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Die Nachricht von heute: Ein Porno vom Vorjahr

Sicher, man kann praktisch überall auf eine heiße Story stoßen, aber bei der, die jetzt folgt, fragt man sich schon, ob der Redakteur privat darüber gestolpert ist, ob ihm ein Informant den entscheidenden Hinweis gab oder ob in der Redaktion von “Bild” deutlich laxere Regeln herrschen als in den meisten anderen Büros. Aber entscheiden Sie selbst:

“Dient die Dresdner Innenstadt neuerdings als Kulisse für Amateurpornos?”, fragt “Bild” Dresden unter der Überschrift “Porno-Skandal an der Elbe” gewohnt investigativ und berichtet ausführlich über ein Video, das ein junges Paar beim Sex zeigt und das, so “Bild”, “im Internet schockiert”. In einem Folgeartikel (der Erste scheint auf Bild.de gut geklickt worden zu sein…) heißt es sogar:

Völlig enthemmt hat das Paar Sex und filmte sich sogar dabei!
Doch das war den Frei-Sexlern noch nicht genug: Alle sollten von ihrem hemmungslosen Treiben erfahren, und so stellten sie das Video in (sic!) Internet und riefen die Zuschauer sogar noch zu Bewertungen auf.

Vom “hemmungslosen Treiben” der “Frei-Sexler” sollten, bevor “Bild” das Video aufstöberte, vor allem die Besucher der anmeldepflichtigen Amateurpornoseite mydirtyhobby.com erfahren — und die waren vermutlich nicht sonderlich “schockiert”. So aber durften wenigstens auch die Eltern der Hauptdarstellerin das dirty Hobby ihrer Tochter kennenlernen:

Sex-Dreh in Dresdens Innenstadt - Porno-Skandal an der Elbe ... Diese Zeilen & das ein oder andere

Wer es dann noch ganz genau nehmen will, der könnte einwenden, dass das Video gar nicht am “helllichten Tage” gedreht wurde, wie “Bild” behauptet, sondern, wenn man lieber der Beschreibung des Videos durch die Hauptdarstellerin selbst und dem Stand der Sonne Glauben schenken mag, frühmorgens. Deutlich schwerer wiegt da schon, dass laut Einstellungsdatum des Videos die ganze Geschichte schon über ein Jahr her ist und nicht, wie “Bild” es formuliert, “kürzlich” passierte.

hinzugefügt: 16.04.09

Aber hey, was soll man sich mit solchen Nebensächlichkeiten herumschlagen, wenn sich das Blut aus dem Kopf gerade in eine andere Körperregion verabschiedet hat?

Mit Dank an Ronny R. und Tobias.

Luxushotels, Zeilenhonorare, Yasmin

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Interessiert eigentlich jemanden, was in Griechenland wirklich passiert?”
(print-wuergt.de, Michalis Pantelouris)
Michalis Pantelouris bemängelt die Vor-Ort-Recherche von “Spiegel Online” in Athen, die sich statt auf der Straße auf der Dachterrasse eines Luxushotels abspiele. In einem zweiten Beitrag wird geklärt, wann griechische Beamte in Rente gehen können.

2. “Journalisten nicht wie Bittsteller behandeln”
(kress.de, Matthias Spielkamp)
Kress.de dokumentiert eine Rede von Matthias Spielkamp, die unter anderem die manchmal nur aus wenigen Cents bestehenden Zeilenhonorare von freien Journalisten zum Thema hat. Nachtrag, 5. Juni: Inzwischen ist der Text nur noch hier kostenlos zu lesen.

3. “SF: 20 Unterschriften für eine Beschwerde gesucht”
(arlesheimreloaded.ch, Manfred Messmer)
Manfred Messmer dokumentiert eine Beschwerde von Journalist Markus Schär an die “Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen” UBI. Das Schweizer Fernsehen SF habe “keinen einzigen Beitrag zur Kritik an der Klimaforschung gebracht, auch nicht zur Debatte um den Weltklimarat IPCC und seinen Chef Rajendra Pachauri, die Anfang Jahr weltweit grosses Aufsehen erregte und über die jedes ernstzunehmende Medium berichtete”.

4. “An meine Kritiker”
(zeit.de, Helene Hegemann)
Romanautorin Helene Hegemann kritisiert angesichts der Plagiatsdebatte um ihr Buch “Axolotl Roadkill”, dass viele Journalisten sich weigerten, “die eigentlich wichtigste Tatsache” mit einzubeziehen: “nämlich dass es sich bei der als Plagiat bezeichneten Menge von (nicht abgeschriebenen, sondern modifiziert in einen komplett anderen Kontext gesetzten) Stellen um zusammen genommen circa eine einzige von 206 Buchseiten handelt. (…) Die genaue Zahl der Stellen wurde konsequent ausgespart, und zwar ausschließlich, weil sie die Luftblase des perfekten Skandals zum Platzen gebracht hätte.”

5. “Yasmin – zurück im Alltag”
(nzz.ch, Alan Niederer)
“Was von der medialen Kritik an der Antibabypille geblieben ist.”

6. “Die anonyme Welt der Geheimnisverräter”
(jungle-world.com, Elke Wittich)
Elke Wittich setzt sich kritisch mit Wikileaks auseinander. Julian Assange, einer der Sprecher der Whistleblower-Plattform, antwortet hier auf den im Text angesprochenen Artikel “Inside WikiLeaks’ Leak Factory”.

Blick  

Barack Obama in der Gerüchte-Aufwärm-Küche

Es gibt einige Anhaltspunkte, die darauf hindeuten, dass eine Story totaler Quatsch ist:

  • Die Story gab es vor anderthalb Jahren schon mal, mit den genau gleichen Vorwürfen und Protagonisten.
  • Die Story wird nur auf Papier, nicht aber online veröffentlicht.
  • Kein Journalist steht mit seinem Namen zur Story, sie wird also sozusagen anonym veröffentlicht.
  • Von Wahrheit spricht niemand, die Story ist gespickt mit den Worten “angeblich” und “soll”.
  • Kein anderes Medium berichtet über die Story, die, wenn sie wahr wäre, ungeahnte Folgen haben könnte.
  • Die einzige Quelle der Story ist ein berühmt-berüchtigtes Boulevardblatt.
  • Die Quelle der Story ist (vorübergehend?) nicht zugänglich (“Page unavailable/under construction”).

All diese Punkte treffen auf eine Geschichte im heutigen “Blick” zu.

Es geht darin um Vera Baker, die Barack Obama 2004 bei der Wahlkampagne für den Senat von Illinois als Finanzchefin unterstützte. Von der “Mail on Sunday” auf den Vorwurf angesprochen, sie habe eine Affäre mit dem späteren US-Präsidenten gehabt, sagte sie im Oktober 2008: “Nichts passierte.”

Neu ist nur das – ausschließlich vom “Globe Magazine” verbreitete – Gerücht, dass die beiden gemeinsam in einem Hotel gesichtet wurden, was ein Augenzeugenbericht und ein Video beweisen sollen. Alles andere ist seit 2008 bekannt und dementiert. Darum gehört die Story in ihrer jetzigen Sachlage in den Papierkorb.

Oder auf das Titelblatt:

Hat Obama seine Michelle betrogen?

Seite 12:

"Obama im Hotel erwischt

Mit Dank an Jonas A. für den Hinweis und Klartext für die Scans.

Apple, Leserkommentare, VG Wort

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Beten und Steve Jobs danken”
(epd.de, Martin Meuthen)
Martin Meuthen kommentiert das Verhältnis zwischen den Zeitungsverlagen und Apple. “Renommierte Nachrichtenportale schalten Live-Ticker, Fernsehsender bringen Hintergrundberichte, wenn Apple-Guru Steve Jobs gewohnt unrasiert und in einem Aufzug, als käme er gerade aus dem Baumarkt, die neuesten der sogenannten Meilensteine vorstellt. Apple braucht dafür keine Werbung zu schalten, nicht einmal zu machen. Das erledigen die Medien schon von selbst. Kostenlos.”

2. “Test! Test! Test! Test! Test!”
(faz-community.faz.net/blogs/fernsehblog, Peer Schader)
“Aber, ach, machen wir’s kurz und lösen auf: ‘Der große deutsche IQ-Test by RTL 2’ bei RTL 2 war kein Versuch, jedenfalls kein absichtlicher. Sondern einfach – schrecklich langweiliges Fernsehen.”

3. “News Sites Rethink Anonymous Online Comments”
(nytimes.com, Richard Pérez-Peña, englisch)
News-Websites überdenken die Frage, ob sich Leser anonym auf ihren Plattformen äussern sollen dürfen.

4. Interview mit Markus Hofmann
(dirkvongehlen.de)
Markus Hofmann erzählt, wie sich die Lage geändert hat, seit auf badische-zeitung.de nur noch mit Klarnamen kommentiert werden kann. “Wir sind der Meinung, dass ein Klima, in dem gepöbelt wird, in dem man sich beleidigt, einfach nicht zu einer Tageszeitung und zu dem Online-Auftritt einer Tageszeitung passt.”

5. “Vergesst das Online-Image!”
(ftd.de, Lucy Kellaway)
Lucy Kellaway rät zu Gelassenheit, was das eigene Image im Internet betrifft. “Als ich das erste Mal etwas Gemeines über mich las, habe ich mich noch aufgeregt. Aber das Leben ging trotzdem weiter, und niemand sonst hatte das Gemeine überhaupt zur Kenntnis genommen. Beim nächsten Mal war ich schon gelassener.”

6. “Wie ihr als Autor Tantiemen für Online-Texte von der VG Wort bekommt”
(berufung-selbststaendig.de, Elke Fleing)
In einem Whitepaper (PDF-Datei, 9 Seiten) erklärt Elke Fleing, wie man Online-Texte der VG Wort meldet.

Dramatik, Sex und George Clooney

Jeder Journalistenschüler weiß, was eine Nachricht zur Nachricht macht: Prominenz, Nähe, Gefühl, Sex, Fortschritt, Folgenschwere, Konflikt, Kampf, Dramatik, Kuriosität. Je mehr dieser Nachrichtenfaktoren in einer Meldung zu finden sind, desto mehr Leser interessieren sich dafür, Auflagen steigen, Klickzahlen schnellen in die Höhe.

Und so erschien es fast wie ein Sechser im Boulevard-Lotto, als die Nachricht bekannt wurde, dass am Karfreitag eine Frauenleiche in der Nähe von George Clooneys Villa am Comer See gefunden wurde. Am 4. April titelt der Schweizer “Blick” in seiner Online-Ausgabe:

Ihr wurde beim Sex die Kehle durchgeschnitten

Dicht gefolgt von der Redaktion von Bild.de, die sich die Recherche gleich spart und kurzerhand die “Blick”-Geschichte nacherzählt:

Beim Sex ermordet?  Wasserleiche vor George Clooneys Villa entdeckt

Allein — zu dem Zeitpunkt hatte sich die Hälfte der Nachrichtenfaktoren bereits in heiße Luft aufgelöst: Die Frau war identifiziert, die meisten Spekulationen von der Polizei widerlegt. Und George Clooney, dessen Villa laut italienischen Medien “weniger als einen Kilometer”, laut Blick.ch und Bild.de nur “wenige Meter” vom Fundort entfernt steht, hatte offensichtlich rein gar nichts mit dem Fall zu tun. Die Leiche war mehrere Tage von der Strömung des Sees getrieben worden. Wie kann man also die Prominenz in der Meldung halten?

Der “Blick” wählt diesen kreativen Weg:
Sie ist jung und schön. Langbeinig mit Model-Massen, der Busen chirurgisch vergrössert. Ein George Clooney-Typ. Doch vor dieser Schönen grauts dem Hollywood-Star.

Bild.de ist weniger kreativ, aber plakativer:
Schauspieler George Clooney: Noch ist unklar, ob er während des Leichenfundes in seiner Villa war

In Punkto “Sex” gibt sich die “Blick”-Autorin besser informiert als alle anderen: Sie zitiert einen anonymen Ermittler, wonach das Opfer vermutlich “beim Sex” getötet worden sei — in der Überschrift wird aus der Spekulation flugs ein Fakt gemacht. Der ist dazu noch sehr exklusiv: In der italienischen Presse findet sich kein Hinweis auf den Geschlechtsverkehr, aber immerhin ein Hinweis, dass die offizielle Obduktion noch gar nicht stattgefunden hatte, als die grausamen Details in der Schweizer Boulevardzeitung (und unter Berufung darauf auch bei Bild.de) zu lesen waren.

Ausriss: Bild.de

Weniger einfallsreich zeigen sich die Boulevard-Journalisten bei den Nachrichtenfaktoren Dramatik und Gefühl – denn was ist dramatischer und nahegehender als die Bilder einer echten Leiche? Dass die Fotos nur zu Fahndungszwecken veröffentlicht worden waren und nach der längst erfolgten Identifizierung nicht mehr verwendet werden sollten, interessiert – wie gewohnt – weder Blick.ch, noch Bild.de. Schließlich geht es um den Leser die Auflage.

Mit Dank an Carlotta R.

Perlen vor die Geisterhunde

Sie haben die Nachricht sicher gehört, die das britische Königshaus und die Welt erschüttert: Otto, der schwarze Cocker-Spaniel von Kate Middleton, hat ein Paar Ohrringe gefressen, das Prinz William seiner Freundin zum Geburtstag geschenkt hatte.

Die britische Boulevardzeitung “Mail on Sunday” enthüllte das Drama am vorvergangenen Sonntag auf ihrer Titelseite. Der “Daily Telegraph” kopierte die Informationen und Zitate in sein Internet-Angebot und die gedruckte Ausgabe am nächsten Tag. Von dort übernahm sie die deutsche Nachrichtenagentur dpa und sorgte dafür, dass neben zahlreichen OnlineMedien auch “Berliner Zeitung” und “Tagesspiegel” ein paar Tage später ihre Leser über das Ereignis informieren konnten.

Der Ursprungsartikel der “Mail on Sunday” beschreibt unter Berufung auf einen anonymen “Freund” in großer Detailfreude, wie plötzlich die sehr, sehr wertvollen Schmuckstücke vom Nachttisch verschwunden waren und dass Kate Middleton ihren Otto verdächtigte, sie gefressen zu haben. Sie sei daraufhin immer wieder mit ihm Gassi gegangen, bis die Ohrringe auf natürlichem Weg wieder ans Tageslicht kamen — allerdings völlig zerkaut.

Es ist eine tolle Geschichte, wäre da nicht ein lästiges Detail: Kate Middleton hat gar keinen Hund.

Die “Mail” hat inzwischen vage eingeräumt, dass ihr Artikel Fehler enthalte, und ihn von ihrer Internetseite entfernt — “aus Höflichkeit”. Auch der “Daily Telegraph” behauptet zumindest nicht mehr, dass es Otto gewesen sei, sondern, wenn überhaupt, dessen Hundeschwester Ella, die Kate Middletons Familie gehöre.

Die “Mail” will ihren Artikel der für Prinz William zuständigen Pressestelle des Königshauses vorgelegt haben, die ihr aber keinen Wink gegeben habe, dass die Geschichte unwahr sei. Vermutlich haben die Pressesprecher der Zeitung nur dasselbe gesagt wie der dpa: kein Kommentar. Und obwohl das offenbar die Standard-Antwort ist auf Anfragen, die Kate Middleton betreffen, scheint auch dpa die Nicht-Antwort als praktisches Indiz genommen zu haben, dass eine Geschichte ohne vertrauenswürdige Quelle, aber ohne Dementi, schon stimmen wird — obwohl sich auf Nachfrage von BILDblog herausstellt, dass auch bei der Nachrichtenagentur niemand weiß, ob Kate Middleton überhaupt einen Hund hat, geschweige denn, was für Schmuck er so frisst.

Das allerdings ist nichts gegen die Meldung, die das Nachrichtenmagazin “Bunte” in seinem Online-Ableger veröffentlichte. Die Kollegen nutzen freie Recherchekapazitäten von ihrer eigentlichen Arbeit als Staatsaffären-Enthüller ja gelegentlich, um Klatschgeschichten nachzugehen. Und sie erfanden auf der Grundlage des “Mail on Sunday”-Märchens in der “Daily Telegraph”-Version einfach ihre eigene Lügengeschichte, verlegten den Vorfall von Januar in die Gegenwart und verzichteten auch auf die eklige Episode vom Durchsuchen des Hundekots: Bei bunte.de werden die Ohrringe nur durchgekaut, aber nicht heruntergeschluckt. Und damit es zu ihrer Version der Ereignisse passt, machten die “Bunte”-Leute aus dem Original-Zitat Prinz Williams, Kate müsse halt einfach warten, bis der Schmuck hinten wieder rauskommt, kurzerhand einen Konjunktiv: Kate hätte doch einfach warten sollen, bis der Schmuck hinten wieder rauskommt.

Anderseits: Warum soll man bei einer Geschichte, die eh falsch ist, bei der “Wahrheit” bleiben?

Mit Dank an “Tabloid Watch”.

Geheimdienstkrämerei um den CCC

Es gibt Meldungen, da braucht man nicht viel mehr als 140 Zeichen, um zu wissen, wer im Recht und wer im Unrecht ist:

Nach ergangener Einstweiliger Verfügung behauptet die Axel Springer AG nun nicht mehr, der #CCC würde für den #BND arbeiten.

Auf der einen Seite die Springer-Presse, deren Angestellte scheinbar ständig die Grenzen des Journalismus und des menschlichen Anstands ausloten, auf der anderen Seite der Chaos Computer Club, galaktische Gemeinschaft und Retter der Bürgerrechte. Wer da zweifellos Recht hat, ist doch klar, oder?

Doch worum geht es? In der “Berliner Morgenpost” und im Online-Angebot der “Welt” war am 3. März ein Artikel erschienen, der ein desaströses Bild von der Einsatzfähigkeit deutscher Sicherheitsbehörden im Anti-Terror-Kampf zeichnete. Überschrift: “Ohne USA geht bei der Terrorbekämpfung nichts”.

Darin enthalten war diese verfängliche Textstelle:

Heute soll Pullach nicht einmal in der Lage sein, sich in moderne Computer zu hacken. Entsprechende Aufträge würden deshalb an externe Spezialisten wie den Chaos Computer Club (CCC) vergeben. Dieser dementiert das allerdings und spricht von Gerüchten.

Für die Hacker des CCC erschien dies als enorme Provokation, verbindet sie mit den Geheimdiensten aller Art nicht nur eine grundlegende Abneigung, sondern auch traumatische Erinnerungen.

CCC-Mitglied Felix von Leitner machte seiner Empörung Luft:

Wir sprechen nicht von Gerüchten, sondern von aktiver Desinformation, um unseren guten Namen zu beschmutzen.

Das Landgericht Berlin schloss sich der Argumentation des Chaos Computer Clubs an und verbot der Axel Springer AG am 9. März unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 Euro oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, das Gerücht zu wiederholen. Wie gewohnt gibt sich die Axel Springer AG bei Rechtsstreitigkeiten in eigener Sache sehr zugeknöpft: “Wir bewerten derzeit den aktuellen Sachverhalt und prüfen, ob wir Rechtsmittel einlegen”, erklärt ein Sprecher gegenüber BILDblog.

Der Artikel verschwand daraufhin aus dem Angebot von “Welt Online”, im Online-Angebot “Morgenpost” wurde er entschärft — vom Chaos Computer Club ist nun nicht mehr die Rede.

Doch auf den zweiten Blick ist die Verteilung von Gut und Böse nicht mehr so eindeutig. Es ist zwar möglich, dass die Information einer vermeintlichen Zusammenarbeit zwischen CCC und BND gezielt gestreut wurde — für einen Frontalangriff der “Springer-Presse” wäre dieses Vorgehen zumindest ungewohnt subtil: Das Gerücht war im Konjunktiv wiedergegeben, erschien an einer unscheinbaren Stelle im Text und das Dementi des CCC schloss direkt an. Kampagnen sehen anders aus.

Dass Journalisten nun die Wiedergabe eines Gerüchts verboten wurde, ist auch im Hinblick auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs zur Haftbarkeit bei der Verbreitung fremder Äußerungen vom November 2009 juristisch fragwürdig. Auch muss sich der CCC fragen lassen, was durch die Gerichtsentscheidung erreicht wurde: Der Artikel wird nicht ungelesen, die Unterlassungsverfügung verschließt die Diskussion darüber auf möglichst intransparente Weise. Zudem wurde der Chaos Computer Club einst auch zu dem Zweck gegründet, anonymen Informanten einen Weg in die Öffentlichkeit zu bahnen. Wenn solche Aussagen allzu einfach per Gericht aus der Öffentlichkeit verbannt werden können, wird aus dem juristischer Erfolg vielleicht schon bald ein Pyrrhussieg.

Gerüchterstattung

Es ist schon ein Kreuz mit dem Twitter-Journalismus oder der “neuen Medienwelt”, wie sie Thomas Schuler heute auf der Medienseite der “Süddeutschen Zeitung” anhand von Gerüchten über den Gouverneur des US-Bundesstaats New York beschreibt:


Manchmal schicken Journalisten heute eine Frage über das Internet raus und nennen das Recherche. Erkundungen über die Stichhaltigkeit des Gerüchts, die eigentlich vor der Entscheidung über eine Veröffentlichung steht, machen das Gerücht bereits öffentlich.

Und weiter:

Alle greifen die Twitter-Frage von Koblin auf und rechtfertigen damit ihre Berichte. New York Post, Daily News, Talkradio, Huffingtonpost.com, AP, Reuters, die Online-Ausgabe der Washington Post - alle berichten. Sie nennen die Gerüchte Gerüchte, das schon. Aber sie verbreiten sie und sie befördern den Rufmord.

Doch man muss nicht nach Amerika schweifen, um diesen Medien-Mechanismus zu betrachten. Um zu sehen, wie die Berichterstattung Gerüchterstattung funktioniert, kann der Leser der “SZ” auch einfach zwei Seiten weiter blättern. Dort, mitten im Wirtschaftsteil, berichtet gerüchtet die “Süddeutsche” selbst. Über Kim Schmitz, den C-Prominenten der deutschen IT-Szene der 90er Jahre, gibt es nämlich neue Fakten Informationen. Nunja:

Der inzwischen 36-Jährige hat im Leben schon viele Rollen verkörpert: Einst ein vermeintlich genialer Hacker, dann ein scheinbar erfolgreicher Unternehmer, schließlich ein verurteilter Betrüger, und dann nur noch ein Phantom. Nun soll er wieder aufgetaucht sein. Das zumindest glaubt die neuseeländische Zeitung New Zealand Herald. Sie will den verschollenen "Kimble" gefunden haben, und zwar als Käufer einer der teuersten Villen des Inselstaates.

Das mag richtig sein oder auch nicht – mehr als einen anonymen Insider weiß auch der “New Zealand Herald” nicht zu zitieren. Dies ist freilich ein Informationsweg, der gerade in Sachen Kim Schmitz chronisch unzuverlässig ist. Aber die “Süddeutsche” hat nicht einfach nur Gerüchte abgeschrieben, sondern sogar recherchiert:

Seine längst stillgelegten Websites sind bis heute auf die Firma Kimpire Ltd mit Geschäftsadresse in der Metropole registriert. Kim Schmitz war dort am Montag weder telefonisch noch per E-Mail erreichbar.

Und so wird aus einem unbestätigten Gerücht ein – nunja – unbestätigtes Gerücht.

Warum sich deutsche Leser für den angeblichen Hauskauf 23000 Kilometer entfernt interessieren sollten, lässt die “Süddeutsche Zeitung” freilich offen – es ist schlichtweg ein willkommener Anlass, die uralten Kimble-Stories noch einmal zu erzählen.

Der Branchendienst “Meedia” versuchte bereits am Montag die Dringlichkeit dieser Fast-Informationen zu vermitteln. Nicht neue Fakten, sondern das gewaltige Medienecho ist Anlaß für die Berichterstattung:

New Economy-Hochstapler zurück in den Schlagzeilen

Das Wort “Schlagzeilen” ist freilich eine gewagte Interpretation der Sachlage, denn mehr als den einen Bericht einer neuseeländischen Zeitung hatte es bis dahin nicht gegeben.

Und der IT-Nachrichtendienst “Golem” fantasierte am Montag gar von einer öffentliche Verlautbarung des notorisch lauten Schmitz. Nicht ein anonymer Insider, Schmitz selbst habe sich sich in den Medien zurückgemeldet:

Kim Schmitz meldet sich zurück

Aber wen interessieren schon Details, schließlich ist die Medienspirale längst in Gang gesetzt: Aus Gerüchten sind Schlagzeilen geworden, die dann von weiteren Medien zitiert werden können. So zum Beispiel am Dienstagnachmittag von der Online-Ausgabe des österreichischen “Standard”, die den Artikel der “Süddeutschen” dankbar abschreibt aufgreift.

Obwohl die Geschichte damit durch die Hände von fünf Redaktionen gegangen ist, ist nicht einen Deut klarer, ob das Gerücht mehr als ein wildes Gerücht ist. Aber das ist egal. Denn wie es Alexander Becker bei Meedia formuliert:

Mittlerweile finden sich im Web so viele Gerüchte, Geschichten und Anekdoten über den vermeintlichen Hacker, dass sich Wahrheit und Fakten nur noch schwer trennen lassen. Damit hat der vermeintliche Kauf der Chrisco Mansion alles, was eine gute Schmitz-Story braucht. Fortsetzung folgt garantiert.

Nachtrag, 18.2.: Am Mittwoch hat auch die “Abendzeitung” das Gerücht aufgegriffen – die Münchner haben wenigstens pro forma eine E-Mail verschickt.

Und am Donnerstag hat schließlich auch Bild.de die Nicht-Nachricht entdeckt und präsentiert sie natürlich brandheiß und inaktuell. Obwohl die “Bild” Schmitz über Jahre unkritisch jede PR-Eskapade geglaubt hat, weiß die Redaktion jetzt nicht einmal von einem misslungenen Kontaktversuch mit dem “Prahlhans” zu berichten.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Nur in Begleitung Erwachsener

Bild.de hat einen neuen schockierenden, brutalen, ja gar perversen Trend entdeckt:

Sie schlagen sich, prügeln brutal aufeinander ein: Junge Mädchen in Amerika liefern sich gnadenlose Kämpfe und stellen die Prügel-Videos ins Internet – ein lebensgefährlicher Trend.

Illustriert wird das – wie sollte es auch anders sein? – mit einem Video aus der Bild.de-Redaktion: Einem Zusammenschnitt der besten brutalsten Szenen, in denen Mädchen hemmungslos aufeinander einschlagen, sich ins Gesicht treten, sich auf dem Boden wälzen.

Brutaler Trend in den USA - Prügelmädchen in Netzvideos

Mit sonorer Stimme betont der Off-Sprecher die Gefährlichkeit dieser Netz-Videos — denn die Mädchen sind nicht aus eigenem Antrieb so brutal:

Meist wollten sie damit Aufmerksamkeit erhaschen, so die Experten. Und spätestens im Netz bekommen die Ausrasterinnen das auch. Millionen Klicks verstärken damit den Trend.

Wie recht diese Experten haben, kann man derzeit auf der Startseite von Bild.de betrachten:

Meistgeklickte Videos

Warum Bild.de bei diesem offensichtlich so perversen Trend mitmacht? Es liegt nicht etwa an den Millionen Klicks, die man damit ergattern kann — Nein, die Kinderfreunde haben alleine pädagogische Gründe:

Für Kinder und Jugendliche sind brutale, gewalttätige Szenen heute leicht zugänglich. Deshalb rät Dr. Jennifer Harstein: Eltern sollten wissen, was sich ihre Kinder ansehen und offene Gespräche darüber führen. Stellen sie viele Fragen, forschen sie, statt sofort zu bestrafen oder kategorisch zu verbieten. Eltern sollten ihre Kinder ermutigen, verstörende Videos anzuzeigen, möglicherweise auch anonym. Internet-Experten halten diese Methode für die beste, um den gefährlichen Trend abzuwenden.

Diesem Rat können wir uns nur anschließen. Sollten Eltern ihre Kinder beim Ansehen der “meistgeklickten Videos” auf Bild.de ertappen, sollten sie nicht sofort mit Strafen und Verboten, sondern mit Verständnis und penetranter Neugier reagieren.

Sprechen Sie mit ihnen darüber, wie sie auf die Webseite gelangt sind. Wollten sie vielleicht nur sehen wie ein weiblicher Fußball-Fan “blank zieht”, sich den “voll krassen” Redaktionsbesuch von Bushido anschauen? Oder hofften sie Nachrichten, wenn nicht gar verantwortungsvollen Journalismus auf der Webseite zu finden?

Reden Sie darüber! Denn nur so können wir unsere Kinder vor den Perversionen des Internets bewahren.

Selbstauslöser

Natürlich kann man dem Vorhaben von Google, für seinen “Streetview” ganze Straßenzüge inklusive Autos und Personen abzufotografieren, skeptisch gegenüberstehen.

Natürlich kann man als Zeitung über die datenschutzrechtlichen Bedenken berichten, die es rund um “Google Streetview” gibt, ganz so, wie es die “Neue Westfälische” getan hat.

Natürlich kann man unter ein Foto eines “Streetview”-Kamerawagens inmitten anderer Autos so eine leicht selbstgerechte* Bildunterschrift setzen, wie es die “Neue Westfälische” getan hat:

Die Kameras für die Google-Fotos sind auf Autos installiert, die die Straßen abfahren. Im Gegensatz zur Zeitung, die sie pixelt, sind Kennzeichen im "Street View" voll zu sehen.

Nur sollte man sich dann ganz sicher sein, dass die verdammten Kennzeichen auf dem Foto oberhalb dieser Bildunterschrift auch verpixelt sind:

Unverpixelte Kennzeichen bei der "Neuen Westfälischen"

*) Und falsche, denn Google verpixelt Gesichter und Autokennzeichen von sich aus.

Mit Dank an ker0zene und Peter G.

Nachtrag 24. Januar: Seit gestern hat die “Neue Westfälische” die Nummernschilder anonymisiert.

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