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“Bild”-Unschuldslämmer fragen: Woher kommt die Wut auf den Wolf?

Bei Bild.de berichteten sie am Montag über die steigende Zahl erschossener Wölfe:

Screenshot Bild.de - Selbstjustiz! Unbekannte töten immer mehr Wölfe - Sie schießen sogar Welpen - Todesschützen drohen fünf Jahre Haft

Im vergangenen Jahr (2018) wurden in Deutschland so viele Wölfe illegal getötet, wie noch nie seit ihrer Rückkehr in diesem Jahrtausend! Neun getötete Tiere, darunter drei Welpen, wurden laut Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf gefunden. Ein Plus von mehr als 55 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Und auch 2019 sei schon ein Jungwolf illegal erschossen worden. Bild.de fragt:

Screenshot Bild.de - Woher kommt die tödliche Wut?

Ja, woher kommt so etwas Emotionales wie “die tödliche Wut”? Vielleicht kommt sie nicht nur, aber auch durch emotionalisierende Berichterstattung. Zum Beispiel wenn man den Menschen Angst macht vor zähnefletschenden “Wolfshybriden”:

Screenshot Bild.de - Raubtiere wieder in Deutschland heimisch - Wie groß ist die Gefahr durch Wolfshybriden?

Oder wenn man weinende achtjährige Mädchen für seine Kampagne instrumentalisiert:

Screenshot Bild.de - Jette (8) weint um ihre Lieblinge - Der böse Wolf hat meine Schafe gefressen
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

Oder wenn man den Menschen eintrichtert, dass sie sich nach ihrer “Sorge um den Diesel-Motor” jetzt mal vor dem Wolf fürchten sollten:

Screenshot Bild.de - Kommentar - Der Wolf ist der neue Diesel

Bis zu 1000 Wölfe streifen durch heimische Wälder. Nach der Sorge um den Diesel-Motor wächst verständlicherweise deshalb vor allem auf dem Land die Angst vor dem Wolf.

Oder wenn man das weinende achtjährige Mädchen dann noch mal instrumentalisiert:

Screenshot Bild.de - Sicherheit - Entscheide die Angst vor dem Wolf die nächsten Wahlen?

Oder wenn man ins Spiel bringt, dass ja bald auch Menschen dran sein könnten:

Screenshot Bild.de - Angst in Brandenburger Seniorenheim - Wolf reißt drei Therapie-Schafe - Pflegeheim-Chef: Kann ich sicher sein, dass der Wolf noch zwischen einem Bewohner im Rollstuhl und einem Stück Wild unterscheidet?

Oder, noch besser, weil noch emotionaler: Dass ja bald auch Kinder dran sein könnten:

Ausriss Bild Politik - Wölfe - Es muss wohl erst ein Kind sterben
(Ausriss aus “Bild Politik”)

Oder wenn man berichtet, dass es ja schon den ersten Wolfsangriff auf einen Menschen gab:

Ausriss Bild-Zeitung - Wolf beißt Arbeiter auf Friedhof

… und dann gar nicht mehr berichtet, wenn sich später herausstellt, dass es gar kein Wolf war.

Oder wenn man, wie die “Bild”-Medien, seit Jahren alles dafür tut, dass die Leserschaft nicht auf Grundlage von Fakten über die Gefahr, die von Wölfen ausgeht, informiert wird, sondern dass bei ihr nur eines hängenbleibt: Angst.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Geld machen mit den “dramatischen Bildern einer Rettung”

Zwei 14-jährige Jungen sind am Sonntag auf ein Dach einer S-Bahn-Haltestelle in Neuss geklettert und haben dabei einen Stromschlag erlitten. Der eine wurde dabei leicht verletzt und konnte aus eigener Kraft vom Dach wieder runterklettern, der andere blieb liegen.

Die “Bild”-Zeitung berichtet heute in der Düsseldorf-Ausgabe über den Vorfall (Überschrift: “SCHEISS LEICHTSINN”). Bei Bild.de erschien bereits gestern am späten Abend ein Artikel dazu:

Screenshot Bild.de - Dramatische Bilder einer Rettung in Neuss - Junge (14) erleidet 15000-Volt-Stromschlag - dazu ein Foto, auf dem Sanitäter und Feuerwehrleute zu sehen sind, die um den auf einer Trage liegenden Jungen stehen
(Unkenntlichmachung durch uns.)

Der Beitrag befinden sich, man sieht es an dem “Bild plus”-Logo, hinter der Bezahlschranke — lesen kann ihn nur, wer ein Abo hat. Wer keins hat, sieht lediglich diese zwei Absätze:

Das Foto zeigt einen Jungen, der flach auf dem Dach des Bahnsteigs einer S-Bahn-Haltestelle in Neuss liegt. Der 14-Jährige hat gerade einen Stromschlag erlitten. Doch die herbeigeeilten Helfer können nicht sofort an ihn heran …

Der Junge und sein Kumpel hatten sich am Sonntagnachmittag in akute Lebensgefahr gebracht. Sehen Sie mit BILDplus die dramatischen Bilder der Rettung.

Na, wollen Sie mal sehen, wie ein 14-Jähriger gerade so noch überlebt und gerettet wird? Da haben wir was für Sie! Bei Bild.de wissen sie, wie man an die Portemonnaies von geifernden Gaffern kommt. Denen bietet die Redaktion dann drei Fotos, die mit diesen Bildunterschriften versehen sind:

Nach dem Stromschlag bleibt der Junge  (14) flach auf dem Dach des Bahnsteigs liegen

Endlich können die Retter zu dem Jungen, er ist sogar ansprechbar

Das schwer verletzte Opfer wird vom Dach geholt

Beide Jungen wurden ins Krankenhaus gebracht, sie sollen sich nicht in Lebensgefahr befinden.

Mit Dank an Janine B. und @unalternativ für die Hinweise!

Die differenzierte Abschiebe-Debatte in “Bild” – wenn es um Deutsche geht

Bei kaum einem Thema ist die “Bild”-Redaktion so leidenschaftlich wie bei der Abschiebung von Gefährdern, Terrorverdächtigen und Terroristen aus Deutschland in deren jeweilige Herkunftsländer. Wobei, genauer: Vor allem bei Problemen bei diesen Abschiebungen wird sie richtig energisch.

Ausriss Bild-Titelseite - Warum darf so einer bleiben? Schiebt den Bin-Laden-Leibwächter jetzt endlich ab
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

… allerdings, das nur am Rande, ist nie endgültig bewiesen worden, dass Sami A. tatsächlich Leibwächter von Osama bin Laden war.

Oder bei diesen Fällen:

Ausriss Bild-Titelseite - Nach Bin Ladens Leibwächter der nächste Abschiebe-Skandal um einen Terroristen - Und wir werden sie einfach nicht los

Screenshot Bild.de - Neuer Abschiebe-Skandal - Auch dieser Gefährder genießt Schutzstatus

Ihn haben die Behörden als Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eingestuft — und dennoch darf er bei uns bleiben. Ein neuer Abschiebe-Skandal, der wütend macht! (…)

Der Vorwurf gegen ihn: Er soll ISIS-Mitglied sein.

Screenshot Bild.de - Obwohl sie ausreisepflichtig sind - NRW kann 16 Dschihadisten nicht abschieben
Ausriss Bild-Zeitung - Und diese Gefährder sind immer noch hier!

Es müssen aber gar nicht unbedingt Gefährder oder (mögliche) Terroristen sein — es reichen kriminelle Ausländer. Klappen deren Abschiebungen aus Deutschland nicht, wird die “Bild”-Redaktion sogar zur Aktivisten-Truppe:

Screenshot Bild.de - Unterschreiben sie hier die Bild-Petition - Merkel soll Abschiebung zur Chefsache machen! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, erklären Sie Abschiebungen von ausreisepflichtigen Kriminellen jetzt zur Chefsache

Eines der wichtigsten Probleme sind die Abschiebungen von ausreisepflichtigen Kriminellen. Das Problem: Jedes Bundesland handhabt die Abschiebung unterschiedlich – während einige Länder die Lage im Griff haben, scheinen andere überfordert.

Deshalb fordert BILD: Das muss Chefsache im Kanzleramt werden!

Wenn Sie das auch wollen: Schreiben Sie eine E-Mail an BILD ([email protected]) mit Ihrem Namen und Ihrer Adresse.

BILD wird Ihre Botschaften im Kanzleramt überreichen. Und Druck machen.

… was ja übersetzt so viel heißt wie: Schiebt die endlich ab!

Wenn dieses Vorhaben dann an den Herkunftsländern scheitert, weil diese nicht wollen oder die Vorgänge verzögern, sind sie bei “Bild” genervt, beleidigt oder sauer:

Screenshot Bild.de - Innere Unsicherheit - Kein Pass, keine Abschiebung

Bis zu 1000 deutsche Bundeswehr-Soldaten sind in Mali stationiert.

Sie helfen wie selbstverständlich, das afrikanische Land zu sichern. Will Deutschland aber Asylbewerber in ihre malinesische Heimat abschieben, stellt sich das Land quer, dauert eine Abschiebung Monate!

(Nur nebenbei: Es heißt “malische Heimat”.)

Ein anderer Fall:

Ausriss Bild-Zeitung - Der Asylantrag von Mortaza D. wurde bereits 2010 abgelehnt - Afghanistan schickt Verbrecher zurück nach Deutshcland

Einmal Kabul — und zurück!

Afghanistan hat einen Straftäter, der aus Deutschland abgeschoben wurde, wieder zurückgeschickt.

Screenshot Bild.de - Kommentar - Afghanistan und Abschiebungen

Es mag eine Ausnahme sein, dass Afghanistan einen Verbrecher nach Deutschland zurückschickt, der schon nach Kabul abgeschoben worden ist.

Keine Ausnahme ist, dass sich das Land am Hindukusch regelmäßig bei Abschiebungen querstellt.

Nun sitzen derzeit in Nord-Syrien und im Irak mehrere Dutzend Deutsche, die sich einst dem sogenannten “Islamischen Staat” angeschlossen haben, in Gefängnissen. Und bei Bild.de ist es plötzlich nicht mehr so glasklar, dass ein Herkunftsland Terroristen oder Terrorverdächtige oder Gefährder oder kriminelle Ausländer zurücknehmen muss. Stattdessen soll erstmal diskutiert werden:

Screenshot Bild.de - Zurückholen oder dort lassen? Was tun mit deutschen ISIS-Mitgliedern?

Die “Bild”-Leserinnen und -Leser, die bei Facebook jede abgebrochene Abschiebung aus Deutschland mit “Raus mit denen” oder “Ab in den nächsten Flieger” kommentieren, sehen die Sache auf einmal auch etwas anders: Die Umfrage am Ende des Bild.de-Artikels “Sollen wir die deutschen ISIS-Mitglieder zurückholen?” beantworten über 70 Prozent mit: “Nein, sie dürften unter keinen Umständen zurück”.

Lungenarzt verrechnet sich, “Bild” juckt es nicht

Dieter Köhler ist so etwas wie der Posterboy der Medien, die gegen den “Grenzwert-Irrsinn” (Bild.de), die “Gaga-Vorschläge” (auch Bild.de) der “Diesel-Hasser” (ebenfalls Bild.de) und die drohenden Diesel-Fahrverbote anschreiben. Der Lungenarzt im Ruhestand lieferte ihnen mit einem Positionspapier zu Luftverschmutzung, Feinstaub und Stickoxiden eine vermeintliche wissenschaftliche Grundlage. Es kümmerte die Redaktionen nicht, dass Köhler noch nie zu dem Thema publiziert hatte, und auch nicht, dass die etwa 100 weiteren Ärzte, die das Positionspapier unterzeichneten, nur einen Bruchteil der rund 3800 von Köhler angeschriebenen Ärzte ausmachten. Alles egal, Dieter Köhlers Thesen drehten die ganz große mediale Runde. Nun zeigt eine Recherche von “taz”-Redakteur Malte Kreutzfeldt, dass Köhler sich mehrfacht verrechnet hat, teils so gravierend, dass seine Aussagen sich ins Gegenteil verkehren, wenn man korrekt rechnet.

Am 23. Januar berichtete die “Welt” groß über Dieter Köhler und seine Mitstreiter:

Ausriss Welt - Lungenärzte gegen Grenzwerte

Am selben Tag brachte “Bild” die Geschichte mit größtmöglichem Knall:

Ausriss Bild-Titelseite - 107 Lungen-Ärzte - Alles Lüge mit dem Diesel-Feinstaub

Im Blatt ähnlich laut:

Ausriss Bild-Zeitung - Aufstand der Ärzte gegen Feinstaub-Hysterie

Bild.de machte natürlich mit, und schon bald gab es so gut wie keine Nachrichtenseite in Deutschland mehr, die nicht über Köhlers Positionspapier berichtete. Manche von ihnen holten schon früh Gegenstimmen ein oder äußerten etwas später Zweifel. Andere übernahmen einfach die Aussagen aus dem Papier. Köhler, der bereits zuvor immer mal wieder von Redaktionen als Experte auf dem Feld präsentiert wurde, saß bei “Anne Will”, “Hart aber fair”, “SternTV”. FDP-Chef Christian Lindner hing sich in “Bild” an die “aktuelle Intervention führender Lungenfachärzte” ran und forderte “ein Moratorium bei den Stickoxid-Grenzwerten”. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), dessen Sprecher seit knapp einem Jahr der frühere “Bild”-Mann Wolfgang Ainetter ist, schrieb einen “BRAND-BRIEF AN DIE EU-KOMMISSION” (“Bild”) und bezog sich dabei auf deutsche Lungenärzte.

Dieter Köhler bekam in der folgenden Berichterstattung immer wieder Platz in den “Bild”-Medien:

Screenshot Bild.de - Lungenarzt zur Feinstaub-Hysterie - Das Atmen in Berlin ist absolut unbedenklich
Screenshot Bild.de - Schlimmster Verdacht - Es geht um Forschungsgelder, sagt Köhler. Da muss ja ein Ergebnis rauskommen, dass Feinstaub und Stickstoffdioxid schädlich sind. Rumms!
Ausriss Bild am Sonntag - Mich ärgert, wenn Blödsinn verbreitet wird

Dann dürfte sich Köhler ziemlich über sich selbst ärgern.

Denn Malte Kreutzfeldt zeigt heute in seiner “taz”-Titelgeschichte, was für einen Blödsinn der pensionierte Lungenarzt verbreitet. Ein Beispiel, auf das “auch die taz erst durch einen externen Hinweis aufmerksam wurde”: Köhler behauptet in seinem Positionspapier (PDF):

Dabei erreichen Raucher (eine Packung/Tag angenommen) in weniger als zwei Monaten die Feinstaubdosis, die sonst ein 80-jähriger Nichtraucher im Leben einatmen würde. Beim NOx [Stickoxide] sind die Unterschiede ähnlich, wenn auch etwas geringer.

Köhler bringt dabei allerdings Zahlen durcheinander und rechnet mit falschen Werten. Tatsächlich, so Kreutzfeldt, sind es nicht wenige Raucher-Monate, sondern zwischen 6,4 und 32 Raucher-Jahre (je nach angenommenen Stickstoffdioxid-Anteil am Stickoxid). Köhler sagt nämlich, dass man durch eine Zigarette rund 500 Mikrogramm Stickstoffdioxod in 10 Litern Atemluft aufnehme. Das rechnet er korrekt auf 50.000 µg/m³ hoch. Allerdings multipliziert er dann, um auf den Wert für eine Zigarettenschachtel zu kommen, nicht die 500 µg/10 Liter (die er pro Zigarette angibt) mit 20 Zigaretten, sondern fälschlicherweise die 50.000 µg/m³ (was letztlich bedeuten würde, dass die Person in dem Beispiel nicht 20, sondern 2000 Zigaretten am Tag raucht). Köhler kommt so auf 1 Million Mikrogramm Stickstoffdioxid, die ein Raucher am Tag zu sich nimmt. Richtig wären hingegen 10.000 Mikrogramm.

Wobei das auch nicht wirklich stimmt. Denn Köhler macht an dieser Stelle noch einen weiteren Fehler, wie Kreutzfeldt schreibt:

Zusätzlich zu diesem Rechenfehler, der das Ergebnis um Faktor 100 verfälscht, stimmt auch hier der Ausgangswert nicht, mit dem Köhler rechnet. Der von ihm genannte Wert von 500 Mikrogramm pro Zigarette gilt nicht für Stickstoffdioxid (NO2), also jenes Gas, für das die Grenzwerte gelten und das für die Fahrverbote in deutschen Städten verantwortlich ist, sondern für Stickoxide generell (NOx).

Als Anteil von NO2 an NOx beim Zigarettenrauch nennt Köhler zunächst 10 Prozent — damit wäre das Ergebnis insgesamt um den Faktor 1.000 verkehrt. In einer späteren Mail revidierte der Lungenarzt die Angabe wieder, nannte nun — ohne klare Quellenangabe — einen Bereich von 10 bis 50 Prozent; das Ergebnis seiner Rechnung wäre dann entsprechend um den Faktor 200 bis 1.000 verkehrt.

Bei Bild.de fanden sie Köhlers Raucher-Rechnung besonders anschaulich:

Screenshot Bild.de - Köhler: Raucher liefern uns diese Studie aber quasi freiwillig. Der Rauch einer Zigarette ist nun mal um das Mehrfache giftiger als unsere Luft. Raucher (eine Schachtel/Tag) erreichen in weniger als zwei Monaten die Feinstaubdosis, die sonst ein 80-jähriger Nichtraucher in seinem Leben einatmen würde. Und fast die NOx-Menge.

Durch einen Klick auf die beiden letzten, blau hinterlegten Sätze können Bild.de-Leser den Artikel bei Facebook teilen. Die zwei Sätze mit Köhlers plakativem (falschem) Beispiel werden dann automatisch als Text für ihren Post übernommen.

Während Welt.de bereits einen recht langen Beitrag zu Köhlers Rechenfehlern veröffentlich hat (letztlich eine Abschrift von Malte Kreutzfeldts “taz”-Text in indirekter Rede), gibt es bei “Bild” nur: Schweigen. In der gedruckten Ausgabe von heute kein Wort (was eigentlich nicht am Redaktionsschluss liegen kann, schließlich schafft es das “Bild”-Team auch, Geschehen aus dem Dschungelcamp von kurz vor Mitternacht noch ins Blatt zu hieven, und Malte Kreutzfeldt twitterte gestern bereits um 18:35 Uhr einen Link zu den Ergebnissen seiner Recherche). Bei Bild.de erschien der letzte Artikel, in dem der Name Köhler fällt, vor vier Tagen — eine Vorabkritik des “Polizeiruf” im “Ersten”, in dem der Kommissar Dirk Köhler heißt. Die schlampige Rechnerei des Lungenarztes Köhler existiert im “Bild”-Kosmos nicht.

Vielleicht meldet sich morgen ja Franz Josef Wagner zu Wort und berichtet von seiner großen Enttäuschung. Dieter Köhler und die “Lieben Lungen-Ärzte” hatte der “Bild”-Briefchenschreiber neulich noch als “Helden im Diesel-Chaos” gefeiert:

Ausriss Bild-Zeitung - Liebe Lungen-Ärzte, Ihr seht die dunklen Flecken, den Krebs in unseren Lungen. An Feinstaub, sagt Ihr, sei noch kein Mensch gestorben. Ich glaube Euch. Wenn es eine Wissenschaft gab, die uns Menschen half, dann war es die Medizin. Die Medizin hat die Pocken besiegt, das Penicillin erfunden, Herzen verpflanzt, Lungen. Die Medizin hat Beinamputierten neue Beine gegeben. Blinde konnten wieder sehen durch die besondere Lasertechnik. Tote wurden wieder zum Leben erweckt durch rhythmisches Pressen. Die Politik hat zu schweigen. Es sind die Ärzte, die unser Leben retten. Die Politik soll auf die Ärzte hören, bevor sie Gesetze machen. Meine Helden im Diesel-Chaos sind die Ärzte. Herzlichst Franz Josef Wagner

Nachtrag, 21:04 Uhr: Nun hat auch die “Bild”-Redaktion gemerkt, dass alle größeren deutschen Nachrichtenseiten über Köhlers Rechenfehler berichten. Bei Bild.de schreiben Tom Drechsler und Florian Kain:

Jetzt kommt raus: Professor Köhler hat genau das getan, was er anderen vorwirft — sich verrechnet!

Sein Beispiel, ein Raucher würde in nur zwei Monaten die Feinstaubdosis inhalieren, die sonst ein 80-jähriger Nichtraucher in seinem ganzes Leben einatmen würde, stimmt nicht.

Und es passt bestens zu “Bild”, dass Drechsler und Kain es selbst hier noch schaffen, einen Fehler einzubauen: In der Recherche von “taz”-Redakteur Malte Kreutzfeldt geht es um Stickoxide beziehungsweise um Stickstoffdioxid und nicht um Feinstaub.

Mit Dank an Michael E., Korbinian P., Sven H. und @De215S für die Hinweise!

Wichtiger Hinweis an alle “Bild”-Mitarbeiter

Mit zwei großen Ausrufezeichen, aber ohne erkennbaren Grund oder Zusammenhang richtet sich die “Bild”-Redaktion heute in ihrem Blatt “an alle BILD-Leser-Reporter”:

Ausriss Bild-Zeitung - Wichtiger Hinweis an alle Bild-Leser-Reporter - Bringen Sie weder sich selbst noch andere bei dem Versuch in Gefahr, ein Foto oder ein Video zu machen. - Seien Sie beim Fotografieren rücksichtsvoll und beachten Sie geltende Gesetze. - Ach­ten Sie stets darauf, dass Sie zum Bei­spiel bei Un­fäl­len nie­mals die Ret­tungs­kräf­te oder die Po­li­zei be­hin­dern. Bedenken Sie: Wer an einem Un­fall­ort zunächst Fotos macht und sich erst da­nach um die Un­fall­op­fer küm­mert, macht sich strafbar. - Wahren Sie die Per­sön­lich­keits­rech­te an­de­rer Men­schen, verletzen Sie niemals die Privatsphäre oder die Intimsphäre anderer Menschen. - Senden Sie nur Fotos an BILD, die Sie selbst gemacht haben. Nur, wenn Sie die Urheberrechte an einem Foto besitzen, können Sie damit BILD-Leser-Reporter werden.
(Draufklicken für größere Version.)

Unter anderem auch mit diesem Absatz:

Wahren Sie die Per­sön­lich­keits­rech­te an­de­rer Men­schen, verletzen Sie niemals die Privatsphäre oder die Intimsphäre anderer Menschen.

Und diesem:

Senden Sie nur Fotos an BILD, die Sie selbst gemacht haben. Nur, wenn Sie die Urheberrechte an einem Foto besitzen, können Sie damit BILD-Leser-Reporter werden.

Was angeblich für “BILD-Leser-Reporter” gelten soll, scheint nicht für die “Bild”-Mitarbeiter selbst zu gelten. In dem noch jungen Jahr haben sie jedenfalls schon zahlreich diese Grundsätze missachtet. Nachdem zum Beispiel ein 7-Jähriger zu Tode gequält wurde, zeigte Bild.de ein unverpixeltes Foto auf der Startseite:

Screenshot Bild.de - Eltern und Bruder angeklagt - Junge (7) geötet, weil er Bibelverse vergaß - dazu ein unverpixeltes Foto des Jungen
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

Nachdem zwei Jugendliche auf ein Bahngleis geschubst und von einer S-Bahn überfahren wurden, zeigte “Bild” auf der Titelseite unverpixelte Fotos der beiden:

Ausriss Bild-Titelseite - F (16) und L (16) von S-Bahn überrollt - zwei 17-Jährige in U-Haft - Nach Disco in den Tod gestoßen - dazu zwei unverpixelte Fotos der verstorbenen Jugendlichen

Die Familien wehrten sich gegen die Veröffentlichung.

Nachdem bei einem Unfall fünf Kinder starben, zeigte Bild.de zwei von ihnen unverpixelt:

Screenshot Bild.de - Sie waren nicht angeschnallt - Fünf Kinder sterben bei Horror-Unfall. Dazu ein Foto, das zwei der Kinder, die bei dem Unfall gestorben sind, zeigt.

Nachdem eine 19-Jährige wohl aus Versehen von ihrem Vater erschossen wurde, zeigte “Bild” ein unverpixeltes Foto:

Ausriss Bild-Zeitung - Tragödie in der Wohnung - Jäger erschießt seine Tochter (19) - dazu ein unverpixeltes Foto der Tochter

Nachdem ein Mann bei einem Lawinenunglück ums Leben kam, zeigte “Bild” ihn unverpixelt auf der Titelseite:

Ausriss Bild-Titelseite - Seine Freundin sah alles mit an - Doppel-Lawine töte Mathe-Lehrer - Die erste überlebte er noch, die zweite begrub ihn - dazu ein unverpixeltes Foto des Verstorbenen

Auch hier wehrte sich die Familie gegen die Verwendung des Fotos.

Dass solche Schweinereien nicht in Ordnung sind, egal, ob “BILD-Leser-Reporter” oder bigotte “Bild”-Redakteure dafür verantwortlich sind, zeigt schon ein Blick in den Pressekodex. Dort steht:

Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben, oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt.

Und speziell zu Kindern und Jugendlichen:

Insbesondere in der Berichterstattung über Straftaten und Unglücksfälle dürfen Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres in der Regel nicht identifizierbar sein.

Dazu auch:

Mit Dank an Markus S. und @Nordhessische für die Hinweise!

Bild.de lässt Bergmänner am Times Square demonstrieren

Die Bundesregierung hat beschlossen, bis 2038 aus der Braunkohle auszusteigen. Doch die “Bild”-Zeitung ist dagegen.

Der Ausstieg sei viel zu “teuer und kompliziert”, wetterte “Bild”-Vize Nikolaus Blome schon kurz nach dem Beschluss. Wenn es nach den Grünen und den Umweltschützern ginge, säßen wir “irgendwann alle im Dunkeln.”

Von “Öko-Irrsinn” ist die Rede, von “Klima-Chaos”. Der Kohleausstieg: ein riesiger Fehler! “Unser Wohlstand verträgt keinen übereilten Kohle-Ausstieg!”, schreit “Bild” schon vor dem Beschluss und warnt: “STANDORT DEUTSCHLAND IN GEFAHR!” Und nicht nur das!

BILD-Titelseite: Steuern! Strompreis! Arbeitsplätze! DAS KOSTET UNS DAS KOHLE-AUS
Schlagzeile Bild.de: Experten rechnen mit Strompreis-Hammer
Schlagzeile Bild.de: Energiewende - Wie viel Kohle ist uns das wert?
Schlagzeile BILD: Kohle-Aus kostet bis zu 78,5 Milliarden Euro
Schlagzeile BILD: Milliarden-Loch - Scholz geht wegen Kohle-Aus die Kohle aus
Schlagzeile BILD: Merkel äußert Zweifel am Kohle-Ausstieg - Wenn wir so weitermachen, werden wir scheitern

Heute präsentiert Bild.de …

Schlagzeile Bild.de: 5 Gründe, warum der Kohle-Ausstieg so nicht funktioniert

Grund Nummer 3:

Widerstand in den Regionen. Aus den betroffenen Kohle-Regionen — Sachsen, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg — gibt es Widerstand gegen das Kohle-Aus, weil viele Jobs wegfallen. Im Saarland unterzeichneten mindestens ein Dutzend Bürgermeister einen Brief an die Bundesregierung, sie fordern finanzielle Unterstützung. Sogar am Times Square in New York wurde demonstriert.

Der Link steht da so im Original, und wer sich die Mühe macht, ihn anzuklicken, sieht schnell, dass das keine Demonstration empörter Braunkohlearbeiter war …

Schlagzeile Bild.de: Bergbau-Label "Grubenhelden" mit Flashmob aus New York - Pott-Kumpel leuchten am Times Square - Mode-Start-Up nimmt auch an der Fashion Week teil

… sondern eine PR-Kampagne von einem Modelabel.

Mit Dank an den Hinweisgeber!

Nun auch in “Bild”: Seenotretter nicht wegen Schleuserei vor Gericht

In der Dienstagsausgabe der “Bild”-Zeitung, auf Seite 2, ganz gut versteckt zwischen “Iran-Regime bleibt sich beim Amerika-Hass treu” und “‘Unser Deutschland gibt es nicht für lau!'” finden sich diese 39 Zeilen:

Ausriss Bild-Zeitung - Gegendarstellung - In der Bild-Zeitung vom 28. Januar 2019 heißt es in einem Artikel unter der Überschrift: Mission Lifeline auf Twitter: Seenotretter werben für Ehen mit Flüchtlingen: Kapitän Claus-Peter Reisch (57) steht derzeit in Malta wegen des Vorwurfs der Schleuserei vor Gericht. Hierzu stelle ich fest: Kapitän Claus-Peter Reisch steht derzeit in Malta nicht wegen des Vorwurfs der Schleuserei vor Gericht. In dem Gerichtsverfahren geht es um die angeblich falsche Registrierung des Schiffes. Leipzig, den 29. Januar 2019, Rechtsanwalt Dr. Jonas Kahl für Claus-Peter Reisch - Anmerkung der Redaktion: Herr Reisch hat recht.

Bei der Aufmachung der ursprünglichen Berichterstattung hatte sich die “Bild”-Redaktion noch deutlich mehr ins Zeug gelegt.

Nachtrag, 12. Februar: Kapitän Claus-Peter Reisch hat sich offenbar auch gegen dieselbe (falsche) Behauptung in einem Artikel von Bild.de gewehrt. Auch dort ist inzwischen eine Gegendarstellung erschienen:

Screenshot Bild.de - Mission Lifeline auf Twitter - Gegendarstellung - In einem Artikel vom 28.01.2019 unter der Überschrift Mission Lifeline auf Twitter: Seenotretter werben für Ehen mit Flüchtlingen“ auf www.bild.de heißt es: Kapitän Claus-Peter Reisch (57) steht derzeit in Malta wegen des Vorwurfs der Schleuserei vor Gericht. Hierzu stelle ich fest: Ich stehe derzeit in Malta nicht wegen des Vorwurfs der Schleuserei vor Gericht. In dem Gerichtsverfahren geht es um die angeblich falsche Registrierung eines Schiffes. Landsberg, den 29. Januar 2019, Claus-Peter Reisch - Anmerkung der Redaktion: Herr Reisch hat recht.

Versuchter Journalismus

Kurzer Exkurs ins Strafrecht. Genauer: zum Paragrafen 24 des Strafgesetzbuchs.

Bei diesem Paragrafen geht es um den sogenannten Rücktritt: Für Täterinnen und Täter, die etwa wegen versuchten Mordes, versuchter Vergewaltigung oder versuchten Totschlags angeklagt sind, kommen mildere Urteile in Betracht, wenn sie während der Tat aus freien Stücken von dem Versuch zurückgetreten sind. Wer also “freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert”, so der Gesetzgeber, wird nicht wegen Versuchs bestraft.

Der Gedanke dahinter: Wenn sich jemand in der Tat befindet und sie dann doch nicht zu Ende führt, soll es eine Art Belohnung geben. Wenn es die nicht gäbe, könnte man die Tat ja auch einfach ausführen — wäre ohne Paragraf 24 StGB schließlich dieselbe Strafe, die man bekäme, egal, ob man’s nun zu Ende führt oder nicht. Diese Regelung kann letztendlich auch eine Chance für die Opfer sein, eine Tat zu überleben.

“Bild” und Bild.de berichten heute über diesen Paragrafen und nennen Beispiele von Personen, die wegen versuchten Mordes, versuchten Totschlags und versuchter Vergewaltigung angeklagt waren. Da die Gerichte bei ihnen allen einen freiwilligen Rücktritt sahen, wurden sie am Ende nur wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Die Leute, um die es da geht, sind also keine Mörder (denn dafür hätten sie ihre Taten ja zu Ende führen müssen, und Paragraf 24 würde keine Rolle bei ihnen spielen). Überschrift Bild.de:

Screenshot Bild.de - Wie sich Mörder vor der Höchststrafe retten
(Unkenntlichmachung durch uns.)

Damit bedient Bild.de einen Stammtischgedanken: Diese lasche Kuscheljustiz! Selbst Mörder können sich hier “vor der Höchststrafe retten”!

Dass das im Zusammenhang mit Paragraf 24 völliger Unfug und in Wahrheit viel komplizierter ist, erfährt man allerdings nur mit einem “Bild Plus”-Abo.

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