Und falls Sie auch gerne mal kotzen möchten…

Was macht eigentlich der Fußballer Lukas Podolski? So kurz vor dem vermutlich wichtigsten Nationalelf-Spiel des Jahres kann man dieser Frage schon mal nachgehen. “Bild” kommt dabei zu einer ganz erstaunlichen Neuigkeit (die, so darf man vermuten, auch noch ziemlich exklusiv ist, woanders jedenfalls war dieser Scoop noch nicht zu lesen).

Unter dieser Überschrift wird die Neuigkeit behandelt, dass Podolski mit einem auffälligen Kleidungsstück in den Kreis der Mannschaft einrückte. Das Motiv auf seinem Pulli ist, Sie ahnen es, ein sich übergebender Clown. Und natürlich mag man als Leser dann auch wissen, woher man solch ein exklusives Stück bekommen kann. Bild.de hat da ganz den Servicegedanken verinnerlicht und beschreibt detailliert:

Aktuell heißt es also, dass Podolski sich das Shirt “gekauft” habe. Das war nicht den ganzen Tag so — und es ist natürlich reine Spekulation, ob die frühere Version (nämlich, dass Poldi das gute Stück als Werbeträger geschenkt bekommen hat) der Wahrheit nicht näher kommt. Da hieß es nämlich bei Bild.de ebenso wie in der gedruckten “Bild”:

In jedem Fall ist die Preisangabe von “Bild”  ein wenig, nunja, euphemistisch. Tatsächlich bewegt sich, wie ein Blick in den verlinkten Shop zeigt (der gleich mit dem Foto von Poldi aufmacht), das Preisniveau schon eher in fußballprofigerechten Dimensionen: 398 Euro sind fällig, das gute Stück ist nämlich aus Kashmir. Und wer dann immer noch nicht restlos überzeugt ist von den Qualitäten des kotzenden Clowns, des Labels und der vertreibenden Firma, dem sagt es Poldi auch nochmal ganz persönlich mit gewohnt eindringlichen Worten:

“Ich finde den Laden cool.”

Ach, Sie vermissen was? Einen Vermerk wie “Anzeige” oder ähnliches? Nicht lange suchen — Sie werden ihn nicht finden.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Von Monstern und anderem Irren

2008 war, wenn man so will, ein gutes Jahr für “Bild”. Der Deutsche Presserat sprach nur in zwei Fällen Rügen gegen “Bild” aus:

  • Das Gremium beanstandete — aufgrund einer Beschwerde von BILDblog — die teils frei erfundene Berichterstattung über zwei Mädchen, die angeblich von ihrer Mutter nach Afrika gebracht und dort beschnitten werden sollten (BILDblog berichtete).
  • Und der Presserat rügte die “unangemessen sensationelle” Art, wie “Bild” über einen Flugzeugabsturz berichtetete, verkohlte Leichen auf der Titelseite zeigte und die Opfer im Inneren identifizierte — und so “die Gefühle der trauernden Angehörigen verletzt” habe. (Die “Bild”-Zeitung fand die Beanstandung, wie berichtet, “rätselhaft” und führte ihre Leser beim Abdruck der Rüge in die Irre, was dem Presserat aber egal ist.)

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung oder eine Zeitschrift gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, tun sie es nicht.

Trotzdem hatte der Presserat auch im vergangenen Jahr reichlich mit “Bild” zu tun und sprach eine Reihe von “Missbilligungen” und “Hinweisen” aus. Und wie in jedem Jahr gibt das vor kurzem erschienene “Jahrbuch” des Presserates seltene Einblicke in die Argumentationsmuster innerhalb der notorisch öffentlichkeitsscheuen Axel-Springer-AG, wenn die Rechtsabteilung gegenüber dem Presserat ausgeruht die fragwürdigen Ad-Hoc-Entscheidungen der “Bild”-Zeitung zu rechtfertigen versucht.

Eine Auswahl:

Tote Kinder ohne Rechte?

“Die toten Kinder von Darry — Von der Mutter erstickt, vom Vater wieder ausgegraben”. Unter dieser Überschrift berichtet “Bild” am 26. Juni 2008, wie drei tote Kinder von einem Berliner Friedhof nach Schleswig-Holstein umgebettet werden. Sie und zwei weitere waren von ihrer Mutter getötet worden. “Bild” zeigt ein Familienfoto, auf dem die Gesichter der Erwachsenen unkenntlich gemacht wurden, sowie Nahaufnahmen der Särge und der Gruft — und ein Notfallseelsorger aus Schleswig-Holstein, der beruflich mit dem Fall zu tun hat, beschwert sich beim Presserat, der seine Position so wiedergibt:

Die Umbettung habe unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden sollen. Mit allen Firmen und den Friedhöfen sei Stillschweigen und absolute Vertraulichkeit vereinbart worden. Zu Beginn der Exhumierung in Berlin hätten mehrere Journalisten fotografieren und filmen wollen. Die Friedhofsverwaltung habe vergeblich versucht, sie davon abzuhalten. Im Gegensatz zu anderen Medien habe das Boulevardblatt Nahaufnahmen der Särge, der Gruft und des gesamten Vorgangs veröffentlicht. Zudem sei in der Online-Ausgabe ein “abscheuliches Video” mit Nahaufnahmen abrufbar gewesen. Der Geistliche sieht einen Missbrauch der Pressefreiheit und eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte der verstorbenen Kinder und des trauernden Vaters.

Die Antwort von “Bild” ist vor allem eine juristische: Die Vorwürfe seien unbegründet, weil das Persönlichkeitsrecht nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes mit dem Tod erlösche. Es müsse dann nur noch allgemein die Menschenwürde geachtet werden. “Bild” habe die Kinder aber nicht herabgewürdigt oder erniedrigt. Das (nicht mehr abrufbare) Video auf Bild.de habe allerdings religiöse Gefühle verletzen können — das habe der Chefredakteur in einem Brief an den Seelsorger bedauert. Die Reporter hätten versichert, dass sie während der Exhumierung nicht am Fotografieren gehindert worden seien.

Der Presserat sieht in der Veröffentlichung der Fotos einen Verstoß gegen Ziffer 8 des Pressekodex, der eine Identifizierung der Opfer von Unglücksfällen und Straftaten untersagt. Der “engeren juristischen Wertung” des Verlages wollte er sich nicht anschließen. Aus ethischer Sicht hätte die Redaktion auf die Persönlichkeitsrechte der verstorbenen Kinder sowie des trauernden Vaters größeres Gewicht legen müssen. Der Presserat sah darin allerdings keinen rügenswerten Verstoß, sondern “missbilligte” die Berichterstattung nur — warum auch immer.

Lea-Sophie, nackt und verhungert auf dem OP-Tisch

Am 6. April 2008 veröffentlichten “Bild am Sonntag” und Bild.de zwei Fotos der fünfjährigen Lea-Sophie, die ihre Eltern verhungern ließen. Eines zeigte das Mädchen zu Lebzeiten, eines den Leichnam, nackt auf dem Obduktionstisch. Das zweite Foto, das die Zeitung auf unbekannte Weise bekommen hatte, war, wie die “BamS” damals schrieb, ein “schreckliches” Foto. Die Redaktion, behauptete die Redaktion, habe lange diskutiert, ob sie es zeigen solle. Dass sie sich dafür entschieden habe, das tote Kind auf diese Weise vor einem Millionenpublikum auszustellen, begründete sie mit dem Satz: “Denn wir wollen, dass so etwas nie wieder in Deutschland passiert!” (BILDblog berichtete.)

Ein Leser beschwerte sich beim Presserat, weil er in der Veröffentlichung des Bildes Sensationsmache und eine Verletzung der Menschenwürde der Verstorbenen sieht. Die Rechtsabteilung der “BamS” hält ihm entgegen, er habe sich mit den Überlegungen der Redaktion nicht auseinandergesetzt: Darin seien die Beweggründe, das Foto zu veröffentlichen, ausführlich dargelegt worden. Sie erinnerte an das “vermutlich eindringlichste Foto der Pressegeschichte”: fliehende, weinende, teilweise nackte und vom Napalm verletzte Kinder im Vietnam-Krieg. Wenn die Eltern von Lea-Sophie und ihr Anwalt ein falsches Bild der Ereignisse zeichneten, so die “BamS” laut Presserat, müsse dies ausnahmsweise durch ein Fotodokument korrigiert werden können.

Der Beschwerdeausschuss widersprach: Das Foto sei für eine wahrhaftige Berichterstattung über die Grausamkeit der Todesumstände nicht erforderlich gewesen — eine Beschreibung der Vorgänge hätte ausgereicht. Die “BamS” habe “unangemessen sensationell” berichtet und die Würde des Opfers verletzt — und somit gegen die Ziffern 1 und 11 des Pressekodex verstoßen. Der Presserat fand das aber offenbar lässlich genug, keine “Rüge”, sondern nur eine “Missbilligung” auszusprechen.

Ein “Kinderschänder” und sein Opfer im Bild

Zu den für “Bild” nachhaltig unbegreiflichen Realitäten gehört es, dass auch (mutmaßliche) Täter Rechte haben, sogar Persönlichkeitsrechte. Und dass die Richtlinie 8.1 des Pressekodex vorsieht, dass die Presse bei Straftaten in der Regel keine Informationen veröffentlicht, die die Beteiligten erkennbar machen. Es ist vermutlich die Richtlinie, gegen die “Bild” am häufigsten verstößt, so auch am 5. Juni 2008. Das Blatt titelte “Kinderschänder lockt 13-Jährige in Sex-Falle” und berichtete über ein Ermittlungsverfahren gegen einen Mann, der ein Mädchen, das er im Internet kennen lernte, zu sich nach Hause gelockt, dort vier Wochen lang versteckt und mit ihm einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gehabt haben soll. “Bild” zeigt beide auf einem Foto. Der Anwalt des Beschuldigten sieht in der Bezeichnung “Kinderschänder” eine unzulässige Vorverurteilung und weist darauf hin, dass die Staatsanwaltschaft bereits nach einer Woche die Aufhebung des Haftbefehls beantragt habe. Das Foto, auf dem der Mann mit dem Mädchen zu sehen ist, sei auf unlautere Weise aus den Privaträumen des Beschwerdeführers beschafft worden. Und sowohl die Bildunterschrift “In diesem Gartenhäuschen auf dem Hotelgrundstück fanden die Ermittler Kinderpornos” als auch die Behauptung “Der Mann fiel der Polizei schon früher auf: Als 17-Jähriger soll er erstmals zwei Mädchen in einen Schuppen gelockt und gefesselt haben” seien frei erfunden.

Die Rechtsabteilung von “Bild” hingegen meint, dass die Wertung als “Kinderschänder” und der Tatbestand des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern durch die Beschreibung der beiden Betroffenen erfüllt sei. Und an der Veröffentlichung der Fotos gebe es ein öffentliches Interesse. “Wenn jemand eine 13-jährige Schülerin vier Wochen lang vor deren Eltern versteckt halte, sei das so außergewöhnlich, dass die Fotoveröffentlichung auch gegen den Willen des Abgebildeten gerechtfertigt sei”, erklärt “Bild” laut Presserat. “Die Mutter des Beschwerdeführers habe das strittige Foto zur Verfügung gestellt. Sie habe damit zeigen wollen, dass es sich um eine einvernehmliche Beziehung zwischen ihrem Sohn und dem Mädchen gehandelt habe.” Somit habe “Bild” nicht gegen Ziffer 4 des Pressekodex verstoßen, die unlautere Recherchemethoden untersagt. Schließlich beruhten die angeblich “frei erfundenen Behauptungen” auf Informationen der Ermittlungsbehörden und Aussagen der Mutter des Beschwerdeführers, die man “nicht als Tatsachen, sondern in der Soll-Form wiedergegeben” habe.

Der Presserat “missbilligte” die Berichterstattung von “Bild”. Er sah zwar keine Verletzung der Unschuldsvermutung und konnte, wie fast immer, nicht klären, ob “Bild” unlautere Methoden bei der Recherche angewandt hat. Aber “Bild” habe den mutmaßlichen Täter nicht einmal teilweise unkenntlich gemacht. Sowohl er als auch die 13-Jährige seien erkennbar. “Der Fall ist sicher von großem öffentlichem Interesse, doch ist es auch dann nicht gerechtfertigt, die Beteiligten erkennbar zu machen”, urteilte der Beschwerdeausschuss. “Diese hätten anonymisiert werden müssen.”

Ein Irak-Soldat “frisst” einen kleinen Hund

Man kann sicher darüber streiten, ob es wirklich, wie ein Beschwerdeführer meint, “abartig” ist, dass die “Bild”-Zeitung am 11. Januar 2008 auf ihrer letzten Seite zwei AFP-Fotos zeigt, auf denen ein irakischer Soldat einen Hund erst mit seinem Messer tötet und dann isst, um den Jahrestag der Übernahme der Stadt Nadschaf zu feiern. Aber die Argumente, mit denen die “Bild”-Justiziare die Veröffentlichung der drastischen Aufnahmen rechtfertigen, sind atemberaubend. Der Presserat gibt sie so wieder:

Die Rechtsabteilung der Zeitung hält das Foto mit dem irakischen Soldaten für ein über den Tag hinaus wirkendes zeitgeschichtliches Dokument. Es zeige die Verrohung des Menschen im Krieg. Das Foto dokumentiere zudem den Hass, der einen Moslem dazu bringe, genau das Tier zu verspeisen, das in seiner Religion neben dem Schwein als besonders unrein gelte. Das Foto sei aktueller Informationsträger und erfülle eine nachrichtliche Funktion. Das blutige Ritual zeige, zu welchen Taten Soldaten im Krieg — namentlich, wenn er von Glaubensgegensätzen begleitet werde — fähig seien. Dies dürfe die Berichterstattung aufgreifen. Sie solle weder verschleiern, noch verharmlosen, sondern die Wirklichkeit so abbilden, wie sie sei.

Der Hass eines Moslems? Ein Krieg, der von Glaubensgegensätzen begleitet wird? Und all diese Informationen und Hintergründe entdecken erfahrene “Bild”-Leser zwischen den gerade einmal 20 Zeilen eines Artikels, in dem von Glauben und Religion nicht einmal die Rede ist?

Der Presserat sieht in den Fotos kein “zeitgeschichtliches Dokument”: “Es scheint sich hier um einen sehr speziellen Einzelfall zu handeln.” Das Veröffentlichen brutaler Bilder sei zwar ausnahmsweise zulässig, wenn sie zu einer politischen Debatte beitragen. Ein solches öffentliches Interesse sei aber nicht zu erkennen; die Darstellung sei unangemessen sensationell. Der Presserat sprach einen “Hinweis” aus.

Franz Josef Wagner und die “Monster” in der Psychiatrie

Und dann hatten die Mitglieder des ersten Beschwerdeausschusses des Presserates noch eine Aufgabe, um die man sie wirklich nicht beneiden kann: Sie mussten versuchen herauszufinden, was Franz Josef Wagner in einer seiner “Bild”-Kolumnen eigentlich sagen wollte. Am 26. März 2008 schrieb er an den damals noch unbekannten Täter, der einen schweren Holzklotz von einer Autobahnbrücke bei Oldenburg geworfen und damit eine Frau getötet hatte. Unter der zu seinem Markenzeichen gewordenen Umgehung von grammatischen und logischen Regeln formulierte Wagner:

Mehrere Menschen, darunter Vertreter sozialpsychiatrischer Einrichtungen und Verbände, beschwerten sich beim Presserat darüber, dass Wagner psychisch kranke Menschen als “Monster” bezeichne. Einer fühlte sich an die Nazi-Zeit erinnert, zumal schon am Beginn des Beitrages von einer Art Sippenhaft gesprochen werde; ein anderer sah in Wagners Text eine menschenverachtende Diffamierung von Personen, die psychisch krank sind und Hilfe in psychiatrischen Einrichtungen suchen.

Die Rechtsabteilung der “Bild”-Zeitung hatte für die insgesamt vier Beschwerdeführer eine überraschende Antwort: Wagner habe gerade nicht psychisch kranke Menschen, sondern Kriminelle als “Monster” bezeichnet. Die Justiziare verstiegen sich sogar zu der — vermutlich auch für Wagner selbst überraschenden — These, seine Kolumne habe einen gedanklichen “roten Faden”: Der Autor beklage, dass selbst Straftäter, die gröbste Verbrechen begehen, immer irgendwie durch “mildernde Umstände” exkulpiert würden. Erwachsene Täter, die man aufgrund ihrer Verbrechen nur noch als “Monster” bezeichnen könne, schicke man nicht ins Gefängnis, sondern zur Behandlung in die Psychiatrie. Wagners Fazit laute: Verbrechen wie die des “Holzklotzwerfers” würden nicht wirksam bekämpft; ein nächster Fall sei zu befürchten. Dass einige der Beschwerdeführer die räumliche Nähe der Begriffe “Monster” und “Psychiatrie” in dem Kommentar als Erinnerung an die Nazi-Zeit “hochschraubten”, betrachte man als polemische Übertreibung im Rahmen ihrer politischen Agitation, erklärte die Rechtsabteilung des Verlages, den man ja in Sachen “politischer Agitation” getrost als Experten betrachten darf.

Und der Presserat? Er hält den Nazi-Vorwurf für überzogen und stellt sicherheitshalber fest, dass Wagners Text mehrere Deutungsmöglichkeiten habe und man deshalb nicht zwingend davon ausgehen könne, dass Wagner alle Patienten einer Psychiatrie als “Monster” bezeichnet habe:

Eine weitere Deutungsmöglichkeit ist jedoch, dass hier nur Menschen als “Monster” bezeichnet werden, die monströse Taten begehen. Ein so monströses Verbrechen wie der Holzklotzanschlag auf eine Familie kann umgangssprachlich durchaus einem “Monster” zugeordnet werden. Die Feststellung des Autoren, “Monster werden an Händen und Füßen festgeschnallt”, ist anders zu beurteilen. Dies ist eine falsche Tatsachenbehauptung. Die Feststellung, dass Kranke in der Psychiatrie gefesselt würden, ist in dieser pauschalen Form falsch und verletzt Ziffer 2 des Pressekodex (Journalistische Sorgfaltspflicht). Sie kommt einer Schmähung der Institution Psychiatrie gleich und zieht einen Hinweis nach sich.

Der Presserat erklärt also Wagners Satz “Monster werden an Händen und Füßen festgeschnallt” für sachlich falsch und diffamierend, indem er das Wort “Monster” als Synonym für “psychisch Kranke” interpretiert, glaubt aber nicht, dass Wagner “Monster” als Synonym für “psychisch Kranke” gebraucht habe. Irre.

DJV-Umfrage, Quality, Sonneborn

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “DJV-Umfrage Freie Journalisten”
(frei.djv-online.de)
Eine Umfrage des Deutschen Journalistenverbands (DJV) unter 2000 freien Journalistinnen und Journalisten ist online (PDF-Datei).

2. “Nur für geladene Gäste”
(taz.de, Steffen Grimberg)
“Die LBBW Stuttgart spricht nur mit handverlesenen Journalisten. Dabei ist sie kein privates Geldinstitut, sondern Deutschlands größte Landesbank.”

3. “Micropayments im Online-Journalismus”
(carta.info, Robert G. Picard)
“Mit Journalismus im Netz Geld zu verdienen, verlangt daher mehr als einfach nur zu sagen: ‘Okay, wir nehmen jetzt mal Geld dafür’. Man muss die ganze Wertschöpfungskette, die gesamte Art, wie Inhalte erzeugt und angeboten werden, überdenken. Und vor allem, sich mit der Frage beschäftigen: ‘Was hat der Leser davon?’ – Eine Frage, die bislang kaum vorkam.”

4. “Boykottiert Quality!”
(print-würgt.de, Michalis Pantelouris)
Michalis Pantelouris kritisiert das Magazin “Quality” von Constantin Rothenburg, das sich offenbar sehr viel Zeit lässt mit der Ausbezahlung von Honoraren.

5. “England-Spiel nur im Internet”
(tagesspiegel.de, Annegret Ahrenberg)
Fußball: Das WM-Qualifikationsspiel zwischen England und der Ukraine wird in Großbritannien erstmals nur im Internet zu sehen sein. Verlangt dafür wird 4.99 Pfund, umgerechnet etwa 5.20 Euro. “Wer erst am Samstag bucht, zahlt 11.99 Pfund für das Spiel.”

6. Interview mit Martin Sonneborn
(meedia.de, Alexander Becker)
Ex-“Titanic”-Chefredakteur Martin Sonneborn ist nicht sauer auf den WDR. “Nein, ich bin nur irritiert, dass hier rund 250.000 Euro GEZ-Gebühren in den Sand gesetzt wurden.” Sonneborn wurde in die Sendung “Zimmer frei” eingeladen – nun musste er erfahren, dass die Sendung “inhaltlich” nicht den WDR-Maßstäben genügte und deshalb nicht ausgestrahlt wird.

Lachen, nicht denken

Jedes Jahr das gleiche Schauspiel: Kurz bevor die echten Nobelpreisträger bekannt gegeben werden, versammelt sich im Sanders-Theater der Harvard-Universität ein buntes Forscher-Völkchen, um die Skurrilitäten des Wissenschaftsbetriebs mit dem Ig-Nobel-Preis zu feiern. Gewürdigt werden wissenschaftliche Arbeiten, die “zuerst zum Lachen und dann zum Denken” anregen sollen.

Das mit dem Lachen scheint prima zu funktionieren: Kaum eine Redaktion lässt es sich entgehen, über die skurrilen Mischung aus BH und Gasmaske zu berichten, deren Schöpferin einen Ig-Nobel-Preis verliehen bekam. Mit dem Denken hapert es dann schon eher. So findet sich auf Bild.de diese Zusammenfassung einer Studie eines weiteren Preisträger-Teams:

Preis für Physik: Den Physikpreis verdienten ein US-Forscherteam. Katherine K. Whitcome (University of Cincinnati, USA), Daniel E. Lieberman (Harvard University, USA) und Liza J. Shapiro (University of Texas, USA) untersuchten, warum schwangere Frauen nicht umkippen. Sie fanden heraus, dass schwangere Frauen deshalb nicht vornüber fallen, weil sie einen Rückenwirbel mehr haben als Männer und deshalb biegsamer sind.

Das ist natürlich Unsinn. Schwangere Frauen haben so viele Wirbel wie nicht-schwangere, und die haben so viele Wirbel wie Männer. Der Lendenwirbel-Bereich ist bei Frauen lediglich etwas anders geformt, was die geehrten Forscher untersucht hatten. Ihre Ergebnisse waren schon kurz, nachdem sie im Jahr 2007 in der Zeitschrift Nature erschienen, auch in deutschen Medien korrekt wiedergegeben worden.

Wer aber den zusätzlichen Rückenwirbel lediglich den berüchtigten Englisch-Kenntnissen von Bild.de zuordnen will, irrt. Die selbe Behauptung findet sich auch im “Hamburger Abendblatt”, bei n-tv.de, in der “Netzeitung” und sogar in der “Ärztezeitung”, die sie allesamt aus einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa von vergangener Woche übernommen haben.

Mit Dank an Maja I. für den sachdienlichen Hinweis.

Nachtrag, 7.10.2009, 12:18 Uhr: Das “Hamburger Abendblatt”, n-tv.de und die “Ärztezeitung” haben die entsprechende Passagen inzwischen ohne weiteren Kommentar korrigiert oder ganz gestrichen.

Wir haben bei der dpa angefragt, wie es zu diesem Fehler kommen konnte. Das dpa-Büro in New York schiebt die Verantwortung auf eine fehlerhafte Pressemitteilung, kann auf Nachfrage aber keinen solchen Text vorlegen. Auch beim Veranstalter ist eine solche Pressemitteilung unbekannt.

Nachtrag 2, 18:06 Uhr : Inzwischen hat auch die “Netzeitung” den Fehler entfernt.

Nachtrag 3, 20:30 Uhr: Die dpa hat ihre Quellen nochmals überprüft und festgestellt, dass der Fehler nicht aus einer Pressemitteilung stammt. Zusätzlich hat die Presseagentur auch eine Berichtigung ihrer Meldung veröffentlicht.

“Sehr exklusiv”

Bei einem Artikel, der mit den Worten “Mainz im Ausnahmezustand!” beginnt, erwartet vielleicht der eine oder andere Leser dramatischere Vorkommnisse als den Aufenthalt der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in einem Hotel. Doch um nichts anderes geht es Bild.de heute unter der Überschrift:

“So schön wohnt die Nationalelf in Mainz”.

Besonders relevante Informationen sind das nicht, aber auch sie müssen irgendwoher kommen. Zum Beispiel von der Website des Luxushotels “Hyatt Regency Mainz”, auf die Bild.de sogar mit einem Textlink verweist. Von dort stammen auch die Fotos des Hotels in einer Bildergalerie, in der korrekt vermerkt wird:

BILD_hyatt_fotonachweis

Nicht vermerkt wird allerdings, dass sich auch der Artikel selbst großzügig bei Hyatt.de bedient:

Hyatt.de Bild.de
Das Hyatt Regency Mainz liegt am Rheinufer in der zentralen Rhein-Main-Gegend. Die historische Altstadt und berühmte Museen sind nur wenige Schritte entfernt. Das Hyatt Regency, das einzige 5-Sterne-Hotel in Mainz, liegt am Rhein-ufer unweit der Altstadt, sehr exklusiv.
Die 268 Gästezimmer verfügen über eine moderne Ausstattung und das Neueste an Komfort und Technik, so etwa großzügige Schreibtische mit High-Speed-Internetzugang, (…) Zimmerservice rund um die Uhr. Die 268 Gästezimmer verfügen über modernste Ausstattung mit High-Speed-Internetanschluß, Zimmerservice rund um die Uhr.
Das großzügige Badezimmer verfügt über eine Badewanne, eine separate begehbare Dusche sowie einen flauschigen Bademantel. [Beschreibung des King Zimmers] Ein Bademantel liegt für jeden Spieler bereit.
Das Hyatt Regency Mainz integriert die historische Festung Fort Malakoff aus dem 19. Jahrhundert in seine großzügige und moderne Architektur. [Beschreibung Mainz Hotel] Im Hotel ist die historische Festung Fort Malakoff aus dem 19. Jahrhundert in seiner großzügigen und modernen Architektur integriert.
Die Einrichtungen im Club Olympus verschaffen nach einem anstrengenden Tag die nötige Entspannung für Körper und Geist. [Beschreibung Fitnesscenter] Abwechslung bietet der Club Olympus. Entspannung pur für Körper und Geist mit verschiedenen Massagen.
Das historische Fort Malakoff verbindet die moderne Architektur des Hyatt Regency Mainz mit einem Stück Stadtgeschichte. [Beschreibung Veranstaltungsräume] Stellt schon was dar: Das Hyatt Regency, das Historisches, wie die Festung Fort Malakoff, mit moderner Architektur verbindet [Text in der Bildergalerie]

Zieht man im Artikel mal alle Sätze ab, in denen sich “Bild”-Autor Günter Nicklas von den Hyatt-Werbetexten “inspirieren” ließ, verbleibt als Eigenleistung von Bild.de nicht viel mehr als:

BILD zeigt: So schön wohnen unsere Fußball-Helden um Philipp Lahm und Co. (…)

Alles nobel, nobel. (…)

Was soll bei solch tollen Bedingungen da noch am Samstag schief gehen?

Nachtrag, 7. Oktober.
Wir haben “Bild” unterschätzt. Aus der werblichen Selbstdarstellung eines Hotels hat die Redaktion nicht nur einen Bild.de-Text gemacht, sondern auch einen gleichlautenden Artikel von stattlicher Größe in der Mainzer Ausgabe der gedruckten Zeitung (siehe Ausriss links).

Mit Dank an Eta C. sowie Schorsch und Nina!

Hamburger Verklärung, Murdoch, Russ

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Hamburger Verklärung”
(print-würgt.de, Michalis Pantelouris)
Michalis Pantelouris findet es absurd, wenn Verlage an den Einnahmen von Google beteiligt werden wollen. Dieser Logik nach müsste auch Adidas als Hersteller von Fußbällen an den Einnahmen von Fußballclubs wie dem HSV beteiligt werden. “Man kann es ganz kurz halten: Google verdient Geld mit einem guten, beliebten Produkt – der Suche – und die Verleger verdienen im Moment nicht so viel Geld, weil sie kein auch nur annähernd so beliebtes oder gutes Produkt im Internet anbieten.”

2. Porträt von Rupert Murdoch
(vanityfair.com, Michael Wolff, englisch)
Verleger Rupert Murdoch kann eine komplexe Druckmaschine auseinandernehmen, doch sein Interesse an Digitaltechnologie tendiert gegen Null. “Murdoch’s abiding love of newspapers has turned into a personal antipathy to the Internet: for him it’s a place for porn, thievery, and hackers.”

3. Interview mit Eugen A. Russ
(persoenlich.com, Matthias Ackeret)
Eugen A. Russ musste mit dem gescheiterten Gratiszeitungsprojekt “.ch” einen Verlust “im siebenstelligen Bereich” hinnehmen. Was die Digitalisierung von Prozessen angeht, sei die Medienbranche “im Gegensatz zu anderen Wirtschaftszweigen” rückständig. “Obwohl vieles heute technisch möglich ist, ist unsere Branche in weiten Bereichen zurückgeblieben.”

4. “Die Angst des Torwarts vor ‘Bild'”
(blogmedien.de, Horst Müller)
Horst Müller ärgert sich über die “Bild”-Schlagzeile “Herthas Torwart Trottel”. “Das hat mit Journalismus überhaupt nichts zu tun – das ist die Verbreitung von Stammtischparolen auf unterstem Niveau zu Lasten eines 19jährigen, der sich selbst kaum wehren kann und dem möglicherweise auch niemand aus dem Verein beistehen wird.”

5. “Schlechtester Text seit immer”
(11freunde.de, Dirk Gieselmann)
Fußball: Dirk Gieselmann nervt die Zuspitzung mit dem Wort “seit”: “Reporter schleppen Leitz-Ordner voller ‘Seit’-Statistiken in ihre Kabinen und feuern sie in Salven ab: Das war der kürzeste Einwurf seit zweieinhalb Tagen! Schon seit einer Minute kein Tor mehr! Ding seit Bums! Bla seit Bla!”

6. “Wochenzeitung für Deutsche in der Schweiz”
(kleinreport.ch)
In der Schweiz startet am 6. November die “Deutsche Wochenzeitung Schweiz”. Verlagsleiter und Chefredakteur Ole Glausen: “Wir möchten integrativ tätig sein, die Deutschen näher an die Menschen in ihrer neuen Wahlheimat heranführen.”

Gottschalk, Zeitungen, Gillmor

6 vor 9

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1. “Verstrickt: Thomas Gottschalk im ZDF-Bild.de-Mix”
(carta.info, Robin Meyer-Lucht)
“Thomas Gottschalk mit ZDF-Mikrofon in der Hand in einem Bild.de-Video und mittendrin und vorne dran Werbung: Ein Sittengemälde der Verstrickung von öffentlich-rechtlichem Fernsehen mit dem boulevardmedial-kommerziellen Komplex.”

2. “Vom Glück, viele Leben zu leben”
(nzzfolio.ch)
Das “NZZ Folio” im Oktober beschäftigt sich mit der Zeitung. Neben Kurt W. Zimmermann, der erklärt, wie die Zeitungsbranche in nur 15 Jahren ihr 400 Jahre altes Geschäftsmodell zerstörte, äussern sich verschiedene Journalisten, warum sie diesen Beruf ergriffen haben. Constantin Seibt meint, man könne von keinem guten Journalisten sagen, ob er “Realist oder Träumer” sei: “Gute Journalisten sind überall dabei und nirgends. Sie gehören zu keiner klar definierten Klasse: Sie reden mit Konzernbossen und mit Bauarbeitern, aber gehören nicht dazu.”

3. “‘Brigitte’ wird Mager-Model-freie-Zone”
(meedia.de)
Die Zeitschrift “Brigitte” setzt bei ihren Modeproduktionen neu auf “lebensechte Models”, die “unter Laien” gecastet werden sollen. “Am 2. Januar soll die erste Mager-Model-freie Ausgabe erscheinen.”

4. Interview mit Stefan Aust
(derstandard.at, Harald Fidler)
Für Stefan Aust ist der “Spiegel” immer noch “das Maß aller Dinge im Printjournalismus”. Er sagt, wie man mit Druck von Politikern umgeht: “Ich habe auch schon erlebt, dass mir der Vorstandsvorsitzende eines Großverlags, der am Spiegel beteiligt war, Vorhaltungen wegen einer Geschichte gemacht hat. Dem habe ich gesagt: Schreiben Sie doch einen Leserbrief.”

5. “The new rules of news”
(olereissmann.de)
Ole Reißmann hat die Ideen für einen neuen Journalismus von Dan Gillmor (“22 ideas for changing the way news is produced”) übersetzt. These 1: “Wir verzichten bis auf wenige Ausnahmen auf Jahrestags- und Jubiläumsgeschichten. Sie sind Rückzugsort für faule, unkreative Journalisten.”

6. “Schadensersatz für schlafenden Journalisten”
(spiegel.de)
Das Landgericht Frankfurt entscheidet, dass der Verlag der “FAZ” einem Kulturjournalisten 5000 Euro Schadenersatz zahlen muss. Dieser wurde an der Frankfurter Buchmesse “bei einem Nickerchen an einer Hotelbar” fotografiert und danach mehrfach abgebildet.

Born (Somewhere) In The U.S.A.

Preisfrage: Wo wurde US-Präsident Barack Obama geboren?
A) Kenia; B) Chicago; C) Hawaii; D) Chicago

Wenn Sie sich für Antwort A entschieden haben, gehören Sie möglicherweise zur Gruppe der sogenannten “Birthers”, die glauben, dass Obama außerhalb der USA geboren wurde und deshalb gar nicht Präsident sein dürfte. Diese Menschen gelten als Opfer von Verschwörungstheorien und allgemein als seltsam.

Wenn Sie Antwort B oder D, also “Chicago”, gewählt haben, gehören sie wahrscheinlich zu jenen Redakteuren bei Bild.de, die in den letzten Tagen mehrfach die Mär verbreiteten, Obama habe beim IOC-Gipfel in Kopenhagen für seine “Geburtsstadt” die Werbetrommel gerührt:

Schock für US-Präsidenten Barack Obama! Olympia-Bewerberstadt Chicago (Obamas Geburtsstadt) musste bei der Vergabe für die Spiele 2016 schon in der ersten Runde die Segel streichen.

Gestern vergab das IOC in Kopenhagen die Olympischen Spiele 2016. Den Zuschlag bekam Rio de Janeiro – und nicht die vom US-Präsidenten beworbene Stadt Chicago. Seine Geburtsstadt musst schon in der ersten Runde die Segel streichen.

Stutzig hätten die Redakteure von Bild.de eigentlich werden können, wenn sie ihre eigenen Artikel gelesen hätten. In beiden steht nämlich das Zitat des 48-jährigen Obama:

“Ich hab mich vor 25 Jahren nicht nur wegen Michelle in Chicago verliebt.”

Aber zurück zur Preisfrage: Sollten Sie sich trotz widriger Umstände für Antwort C (“Hawaii”) entschieden haben, dann liegen Sie nach allem, was man weiß, richtig — es sei denn, Sie sind ein seltsamer Verschwörungstheoretiker oder Redakteur bei Bild.de …

Mit Dank an Steffen.

Nachtrag, 17:20 Uhr: Bild.de hat die “Geburtsstadt” kommentarlos aus beiden Artikeln entfernt.

@muentefering, Schiedsrichter, Regiowikis

6 vor 9

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1. “Wir waren Franz Müntefering”
(metronaut.de, Lou Canova)
Die Schreiber des Twitter-Kontos @muentefering schauen zurück auf ein Experiment. Obwohl längst bekannt ist, dass das Konto nicht von Franz Müntefering geführt wird, verwendeten es Medien immer wieder als Quelle: “Es wäre seit dem 13. September 2008 ein einfaches Googeln nötig gewesen um sich sicher zu sein, dass Müntefering nicht twittert. Dafür musste man nicht einmal in der SPD-Zentrale anrufen.”

2. “Mund aufmachen verboten”
(zeit.de, Matthias Bossaller)
Der Weltfußballverband FIFA vertritt die Meinung, “dass die Schiedsrichter sich nicht öffentlich zu bestimmten Vorfällen oder einzelnen Entscheidungen in einem Spiel äußern sollen.”

3. “Bürgerjournalismus durch die Hintertür”
(spiegel.de, Mathias Hamann)
“Regiowikis machen Lokalinfos für jeden verfügbar – und werden zur Konkurrenz für Lokalzeitungen.”

4. “Verleger prüfen Klage gegen Google”
(horizont.net, Roland Pimpl)
Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) und der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) lassen sich “von einer Großkanzlei die Chancen einer Kartellbeschwerde gegen Google untersuchen”.

5. “Der Balanceakt”
(freitag.de, Anna Gielas)
“Wie viele Artikel soll es im Netz umsonst geben? Alle? Keinen?”

6. “Zukunft des Journalismus: wer soll das bezahlen?”
(elektrischer-reporter.de, Video, 12:03 Minuten)
Ein aufwändig erstelltes und informatives Update zu den verschiedenen Finanzierungsstrategien von Journalismus.

Bild  

Kalle, gib mal Urteil!

Wie schockierend und verletzend müssen Bilder sein, dass selbst die “Bild” die Menschwürde gefährdet sieht? Die Antwort sieht so aus:

Die “taz”  hatte 2005 den Kino-Werbespot geschaltet, in dem ein Mann, der optisch ziemlich eindeutig eher als “Bild”- denn als “taz”-Leser zuzuordnen ist, an einem Kiosk seine “Bild” haben will und stattdessen eine “taz” bekommt (die ihm erwartungsgemäß nicht so sehr zusagt). Der Claim des Spots lautet: “taz ist nicht für jeden”.

So weit, so unspektakulär. “Bild” allerdings klagte gegen die Verwendung des Spots: Er sei nicht nur eine “unlautere vergleichende Werbung”, sondern greife überdies die Menschenwürde der Bild-Leser an. In erster wie auch zweiter Instanz erhielt das Blatt mit dieser Argumentation sogar Recht. Die Hamburger Richter sprachen dem Spot zwar einen nicht unerheblichen Wahrheitsgehalt zu, bewerteten ihn letztendlich aber doch als “unangemessen” und untersagten die weitere Verwendung. Die “taz” ging aber bis in die letzte Instanz. Der Bundesgerichtshof sprach ein eindeutiges Urteil und wertete den Spot der “taz” als eine zulässige Form des Humors. In der Pressemitteilung heißt es:

Der durchschnittliche Zuschauer erkenne, dass es sich bei der Darstellung um eine humorvolle Überspitzung handele, mit der die Aufmerksamkeit der Werbeadressaten geweckt und nicht die BILD-Zeitung oder deren Leserschaft pauschal abgewertet werden solle.

Seit der einstweiligen Verfügung des Springer-Verlags 2005 durfte der Spot nicht mehr gezeigt werden, jetzt ist er wieder zu sehen. Zudem muss der Verlag die Verfahrenskosten tragen.

Nachtrag, 2.10.2009: Auch Bild.de berichtet über die BGH-Entscheidung.

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