Sondersprache, Tsunamiwarnung, iPhone

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Lexikon des Grauens”
(welt.de, Benjamin von Stuckrad-Barre)
Eine Zusammenstellung von Begriffen und Wendungen aus der “furchterregenden deutschen Sondersprache”, die Politiker und Politikjournalisten gemeinsam erfunden haben.

2. “Was von den Fukushima-Horrormeldungen zu halten ist”
(heute.de, Johannes Hano)
“Größte Krise der Menschheit droht”, so die Warnung in einem bisher über 130.000 mal auf Facebook geteilten Artikel der “Deutschen Wirtschafts Nachrichten”. “Geschickt werden Fakten mit Halbwahrheiten und Unwahrheiten vermischt. Fakten, die nicht in die Argumentation passen, werden geflissentlich ignoriert.”

3. “Die hanebüchene Berichterstattung über den angeblichen Misserfolg des iPhone 5c”
(neuerdings.com, Jan Tißler)
Wird das Apple iPhone 5c ein Erfolg oder nicht? “Kurzum: Wir wissen es nicht. Das ist alles, was man dazu sagen und schreiben könnte. Aber damit füllt man natürlich keine Website und damit generiert man keine Klicks. Stattdessen hält man die Nicht-Nachricht über Tage am Laufen, in dem man immer wieder weitschweifig und grundlagenlos herumfabuliert.”

4. “FCN: Der Liebes-Patzer von Bild & Co.”
(meedia.de, Alexander Becker)
Was Gertjan Verbeek, der neue Trainer des 1. FC Nürnberg, an einer Pressekonferenz sagte, und was “Bild” hörte.

5. “Kommunikations-Panne: ARD bricht Boxkampf ab”
(dwdl.de, Marcel Pohlig)
Unangekündigt beendet die ARD die Live-Übertragung eines Boxkampfs, um einen Spielfilm zu zeigen (Video / Entschuldigung).

6. “Hallo, Brigitte-LeserInnen!”
(ankegroener.de)

Journalismus auf Irrwegen

Es ist aber auch eine kuriose Geschichte, die die dpa da entdeckt hat. Unter der Überschrift …

Bosnische Fußball-Fans reisen zum Auswärtsspiel ins falsche Land

… tickerte die Agentur in der vergangenen Woche:

Auf der europäischen Landkarte haben mehrere Fußball-Fans aus Bosnien-Herzegowina wohl die Übersicht verloren: Sie wollten ihr Team am vergangenen Dienstag beim entscheidenden letzten WM-Qualifikationsspiel im litauischen Kaunas unterstützen. Doch statt nach Litauen reisten die Fans ins benachbarte Lettland – sie hatten bei der Buchung nicht genau aufgepasst, wohin die Reise geht.

Tja — dumm gelaufen.

Es dauerte nich lange, bis sich auch andere Medien für die Geschichte der “Touristen-Trottel” (Süddeutsche.de) interessierten — so etwa das “Hamburger Abendblatt”, die “Mopo”tagesschau.de, die “Sächsische Zeitung”, sport1.de, der “Kölner Stadt-Anzeiger”, “NWZonline”, der “General-Anzeiger Bonn”, der “Nordkurier”, die “Rhein-Zeitung”, express.de, die “Saarbrücker Zeitung”, die “Rheinische Post”, die “Nürnberger Zeitung”, die “Main Post”, die “Neue Osnabrücker Zeitung” und und und.

Doch so schön sie auch ist: Die Geschichte der verirrten Fans ist ein Fake.

Sie stammt nämlich ursprünglich von der kroatischen Satire-Seite Novosti24.net. Dort kann man sich gefälschte Artikel generieren lassen, um seine Freunde (oder die Medien) zu veräppeln. Dafür muss man einen Namen sowie Beruf und Herkunftsort eingeben und kann dann aus mehreren vorgegebenen Themen eines auswählen – zum Beispiel, dass [Name] tagelang auf dem Klo eingesperrt war, einen Abend mit Justin Bieber gewonnen hat, sich für den Playboy auszieht oder beim Eurovision Song Contest mitsingt. Oder aber, dass [Name] zusammen mit anderen bosnischen Fußball-Fans aus Versehen nach Lettland statt nach Litauen gefahren ist. Die zuvor eingetippten Daten erscheinen dann im Text, der aussieht, als sei er ein echter Artikel.

Auf unsere Anfrage teilten die Betreiber des Portals mit:

Novosti24.net ist eine Website, um lustige Fake-News zu erstellen, die man seinen Freunden zeigen kann – also ja: Diese Geschichte ist ein Fake von unserer Seite. Nichts in diesem Artikel ist wahr, es ist alles erfunden. Der Text ist in den vergangenen Tagen schon auf etlichen kroatischen/bosnischen/serbischen Zeitungs-Websites aufgetaucht. Es ist wirklich lustig, wie Journalisten in ganz Europa über etwas schreiben, das überhaupt nicht passiert ist. Aber wir sind froh, wenn wir Leute zum Lachen bringen können.

Nachdem wir die dpa darauf hingewiesen hatten, forschte sie noch mal nach und musste schließlich einräumen, dass es nun “deutliche Zweifel” an der Geschichte gebe. Wie uns ein Sprecher erklärte, hätten zunächst verschiedene Medien in Südosteuropa über den Fall berichtet, mit einiger Verzögerung dann aber darauf hingewiesen, dass es sich um einen Scherz handele. Auch im Baltikum sei die Geschichte vielfach aufgegriffen worden, noch dazu mit sehr unterschiedlichen Quellenangaben. Da das alles ein sehr großes Durcheinander sei und die Authentizität der Geschichte nicht abschließend geklärt werden könne, sei die Meldung im dpa-System jetzt gesperrt worden.

Tja — dumm gelaufen.

Mit Dank an Muamer A.

Listen, Michael Hayden, Blanda Eggenschwiler

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1. “Journalistmus”
(haz.de, Imre Grimm)
Eine “millionenfache Listenpest” durchsuppt “inzwischen selbst vermeintlich sortenreine Nachrichtenseiten”, stellt Imre Grimm fest. “Langsam, schleichend, verabschieden sich auch Anbieter, die sich journalistischen Prinzipien verschrieben hatten, vom lange gültigen Aktualitäts- und Relevanzprinzip – hin zu einem klickoptimierten Kessel Buntes mit ’24 Sätzen, die Lehrer von Eltern nicht hören wollen’ oder den ’19 nervigsten Werbespots der Welt’. Syrien? Iran? Gott, wer will das wissen?”

2. “Kann die Huffington Post Wissenschaft?”
(stimmthaltnicht.de)
Der Wissenschaftsjournalismus in der “HuffPo”: “Auffällig ist: Die Autoren der Huffington Post gehen ziemlich lax und intransparent mit Quellen um.”

3. “‘Oft siehst du die Paparazzi gar nicht'”
(medienwoche.ch, Stephanie Rebonati)
Wie die aktuell mit Joe Jonas liierte Blanda Eggenschwiler mit Paparazzi und Falschmeldungen der Medien umgeht.

4. “Blonde Roma-Kinder”
(nzz.ch)
Zwei blonde Roma-Kinder werden in Irland “vorübergehend in den Gewahrsam der staatlichen Gesundheitsbehörde” genommen und dann “wieder zu ihren rechtmässigen Eltern zurückgebracht”. “Archaische Klischees über die Gewohnheit der Fahrenden, die Kinder von Sesshaften zu rauben, schlugen sich in zahlreichen Online-Kommentaren aus der Leserschaft nieder. Auch die irische Polizei scheint dieser toxischen Gedankenkette erlegen zu sein, als sie Familien leichtfertig auseinanderriss.”

5. “Guy On Train Live Tweets Former CIA Chief’s On-Background Interview”
(npr.org/blogs/thetwo-way, Eyder Peralta, englisch)
Tom Matzzie twittert live von einem Hintergrundgespräch, das der ehemalige Chef der NSA, Michael Hayden, neben ihm im Zug führt.

6. “Bild-Leser zum Frauenfussball”
(vermeintliches.wordpress.com)

The Sun, EU, Rundfunkbeitrag

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1. “17,98 Euro Rundfunkbeitrag”
(ard.de)
Wie der von jedem Haushalt in Deutschland zu zahlende Rundfunkbeitrag in der Höhe von monatlich 17,98 Euro verteilt wird.

2. “Sollen die Medien mehr über die EU berichten? Dann ändert nicht die Medien, ändert die EU!”
(foederalist.blogspot.de, Manuel Müller)
“Die Europäische Union hat ein Öffentlichkeitsproblem”, stellt Manuel Müller fest. “Natürlich ist es einfacher, über die Medien zu schimpfen als das politische System der EU zu reformieren, aber dadurch wird man die Regeln der Nachrichtenauswahl nicht verändern. Wirksamer wäre es, die parteipolitische Auseinandersetzung auf europäischer Ebene selbst endlich so spannend zu machen, dass die Medien von allein ein Interesse daran haben, darüber zu berichten.”

3. “Wer fürs Schreiben bezahlt werden will, sollte es nicht umsonst tun”
(netzfeuilleton.de, Jannis Kucharz)
Es sei doch ganz einfach, meint Jannis Kucharz: “Wenn ich vom Schreiben leben möchte und das als mein primäres Geschäftsmodell begreife, das wertvollste was ich zu bieten habe, dann sollte ich das nicht umsonst hergeben. Wenn hingegen mein Geschäftsmodell darin besteht etwas anderes zu verkaufen, Beratungen, eine Dienstleistung, Vorträge oder ein anderes Produkt, dann ist mein Geschäftsmodell ein anderes und ich kann das ‘Nebenprodukt’ Artikel auch umsonst abgeben, in der Hoffnung das ich Aufmerksamkeit für mein eigentliches Produkt wecke und darüber Umsatz mache.”

4. “Beistellschwule und Dekolesben”
(vocer.org, Rüdiger Becker)
Wie Homosexualität heute im Fernsehen gezeigt wird: “Wenn Heterosexualität nicht mehr die Norm ist, wenn in einer Sendung zum Thema Eifersucht ganz selbstverständlich und ohne besondere Erwähnung auch Schwule und Lesben ihre Erfahrungen schildern und wenn der Gewinner einer Quizsendung am Ende seinem Mann um den Hals fällt, dann gibt es keine Schmuddelecken mehr, in die das Thema abgedrängt werden kann.”

5. “Sun launches regular page two corrections column in response to ‘mental patients’ mistake”
(fullfact.org, Joseph O’Leary, englisch)
Die Boulevardzeitung “The Sun” reagiert auf Kritik an ihrer Titelschlagzeile “1,200 killed by mental patients” und führt eine regelmäßige Spalte für Korrekturen und Klarstellungen ein: “It’s a deficient response to a front-page mistake in which the headline and the article prominently contradicted the research they were based on. The new column is, nevertheless, a welcome public indication that the newspaper intends to take complaints and corrections more seriously than it has done before.”

6. “The Buzzfeed Story Generator”
(comediva.com, englisch)

Tierfotos, Wikipedia, Stalinallee

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1. “Das Versagen der Meinungsmacher”
(dradio.de, Max Thomas Mehr)
Max Thomas Mehr beurteilt den politischen Journalismus in Deutschland: “Selten war die gefühlte Diskrepanz zwischen Lesern und Wählern, zwischen medialer Öffentlichkeit und Bürgern so groß”.

2. “Die Wahrheit über dieses berühmte Tierfoto”
(welt.de, Elke Bodderas)
Manipulationen bei Tierfotos, so bei einem Foto, das einen Kampf zwischen einem Leopard und einem Pavian zeigt: “Zahllose Anläufe habe es gekostet, sagt Dominis, bis das sensationelle Bild im Kasten war. Das abgelichtete Tier starb nicht allein. Mehrere Dutzend Paviane ließen ihr Leben. (…) Ein Tier zu opfern, um ein anderes zu fotografieren, war in den 60er- und 70er-Jahren gang und gäbe. Inzwischen ist es verboten.”

3. “Journalismus ohne Verlag – Die neue Realität der Medienarbeiter”
(torstenmeise.de)
Für Torsten Meise sind Freie auf die journalistische Zukunft besser eingestellt: “Während den Verlagen die größten Anpassungsprozesse noch bevorstehen und ihre Angestellten in immer neuen Wellen freisetzen, haben wir Freien längst gelernt, mit diesem Internet und diesem ganzen Zeug zu spielen, zu arbeiten und (manchmal auch) Geld zu verdienen.”

4. “AP reporter’s mistake: Did the punishment fit the crime?”
(washingtonpost.com, Paul Farhi, englisch)
Nach 28 Jahren bei der AP wird Reporter Bob Lewis nach einem Fehler entlassen: “After several days of deliberations, it fired Lewis on Monday, followed by his immediate editor in Richmond, Dena Potter. On Tuesday, regional editor Norm Gomlak confirmed that he, too, had been fired over the story. Gomlak, who is based in Atlanta, was the primary editor of Lewis’s story because Potter was tied up with an unrelated story Oct. 9.”

5. “Wikimedia Foundation Executive Director Sue Gardner’s response to paid advocacy editing and sockpuppetry”
(blog.wikimedia.org, Sue Gardner, englisch)
In der englischen Wikipedia werden mehr als 250 Nutzerkonten blockiert, um Vorwürfe, sie hätten Artikel gegen Bezahlung verfasst, zu klären.

6. “Das neue Leben der Stalinallee”
(zeit.de)

Hand in Hand

Preisfrage: Was ist das?

Das ist nicht etwa ein Toilettenwegweiserpärchen, das sind Heinz und Erika Pappenheimer (Namen geändert). Heinz und Erika sind Symbolbilder von Beruf.

Auf dem großen Schaubild auf Seite 2 in der heutigen “Bild” müssen Heinz und Erika verschiedene Berufsgruppen, verschiedene Prozentzahlen und Abgeordnete des 18. Deutschen Bundestags darstellen. “Bild” möchte nämlich zeigen, wie groß der Anteil bestimmter Berufsgruppen in der Bevölkerung und im Bundestag ist.

Das sind also Heinz und Erika als 0,3% Hausfrauen und Hausmänner im Bundestag:

Das ist Erika alleine als 0,3% Arbeiter im Bundestag:

Hier muss Erika ganz alleine sogar den Wert 0,8% (Anteil der Juristen, Rechtsanwälte und Notare an der deutschen Gesamtbevölkerung) verkörpern:

In einer ausgereiften Choreographie stellen insgesamt acht Pappenheimers den Wert von 2,4% dar — während 13 Pappenheimers für den Wert von 12,8% stehen:

Wir sehen also: Heinz und Erika Pappenheimer sind ein variables Standardmaß.

Auf Bild.de haben sie die Pappenheimers deshalb nachträglich durch einfache und korrekte Balkendiagramme ersetzt.

Buzzfeed, Phubbing, Ventures

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1. “Phubbing – der erfundene Trend”
(intmag.de, Thomas Knüwer)
Der Trend namens “Phubbing” ist auf eine Marketingkampagne zurückzuführen: “Die ‘Süddeutsche’ ist drauf reingefallen. DPA ebenfalls. Der ‘Tagesspiegel’ und der ‘Kölner Stadtanzeiger’. Auch RTL und N-TV. Selbst die Öffentlich-Rechtlichen blamierten sich, zum Beispiel in Gestalt von Radio Bremen und heute.de.”

2. “Eine Woche BuzzFeed – Das Ende eines Experiments”
(neueelite.de, Marcel Winatschek)
Die Website “Neue Elite” hat sich letzte Woche wie Buzzfeed verhalten – und damit Klicks und Likes ohne Ende eingefahren: “In dieser einen Woche hatten wir mehr Besucher als andere Onlinemagazine in einem ganzen Jahr. Uns gingen bereits nach kurzer Zeit die Banner aus, selbst die auf der untersten Backupebene.”

3. “I Hate Buzzfeed.”
(thebestpageintheuniverse.net, englisch, mit Video, 5:57 Minuten)
Maddox begründet, warum er Buzzfeed hasst: “Perhaps the only source of ingenuity on BuzzFeed are the new and innovative ways they keep finding to make it as difficult as possible for people to click on the source links, so they don’t divert readers to source websites. You know, the people who created the content they stole?”

4. “Wir machen das mit den Kommentaren hier jetzt mal anders”
(kraftfuttermischwerk.de, Ronny)
Ronny will sich nicht mehr “mit Arschlöchern streiten müssen” und verschärft deshalb die Kommentarregeln: “Verpisst euch einfach wieder dorthin, wo euch sonst keiner zuhört. Wenn ihr gelernt habt, wie man halbwegs angemessen miteinander umgeht, könnt ihr gerne wiederkommen und wir versuchen es noch mal.”

5. “Researchers have 3 tips to help journalists debunk misinformation”
(poynter.org, Craig Silverman, englisch)
Craig Silverman gibt Tipps, wie man Falschinformationen kontert: “So, yes, do your job to dig up the correct facts and discover the truth. But know that that’s only one part of the debunking process — you also have to work hard to present this information in a way that will affect people.”

6. “An unfinished list of ventures in journalism you should be watching (and why)”
(davidbauer.ch, englisch)

Beinahe richtig

Im Juni sind über Schottland zwei Flugzeuge kollidiert. Also zumindest beinahe. Inzwischen hat Bild.de die Hintergründe dieses Vorfalls recherchiert. Zumindest beinahe.

1000 Fluggäste zweier Jumbo-Jets in Angst - Beinahe-Crash, weil die Piloten Fehler machten

Der Zwischenfall passierte bereits am 23. Juni 2013. Die Details wurden jetzt aus einem Bericht der zuständigen Behörde UK Airprox Board bekannt, melden britische Zeitungen. […]

Zum Crash kam es nur deshalb nicht, weil die Piloten sich jetzt gegenseitig im Cockpit sahen – und in buchstäblicher letzter Sekunde abdrehen konnten: Einer zog seine Maschine hoch, der zweite ging in den Sinkflug!

Bei dem Manöver befanden sich die Maschinen im kritischsten Moment nur gut 30 Meter voneinander entfernt!

Bild.de schlussfolgert:

Es waren nur Sekunden, die sie vom tödlichen Crash trennten…

Naaja. Also zunächst einmal: Dass zwischen den beiden Flugzeugen nur noch gut 30 Meter lagen, ist korrekt. Allerdings war das nur die vertikale Distanz. Horizontal aber, und das verschweigt Bild.de mal wieder, betrug der Abstand zwischen den beiden Maschinen noch über sieben Kilometer. Von daher ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass sich die Piloten “gegenseitig im Cockpit sahen”. Auch deshalb, weil laut dem Bericht (PDF, Seite 61) mindestens einer der Piloten das andere Flugzeug gar nicht gesehen hat.

Hätten die Leute von Bild.de sich diesen Bericht einfach mal selbst durchgelesen, statt bloß von den britischen Medien abzuschreiben, wären sie auch auf folgenden Satz gestoßen:

[…] das Risiko einer Kollision bestand nicht.

(Übersetzung von uns.)

Aber das hätte aus der Beinahe-Katastrophe eine Beinahe-Beinahe-Katastrophe gemacht — und das hätte wohl nicht mal mehr Bild.de spannend gefunden.

Mit Dank an Uwe S., Gesine, Karstinho, Sebastian S., Leif K., Daniel und Linus V.

Arztbengel, Phobie, Oscar Bronner

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1. “Arztbengel, kichernd”
(faz.net, Lars Weisbrod)
Ein Porträt des scheidenden “Titanic”-Chefredakteurs, Leo Fischer. “Aber selbst wenn sie bei ‘Titanic’ wollten: Sie dürften gar nicht wirtschaftlich denken, sagt Fischer. Denn dann würde fehlen, was es braucht, um dieses Magazin zu machen: Spaß. ‘Wenn wir dauernd überlegen, wie viel ein Text an Honorar kostet, wie viel Geld wir zurückhalten müssen, weil es ein Rechtsrisiko gibt – es macht dann keinen Spaß mehr.'”

2. “Debattenphobie: Die Angst vor echten Kontroversen”
(novo-argumente.com, Frank Furedi)
Frank Furedi warnt vor dem Einsatz des Phobie-Begriffs in der Debatte: “Der Phobie-Begriff entbindet die Leute also von der lästigen Aufgabe ihren Standpunkt in der Diskussion zu verteidigen, indem er sie dazu einlädt ihre Gegner zu medikalisieren und so die Diskussion zu beenden. Die Medikalisierung von politischen Gegnern ist die existenzielle Ausradierung all derer, denen wir nicht zustimmen. Sind sie erst als irrational oder krank eingestuft, können wir sie unbekümmert ignorieren; ihre Auffassungen können dann als Symptome mentaler Verwirrung behandelt werden, die wir nicht ernst nehmen müssen.”

3. “Brauchen wir noch Journalismus?”
(antjeschrupp.com)
Antje Schrupp denkt nach über Journalismus: “Journalist_innen, so könnte man also sagen, sind notwendig, um Wissen googlebar zu machen, das ohne ihre Arbeit nicht googlebar wäre. Sie recherchieren Dinge, die niemand freiwillig ins Netz stellt, die aber dennoch wichtig sind oder vielleicht in einem späteren Kontext einmal wichtig werden könnten.”

4. “Journalismus, Objektivität und die neue Ehrlichkeit”
(doppelpod.com, Sven Hänke)
Sven Hänke hat sich “in der letzten Zeit viel mit der journalistischen Berichterstattung über China beschäftigt. Die Themenauswahl, der Blickwinkel und die Aufbereitung orientieren sich vor allem daran, was die Rezipienten in Deutschland aufnehmen können, was in ihr Weltbild integrierbar ist oder was sie schockierend finden. Mit einer objektiven Abbildung der chinesischen Realität hat diese Informationsselektion und –vermittlung nur sehr wenig zu tun.”

5. “‘Journalistische Macht hat nur, wer sie missbraucht'”
(derstandard.at, Armin Wolf)
Ein ausführliches Interview mit Oscar Bronner, Herausgeber von “Der Standard”: “Wir haben damals übrigens schon versucht, eine Paywall zu etablieren, und den Wirtschaftsteil kostenpflichtig gemacht, in der Annahme, dass man dort am ehesten etwas erlösen kann. Das haben wir aufgegeben, als wir bei einem User gelandet sind.”

6. “Eklat: Korrekt recherchierte Nachricht versehentlich in ‘Bild’-Zeitung veröffentlicht”
(der-postillon.com)

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