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taz.de  

Die “taz” bestellt ein ACAB-Eis, das der Polizei nicht schmeckt

Es gibt vermutlich keine Redaktion in Deutschland, die bei Bildunterschriften so viel pubertäre Kreatvität an den Tag legt wie die der “taz”.

Hier zum Beispiel:

Oder bei diesem legendären Exemplar:

(2011, inzwischen offline.)

Wegen einer Bildunterschrift aus jüngster Zeit hat die “taz” jetzt allerdings Ärger mit der Polizei.

Dazu muss man wissen: Wer auf taz.de einen Artikel lesen will, kommt zuerst auf eine Hinweisseite, auf der man gefragt wird, ob man taz.de finanziell unterstützen möchte, dazu ein Foto samt flotter Bildunterschrift. Zum Beispiel so:

Das Portal hat eine Reihe solcher Hinweisseiten mit verschiedenen Fotos und Bildunterschriften im Repertoire, die in zufälliger Reihenfolge erscheinen.

Vor knapp vier Wochen waren auf einem dieser Fotos ein paar Polizisten vor einer Eisdiele zu sehen. Darunter stand:

Welche Kugeln hier bestellt werden? Acht Cookie, Acht Banane.

Acht Cookie, Acht Banane. Kurz: ACAB. Das ist, wie Sie als aufmerksame BILDblog-Leser natürlich wissen, ein türkischer Vorname die Abkürzung für „All cops are bastards“.

Das fand die Polizei Bremen überhaupt nicht lustig und reichte Beschwerde beim Presserat ein. In einem internen Schreiben der Polizei heißt es, dies sei „keine verantwortungsvolle Berichterstattung und kein angemessenes journalistisches Verhalten“. Polizeipräsident Lutz Müller sagte demnach:

Hier werden indirekt und offensichtlich gewollt Polizisten beleidigt und in ihrer Ehre verletzt. Diese Darstellung widerspricht journalistischer Ethik. Das ist für mich nicht akzeptabel und daher wenden wir uns an den Presserat.

Jan Feddersen von der „taz“ hat uns die Geschichte bestätigt. Foto und Bildunterschrift seien Anfang Juli für drei Tage online gewesen. Verantwortlich für den Inhalt sei aber nicht die Redaktion, sondern das „site management“ von taz.de, das mit den „humoristisch gehaltenen“ Bildunterschriften auf den Hinweisseiten „bewusst kleine Irritationen setzen“ wolle, um die Aufmerksamkeit der Leser zu erregen.

Zur Presserats-Beschwerde sagt Feddersen, die „taz“ warte die weitere Entwicklung „in interessierter Gelassenheit“ ab. Die Bremer Polizei wollte die Sache auf Anfrage „weder bestätigen noch dementieren“.

Mit Dank an den Hinweisgeber!

Nachtrag, 11.15 Uhr: Heute hat die “taz” auf ihrer Titelseite eine Nachricht an die Bremer Polizei untergebracht:

Warum es da nur jeweils sechs sind, wissen wir allerdings nicht.

Nachtrag, 15.25 Uhr: … haben aber die Vermutung, dass es ein Versehen war. Wie uns mehrere Leser geschrieben haben, sind es in einigen Ausgaben nämlich tatsächlich acht. Wahrscheinlich wurde der Fehler zu spät bemerkt und erst in den Zeitungen, die später gedruckt wurden, korrigiert.

Nachtrag, 31. Juli: “taz”-Titelseite heute:

Mit Dank an Dennis und Dominik G.

Nachtrag, 13. Oktober: Nachdem die Polizei Beschwerde beim Presserat eingelegt hatte, durfte die “taz” Stellung zu der Sache nehmen. Sie schrieb:

Für die Nöte der Bremer Polizei, vor allem im heißen Sommer haben wir Verständnis, ebenso wie für die Tatsache, dass sich unsere Ordnungshüter bei Gelegenheit mit einem Eis erfrischen. Über ihre Präferenzen bei der Eisbestellung können wir allerdings nur Mutmaßungen anstellen, was in der inkriminierten Bildunterschrift deutlich durch ein Fragezeichen ausgedrückt wird.

Dass nun die Beschwerdeführer der Bremer Polizei in die Bestellung „Acht Cookie, Acht Banane“ das ehrverletzende Akronym „All Cops Are Bastards“ hineinlesen, war nicht vorauszusehen. Im Vorfeld hatten wir auf einer Konferenz hier im Hause schon einige Bestellkombinationen verworfen. Zum Beispiel „Limone, Mandarine, Amareno, Aprikose“ (Leck Mich Am Arsch). Auch „Walnuss, Tiramisu, Feige, Himbeer“ (What The Fucking Hell) wollten wir nicht durchgehen lassen, und „Sieben Sahne, Acht Heidelbeer“ (SSAH) kam nicht in Frage, da es sich dabei um ein möglicherweise sittenwidriges Kfz-Kennzeichen handelt.

Wir haben uns deshalb für die Lieblingssorten der diensthabenden Redakteurin, Cookie und Banane entschieden. Da es sich auf dem Bild um vier Personen handelt und eine durchschnittliche Eisbestellung im Hochsommer laut Statistischem Bundesamt etwa vier Kugeln beträgt kam es zu den je acht Cookies und Banane. Dass wir nach den den oben genannten Kombinationen und ihrer Akronyme hier nicht auch noch eine sittenwidrige oder ehrverletzende Abkürzung herauslesen konnten, hatte einen nachvollziehbaren Grund: es war einfach zu heiß.

Der Presserat hat sich nun mit dem Fall befasst und entschied: Da es sich nicht um ein journalistisches, sondern ein Werbeelement handele, sei er nicht zuständig.

In ihrem “hausblog” schreibt die “taz”, sie werde nun entspannt abwarten,

ob die von einer Eisbestellung so schwer beleidigte Bremer Polizei die Sache weiter und auch noch vor dem deutschen Werberat verfolgen wird, oder ob sich seit dem Abklingen der Hitzewelle auch die Gemüter mittlerweile abgekühlt haben.

Mörder auf der Titelseite

Die Mitarbeiter von “Bild” und Bild.de können sich einfach nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass auch Täter — und sei ihr Verbrechen noch so abscheulich — Rechte haben. Zum Beispiel Menschenrechte, aber auch Persönlichkeitsrechte. Oder das Recht, nach der Verbüßung ihrer Strafe wieder vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu werden. Damit das klappt, müssen ihnen die Gesellschaft und die Medien natürlich erstmal die Chance dazu geben.

Am vergangenen Freitag haben “Bild” und Bild.de ein Paradebeispiel geliefert, wie das zu verhindern ist:


(Alle Unkenntlichmachungen von uns.)

Wenn eine Redaktion von einem solchen Vorfall in einer Justizvollzugsanstalt hört, mag sie sich dazu entscheiden, darüber zu berichten. Und dass “Bild” das in einer boulevardesk-knalligen Aufmachung tut — geschenkt. Problematisch ist der Umfang der identifizierenden Berichterstattung: auf der Titelseite mit unverpixelten Fotos, Vornamen, abgekürzten Nachnamen und Kurzabriss der Taten; im Innenteil großflächig noch einmal Fotos der “zwei besonders brutalen Killer”, dazu ausführlichere Schilderungen ihrer Verbrechen, ein Foto aus der JVA und Archivfotos der damaligen Tatorte:

Die Taten liegen inzwischen zehn beziehungsweise 14 Jahre zurück. Ihre erneute Ausbreitung durch die “Bild”-Medien ist in diesem Fall besonders gravierend, weil der eine Häftling (der Zusammengeschlagene) in einem Jahr entlassen werden könnte. Das weiß auch Autor Peter Rossberg, er schreibt es schließlich selbst. Beim anderen Insassen ist die zehnjährige Haftstrafe auch bald rum, allerdings gab es aufgrund weiterer Vorfälle in der Haft weitere Verurteilungen.

Damit sei die Veröffentlichung von “Bild” und Bild.de rechtswidrig, sagt der Medienrechtsprofessor Udo Branahl auf Anfrage:

Bei Straftaten, die so lange zurückliegen, dass potenziell eine Entlassung bervorsteht, genießen die Täter einen Resozialisierungsschutz. Über die Prügelei mag man berichten können, aber nicht flächendeckend über die Taten von damals.

Das sieht auch das Bundesverfassungsgericht so. Und das nicht erst seit Neuestem, sondern schon seit 1973:

Die für die soziale Existenz des Täters lebenswichtige Chance, sich in die freie Gesellschaft wieder einzugliedern, und das Interesse der Gemeinschaft an seiner Resozialisierung gehen grundsätzlich dem Interesse an einer weiteren Erörterung der Tat vor.

Für den Fall, dass ein Medium — warum auch immer — doch unbedingt über eine länger zurückliegende Tat berichten will, hat der Deutsche Presserat im Pressekodex festgehalten, was dabei zu vermeiden ist:

Wenn erneut über ein zurückliegendes Strafverfahren berichtet wird, sollen im Interesse der Resozialisierung in der Regel Namensnennung und Fotoveröffentlichung des Täters unterbleiben. Das Resozialisierungsinteresse wiegt umso schwerer, je länger eine Verurteilung zurückliegt.

“Bild” und Bild.de haben es mit der Veröffentlichung vom vergangenen Freitag geschafft, nicht einmal diesen Mindeststandard einzuhalten.

Die einfallsreichen Ku-Klux-Karnevalisten

Heute machen wir mal einen kleinen Abstecher ins südliche Afrika. Genauer: nach Windhoek, die Hauptstadt Namibias. Dort erscheint nämlich die einzige deutschsprachige Zeitung des Kontinents: Die „Allgemeine Zeitung“ (AZ), die in der vergangene Woche, wie sie selbst inzwischen einräumen musste, durch „schlechten Journalismus“ einen „Sturm der Entrüstung“ ausgelöst hat. Selbst die namibische Regierung schaltete sich zwischenzeitlich ein und zeigte sich „bestürzt“ von dem, was passiert war.

Aber beginnen wir dort, wo alles angefangen hat, und zwar in der Stadt Swakopmund, die als „deutscheste” Stadt Namibias gilt und — natürlich — auch ihren eigenen Karneval hat. Über den berichtete die AZ letzte Woche Montag und veröffentlichte unter der Überschrift …

… mehrere Fotos von verkleideten Karnevalsteilnehmern. Im Text dazu heißt es:

Wieder haben sich viele Besucher beim Maskenball des Swakopmunder Karnevals „Küska“ viel Mühe mit den Kostümen gegeben. (…) Wie erwartet waren passend zum diesjährigen Motto „30 Jahre Küska mit der Swakopmunder Mafia“ viele Personen im Anzug erschienen. Andere waren auf
andere Art und Weise sehr einfallsreich.

Zum Beispiel die hier:

(Alle Verpixelungen von uns.)

Und die hier erst:

Oh ja, sehr einfallsreich. Und so feinfühlig!

Viele andere Namibier waren dagegen weniger begeistert vom Blackfacing und den Rassisten-Kostümen der Karnevalisten. Nur mal zwei (vergleichsweise nüchterne) Beispiele von der Facebookseite der AZ:

Ich bin schockiert, entsetzt und fassungslos. Darüber, das solch hochgradig rassistisches “Amüsement” in Namibia bis heute eine unreflektierte Akzeptanz findet. Darüber dass es als harmloses, sogar glorifiziertes Ereignis durch Ihre Zeitung aufgewertet wird. Ich fühle mich sprachlos angesichts dieser Ungeheuerlichkeit. Es ist wirklich an der Zeit, sich entschieden gegen Rassismus auszusprechen und nicht ihn zu schüren…

Leider zeigt das einmal mehr, wie wenig sensibel man in der deutschsprachigen Gemeinde in Namibia noch mit dem Thema umzugehen weiß. Eine Erfahrung, die ich immer wieder in Namibia mache, wenn Rassismus oder die deutsche Kolonialgeschichte zur Sprache kommt. Da wird weggelacht, mit den Schultern gezuckt und im schlimmsten Fall die Geschichte verdreht. Die Geschichte muss dringend vernünftig aufgearbeitet werden. Sonst wird es auch weiterhin in Namibia nur ein “Nebeneinander” aber nie ein echtes “Miteinander” zwischen Schwarz und Weiß geben. Und ein Nebeneinander führt über kurz oder lang in die Katastrophe.

Am Tag nach der Veröffentlichung entschuldigte sich die Zeitung auf ihrer Facebookseite …

… und druckte am darauffolgenden Tag eine (optisch allerdings stark an eine Anzeige erinnernde) Entschuldigung auf der Titelseite:

Auch die Jungs in den KKK-Kostümen entschuldigten sich, genau wie der Karnevalsverein, der zudem ankündigte, nun „costume guidelines“ einzuführen.

Kurz darauf gab das namibische Ministerium für Information und Kommunikationstechnologie eine Stellungnahme heraus, in der es unter anderem heißt:

The Government is dismayed by the pictoral page of the daily newspaper, the Allgemeine Zeitung, which published the German festival participants or organizer honoring the Klu Klux Klan – a white extremist movement that killed black people.

The Government has witnessed the shocking images of youths dressed in offensive gear during the Swakopmund Carnival (Kuska-Maskenball) – a traditional German festival that took place in the coastal town. The youths were dressed as members of the Klu Klux Klan and others were dressed in laborers outfits painted in blackface. Blackface is a form of theatrical makeup used by performers to represent a black person. Blackface as a practice, which gained popularity during the 19th century and contributed to the proliferation of stereotypes such as the ‘happy-go-lucky/ darky on the plantation’. Their outfits were called ‘imaginative’ in the Allgemeine Zeitung where it was published.

Tags darauf meldete sich auch das „Editors’ Forum of Namibia“ (EFN) zu Wort, ein Zusammenschluss namibischer Journalisten und Medien, den man in etwa mit dem Deutschen Presserat vergleichen kann. Das Forum erinnerte an …

the importance of all media to be ever vigilant against the publishing and broadcasting of offensive content in the interest of promoting harmony and reconciliation in the country.

Man sei aber auch …

impressed by the swift manner in which the Namibia Media Holdings and the Allgemeine Zeitung reacted to the backlash on social media, showing their commitment to self-regulation and upholding the media code of ethics.

Und tatsächlich muss man der AZ zugutehalten: So daneben die Aktion war, so bemüht war die Redaktion, transparent mit der Sache umzugehen und die Kritik sichtbar zu dokumentieren. Sie berichtete über das “Bedauern und Entsetzen”, das sie ausgelöst hatte, veröffentlichte die Stellungnahmen bei Facebook und auch prominent im Blatt, bat die Leser um ihre Meinung und druckte kritische Leserbriefe („I am ashamed“) ab. Von einem solch offensiven Umgang mit bösen Fehlern sind deutsche Medien oft leider weit entfernt.

Mit Dank an René B.!

“Bild” versteckt Rüge zu Germanwings-Opferfotos

Zwei Tage nach dem Absturz der Germanwings-Maschine 4U9525 veröffentlichten “Bild” und Bild.de mehrere private Fotos von Opfern des Unglücks (BILDblog berichtete):

Dafür kassierten sie eine öffentliche Rüge des Presserats (BILDblog berichtete ebenfalls).

Gestern hat „Bild“ die Rüge veröffentlicht und dafür — wie üblich — einen möglichst prominenten und angemessenen Platz gesucht:

Falls Sie noch suchen: neben den Brüsten. Direkt über dem Känguru.

(Zum Vergleich: Der gesamte Artikel ist ungefähr so groß wie das „Barcelona“ in der ursprünglichen Schlagzeile.)

Dass sich die Rüge außerdem auf die Veröffentlichung eines (immerhin verpixelten) Klassenfotos und den Nachdruck einer Traueranzeige mit den vollen Namen der Opfer bezieht, erwähnt „Bild“ nicht. Und dass es bei den Ziffern 8 und 11 des Pressekodex um den „Schutz der Persönlichkeit“ sowie den „Respekt vor dem Leid von Opfern und den Gefühlen von Angehörigen“ geht, hat die Redaktion auch nicht erwähnt, allerdings war ja auch kein Platz mehr, weil Brüste und Känguru.

Dass die Opferfotos „teilweise zuvor auf Facebook gepostet oder öffentlich aufgestellt worden waren“, hat dagegen noch reingepasst, schließlich zieht die „Bild“-Zeitung daraus eines ihrer Hauptargumente für die Veröffentlichung der Fotos. In ihrer Stellungnahme betonten die „Bild“-Juristen:

Es seien ausschließlich öffentlich zugängliche Bilder verwendet worden. Bei den Aufnahmen der verunglückten Deutschen handele es sich überwiegend um Fotos, die in Haltern am See ausgestellt gewesen seien. So habe beispielsweise das Gruppen-Selfie der verstorbenen [L.] öffentlich und frei zugänglich am dortigen Marktplatz ausgehangen.

Für den Presserat ist das aber kein Argument. So stelle …

die Tatsache, dass Fotos von Opfern in sozialen Netzwerken einem beschränkten Empfängerkreis zugänglich sind, keine Zustimmung zu einer identifizierenden Berichterstattung durch eine berechtigte Person dar. Auch ist ein öffentlicher Aushang solcher Fotos in einer Stadt nicht als eine solche Zustimmung zu werten, da völlig unklar ist, ob der Aushang mit Zustimmung erfolgt ist. Selbst dann, wenn dieser Aushang mit Zustimmung von berechtigten Personen erfolgt sein sollte, so ist dies noch nicht als Zustimmung zu einer Weiterverwertung durch die Medien zu bewerten.

„Bild“ argumentierte außerdem mal wieder damit, dass die „Personalisierung der Berichterstattung“ die „Dimension des Ereignisses“ konkretisiere und ein „Totengedenken“ ermögliche:

Ohne Einbeziehung ihrer Identität würden die 149 unschuldigen Menschen auf anonyme Zahlen in der Unfallstatistik reduziert.

Dazu hatte Ursula Ernst vom Presserat schon im Rahmen der MH17-Berichterstattung gesagt:

Die Argumentation einiger Medien, den Opfern ein Gesicht zu geben, ist nachvollziehbar, dennoch: Nur weil jemand zufällig Opfer eines schrecklichen Ereignisses wird, darf er nicht automatisch mit Foto in der Presse gezeigt werden.

Das sieht „Bild“ natürlich anders. In ihrer Stellungnahme zu den Germanwings-Opferfotos schreiben die Springer-Anwälte noch:

Personalisierung und Illustration würden bei Lesern erhöhte Aufmerksamkeit wecken, das Bewusstsein erhöhen und Mitgefühl auslösen. Keinesfalls würden dadurch die verunglückten Passagiere oder deren Angehörige ein zweites Mal zu Opfern gemacht.

„Keinesfalls“.

Vielleicht müssen wir doch noch mal das wiederholen, was der Vater eines der Opfer des Amoklaufs von Winnenden gesagt hat, nachdem „Bild“ und andere Medien groß über das Leben und Sterben seines Kindes berichtet hatten:

„Die Bild-Zeitung und andere, auch Fernsehsender, ziehen Profit aus unserem Leid! Dreimal hintereinander sind Bilder von [meiner Tochter] erschienen, ohne dass wir das gewollt hätten. Wir hätten das nie erlaubt. (…) Die reißen die Bilder an sich und fragen nicht danach, was wir Hinterbliebenen denken und fühlen.“

Die widerliche „IS“-Propaganda bei Bild.de

Bild.de berichtete gestern über „eine neue, zynische Propaganda-Aktion“ der Terrormiliz „Islamischer Staat“ („IS“ oder „ISIS“):

Vermummte Kämpfer führen vier gefesselte Männer auf das Dach eines vierstöckigen Hauses in der Stadt Falludscha (Zentral-Irak). Mit ihren wehrlosen Gefangenen treten sie an die Brüstung des meterhohen Hauses – stoßen dann ihre Opfer nacheinander in den Tod: Der Vorwurf der Terroristen: Die Männer seien homosexuell gewesen.

Bilder der Hinrichtung sind bei Twitter zu sehen. Und bei Bild.de.

Die Redaktion hat in dem Artikel drei Fotos veröffentlicht, die zeigen, wie die Terroristen einen (zumindest halbwegs verpixelten) Mann zum Dach bringen …

… wie sie ihn über die Brüstung schubsen und sogar, wie er vom Dach fällt:

Wieder einmal verbreitet die Terrormiliz im Internet die grausame Propaganda ihres „Gottesstaates“.

Und wieder einmal verbreitet Bild.de fleißig mit.

“Die Medien sollten zurückhaltend mit der Veröffentlichung von Fotos umgehen und sich nicht als Propagandainstrument der Terroristen missbrauchen lassen.”

… sagte der Presserats-Vorsitzende Lutz Tillmanns vor gut einem Jahr, als die Bilder von der Hinrichtung des Journalisten James Foley um die Welt gingen.

Bei Bild.de sieht die Zurückhaltung so aus:

Wenn ein „Neues Schockfoto aus der perversen Welt der Terrormiliz“ auftaucht — Bild.de zeigt es:


(Immerhin: Gesichter von Geiseln und abgetrennte Köpfe macht Bild.de in den meisten Fällen unkenntlich.)

Wenn auf Youtube ein neues „abscheuliches Propagandavideo“ auftaucht, baut Bild.de es oft direkt in den Artikel ein …

… unterlegt es mit einem Off-Kommentar und lädt es als eigenes Video („Copyright BILD“) wieder hoch …

… oder zeigt die „barbarischen“, „widerwärtigen“, „perversen“ und „niederträchtigen“ Szenen als Screenshots (kleine Auswahl):


























Etliche Fotos und Videos hat Bild.de schon veröffentlicht, von posenden, Fahne schwingenden, Panzerfaust schießenden Terroristen; und von gedemütigten, gefolterten und ermordeten Geiseln vor, während und nach ihrem grausamen Tod. Nur in den seltensten Fällen beschränkt sich Bild.de auf die bloße (ausführliche) Beschreibung der “Horrorbilder”.

Dabei schreibt Bild.de selbst:

Für ISIS erfüllt die Veröffentlichung derart abscheulicher Videos mehrere Zwecke. Zum einen dienen die medialen Zeugnisse ihrer Grausamkeit als wichtiges taktisches Mittel. (…)

Zudem erfüllen die Gräuelvideos auch einen Rekrutierungszweck: Bei den Sympathisanten der Terrorgruppe handelt es sich offenkundig um Personen mit ausgeprägter Gewaltaffinität und starken sadistischen Neigungen. Gegenüber konkurrierenden Terrorgruppen, die ihre Mordtaten weniger medial aufbereiten, hat ISIS den Vorteil, die sadistischen Bedürfnisse dieser Personengruppe stärker zu befriedigen.

Kurzum:

Mit ihrer massiven Propagandaschlacht im Internet vermarkten die Terroristen regelrecht ihren Kampf!

Und Bild.de hilft ihnen dabei.

Mit Dank an Christian M. und Stefan F.

Siehe auch:

“Bild” am Grab von Andreas L.

Am vergangenen Samstag ist Andreas L., der Co-Pilot der Germanwings-Maschine 4U9525, auf dem Friedhof seiner Heimatstadt beerdigt worden.

Die „Rhein-Zeitung“ wusste schon ein paar Tage zuvor davon, hat es aber für sich behalten, „damit seine Familie und seine Freunde in Ruhe Abschied von ihm nehmen konnten“, wie Chefredakteur Christian Lindner erklärte. Gestern hat die Zeitung lediglich einen kurzen Satz über die Beerdigung geschrieben, der im Grunde nur die Information enthielt, dass sie stattgefunden hat.

Für dieses Vorgehen hat die Redaktion viel Lob bekommen. Auch wir wurden mehrfach darauf hingewiesen, da könnten wir doch ruhig mal über ein positives Beispiel berichten. Machen wir ja auch gerade, aber gezögert haben wir schon, und so ganz können wir die Begeisterung immer noch nicht teilen.

Erst einmal: So sah das Ganze gestern aus:

Die Meldung steht rechts oben, über der weißen Fläche:

Co-Pilot ist in seiner Heimat beerdigt worden
Montabaur. Der Germanwings-Co-Pilot Andreas L. (29), der im März 149 Menschen mit Absicht in den Tod geflogen hat, ist am Samstag in aller Stille in seiner Heimatstadt Montabaur beerdigt worden.*

Unter der weißen Fläche steht:

*Die Redaktion dieser Zeitung wusste vorab von dem Begräbnis. Wir haben uns dafür entschieden, darüber nur mit einem Satz zu berichten. Mehr zu unserer Entscheidung auf Rheinland-Pfalz

Im Innenteil schreibt Chefredakteur Lindner dann „in eigener Sache“ (online kostenpflichtig):

Ein Satz.
Das genügt.

Verantwortungsvolle Journalisten zeichnen sich auch durch Haltung aus. Gute Redaktionen reagieren auch im Internetzeitalter überlegt statt übereilt. Seriöse Zeitungen und Webseiten machen bewusst nicht alles, was möglich wäre.

Ganz in diesem Sinne hat die Redaktion dieser Zeitung nachgedacht, abgewogen, entschieden und gehandelt, als wir schon vor einigen Tagen erfuhren, dass der Co-Pilot Andreas L. (…) in seiner Heimatstadt Montabaur beerdigt wird. Wir haben diese Information bis zwei Tage nach der Beerdigung für uns behalten. Damit seine Familie und seine Freunde in Ruhe Abschied von ihm nehmen konnten. Damit die Weltpresse bei diesem Begräbnis nicht erneut über Montabaur herfällt. Damit Privates privat bleibt und nicht ohne Not und ohne Sinn öffentlich wird.

Ja, wir hätten aus der Ferne Fotos von der Beerdigung machen können. Ja, wir hätten die Beerdigung als einziges Medium beschreiben können. Ja, wir hätten die Bilder weltweit verkaufen, hätten unseren exklusiven Text deutschlandweit und auch international vermarkten können.

Auf all das haben wir bewusst verzichtet.

Das klingt alles sehr reflektiert, es klingt aber auch so, als solle man der „Rhein-Zeitung“ jetzt ganz doll dankbar sein. Aber wofür? Dafür, dass sie die Weltpresse doch nicht auf die Trauernden gehetzt hat? Dass sie sich dagegen entschieden hat, Kapital aus dem Leid der Angehörigen zu schlagen?

Auf all das haben wir bewusst verzichtet. Stattdessen setzen wir in der knappestmöglichen Form einen Schlusspunkt in diesem Drama um Flug 4U 9525 – indem wir in gerade mal in einem Satz melden, dass Andreas L. nun seine letzte Ruhe gefunden hat. Und wir machen unseren bewussten Verzicht auf jede weitere Zeile – auch stellvertretend für die vielen respektvollen Publikationen der Medienbranche – mit einem weißen Raum auf der Titelseite unserer Zeitung deutlich. Zum ersten Mal seit ihrer Gründung 1946 überhaupt.

Nun ja. Kann man natürlich machen. Kann man aber auch lassen.

Wenn sich ein Koch abends ins Restaurant stellt und sich damit brüstet, dass er heute niemandem ins Essen gespuckt hat, dann ist das sein gutes Recht. Aber isst man nicht doch lieber dort, wo man das Gefühl hat, dass es keine Besonderheit ist, nicht ins Essen zu spucken, sondern der Normalzustand?

Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Es ist toll, dass die „Rhein-Zeitung“ darauf verzichtet hat, etwas Schlimmes zu tun. Aber wir fänden es noch toller, wenn sie das als Selbstverständlichkeit betrachten würde. Das ist der Grund, warum wir uns etwas schwer damit tun, die „Rhein-Zeitung“ für diese Sache so zu feiern, wie sie es selbst tut. Aber das sind natürlich alles Maßstäbe für den Bereich des verantwortungsvollen Journalismus.

Nicht für die „Bild“-Zeitung.

Die hat das mit der Beerdigung gestern auch mitbekommen. Und sieht heute so aus:

Innen zeigt „Bild“ das Grab nochmal groß aus einer anderen Perspektive, der letzte Gruß der Eltern an ihren toten Sohn prangt als riesige Überschrift über dem Artikel.

Auch Bild.de zeigt das Grab groß auf der Startseite …

… den Rest gibt es aber nur gegen Bezahlung:

Wer alles zur Beerdigung kam, wie sich Verwandte und Freunde von dem Amok-Flieger verabschiedeten und was die Angehörige eines Friedhofsnachbarn sagt, lesen Sie mit BILDplus!

Die Fotos kommen übrigens von „Bild“-Fotograf Jürgen Mahnke — bisheriges Schaffen (Auszug): „Die schlimmsten Schießereien im Rhein-Main-Gebiet“, „Die spektakulärsten Unfälle im Rhein-Main-Gebiet“, „Die schlimmsten Bus-Unglücke im Rhein-Main-Gebiet“, „Die spektakulärsten Sportwagen-Unglücke im Rhein-Main-Gebiet“, „Die schlimmsten Tankzug-Unglücke im Rhein-Main-Gebiet“, „Die wildesten Verfolgungsjagden im Rhein-Main-Gebiet“, „Die gefährlichsten SEK-Einsätze im Rhein-Main-Gebiet“, „Die blutigsten Messerstechereien im Rhein-Main-Gebiet“.

Mahnke hat das Grab des Co-Piloten aus mehreren Perspektiven fotografiert, die Kränze und Blumen der Angehörigen, auch den Zettel, mit dem die Friedhofsverwaltung darauf hingewiesen hat, dass der Friedhof am Samstag gesperrt sei, und beim Grabschmuck der Freundin ist der Fotograf extra nah rangegangen, damit man ihre Abschiedsworte auch schön nachlesen kann (immerhin: die Namen der Angehörigen hat Bild.de verpixelt).





Wenn man das so sieht, lässt sich erahnen, was los gewesen wäre, wenn die Weltpresse doch vorher Wind von der Sache bekommen hätte, und irgendwie sind wir der “Rhein-Zeitung” dann doch dankbar.

Mit Dank auch an Christian P., Geesej R. und Markus G.!

Stefan Raab, Ghostwriter, Scheinselbstständigkeit

1. “Raabs späte Rache an ‘Bild’ und Co.”
(stern.de, Jens Maier)
Jens Maier glaubt, die Ankündigung, Stefan Raab werde sich vom Fernsehen zurückziehen, sei um 22:11 Uhr versendet worden, um die Boulevardmedien zu ärgern: “Sein Dogma, nichts über sein Privatleben preiszugeben, wurde von den meisten Journalisten akzeptiert. Recht passen wollte es nie. Ausgerechnet er, der in seiner Sendung ‘TV Total’ wildfremde Menschen wie Lisa Loch durch den Kakao zog, zeigte sich bei Details aus seinem eigenen Umfeld als empfindlich und sensibel, sogar nachtragend. Paradox. Aber so tickt er eben, der medienscheue Stefan Raab.” Siehe dazu auch “Der Ehrgeiz des Stefan Raab” (stefan-niggemeier.de).

2. “Tim Hunt und der Twitter-Mob”
(scilogs.de/relativ-einfach, Markus Pössel)
Markus Pössel hinterfragt die Existenz eines “Twitter-Mobs”: “Eine Äußerung eines Haupt-Vortragenden auf einer Konferenz, zu der nicht zuletzt auch Journalisten geladen sind, ist eine öffentliche Äußerung. Und wer diese Äußerung weitergibt, selbst und gerade wenn sie unangenehm und für viele potenzielle Leser ärgerlich ist, der macht genau das, was sich die FAZ im Zusammenhang mit der Presseratsentscheidung zum Germanwings-Absturz als edelste Aufgabe der Presse auf die Fahnen schreibt: Tatsachen nennen, auch wenn sie unangenehm sind.”

3. “Zersetzung für Anfänger”
(taz.de, Daniel Kretschmar)
Daniel Kretschmar stellt fest, dass sich Medien, “wenn es zu Fragen der Staatssicherheit (der aktuellen, nicht jener aus der DDR) kommt, bisweilen wie Handlanger von Behörden und Diensten aufführen. Kaum bekommt Journalist X ein Zuckerchen im Hintergrundgespräch mit dem Ministerialbeamten Y oder der Geheimdienstkoordinatorin Z, kennt er keine kritische Distanz mehr, keine Nachfrage, keinen Faktencheck.”

4. “Problemfall Scheinselbstständigkeit: Verlage im Visier”
(ndr.de, Video, 5:20 Minuten)
“Zapp” über scheinselbständig angestellte Journalisten in Deutschland.

5. “Liebe Neonazis, verschwindet von unserer Seite!”
(cicero.de, Petra Sorge)
Die “Lübecker Nachrichten” teilen Beiträge über Flüchtlingsthemen nicht mehr auf Facebook. Petra Sorge schreibt: “Mit Zensur hat der Verzicht auf Facebook schon einmal deshalb nichts zu tun, weil dieser Begriff eine staatliche Maßnahme zur Unterdrückung von Meinungsfreiheit voraussetzt. Hier wehrt sich ein privates, an Aufklärung interessiertes Unternehmen gegen einen braunen Mob.” Siehe dazu auch “‘Wer die Regeln bricht, ist raus'” (blog.tagesschau.de, Video) und “‘Abschaum’, ‘Schweine’, ‘Bastard’? So nicht, liebe Leser! – Warum Schweizer Medien beleidigende Leserkommentare löschen” (watson.ch).

6. “Der Ghostwriter-Report”
(zeit.de, Oskar Piegsa)
Oskar Piegsa mit einer ausführlichen Recherche über akademische Ghostwriter: “Die Ghostwriter können nach geltendem Recht nicht belangt werden, doch wer eine fremde Arbeit als seine eigene ausgibt, riskiert seine Creditpoints und seinen Studienplatz. ‘Der eigentliche Täter ist immer der Prüfling, der die Leistung einer Agentur in Anspruch nimmt’, sagt Henning Rockmann von der Hochschulrektorenkonferenz.”

Rügen-Drama! Helene Fischer und das Killer-Kommando

Vergangene Woche hat der Presserat neben der Germanwings-Berichterstattung auch die “regulären” Beschwerden bearbeitet und im Anschluss (zusätzlich zu den zwei Rügen, sechs Missbilligungen und neun Hinweisen zu Germanwings) sechs Rügen, 26 Missbilligungen und 27 Hinweise ausgesprochen.

Am fleißigsten unjournalistisch unterwegs waren mal wieder die “Bild”-Medien und die der Regenbogenpresse.

***

Eine Rüge bekam Bild.de für die Veröffentlichung eines Notruf-Mitschnitts aus den USA, in dem eine schwer verletzte Frau berichtet, dass sie schwanger sei und ihr der Bauch aufgeschnitten wurde:

(Inzwischen offline.)

Der Beschwerdeausschuss bewertete die Veröffentlichung als unangemessen sensationell (Verstoß gegen Ziffer 11):

Der über fünf Minuten lange Mitschnitt ermöglichte es den Hörern, am Leiden der Frau teilzunehmen. Ein Begleittext mit einer journalistischen Einordnung des Falls fehlte. Da die Frau auch mit Bild gezeigt wurde und sie bei dem Notruf ihren Vornamen, ihr Alter und ihre Adresse nennt, lag zudem eine Verletzung des Schutzes ihrer Persönlichkeit vor.

Dass ein Begleittext fehlte, ist übrigens so nicht ganz richtig. Im Video-Bereich von Bild.de erschien das Video zwar ohne eigenen Text, geschrieben hat das Portal über den Fall aber an anderer Stelle. Und da umso ausführlicher:


Darüber hat sich aber niemand beim Presserat beschwert.

„Bild“ und Bild.de erhielten außerdem fünf Missbilligungen.

Auf Bild.de war ein Artikel über einen Mann erschienen, der angeblich heimlich ein Mädchen gefilmt hatte und von dessen Vater daraufhin zu Tode geprügelt wurde. Im Artikel wurden beide Männer unverpixelt gezeigt, worin der Presserat einen Verstoß gegen Ziffer 8 (Schutz der Persönlichkeit) erkannte.

Ebenfalls gegen Ziffer 8 verstieß nach Ansicht des Presserats dieser Artikel:

… weil Bild.de die Gesichter der Opfer unverpixelt gezeigt hatte.

Auch in diesem Fall …

… verzichtete Bild.de auf eine Anonymisierung des Opfers, allerdings ist wohl davon auszugehen, dass eine Erlaubnis der Eltern vorlag (sie haben sich auch selbst von „Bild“ fotografieren lassen).

Eine Erlaubnis für das Zeigen des Täters hatte Bild.de aber offensichtlich nicht; der Presserat sprach erneut eine Missbilligung wegen Verstoßes gegen Ziffer 8 aus.

Missbilligt wurde zudem dieser Beitrag:

Das Video wurde zwar von der Mutter selbst veröffentlicht, dennoch erkannte der Presserat einen Verstoß gegen Ziffer 1 (Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde).

***

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Eine weitere Rüge sprach der Presserat gegen die „Ludwigsburger Kreiszeitung“ aus. Das Blatt hatte eine Polizeimeldung über einen Trickdiebstahl veröffentlicht. Darin stand, dass die Verdächtigen „vermutlich Sinti oder Roma“ seien. Der Beschwerdeausschuss bewertete das als diskriminierend und als „einen schwerwiegenden Verstoß gegen Ziffer 12 in Verbindung mit Richtinie 12.1 des Pressekodex“, in der steht:

In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.

Dieser Bezug fehlte nach Ansicht des Presserats in diesem Fall.

***

Ebenfalls gerügt wurde die „Märkische Allgemeine“. Die Zeitung hatte drei Beiträge veröffentlicht, in denen den Lesern jeweils ein bestimmtes Produkt vorgestellt wurde (Notizbuch, Haarpflegemittel, Raumspray), inklusive Produktfotos und Preisnennung. In einem Fall wurde der vorgestellte Artikel zudem als „Wundermittel“ bezeichnet. Der Beschwerdeausschuss sah durch diese Angaben die Grenze zur Schleichwerbung nach Richtlinie 7.2 überschritten.

***

Alle weiteren Rügen gingen diesmal wieder an die Regenbogenpresse.

Unter anderem an “Das neue Blatt“. Das Heft aus dem Bauer-Verlag hatte im vergangenen Jahr getitelt:

Die Geschichte ging so: Neulich ist mal eine Artistin im Düsseldorfer Varieté aus vier Metern Höhe gestürzt und hat sich verletzt. Helene Fischer macht bei ihrer Tour auch ein paar Kunststücke in luftiger Höhe. Ende.

Oder wie „Das neue Blatt“ zusammenfasst:

Sie will überraschen, das Publikum begeistern: Für ihre Fans gibt Helene Fischer alles! Dabei ist die Gefahr, sich zu verletzen oder dass Schlimmeres passiert, groß, wie ein schwerer Unfall zeigt. […] Ob Helene nach diesem Drama vernünftig wird?

Auch der Presserat wertete die Darstellung auf der Titelseite und in der Schlagzeile als „bewusst irreführend“ und als Verstoß gegen die Ziffern 1 (Wahrhaftigkeit) und 2 (Sorgfalt).

***

Gleich zwei Rügen (ebenfalls wegen Verstößen gegen die Ziffern 1 und 2) kassierte der „Alles Gute Verlag“ — für einen identischen Artikel in zwei verschiedenen Heften. Beide hatten getitelt:


Diese Mehrfachverwurstung ist in der Regenbogenpresse übrigens üblich.

Die Informanten für die Story sind angeblich irgendwelche „Palastinsider“, die angeblich „von einer ausgewachsenen Depression“ bei Norwegens Prinzessin sprechen. Belege für eine tatsächliche Erkrankung liefern die Blätter nicht.

Das Foto auf dem Titel haben die Redaktionen noch dazu komplett aus dem Zusammenhang gerissen. Ja, sie weint auf dem Foto, aber nicht wegen der angeblichen „Schock-Diagnose“, sondern weil sie um die 77 Opfer trauert, die bei den Anschlägen in Norwegen am 22. Juli 2011 ums Leben kamen. Darunter auch Mette-Marits Stiefbruder, der auf der Insel Utøya erschossen wurde.

Die Fotos wurden bei einer Trauerfeier aufgenommen und werde seitdem immer wieder von den Regenbogenredaktionen missbraucht, um ihre Lügengeschichten zu illustrieren.

Apropos. Die „Freizeit direkt“ aus dem Deltapark-Verlag sieht zurzeit so aus:

Und der “Alles Gute Verlag” hat seinen soeben doppelt gerügten Artikel einfach noch ein drittes Mal rausgejagt. Die aktuelle “Freizeit heute” sieht so aus:

Zu den Mitteilungen des Presserats

Wrestling, Bellingcat, Sepp Blatter

1. “Mord war zu gewöhnlich: Presserat rügt Bild wegen Täter-Foto”
(meedia.de, Marvin Schade)
“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann ist nicht einverstanden mit einem Entscheid des Deutschen Presserats. Er ruft “Bild”-Leser dazu auf, sich in dieser Sache beim Presserat zu melden: “‘Sagen Sie dem Presserat ihre Meinung.’ Dazu veröffentlicht die Redaktion Telefonnummer und Adresse der Ethikinstanz, eine Aufforderung zum personalisierten Protest der Bildleser-Crowd.”

2. “Schlechte Recherche? Dafür habe ich keine Zeit”
(wrestling-point.de, Mathias)
“Muss alles was wir uns täglich zuführen Hochkultur sein?”, fragt Mathias zum Artikel “Prügel gegen Geld” (zeit.de, Felix Lill): “Im Endeffekt haben wir hier ein Paradebeispiel was dabei rauskommt, wenn jemand schon mit einer vorgefertigt Meinung in einen Artikel hüpft. Kein müder Gedanke wurde daran verschwendet nachzuforschen, warum Wrestling beliebt ist. Der Autor kam mit der Einstellung rein ‘Wrestling ist Idiotenunterhaltung’ und brachte das dann auch so zu Papier.”

3. “Wenn alle die Ersten sein müssen”
(deutschlandradiokultur.de, Jakob Schmidt)
Jakob Schmidt sucht Alternativen zum von Eilmeldungen getriebenen Journalismus und kommt auf das Prinzip Langsamkeit, das Prinzip Subjektivität und das Prinzip Unabhängigkeit.

4. “Russland soll MH17-Bilder manipuliert haben”
(ndr.de, Bastian Berbner)
Bastian Berbner schreibt über Recherchen der Website Bellingcat zur Absturzursache von Malaysia-Airlines-Flug 17: “Die Bellingcat-Rechercheure haben die Aufklärung dieses Verbrechens in der Öffentlichkeit so weit vorangetrieben wie niemand sonst. Wie Staatsanwälte haben sie aus Fakten ein dichtes Netz gesponnen, das kaum mehr Zweifel zulässt.”

5. “Bellingcat-Analyse MH 17 so unseriös wie BILD und SPON”
(hogymag.wordpress.com, almasala)
Almasala bezweifelt diese Sichtweise: “Die Ergebnisse von Bellingcat beruhen auf einer fehlerhaften Analyse und unschlüssigen Argumentation. Doch das Desaster ist nicht die stümperhafte und dilettantische Vorgehensweise von Bellingcat. Das Desaster ist, dass Leitmedien eine Laientruppe in den Stand von Experten und investigativen Journalisten erhebt, weil sie die gewünschten Ergebnisse für die gewünschte Meinung liefern. Die Medien schieben die vermeintlichen Experten von Bellingcat wie eine Monstranz vor sich her und lassen ihre eigene Agenda durch den Mund der selbsternannten Bürgerjournalisten verbreiten. Ergebnisse fehlerhafter Analysen werden dabei zu Fakten oder bestenfalls zu mutmaßlichen Fakten erklärt.”

6. “Gerechtigkeit für Sepp Blatter!”
(faz.net, Roger Köppel)
Roger Köppel fordert Gerechtigkeit für Josef Blatter: “Seine Dauerkritiker übersehen: Die Tatsache, dass man ihm nichts nachweisen kann, hat vor allem damit zu tun, dass es nichts gibt, was man ihm nachweisen kann. Was seine Feinde freilich nur noch rasender macht.”

Wikileaks, DHL, Germania

1. “Mit Vollgas in die Vertrauenskrise”
(infosperber.ch, Christof Moser)
Christof Moser befragt Mitarbeiter von Schweizer Onlineportalen zu ihren Arbeitsbedingungen: “Journalisten müssen damit beginnen, den Journalismus gegen seine Feinde zu verteidigen. Zu diesen gehören auch die Medienkonzerne, bei denen sie heute noch angestellt sind.”

2. “Wie die Presse versucht, WikiLeaks zu diskreditieren”
(wolfgangmichal.de)
Wolfgang Michal beleuchtet die Beziehung zwischen Wikileaks und den etablierten Medien: “Die pressetypische Umsetzung von Leaks gleicht heute in ihrer seriellen Herstellung in verblüffender Weise der Zurückhaltung staatlicher Behörden gegenüber parlamentarischen Untersuchungsausschüssen: Immer wenn es konkret wird, sind die Dokumente ‘geschwärzt’. So heißt es in der groß aufgemachten ‘Swiss Leaks’-Story der SZ über Steuerhinterzieher aus dem Hochadel, dem Sportbusiness und dem Rotlichtmilieu: ‘Die Süddeutsche Zeitung wird deren Namen nicht nennen’. Man möchte zwar den Pelz waschen, aber er soll nicht nass werden.”

3. “Germanwings-Foto: Presserat rügt ‘Krone’ und ‘Österreich'”
(derstandard.at)
“Kronen Zeitung” und “Österreich” erhalten eine Rüge des österreichischen Presserats, weil sie einen Unbeteiligten zum Copilot des abgestürzten Germanwings-Flugs 9525 machten: “Auf der Titelseite der ‘Kronen Zeitung’ wurde das beanstandete Foto am 28. März 2015 klein und dieses Mal verpixelt mit einem kurzen Begleittext mit der Überschrift ‘Ich wurde mit dem Copiloten verwechselt’ noch einmal gebracht und der Fehler eingestanden.”

4. “Bull-Analyse: Die neuen Diener der Datenkraken”
(blogs.taz.de/hausblog, Andreas Bull)
“Taz”-Geschäftsführer Andreas Bull kommentiert die Zusammenarbeit anderer Zeitungsverlage mit Google und Facebook: “Der Verlust der Entscheidungshoheit, was die Marke ihrem Publikum zeigen und zumuten will, wird dabei dem Altar purer pekuniärer Prosperität geopfert.”

5. “Zur Demokratie gehört eine freie Diskussionskultur”
(hpd.de, Frank Nicolai)
Hamed Abdel-Samad erzählt von seinen Erfahrungen mit der Burschenschaft “Germania” in Marburg: “Ich geh nicht zu Rassisten, zu Leuten, die zu Gewalt aufrufen, nicht zu Menschen, die sich nicht zum Grundgesetz bekennen. Aber sonst rede ich mit jedem. Denn ich finde, man sollte mit jedem reden, auch wenn mein Gegenüber ein anderes Geschichtsbild oder Gesellschaftsbild hat als ich. Es hilft überhaupt nichts, wenn man eine Gruppe in die Isolation treibt, weil das genau das ist, was zur Radikalisierung führt.”

6. “der marktführer”
(wirres.net, Felix Schwenzel)
Felix Schwenzel verfolgt ein Paket: “niemand fühlt sich zuständig. der versandhändler (der nicht amazon war) will mit den versandproblemen nichts zu tun haben und nicht intervenieren. DHL schiebt die schuld auf den kunden (weil der kunde nicht anwesend war, mussten wir das paket nach speyer fahren und die rücksendung ankündigen). der kunde (wir) fühlt sich von DHL verarscht. die auslieferungsfahrer sind überfordert und unglücklich.”

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