In Vereinen, wo der Sport bekanntlich am Schönsten ist, gibt es viele merkwürdige Traditionen und Regeln. Dazu zählt etwa die sogenannte Mannschaftskasse, in die die Mitglieder unterschiedlich hohe Geldbeträge einzahlen, wenn sie gegen bestimmte Verhaltensregeln verstoßen haben.
Auch der Fußballbundesligist FC Augsburg hat eine solche Mannschaftskasse mit entsprechendem Strafenkatalog, den sportbild.de gestern “enthüllte”:
Echte Fans des FC Augsburg werden von diesen Enthüllungen (“Wer ungeduscht auf die Massagebank oder ins Entmüdungsbecken geht, zahlt je 50 Euro”) allerdings wenig überrascht gewesen sein: Die “Augsburger Allgemeine” hatte schon zwei Wochen vorher über den Strafenkatalog des FCA berichtet, der der Redaktion damals schon “vorlag”.
In diesem Zusammenhang kam es auch zu dieser grandiosen Kombination von Überschrift, Symbolfoto und Bildunterschrift:
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2. “Wie ARD, BBC und CNN Inhalte aus dem Social Web verifizieren” (konradweber.ch)
Konrad Weber vergleicht Verifikationsprozesse verschiedener Medienhäuser: “Während einige der grossen anglo-amerikanischen Medienhäuser bereits ganze Teams mit der Verifikation von Social Media-Inhalten beauftragen, ziehen die Medieninstitutionen im deutschsprachigen Raum erst langsam nach.”
3. “Keine Bewegung!” (rp-online.de, Sebastian Dalkowski)
Sebastian Dalkowski besucht einen Medientermin des Fußballvereins Borussia Mönchengladbach.
4. “Die aufgewärmte Frauenpower der ZEIT” (comicgate.de, Marc-Oliver Frisch)
Ein Vergleich zwischen einem Artikel in der FAZ (von Oliver Ristau am 24. März) und einem in der “Zeit” (von Chris Köver am 19. Juli), inklusive Statements der Verfasser.
5. “Herdentrieb” (medienspiegel.ch, Pia Horlacher)
Wie kommt es, fragt Pia Horlacher, dass wir “hundertmal das Gleiche in hundert gleichen Meinungen lesen und hören”? “Vielleicht liegt’s ja nicht nur an der Angst, den Mainstream zu verlassen, wo einer etwas vorsagt (oft genug die Spindoktoren der dazugehörigen, riesigen Vermarktungs-Maschinerie) und viele hinterher schreiben. Manchmal ist es wohl einfach nur der Mangel an kritischer Kompetenz, der in den gegenwärtigen Medienstrukturen nicht mehr erworben und nicht mehr ausgebildet werden kann. ”
Statt auf “Pleite-Griechen” einzudreschen, befasste Bild.de sich gestern zur Abwechslung einmal mit den Folgen einer möglichen “Griechen-Pleite”. Dabei wurde unter anderem folgende Rechnung angestellt:
• Wie viel Geld verliert Deutschland bei einer Griechen-Pleite?
Aus Deutschland sind bislang nach Berechnungen des ifo-Instituts 50,4 Mrd. Euro nach Griechenland geflossen – das Geld wäre weg. Hinzu kommen 27 Mrd. Euro, mit denen Griechenland bei der Europäischen Zentralbank in der Kreide steht – für die haftet Deutschland teilweise. Macht zusammen 119,7 Milliarden Euro!
Die 50,4 Milliarden Euro tauchen tatsächlich in einer aktuellen Berechnung des ifo-Instituts (pdf, Summe der Posten 1 bis 5) auf. Das gleiche gilt für die 27 Milliarden Euro (Posten 6). Wie jedoch die Summe aus 50,4 Milliarden und 27 Milliarden stolze 119,7 Milliarden Euro betragen kann, das wissen wohl nur die Milchmädchen.
Das ifo-Institut jedenfalls kommt – je nachdem ob Griechenland in der Eurozone verbleibt oder nicht – auf 88,7 bzw. 82,2 Milliarden Euro. Und so steht es heute auch in “Bild” sowie in einer Agenturmeldung auf Bild.de.
Die “Bild”-Zeitung, größte deutsche Tageszeitung, hat ihren Auflagenrückgang gestoppt. (…) Ulrike Fröhling von der “Bild”-Verlagsgeschäftsführung führte die aktuelle Entwicklung am Dienstag auf die Veränderungen bei dem Blatt seit dem Wechsel in der Chefredaktion zurück. Neuer Chefredakteur von “Bild” ist seit Anfang des Jahres Kai Diekmann (…).
dpa, 17. April 2001
Der Jubel hielt nicht lange an. Und als es mit der Auflage der “Bild”-Zeitung kurz danach wieder bergab ging, sollte es nicht mehr am Chefredakteur liegen.
Im April 2002 hatte Kai Diekmann noch eine originelle Erklärung dafür, warum deutlich weniger Leute die “Bild”-Zeitung kauften. Der “Tagesspiegel” gab sie damals so wieder:
Seien früher die Leute morgens zum Kiosk gegangen, hätten eine Mark für “Bild” hingelegt und automatisch vom Verkäufer den vorbereiteten Groschen rübergeschoben bekommen, würden sie nun auf der Suche nach Münzen im Portmonee fummeln. An der Kasse bilden sich Schlangen, der Kaufvorgang sei im Gegensatz zu früher kein unbewusster mehr.
Schuld seien außerdem das Gefühl der Verbraucher, dass alles teurer geworden sei, die hohe Arbeitslosigkeit und die sinkende Zahl von Verkaufsstellen.
Das war vor knapp zehn Jahren.
Und so haben sich die Auflagen von “Bild” und “Bild am Sonntag” weiter entwickelt, nachdem die Menschen sich an das neue Geld gewöhnt hatten und die Arbeitslosigkeit gesunken war:
Als sich Anfang 2011 abzeichnete, dass das Blatt bald keine drei Millionen Exemplare mehr verkaufen würde, sagte er dem “Focus” wie zur Erklärung:
Schauen Sie mal raus. Es ist kalt, es schneit, da gehen weniger Menschen zum Kiosk.
Es hörte auf zu schneien, es wurde Sommer, die Auflage der “Bild”-Zeitung sank weiter.
Diekmann hat aber noch eine andere Ausrede, auf die er seit Jahren zurückgreift: Sein Blatt verliere zwar Käufer, aber nicht so viel wie die anderen Blätter. Im Verhältnis zum schrumpfenden Markt gewinne “Bild” also sogar an Auflage.
Im Gespräch mit dpa, 2012:
dpa: “Wenn wir die Verkaufskurve weiterziehen, gibt es in 15, 20 Jahren keine “Bild” mehr…”
Diekmann: “Da wir kontinuierlich Marktanteile gewinnen, würden vorher sehr viele andere Zeitungen und Zeitschriften vom Markt verschwinden. Im Ernst, diese Rechnung ist Quatsch.”
Gegenüber dem “Focus” 2011:
“Wir haben in Deutschland einen insgesamt rückläufigen Markt. Das Mediennutzungsverhalten ändert sich. Die junge Generation bezieht ihre Informationen nicht mehr automatisch auf Papier, sondern etwa über digitale Kanäle. In diesem Markt ist “Bild” stabiler als andere. Deshalb haben wir unseren Marktanteil bei den Boulevardzeitungen weiter ausgebaut.”
Gegenüber der “Süddeutschen Zeitung” 2010:
“Der Tageszeitungsmarkt ist insgesamt rückläufig, die Auflage fast aller Zeitungen geht zurück. In diesem Umfeld verdienen wir mit Bild so viel wie noch nie. Wir haben mit mehr als zwölf Millionen Lesern die höchste Reichweite und im Einzelverkauf den größten Marktanteil unserer Geschichte.”
Im “Tagesspiegel” 2002:
“In einem Marktumfeld, in dem unseren Wettbewerbern die Hände und Füße abfrieren, niesen wir gerade mal. Das macht mich nicht glücklich. Aber immerhin trotzten wir im letzten Jahr dem rückläufigen Markttrend, gewannen sogar Auflage hinzu. Doch jetzt konnten wir uns dem Markttrend zumindest nicht völlig entziehen.”
Spiegelt die sinkende Auflage von “Bild” (und “Bild am Sonntag”) also wirklich nur den Abwärtstrend bei Zeitungen insgesamt wider? Und schlagen sich die Blätter, wie Diekmann seit vielen Jahren in leicht wechselnden Formulierungen behauptet, innerhalb dieses Trends besser als die Konkurrenz?
Nun. Dies ist die relative Entwicklung der Boulevardzeitungen in Deutschland seit 1998:
Alle haben Auflage verloren, aber “Bild” ragt dabei keineswegs positiv heraus. Sie verliert mit erstaunlicher Konstanz dramatisch Käufer. Wenn man als Bezugspunkt 2001 nimmt, das Jahr des Dienstantritts von Kai Diekmann, hat keine Boulevardzeitung in diesem Zeitraum einen so hohen Anteil an Auflage verloren wie “Bild” (38 Prozent) und “Bild am Sonntag” (44 Prozent). Auch bezogen auf die vergangenen beiden Jahre stehen “Bild” und “Bild am Sonntag” schlechter da als die regionale Konkurrenz mit Ausnahme ihres Berliner Schwesterblattes “B.Z.”
Falls nicht die kleinen regionalen Boulevardzeitungen der richtige Bezugspunkt für “Bild” sind, sondern die anderen überregionalen Blätter:
Und, der Vollständigkeit halber: So gut hat “Bild am Sonntag” im Vergleich zu anderen Sonntags- und Wochenzeitungen ihre Auflage in den vergangenen zehn Jahren gehalten:
Die “Bild”-Zeitung hat es unter anderem dank Preiserhöhungen um insgesamt 100 Prozent seit dem Amtsantritt Diekmanns geschafft, ihre Gewinne trotz sinkender Auflagen zu erhöhen. Misst man den publizistischen Erfolg des Blattes aber an der Zahl seiner Käufer — wie Kai Diekmann es tat, solange die Auflage stieg — ist die Bilanz vernichtend. Und das liegt nicht am Wetter und nicht am Euro.
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1. “Nachtrag: Kimble-Report” (notes.computernotizen.de, Torsten Kleinz)
Torsten Kleinz stellt den “Kimble-Report” ein, nachdem Kim Schmitz gegen Artikel von ihm geklagt hatte. Zudem führen inzwischen viele Links ins Leere und auf Wikipedia gibt es “einen recht guten Überblick über die Geschichte von Kim Schmitz” zu lesen.
5. “Berliner Nervenkrisen: Ein Aufruf zu mehr Bedächtigkeit” (novo-argumente.com, Matthias Heitmann)
Matthias Heitmann wünscht sich mehr Bedächtigkeit und Gründlichkeit in der Politik: “Zeit, Fakten ‘gründlich’ zu prüfen, nimmt sich dieser Betrieb kaum mehr. Die überhaupt zu fordern, gilt mittlerweile fast schon als verantwortungslos.”
Vor dem Beginn der Olympischen Sommerspiele in London am Freitag sind die Sicherheitsvorkehrungen angeblich noch einmal verstärkt worden, berichtet Bild.de.
Dabei sind die ohnehin schon besonders streng:
Diese Aussage ist theoretisch nicht falsch (ein Flugzeug- bzw. Hubschrauberträger der britischen Marine ankert seit Monaten im Stadtteil Greenwich), praktisch aber ein denkbar sinnloses Beispiel: Dieses Kriegsschiff da gehört schon seit über 40 Jahren zum Stadtbild von London.
Es ist die HMS Belfast, die heute Teil des Imperial War Museums ist.
Mit Dank an die Hinweisgeber.
Nachtrag, 12.25 Uhr: Bild.de hat das Foto vom Kriegsschiff auf der Themse aus der Bildergalerie entfernt.
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1. “Godards hässlichster Moment” (perlentaucher.de, Thierry Chervel)
Thierry Chervel gräbt eine 1969 für das ZDF gedrehte Aufnahme (youtube.com, Video, 2:43 Minuten) mit Filmregisseur Jean-Luc Godard aus: “Es lohnt sich, diesen kleinen Film genauer anzusehen. Er mag von einem ZDF-Reporter sein, aber die Inszenierung ist von Godard.”
3. “Alles nur gespielt” (taz.de, David Denk)
Seit gestern läuft bei Sat.1 jeweils um 12 Uhr “Ernst Marcus Thomas – Der Talk”: “War es bei ‘Hans Meiser’ noch ein Skandal, wenn sich einzelne Gäste oder gar ganze Sendungen als gefaket entpuppten, ist das bei den neuen Sat.1-Talks Konzept: Die Gäste zu Themen wie ‘Mief – So wie du stinkst, bist du eine Zumutung!’ sind allesamt Laiendarsteller, die abstruse Geschichten aus einem Drehbuch aufsagen – Scripted Reality eben.”
4. “How HBO Made It Look Like Critics Liked ‘The Newsroom'” (forbes.com, Jeff Bercovici, englisch)
Der US-Bezahlsender HBO macht Printwerbung für “The Newsroom” mit zu eigenen Gunsten ausgewählten Zitaten aus Kritiken. “A scandal this is not. Movie studios have been doing this sort of thing, and getting called out for it, for decades. And, to be fair, a number of the reviews quoted in the ad are genuine raves.”
6. “Informationen zu Abendessen mit Herrn Ackermann im April 2008” (fragdenstaat.de)
“Diese Antwort enthält Dokumente, zu denen jede Person einzeln Zugang erhalten kann. Allerdings darf FragDenStaat.de diese Dokumente nicht veröffentlichen. Sie können eine identische Anfrage in Ihrem Namen stellen, um Zugang zu diesen Dokumenten zu erhalten, die wir nicht veröffentlichen dürfen.”
Vergangene Woche hatten wir darüber berichtet, wie deutschsprachige Medien den Beitritt der griechischen Insel Ikaria zur Republik Österreich herbeischreiben wollten. Besonders hervorgetan hatte sich stern.de mit einem Artikel, dessen Autor gar nicht glauben wollte, dass an der Geschichte schlicht nichts dran sein könnte.
Am Freitagnachmittag erschien nun ein zweiter Text zum Thema auf stern.de, den man als Selbstkritik deuten könnte — oder als Rechtfertigung.
In die Welt gesetzt hat es [die Behauptung] die italienische Zeitung “Libero”, die über Frust auf Ikaria über die Regierung in Athen berichtete. Der Artikel schloss sinngemäß mit dem Satz: “Deshalb denken wir über eine Angliederung an Österreich nach.” Das Zitat wurde von österreichischen Zeitungen aufgeschnappt, dem Sprecher des Bürgermeisters der Insel zugeschrieben und von österreichischen und deutschen Medien aufgegriffen, auch von stern.de. Niemand – journalistisch unsauber – fragte danach, ob das Zitat so gefallen sei und offizielle Haltung Ikarias sei.
Sie sehen: Im letzten Satz haben sich Grammatik und Semantik in den wohlverdienten Sommerurlaub am Mittelmeer verabschiedet.
Aber egal, weiter im Text:
Hinterher waren alle schlauer. Bezweifelt wurde, ob je einer auf der Insel diesen einen entscheidenden Satz mit Österreich überhaupt gesagt habe. Der Journalist von Libero, Alvise Losi, bestätigt das im Gespräch mit stern.de. Und auch ein bedeutender Teil der Geschichte ist wahr: Viele Bewohner des Eilands sind voller Wut auf die Regierung in Athen und auch das Thema Unabhängigkeit wird diskutiert. Der Satz sei zwar scherzhaft gemeint gewesen, entspräche aber dem wachsenden Unbehagen des Inselvolks, das sich seit Jahren von Athen im Stich gelassen fühle, sagt der Mailänder Journalist, ein echter Kenner Ikarias.
Dass die Bewohner Ikarias “voller Wut” sind und das Thema Unabhängigkeit “diskutiert” wird, mag ein “bedeutender Teil” der Geschichte sein. Welcher Teil der Geschichte aber beispielsweise für stern.de der bedeutsamste war, kann man schon an der Aufteilung von Dachzeile und Überschrift sehen:
Der italienische Journalist ist übrigens “ein echter Kenner Ikarias”, weil er “nach eigenen Angaben seit seiner Kindheit Urlaub im Sommerhaus der Eltern auf Ikaria macht” und “eine Telefonumfrage unter seinen langjährigen Freunden und Bekannten auf der Insel” durchgeführt hat.
Die gute Nachricht dabei: Es hat tatsächlich “einer auf der Insel diesen einen entscheidenden Satz mit Österreich überhaupt gesagt”.
In einem Telefongespräch am 10. Juli mit der italienischstämmigen Griechin Anna Caruzzo fragte Losi, ob es denn gerecht sei, dass die Insel zu Griechenland gehöre? Es gebe keine Alternative, antwortet die Frau, aber Athen müsse auf die Forderungen nach besserer Versorgung und Infrastruktur eingehen. Wenn weiter nichts passiere, könne man sich auch für die Unabhängigkeit entscheiden. “Würdet ihr euch dann etwa den Türken anschließen?”, hakt Losi nach. “Nein, mit den Türken auf keinen Fall, dann schon eher mit Österreich”, sagt die Interviewte.
Das sei natürlich ein Scherz gewesen, sagt Losi, und ein schöner Schlusssatz für seinen Artikel (ohne Hinweis, dass es ein Witz sein sollte). Er habe nicht damit gerechnet, dass die Nachricht derartige Wellen schlägt.
Oh, diese Italiener! Zitieren einfach irgendwelche Freunde und Bekannten, ohne darauf hinzuweisen, dass die auch Witze machen. Wie sollen deutsche Journalisten denn da noch ihre Arbeit machen können?