Fotos, auf denen zwei Personen zu sehen sind, sind für Bild.de-Mitarbeiter immer doppelt gefährlich, weil sie dann gleich doppelt danebenliegen können. Wäre schließlich zweifach doof, wenn das Portal — mal als theoretisches Beispiel — ein Foto von Mick Jagger und Paul McCartney veröffentlicht, und in der Bildunterschrift steht dann: “Treffen zweier Musikgiganten: Florian Silbereisen und DJ Ötzi”.
Deswegen erst einmal ein großes Lob von uns: Toll, liebe Bild.de-Promierspäher, dass ihr Spielerberater Mino Raiola auf diesem Foto auf Anhieb erkannt habt.
Und selbst die Info, dass Mino Raiola der Berater von Fußballprofi Paul Pogba ist, stimmt. Links im Bild ist aber gar nicht der französische Nationalspieler Pogba zu sehen — es handelt sich um den Italiener Mario Balotelli, der ebenfalls zu Raiolas Klienten zählt.
Das hätten die Mitarbeiter von Bild.de auch herausfinden können, wenn sie sich 15 Sekunden Mühe gegeben und sich die Fotobeschreibung der Agentur “Getty Images” angeschaut hätten. Denn dort steht:
Agent Mino Raiola and Mario balotelli are seen on March 5, 2013 in Milan, Italy.
Nachtrag, 15:12 Uhr:MancheLeser haben uns darauf hingewiesen, dass die Bild.de-Redaktion in der Bildunterschrift gar nicht explizit — etwa durch ein “(l.)” — schreibt, dass sie den abgebildeten Mario Balotelli für Paul Pogba hält. Wir sind hingegen der Meinung, dass bei einem Foto, das nur zwei Personen zeigt und bei dem durch “(r.)” bereits klar ist, wer wer ist, das “(l.)” aufgrund des Ausschlussprinzips nicht zwingend nötig ist.
In der Zwischenzeit hat Bild.de die Bildunterschrift geändert. Nun wird klar, dass auf dem Foto Balotelli zu sehen ist. Dafür hat das Portal, entgegen unserer Annahme, ein “(l.)” verwendet:
1. Syrischer Flüchtling will nicht weiter klagen (zeit.de)
Der syrische Flüchtling Anas Modamani machte ein Selfie mit Angela Merkel, das um die ganze Welt ging. Auf Facebook wurde es jedoch oft für Hetze, falsche Anschuldigungen und Hasskommentare missbraucht. Daraufhin verklagte Modamani Facebook mit dem Ziel, das Netzwerk möge die verleumderischen Bildposts löschen und darauf basierende Inhalte gar nicht erst zuzulassen. Der Prozess ging verloren, Berufung will er nicht einlegen. Ein weiterer Prozess sei, abgesehen vom finanziellen Risiko, gefährlich für seine Familien in Syrien und in Deutschland.
2. Internationale Medienmacher schreiben Brandbrief an Donald Trump (horizont.net, David Hein)
Der Weltverband der Zeitungen und Nachrichtenmedien hat sich in einem offenen Brief an Donald Trump gewandt. Trump schade mit seinen fortdauernden Angriffen auf die Medien deren Ansehen und Arbeit. Insgesamt haben über 40 Chefredakteure und Geschäftsführer von Verlagen und Newssites den Brief unterschrieben.
3. Fake News und die PR: Was nun? (treibstoff.newsaktuell.de)
Die “dpa”-Tochter “news aktuell” bietet ein kostenloses Whitepaper zum Download an: „Die große Falle: Was das Phänomen Fake News für Kommunikation und PR bedeutet“. Das Dokument behandelt die Probleme der medialen Vertrauenskrise durch Fake News und erklärt, was PR-Leute tun können, wenn ihr Unternehmen und ihre Marke durch Falschinformationen in eine Schieflage geraten.
4. Gestörtes Verhältnis zu Medien (djv.de, Hendrik Zörner)
Nachdem es bei den vergangenen AfD-Parteitagen zu Einschränkungen der journalistischen Berichterstattung kam, meldet sich der Deutsche Journalisten-Verband zu Wort. Es müsse klargestellt werden, dass der AfD-Bundesparteitag im April auf jeden Fall medienöffentlich durchgeführt werde. Der DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall: „Wenn die AfD glaubt, Journalismus auf das Abschreiben ihres Parteiprogramms reduzieren zu können, hat sie die in der Verfassung garantierte Pressefreiheit nicht verstanden.“
5. Urheberrechts-Richtlinie: Die EU will Copyright-Verstöße stärker filtern als Terror-Propaganda (netzpolitik.org, Joe McNamee)
Joe McNamee, geschäftsführender Direktor der NGO European Digital Rights (EDRi), warnt vor der neuen EU-Urheberrechtslinie. Die vorgeschlagenen Maßnahmen für das Urheberrecht gingen weit über das hinaus, was die EU gegen terroristische Online-Inhalte vorgeschlagen hätte.
6. … und nun zu weiteren Nachrichten (taz.de, Simone Schlindwein, Karim El-Gawhary, Thomas Ruttig, Susanne Knaul)
Auslandskorrespondenten der “taz” erzählen von Orten, an denen der Terror zum Alltag gehört. Simone Schlindwein meldet sich aus dem Kongo, Karim El-Gawhary berichtet aus Kairo, Thomas Ruttig, aus Kabul und Susanne Knaul aus Jerusalem. Die Kurzberichte machen nachdenklich. Man erfährt etwas über das jeweilige Land, was sich auch auf die Sichtweise auf die Vorgänge im eigenen Land auswirkt. Simone Schlindwein, die im Kongo mit allgegenwärtigen Terrortaten und Massakern konfrontriert ist, drückt es so aus: “Man soll und darf Leichen nicht gegeneinander aufrechnen. Doch stellen Sie sich mal vor, das würde jeden Tag in Europa passieren – was wäre dann in den Medien los? Journalisten würden die Öffentlichkeit mit Drama terrorisieren, um die Einschaltquoten hochzujazzen. Dabei ist es genau das, was die mutmaßlichen Terroristen wollen – und die Medienwelt arbeitet ihnen brav zu.”
90 Tage später ist diese Nachricht auch in der Ruhrgebiet-Redaktion der “Bild”-Zeitung angekommen. Das Blatt schreibt heute im Sportteil (mit falschem Ergebnis):
Vermutlich hat jemand beim Zusammenwürfeln des Inhalts ein altes Meldungsbein komplett auf die Seite kopiert und drucken lassen. In den anderen kurzen Sportnachrichten ist zum Beispiel zu lesen, dass bei den Fußballern von Eintracht Frankfurt eine Vertragsverlängerung mit Torwart Lukas Hradecky “bereits im Januar-Trainingslager” klappen könnte, und dass die Spieler des FC Montpellier Strafen zahlen werden müssen, wenn sie mit Übergewicht aus dem Weihnachtsurlaub zurückkommen.
Wer am vergangenen Dienstag “Frontal 21” geguckt oder gegen 21:07 Uhr zufällig ins ZDF gezappt hat, konnte sehen, wie zwei Frauen hingerichtet wurden. In einem Beitrag des Fernsehmagazins über die Türkei ging es unter anderem um die “Grauen Wölfe”, die Mitglieder der rechtsextremen “Milliyetçi Hareket Partisi”. Die Sprecherin des ZDF-Beitrags sagte:
Diese Bilder aus den Kurdengebieten verbreiten die Grauen Wölfe über die sozialen Medien selbst.
Menschenrechtsverletzungen. Wie auch in diesem Handy-Video. Experten halten diese Aufnahmen für authentisch: Männer in der Uniform türkischer Soldaten richten zwei kurdische Kämpferinnen hin. “Tamam, okay, das reicht”, sagt der Soldat und geht.
Dazu zeigte “Frontal 21” erst Fotos von verletzten oder getöteten Menschen, neben denen Personen in Uniformen stehen. Die Gesichter der Opfer hatte die Redaktion unkenntlich gemacht. Das ist alles noch im Rahmen. Dann folgte aber das 18 Sekunden lange “Handy-Video”, “Quelle: Twitter”. Man kann sehen, wie eine Frau in ein Erdloch geworfen wird, drei Männer in Uniformen schießen mit ihren Maschinengewehren in das Loch. Gleichzeitig, im Vordergrund der Video-Aufnahmen, schießt ein weiterer Mann in Uniform einer auf dem Boden knienden Frau mit seinem Maschinengewehr in den Kopf.
Diese menschenverachtenden Aufnahmen sind zum Glück nicht gestochen scharf. Es handelt sich eben um etwas wackelige Handy-Aufnahmen. Sie reichen aber aus, um genug zu erkennen: das Zerfetzen des Kopfes, das Zusammensacken des Körpers, das Blut auf dem Boden. Immerhin sind die Gesichter der Frauen nicht zu sehen, auch wenn die “Frontal 21”-Redaktion nichts verpixelt hat. Sie hat das Video, das die “Grauen Wölfe” vermutlich zu Propaganda-Zwecken bei Twitter verbreiten, eins zu eins übernommen.
Jeder, also auch Kinder und Jugendliche, können sich diese ziemlich würdelosen Aufnahmen aktuell rund um die Uhr in der ZDF-Mediathek angucken. Es gibt keine Zugangsbeschränkung.
(Wir haben uns bewusst dazu entschieden, weder den Beitrag in der ZDF-Mediathek zu verlinken noch Screenshots des Videos zu veröffentlichen.)
Nachtrag, 16:57 Uhr: Das ZDF hat reagiert — die gesamte “Frontal 21”-Sendung ist nun erst ab 22 Uhr in der Mediathek abrufbar. *
*Nachtrag, 18:58 Uhr: Die “Frontal 21”-Redaktion hat die Folge vom vergangenen Dienstag kurzzeitig aus der Mediathek genommen, um die kritisierte Stelle zu bearbeiten. Nun sind die Opfer der Hinrichtung komplett unkenntlich gemacht. Der Beitrag ist in der Mediathek wieder abrufbar. In einer Stellungnahme hat das Team auf die Kritik an dem Türkei-Beitrag reagiert:
“Frontal 21” berichtete in der Sendung am Dienstag, 21. März 2017, über Menschenrechtsverletzungen in der Türkei. In dem Beitrag “Türken gegen Erdogan — Machtkampf auf deutschen Straßen” war zu sehen, wie Männer in türkischen Uniformen zwei mutmaßliche kurdische Kämpferinnen erschießen. Die Redaktion “Frontal 21” hatte sich entschieden, die 18-sekündigen Aufnahmen zu zeigen, um das Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen zu veranschaulichen und zu verdeutlichen, mit welcher Brutalität in der Türkei der Kampf gegen Kurden geführt wird. Die Identität der Opfer war auf dem Video nicht erkennbar. Nach Ausstrahlung des Beitrags wurde das Video mit folgendem Warnhinweis in die ZDFmediathek eingestellt: “Achtung: Dieser Beitrag enthält Bilder, die Zuschauer schockieren könnten, da sie eine Erschießungsszene zeigen.” Zuschauer äußerten sich aber dennoch kritisch. Die Redaktion “Frontal 21” nimmt diese Kritik ernst und hat sich entschlossen, die Aufnahmen der Opfer zusätzlich unkenntlich zu machen. Die Redaktion bedauert, wenn die gezeigten Bilder Zuschauer verstört haben.
1. Ablenkmanöver Olympia-Rechte (carta.info, Heiko Hilker)
Heiko Hilker fragt sich, ob es ein strategischer Schachzug von ARD und ZDF war, die Olympiarechte 2018 bis 2024 nicht zu erwerben. In der Öffentlichkeit würden ARD und ZDF es so darstellen, dass ihnen 300 Millionen Euro für vier Olympische Spiele zu teuer gewesen seien. Doch die Absage könnte auch andere Gründe haben: “Dadurch, dass man die Olympischen Spiele 2018 bis 2024 erst einmal nicht bekommen hat, schlägt man mehrere Fliegen mit einer Klappe. Man zeigt, dass man nicht bereit ist, Sportrechte um „jeden Preis“ zu kaufen. Man sorgt dafür, dass fast alle Sportverbände fordern, dass sich die Sportübertragung nicht verschlechtern darf und dass die Sender versuchen sollen, weitere Rechte zu erwerben. Eine Differenzierung wird zwischen den einzelnen Sportarten nicht vorgenommen. Die realen Verhältnisse werden nicht beleuchtet. Und so geht unter, dass die Sender bisher vor allem Männer-Fußball finanzieren.”
2. “Für Menschen, die nachdenken, ist das offensichtlicher Bullshit” (horizont.net, Sebastian Moll)
Medienkritiker Jim Rutenberg arbeitet seit 16 Jahren bei der „New York Times“. Im Interview erklärt er wie das US-Leitmedium mit Donald Trump umgeht. Jenes Leitmedium, das unlängst von der Pressekonferenz des Weißen Hauses ausgeschlossen worden war. Rutenberg gibt sich zumindest in diesem Punkt gelassen: “Ich war selbst Korrespondent im Weißen Haus und habe diese Briefings immer eher als lästig empfunden. Sie bringen einen nicht wirklich weiter. Was einen weiterbringt, ist Recherche.”
3. Wenn Journalisten zu Pizza-Boten werden (uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Ein Teigfladen zum Aufbacken, mit etwas Schokoladenkrümeln belegt. Keine große Sache, aber wenn man nach den Reaktionen der Medien geht, eine Weltsensation! Boris Rosenkranz rekonstruiert auf “Übermedien” wie die “Schoko-Pizza” in den Medien zum Marketing-Selbstläufer wurde: “Wenn Journalisten zu Pizza-Boten werden”
4. „Zeit Online“ über Kölner Band Brings, Bläck Fööss und „Pimmelköpp“? (ksta.de)
Auf “Zeit Online” erscheint ein Artikel über Lukas Podolskis Abschied aus der Nationalmannschaft, in dem – vor allem im Rheinland bekannte – Bands wie Brings, die Höhner, die Bläck Fööss und die “Pimmelköpp” erwähnt werden. Problem: Die “Pimmelköpp” gibt es nicht, gemeint waren wohl die “Klüngelköpp”. Der „Zeit Online“-Sportredakteur streitet jedoch eine Verwechslung ab. Es sollte angeblich nur ein „übertrieben erfundener Gag“ sein… PS: Eine von Witzbolden eingerichtete “Pimmelköpp”-Facebookseite hat bereits mehr als 800 Fans.
5. „Lasst uns streiten“: SLpB-Dialogplattform mit neuem Thema „Medien und Gesellschaft“ online (flurfunk-dresden.de)
Wie das Dresdner Medienblog “Flurfunk” berichtet hat die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung (SLpB) auf ihrer digitale Dialogplattform “Lasst uns streiten” ein neues Thema zum politischen Meinungsaustausch online gestellt. Noch bis zum 13.4. kann dort über das Thema “Medien und ihr Einfluss auf unsere Gesellschaft” gestritten werden.
6. Zettels Alptraum (kreuzer-leipzig.de, Tobias Prüwer)
Tobias Prüwer twittert einen Zettel, auf dem ein Barmensch vorm Kiffen warnt, weil am Nebentisch Polizisten sitzen würden. Danach dreht nicht nur das Internet durch, sondern auch die Medien. Redakteure von “Bild”, “Focus” und “Tag24” stürzen sich auf den Zettel und erfinden Storys ohne jede Rücksprache und Recherche. “Mal schauen, was noch passiert. Aber schon jetzt komme ich aus dem Kopfschütteln nicht heraus. Ich weiß, es ist schlecht um den Journalismus bestellt, aber so schlecht? Echt mal, es war nur eine Notiz! Es gibt wichtige Zettel wie den Schabowskis damals 89. Aber der kleine Witz soll die Öffentlichkeit interessieren? Wegen kiffen und so? Überhaupt, ich hätte das Ding ja auch fälschen können, das hat niemanden interessiert.”
Hier sehen wir, was passiert, wenn man es wagt, sich mit “Bild” anzulegen.
Die Journalistin Petra Sorge hat es gewagt. Sie schrieb einen Artikel, in dem es auch um Kritik an der Berichterstattung des Boulevardblatts geht. Daraufhin verfasste “Bild”-Oberchef Julian Reichelt zahlreiche Tweets über Sorge, er veröffentlichte E-Mails von ihr, eine Kampagne ging los. Es sieht aus wie ein Versuch, Leute abzuschrecken, die kritisch über “Bild” berichten wollen.
Um diese Passage geht es:
Und dann ist da die Sache mit der angeblichen Ex-Freundin seines Sohnes, der Stewardess Maria W. Bild druckte im März 2015 ein Interview mit ihr, wonach Andreas Lubitz angekündigt haben soll: „Eines Tages werde ich etwas tun, was das ganze System verändern wird, und alle werden dann meinen Namen kennen und in Erinnerung behalten.“ Maria W. habe sich wegen seiner Probleme von ihm getrennt: „Er ist in Gesprächen plötzlich ausgerastet und schrie mich an. Ich hatte Angst. Er hat sich einmal sogar für längere Zeit im Badezimmer eingesperrt.“ Das Interview schien genau jenes Puzzleteilchen zu liefern, das noch fehlte zum Bild eines Wahnsinnigen. Als die Staatsanwaltschaft einen Zeugenaufruf startete, meldete sich aber keine Maria W. Staatsanwalt Kumpa erklärt jetzt auf ZEIT-Anfrage: „Ich gehe davon aus, dass ihre Geschichte erfunden ist.“ Der Springer-Verlag hingegen teilt mit, es gebe keinen Anlass, den Artikel online zu korrigieren. Die Aussagen des Staatsanwalts seien “rein spekulativ”, seine Behörde habe die Bild dazu niemals kontaktiert, erklärte ein Pressesprecher.
Der Absatz stammt aus einem Text der “Zeit”, aktuelle Ausgabe. Petra Sorge schreibt dort über Günter Lubitz. Dessen Sohn, Andreas Lubitz, hat als Co-Pilot ein Flugzeug in den französischen Alpen bewusst zum Absturz gebracht. Insgesamt starben 150 Menschen. Über Sorges Text hatten wir am Donnerstag bereits etwas gebloggt.
Auf die oben zitierte Passage hat sich gestern “Bild”-Chefchef Reichelt eingeschossen. Über mehrere Tweets verteilt richtete er sich an Petra Sorge und die “Zeit”:
Die drei Screenshots, die Reichelt Tweet Nummer eins angehängt hat, sind: eine Stellungnahme des “Springer”-Verlags auf eine Anfrage von Petra Sorge und zwei Mails, die Sorge während ihrer Recherche an den Düsseldorfer Staatsanwalt Christoph Kumpa geschickt hatte. Kumpa ist zuständig für die Ermittlungen im Fall Lubitz. Julian Reichelt veröffentlicht also nicht-öffentliche, vertrauliche E-Mails einer Journalistin eines anderen Mediums, die nicht an ihn gerichtet waren und die er sich irgendwie beschafft hat.
Petra Sorge ärgerte sich, ebenfalls bei Twitter, über die “massive Indiskretion” Reichelts:
Bei der Frage, durch wen Reichelt an die Mails gekommen ist, die Sorge an Staatsanwalt Kumpa geschickt hat, scheidet sie als mögliche Kandidatin also schon mal aus. Nach dem Ausschlussprinzip bleiben dann nicht mehr viele Personen übrig, die die Nachrichten weitergeleitet haben können.
Abgesehen von Julian Reichelts ausgesprochen fragwürdiger Methode, fremde E-Mails zu veröffentlichen, sind die Vorwürfe, die er erhebt, recht merkwürdig. Da ist etwa seine Faszination für Petra Sorges Versuch, etwas möglichst genau zu recherchieren, damit sie es im Indikativ schreiben kann. Ein solcher Versuch ist Reichelt anscheinend so fremd, dass er ihn extra noch einmal herausstellt.
Auch der Vorwurf, dass Petra Sorge eine “Springer”-Stellungnahme weggelassen habe, ist süß. Die längere “Zeit”-Passage am Anfang dieses Blogposts zeigt schließlich, dass die Position des Verlags zur Aussage von Staatsanwalt Kumpa immerhin mehrere Zeilen Platz bekommen hat.
Im Laufe der gestrigen Twitter-Diskussion, nachdem sich auch “Zeit”-Journalist Holger Stark eingeschaltet hatte, wurde etwas klarer, was Julian Reichelt meint, wenn er schreibt, Petra Sorge habe “unsere Stellungnahme dazu” weggelassen: Er hätte es wohl gern gesehen, dass die “Zeit” eine ganz bestimmte Passage daraus zitiert. Dass Medien außerhalb der “Bild”-Gruppe ohne seine Einwilligung entscheiden dürfen, was sie zitieren (und was nicht) — damit muss Julian Reichelt wohl zurechtkommen.
Interessant ist, dass er in seinem Ursprungstweet noch die Position von Günter Lubitz erwähnt, verbunden mit dem Vorwurf an Petra Sorge, dass sie “weggelassen” habe, dass “Herr Lubitz schlicht falsche Tatsachen behauptet hat.” In einer der Mails von Sorge, die Reichelt veröffentlich hat, schreibt sie:
(…) und nun hat mir Herr Lubitz bezüglich des BILD-Interviews gesagt:
“Diese angebliche ‘Freundin’ ist eine Erfindung.” Er sagt, das hätten auch Sie (“der Düsseldorfer Staatsanwalt Kumpa”) ihm im Beisein von Zeugen bestätigt.
Das Lubitz-Zitat aus der E-Mail stammt aus der Recherche zum “Zeit”-Artikel. Schaut man sich den letztlich gedruckten Text noch einmal an, sieht man, dass diese Aussage von Günter Lubitz dort gar nicht vorkommt. Warum also aufschreiben, dass dieser möglicherweise irgendwann mal “falsche Tatsachen behauptet hat”, die für die Geschichte aber gar keine Rolle spielen? Nirgends im Artikel gibt es den Vorwurf, dass “Bild” die Frau erfunden habe. Es wird lediglich der Staatsanwalt zitiert, der der Meinung ist, dass die Geschichte der Frau nicht stimme:
Als die Staatsanwaltschaft einen Zeugenaufruf startete, meldete sich aber keine Maria W. Staatsanwalt Kumpa erklärt jetzt auf ZEIT-Anfrage: “Ich gehe davon aus, dass ihre Geschichte erfunden ist.”
Sorge schreibt auch nirgends, dass wahr sei, was Staatsanwalt Christoph Kumpa sagt. Stattdessen darf ein “Springer”-Sprecher direkt im Anschluss widersprechen. Petra Sorge bildet also zwei verschiedene Meinungen zu einem Aspekt ab. Anstatt den Absender der Nachricht, die ihm nicht passt, anzugreifen, attackiert Julian Reichelt lieber die Überbringerin.
Und damit war noch längst nicht Schluss. In 23 weiteren Tweets (Stand: Sonntag, 21:56 Uhr) legte der “Bild”-Chef nach. Er erwähnte noch einmal, dass Sorge das “Springer”-Statement “verschwiegen” habe. Er veröffentlichte eine weitere E-Mail von Petra Sorge. Zwischendurch war er sprachlos und schrieb darüber. Er erwähnte ein weiteres Mal, dass Sorge das “Springer”-Statement “verschwiegen” habe. Er veröffentlichte noch eine E-Mail von Petra Sorge. Er konstruierte einen “Interessenkonflikt!”, weil Tim van Beveren, der das Gutachten für die Familie Lubitz erstellt hat, und Petra Sorge mal im derselben Stadt waren Petra Sorge mal in einem Artikel auf seiner Website verteidigt hat. Er grub einen anderthalb Jahre alten Tweet von Sorge aus. Er kam noch einmal darauf zurück, dass Sorge das “Springer”-Statement “verschwiegen” habe. Viele dieser und seiner anderen Tweets wurden von verschiedenen “Bild”-Regionalredaktionen retweetet. Und auch der “Bild”-Hauptaccount schickte eine Vielzahl von Reichelts Nachrichten über Petra Sorge an seine 1,58 Millionen Follower. Kampagnenjournalismus funktioniert auch bei Twitter.
Am Ende kann die Onlineredaktion der “Hamburger Morgenpost” sagen: “Na also, lagen wir doch richtig.” Und schon wirkt es gar nicht mehr so schlimm, wie die “Mopo”-Mitarbeiter vor zwei Tagen über den möglichen Tod eines Menschen spekuliert haben.
Donnerstagmorgen entdeckte der Schiffsführer einer Fähre im Hamburger Hafen einen leblosen Körper. Die Polizei barg die Wasserleiche, untersuchte ihr Gebiss und stellte fest, dass es sich um den seit elf Wochen vermissten Timo K. handelt. Gestern präsentierten die Beamten die Obduktionsergebnisse, es gab Gewissheit. Überregional hatten Medien seit Januar über K.s Verschwinden und die Suche nach ihm berichtet, nicht nur, aber auch weil er beim Fußballverein HSV arbeitete.
Bereits wenige Stunden nach Bekanntwerden des Leichenfunds begann bei mopo.de die Spekulation, ob es sich um Timo K. handeln könnte. Die Redaktion schlagzeilte am Donnerstagvormittag:
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Artikel durch uns.)
Zu diesem Zeitpunkt stand noch nichts fest. Es gab Vermutungen, schließlich wurde K. ganz in der Nähe zum letzten Mal gesehen. Doch es gab auch Informationen, die gegen diese Vermutungen sprachen. “MOPO-Informationen”:
Nach ersten MOPO-Informationen sei allerdings unwahrscheinlich, dass es sich bei der Wasserleiche um K[.] handle. Kleidung und Erscheinungsbild würden laut Feuerwehrsprecher nicht zu dem Vermissten passen.
Diese Passage stammt aus demselben Artikel, der in der Überschrift noch rätselt, ob “der Tote der verschwundene HSV-Manager” ist. Die Redaktion widersprach sich selbst.
Gut anderthalb Stunden später berichtete auch “Focus Online” über den Fund im Hamburger Hafen. Dort wussten die Mitarbeiter zwar genauso wenig wie ihre “Mopo”-Kollegen, wählten für die Optik aber ein Foto von K. und brachten so seinen möglichen Tod ins Spiel:
Nach ersten Untersuchungen hatte die Polizei dann doch Hinweise gefunden, dass es sich bei der Wasserleiche um K. handeln könnte, dessen Personalausweis zum Beispiel. Bei mopo.de gab es nach Mutmaßüberschrift und Widerlegung im Text die nächste Wendung:
Die Onlineredaktion des “Hamburger Abendblatts” schrieb zwar, dass sich die Polizei nur “nahezu sicher” sei — für die Tatsachenbehauptung, dass man die “Leiche von Timo K[.] gefunden” habe, reichte das aber offenbar:
Inzwischen ist sich die Polizei also komplett sicher, dass es sich bei der Wasserleiche um Timo K. handelt. Die Medien lagen mit ihren Anfangsspekulationen richtig, ohne dass sie dafür eindeutige Anhaltspunkte hatten. Bei ihren redaktionellen Entscheidungen, ob sie eine vermisste Person mit dem Fund einer Wasserleiche in Verbindung bringen, obwohl noch nichts feststeht, scheint die mögliche Wirkung auf die Familie des Vermissten, auf dessen Freunde und Kollegen eine untergeordnete Rolle zu spielen. Hauptsache eine gut klickende Titelzeile.
Vor einigen Wochen gab es bei Bild.de diese Schlagzeile:
Am Ende stellte sich raus: Es stand nicht mal fest, ob das gesichtete Objekt überhaupt eine Wasserleiche war.
Mit Dank an Matthias H., Günther T. und @dermobby für die Hinweise!
1. Reden mit den Rechten (taz.de, Anja Maier)
Die Journalistin und Fernsehmoderatorin Dunja Hayali (u.a. ZDF heute-Nachrichten und ZDF-Morgenmagazin) hat der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ ein Interview gegeben. Anja Maier von der “taz” kann dem Interview nicht allzuviel abgewinnen (“harmlos”) und sieht vor allem einen Gewinner: “Schon jetzt kann man sagen, wer bei der Sache gewonnen hat. Die Junge Freiheit bringt sich mit ihrem Hayali-Interview ins Gespräch. Eine Wochenzeitung, die als Aufreger mal nicht mit Erika Steinbach oder Marcus Pretzell vorliebnehmen muss – so was wirkt fast schon normal.”
Nachtrag: Inzwischen gibt es auf “Übermedien” einen Text von Liane Bednarz (Coautorin: “Gefährliche Bürger: Die neue Rechte greift nach der Mitte”), die sich für das Vorgehen Hayalis ausspricht: Warum es richtig war von Dunja Hayali, mit der „Jungen Freiheit“ zu reden
2. Facebooks Fake-Markierung als Symbolpolitik (welt.de, Christian Meier)
Facebook will zukünftig Beiträge markieren, die nachweislich falsche Informationen enthalten und hat in den USA testweise eine neue Funktion implementiert: Ein rotes Warndreieck soll auf umstrittene Inhalte aufmerksam machen. Christian Maier führt einen Beispielartikel an („Der irische Sklavenhandel – Die Sklaven die vergessen wurden“) und erklärt die Risiken des Ansatzes von Facebook: “Im besten Fall fördert eine Warnung Aufklärung über irreführende Informationen. Beliebte Falschinformationen und Verschwörungstheorien könnten im schlechtesten Fall aber mehr Aufmerksamkeit bekommen als nötig.”
3. Die Landesmedienanstalten gehen gegen Streamer vor (wired.de)
Betreiben erfolgreiche Let’s-Player wie Gamer PietSmiet mit ihren Twitch-Live-Streams mit mehr als 500 Zuschauern verbotene Piratensender? Nun, wenn man nach dem Buchstaben des Gesetzes geht, könnte man diesen Vorwurf durchaus konstruieren. Die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) der Landesmedienanstalten will anscheinend ein Exempel statuieren und plant die Untersagung des Betriebs, wenn bis Ende April kein Zulassungsantrag vorliegen sollte. Das erfolgreiche “PietSmietTV” dürfte die Kosten des Antrags (zwischen 1.000 und 10.000 Euro sind im Gespräch) verkraften, aber für kleinere Streamer könnte ein derartiges Verlangen das Aus bedeuten.
4. “Ich bin immer noch hart” (sueddeutsche.de, Sebastian Fischer)
Vor drei Wochen gab es etwas Aufregung als n-tv die Talksendung “So!muncu!” des Kabarettisten Serdar Somuncu kurzfristig aus dem Programm nahm. Grund waren die als “Breaking News” gekennzeichneten Satire-Einspieler. Nun wurde eine weitere Folge ausgestrahlt. Im Interview mit “sueddeutsche.de” zeigt Somuncu Verständnis für das seinerzeitige Absetzen der Sendung und schaut in die Zukunft: “Im Sommer machen wir erst mal eine Pause. Dann kommt meine Kanzlerkandidatur. Dann werde ich Kanzler.”
5. Regierung erkauft sich loyale Berichterstattung (reporter-ohne-grenzen.de)
In Bulgarien besitzen einige wenige Unternehmer einen Großteil der Medien. Das führt zu gravierenden Einschränkungen der Pressefreiheit: Laut “Reporter ohne Grenzen” erkaufe sich die Regierung über staatliche Zuschüsse loyale Berichterstattung. Finanziert vor allem aus EU-Mitteln… Der Beitrag liefert erschreckende Details über die Situation in dem südosteuropäischen Land.
6. “Guter Journalismus braucht Selbstbewusstsein” (horizont.net, Peter Frey)
ZDF-Chefredakteur Peter Frey plädiert in einem “Horizont”-Gastbeitrag dafür, dass Journalisten wieder selbstbewusster auftreten. Es sei der Eindruck entstanden, dass viele Menschen an Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit der Medien zweifeln würden. Dies sei jedoch nicht der Fall wie man durch eine selbst in Auftrag gegebene Studie bewiesen habe. Frey rechnet vor: “Die Zahl derer, die uns uneingeschränkt vertrauen, liegt bei rund zwei Dritteln. Es gibt also keine die ganze Öffentlichkeit umfassende Glaubwürdigkeits- und Vertrauenskrise.” Seufzend muss man ihm Recht geben und ist geneigt “Na, dann ist ja gut” vor sich hin zu murmeln. Da es “ohne Selbstbewusstsein keinen guten Journalismus geben kann”, stellt sich Frey zum Schluss seines Aufsatzes schließlich selbst ein Abschlusszeugnis aus: “Wir leisten mit unabhängiger Berichterstattung, mit Kritik, Analyse und gut begründeten Meinungsbeiträgen unseren Beitrag für Zusammenhalt und Verständigung – und ganz am Ende, und darum geht es ja, für das Funktionieren dieser Demokratie.”
Morgen jährt sich zum zweiten Mal der Absturz des “Germanwings”-Flugs 4U9525. 150 Menschen sind damals in den französischen Alpen ums Leben gekommen, darunter auch Co-Pilot Andreas Lubitz, der die Maschine bewusst zum Absturz gebracht haben soll. Während viele der Hinterbliebenen sich treffen und gemeinsam trauern werden, werden Lubitz’ Eltern in Berlin bei einer eigens organisierten Pressekonferenz sitzen. Sie wollen ein Gutachten präsentieren, in dem es um Zweifel an den offiziellen Ermittlungen zur Absturzursache gehen soll.
In der “Zeit” von heute ist ein lesenswertes Stück von Petra Sorge zum Thema erschienen (hier eine Zusammenfassung von “Zeit Online”). Sie hat sich mit Günter Lubitz, dem Vater von Andreas, getroffen und mit ihm über verschiedene Gutachten, Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft, seine Motivation gesprochen:
Der Text handelt auch von der Berichterstattung rund um den “Germanwings”-Absturz. Es geht um ein brennendes Grab, um herumschleichende Reporter, um möglicherweise erfundene Interviewaussagen. Es geht vor allem um die “Springer”-Blätter “Bild” und “Welt am Sonntag”.
***
Da ist zum Beispiel der “Bild”-Bericht über das Grab von Andreas Lubitz. In der Print-Ausgabe und online hatten die “Bild”-Redaktionen Ende Juni 2015 groß auf der Titel- beziehungsweise Startseite über die Beerdigung des “Germanwings”-Co-Piloten berichtet …
… und dabei auch dessen Grab, niedergelegte Kränze, letzte Grüße von Freunden gezeigt.
Petra Sorge schreibt in ihrem “Zeit”-Artikel:
Kurz nach der Beerdigung von Andreas Lubitz gelangte ein Reporter auf den Friedhof. Er fotografierte das Grab: Kränze, die letzte Widmung der Familie. Bild veröffentlichte das Foto. Kurze zeit später setzte jemand das Grab in Brand. Der Brandstifter wurde nie gefunden.
Zur Berichterstattung über den Germanwings-Absturz:
Wegen der Veröffentlichung des Fotos folgte ein Gerichtsverfahren, das noch immer nicht endgültig entschieden ist. Inzwischen liegt der Fall beim Bundesgerichtshof:
Das Kammergericht Berlin untersagte den Abdruck des Fotos schließlich, mit der Begründung, die Berichterstattung stelle “einen schwerwiegenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte” der Kläger dar. Der Springer-Verlag hat Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Über die Frage von Pietät, Persönlichkeitsrecht und Grenzen der Pressefreiheit muss nun der Bundesgerichtshof entscheiden.
Nun kann man über einen direkten Zusammenhang von Bericht und Feuer nur mutmaßen. Die Tatsache aber, dass “Bild” und Bild.de trotz des Brandes und der möglichen Gefahr einer weiteren Brandstiftung im vergangenen August wieder mit großen Fotos über das Grab von Andreas Lubitz und den neuen Grabstein dort berichtet haben, wird vor diesem Hintergrund noch ekliger als es eh schon ist.
***
Direkt im Anschluss schreibt Petra Sorge:
Günter Lubitz hat lange überlegt, ob er mit der ZEIT sprechen soll. Mehrmals stand das Treffen auf der Kippe, besonders nachdem im Februar zwei Journalisten nahe dem Haus waren und danach behauptet hatten, die Familie habe sich erstmals öffentlich geäußert. Diese aus dem Zusammenhang gerissene “Äußerung” stammte aus einem Antwortschreiben, mit dem Günter Lubitz schon im November 2016 auf die Bitte um ein Interview reagiert hatte.
Bei den “zwei Journalisten” dürfte es sich um Mitarbeiter der “Welt am Sonntag” handeln. Die Wochenzeitung hatte vor gut einem Monat, am 26. Februar, vier Seiten über den “Germanwings”-Absturz veröffentlicht. In dem langen Text findet sich auch diese Passage:
Erstmals überhaupt haben sich die Eltern nun zu Wort gemeldet. Auf Anfrage der “Welt am Sonntag” schrieben sie: “Zum Absturz des Germanwings-Fluges 9525 ergeben sich auch für uns noch viele unbeantwortete Fragen, merkwürdige Sachverhalte und Zweifel am bisher kommunizierten Unfallhergang. Wir sind momentan selber noch am Recherchieren.” Zu dem “völlig falsch gezeichneten Bild” ihres Sohnes wollen sie sich momentan aber noch nicht äußern.
Ein “Unfallhergang”? Ein “völlig falsch gezeichnetes Bild” ihres Sohnes?
Aus einer E-Mail-Absage auf eine Interview-Anfrage vom November 2016 macht die “Welt am Sonntag” im Februar 2017 also die exklusive Nachricht, dass Lubitz’ Eltern sich “erstmals überhaupt” geäußert hätten.
Die Aussagen der angeblichen “Ex-Freundin” über Lubitz’ angebliche Ausraster und seine angeblichen Ankündigungen waren nur wenige Tage nach dem Unglück entscheidende Bausteine bei der medialen Konstruktion eines Psychogramms.
“Bild” schreibt in dem Artikel:
Die Stewardess Maria W. (26) war eine zeitlang die Freundin von Todes-Pilot Andreas Lubitz (27).
Fünf Monate lang flogen sie im vergangenen Jahr zusammen durch Europa und übernachteten heimlich gemeinsam in Hotels.
BILD-Reporter John Puthenpurackal hat ihre Identität überprüft. Er ließ sich u.a. ein Foto zeigen, das die Stewardess und den Amok-Piloten bei einem Flug in derselben Crew zeigt.
Wir haben den Namen auf ihren Wunsch geändert, sie so fotografiert, dass sie nicht erkannt werden kann. In BILD spricht jetzt die Frau, die diesem Mann sehr, sehr nah war.
Trotz Identitätsprüfung durch Reporter Puthenpurackal und Foto-zeigen-lassen glaubt Staatsanwalt Christoph Kumpa laut “Zeit” inzwischen, dass die Aussagen in dem “Bild”-Artikel erfunden seien. Petra Sorge schreibt:
Und dann ist da die Sache mit der angeblichen Ex-Freundin seines Sohnes, der Stewardess Maria W. Bild druckte im März 2015 ein Interview mit ihr, wonach Andreas Lubitz angekündigt haben soll: “Eines Tages werde ich etwas tun, was das ganze System verändern wird, und alle werden dann meinen Namen kennen und in Erinnerung behalten.” Maria W. habe sich wegen seiner Probleme von ihm getrennt: “Er ist in Gesprächen plötzlich ausgerastet und schrie mich an. Ich hatte Angst. Er hat sich einmal sogar für längere Zeit im Badezimmer eingesperrt.” Das Interview schien genau jenes Puzzleteilchen zu liefern, das noch fehlte zum Bild eines Wahnsinnigen. Als die Staatsanwaltschaft einen Zeugenaufruf startete, meldete sich aber keine Maria W. Staatsanwalt Kumpa erklärt jetzt auf ZEIT-Anfrage: “Ich gehe davon aus, dass ihre Geschichte erfunden ist.”
“Bild” wehrt sich im “Zeit”-Artikel gegen diesen Vorwurf.
Oft ist der Ablauf so: Bei einem Verbrechen gibt es eine oder mehrere tatverdächtige Personen, dann ermitteln die zuständigen Behörden und am Ende steht hoffentlich fest, wer Täter oder Täterin, Krimineller oder Kriminelle ist. Das Ermitteln ist ein wesentlicher Bestandteil.
Gestern Abend hat Ekkehard Falk, Polizeipräsident von Konstanz, dem Gemeinderat Sigmaringen die Kriminalitätsstatistik der Stadt präsentiert. Darunter auch diese Zahlen, wie das Online-Portal der “Schwäbischen Zeitung” schreibt:
Die Polizei ermittelte im vergangenen Jahr knapp 950 Tatverdächtige. 426 von ihnen sind Ausländer, 292 Flüchtlinge.
Tatverdächtige. Nicht Täter.
Welche Überschrift passt da dann so gar nicht, schwäbische.de?
Aufs Ermitteln verzichtet die “Schwäbische Zeitung” offenbar.