1. War was? (sueddeutsche.de, Anna Ernst)
Axel-Springer-Chef und Verleger Mathias Döpfner ist wegen seines Verhaltens in der Affäre um den ehemaligen “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt in die Kritik geraten. Viele Beobachter stellen seine charakterliche Eignung für den Posten des Chefs der Digitalpublisher und Zeitungsverleger in Frage, nur der betroffene Verband anscheinend nicht. Für den sei auf seiner Tagung nach “SZ”-Informationen Döpfners Verhalten nur eine Randnotiz geblieben.
2. In Moskau für Medien einsetzen (djv.de, Hendrik Zörner)
Der Deutsche Journalisten-Verband hat sich in einem Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz gewandt. Dieser möge sich bei seinen Gesprächen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin für die deutschen Korrespondentinnen und Korrespondenten in Russland einsetzen. Außerdem solle Scholz darauf dringen, dass die Deutsche Welle wieder ungehindert arbeiten kann.
3. Covid-Sterbezahlen bei Kindern, eine Bildungsministerin und ein misslungener ARD-Faktencheck (scilogs.spektrum.de, Markus Pössel)
Ein Tweet der schleswig-holsteinischen Kultusministerin Karin Prien zu mit-oder-an-Covid-verstorbenen Kindern sorgte für viel Empörung in den Sozialen Medien. ARD-“Faktenfinder” Patrick Gensing hat daraufhin einen Faktencheck angestellt, in dem er Prien zustimmt: “Vorliegende Daten geben ihr recht.” Nun hat Wissenschaftsblogger Markus Pössel den Faktencheck einem Faktencheck unterzogen – und kommt zu einem anderen Ergebnis.
4. Betroffene Reporter entsetzt über Gewalt bei Corona-Protest in Dresden-Laubegast (mdr.de)
In Dresden gab es bei Coronaprotesten einen Angriff auf Journalisten: “Am Sonntag kam es zu einem Vorfall mit jungen Reportern. Sie stellten ein Video ins Netz, auf dem ein Angriff auf das Medien-Team zu sehen ist. Der Anzeige der Journalisten folgte eine Gegenanzeige der Angreifer. Nun ermittelt die Polizei – und die betroffenen Reporter wundern sich.”
5. Journalismus in Mexiko: “Der Staat lässt uns im Stich” (de.ejo-online.eu, Katarina Machmer)
Im Interview erzählt Reuters-Fotograf Edgard Garrido von den schwierigen Arbeitsbedingungen in Mexiko und vom Zustand des Journalismus im Land: “Leider unterstehen wir in Mexiko keinem soliden rechtlichen Schutz. Ein Journalist, der verhaftet wurde wegen etwas, das die angebliche Anklägerin möglicherweise niemals behauptet hat – das wäre in anderen Ländern der Welt undenkbar. Aber hier ist es das nicht, und genau deshalb sind wir so schutzlos.”
6. WDR-Geschäftsleitung beschließt neue Social-Media-Regelung (meedia.de, Tobias Singer)
Vergangene Woche tauchte ein Entwurf einer neuen Dienstanweisung für den Umgang mit den Sozialen Medien beim WDR auf, der für eine größere Debatte sorgte. Nun hat sich der WDR nach “Meedia”-Informationen mit Personalrat und Redakteursvertretung zusammengesetzt und eine Dienstanweisung beschlossen, die nicht mehr den umstrittenen Passus zum Umgang mit privaten Accounts enthält.
1. Wohin zieht es Ex-Chef Julian Reichelt? (tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Bei “Bild” ist einiges im Umbruch, und das nicht nur an der Redaktionsspitze: Die verkaufte Auflage beträgt erstmals seit 1953 weniger als eine Million Exemplare. Und auch “Bild TV” sendet an nicht wenigen Tagen unter der messbaren Wahrnehmungsgrenze. Nach dem Weggang von Ex-Chefredakteur Julian Reichelt wird an der Programmstruktur gebastelt. Beispielsweise wird die auf Krawall ausgelegte Sendung “Viertel nach Acht”, der “Talk, der Schlagzeilen macht”, von 20:15 Uhr in den späten Abend verlegt. Um Reichelts Zukunft ranken sich derweil Gerüchte: Er soll neulich mit einem milliardenschweren Fernsehsender-Besitzer gesehen worden sein.
2. Für dpa wird das Desinformationsproblem von Meta zum Geschäftszweig (uebermedien.de, Alexander Fanta)
Die Nachrichtenagentur dpa beschäftige ab April ein 15-Leute-Team, das für Facebook deutsche Nachrichten kuratieren soll. Wie die Nachrichtenauswahl erfolgt, sei unbekannt, das rund 30-seitige “Redaktionsstatut” werde geheim gehalten. Alexander Fanta kommentiert: “Facebooks Desinformationsproblem wird für dpa zum Geschäftszweig. Das Kerngeschäft, unabhängig für Leserinnen und Leser zu berichten, könnte ins Hintertreffen geraten. Die Agentur, die die deutsche Medienlandschaft prägt, muss wachsam sein, sich nicht im Gewirr von Facebooks undurchsichtigen Geschäftsinteressen zu verlieren.”
3. Assange darf vor den Supreme Court ziehen (reporter-ohne-grenzen.de)
Reporter ohne Grenzen begrüßt, dass Wikileaks-Gründer Julian Assange gegen seine drohende Auslieferung in die USA vor den britischen Supreme Court ziehen darf: “Dieses Verfahren ist ein Präzedenzfall mit enormen Auswirkungen auf den Journalismus und die Pressefreiheit in der ganzen Welt. Wir wünschen uns, dass die neue deutsche Bundesregierung die Tragweite erkennt und sich ebenfalls dafür einsetzt, Julian Assange freizulassen.”
4. Heidelberg: Medien nennen falschen Attentäter (dw.com)
Als es am gestrigen Montag auf dem Gelände der Universität Heidelberg zu einem Amoklauf kam, nutzte ein anonymer Twitter-User die Aufmerksamkeit, bezichtigte einen vollkommen Unbeteiligten der Tat und verbreitete Fotos und Videos des Unschuldigen. Doch damit nicht genug – internationale Medienportale übernahmen den Namen ungeprüft und sorgten so dafür, dass sich die Falschnachricht weiter verbreitete.
5. MDR fresh, das Nachwuchs-Talente-Programm (mdr.de)
Der MDR bietet ein neunmonatiges, bezahltes Nachwuchs-Talente-Programm an, das sich aus Workshops und verschiedenen Stationen beim MDR in Halle, Leipzig und Erfurt zusammensetzt: “Wir suchen nach Nachwuchs-Talenten, die mehr Diversität in die Redaktionen bringen. Ausdrücklich möchten wir mit diesem Programm Menschen ansprechen, die sonst nicht den Weg zum MDR finden. Du brauchst kein abgeschlossenes Studium. Wir möchten gern Menschen mit einer Migrationsgeschichte zu einer Bewerbung ermuntern.”
1. Was die Politik gegen Hetze und Gewaltaufrufe tun kann (deutschlandfunk.de, Isabelle Klein & Christoph Sterz, Audio: 6:29 Minuten)
Derzeit würden Messengerdienste nicht vom Netzwerkdurchsetzungsgesetz erfasst, wenn sie zur Individualkommunikation bestimmt seien. Telegram stelle in gewisser Weise eine Ausnahme dar, denn hier können öffentliche Kanäle von einer großen Anzahl von Personen abonniert werden. Demnach müsse Telegram offensichtlich strafbare Inhalte innerhalb von 24 Stunden und rechtswidrige Inhalte innerhalb von sieben Tagen löschen. Doch das Bundesamt für Justiz beißt sich an dem Messenger bislang die Zähne aus, erklärt der Experte für Internetrecht Matthias Kettemann: “Telegram will einfach nicht”.
2. NDR wird Zielscheibe von Querdenkern (verdi.de)
Am dritten Advent haben sich mehrere Hundert Verschwörungsgläubige der Gruppierung “Freie Niedersachsen” zu einem “Querdenker”-Protest vor dem NDR-Landesfunkhaus in Hannover versammelt, berichtet das ver.di-Magazin “Menschen machen Medien”: “Der Versammlungsort sei von den Initiatoren aus dem verschwörungsideologischen Spektrum nicht zufällig gewählt worden und knüpfe an frühere Angriffe an: Bereits im November 2019 hatte die rechtsradikale NPD einen Zug durch die Innenstadt von Hannover organisiert, die sich ebenfalls gegen den NDR richtete.”
3. Weitere Reformen angemahnt (medienpolitik.net, Helmut Hartung)
Bei der Aktion “Unsere Medien” haben sich mehr als einhundert Personen aus Kultur, Medien, Wissenschaft und Politik für eine Stärkung und Weiterentwicklung der öffentlich-rechtlichen Medien ausgesprochen. Mit ihrem Appell würden sie sich an die politisch Verantwortlichen richten, aber auch an die Sender selbst, und die Verteidigung des öffentlich-rechtlichen Modells in Deutschland und Europa als Voraussetzung für funktionierende Demokratien fordern: “Mit diesem Appell an Medienpolitik und Rundfunkanstalten unterstützen wir die Idee und die Existenz unabhängiger öffentlich-rechtlicher Medien in Deutschland und Europa. Im digitalen Zeitalter brauchen wir sie noch mehr denn je. Gleichzeitig verbinden wir unsere Unterstützung mit der Forderung nach mehr Transparenz und grundlegenden, nachhaltigen Veränderungen.”
4. Springer-Führungskräfte müssen Beziehungen am Arbeitsplatz offenlegen (tagesspiegel.de)
Der Medienkonzern Axel Springer hat seinen Firmen-Verhaltenskodex zu persönlichen Beziehungen am Arbeitsplatz überarbeitet: “Wir müssen und wollen klarer formulieren, welches Verhalten wir gerade von Führungskräften im Falle von möglichen Interessenskonflikten am Arbeitsplatz erwarten, und unser Handeln konsequent daran messen”, so der Personalvorstand in einem Schreiben an die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Einer der Gründe für die Anpassung dürfte der Fall des jüngst unrühmlich ausgeschiedenen (Ex-)”Bild”-Chefredakteurs Julian Reichelt sein.
5. Überfremdung (journalist.de, Sebastian Pertsch & Udo Stiehl)
Sebastian Pertsch und Udo Stiehl werfen im Rahmen ihres Projekts “Floskelwolke” einen sprach- und medienkritischen Blick auf vielbenutzte Formulierungen. Diesmal nehmen sie sich das Wort “Überfremdung” vor: “Wäre der Begriff ein Shopping-Artikel, hieße es wohl: Personen, die dieses Wort verwendet haben, nutzten auch die Kampfbegriffe Asylindustrie, das Boot ist voll, Einfallsrouten, Flüchtlingswelle, Lügenpresse, Passdeutsche und raumfremde Menschen.”
6. Magazin “Time” kürt umstrittenen Tesla-Chef Elon Musk zur “Person des Jahres” (rnd.de)
Das Magazin “Time” hat Elon Musk zur “Person of the Year” gekürt. “Die Person des Jahres ist ein Zeichen für Einfluss, und nur wenige Menschen haben mehr Einfluss auf das Leben auf der Erde und möglicherweise auch auf das Leben außerhalb der Erde als Musk”, habe der “Time”-Chefredakteur zur Begründung geschrieben. Nun ja, darüber ließe sich trefflich streiten, zumal mit den Impfstoff-Erfindern aus Sicht des “6-vor-9”-Kurators geeignetere Kandidaten zur Verfügung gestanden hätten. Die wurden jedoch von “Time” auf das Nebengleis “Helden des Jahres” geschoben und tauchen damit nicht großformatig auf dem Cover auf.
1. Die Abschreckung (zeit.de, Meike Laaff)
Viele hatten es befürchtet, jetzt ist es bittere Realität: Der Londoner High Court hat entschieden, dass Wikileaks-Gründer Julian Assange nun doch in die USA ausgeliefert werden könne. Das Urteil sei “ein schlechtes Signal für die Pressefreiheit und für die Fähigkeit westlicher Demokratien, mit Whistleblowing umzugehen”, kommentiert Meike Laaf bei “Zeit Online”: “Assanges Fall taugt längst schon zur Abschreckung: Je härter er bestraft wird, desto größer ist künftig das Risiko für Quellen und Journalisten, wenn sie versuchen, Missstände aufzudecken.”
Weiterer Lesehinweis: Assange soll Schlaganfall erlitten haben (tagesschau.de).
2. Die “Skandal-Macher”: Corona und die Berichterstattung der BILD (wdr.de, Andreas Maus & Luisa Meyer, Video: 7:03 Minuten)
“Seit Monaten stellt BILD Politiker oder Wissenschaftler, die vor Corona warnen, an den Pranger und raunt von einem autoritären Staat. Wen wundert es da noch, wenn solche Schlagzeilen auch Wirkung entfalten.” Andreas Maus und Luisa Meyer zeigen, wie Deutschlands reichweitenstärkstes Medium zur Radikalisierung der Corona-Leugner-Szene beiträgt.
3. Achtung, fragile Männlichkeit (taz.de, Anne Fromm)
In der “Zeit” hatte der ehemalige “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt jüngst die Gelegenheit, in einem Interview seine Version seines Rauswurfs lang und breit unter die Menschen zu bringen. “taz”-Redakteurin Anne Fromm erklärt, warum aus ihrer Sicht das “Zeit”-Gespräch wenig geeignet sei, Klarheit zu schaffen, und sogar Risiken berge: “Ein Interview ist die am besten kontrollierbare Form für den Interviewten – kritischen Fragen kann man ausweichen, Fakten widersprechen und die eigenen Aussagen vor der Veröffentlichung weichspülen. Viele Medien interviewen deshalb AfD-Politiker*innen nicht mehr direkt, auch die Bild macht das übrigens nicht mehr. Sie berichten und recherchieren über die AfD, drucken ihre Statements, aber keine Interviews mit AfD-Politiker*innen. Weil Aussagen, vor allem gedruckte, schwer zu kontrollieren sind.”
4. “Gesichert extremistisch” (tagesschau.de, Michael Götschenberg)
Der Verfassungsschutz bewertet das als Sprachrohr der “Neuen Rechten” geltende “Compact”-Magazin nicht mehr als Verdachtsfall, sondern als gesichert extremistisch. Auf eine Anfrage des ARD-Hauptstadtstudios habe das Bundesamt für Verfassungsschutz mitgeteilt: “Die Compact-Magazin GmbH trägt Positionen und Aussagen in die Öffentlichkeit, die eindeutig als völkisch-nationalistisch sowie minderheitenfeindlich zu bewerten sind. Die Äußerungen enthalten wiederholt antisemitische Verschwörungsmythen und islamfeindliche Motive. Zudem sind sie durch eine Verächtlichmachung und Verunglimpfung der politischen Parteien, Politiker und Repräsentanten der Bundesrepublik gekennzeichnet.”
5. #trending: The End (meedia.de, Jens Schröder)
Nach 1.000 Ausgaben beendet Jens Schröder seinen “#trending”-Newsletter, in dem er stets lesenswerte Social-Media-Analysen präsentierte. In seinem Abschiedstext äußert sich Schröder zu den Gründen und spricht ein schwieriges Dilemma an: “Ich habe mich in vielen Phasen politischer Aufregerwellen und seit 2020 in vielen Phasen von Corona-Wellen immer wieder gefragt, ob ich dieses Missverhältnis zwischen lauter Minderheit und leiser Mehrheit durch meine Betrachtungen nicht verstärke. Die viel beschworene ‘Spaltung’ der Gesellschaft sehe ich nämlich nicht. Allenfalls einen kleinen Spalt am Rande der Gesellschaft. (…) Auf der anderen Seite gehört es eben auch zum Journalismus, diese Tendenzen in den sozialen Netzwerken zu beobachten – und sie einzuordnen.”
6. Welche Partei hat in punkto DSGVO die beste Webseite? (blog.wdr.de, Jörg Schieb)
“Wie gut halten deutschen Parteien im Bundestag geltende Datenschutzregeln auf ihren Webseiten ein?” Dieser Frage ist der Datenschutzexperte Klaus Meffert nachgegangen, der sich in seinem Blog “Dr. DSGVO” nennt. Jörg Schieb kommentiert die Ergebnisse von Mefferts Untersuchung: “Auf den Webseiten von Bundesparteien darf man zu Recht erwarten, dass die quasi selbst gemachten Regeln eingehalten werden. Genau das scheint aber nicht der Fall zu sein.”
1. So beeinflussen Verleger die Berichterstattung im Lokaljournalismus (correctiv.org, Jonathan Sachse)
Der Lokaljournalismus ist anfällig für Beeinflussungen, und die kommen oft aus dem eigenen Haus: Immer wieder überschreiten Verleger ihre eigentlichen Befugnisse und greifen in das redaktionelle Tagesgeschehen ein. Jüngstes und bekanntestes Beispiel: Die Intervention des Verlegers Dirk Ippen, der die Veröffentlichung einer Recherche über den damaligen “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt stoppte. Jonathan Sachse hat sich bei Lokalmedien umgehört und gefragt: “Hat sich ein Verleger in eure redaktionelle Arbeit eingemischt?”
2. Der Deutschen Welle droht ein Tsunami (tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Bei der Deutschen Welle beziehungsweise einem Medienpartner gibt es einen neuerlichen Fall von Israelhass und Antisemitismus. Joachim Huber kommentiert: “Aktuell wird der Eindruck vermittelt, dass auf der Verantwortungsebene des Auslandssenders Naivität und erstauntes Augenaufschlagen vorherrschen, was auf der Arbeitsebene so alles gesendet und gepostet wird. Das reicht nicht. Die neue Kulturstaatsministerin von der Partei Bündnis 90/Die Grünen, Claudia Roth, hat ein Thema auf der Agenda, mit dem sie sicherlich nicht gerechnet hat: die Neue Deutsche Welle.”
3. “Eine Art männliche Merkel” (deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz, Audio: 5:31 Minuten)
Angela Merkel hat während ihrer Kanzlerschaft nur wenige Interviews gegeben und sich medial auch ansonsten rar gemacht. Wie wird ihr Nachfolger Olaf Scholz mit den Medien umgehen? Weitgehend ähnlich vermutet Lars Haider, Chefredakteur des “Hamburger Abendblatts” und Verfasser einer Scholz-Biografie. Wer Scholz in Interviews knacken will, solle versuchen, ihn mit Freundlichkeit und Humor einzuwickeln – “damit erreicht man mehr, als wenn man ihm versucht, die Pistole auf die Brust zu setzen.”
4. Das Diversity-Lexikon (journalist.de, Sebastian Pertsch)
Für ein kleines “Diversity-Lexikon” hat Herausgeber Sebastian Pertsch 34 Betroffene und Fachleute gebeten, sich einen Begriff aus dem Themenfeld “Vielfalt und Inklusion” auszusuchen und ihn zu erklären. Die Begriffe reichen von Ableismus über Klassismus und Misogynie bis Zionismus.
5. Mein Leben mit der Ablehnung (uebermedien.de, Isabell Beer)
Isabell Beer arbeitet als Investigativjournalistin in der Recherche-Einheit von “funk”. Bei “Übermedien” schildert sie in einem sehr persönlichen Beitrag, wie sie mit Ablehnung und Hassnachrichten umgeht. Der Text handelt auch von Trans- und Queer-Feindlichkeit, Mobbing, Hassnachrichten mit Gewalt- und Mordfantasien und Suizidgedanken. (Solltest Du Suizidgedanken haben, dann gibt es Menschen, die Dir helfen können, aus dieser Krise herauszufinden. Eine erste schnelle und unkomplizierte Hilfe bekommst Du etwa bei der “TelefonSeelsorge”, die Du kostenlos per Mail, Chat oder Telefon (0800 – 111 0 111 und 0800 – 111 0 222) erreichen kannst.)
6. Die Google-Trends des Jahres 2021 (spiegel.de)
Google hat zum Ende des Jahres wie üblich aufgelistet, für welche Begriffe das Suchvolumen in den vergangenen zwölf Monaten besonders gestiegen ist. Den kompletten Jahresrückblick für Deutschland aus Sicht der Suchmaschine gibt es hier. Tipp: Es lohnt, in die einzelnen Begriffe reinzuklicken. Das führt zu einer Anzeige des Interesses im zeitlichen Verlauf und einer Deutschlandkarte mit dem Interesse nach Regionen. Wer sich für andere Länder und deren Suchvorlieben interessiert, kann diese hier auswählen.
1. “Was ist das für eine Unternehmenskultur?” (journalist.de, Jan Freitag)
Juliane Löfflers Recherche trug maßgeblich dazu bei, dass “Bild”-Chef Julian Reichelt gehen musste. Der “journalist” hat sich mit Löffler zum Gespräch getroffen und sie gefragt, wie sie heute auf die Vorgänge im Oktober schaut, was bei #MeToo-Recherchen und Verdachtsberichterstattung wichtig ist und wie lange es wohl noch dauern werde, bis entsprechende Recherchen in Medienhäusern ernst genommen werden: “Noch heute höre ich von Kolleg*innen, dass ihre Recherchen zu Missbrauchsthemen in den Verlagen kein Gehör finden. Es könnten also noch viele Jahre sein.”
2. Polizei geht deutschlandweit gegen Onlinehetzer vor (spiegel.de)
Am nunmehr siebten Aktionstag zur Bekämpfung von Hasspostings ist die deutsche Polizei bundesweit gegen strafbare Posts im Internet vorgegangen. Bei der vom Bundeskriminalamt koordinierten Aktion hätten die Polizeibehörden in allen 16 Bundesländern insgesamt 90 polizeiliche Maßnahmen durchgeführt, darunter Wohnungsdurchsuchungen und Vernehmungen.
3. ZDF auf Rekordkurs: 15,2 Prozent Marktanteil (tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Das als “Rentnerfernsehen” verschrieene ZDF hat im November mit 15,2 Prozent Marktanteil einen Rekordmonat hingelegt. Was macht das Zweite so viel besser als andere Sender? Joachim Huber hat sich auf die Suche nach den Gründen für den Erfolg begeben, und die lägen vor allem am bunten ZDF-Programm, das mit “heute-show” und Jan Böhmermanns “Magazin Royale” auch jüngere Zielgruppen bedient.
4. Porno-Portalen droht Abschaltung (sueddeutsche.de)
Mehrere in Deutschland sehr erfolgreiche Porno-Portale haben ihren Firmensitz auf Zypern, um von dort aus, jenseits von für sie lästigen Einschränkungen, frei agieren zu können. Doch damit könnte es bald zu Ende sein: Das Düsseldorfer Verwaltungsgericht habe die Auffassung der Landesanstalt für Medien NRW bestätigt, dass sie in Fragen des Jugendschutzes auch für Verfahren gegen ausländische Portale zuständig sei. Die Anbieter könnten sich nicht auf das sogenannte Herkunftslandprinzip berufen, das strenge deutsche Jugendmedienschutzrecht müsse Anwendung finden.
5. Peta erstattet Strafanzeige gegen NDR-Moderator Heinz Galling (rnd.de)
Die Tierrechtsorganisation Peta hat Strafanzeige gegen den NDR-Moderator Heinz Galling erstattet. In einer Folge der TV-Sendung “Rute raus, der Spaß beginnt” soll der Moderator verbotenerweise einen lebenden Fisch als Köder genutzt haben. Galling streitet die Vorwürfe ab. Laut Peta beschäftigt sich nun die Staatsanwaltschaft Schwerin mit dem Fall.
6. ARD-Text zeigt Teletext-Seiten aus den 80ern und 90ern (dwdl.de, Uwe Mantel)
Die ARD zeigt aktuell jeden Tag historische Teletextseiten aus den 80ern und 90ern, die von alten VHS-Bändern gerettet werden konnten. Der Teletext-Fan Christian Handwerck hatte seinerzeit seinen VHS-Rekorder dazu verwendet, die Seiten mitzuschneiden. Wie sich nun, Jahrzehnte später, herausstellt, eine gute Idee. Wer sich auf Zeitreise begeben will, kann dies bis Weihnachten im ARD-Text ab Seite 801 tun.
1. Pörksen kritisiert Corona-Berichterstattung einzelner Medien (deutschlandfunk.de, Annika Schneider, Audio: 4:59 Minuten)
Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen hält den medialen Umgang mit der Corona-Krise für ein “Lehrstück der Lernunfähigkeit”. Die “Bild”-Redaktion habe beispielsweise eine “faktische Gewissheit, die es gab in der Pandemiebekämpfung, in eine medial inszenierte Pseudo-Ungewissheit verwandelt”. Zu dieser “medial befeuerten Ungewissheit” habe auch die Berichterstattung der anderen Springer-Zeitung “Welt” beigetragen.
2. Der “Bild”-Experte für Blaming News (georgstreiter.de)
Der Journalist Georg Streiter war selbst in führenden Positionen bei “Bild” beziehungsweise “Bild am Sonntag” beschäftigt. In seinem Blog rechnet er mit dem derzeitigen “Ressortleiter Meinung” Filipp Piatov ab, dem – wie Streiter ihn bezeichnet – “Experten für falsche oder nicht verstandene Information und Blaming News”. Streiter listet einige besonders eindrückliche Beispiele von Piatovs journalistischem Versagen auf und schließt mit einem Rat an die “Bild”-Bosse: “Jetzt, wo sein Ziehvater Julian Reichelt weg ist, sollte sich vielleicht jemand anderes um ihn kümmern. Sonst nimmt das vermutlich kein gutes Ende.”
3. Eine Aufrichtige (sueddeutsche.de, Lea Sahay)
Die chinesische Videobloggerin Zhang Zhan gehörte zu den wenigen unabhängigen Journalisten, die zu Beginn der Corona-Pandemie aus Wuhan berichteten. Sie musste dafür einen hohen Preis bezahlen: Weil sie “Streit angefangen und Ärger provoziert” hätte, wurde sie zu vier Jahren Haft verurteilt. Zhan befinde sich im Hungerstreik und sei in einem kritischen Zustand. Aller Appelle von außen zum Trotz halte China an dem Urteil fest.
4. Isabell Beer: “Investigativ-Journalismus ist sehr männlich geprägt” (quotenmeter.de, Fabian Riedner)
Isabell Beer arbeitet für das öffentlich-rechtliche Onlineformat “funk” und ist dort für die neu gestartete Reihe “ultraviolett stories” zuständig. Im Gespräch mit “Quotenmeter” geht es um ihren Werdegang, die Besonderheiten des Investigativ-Journalismus in Deutschland und Beers erstes Stück über Missstände bei Porno-Plattformen.
5. Hit the road, Jack (zeit.de, Lisa Hegemann)
Wohl auf Druck von Investoren verlässt Twitter-Chef Jack Dorsey, Gründer und bislang CEO des Sozialen Netzwerks, das Unternehmen. Lisa Hegemann ordnet die Personalie bei “Zeit Online” ein. Es gehe demnach um wirtschaftliche Fragen, die “notorische Erfolglosigkeit” und inhaltliche Kontroversen.
6. IDE stellt Märchenbuch zur Vermittlung von Medienkompetenz vor (netzwerk-medienethik.de, Julian Kraemer)
Das Institut für Digitale Ethik (IDE) ist auf eine kreative Idee zur Vermittlung von Medienkompetenz gekommen: Im gerade erschienenen Buch “Märchen und Erzählungen der digitalen Ethik” sollen “Grundspannungen moderner Medialität” durch Erzählungen aufgearbeitet werden. Das von Petra Grimm und Susanne Kuhnert herausgegebene Buch steht hier als PDF zum Download bereit.
1. Das sind die medienpolitischen Pläne der Ampel (deutschlandfunk.de, Christop Sterz, Audio: 4:55 Minuten)
Was bedeutet der Koalitionsvertrag für die Medien? Medienpolitik sei in Deutschland zwar Ländersache, dennoch enthalte der Vertrag von SPD, Grünen und FDP medienrelevante Inhalte wie den Auskunftsanspruch der Presse gegenüber Bundesbehörden und Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus.
Dem Deutschen Journalisten-Verband fehlen klare Aussagen zur Zukunftssicherung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und die Einführung eines Verbandsklagerechts zur Durchsetzung von Urheberrechten. Und das Whistleblower-Netzwerk will erst noch abwarten, in welcher Form der Koalitionsvertrag umgesetzt wird.
Weiterer Lesehinweis: Bei “Übermedien” klärt Stefan Niggemeier das Gerücht, der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) habe angeblich “letzten Schliff” an den Koalitionsvertrag gelegt: Wie der DGB-Chef als “Autor” in den Koalitionsvertrag kam.
2. “Spiegel” muss Reichelt-Artikel vorerst offline nehmen (dwdl.de, Uwe Mantel)
Ex-“Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt ging erneut gegen einen ihn betreffenden “Spiegel”-Beitrag vor (“Vögeln, fördern, feuern”). Nach Informationen von “Medieninsider” (nur mit Abo lesbar) habe Reichelt einen Ordnungsmittelbeschluss bewirkt, der zur Löschung des Beitrags führte. Der “Spiegel” habe daraufhin eine Beschwerde vor dem Oberlandesgericht eingereicht.
3. Das Phantom von Weimar (sueddeutsche.de, Claudia Tieschky)
Nach allerlei vielversprechenden Ankündigungen der ARD hat Claudia Tieschky von der neuen Kulturplattform des Rundfunkverbunds mehr erwartet als Angebote wie einen “Creators”-Wettbewerb oder ein Chorfest, zumal die Plattform bei den Beitragsverhandlungen als Argument angeführt worden sei: “Es werde sie nur geben, wenn die Öffentlich-Rechtlichen mehr Geld bekommen, hieß es. Nach der Blockade durch Sachsen-Anhalt habe man die Planungen dann erst mal auf Eis gelegt, erklärte MDR-Chefin Karola Wille bei der Pressekonferenz. Mag ja sein – doch die Beitragserhöhung wurde bereits im Juli vom Bundesverfassungsgericht in Kraft gesetzt. Eine Erklärung für die dürftige Vorstellung ist der zwischenzeitliche Beitragsstopp jedenfalls nicht.”
4. TikTok, Instagram und Co. – Wie junge Menschen mit codiertem Antisemitismus in Kontakt kommen (belltower.news, de:hate)
Der neue “dehate”-Report der Amadeu Antonio Stiftung beschäftigt sich mit dem Thema Antisemitismus in der Popkultur (PDF). Dabei geht es um die Frage, wie und warum sich Antisemitismus auf Sozialen Medien wie Instagram und TikTok, die an sich für Popkultur und Unterhaltung stehen, verbreitet: “Der de:hate report #3 zeigt, dass in der digitalen Popkultur Antisemitismus in Sozialen Netzwerken präsent ist und oft codiert wird, um nicht als offen antisemitisch aufzufallen oder gar gelöscht zu werden. Dadurch können vor allem junge Nutzer:innen erreicht werden, die bisher mit Themen wie dem Nahost-Konflikt keine Berührungspunkte hatten. Der Report zeigt nicht nur, wie diese Codierungen erkannt werden können, sondern er bietet auch Handlungsempfehlungen im Umgang damit.”
5. Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 203, 25.11.2021 (netzwerkrecherche.org, Frederik Richter & Albrecht Ude)
Wie immer eine Empfehlung wert, nicht nur für Journalistinnen und Journalisten aus dem Investigativbereich: der Newsletter des Netzwerk Recherche. Die neueste Ausgabe liefert einen aktuellen Überblick über Nachrichten, Veranstaltungen, Seminare, Stipendien und Preise. Im Pressespiegel gibt es zudem wertvolle Lesetipps zu ausgesuchten Themen.
6. Für mehr Selbstwertgefühl: London verbietet Werbung für Schönheits-OPs in Jugendmedien (rnd.de)
Großbritannien will Werbung für Schönheits-OPs in Zeitschriften und TV-Programmen verbieten lassen, die sich an Unter-18-Jährige richten oder von dieser Altersgruppe verstärkt konsumiert werden. Darunter fallen Anzeigen für Brustvergrößerungen oder -verkleinerungen, Bauch- und Augenlidstraffung oder Nasenkorrekturen, aber auch Behandlungen zur Hautverjüngung, Laser- oder Lichtbehandlungen sowie Produkte zur Zahnaufhellung.
1. Politische Werbung soll transparenter werden (netzpolitik.org, Alexander Fanta)
Die EU-Kommission möchte das Thema politische Werbung europaweit einheitlich regeln und schlägt Transparenzvorgaben für alle Institutionen und Werbetreibenden vor, ob Werbeagenturen, Parteien, Soziale Netzwerke, Online-Nachrichtenseiten oder Zeitungen. Man wolle damit eine offene und faire politische Debatte stärken und Desinformation sowie illegale Wahlbeeinflussung bekämpfen. netzpolitik.org-Autor Alexander Fanta rechnet wegen des heiklen Themas mit einem eher langwierigen EU-Gesetzgebungsprozess.
2. Verlegerverband akzeptiert Mathias Döpfners Distanzierung (tagesspiegel.de, Kurt Sagatz)
Kann jemand privat alle Journalistinnen und Journalisten des Landes (bis auf Ex-“Bild”-Chef Julian Reichelt) als “Propaganda Assistenten” eines “neuen DDR-Obrigkeitsstaats” herabsetzen und gleichzeitig Präsident des Zeitungsverlegerverbands BDZV sein? Ja, das funktioniert sogar ausgezeichnet, wie der Fall Döpfner beweist.
3. “Das ist schockierend und völlig inakzeptabel” (faz.net)
Zwei Journalisten des norwegischen Staatsfernsehens NRK haben im Vorfeld der anstehenden Fußball-WM im arabischen Emirat Katar recherchiert. Als sie ausreisen wollten, sind sie am Flughafen von Sicherheitskräften über 30 Stunden lang festgehalten worden. Dabei ging es auch um die Filmaufnahmen, die sie in einem Arbeitsmigrantenlager aufgenommen hatten. Sowohl die norwegische Journalistengewerkschaft als auch der norwegische Fußballverband haben die Verhaftung der Journalisten kritisiert.
4. Der Kampf der Bilder (sueddeutsche.de, Sabina Zollner)
Unter dem Hashtag “fashwave” verbreiten rechtsextreme Nutzerinnen und Nutzer ihre Inhalte beispielsweise bei Instagram. Das Besondere daran sei die poppige Aufmachung und die Retro-Optik, die einer neuen Ästhetik folgt. Sabina Zollner erklärt, wie der Onlinetrend funktioniert, und hat sich mit Experten und Expertinnen über die neue bunte Rechtspropaganda unterhalten.
5. Das Netflix-Geheimnis: Warum Streamingdienste ihre Aufrufzahlen unter Verschluss halten (rnd.de, Matthias Schwarzer)
Die großen Streamingdienste halten ihre Abrufzahlen in der Regel sorgfältig unter Verschluss, nur Netflix ist neulich leicht von dieser Praxis abgewichen. Matthias Schwarzer erklärt, was hinter der Geheimniskrämerei der Plattformen steckt, durch die häufig noch nicht mal die Film-Produzentinnen und -Produzenten die Zahlen ihrer eigenen Werke kennen sollen.
6. Schäferhund ist reichste Ente der Welt (uebermedien.de, Frederik von Castell)
Seit mittlerweile Jahrzehnten kursiert in vielen Medien die Geschichte von Schäferhund Gunther, der dank einer Millionenerbschaft in Saus und Braus lebe. Frederik von Castell hat die Fährte von Gunther aufgenommen und festgestellt: Der Hund ist eine Ente.
Ende vergangener Woche konnte die “Bild”-Redaktion einen alten Bekannten präsentieren, ein “Schreckgespenst”, immer gut für große Aufregung und Blutdruckerhöhung bei den Leserinnen und Lesern:
Er war DAS Schreckgespenst der Griechenland-Krise, Frauenschwarm (polierte Glatze, muskulös, enge Hemden, dickes Motorrad) und Finanzminister der radikal-linken Syriza-Regierung auf dem Höhepunkt der Schuldenkrise im Jahr 2015.
Gemeint ist: Yanis Varoufakis. Und der jagt den deutschen Steuerzahlern laut “Bild” gleich wieder einen Riesenschreck ein:
Buh!
Dieses Zitat, das Bild.de am Donnerstagabend auf der Startseite veröffentlichte, und die “Bild”-Zeitung in leicht abgeänderter Form …
… am Freitag im Blatt druckte, steht höchstens noch im losen Zusammenhang mit dem, was Varoufakis tatsächlich gesagt hat. Die linke Bewegung DiEM25, deren Gründer Varoufakis ist, hat auf ihrer Website die drei Fragen, die “Bild” geschickt hatte, und Varoufakis’ Antworten darauf in voller Länge veröffentlicht. Dort liest sich das alles etwas anders:
BILD: Will we ever get our money back?
Yanis Varoufakis: If you are one of the German or Greek oligarchs who benefitted immensely from the Greek state’s bailout, you have already received gargantuan returns – and you will receive even more in the future. Alas, if you a German or a Greek worker or middleclass person, you will be paying, and paying and paying…
(Hervorhebungen im Original, hier auch als deutsche Übersetzung lesbar.)
Anders als die “Bild”-Redaktion es darstellt, geht es Yanis Varoufakis offensichtlich nicht um einen vermeintlichen Konflikt zwischen den zahlenden Deutschen und den kassierenden Griechen, sondern, plakativ gesagt, um Oben gegen Unten – die deutschen oder griechischen Oligarchen, die Profiteure, auf der einen Seite und die deutschen oder griechischen Arbeiter und Mitglieder der Mittelschicht, die Zahlenden, auf der anderen.
Die Griechen, die laut Varoufakis ebenfalls “zahlen und zahlen und zahlen” werden, hat “Bild” einfach rausgestrichen. Das wörtliche Zitat, wie es auf der Bild.de-Startseite erschienen ist, ist eine Erfindung der “Bild”-Redaktion.
Im Text zitieren Peter Tiede und Liana Spyropoulou zwar etwas originalgetreuer, aber auch dort fehlten die zahlenden Griechen gänzlich:
Und heute?
Rechnet er knallhart ab und prophezeit den “deutschen Arbeitern und Mittelständlern” gegenüber BILD in Athen: “Sie werden leider zahlen und zahlen und zahlen …”
Profiteure der Krise: “Deutsche oder griechische Oligarche”, die laut Varoufakis “immens vom Rettungspaket des griechischen Staates profitiert haben” – und in Zukunft noch weiter profitieren werden.
Wir haben bei “Bild” nachgefragt, warum das Varoufakis-Zitat derart verfälscht wiedergegeben wird. Ein Sprecher antwortete uns:
Wir haben bei BILD nicht das vollständige Wortlautinterview mit Herrn Varoufakis veröffentlicht, sondern aus diesem insbesondere seine konkrete Antwort auf die Frage, ob wir (Deutsche) unser Geld wiederbekommen werden, in den Mittelpunkt des Beitrages gestellt.
Dabei wurde in der ursprünglichen Fassung des Artikels ein Zitat von Herrn Varoufakis nicht vollständig wiedergegeben. Er sprach nicht nur von deutschen Arbeitern und Mittelschichtlern, die “leider zahlen und zahlen und zahlen”, sondern von deutschen und griechischen. Wir haben dies inzwischen für unsere Leser transparent präzisiert.
Inzwischen befindet sich unter dem Bild.de-Artikel eine entsprechende “Anmerkung der Redaktion”. Die Überschrift lautet nun nicht mehr “‘Die Deutschen werden leider zahlen und zahlen und zahlen …'”, sondern “Deutsche Arbeiter werden ‘leider zahlen und zahlen und zahlen …'”. Und im Text steht jetzt:
Und heute?
Rechnet er knallhart ab und prophezeit: “Wenn Sie ein deutscher oder griechischer Arbeiter oder Mittelschichtler sind, werden Sie leider zahlen und zahlen und zahlen …”
Dass die “Bild”-Redaktion reagiert und transparent korrigiert, ist gut, dürfte aber herzlich wenig bringen. Zahlreiche Medien haben das falsche Varoufakis-Zitat längst abgeschrieben: n-tv.de, “Focus Online”, Merkur.de, das Mitglieder-Magazin der AfD, das Rechtsaußen-Verschwörungsblatt “Compact”. Und auch in den Sozialen Medien wurde der Bild.de-Artikel mit der falschen Überschrift kräftig rumgereicht, unter anderem vom Werteunion-Vorsitzenden Max Otte, von AfD-Politiker Stefan Wirtz und in der Facebook-Gruppe “Dr Hans-Georg Maaßen für Kanzler”.
Unser Buch ist überall erhältlich, zum Beispiel bei euren lokalen Buchhändlern, bei GeniaLokal, bei Amazon, bei Thalia, bei Hugendubel, bei buch7, bei Osiander oder bei Apple Books. Es ist auch als eBook und Hörbuch erschienen.
In unserem Buch “Ohne Rücksicht auf Verluste” schreiben wir in einem Kapitel über die Feindbilder, die “Bild” seit Jahrzehnten kreiert und bedient – von den 68er-Studenten über die Wölfe bis zu den Geflüchteten. Und es geht auch um die Griechen und deren früheren Finanzminister Yanis Varoufakis. Hier ein Auszug:
“EURE neue griechische Regierung ist dreist, unverschämt und tritt auf wie eine Horde von ungehobelten und manierlosen Pennern. Dieses Pack repräsentiert Griechenland, weil die Mehrheit Eures Volkes diese Leute gewählt hat !” So beginnt ein Brief, der im März 2015 ohne Absender, aber ordentlich frankiert mit 62 Cent, im Briefkasten eines griechischen Restaurants in Düsseldorf landet:
In der Sonne liegen ist doch viel bequemer, insbesondere wenn andere dafür aufkommen … So geht es nicht !! Wir werden, solange diese Regierung derart schäbig, insbesondere fleißige und sparsame Europäer und Deutsche verunglimpft und beleidigt, ganz sicher keine griechischen Waren mehr kaufen, sondern auch Euren Laden ab sofort nicht mehr betreten !! Verkauft doch Eure Waren besser nicht mehr an die “Scheißdeutschen”, sondern macht Euch auf zurück in Euer korruptes, stinkendfaules und total unfähiges Drecksgriechenland
Und als letzten, fett gedruckten Satz: “Griechenland NEIN DANKE !!!!!!!!!”
Als sie den Brief gelesen habe, sei sie geschockt und verängstigt gewesen, erzählt die Restaurantbetreiberin später “Spiegel Online”: Sie habe sich gefragt, was als Nächstes komme. Stehe bald jemand vor der Tür und bedrohe sie, wenn sie abends das Lokal verlasse?
In seinem Brief greift der anonyme Verfasser jene Vorwürfe auf, die von den “Bild”-Medien in den Wochen zuvor nahezu täglich wiederholt wurden. Am 26. Februar 2015 etwa druckt “Bild” das Wort “NEIN” – quer über die gesamte Breite der Seite 2 der Bundesausgabe.1 Darunter die Forderung oder vielmehr der Befehl: “Keine weiteren Milliarden für die gierigen Griechen!” In einem Kommentar daneben schreibt Julian Reichelt, seinerzeit Chef von Bild.de, zu der Verlängerung der Finanzhilfen für Griechenland:
Was am Freitag im Deutschen Bundestag geschehen wird, mag man eigentlich keinem vernünftigen Menschen mehr erklären. Zusammengefasst: Wir überweisen weiter Milliarden nach Griechenland dafür, dass man uns ALLE bisher gebrochenen Versprechen (z. B. Kampf gegen Korruption und Steuerhinterziehung) NOCH MAL verspricht.
Wir kaufen Griechenland also im wahrsten Sinne des Wortes seine alten Reformlügen mit neuem Geld ab. Und das, obwohl inzwischen JEDER weiß, dass wir unser Geld niemals wiedersehen werden.
Sind wenigstens die griechischen Politiker, die uns ihr Versprechen geben, glaubwürdiger als ihre Vorgänger?
NEIN!
Dazu startet “Bild” eine “große Mitmach-Aktion”: Man solle die “NEIN”-Seite hochhalten, ein Selfie damit machen und an die Redaktion schicken. So könne und solle man zeigen, dass man “auch gegen weitere Milliarden-Hilfen für die Griechen” sei.
Solche Lesermobilisierungsaktionen setzt die “Bild”-Zeitung schon seit ihren frühen Jahren immer wieder ein, vor allem gegen ihre Gegner. “Durch Appelle an die Lesermeinung fordert die Redaktion politische Willensbekundungen ihrer Leser heraus, die – obwohl demokratisch verbrämt – bisweilen undemokratische Formen annehmen”, schreibt Peter Jordan 1970. So startet “Bild” etwa nach dem Mauerbau 1961 eine Leserbrief-Aktion gegen jene westdeutschen Theaterintendanten, die weiterhin Stücke des bekennenden Marxisten Bertolt Brecht spielten (“Millionen verfluchen diesen Mann”2). “Diese zur Volksabstimmung erhobene Aktion” sei “in wüste Beschimpfungen” ausgeartet, schreibt Jordan. “Bild” sei eben sehr bemüht gewesen, “die ohnehin bewegte deutsche Öffentlichkeit weiter aufzustacheln”.3
Um die bewegte deutsche Öffentlichkeit des Jahres 2015 aufzustacheln, beginnt “Bild” im Frühjahr damit, die Griechen – die währenddessen durch die Sparvorgaben massenhaft in die Armut getrieben werden – als “Raffke-Griechen” und “Griechen-Raffkes” zu bezeichnen. Damit wird der von “Bild” in den Jahren zuvor eifrig verwendete Begriff der “Pleite-Griechen” abgelöst, denn jetzt haben sie ja Geld: “unser Geld”! Die neu gewählte griechische Regierung nennt “Bild” “Radikalos-Regierung” oder “Griechos Radikalos”, aus Finanzminister Varoufakis machen sie wahlweise Finanzminister “Varoutricksis”, den “Krawall-Griechen” oder “Griechenlands Radikalo-Naked-Bike-Rider”. (Ein “Naked Bike” ist einfach ein Motorrad ohne Verkleidung, für “Bild” weckt es aber offenbar aufregend-düstere Assoziationen.) Der damalige Politik-Chef Béla Anda etwa schreibt in seinem “Politik-Briefng”:
Wie lederbejackte Rüpel-Rocker röhren Griechenlands Neo-Premier und sein Posterboy-Finanzminister seit ihrem mit platten Parolen erzielten Wahlsieg durch Brüssel. Ihr Gesetz ist die Straße. Hier sind sie (politisch) groß geworden. Hier ist ihre Hood. Deren Unterstützung wollen die Kawa-Naked-Biker (zumindest Varoufakis hat eine) nicht verlieren.
Vor allem auf Varoufakis, den neuen, linken Finanzminister, schießen sich die “Bild”-Medien ein. Sie engagieren beispielsweise eine Grafologin, die seine Handschrift untersucht und darin “Pathos und Geltungsbedürfnis” feststellt; die Schrift wirke “selbstgefällig” und gehe merkwürdigerweise im “Schlusszug wieder scharf nach links”, das wirke, “als würde er sich selbst wieder durchstreichen, als würde er unbewusst das zuerst Gesagte wieder zurücknehmen”.
Wenig später ist “Bild” maßgeblich an einer bizarren Mittelfinger-Diskussion beteiligt, die sich tagelang hinzieht und weltweit für verwundertes Kopfschütteln sorgt. Im Kern geht es um ein Video, in dem Varoufakis, wie “Bild” entrüstet schreibt, “uns den Mittelfinger” zeige. Tatsächlich muss man die Geste im Kontext sehen: Das Video ist mehrere Jahre alt, Varoufakis zu dieser Zeit noch gar kein Minister und die Geste zur Illustration eines hypothetischen Szenarios gedacht, in dem Varoufakis den deutschen Banken den Finger gezeigt hätte. Eine ebenso komplizierte wie belanglose Geschichte, die in den “Bild”-Medien auf die Nachricht reduziert wird, Varoufakis habe den Mittelfinger “gen Deutschland” gereckt:
Keine Krawatte, der Kragen seines Sakkos hochgestellt, Hände in den Hosentaschen: So zeigen die meisten Fotos Yanis Varoufakis. […] Mit einer drastischen Geste – dem gestreckten Mittelfinger – zeigte er in der Vergangenheit auf Deutschland!
Die Diffamierungskampagne – die bis heute immer mal wieder aufflammt – beschränkt sich aber nicht bloß auf die Politiker Griechenlands, sondern trifft immer wieder auch die Griechen als gesamtes Volk. Seit Beginn der “Pleite-Griechen”-Berichterstattung werden “Bild”-Attacken häufig so formuliert, dass sie sich auf alle Griechen beziehen: “So verbrennen die Griechen die schönen Euros!”4“Wer soll den Griechen noch glauben?”“Keine Gnade mit den Griechen!” Michalis Pantelouris, Journalist und Sohn eines Griechen, schreibt schon 2010:
Es wird das Bild gemalt von einer Nation, die in fauler Gier anstatt zu arbeiten lieber die EU ausgenommen hat und jetzt überversorgt und fett am Strand liegt, während in Deutschland hart gearbeitet wird, um ihnen das Geld hinterher zu werfen. Natürlich braucht man keinen Nobelpreis, um zu erkennen, dass es so nicht stimmt. Man braucht gerade mal ein Gehirn.
Aber auch: ein Mindestmaß an Informationen, um sich ein realistisches Bild machen zu können. Doch wie bei den Studenten der 68er, den Wölfen und anderen Feinden ersetzt “Bild” bei den Griechen Fakten durch Gefühle. In einer Untersuchung der Griechenland-Berichterstattung deutscher Medien kommt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung in der Hans-Böckler-Stiftung 2016 zu dem Ergebnis:
“Bild” berichtete in 81,6 Prozent der Artikel und damit am stärksten negativ über die griechische Regierung, setzte am intensivsten auf Negativismus, war im geringsten Umfang ausgleichend zwischen verschiedenen Positionen, setzte gezielt Akteure mit negativen Positionen gegenüber der Regierung Griechenlands als Zitatgeber ein und stimmte dann in Artikeln am stärksten mit diesen überein. Die Reformagenda wurde zudem bei der Boulevardzeitung “Bild” im geringsten Umfang thematisiert. Es wurde sich nur auf sehr wenige Reformziele konzentriert, wie z. B. die Einführung einer Großvermögenssteuer, die Reform des Rentensystems oder eine Mehrwertsteuerreform. 73 spezifische Reformen wurden hingegen komplett ausgelassen, soviel wie bei keinem anderen Medium.
Ende Februar 2015 ist die Berichterstattung auch im Bundestag ein Thema. Axel Schäfer, damals stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion, hält die (von ihm durchgestrichene) “NEIN”-Seite aus der “Bild”-Zeitung zu Beginn seiner Rede hoch und sagt unter Applaus:
Wir sind hier sicherlich in einer Reihe von Punkten unterschiedlicher Auffassung. Das ist auch gut so, dass wir das diskutieren. Aber in einem Punkt sollten wir uns hier alle […] einig sein: Wir unterstützen keine Kampagnen gegen andere Länder. Wir unterstützen das nicht!
“Die ‘Bild’ spricht von den gierigen Griechen”, fügt er später in einem Interview hinzu, “aber wir beleidigen niemals ein Land. Wir gegen die – das gibt es nur im Fußball …”