Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “BILD & Co – zu blöd zum Abschreiben?” (gutjahr.biz, Richard Gutjahr)
Das alljährlich wiederholte Gerücht über eine Neuauflage der US-Serie “Friends” macht die Runde in deutschen Medien — mit angeblicher Bestätigung des Senders NBC. Quelle ist ein Bericht vom April, der längst dementiert wurde.
2. “Der zornige Wortarbeiter” (magda.de, Ilona Jerger)
Porträt des Kabarettisten im Ruhestand Georg Schramm und die von ihm geschaffenen Charaktere: “Früh am Morgen kauft er als erstes die ‘Bild’-Zeitung und schaut, wer vorne drauf ist. Je nachdem hängt er die Titelseite später in seinem Schrebergarten auf. Und zielt. Mit dem Luftgewehr.”
3. “Ein Bild und seine Geschichte: Der Wulff-Kuss” (blog.stratenschulte.de, Julian Stratenschulte)
Alltag eines Fotojournalisten: Ein DPA-Fotograf erklärt, wie er das verbreitete Foto von Ex-Bundespräsident Christian Wulff und seiner Ex-Frau im Landgericht Hannover geschossen hat.
4. “Liebeserklärung an meinen Clan” (dasnuf.de, Patricia Cammarata)
Das Nuf beschreibt Twitter und Co als Familie, als Clan, die mit ihrer Interaktion ein Gefühl der Zusammengehörigkeit schaffen. “Mein Mann sagt öfter, dass er es seltsam findet, dass in unserer Wohnung, in unserer Beziehung immer noch jemand mit dabei ist: das Internet oder besser gesagt, die Menschen aus dem Internet.”
5. “Wie ich zum Cyborg wurde” (carta.info, Enno Park)
“Viele finden Cyborgs gruselig: Der Eingriff in den Körper wird als Grenzüberschreitung gesehen. Gestattet sei die Frage, warum eigentlich?” Enno Park erklärt zur Gründung des Cyborg-Vereins in Berlin, was es bedeutet mit Technik im Körper zu leben und welche Herausforderungen es gibt.
6. “Ein Remix-Aufruf für das Urheberrecht!” (dirkvongehlen.de, Dirk von Gehlen)
Dirk von Gehlen schreibt Beiträge zur Urheberrechtsdebatte aus dem Jahr 2012 um: Nicht die Abschaffung des Urheberrechts stehe an, sondern die Deligitimation durch die Abmahnindustrie.
Der Axel Springer-Verlag muss 10.000 Euro Geldentschädigung an zwei Sechsjährige zahlen, wie das Landgericht Köln in dieser Woche entschieden hat. Es ging dabei um einen angeblichen Fall von “Samenraub”, über den “Bild” und Bild.de am Anfang des Jahres groß berichtet hatten.
Die Zwillinge, deren Eltern inzwischen getrennt leben, wurden durch eine künstliche Befruchtung gezeugt. Nach der Trennung hatte der Vater die Geburtsklinik verklagt — mit der Begründung, er habe nicht zugestimmt, dass sein Sperma für die künstliche Befruchtung verwendet wird. Die Einwilligungserklärung habe er nie selbst unterschrieben, gab er an.
Bei Bild.de las sich das dann so:
Mit “DAS” waren die Zwillinge gemeint, die Bild.de groß in einem Foto zeigte. Wie sich später herausstellte, stammte es von einer Danksagungskarte, die die Mutter nach der Geburt der Kinder an ausgewählte Personen geschickt hatte.
Drei Tage später fragte Bild.de:
Darunter erneut das Foto der Zwillinge, diesmal aber mit verpixelten Gesichtern. Daneben ein Foto des Vaters.
Ein Fall von Samenraub sorgte Anfang der Woche für Aufsehen. Die Ex von Peter (40, Name geändert) fälschte seine Unterschrift. Sie erschummelt sich damit sein Sperma aus einer Samenbank, lässt sich befruchten und bekommt Zwillinge.
Wenige Tage später wurde die “Samenraub”-Klage abgewiesen. Die Behauptung des Vaters, seine Unterschrift auf der Einwilligungserklärung sei gefälscht worden, kauften ihm die Richter nicht ab. (Diese Nachricht war Bild.de übrigens nur noch eine kleine Tickermeldung wert.)
Schon während des Prozesses hatte die Mutter der Zwillinge begonnen, sich juristisch gegen die Berichterstattung von Bild.de zu wehren. Sie erwirkte unter anderem ein Verbot der Behauptung, dass sie die Unterschrift ihres Mannes gefälscht habe.
Auch gegen die Veröffentlichung des Fotos ging sie im Namen ihrer Kinder vor. Bild.de gab darauf hin zwar eine Unterlassungserklärung ab, aber nur gegenüber der Mutter — und nur aus urheberrechtlichen Gründen. Eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Kinder wollte das Portal aber nicht zugeben und lehnte eine entsprechende Erklärung ab.
Per einstweiliger Verfügung wurde die Veröffentlichung des Fotos Ende Februar dann erneut untersagt. Diesmal willigte Bild.de ein und gab eine Abschlusserklärung ab. Mit dem aktuellen Urteil des Landgerichts Köln wurde den Kindern beziehungsweise deren Mutter jetzt auch eine Geldentschädigung zugesprochen.
Die Richter werteten die Berichterstattung von Bild.de als “schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht”. Die Veröffentlichung des Fotos, das einen “rein privaten Moment” zeige, verletze das Recht der Kläger am eigenen Bild (Kläger sind die Zwillinge, vertreten durch ihre Mutter). Daran ändere auch die Verpixelung nichts. In der Urteilsbegründung heißt es:
Wer die Kläger kennt, wird sie auch trotz der Verpixelung erkennen können; wer sie nicht kennt, dem ist jedenfalls über die Zuordnung zu dem jeweils daneben abgebildeten Vaters eine Identifikation möglich.
Die Veröffentlichung sei schon deshalb rechtswidrig, weil weder die Kinder noch deren gesetzliche Vertreter eingewilligt hätten.
Zudem würden die Kinder “ohne jedes begründetes Berichterstattungsinteresse an ihrer Person” in den Zusammenhang mit dem angeblichen “Samenraub” gebracht, “als dessen ‘Ergebnis’ sie dargestellt werden”, befand das Gericht. Diese persönlichkeitsrechtsverletzende Berichterstattung wiege um so schwerer, als sie geeignet sei, “die ungestörte Entwicklung des Verhältnisses der Kläger zu ihrer Mutter zu beeinträchtigen, der [von Bild.de] – zu Unrecht – ‘Samenraub’ vorgeworfen wurde”.
Marcel Leeser, der Anwalt der Kinder, geht davon aus, dass in der Berichterstattung bewusst die Unwahrheit verbreitet wurde, …
[…] weil BILD zwischen der mündlichen Verhandlung im sog. “Samenraub-Fall” am OLG Hamm und der Urteilsverkündung wider besseres Wissen und hartnäckig noch von einem “Samenraub” sprach […], obwohl nach der Beweisaufnahme und den Hinweisen des Gerichts für den anwesenden BILD-Journalisten klar war, dass die künstlichen Befruchtungen mit Zustimmung des Vaters stattgefunden hatten und daher kein “Samenraub” vorlag.
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1.”Nicht werfen, nicht schlagen. Keine Steine, nichts” (faz.net, Konrad Schuller)
Ukrainische und russische TV-Sender nutzen ein Video von FAZ.NET, um dem Bruder des Oppositionsführer Vitali Klitschko die Inszenierung von Gewalt vorzuwerfen. Die deutsche Onlineredaktion veröffentlicht daraufhin eine längere Version des Videos.
2. “Wissenschaftliche Volksverhetzung” (sueddeutsche.de, Willi Winkler)
Nach der Entscheidung der bayerischen Staatsregierung, die Förderung für eine historisch-kritische Edition” von “Mein Kampf” zu stoppen, erinnert Winkler an die Vorgeschichte und die Folgen: “Das nennt man wahrscheinlich die Kunst des Politischen: Damit wäre die Freiheit der Wissenschaft gewahrt und Hitler weiter unter Verschluss.”
3. “Klammern an ‘Bild’ und ein zahlendes Prozent” (blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Die Erfolgsmeldung über 152.000 zahlende BILDplus-Leser ist auf den zweiten Blick ernüchternd: 99 Prozent der Leser sind immer noch nicht bereit zu zahlen, obwohl der Verlag den Abonnenten Bundesliga-Videos anbietet.
4. “Die neue Dimension des Duckmäusertums” (faz.net, Constanze Kurz)
Trotz ständig neuer Enthüllungen über die Methoden der NSA und befreundeter Geheimdienste fehlt es an politischen Konsequenzen. Constanze Kurz fordert die Politiker auf, die Machtfrage zu stellen.
5. “Liebe User, Facebook hat unsere Seite vorübergehend gesperrt” (https://www.facebook.com/ZDFheute/)
Wegen eines medizinischen Bildes einer weiblichen Brust im Zusammenhang mit der Berichterstattung über Brustimplantante wurde die Facebook-Seite der Nachrichtensendung vorübergehend gesperrt: “Bitte beachten Sie: Ungefiltert und unzensiert durch US-amerikanische Medienkonzerne gibt’s ZDF heute.de auf www.heute.de!” Update 15.11 Uhr: Das ZDF rudert zurück: Facebook habe lediglich ein Foto gelöscht, die Seitensperre wurde von der Redaktion aufgrund eines Missverständnisses aktiviert.
6. “Shells Science Slam endet im Ölschlick” (metronaut.de, John F. Nebel)
Mit einem “Science Slam” wollte Ölkonzern Shell etwas für sein Image tun. Doch die Teilnehmer nahmen den Sponsor aufs Korn. Gewinner des Abends: Ein vorgebliches CO2-Rückgewinnungexperiment, das Ölschlick versprühte.
Wenn jemand im Internet die Geschichte vom toten Hund erzählt, dann wird sie in der Regel so eingeleitet:
Tja, ich weiss nicht 100%ig, ob diese Geschichte wirklich stimmt, aber ich wollte sie Euch nicht vorenthalten … mein Chef erzählte sie mir und es soll sich um Bekannte von ihm handeln.
War gestern bei einer Weiterbildungskollegin und die hat mir eine Story erzählt, die ich euch nicht vorenthalten möchte. Sie ist wirklich passiert und kein Witz!
Im Kern ist die dann folgende Geschichte immer gleich: Sie handelt von irgendwem, der irgendwann mal in irgendeiner Stadt einen Spaziergang mit seinem Hund gemacht hat. Vor dem Eingang eines Kaufhauses fiel der Hund plötzlich und bedauerlicherweise tot um. Schock, Trauer – und die Frage: Wohin mit dem toten Tier? Irgendjemand besorgte aus dem Kaufhaus einen Karton, der Hund wurde darin verstaut, es gab eine kurze Ablenkung und schwupps! hatte ein Dieb den Karton samt Hund geklaut. Armer Hund, Pech für den Dieb, hihi.
Seit mindestens zwölf Jahren wird diese Geschichte erzählt — in den verschiedensten Varianten. Mal ist es ein Dackel, mal ein Schäferhund, mal ein Berhardiner; mal spielt die Geschichte in Düsseldorf, mal in Frankfurt, mal in Siegen; mal vor einem Eletronik-Laden, mal vor einem Einkaufszentrum, mal vor einer Mode-Boutique. Und nicht nur hierzulande: Auch in Österreich taucht die Story vom geklauten toten Hund seit Jahren immer wieder auf.
Beweise gibt es allerdings nie. Keine Polizeiberichte, keine Überwachungsvideos, keine Fotos. Mit den Betroffenen selbst hat noch nie jemand gesprochen, alles beruht immer nur auf den Aussagen eines Bekannten einer Freundin der Cousine einer Arbeitskollegin. Aber: “wirklich passiert, kein Witz!”
2010 schaffte es eine Version der Geschichte sogar in die “Süddeutschen Zeitung”. Der Autor schrieb:
Manche Geschichten klingen unglaublich und leiden sehr darunter, dass sie in verschiedenen Versionen kursieren. Nun haben allerdings ein paar Freunde in Feldkirchen gerade eine Geschichte zum besten gegeben, die angeblich verbürgt sein soll, wegen einer gewissen emotionalen Delikatesse aber nicht ganz exakt auszurecherchieren ist.
Er hätte auch schreiben können:
Tja, ich weiss nicht 100%ig, ob diese Geschichte wirklich stimmt, aber ich wollte sie Euch nicht vorenthalten …
In der “SZ”-Version spielt die Geschichte in München vor einem Einkaufszentrum. Hund tot, Karton geklaut.
Es war nicht das erste Mal, dass der tote Hund in der Presse auftauchte. Schon sechs Jahre zuvor hatte die “Badische Zeitung” über einen solchen Fall berichtet. Tatort seinerzeit: Frankfurt, Messegelände. Die “taz” hörte im gleichen Jahr von einem Fall in Speyer, vor dem Media Markt. Vergangenes Jahr schilderte die “Rheinischer Post” einen Fall aus Düsseldorf, Königsallee.
Und weil der “Süddeutschen Zeitung” die Geschichte offenbar so gut gefällt, hat sie gestern gleich noch eine Version erzählt:
Diesmal: München, Residenzstraße. Vor einem teuren Modegeschäft fällt ein Mops tot um. Und so weiter.
Eine Quelle für die Geschichte hat der Autor nicht angegeben. Spontan hätten wir ja auf die Cousine des Bekannten einer Freundin getippt.
Auf Nachfrage erklärte uns die “SZ”, es gebe gleich zwei Quellen: Und zwar erstens eine Bekannte der Hundebesitzerin. Und zweitens die Angestellten aus dem Modegeschäft. Die hätten versichert, dass zumindest der erste Teil der Geschichte (toter Hund wird eingepackt) wahr sei, das sei ja in ihrem Geschäft passiert. Und der Rest stimme auch, schließlich sei die Dame, deren toter Mops gestohlen wurde, die Schwiegermutter einer ehemaligen Mitarbeiterin. (Wir waren nah dran.)
Selbst wenn die Geschichte vom toten Hund diesmal tatsächlich stimmen sollte, wäre sie schon mindestens ein halbes Jahr alt. Laut “SZ” soll der Diebstahl “irgendwann in der ersten Jahreshälfte” geschehen sein.
Bei der Münchner Polizei hat man allerdings noch nie etwas von dem Fall gehört.
Der Schauspieler Paul Walker ist vor zwölf Tagen bei einem Autounfall ums Leben gekommen. “Ausgerechnet” bei einem Autounfall, wie die Medien gerne betonen, weil sie darin wahlweise eine “traurige”, “grausame”, “tragische” bzw. “dramatische” Ironie des Schicksals erkennen — Walker war nämlich vor allem durch seine Rolle in Auto-Action-Filmen bekannt geworden.
Viele Medien hatten sich bis zum Zeitpunkt des Unfalls nicht sonderlich für den Schauspieler interessiert, ab und an vielleicht bei Filmpremieren über ihn geschrieben und als er mal “mit nacktem Oberkörper gutpositioniertund proportioniert im nassen Sand” lag. In der Regel aber war er ihnen ziemlich egal.
Vor zwölf Tagen hat sich das geändert. Seitdem versorgen sich soziale und klassische Medien gegenseitig mit immer neuen Geschichten, zeitweise gibt es fast stündlich “neue tragische Details” zu Paul Walker, dem “Todes-Crash”, dem “Todes-Porsche”, dem “Todesbaum” und dem “Todeskampf”. Auf allen Kanälen, rund um die Uhr: Paul Walker. “Rest in Peace” kommentieren dann Leute unter den heimlich geschossenen Paparazzi-Fotos von trauernden Angehörigen.
Eine der am häufigsten zitierten Quellen in diesen Tagen, schon das ist bezeichnend, ist das US-Promi-Klatsch-Portal “TMZ”, dessen Meldungen auch von eher seriösendeutschenMedien in Windeseile übersetzt und veröffentlicht werden – ob sie stimmen oder nicht. Die Nachricht etwa, dass Walker bei einem illegalen Autorennen gestorben sei, machte schnellüberalldieRunde, stellte sich später aber als falsch heraus.
Und während sich die deutsche “Huffington Post” irgendwann schon ganz metamäßig fragte, “wieso über Paul Walker mehr getwittert und ge-facebooked wird wie [sic!] über die Dritte Welt”, haben sich die Leute bei Bild.de offenbar vorgenommen, jedes Gerücht, jedes Foto, jedes traurige Detail, das sich irgendwo auftreiben lässt, mit einem eigenen Artikel zu würdigen.
25 Artikel hat das Portal seit dem Unfall über Paul Walker veröffentlicht, zwei davon im kostenpflichtigen “Bild Plus”-Bereich, die meisten prominent beworben auf der Startseite. Dazu zahllose “Schockbilder von der Unfallstelle”, Videos, Klickstrecken, Infografiken.
1. Dezember:
2. Dezember:
3. Dezember:
4. Dezember:
5. Dezember:
6. Dezember:
7. Dezember:
8. Dezember:
9. Dezember:
11. Dezember:
Eine nicht enden wollende Flut von Spekulationen, Belanglosigkeiten und Sätzen wie:
Der Tod kommt an den unspektakulärsten Orten. Selbst bei einem Hollywoodstar. Selbst bei einem wie Paul Walker (40), der alles hatte und den alle liebten.
Am dritten Tag nach seinem Tod bekam er eine eigene Bild.de-Themenseite, zwei Tage später schrieb das Portal über den Mann, den es bis dato kaum beachtet und den ein Teil der Leser vermutlich nicht mal gekannt hatte:
Hollywood hat eine neue Legende. Paul Walker.
Vor ein paar Tagen stellte Bild.de dann besorgt fest, dass mittlerweile ein “irrer Fan-Kult um Paul Walker” entstanden sei. Die Frage nach den möglichen Ursachen wird dabei natürlich nicht beantwortet, sie wird nicht mal gestellt. Stattdessen gibt es die nächste importierte “TMZ”-Klatschgeschichte: Ein Mann hatte angeblich versucht, “sechs Stück verkohlte Baumrinde” vom Unfallort im Internet zu versteigern.
Bild.de fragt:
Wie makaber ist das denn?
Während Familie, Fans und Freunde um den bei einem Autounfall tödlich verunglückten Schauspieler Paul Walker († 40) trauern, gibt es Menschen, die daraus Profit schlagen wollen.
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1. “The story behind ‘that selfie'” (blogs.afp.com, Roberto Schmidt, englisch)
Roberto Schmidt kommentiert eigene Fotos anlässlich der Bestattung von Nelson Mandela: “I later read on social media that Michelle Obama seemed to be rather peeved on seeing the Danish prime minister take the picture. But photos can lie. In reality, just a few seconds earlier the first lady was herself joking with those around her, Cameron and Schmidt included. Her stern look was captured by chance.”
2. “‘Wir kannibalisieren uns lieber selbst'” (persoenlich.com, Edith Hollenstein)
Ringier lanciert die Buzzfeed-Kopie Blickamabend.ch. Chefredakteur Peter Röthlisberger: “Selbstverständlich bestimmt die Redaktion über die Inhalte, und niemand sonst. Die neue Werbeform, das Native Advertising, hat überhaupt keinen Einfluss auf die redaktionellen Artikel. Unsere Texte werden nach rein journalistischen Kriterien geschrieben. Unsere Werbekunden liefern ihre Listicles an, die vom Verlag in die Seite eingepflegt werden und klar gekennzeichnet sind. Damit hat die Redaktion nichts zu tun.”
3. “Der Lack des Lieblings bröckelt” (medienwoche.ch, Tin Fischer)
Wie Schweizer Medien ein “Medium” unkritisch behandeln: “Ich stiess auf Pascal Voggenhuber, als ich für die ‘NZZ am Sonntag’ zum Thema moderne Esoterik recherchierte. Und ich war verblüfft. Über all die Jahre stellte ihm kaum ein Journalist wirklich kritische Fragen.”
4. “Überwachung: Einfach mal die Luft anhalten” (netzpolitik.org, Lorenz Matzat)
Lorenz Matzat kritisiert das “Phrasenhafte” des internationalen Appells von Autoren gegen Überwachung, der “Nullkommanichts Neues in die Debatte” einbringe und “keinen einzigen inspirierenden Gedanken” in sich trage.
Die Welt ist nicht gerecht, manchmal nicht einmal zur “Bild”-Zeitung.
Der Anwalt von Vicky Leandros hat sich bei “Bild” beschwert. Ausgerechnet! Seit vielen Jahren feiert das Blatt die Sängerin wie keine zweite, würdigt den kleinsten Schluckauf, zelebriert jede Veranstaltung, bei der sie sich blicken lässt, als Vicky-Veranstaltung und kann es anhaltend nicht fassen, wie schön, talentiert, erfolgreich diese Frau ist, ein Weltstar, vor dem alle anderen Weltstars verblassen. (Wir hatten das rudimentär schon mal hier und hier dokumentiert.)
So ein Star ist natürlich im Grunde alterslos, und entsprechend verzichtet die “Bild”-Zeitung in aller Regel darauf, hinter den Namen von Leandros in Klammern das Alter anzugeben. Das ist eine Vorzugsbehandlung, die nur wenigen Menschen zuteil wird, zu denen “Bild” ein ganz besonderes Verhältnis hat. Verlegerin Friede Springer und “Oscar-Legende” Arthur Cohn gehören dazu.
Nun ist es mit dem Alter von Vicky Leandros aber ohnehin so eine Sache. Sie selbst sagt, sie sei am 23. August 1952 geboren, und hat entsprechend im vergangenen Jahr öffentlich ihren 60. Geburtstag begangen. Über ihren Anwalt hat die Sängerin 2011 gegenüber der Wikipedia ihren Personalausweis vorgelegt, in dem dieses Datum offenbar bestätigt wird. Das Bertelsmann-Lexikon nennt als ihr Geburtsjahr allerdings 1949, was bedeuten würde, dass sie jetzt 64 Jahre alt ist. In anderen Quellen findet sich 1948 als Geburtsjahr.
Als sie am 8. April 1967 beim Eurovision Song Contest antrat, kündigte sie der Kommentator der Sendung als “eine Sängerin aus Griechenland, 17 Jahre alt” an, was einem Geburtsjahr 1949 entspräche — und angesichts der Bilder realistischer wirkt als die Annahme, da stünde ein 14-jähriges Mädchen auf der Bühne, was ihren heutigen eigenen Angaben über ihr Geburtsjahr entspräche. Die Eurovisions-Seiten der ARD vergrößern die Verwirrung, indem sie sie kurzerhand 15 machen.
Am 11. Mai 1975 berichtete der britische “Observer” über eine Begegnung mit der Sängerin, staunte über ihre Prahlsucht und machte sich über ihre Arroganz lustig (“She expects the Albert Hall concert to be a great success. In September, she’s lined up for the Carnegie Hall in New York . ‘No, I’m not excited. What is there to be excited about?’ She said it.”). Die Zeitung ließ dabei folgende mysteriöse Bemerkung fallen:
Miss Leandros, who said she was 24 (a fact not borne out by her passport) …
Fräulein Leandros, die sagte, sie sei 24 (eine Tatsache, die die durch ihren Pass nicht gestützt wird)…
Wenn sie damals 24 gewesen wäre, hätte sie 1950 oder 1951 geboren sein müssen, aber 24 scheint sie ja nicht gewesen zu sein, auch wenn sie das selbst so sagte.
Der “Observer” schrieb damals auch, sie sei 15 Jahre alt gewesen, als ihr Vater sie zum ersten Mal im Fernsehen auftreten ließ, was nicht stimmen kann, wenn sie im Alter von 14 schon beim Eurovision Song Contest aufgetreten sein sollte.
Wenn man ausschließen will, dass zu den vielen Talenten von Vicky Leandros auch jenes gehört, in 64 Jahren 61 Jahre älter zu werden, ist es also eine sehr verwirrende Quellenlage. Insofern mag man der “Bild”-Zeitung, die eh eine ausgewiesene Altersangabenschwäche hat (wie wir in den ersten Jahren von BILDblog gründlich dokumentierten), ausnahmsweise verzeihen, dass sie gelegentlich, wenn sie schon mal das Alter angibt, abweichende Zahlen nennt.
Im Januar 1996 zum Beispiel, als sie 43 offiziell gewesen sein muss, gab ein verzauberter “Bild”-Reporter nach einer Privataudienz (“Vicky kommt — atemberaubend! Endlosbeine in kurzem Ledermini”) ihr Alter mit 46 an. Und auch am 3. Dezember war in einem “Bild”-Artikel unter der Überschrift “Vicky Leandros verzaubert den Michel” nicht 61, sondern 64 als Alter angegeben.
Wenn man eines in diesem Fall ausschließen kann, dann das, was man bei “Bild” sonst nie ausschließen kann: böse Absicht. Auch wenn die Überschrift über dem “Bild”-Artikel zu Vickys 60. Geburtstag im vergangenen Jahr unter diesen Vorzeichen eine ganz neue Bedeutung bekommt:
(Er meinte natürlich, dass sie eigentlich “ewige 20” sei und klärte im Text: “Die Wahrheit ist wahr. Vicky Leandros wird am 23. August (Löwe) wirklich 60.”)
Und nach alldem, was “Bild” für diese Göttin getan hat, lässt sie ihren Anwalt nun einen Brief an die Rechtsabteilung von Axel Springer schreiben?
Unserer Mandantin ist aufgefallen, dass Sie regelmäßig unter falscher Altersangabe über sie berichten (…).
Vicky Freifrau von Ruffin ist am 23. August 1952 geboren und damit 61 und nicht 64 Jahre alt. Wir bitten daher, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass künftig das richtige Geburtsdatum/Alter verwendet wird. Das wollen Sie uns, bitte, kurz bestätigen.
“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann hat den Brief auf Twitter veröffentlicht und kommentiert:
Liebe Vicky, seit wann kommunizieren wir über Anwalt? Du hast doch meine Telefon-Nummer! pic.twitter.com/qDI5uzSV2I
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3. “Das Qualitäts-Dilemma: Publizieren oder prüfen?” (danielbroeckerhoff.de)
Daniel Bröckerhoff arbeitet eigene Fehler auf: “Wenn ich zuviele Fehler mache, könnte es mir irgendwann wie der BILD gehen: Ruf ruiniert. Glaubwürdigkeit dahin. Das will ich auf jeden Fall vermeiden.”
4. “Springer und N24: Keine Frage des Journalismus” (indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
N24 sei kein Nachrichtensender, sondern eine Doku-Abspielstation, schreibt Thomas Knüwer: “Das ist nichts ehrenrühriges, gute Dokumentationen sind toll. Nur: Richtig gute gibt es hier selten. Und: Ein Sender, der diesen Programmschwerpunkt hat, kann im Falle einer wichtigen Entwicklung eben auch nicht wirklich reagieren.”
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1. “Offizielle Stellungnahme zum ‘Fall Ailton'” (olympique-lucerne.ch)
Ein Fußballverein der untersten Liga in der Schweiz teilt mit, Ailton verpflichtet zu haben: “Die Fakten waren aus unserer Sicht derart überspitzt dargestellt, dass die Unglaubwürdigkeit dieser Mitteilung auf der Hand lag. Wir sind ein neuer Verein, der sich aus Fussballfreunden formiert hat. Wir spielen in der 5.Liga (unterste Liga in der Schweiz) und können mit unserem Jahresbudget gerade mal die Kosten decken.”
2. “5.-Liga-Klub veräppelt Medien” (20min.ch, mme)
Die Falschmeldung ist nach wie vor unkorrigiert in vielen Online-Portalen zu lesen. Auf Welt.de heißt es zum Beispiel: “‘Wir sind überglücklich über diesen Transfercoup’, sagte Lucerne-Trainer Saliu Demerali. Ailton selbst wurde auf der Klub-Homepage zitiert: ‘Ailton kommen und dann nur Tore, Tore, Tore.'” Nachtrag, 11:40 Uhr: Der Artikel auf Welt.de wurde inzwischen gelöscht.
3. “Xaver brachte die zweitschwerste Sturmflut seit Beginn der Aufzeichnungen” (plus.google.com, Judith Andresen)
Judith Andresen findet nicht, dass die Medien bei den Warnungen vor Orkan Xaver übertrieben haben: “Die Medien und offizielle Stellen sind also der Idee gefolgt: ‘bei Sturm ist es drinnen sicherer’. Das ist kein Alarmismus. Das ist angemessen. Wir hatten Glück. Das Meer ist stärker, als wir es sind.”
4. “Kalkül der Angst” (faz.net, Mark Siemons)
China droht der Belegschaft von “New York Times” und “Bloomberg” mit einer Ausweisung. “Sämtlichen 24 Korrespondenten der beiden Organisationen wurde verweigert, die Erneuerung ihrer Presseausweise oder ihrer Journalistenvisa zu beantragen, die sie bis Ende des Jahres benötigen, um in China zu bleiben.”
6. “Der Aufruf der Schriftsteller” (faz.net)
Ein von 560 Schriftstellern aus 83 Ländern unterzeichneter Aufruf: “Alle Menschen haben das Recht, in ihren Gedanken und Privaträumen, in ihren Briefen und Gesprächen frei und unbeobachtet zu bleiben. Dieses existentielle Menschenrecht ist inzwischen null und nichtig, weil Staaten und Konzerne die technologischen Entwicklungen zum Zwecke der Überwachung massiv missbrauchen.”
Die Beschwerdeausschüsse des Presserats haben vergangene Woche zum vierten und letzten Mal in diesem Jahr getagt und anschließend fünf öffentliche Rügen, eine nicht-öffentliche Rüge, 18 Missbilligungen und 21 Hinweise ausgesprochen.
Die “Maßnahmen” des Presserates:
Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:
einen Hinweis
eine Missbilligung
eine Rüge.
Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.
Die nicht-öffentliche Rüge erging an Bild.de. Das Portal hatte darüber berichtet, dass eine Landtagsabgeordnete in eine psychiatrische Klinik eingewiesen worden war. Bild.de nannte den Namen der Frau sowie den Hintergrund der Erkrankung und verstieß damit nach Ansicht des Presserats gegen Ziffer 8 des Pressekodex, die besagt, dass körperliche und psychische Erkrankungen zur Privatsphäre gehören.
Eine öffentliche Rüge bekam Bild.de für einen Artikel über die Therapie bei vorzeitigem Samenerguss. Dabei hatte die Redaktion laut Presserat “umfangreich” PR-Material “wörtlich übernommen und nicht entsprechend gekennzeichnet”, außerdem wurden Preis und Name des Medikaments genannt. Der Presserat sah darin einen Verstoß gegen das Schleichwerbungsverbot und die Sorgfaltspflichten im Umgang mit PR-Material (Ziffer 7). Details zu diesem Fall gibt es beim “Medien-Doktor”.
Daneben erhielt Bild.de zwei Missbilligungen — eine, weil die Redaktion gegen die Sorgfaltspflicht verstoßen hatte (Ziffer 2), und eine für die Spekulation über die Hintergründe eines Suizids (Ziffer 8) — sowie einen Hinweis wegen einer falschen Bildunterschrift.
Zwei weitere Hinweise gingen an die gedruckte “Bild”-Zeitung (Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht sowie unzureichende Anonymisierung einer Person).
Der “Dingolfinger Anzeiger” und die Modellbauzeitung “RC-Freizeit” wurden gerügt, weil sie die redaktionelle Berichterstattung von Anzeigenaufträgen abhängig gemacht hatten (Ziffer 7).
Die “Leipziger Volkszeitung” kassierte eine Rüge für einen Kommentar, in dem Demonstranten der NPD und der “Antifa” als “brauner und roter Abschaum” bezeichnet wurden. Der Begriff “Abschaum” sei eine Verletzung der Menschenwürde und damit ein Verstoß gegen Ziffer 9 des Pressekodex, erklärte der Presserat.
Gerügt wurde schließlich auch die “Junge Freiheit” für die Überschrift “Zigeuner können Sozialhilfe bekommen”. In dem Artikel ging es um eine Entscheidung des Landessozialgerichts NRW, nach der Einwanderer aus Rumänien und Bulgarien Anspruch auf Hartz IV-Leistungen haben. Dass sich diese Entscheidung auch auf Schweden, Luxemburger und alle anderen EU-Bürger in Deutschland bezog, verschwieg das Blatt allerdings. Mit der Überschrift habe die Zeitung “suggeriert, das Gericht habe eine Sonderregelung für eine bestimmte ethnische Minderheit im Sozialrecht geschaffen”, argumentierte der Presserat. Für die “willkürliche Heraushebung dieser Minderheit” habe der Ausschuss “keinen sachlichen Grund” gesehen. Sie wirke diskriminierend.
Wie die “willkürliche Heraushebung” von Minderheiten in solchen Fällen bei “Bild” und Bild.de funktioniert, können Sie übrigens hier nachlesen.
Nachtrag, 0.40 Uhr: Das Projekt “Medien-Doktor” hatte sich im September ausführlich mit dem Bild.de-Artikel zum vorzeitigen Samenerguss auseinandergesetzt und Beschwerde beim Presserat eingereicht. Näheres zu dem Fall gibt es hier.