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Bei Bild.de ruckt es acht Jahre zu spät nach rechts

Gestern fand in Finnland die Parlamentswahl statt. Mit Blick auf das vorläufige Endergebnis fasst Bild.de zusammen:

Screenshot Bild.de - Sozialdemokraten vorn, aber ... Rechtsruck bei Parlamentswahl in Finnland - Auszählungs-Krimi im hohen Norden - Ist das Ergebnis ein Omen für die Europawahl im Mai?

Dazu schreibt die Redaktion:

Finnland gilt als glücklichstes Land der Erde. Mit dem Ergebnis der Parlamentswahl dürften viele Europäer angesichts der bevorstehenden Europawahl aber nicht so glücklich sein.

Die rechtspopulistische Partei Die Finnen schafft es bei der Parlamentswahl weit nach vorne: Sie erhielt 17,5 Prozent der Stimmen und kommt nun auf 39 der 200 Sitze im Parlament.

Und:

Das Abschneiden der Finnen-Partei gilt als Omen für die Europawahl am 26. Mai: Die Finnen-Partei gehört neben der AfD und der italienischen Lega zu den Parteien, die im EU-Parlament eine neue Allianz der Rechtspopulisten bilden wollen.

Wir können uns nicht erklären, wie Bild.de darauf kommt, dass es gestern einen “Rechtsruck” bei der Wahl in Finnland gegeben habe. Die rechtspopulistische PS (“Basisfinnen” oder “Die Finnen”) hat im Vergleich zur vorherigen Parlamentswahl 0,2 Prozentpunkte verloren: 2015 hatte sie noch 17,7 Prozent der Stimmen bekommen, 2011 sogar 19,1 Prozent. Damals gab es wirklich einen “Rechtsruck”: Die PS hatte vor acht Jahren einen Zugewinn von 15,0 Prozentpunkten. Das Wahlergebnis von gestern ist seitdem das schlechteste der Partei. Und damit ist es auch definitiv falsch, wenn der “Deutschlandfunk” dazu schreibt:

Die Rechtspopulisten konnten die Zahl ihrer Sitze damit mehr als verdoppeln.

Tatsächlich hat die PS gestern, trotz des Minus von 0,2 Prozentpunkten, einen Parlamentssitz dazugewonnen und hat nun 39 Mandate.

Aber zurück zum angeblichen “Rechtsruck” von Bild.de. Auch das Ergebnis der anderen größeren finnischen Partei aus dem rechten Spektrum, der konservativen Nationalen Sammlungspartei (KOK), spricht nicht dafür: Sie hat im Vergleich zur Wahl 2015 ebenfalls verloren, minus 1,2 Prozentpunkte. Der größte Verlierer von gestern ist die liberale Zentrumspartei (KESK) mit einem Minus von 7,3 Prozentpunkten. Weil KOK und KESK stärker verloren haben als die PS, ist diese nun zweitstärkste Partei im finnischen Parlament.

Stärkste Kraft ist die Sozialdemokratische Partei (SDP) mit 17,7 Prozent und 40 Parlamentssitzen. Sie hat gestern 1,2 Prozentpunkte und sechs Sitze gewonnen. Das Linksbündnis (VAS) hat 1,1 Prozentpunkte und vier Sitze gewonnen. Größter Gewinner von gestern ist der Grüne Bund (VIHR) mit einem Plus von 3,0 Prozentpunkten und fünf Parlamentssitzen. Wenn also gestern überhaupt irgendetwas in Finnland irgendwohin geruckt ist, dann nach links.

Mit Dank an Darius D. und Simon für die Hinweise!

Neues Altes von Grindel, Negatives für Autoren, Seltsame Greta-Ehrung

1. Herr Grindel und seine besondere Beziehung zur Deutschen Welle
(journalist-magazin.de, Olaf Wittrock)
DFB-Präsident Reinhard Grindel brach unlängst vor laufender Kamera ein Interview mit der “Deutschen Welle” ab, wegen unbequemer Fragen zu einem angeblichen Milliardendeal. Nun stellt sich heraus, dass dies nicht der erste Fall dieser Art war. Schon vor acht Jahren habe Grindel ein Interview mit einer früheren freien Mitarbeiterin der “Deutschen Welle” abgebrochen — mit angeblich dramatischen Folgen für die freie Mitarbeiterin: Sie habe nach dem Vorfall keine neuen Aufträge bekommen und sei regelrecht kaltgestellt worden. Grindel sei zu dieser Zeit Mitglied des Verwaltungsrates der “Deutschen Welle” gewesen und habe dies auch während des Interviews deutlich anklingen lassen, was die Interviewerin als Drohung empfunden habe. Laut “Deutscher Welle” habe sich alles mit rechten Dingen zugetragen: “Herr Grindel hat seinen Unmut hierüber der Mitarbeiterin gespiegelt. Das betrachten wir als das gute Recht eines jeden Interviewten.”

2. EU-Urheberrechtsreform: 8 negative Folgen, mit denen Autoren jetzt rechnen müssen
(literaturcafe.de, Wolfgang Tischer)
Vergangene Woche hat das EU-Parlament für die umstrittene Urheberrechtsreform gestimmt. Dies werde für Autorinnen und Autoren überwiegend negative Folgen haben, so “Literaturcafe”-Gründer Wolfgang Tischer. Autorinnen und Autoren würden unter anderem weniger Geld von der VG Wort erhalten, die Zahlungen von YouTube, Facebook & Co. seien noch völlig unklar und das Teilen von eigenen Texte und Leseproben werde erschwert.
Weiterer Lesetipp: Fachanwalt Chan Jo-Jun: “Die Bundesregierung wird bei der Umsetzung den Begriff “Uploadfilter” vermeiden” (quotenmeter.de, Manuel Weis).

3. Der ORF hat Facebook nicht ganz richtig verstanden
(nzz.ch, Reto Stauffacher)
Unlängst hat der Österreichische Rundfunk (ORF) seinen Abschied von Facebook verkündet. In einer Stellungnahme führte der Sender mehrere Gründe dafür an, von grundlegenden Bedenken gegenüber dem Netzwerk als solchem bis hin zu pragmatischen Erwägungen. Reto Stauffacher kritisiert die Entscheidung als Kapitulation vor dem Social-Media-Netzwerk und falsches Signal: “Es ist eine Kernaufgabe von Medien, auf Facebook präsent zu sein, Verantwortung zu übernehmen, zu intervenieren und zu moderieren. Und es ist eine Herausforderung, sich mutig und selbstbewusst der Kritik und der Häme entgegenzustellen. Medienhäuser schaffen das natürlich nur, wenn Ressourcen gesprochen werden. Das allerdings sollte für den ORF, der sich mit Gebührengeldern finanziert, kein Problem sein.”

4. Zwischen Landlust und Randfrust
(message-online.com, Gisbert Strotdrees)
“Landlust”, “Liebes Land”, “Landliebe”, “Schönes Land”, “Landgenuss”, “Landkind”, “Landapotheke” … In den letzten Jahren erschienen etliche Hochglanz-Magazine, die sich der schönen heilen Welt auf dem Land widmen. Fernsehsender und Printmedien haben das Thema für sich entdeckt und berichten in zahlreichen Land-, Dorf- und Provinz-Reportagen über das Regionale. In einem längeren Lesestück untersucht Gisbert Strotdrees das Phänomen, das zwischen Klischees und realem Abbild schwankt.

5. Konrad Weber, wie müssen sich öffentlich-rechtliche Medien verändern?
(anchor.fm/unterzwei, Levin Kubeth & Felix Ogriseck, Audio: 60 Minuten)
Der Journalist des Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) Konrad Weber hat ein Manifest veröffentlicht, wie öffentlich-rechtliche Medien heutzutage aussehen sollten. Im Interview mit dem Medienpodcast “Unter Zwei” erzählt er, wie die Entwicklung der 15 Punkten verlief, welche Mitstreiter es gab und welche Konflikte es zu überwinden gilt: “Es geht darum, als Journalist — vor allem der öffentlich-rechtlichen Medien — vom hohen Ross herunterzukommen und stattdessen zu lernen, wie die digitalen Möglichkeiten bestmöglich genutzt werden können.”

6. Erst Klima-Aktivistin ehren, dann Mini-SUV verschenken
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz, Video: 1:30 Minuten)
Die Funke Mediengruppe hat die Umweltaktivistin Greta Thunberg am Samstagabend für ihr Engagement mit einer “Goldenen Kamera” ausgezeichnet. Sponsor der Veranstaltung war der Autokonzern VW, der live einen Mini-SUV an eine Schauspielerin verschenkte. Boris Rosenkranz hat die beiden Vorgänge kontrastiert, indem er die entsprechenden Sendungsausschnitte gegenübergestellt hat.
Weiterer Lesetipp: Greta Thunberg und Atomkraft: Wie viel CO2 macht eine Nebelkerze?: “Konservative Medien behaupten, die Umweltaktivistin befürworte Atomenergie. Das ist nicht nur falsch — es ist ein bewusstes Ablenkungsmanöver.” (taz.de, Finn Holitzka).

7. Der Bildblog und die HuffPost – die Geschichte einer wahren Liebe
(huffingtonpost.de)
Heute noch ein Zusatzlink: Die deutsche “HuffPost” schließt und verabschiedet sich vom BILDblog mit einem Dank “für die vielen anerkennenden Texte, die Ihr eine zeitlang über uns geschrieben habt!” Nun ja, das mit der Anerkennung, das habt Ihr vielleicht nicht ganz … ach, egal! Macht es gut, liebe HuffPostler und zum Abschied ein WinkeWinke von Eurem BILDblog.

Vom Witwenschüttler zum Chefredakteur

Vergangene Woche jährte sich der Amoklauf in Winnenden zum zehnten Mal. Ein Jugendlicher tötete am 11. März 2009 an seiner Schule 15 Menschen und sich selbst.

Das NDR-Medienmagazin “Zapp” zeigte Ende Februar noch einmal, wie Medien und Journalisten damals vor Ort vielfach Grenzen überschritten. Dafür führten die “Zapp”-Reporter Daniel Bouhs und Sabine Schaper auch ein Interview mit SWR-Reporter Knut Bauer, der vor zehn Jahren für den ARD-Hörfunk in Winnenden war. Bauer erzählt unter anderem diese Geschichte:

Noch schlimmer habe ich es erlebt in einem Fotogeschäft. Auch da habe ich nicht drüber nachgedacht. Und da war es auch eine ganz bizarre Situation, dass die Frau in diesem Fotoladen mich eigentlich fast wieder rausschmeißen wollte. “Gehen Sie, gehen Sie, gehen Sie.” Und ich habe dann gesagt: “Jetzt lassen Sie uns erstmal in Ruhe drüber reden. Ich weiß, dass es ganz schwierig ist. Ich mache ja auch nur meinen Job und mir ist es auch nicht wohl dabei.” Und dann kam ein anderer Mitarbeiter oder ihr Sohn — ich weiß gar nicht, wer es war — und hat das Gespräch dann übernommen und hat mir erzählt, dass am Tag vorher auch Boulevardjournalisten da waren, die Geld auf den Tisch gelegt haben, um Fotos, Konfirmationsfotos von den toten Schülerinnen und Schülern zu bekommen. Also das ist dann schon bizarr und abstoßend. Und ich muss ganz ehrlich sagen: Da gab es viele Situationen, wo ich mich dann auch geschämt habe.

Wer macht sowas? Wer bedrängt Leute, die trauern, die mitgenommen sind, die sich in einer emotionalen Ausnahmesituation befinden — nur um an Fotos von getöteten Menschen zu kommen? Zum Beispiel “Bild”-Chef Julian Reichelt.

Reichelt war damals, als die Medienmeute in Winnenden einfiel, natürlich noch nicht Chefredakteur. Aber er war für Bild.de als Reporter dabei. Es gibt ein Video von ihm:

Screenshot eines Bild.de-Videos, in dem Julian Reichelt in Winnenden zu sehen ist

Reichelt sagt darin:

Hier in Süddeutschland, in dieser scheinbaren Idylle, begann einer der blutigsten Amokläufe der deutschen Kriminalgeschichte.

Leutenbach, in der Nähe von Stuttgart in Baden-Württemberg, eine Stadt unter Schock. Hier in dem Haus hinter mir hat Amokläufer Tim K. gewohnt. Von hier brach er auf auf seinen blutigen Feldzug.

Patrick S. hatte gerade Deutschunterricht an der Albertville-Realschule in Winnenden, als der kaltblütige Amokschütze Tim K. sein Blutbad begann. Mehrere Kugeln trafen den Schüler.

“Bild” sitzt im Wohnzimmer der Familie von Patrick S. und lässt den Schüler seine mit Pflastern überklebten Verletzungen zeigen. Es folgt ein Interview, das offenbar nicht Reichelt führt, jedenfalls klingt die Stimme des Interviewers anders. Patrick S. kann zu den Fragen (“Was hatte er für eine Waffe?”, “Eine Waffe? Oder hatte er mehrere?”, “Was hatte er an?”, “Wie oft hat er geschossen?”, “Hat denn jemand geschrien?”) nicht wirklich etwas sagen. Es schüttelt wiederholt den Kopf, atmet tief durch.

Dann setzt Reichelt erneut ein, als Off-Sprecher:

Patricks Mitschülerin Chantal ist eine der ermordeten Schülerinnen. Er zeigt uns ein altes Klassenfoto. Ein weiteres Opfer des Killers von Winnenden ist Jana. Sie galt unter Mitschülern als beliebt, kontaktfreudig, lebensfroh. Wie Patrick ging auch sie in die neunte Klasse der Realschule und stand kurz vor ihrem Schulabschluss. Jana und Chantal — junge Mädchen aus der Nachbarschaft des Täters.

Im Video sind die Bilder der beiden Mädchen unverpixelt und in Großaufnahme zu sehen (daher verzichten wir auf einen Link). Der Vater von Chantal äußerte sich kurze Zeit später dazu, dass “Bild” und einige Fernsehsender Fotos seiner Tochter zeigten: “Dreimal hintereinander sind Bilder von Chantal erschienen, ohne dass wir das gewollt hätten. Wir hätten das nie erlaubt.” Die “Bild”-Medien veröffentlichten nach dem Amoklauf wieder und wieder Fotos, auf denen die Opfer zu sehen waren. Und Julian Reichelt hat mitgemacht.

Heute leitet Reichelt also die “Bild”-Medien. Und es sieht nicht danach aus, als würde seine Redaktion in absehbarer Zeit darauf verzichten, Fotos von Verstorbenen zu zeigen. Solche Aufnahmen begegnen uns immer wieder, mitunter groß auf der “Bild”-Titelseite. Erst vor ein paar Tagen, nach dem Absturz eines Flugzeugs in Äthiopien, bei dem 157 Menschen ums Leben kamen:

Ausriss Bild-Titelseite - Die deutschen Opfer aus dem Todesflieger
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag stammen von uns.)

Wobei “Die deutschen Opfer” vor allem bedeutet: Die drei deutschen Opfer, bei denen die “Bild”-Redaktion an Fotos gelangen konnte (und von denen “Bild” auch noch die Berufe und die kompletten, teilweise falschen Namen nennt). Die zwei weiteren Deutschen, die bei dem Absturz gestorben sind, spielen in der “Bild”-Ausgabe keine Rolle.

Es müssen auch gar nicht große Ereignisse wie ein Amoklauf oder ein Flugzeugabsturz sein, nach denen die “Bild”-Mitarbeiter losziehen, Fotos von Verstorbenen zusammenklauben und diese groß und ohne Unkenntlichmachung abdrucken:

Ausriss Bild-Titelseite - F (16) und L (16) von S-Bahn überrollt - zwei 17-Jährige in U-Haft - Nach Disco in den Tod gestoßen - dazu zwei unverpixelte Fotos der verstorbenen Jugendlichen

In diesem und in manchen anderen Fällen bringen die Familien der Verstorbenen die bewundernswerte Kraft auf, sich in einer Zeit tiefster Trauer gegen die Schweinereien der “Bild”-Redaktion zu wehren.

Christchurch, “Künstlerische Freiheit”, Tragödienjournalismus

1. Der Troll-Terrorist
(spiegel.de, Sascha Lobo)
Der Terroranschlag auf Moscheebesucher im neuseeländischen Christchurch wurde vom Täter in Echtzeit bei Facebook gestreamt. Dazu veröffentlichte der Mann eine Art Manifest. Er verknüpfe “seine faschistische Ideologie mit der Netzkultur”, schreibt Sascha Lobo: “Die mediale Verbreitung der Tat ist Teil des Terrors — wir müssen uns hüten, unabsichtlich mitzumachen.”
Weitere Lesehinweise: Auch Simon Hurtz warnt in seinem Beitrag davor, Attentätern eine Bühne zu geben: “Wer nicht will, dass Terroristen Aufmerksamkeit für ihre Verbrechen bekommen, sollte ihre Selbstinszenierung nicht verbreiten: keine Links auf ihre Manifeste, keine Ausschnitte aus ihren Videos, keine Bilder, am besten nicht einmal ihre Namen nennen.”
Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen kritisiert Medien wie “Bild”, deren Verhalten er “grotesk” nennt (deutschlandfunkkultur.de, Gesa Ufer).
Außerdem lesenswert der Bericht über das Bemühen von Polizei und sozialen Medien, das Video aus dem Netz zu entfernen: Polizei will Anschlag-Videos aus dem Netz tilgen (spiegel.de, Sonja Peteranderl).
Und Stefan Fries erklärt noch einmal gründlich, “warum es falsch ist, die Namen der Täter und ihr Manifest zu veröffentlichen”.
In einem Twitter-Thread hinterlässt Journalist Georg Diez “ein paar Worte zu dem Tweet von AKK, die ja doch die nächste Bundeskanzlerin werden will”.

2. Wenn dem Sprecher schlecht wird
(blog.tagesschau.de, Kai Gniffke)
Vergangenen Donnerstag erlitt “Tagesschau”-Sprecher Jan Hofer vor laufenden Kameras einen Schwächeanfall. Vor allem die Boulevardmedien weideten das Geschehen verkaufsorientiert und klickheischend aus. ARD-Aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke berichtet, wie es Jan Hofer mittlerweile geht (deutlich besser), und erklärt, wie hoch die Belastung als “Tagesschau”-Sprecher ist, ob es ein Krisenszenario für solche Fälle gibt und warum die Kamera so lang auf Hofer stehen blieb.

3. “Tragödienjournalismus außer Rand und Band”: Medienethikerin über den Fall Rebecca und Reporter im Jagdfieber
(meedia.de, Thomas Borgböhmer)
“Meedia” hat sich mit der Medienethikerin Marlis Prinzing unter anderem über die Frage unterhalten, warum sich die Familie der verschwundenen 15-jährigen Rebecca eine Reporterin der “Bunte” ins Haus holte: “Es ist nachvollziehbar, dass eine Familie auch emotional völlig durcheinander ist, wenn eine 15-jährige über Wochen hinweg verschwunden bleibt und mit allem zu rechnen ist. Nachvollziehbar ist ferner, dass Menschen in solchen Extremsituationen überfordert und wenig rational reagieren. Nicht nachvollziehbar ist hingegen, wenn manche Medien diesen emotionalen Ausnahmezustand als Freibrief und als Einfallstor nutzen, um eine reichweitenträchtige Schicksalsstory rund um ein mutmaßliches Verbrechen aus dem Esszimmer der Betroffenen zu erzählen und jedem, dem das gefällt, ermöglichen, sich aus der Nähe am Leid der anderen zu vergnügen.”

4. Nach Relotius: Die Kunst der wahren Erfindung
(nzz.ch, Rainer Stadler)
Wie weit darf die künstlerische Freiheit in der Reportage gehen? Darüber scheinen die Meinungen immer noch auseinanderzugehen. Hochkarätige Journalisten und Verfasser von Journalismus-Lehrbüchern vertreten beziehungsweise vertraten den Standpunkt, man könne Aussagen von verschiedenen Personen auf eine Figur “zusammenziehen”. Doch mit dieser Methode begebe man sich auf eine Gratwanderung, wie Rainer Stadler in seiner Kolumne ausführt. Entscheidend sei Transparenz: “Entsprechend sollte man am Ende einer verdichteten Erzählung darlegen, mit welchen und wie vielen Personen gesprochen wurde. Erklärungsbedürftig sind ferner die in Reportagen beliebten filmreifen Szenen, welche die Illusion einer Augenzeugenschaft des Autors schaffen. Wer sein Tun offenlegt, stärkt seine Glaubwürdigkeit. Das ist nötiger denn je.”

5. Post aus Washington
(getrevue.co, Fabian Reinbold)
Fabian Reinbold berichtet für t-online.de aus Washington. Einmal die Woche schickt er seinen Newsletter-Abonnenten “Post aus Washington”. Diesmal hat sich Reinbold für seine Leserschaft aufgeopfert und eine Woche Donald Trumps Lieblingssendung “Fox & Friends” angeschaut. Das liest sich nicht nur unterhaltsam, sondern trägt auch zum tieferen Verständnis des Systems Trump bei.

6. Frank A. Meyer über Moral und Manipulation in den Medien
(blick.ch, Frank A. Meyer, Video: 6:13 Minuten)
Der Schweizer Journalist und Ringier-Berater Frank A. Meyer klagt in einer Wutrede die Medienbranche samt ihrer Mitglieder an: “Das sind heute Cliquen, Cliquen und Claquere! (…) Die applaudieren sich längst selbst, diese Journalistinnen und Journalisten. Es ist peinlich. Es gibt keinen einzigen Preis für Journalismus, der sich kritisch mit Journalismus auseinandersetzt.”

B.Z.  

Das sind keine “Sex-Vorwürfe”

In einer Berliner Kita gibt es einen Verdacht auf sexuelle Gewalt: Ein Erzieher soll eines der Kinder sexuell missbraucht haben. Der Mann wurde suspendiert, gegen ihn wurde Anzeige erstattet.

Die “B.Z.” berichtet heute über den Fall:

Ausriss BZ - Nach Sex-Vorwürfen! Kita-Mitarbeiter suspendiert

Die evangelische Kita Martin Luther King hat einen Mitarbeiter nach Sex-Vorwürfen suspendiert.

Schon bei erwachsenen Opfern von sexueller Gewalt ist es völlig daneben, von “Sex-Skandal” oder “Sex-Vorwürfen” zu sprechen. Solche Begriffe bagatellisieren die Tat, indem sie einen entscheidenden Teil von sexueller Gewalt einfach weglassen: den gewalttätigen. Spätestens, wenn das Opfer ein Kind sein soll, müsste doch jeder Redaktion klar werden, dass der Vorwurf nicht im Entferntesten etwas mit Sex zu tun hat.

Zur Verdeutlichung ein anderes Szenario: Hätte der Erzieher mit einer volljährigen Kollegin während der Arbeitszeit in der Kita einvernehmlichen Sex gehabt — dann wäre die “B.Z.”-Überschrift möglicherweise angemessen. Aber noch mal: Es geht hier um eine Gewalttat an einem Kind.

Gesehen bei @LauHofmann.

Nachtrag, 15. März: In einer ersten Version hatten wir selbst mehrfach von “sexualisierter Gewalt” geschrieben. Diese Stellen haben wir inzwischen in “sexuelle Gewalt” geändert. Ein Text bei “Spiegel Online”, den wir selbst mal in unseren “6 vor 9” verlinkt haben, erklärt, warum das eine gute Idee ist.

Mit Dank an andré und @spontifixus für die Hinweise!

Türkischer Rausschmiss, Krone gegen Windräder, Rechte Geburtstagsparty

1. Rausschmiss deutscher Korrespondenten
(reporter-ohne-grenzen.de)
“Reporter ohne Grenzen” (“ROG”) fordert die Türkei dazu auf, die willkürliche Ausweisung von Auslandskorrespondenten zu stoppen. Hintergrund: Die türkischen Behörden haben den beiden deutschen Journalisten Jörg Brase und Thomas Seibert die Arbeitserlaubnis entzogen. “So lange Brase und Seibert nicht ihre Akkreditierung zurückbekommen, darf die Bundesregierung sich keinen Illusionen hingeben und zu normalen Beziehungen mit der Türkei übergehen, so wie sie es in den vergangenen Monaten durch zahlreiche Besuche in Istanbul und Ankara versucht hat”, so “ROG”-Geschäftsführer Christian Mihr.
Weiterer Lesehinweis: Im “Tagesspiegel” berichtet der nunmehr ehemalige Türkei-Korrespondent Thomas Seibert, wie es sich anfühlt, nach 22 Jahren aus dem Land rausgeschmissen zu werden, mit dem er sich äußerst verbunden fühlt. Und er schreibt über Ankaras unmoralisches Angebot an seinen Arbeitgeber, ihn durch einen anderen Korrespondenten zu ersetzen.

2. Entspannt Euch, Leute! Zehn Fragen, mit denen Sie sich vor überhitzten medialen Erregungsblasen schützen
(meedia.de, Daniel Bröckerhoff)
Daniel Bröckerhoff, Journalist und ZDF-Moderator bei “heute+”, hat selbst erlebt, wie leicht einen die Twitter-Empörung mitreißen kann. Nun hat sich Bröckerhoff Gedanken gemacht, wie man den “überhitzten medialen Erregungsblasen die Luft rauslassen” kann, und dazu einen Zehn-Punkte-Fragenkatalog entworfen.

3. Politik im Direktversand
(sueddeutsche.de, Jens Schneider)
Jens Schneider berichtet von den Social-Media-Aktivitäten der Bundestagsfraktionen. Die größte Zahl an Facebook-Abonnenten mit mehr als 125.000 hat die Linksfraktion. Zum Vergleich: Die AfD-Fraktion hat 82.000. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bei den Partei-Facebookseiten deutlich anders aussieht: Dort haben die Linken 264.000 Abonnenten, die AfD hat 464.000. Der Bundestag ist weder auf Facebook noch auf Instagram zugegen, obwohl durchaus Interesse an der Arbeit des Parlaments besteht: Die Internet-Seite des Bundestags sei im vergangenen Jahr 70,7 Millionen Mal aufgerufen worden, doppelt so oft wie im Jahr zuvor.

4. Die Privatkampagne des Chefs der Salzburg-Krone gegen Windräder
(kobuk.at, Gabriele Scherndl)
In unzähligen Artikeln schrieb die “Salzburger Krone” gegen einen geplanten Windpark an. Mit einseitigen Informationen, verzerrten Fakten und Verunglimpfungen der Gegenseite, wie Gabriele Scherndl im medienkritischen Watchblog “Kobuk” anmerkt. Handelte es sich um eine Privatkampagne des “Krone”-Chefs? Auf diese Idee könnte man kommen, denn die massive Kampagne endete mit dem Rückzug des “Krone”-Chefs ins Pensionärs-Leben: “Seitdem erschien keine Titel- oder Doppelseite, kein Kommentar, kein Artikel oder Leserbrief mehr zu dem Thema. Der letzte Text dazu war, wie sollte es anders sein: Ein Leserbrief, in dem Hans Peter Hasenöhrls Einsatz gegen die Windräder gelobt wird.”

5. Eine Party als neurechtes Netzwerk
(belltower.news, Simone Rafael)
Matthias Matussek, ehemals angesehener Journalist bei u.a. “Spiegel”, “Stern” und “Welt”, hat seinen 65. Geburtstag öffentlichkeitswirksam inszeniert, indem er Teile der Gästeliste und viele Fotos veröffentlichte. Es war eine Art Rechtsaußen-Klassentreffen von Politik und schreibender Zunft. Und mit einem Reinhold Beckmann, der sich (durch sein Gitarrenständchen im wahrsten Sinne des Wortes) instrumentalisieren ließ und dafür auf Facebook mühsam um eine Art Rechtfertigung ringt.

6. Disney+ hat größeres Potenzial als Netflix
(wuv.de, Franz Scheele)
Vieles deutet daraufhin, dass der Unterhaltungskonzern Disney bald einen eigenen Videostreamingdienst an den Start bringt. Disney sitzt auf einem unglaublich wertvollen cineastischen Schatz: Neben der Filmbibliothek der Walt Disney Studios gehören zu Disney auch die Pixar Animation Studios, die Marvel Studios sowie das gesamte “Star Wars”-Imperium. Dementsprechend gut sind die wirtschaftlichen Erfolgsaussichten: Die amerikanische Investmentbank J.P. Morgan habe in ihrer Prognose von 160 Millionen möglichen Abonnenten gesprochen. Zum Vergleich: Netflix hat derzeit rund 140 Millionen zahlende Kunden.

Lehren aus Winnenden, DuMont, Böhmermann vs. “Computer Bild”

1. Amoklauf in Winnenden – Lehren aus medialen Übertretungen?
(ndr.de, Daniel Bouhs & Sabine Schaper)
Vor zehn Jahren erschütterte der Amoklauf von Winnenden die Republik. Ein Jugendlicher hatte 15 Schüler und Lehrer und anschließend sich selbst erschossen. Daraufhin fiel in Winnenden die Weltpresse ein und es kam zu einer Vielzahl medialer Grenzüberschreitungen: Rücksichtslose Medienvertreter bedrängten Eltern an der Haustür, um an Opferbilder zu kommen, missachteten Film- und Fotografierverbote und plünderten die am Anfang stehenden sozialen Netzwerke, um bequem an Bilder der Opfer zu kommen. “Zapp” hat mit Anton Jany gesprochen, der vor zehn Jahren für das ZDF in Winnenden war: “Ich habe nach Winnenden überlegt, ob ich meinen Job als Journalist an den Nagel hänge” (Videolink). Der seinerzeit ebenfalls anwesende SWR-Reporter Knut Bauer konstatiert: “Ich bin fast davon überzeugt, dass, wenn so etwas wieder passieren würde, sich das ähnlich abspielen würde” (Videolink). Der auf Medienrecht spezialisierte Rechtsanwalt Christian Schertz äußert sich zum Verhalten der Medien in Winnenden und der Abwägung zwischen Persönlichkeitsschutz und Pressefreiheit: “Das Recht am eigenen Bild besteht über den Tod hinaus” (Videolink).

2. Springers Magazin-Neustart Bild Politik: Grosso-Beobachter melden ernüchternde Verkaufszahlen in Testgebieten
(meedia.de, Marvin Schade)
Springers Magazin-Neustart “Bild Politik” tut sich laut “Meedia” am Kiosk schwer. Die Testmarkt-Premierenausgabe soll auf eine verkaufte Auflage von 2.500 bis 3.000 Exemplaren gekommen sein soll, bei einer geschätzten Remissionsquote von 85 bis 90 Prozent. Der Axel-Springer-Konzern habe die Verkaufszahlen auf Anfrage von “Meedia” nicht bestätigen wollen, gibt sich jedoch “sehr zufrieden”.

3. “Mögliche Veräußerung”
(taz.de, Frederik Schindler)
Nachdem der Branchendienst “Horizont” es vorab gemeldet hatte, hat nun auch der Vorstand der DuMont Mediengruppe die “mögliche Veräußerung von Teilen des Portfolios der Mediengruppe” bestätigt, gibt dabei allerdings keine Einzelheiten bekannt. Die sickern jedoch nach und nach durch. Frederik Schindler sortiert den jetzigen Informationsstand und berichtet, wie Arbeitnehmerverbände, Journalistenverband und Politik auf das Ganze reagieren.
Weiterer Lesehinweis: Zeitungsforscher über DuMont: “Es wurden viele Fehler gemacht” (taz.de, Finn Holitzka).
Beachtenswert auch Ulrike Simons Zusammenstellung von bemerkenswerten Zitaten des DuMont-CEOs Christoph Bauer. Simon kommentiert nüchtern: “Das eine ist, was einer sagt; das andere, was einer tut. Öffentlich vermittelte der CEO den Eindruck, DuMont bliebe ein publizistisch getriebenes Haus, das wirtschaftlich wieder auf dem Vormarsch sei. Das war wohl ein Missverständnis” (horizont.net).

4. Mehr Einordnung wagen: Warum Lokaljournalismus im Fußball weiter wichtig ist
(120minuten.net, Oliver Leiste)
Der unabhängige Fußballjournalismus hat es nicht leicht. Immer mehr Vereine treten selbst als Medienunternehmen auf und füttern ihre Internetseiten und Social-Media-Kanäle mit Spielberichten, Interviews, und vermeintlichen “Blicken hinter die Kulissen”. Doch der Medienwandel bietet auch neue Recherchemöglichkeiten. Und er kann neutral bewerten und einordnen, so Oliver Leiste in seinem Plädoyer für den Lokaljournalismus: “Kritische Beobachtung, hintergründige Berichterstattung und die Einordnung von Sachverhalten — all das können lokale Fußballreporter*innen besser als jeder andere leisten, wenn sie dafür Raum bekommen und sich nicht vornehmlich um das Verkünden von Terminen und Ergebnissen konzentrieren müssen.”

5. UN-Berichterstatterin warnt vor umstrittenem EU-Gesetz gegen Terrorpropaganda
(netzpolitik.org, Alexander Fanta)
In einem Gesetzesentwurf der Europäischen Union ist die Rede davon, dass Internet-Plattformen angebliche Terror-Propaganda in dringenden Fällen binnen einer Stunde löschen müssen. Dieser Vorschlag der EU-Kommission wird stark von einer führenden Menschenrechtlerin der Vereinten Nationen kritisiert. Er schaffe eine allzu breite Definition von Terrorismus, was viele legale Inhalte aus dem Netz fegen könnte.

6. “Computer-Bild”-Urteil: Böhmermann zieht vor den BGH
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Die “Computer Bild” hat einen werblichen Beitrag für einen DVB-T2-Receiver mit einem Foto von Jan Böhmermann bebildert. Dieser sah sich damit unfreiwillig zur Werbefigur gemacht und ging dagegen juristisch vor. Das Oberlandesgericht Köln gab nun, etwas überraschend, dem Axel-Springer-Verlag Recht. Der Artikel habe zwar einen werblichen Charakter, da aber im Text auch Tipps gegeben wurden, habe er auch der Befriedigung des Informationsbedürfnisses der Leser gedient. Böhmermann hat gegenüber “DWDL” den Gang vor den Bundesgerichtshof angekündigt. Falls dies auch erfolglos bleibe, müsse die Politik handeln: “Das Europaparlament und die Bundesregierung müssen jetzt handeln und alle Verlage zur Einführung von Uploadfiltern für Zeitungen und Zeitschriften zwingen.”
Weiterer Lesehinweis: Offizielle Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Köln: “Endlich scharf: Computer Bild durfte Beitrag über DVB-T2 HD Receiver mit Jan Böhmermann bebildern” (PDF).

Hart aber unfair, Rathausaffäre, Instaklum

1. #hartaberfair: Das wird man ja wohl noch fragen dürfen, oder?
(kattascha.de, Katharina Nocun)
Katharina Nocun ist Bürgerrechtlerin, Publizistin und Ökonomin und vielbeschäftigt in Sachen zivilgesellschaftliches Engagement. In einem Blogbeitrag setzt sie sich mit dem Titel der letzten “Hart aber Fair”-Sendung auseinander (“Heimat Deutschland — nur für Deutsche oder offen für alle?”). Nocun kommentiert: “Wie heißt es so schön: “Es gibt keine dummen Fragen”. Dem muss ich leider widersprechen. Wer grundlegende Basics des Zusammenlebens infrage stellt, wer Menschen wie mir die Zugehörigkeit abspricht, der macht sich — ob er will oder nicht — zum Handlanger von rechten Framing-Mustern.”
Weiterer Lesetipp: Arno Frank hat sich für “Spiegel Online” die Sendung angesehen. Auch er befindet: “Eine extrem ärgerliche Frage.”

2. Paid Content: Bedingt zahlungsbereit
(universal-code.de, Christian Jakubetz)
Mit “bedingt zahlungsbereit” fasst Journalismus-Experte Christian Jakubetz die Erkenntnisse einer Studie zum Thema “Paid Content” zusammen. Jakubetz schaut sich die wichtigsten Zahlen von verschiedenen Seiten an und leitet drei Erkenntnisse daraus ab.

3. Google, Facebook, Pinterest: Social-Media-Plattformen wollen gegen Falschinfos zu Impfungen vorgehen
(medwatch.de, Hinnerk Feldwisch-Drentrup)
Digitalkonzerne wie Google, Facebook und Pinterest wollen gegen Impfgegner-Videos und irreführende Beiträge über Wundermittel vorgehen. Gelöscht würden die Falschinformationen nicht. Je nach Plattform entziehe man den Videos jedoch die Möglichkeit der Monetarisierung durch eingeblendete Werbung, blende zur Aufklärung Wikipedia-Links ein oder sperre bestimmte Suchbegriffe. Nur in Deutschland scheint man nicht so vehement gegen die Falschinformationen vorgehen zu wollen.

4. Britische Verlage horten Farbe und Papier
(deutschlandfunk.de, Ada von der Decken, Audio: 4:32 Minuten)
Ada von der Decken berichtet von den Sorgen der britischen Printbranche vor einem harten Brexit (“No Deal”). Die Zeitungsverlage seien abhängig von Importen aus der EU. Wer kann, horte deshalb Druckfarbe und Zeitungspapier auf Vorrat. Für kleine und mittelständische Betriebe sei dies jedoch nicht leistbar, so ein Vertreter des Printverbands BPIF: “Bei denen gibt es nicht die finanziellen Möglichkeiten, so erheblich das Lager aufzustocken.”

5. #Rathausaffäre
(twitter.com, DJV Niedersachsen)
Der Deutsche Journalisten-Verband Niedersachsen meldet auf Twitter: “Die Stadt #Hannover darf einen Journalisten der @haz nicht verdächtigen, sich illegal Zugang zu Akten in einem Ermittlungsverfahren verschafft zu haben.“ In der Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts Hannover heißt es dazu: “Sofern die Stadt Verdachtsmomente äußert, müssen diesen eine sachgerecht ermittelte Tatsachengrundlage zugrunde liegen. Der bloße Umstand, dass eine Zeitung Erkenntnisse der Ermittlungsbehörden veröffentlicht, welche unter Verstoß gegen Geheimhaltungsvorschriften nach außen gelangt sind, berechtigt die Landeshauptstadt insbesondere nicht zu der öffentlichen Äußerung des Verdachts, der verantwortliche Journalist habe an dem vorherigen Rechtsverstoß eines Amtsträgers mitgewirkt.”

6. Instagram-Storys: Die kreative Art des Geschichtenerzählens
(journalisten-training.de, Bernd Oswald)
Bernd Oswald erklärt in einem Kurzabriss, wie sich Journalisten Instagram und die “Story”-Funktion zu Nutze machen können.
Weiterer Lesetipp: Marc Baumann dokumentiert und kommentiert die öffentlich zelebrierte Instragram-Liebe des Promi-Paars Heidi Klum und Tom Kaulitz. Die beiden Social-Media-Turteltauben zeigten anschaulich, “warum man Handys und Hormone trennen sollte” (sz-magazin.sueddeutsche.de).

Framing-Eigentor, “Digitaler Gangster” Facebook, Artikel 13

1. Das Eigentor: Wie die ARD rechten Kritikern in die Karten spielte
(haz.de, Imre Grimm)
Dominierendes Thema in der Medien-Berichterstattung ist derzeit das Framing-Gutachten, das die Sprachforscherin Elisabeth Wehling für die ARD angefertigt hat. Imre Grimm kommentiert: “Die Empörung mag überdreht und bigott sein, doch für die ARD ist das “Framing Manual” ein klassisches Eigentor. Sie wollte ihr Image verbessern — und hat das Gegenteil erreicht.”
Stefan Niggemeier nennt das Ganze auf “Übermedien“ “eine absurde Debatte um ein misslungenes Papier”. Die ARD-Generalsekretärin Susanne Pfab spricht im “Deutschlandfunk” von einen Denkanstoß für die interne Diskussion: “Es ist kein Geheimpapier, sondern es ist schlicht und ergreifend nicht für die Öffentlichkeit gedacht.”
Detlef Esslinger kritisiert in der “SZ” die Kritiker, die in Zusammenhang mit dem Gutachten von “Umerziehung” und “Neusprech” sprechen: “Mehrere Autoren nutzen die Werkzeuge der Linguistik, um eine Linguistin zu diskreditieren, weil sie der ARD empfiehlt, sich mithilfe ihres Fachs gegen die Feinde des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu wehren. Dies ist ebenso raffiniert wie infam.”
Mittlerweile hat die ARD laut “SZ” auch die Kosten für das von ihr beauftragte “Framing Manual” offengelegt: Die “Workshop-Unterlage” (Ulrich Wilhelm, ARD-Vorsitzender) habe in Verbindung mit den veranstalteten Workshops 120.000 Euro gekostet.

2. “Wir überschätzen Desinformation in sozialen Medien maßlos”
(spiegel.de, Patrick Beuth)
Der “Spiegel” hat mit dem in Washington lehrenden Politikwissenschaftler und Geheimdienstexperten Thomas Rid über Geheimdienst-Operationen im Netz gesprochen. Sind staatlich gelenkte Desinformationskampagnen in sozialen Medien tatsächlich ernstzunehmende Angriffe auf unsere Demokratie, wie von manchen westlichen Politikern befürchtet? Rid ist gelassen: “Ich bin zumindest absolut sicher, dass wir Desinformation in sozialen Medien maßlos überschätzen. Gerade im Vergleich zu anderen Ansätzen wie dem Hacken von Politikern und der Veröffentlichung ihrer Daten und Dokumente, dem Hacken von Wahlinfrastruktur oder der Finanzierung von rechtsextremen Parteien.”
Weiterer Lesehinweis: Link 3, der zumindest in Großbritannien anderes befürchten lässt.

3. Massive Rechtsverstöße
(deutschlandfunk.de, Tobias Armbrüster & Mirjam Kid, Audio: 5:38 Minuten)
Welche Rolle spielte Facebook bei Desinformationskampagnen und Wahlbeeinflussung in Großbritannien, und welche Auswirkungen hatten diese beispielsweise auf das Brexit-Referendum? Britische Parlamentarier haben sich mit den Praktiken von Facebook beschäftigt und einen dramatischen Abschlussbericht vorgelegt: Das Unternehmen habe vorsätzlich und wissentlich gegen Datenschutz- und Wettbewerbsrecht verstoßen. Originalzitat: “Unternehmen wie Facebook, die sich selbst vor und über dem Gesetz sehen, sollte es nicht erlaubt werden, sich wie ‘digitale Gangster’ in der Online-Welt aufzuführen”.

4. Uploadfilter waren gestern
(internet-law.de, Thomas Stadler)
IT-Anwalt Thomas Stadler hat sich den umstrittenen Artikel 13 der Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt näher angeschaut. Die neue Sprachregelung erfordere nicht nur die Einführung der viel diskutierten Uploadfilter, sondern verpflichte Plattformbetreiber, beim Rechteinhaber eine Lizenz zu erwerben: “Anbieter von User-Generated-Content Plattformen wie YouTube, nach meiner Einschätzung aber auch soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram oder Twitter, werden damit also so behandelt, als würden sie die urheberrechtlichen Nutzungshandlungen ihrer User selbst vornehmen, weshalb sie auch originär dafür verantwortlich wären, sich selbst beim Rechteinhaber eine urheberrechtliche Gestattung (Lizenz) zu besorgen.”

5. TÜV für Glaubwürdigkeit?
(sueddeutsche.de, Jakob Maurer)
Das amerikanische Start-Up “NewsGuard” beurteilt die Glaubwürdigkeit und Transparenz von Online-Medien. Ein Ampelsystem soll dem Nutzer im Browser die Vertrauenswürdigkeit von bislang 4500 englischsprachigen Nachrichtenseiten anzeigen. Finanzieren will man sich über die Plattformen und Suchmaschinen, die das Tool in ihr Interface aufnehmen. Mit Microsoft habe man sich bereits zu einer Kooperation verabredet: “NewsGuard” soll Teil des auf Windows-System vorinstallierten Webbrowsers Edge werden. Ob das Ganze zielführend ist, wird kontrovers diskutiert. So ist der Mainzer Kommunikationswissenschaftler Philipp Müller skeptisch und sieht die Gefahr, dass “der Schuss nach hinten losgehen kann”.

6. Lührssen will Spitzenkandidat der Bürger in Wut werden
(weser-kurier.de, Kornelia Hattermann)
Nachdem der Fernsehjournalist Hinrich Lührssen damit gescheitert ist, sich als Spitzenkandidat der Bremer AfD aufstellen zu lassen, hat er die Partei verlassen. Lührssen will nun Karriere bei einer anderen Partei machen, den — Achtung, Realsatire — “Bürgern in Wut”.

“Not open for any stories in your piece of shit paper”

Die “New York Times” berichtete vor eineinhalb Wochen über ein “Obscure German Soccer Team”, das es zum “Brooklyn Cult” geschafft hat. Dass sich in einer Kneipe neben der Williamsburg Bridge, der East River Bar, seit Jahren Fußballfans zum gemeinsamen Gucken treffen, sei vor allem ein “Anti-Fascist Thing”, steht in der Überschrift. In dem Artikel geht es um den FC St. Pauli und seine New Yorker Anhänger, die East River Pirates.

Bild.de fand die Geschichte wohl ganz gut und wollte auch über den Fanklub berichten. Aber der wollte nicht. Und machte das “Bild”-Autor Herbert Bauernebel in einer Antwort auf dessen Anfrage mit ziemlich deutlichen Worten klar:

Screenshot einer Mail der East River Pirates an Bild-Autor Bauernebel - Hi Herbert, Thank you for your email. You are more than welcome to join us privately for the game, but our fan club is not open for any stories in your piece of shit paper. No interviews, no photos, no videos for Bild - YNWA

“YNWA”, You’ll Never Walk Alone, dachte sich offenbar auch Bauernebel, schnappte sich einen Fotografen und suchte am Samstag die East River Bar auf, während das Spiel zwischen dem FC St. Pauli und Erzgebirge Aue gezeigt wurde. Der “Bild”-Reporter führte Interviews, der Fotograf fotografierte — bis die East River Pirates es mitbekommen haben. Dann kam es laut Statement des Fanklubs zu einem hitzigen Streit:

Screenshot eines Facbook Posts der East River PiratesBild.de - STATEMENT As we found out today BILD has posted an article about our fan club today against our will. After the NYTimes published a nice story last week with our consent, BILD in classic copycat manner tried to jump on it. The U.S correspondent for BILD, Mr Herbert Bauernebel, contacted us by email beforehand, but we clearly told him that we would not be open for any interviews, photos or videos. Guess what, he went over our heads and behind our backs and showed up with a photographer at the bar Saturday night anyway. He got the permission from the owner of the bar, who didn’t know who or what BILD was at the time. When they came and started interviewing guests and took photos, we told them again to stop as we were not ok with it. It came to a heated argument or even shouting match and eventually they left the bar mid second halftime. Again the story in BILD online was published against our will and without our consent. We don’t want to be associated to what we feel is a right-wing, populist fucked up newspaper. The East River Pirates

Bild.de brachte die Geschichte gestern, allerdings ohne Hinweis zu all dem Trubel. Im Gegenteil: Man sei “zu Gast bei den St. Pauli-Fans aus der Brooklyn-Bar” gewesen:

Screenshot Bild.de - Rudelgucken in New York - Zu Gast bei den St. Pauli-Fans aus der Brooklyn-Bar

Die Info aus dem Statement der East River Pirates, dass Herbert Bauernebel und der Fotograf die Bar während der zweiten Halbzeit verlassen haben sollen, ist übrigens ganz interessant. Am Ende des Bild.de-Artikels steht:

Der FC St. Pauli hat unterdessen die frühe Führung vergeigt und geht beim Abpfiff als Verlierer mit 1:2 vom Platz. Ein paar enttäuschte Gesichter gibt es schon, aber dann geht der Barbetrieb gleich heiter weiter. Das Sportliche ist dann doch eher nebensächlich …

Woher der Autor das bloß weiß, wenn er die East River Bar früher verlassen haben sollte?

Mit Dank an Niclas P. für den Hinweis!

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