwortungslos und selbst von der Klinikleitung als “vollkommen irreführend” gewertet wird, steht sie auch heute noch unverändert online.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

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Nachtrag, 26. April: Wir haben die Überschrift und den ersten Absatz geändert, weil der Eindruck entstehen konnte, dass die Staatsanwaltschaft in der Sache gegen Kai Diekmann ermittelt. Dem ist nicht so.

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Nachtrag 2, 26. April: Inzwischen liegt der “RNZ” die Rechnung für die PR-Kampagne vor, die die Düsseldorfer Beratungsagentur Deekeling Arndt Advisors an die Heiscreen GmbH geschickt hat:

79.420,78 Euro rechnen die Berater ab. Sie übernahmen das gesamte Projektmanagement rund um die PR-Kampagne: das Kommunikationskonzept, die Pressemitteilung, die Pressekonferenz am 21. Februar auf einem Kongress in Düsseldorf sowie die Beantwortung und Koordination von Medienanfragen.

Besonders intensiv abgestimmt wurde die Kampagne offenbar in den zehn Tagen vor dem großen Aufschlag am 21. Februar. “Tägliche Telefonkonferenzen zwischen dem 12. und 22. Februar 2019”, listet die Agentur auf. In Rechnung gestellt werden “enge telefonische Abstimmungen und Rücksprachen” unter anderen mit dem früheren “Bild”-Chef Kai Diekmann, Heiscreen-Geschäftsführer Dirk Hessel, den Bluttest-Erfindern Sarah Schott und Christof Sohn, Harders Anwalt Thomas Dörmer sowie Doris Rübsam-Brodkorb, der Pressesprecherin des Universitätsklinikums.

Bemerkenswert ist die enge Abstimmung mit Kai Diekmann, dem Ex-Chefredakteur der “Bild”-Zeitung und persönlichen Freund von Jürgen Harder. Dazu passt: Die Rechnung hat Christina Afting geschickt. Sie ist “Managing Director” bei der Agentur — und leitete früher das Büro Diekmann bei der “Bild”.

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23.Mai: Das Blog “Medwatch” berichtet, dass der Test “anders als bislang kommuniziert nicht nur nicht marktreif ist — sondern eigentlich wertlos.” Das gehe aus Unterlagen hervor, die “Medwatch” von der Pressestelle der Uniklinik erhielt.

Demnach erhält fast jede zweite gesunde Frau einen falsch positiven Befund — was bislang öffentlich nicht thematisiert wurde. Bei Frauen, die älter als 50 Jahre sind, ist der Wert etwas besser: Bei diesen erhält gut jede vierte gesunde Frau einen falschen Krebsbefund, doch übersieht der Test bei zwei von fünf Brustkrebspatientinnen über 50 den Tumor.

Als besonders vielversprechend bezeichnete die Uniklinik den Test für Frauen bis 50, sowie für Hochrisikopatientinnen mit genetischen Mutationen. Dabei schlägt der Test bei der jüngeren Gruppe von Brustkrebspatientinnen zwar in 86 Prozent aller Fälle korrekt an, doch liegt hier die Spezifität bei nur 45 Prozent: Der Test liefert also bei 55 Prozent der gesunden Frauen einen falsch positiven Befund. Bei Hochrisikopatientinnen liegt die Sensitivität bei 90 Prozent, doch wiederum erhält mehr als jede zweite gesunde Frau einen falschen Krebsbefund. Dies hieße, dass ein Großteil aller Frauen, die über den Bluttest einen Krebs-Befund erhalten, in Wahrheit gesund sind.

“Medwatch” kritisiert auch die Berichterstattung verschiedener Medien, etwa die des “Focus”, der auch noch einen Monat nach Lautwerden der Zweifel titelte: “Die Sensation aus Heidelberg: Mit Bluttest Brustkrebs erkennen”.

Focus-Titselseite: Wie wir den Krebs besiegen - Mediziner können immer mehr Krebsarten erfolgreich behandeln - kleiner Schlagzeile auf der Titelseite: Die Sensation aus Heidelberg - Mit Bluttest Brustkrebs erkennen

Die “Bild”-Zeitung habe ihre Leser “bislang noch nicht über die weiteren Entwicklungen” informiert, schreibt “Medwatch”. Auf “mehrere Fragen zur Berichterstattung über den Bluttest” habe der Axel-Springer-Verlag geantwortet: “Bitte haben Sie Verständnis, dass wir redaktionelle Prozesse und Entscheidungen grundsätzlich nicht kommentieren.”

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16. August: Der Deutsche Rat für Public Relations hat die “Täuschung der Öffentlichkeit im Fall HeiScreen” gerügt:

Nach intensiver Überprüfung und Anhörung aller beteiligten Parteien hat der Deutsche Rat für Public Relations dem Vorstand des Universitätsklinikums Heidelberg und der HeiScreen GmbH eine Rüge wegen bewusster Falschbehauptung und Täuschung der Öffentlichkeit ausgesprochen. (…)

Der Rat hatte sich zur Prüfung des Falles entschieden und sieht es als erwiesen an, dass beide Parteien bei der Vorstellung des „neuen“ Verfahrens zur Diagnose von Brustkrebs eine öffentliche Produktvorstellung zugelassen und begleitet haben, die weder in Wortwahl, Zeitpunkt und Format angemessen, noch im Hinblick auf abgeschlossene Studien und die angekündigte Marktreife der Wahrheit entsprochen hat.

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29. August: Nach mehrfacher Beschwerde beim “Ombudsmann” hat “Bild” nun eine Anmerkung unter den Artikeln veröffentlicht (Links im Original):

Aktualisierung – August 2019
Die Uniklinik Heidelberg hat mittlerweile zurückgenommen, dass der oben beschriebene Bluttest zur Erkennung von Brustkrebs noch dieses Jahr auf den Markt kommen wird.

Eine unabhängige Prüfkommission hat als Zwischenergebnis unter anderem veröffentlicht, dass der Test zu früh der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, es „Führungsversagen“ und „Machtmissbrauch“ an der Universitätsklinik gab.

Inzwischen sind der Medizin-Dekan der Heidelberger Uniklinik sowie zwei Mitglieder des Vorstandes zurückgetreten. Außerdem wurde dem Direktor der Unifrauenklinik für drei Monate die Lehr- und Forschungserlaubnis entzogen.

BILD veröffentlichte am 21. Februar 2019 einen Artikel über den neuen Bluttest. Der Text basierte auf einer offiziellen Pressemitteilung des Universitätsklinikums Heidelberg, in der der neue Test als „revolutionäre Möglichkeit“ und als „Meilenstein in der Brustkrebsdiagnostik“ bezeichnet wurde, sowie auf einem autorisierten Interview. Der Test wurde am 21.2. außerdem auf dem Gynäkologen-Kongress in Düsseldorf vorgestellt.

Wie geht es mit dem Test nun weiter? Das ist im Moment unklar. Abzuwarten bleibt, was die angekündigten größeren Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit des Tests ergeben. Dass diese noch ausstehen, hatte Bild direkt zu Anfang geschrieben (siehe hier). Die Ergebnisse lassen aber weiterhin auf sich warten.

BILD informiert, sobald es neue, fundierte Angaben zum Test gibt.

Sonst hat sich aber nichts geändert. Überschrift, weiterhin: “Warum dieser Test eine Weltsensation ist”.

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13. September: Nun wurde die Berichterstattung auch vom Deutschen Presserat gerügt:

Eine Rüge erhielt BILD.DE für die Veröffentlichung einer Exklusiv-Geschichte unter der Überschrift „Erster Blut-Test erkennt zuverlässig Brustkrebs“ über einen von Heidelberger Forschern entwickelten Brustkrebs-Test. Der Beschwerdeausschuss stellte Verstöße gegen die gebotene Sorgfalt in der Medizin-Berichterstattung (Ziffern 2 und 14 des Pressekodex) fest. Der Artikel über das als „medizinische Sensation“ beschriebene Testverfahren beruhte allein auf einer Pressemitteilung des Universitätsklinikums und Aussagen der beteiligten Forscher und war geeignet, unberechtigte Hoffnungen bei Betroffenen zu wecken. Wie sich später herausstellte, hatten die Forscher den Stand des Testverfahrens positiver dargestellt, als es dem Forschungsstand entsprach. Die Redaktion hatte bei ihrer exklusiven Berichterstattung versäumt, die gemachten Angaben durch weitere Quellen zu überprüfen.

Bild.de hat kein Problem mit Kreml-Quelle

“WikiLeaks”-Gründer Julian Assange wurde heute in der ecuadorianischen Botschaft in London verhaftet, nachdem Ecuador sein Asyl aufgehoben und ihm die Staatsbürgerschaft entzogen hatte. Auch Bild.de berichtet:

Screenshot Bild.de - Festnahme in London! Hier trägt die Polizei Assange aus der Botschaft

“MIT VIDEO”. Und die Quelle dieses Videos ist recht interessant. Bei Bild.de gibt es keine Angaben dazu, woher die Aufnahmen stammen, die die Redaktion zeigt:

Screenshot Bild.de - Quelle: - es folgt nichts

Aber im Video gibt es einen optischen Hinweis darauf. Diese kleine halbtransparente graue Ecke …

Screenshot Bild.de - Standbild aus dem Assange-Video mit einem Pfeil auf die graue Ecke

… ist das Überbleibsel des nicht komplett rausgeschnittenen Wasserzeichens von “Ruptly”:

Screenshot von Youtube - Standbild aus dem Assange-Video von Ruptly

Die Nachrichtenagentur hatte das Video von Assanges Abtransport exklusiv veröffentlicht, versehen mit dem Hinweis:

MANDATORY ON-SCREEN CREDIT THROUGHOUT: RUPTLY; ONLINE MEDIA MUST CREDIT RUPTLY

*** This file is on request. Please reach out to (…) for access or licensing information ***

Nun ist “Ruptly” nicht irgendeine Nachrichtenagentur. Sie gehört zum Netzwerk des russischen Propagandasenders RT, den die “Bild”-Redaktion wie kaum etwas anderes hasst. Wenn es dort aber ein interessantes Video gibt, bedient sich Bild.de gern, schneidet das Material so zurecht, dass man das Wasserzeichen (fast) nicht mehr sieht, packt das eigene Logo auf die Aufnahmen und schaltet Werbung davor.

Im Januar berichtete “Bild”-Redakteur Julian Röpcke empört, dass das ZDF bei einer Live-Übertragung einer Veranstaltung mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf die technischen Dienste von “Ruptly” zurückgriff:

Screenshot Bild.de - TV-Gebühren für Russland-Propaganda - ZDF hat kein Problem mit Kreml-Partner

Bild.de bei entsprechenden Videoaufnahmen anscheinend auch nicht.

Mit Dank an @Benno_Leitner für den Hinweis!

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