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Jung und alt, Kahlschlag bei Tele 5, “Bekenntnisse” des Investors

1. Fünf Dinge, die der deutsche Journalismus von jungen Medien lernen kann
(meedia.de, Felix Dachsel)
“Vice”-Chefredakteur Felix Dachsel wundert sich in seinem Gastbeitrag für “Meedia” über die Schadenfreude mancher Medienschaffenden, was das Schicksal einiger junger Journalismus-Plattformen angeht. Dies sei nicht nur fehl am Platz, so Dachsel, sondern kontraproduktiv: Die etablierten Alt-Medien könnten durchaus von den neuen Ansätzen lernen. Er führt dazu fünf lesenswerte Gedanken an und schließt seinen Appell mit den Worten: “Wir junge Medien hatten ein hartes Jahr, einige sind auf der Strecke geblieben. Wir können stolz sein, experimentiert zu haben. Wenn älteren Kollegen etwas gelegen ist an der Zukunft, dann verzichten sie auf Häme. Am Ende lösen wir das Rätsel, wie der Journalismus überleben kann, nur gemeinsam.”

2. Von Wohltätern und subalternen Journalisten
(schienestrasseluft.de, Thomas Rietig)
“Bekenntnisse eines Firmenjägers” lautet die Unterzeile des Buchs des Investors Peter Löw. Angeblich 250 Firmen will der umtriebige Löw im Laufe der Zeit gekauft haben. Einer dieser Käufe war der deutsche Dienst der internationalen Nachrichtenagentur AP (aus dem, zusammen mit der Agentur ddp, die Agentur dapd wurde). Die Investition endete zwei Jahre später mit der Pleite, 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter standen auf der Straße. Thomas Rietig arbeitete damals für die Agentur und hat das Buch deshalb mit besonderem Interesse gelesen. Seine Rezension offenbart viele verstörende Einblicke hinsichtlich Löws geschäftlichem Gebaren und dessen Sicht auf den Journalismus: “‘Die meisten Journalisten, die wir kennenlernten, hatten gebrochene Lebensläufe. Abgebrochene Studiengänge, schlechte Examina, gestörtes Sozialverhalten, Kettenrauchen, Alkoholismus, hier kam alles zusammen.'”

3. Kahlschlag bei Tele 5: Muss fast die Hälfte des Teams gehen?
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Nachdem sich Discovery Deutschland den Fernsehsender Tele 5 einverleibt hat, kommt nun der befürchtete, aber erwartete personelle Kahlschlag: Etwa die Hälfte der Belegschaft falle dem Stellenabbau zum Opfer. Thomas Lückerath schreibt: Der Zeitpunkt, “einen Monat vor Weihnachten, stößt jetzt vielen besonders bitter auf. Zumal der Sender nach früheren Angaben des ehemaligen Geschäftsführers Kai Blasberg über Jahre hinweg Gewinne einfuhr, die dem Sender Extravaganzen und Experimente ermöglichten.”

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4. Schlechter als sein Ruf
(deutschlandfunk.de, Christoph Sterz, Audio: 6:18 Minuten)
Der Messengerdienst Telegram erfreut sich derzeit großer Beliebtheit, ist jedoch mit Vorsicht zu genießen. Wegen fehlender Ende-zu-Ende-Verschlüsselung seien private Nachrichten zum Teil und Gruppenchats grundsätzlich eher unsicher. Außerdem hat sich das Programm zum Tummelplatz für Verschwörer und Kriminelle entwickelt. Christoph Sterz erklärt die Hintergründe und zeigt, warum Telegram beim Gesetz gegen Hass im Netz durchs Raster fällt.

5. ZAPP spezial: Medien im Corona-Stress
(ndr.de, Video: 29:56 Minuten)
“Zapp” beschäftigt sich in einem Spezial mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Medienwelt. Oben verlinkt ist die komplette Sendung. Wer sich für die Teilthemen interessiert:

6. “Bild” kommt heute mit Advents-Sonderausgabe mit 3 Mio Auflage.
(turi2.de, Anne Fischer)
Es soll niemand sagen, wir hätten sie oder ihn nicht gewarnt: In einer medialen Superspreader-Aktion will die “Bild”-Redaktion heute in ausgewählten Regionen Leserinnen und Leser mit ihrem Junk-Blatt infizieren. Der Axel-Springer-Verlag lässt in Städten wie Hamburg, Hannover, Frankfurt, Köln und Berlin kostenlos zwei Millionen einer “Advents-Sonderausgabe” verteilen. Wir wünschen den Betroffenen ein gesundes Immunsystem und ausreichend Platz in der Altpapiertonne.

“Bild live”: Vier Stunden Falsches zum Terroranschlag in Wien

In der Nacht von Montag auf Dienstag sendete “Bild” eine mehr als vierstündige “Bild live”-Sondersendung zum Terroranschlag in der Wiener Innenstadt. Wie schon in den “Bild TV”-Sendungen zu den Anschlägen in Halle und in Hanau zeigte sich auch dieses Mal das grundlegende Problem: Wenn eine Redaktion, die seit Jahren und Jahrzehnten vor allem dadurch auffällt, dass sie schlecht Recherchiertes und Falsches in Umlauf bringt, sich in eine Live-Situation begibt, in der sie unbedingt etwas zeigen und erzählen muss, kann dabei nur eine mittlere Katastrophe rauskommen. Dann werden falsche Gerüchte weiterverbreitet, es wird der Polizeieinsatz gefährdet und Angst gemacht.

Ein paar Beobachtungen von uns.

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Es dauert nicht mal eine halbe Stunde, da verbreitet “Bild” schon das erste falsche Gerücht. Moderatorin Nele Würzbach sagt:

Jetzt in diesem Moment erreichen uns auch Nachrichten, dass es an einem dritten Ort in Wien zu einer Geiselnahme gekommen sein soll. Wie passt das jetzt in diesen Amoklauf oder diesen Terrorangriff herein? Erst die Schüsse, jetzt also auch eine Geiselnahme.

Der zugeschaltete Terror-Experte Nicolas Stockhammer antwortet:

Es ist mit sehr, sehr großer Wahrscheinlichkeit in einen Zusammenhang zu setzen. Diese Geiselnahme soll sich (…) in einem Schnellrestaurant soll es zu dieser Geiselnahme gekommen sein. Also aus meiner Sicht gibt es einen unmittelbaren Konnex.

Eine Geiselnahme in einem Schnellrestaurant hat es nicht gegeben.

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Der immer noch zugeschaltete Terror-Experte Stockhammer erzählt:

Aktuell habe ich gerade gehört, dass in der U-Bahnlinie U3 es zu einer Schießerei gekommen sein soll. Und sich das Geschehen da ins U-Bahnnetz verlagert haben soll.

Eine solche Schießerei im U-Bahnnetz hat es nicht gegeben.

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Die Redaktion spielt in Dauerschleife verschiedene Videos aus Wien ein. Sie alle scheinen mit Smartphones aufgenommen worden zu sein und aus den Sozialen Netzwerken zu stammen. Eines zeigt eine Szene vor einem Restaurant: Eine Person liegt in einer Blutlache. Anfangs ist diese Stelle noch verpixelt, später nimmt die “Bild”-Redaktion diese Verpixelung raus.

Screenshot der Bild-live-Sendung
(Unkenntlichmachung durch uns.)

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“Bild”-Vizechefredakteur Paul Ronzheimer, der fast die gesamte Sendung über im “Bild”-Studio steht, sagt:

Also wir müssen noch mal zusammenfassen: Es gab also einen Terroranschlag in der Nähe der Synagoge. Wir wissen immer noch nicht, wie viele Menschen getötet oder verletz worden sind. Gleichzeitig gibt es eine Geiselnahme in einem Hotel.

Die Geiselnahme nun also ganz ohne “soll” und inzwischen “in einem Hotel” statt in einem Schnellrestaurant. Ob Ronzheimer dieselbe Geiselnahme meint wie vorhin seine Kollegin Nele Würzbach, ist nicht klar. So oder so: Die Geiselnahme hat es nicht gegeben.

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Wieder ist Terrorexperte Stockhammer dran. Er sagt:

Es gab zwischenzeitlich Schüsse im Stadtpark. (…) Und man spricht auch davon, dass sich einer der Täter selbst in die Luft gesprengt haben soll.

Weder das eine noch das andere stimmt.

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Nun ist “Bild”-Reporterin Dora Varro zugeschaltet, die vor dem Anschlag zufällig in der Wiener Innenstadt unterwegs war. Sie stellt noch mal alles Falsche als gesicherte Fakten dar:

Es ist klar, dass es eine Geiselnahme gab. Es ist klar, dass es Schüsse beziehungsweise eine Gewalttat in einer U-Bahn gekommen ist. Und mehr wissen wir ehrlicher Weise noch nicht. Also noch nicht, was ich dir als Fakten nennen kann. Das sind die Sachen, die wir ganz genau wissen.

Nichts davon stimmt.

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Obwohl die Wiener Polizei bei Twitter eindringlich darum bittet, keine Videoaufnahmen zu verbreiten, weil dies “sowohl Einsatzkräfte als auch [die] Zivilbevölkerung” gefährde, verbreitet die “Bild”-Redaktion Videoaufnahmen – von Menschen, die in Panik wegrennen, vom Täter, der in einer Gasse um sich schießt, von einem Polizisten, der angeschossen wird, und auch von weiteren Polizisten im Einsatz: wie sie über einen Kreisverkehr rennen, wie sie ein Lokal durchsuchen, wie sie die Innenstadt absichern.

Screenshot eines Tweets der Wiener Polizei - Nochmal: Keine Videos und Fotos in sozialen Medien posten, dies gefährdet sowohl Einsatzkräfte als auch Zivilbevölkerung

Auf der Bild.de-Startseite heißt es kurze Zeit später:

Screenshot Bild.de - Schüsse, Blut, Menschen rennen um ihr Leben - Erste Videos aus der Terror-Nacht von Wien!
(Unkenntlichmachung durch uns.)

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Moderatorin Würzbach zitiert aus österreichischen Medien:

Und, ganz wichtig: Sie sagen, dass ein Polizist angeschossen worden ist, und er soll seinen Verletzungen erlegen worden sein. Außerdem berichtet die Krone-Zeitung davon, dass sich einer der Täter selbst in die Luft gesprengt hat. Dies alles aber Medienberichte, noch nichts davon ist bestätigt.

Es ist kein Polizist beim Einsatz in Wien gestorben. Und es hat sich auch niemand selbst in die Luft gesprengt.

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“Bild”-Vize Ronzheimer verbreitet die nicht-existente Geiselnahme noch mal als gesichertes Wissen:

Neben dem Tatort im ersten Bezirk in Wien, in der Nähe der Synagoge, gibt es eine Geiselnahme, die sich in der Nähe im Hilton-Hotel abspielen soll. Das ist das, was wir wissen.

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Moderatorin Nele Würzbach sagt:

Österreichischen Medienberichten zufolge soll sich ein Täter in die Luft gesprengt haben, ein Täter soll bereits festgenommen worden sein.

Es wurde kein Täter festgenommen.

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Inzwischen ist Terror-Experte Peter Neumann zugeschaltet. Moderatorin Würzbach fragt ihn:

Manche Medienberichte aus Österreich sprechen von bis zu zehn Tätern. Ist das, kann man das als normal überhaupt bezeichnen in so einer Situation, aber zehn Täter, für was spricht das?

Es gab nicht zehn Täter, sondern einen.

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Terror-Experte Neumann spekuliert ein bisschen über Tote:

Ich gehe eher davon aus, dass wahrscheinlich eher so zehn Tote, ein Dutzend Tote mindestens zu beklagen sein werden.

Es wurden vier Menschen vom Attentäter getötet, und dazu der Attentäter durch die Polizei.

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Die “Bild”-Redaktion spielt ein Video ein, auf dem mehrere Menschen vor Polizisten auf Motorrädern weglaufen und die Polizisten auch teilweise angreifen:

Screenshot Bild live

Dieses Video stammt nicht aus Wien, sondern aus Barcelona.

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Noch einmal Neumann:

Ich glaube, dass dieser Anschlag von längerer Hand vorbereitet war. Das geht nicht so einfach, dass man innerhalb von wenigen Tagen so eine koordinierte Kampagne auf die Beine stellt.

Es handelte sich nur um einen Täter, es gab also keine “koordinierte Kampagne”.

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Für Moderatorin Würzbach sieht es offenbar so aus, als würde sich der Terror eine Schneise durch Europa schlagen, vom Süden Richtung Norden, mit dem Ziel Deutschland:

Herr Neumann, wenn Sie jetzt sagen: Jetzt kommt die Welle, wie groß muss die Sorge jetzt auch hier in Deutschland sein, dass hier eines der nächsten Ziele dann ist? Wir haben es jetzt in Nizza, in Wien, diese Anschläge kommen immer näher.

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Für Zwischentöne ist bei Bild.de kein Platz. Terror-Experte Peter Neumann sagt bei “Bild live”:

Sollte es sich allerdings als richtig herausstellen, muss man sagen: Das wäre eine absolut unglaubliche Situation, dass es sechs Tatorte gleichzeitig gibt in der Wiener Innenstadt, dass Täter mit Langwaffen herumlaufen. Das wäre wahrscheinlich die größte und koordinierteste terroristische Attacke seit Brüssel und Paris 2015/16. Aber, wie gesagt: großes Aber.

“Sollte”, Konjunktiv, Kojunktiv, “großes Aber”. Im Bild.de-Liveticker wird daraus:

Screenshot Bild.de - Terrorexperte Neumann: Größte Attacke seit Brüssel und Paris 2015/2016 - Terrorexperte Peter Neumann sprach bei Bild live von der größten Attacke seit Brüssel und Paris 2015/2016.

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Nun ist Reporterin Antonia Rados per Telefon zugeschaltet. Auch sie befindet sich in Wien. Und sagt:

Was wir gesehen haben, das ist ja ein ähnliches Szenario, was wir hier in Wien zumindest bisher sehen können, wie der Anschlag auf “Charlie Hebdo”. Wenn Sie sich daran erinnern: Da war auch ein Kommando, das eben losgestürmt ist und dann geschossen hat und versucht hat, dann zu entkommen. Und dass es damals auch eine Geiselnahme ja auch gegeben hat. Gleichzeitig auch immer wieder mehrere parallele Terroranschläge. Sowas ähnliches als Muster scheint es hier heute Abend in der österreichischen Hauptstadt abzulaufen.

In Wien gab es kein “Kommando”. Es gab keine Terroristen, die geflüchtet sind. Es gab keine Geiselnahme. Und es gab auch keine “parallelen Terroranschläge”.

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Gerade mal acht Minuten, nachdem sie all diese unverifizierten Gerüchte verbreitet hat, sagt Antonia Rados:

Wir müssen da im Moment extrem aufpassen, weil natürlich in diesen angespannten Situationen sich alle möglichen Gerüchte verbreiten. Also alles muss auch vorsichtig berichtet werden und dann auch verifiziert werden.

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Immer wieder ist an diesem Abend ein Video zu sehen, auf dem der Attentäter auf einen Passanten schießt. Zuerst in einer Version, in der das Opfer komplett verpixelt ist. Später ist die Unkenntlichmachung verschwunden. Erst in dem Moment, in dem geschossen wird, erscheint eine digitale dunkle Fläche über dem Mann, wodurch man ihn nicht mehr sehen kann. Wiederum etwas später sendet die “Bild”-Redaktion weitere Aufnahmen, in denen sich Polizisten um den am Boden liegenden Mann kümmern. Dort ist er nicht mehr verpixelt, es gibt auch keine dunkle Fläche, die ihn vor den Blicken der “Bild live”-Zuschauer schützt.

Screenshot Bild live
(Unkenntlichmachung durch uns.)

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“Bild”-Chefreporter Frank Schneider beschreibt diese Videoaufnahmen. Aus dem Vorgehen des Täters schließt er:

Was wiederum doch ein Stück weit zeigt, dass es dort offenbar eine Ausbildung gegeben hat, denn das ist das typische vorgehen, was Dschihadisten in ihrer Ausbildung in arabischen Ländern bekommen.

Der Täter soll zwar den Plan gehabt haben, sich dem sogenannten “Islamischen Staat” in Syrien anzuschließen. Er ist allerdings in der Türkei daran gehindert und wieder nach Österreich geschickt worden. Eine “Ausbildung in arabischen Ländern” hat er nicht bekommen.

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Jetzt ist Hans Mahr im “Bild”-Studio angekommen. Mahr war früher unter anderem RTL-Chefredakteur und soll nun als Berater für “Bild TV” tätig sein. Er erzählt:

Eine Frau, die ich persönlich kenne, hat mir berichtet: Sie war in einem Lokal (…), da wurden die Leute alle in den ersten Stock raufbefördert und dort evakuiert. Von dort haben sie zuschauen können, wie vier der Terroristen, wir haben vorher den Film gesehen, vier der Terroristen entwaffnet wurden und festgenommen wurde.

Die Personen, die auf einem Video zu sehen sind, das auch “Bild live” zeigt, sind nicht “vier der Terroristen” – es gab nur einen, und der wurde zuvor von der Polizei erschossen. Sie dürften auch mit den Anschlag nichts zu tun haben und dementsprechend nicht “entwaffnet” worden sein. Jedenfalls werden sie später bei Pressekonferenzen der österreichischen Regierung nicht weiter erwähnt.

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Antonia Rados ist wieder zugeschaltet. Sie verbreitet das nächste falsche Gerücht:

[Die Polizisten] sagten, ich müsste sofort hier weg. Das war in der Nähe vom Stadtpark übrigens, wo sich angeblich, das ist jedenfalls eine der Informationen, die wir haben, wo sich angeblich eine Gruppe von Terroristen verstecken soll.

Diese “Gruppe von Terroristen” gab es nicht.

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Moderatorin Nele Würzbach nimmt sich noch einmal die vermeintliche Festnahme von vier vermeintlichen Tätern vor:

Aber auch eine Festnahme. Herr Mahr, Sie hatten davon auch berichtet, dass Augenzeugen das dann gesehen haben. Vier Männer sieht man da, die dann oberkörperfrei festgenommen worden sind. Das alles spricht also dafür, dass es tatsächlich mehr als eine Handvoll von Tätern insgesamt dann gab. Wir sehen hier also dieses Video einer Verhaftung, konnten auch mit einer Augenzeugin sprechen, die das Ganze gesehen hat. Hier, vier Männer, einer der Angreifer soll tot sein, mindestens einer noch immer auf freiem Fuß. Vielleicht sogar zwei. Das heißt, wir sprechen von sechs, sieben Tätern mindestens, die jetzt hier in Wien also diesen Terrorangriff vollzogen haben.

Es gab nur einen Täter.

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Ex-RTL-Mann Hans Mahr hat “nicht nur Gerüchte” im Angebot, “sondern fast schon Mitteilungen”:

Es gibt in der Zwischenzeit, wir haben hier gerade neue Meldungen bekommen. Nicht nur Gerüchte, sondern fast schon Mitteilungen, dass es bis zu sieben Tote sein könnten, die dieses Attentat gefordert haben kann.

Es waren nicht sieben Tote.

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Und noch einmal Hans Mahr:

Man darf auch nicht vergessen: Das Erstaunliche bei diesem Attentat war, dass es so viele Täter, so viele, die miteinander verbunden waren, hier in Aktion getreten sind. Bei all den anderen Anschlägen waren es ein, zwei, drei Täter. Diesmal sprechen wir von minimum sechs Tätern, manche Berichte sogar von zehn.

Auch das: komplett falsch.

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Natürlich könnte man jetzt sagen: Ja, gut, hinterher ist man immer schlauer. Und exakt das ist der Punkt: Weil man vorher meist ziemlich ahnungslos und damit ziemlich anfällig für falsche Gerüchte ist, sind “Bild live”-Sondersendungen zu “Breaking News” so gefährlich.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

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Instagrams dunkle Seite, Was bleibt vom Hörspiel?, Holocaustleugnung

1. Die dunkle Seite von Instagram
(zeit.de, Amna Franzke & Lisa Hegemann)
Instagram genieße bei vielen den Ruf eines “Wohlfühlnetzwerks”, doch die Plattform werde zunehmend politisch genutzt – mit der damit einhergehenden Gefahr der Radikalisierung. Zur “dunklen Seite von Instagram” würden auch Verschwörungsideologien gehören. Amna Franzke und Lisa Hegemann ordnen die Problematik ein, die häufig noch gar nicht als solche wahrgenommen wird.
Weiterer Lesehinweis: Wie bereits vergangene Woche in den “6 vor 9” erwähnt, hat “Correctiv” über einen Zeitraum von mehreren Monaten untersucht, wie sich die rechte Szene auf Instagram vernetzt, und hat dazu rund 4.500 Accounts analysiert. Eine unbedingt lesenswerte Recherche, die zeigt, wie geschickt und planvoll dort hinsichtlich Propaganda und Neurekrutierung vorgegangen wird. Lohnenswert ist auch ein Blick in den Begleitartikel “So sind wir vorgegangen”, in dem genau beschrieben wird, wie die Datenrecherche im Einzelnen erfolgte.

2. Warum Facebook Holocaustleugnung weltweit löschen will
(sueddeutsche.de, Simon Hurtz)
Noch vor etwa zwei Jahren hatte Facebook-Chef Mark Zuckerberg es abgelehnt, Posts, in denen der Holocaust geleugnet wird, löschen zu lassen: “Ich finde das extrem abstoßend. Letztendlich glaube ich trotzdem nicht, dass unsere Plattform das löschen sollte.” Anscheinend hat beim Konzern ein Umdenken stattgefunden: Gestern erfolgte die Bekanntgabe, dass man zukünftig weltweit jegliche Inhalte verbiete, die den Holocaust leugnen oder verharmlosen.

3. Machs gut, altes Haus!
(taz.de)
Die “taz” ist vor einiger Zeit innerhalb Berlins umgezogen: Vom alten Standort in der Rudi-Dutschke-Straße ein paar hundert Meter weiter in einen Neubau in der Friedrichstraße. Nun* denken einige Autoren und Autorinnen nochmal an die alten Zeiten zurück. Rausgekommen ist eine wunderbar melancholische Sammlung ganz persönlicher Erinnerungsschnipsel.
*Nachtrag des Kurators: Zu Recht werde ich darauf hingewiesen, dass der Artikel bereits älter ist. Warum er dennoch in die heutigen “6 vor 9” gerutscht ist, kann ich mir nur mit frühmorgendlichem Koffeinmangel erklären und damit, dass ich ihn mir als besonders lesenswert gebookmarkt hatte.

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4. Was bleibt vom Hörspiel?
(mmm.verdi.de, Danilo Höpfner)
Podcasts erfreuen sich als Audioformat großer Beliebtheit, doch das klassische Hörspiel hat es immer schwerer. Die öffentlich-rechtlichen Sender hätten ihre Produktionen sukzessive heruntergefahren. Ins Privatradio hätten es Hörspiele, von wenigen Ausnahmen abgesehen, eh nie geschafft. Die Öffentlich-Rechtlichen begännen nun, ihre vorhandenen Hörspiele ins Netz zu stellen. Dieses Vorhaben gestaltet sich jedoch aus rechtlichen Gründen als nicht so einfach, wie man es annehmen könnte.
Literaturtipp für Hörspiel-Interessierte: Die “Kleine Geschichte des Hörspiels” (Hans-Jürgen Krug, Halem Verlag).

5. Mehr Menschen halten Medien für glaubwürdig
(meedia.de)
Laut einer WDR-Studie würden zwei Drittel der befragten Personen die Informationen in deutschen Medien für glaubwürdig halten. Das seien so viele wie noch nie. Auch der Anteil derer, die eine politische Einflussnahme auf die Berichterstattung in den Medien vermuten, sei gesunken. WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn kommentiert: “Es ist aus meiner Sicht insgesamt ein gutes Zeugnis für den Zustand unserer Gesellschaft, dass im Jahr der Pandemie das Vertrauen in die Medien, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk aber auch in die politischen Institutionen insgesamt so gestiegen ist. Die Kritiker der Corona-Maßnahmen machen sich zwar laut bemerkbar, sind aber doch nur – wie die Studie erneut zeigt – eine Minderheit.”

6. dpa-Fotograf Anas Alkharboutli für Serie “The War in Syria” ausgezeichnet
(presseportal.de, Jens Petersen)
Der syrische dpa-Fotograf Anas Alkharboutl ist für seine Bilderserie “The War in Syria” mit der “Young Reporter Trophy (Bild)” ausgezeichnet worden. In den Mittelpunkt seiner Fotos stellt Alkharboutl die Zivilbevölkerung in Syrien und deren Leiden in dem vom Bürgerkrieg zerstörten Land.

Döpfner absetzen, Zeitungssterben, Polizeilicher Korpsgeist kommt zu Fall

1. Döpfner beim Wort nehmen – und absetzen
(uebermedien.de, Jürn Kruse)
In seinem Kommentar zur unethischen Solingen-Berichterstattung von “Bild” und RTL lenkt Jürn Kruse den Blick auf das große Ganze. Dazu gehört der Mann, der der Zeitungsbranche als Präsident des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) vorsteht: der Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner. “Wenn der Rest der Branche wirklich so empört ist über das, was ‘Bild’ unter Reichelt treibt, dann sollten die Kolleg*innen nicht die Verantwortung nach unten delegieren, auf die Reporter*innen, sondern nach oben. Sie sollten Döpfner beim Wort nehmen, auf die eigenen Verlegerinnen und Verleger einwirken, dass sie Verantwortung übernehmen – und sich einen neuen BDZV-Präsidenten suchen.”

2. Brauchen wir eine zentrale Medien-Beschwerdestelle?
(radioeins.de, Daniel Bouhs, Audio: 4:02 Minuten)
Beim Presserat seien mittlerweile mehr als 160 Beschwerden wegen der Solingen-Berichterstattung der “Bild”-Redaktion eingegangen, zur Berichterstattung von RTL seien beim zuständigen Kontrollorgan hingegen gar keine eingegangen (Update: inzwischen sollen es zwei sein). Wie ist das zu erklären? Und brauchen wir vielleicht eine zentrale Medien-Beschwerdestelle? Medienjournalist Daniel Bouhs sieht akuten Handlungsbedarf: “Damit wir alle mit Beschwerden helfen können, dass Medien gut kontrolliert und gerügt werden, wenn sie so in die Schüssel greifen wie jetzt BILD und RTL, braucht es eine und vor allem auch eine sichtbare Beschwerde-Zentrale für unsere Medienlandschaft.”

3. Bauer setzt schachmatt
(taz.de, Steffen Grimberg)
Das Zeitungssterben hat beängstigende Auswirkungen: Gerade in strukturschwachen Räumen gebe es oftmals “Einzeitungskreise” – das sind Regionen, die von einer einzigen Zeitung mit Nachrichten beliefert werden. In bestimmten Regionen würden sogar “Keine-Zeitung-Kreise” drohen. Steffen Grimberg berichtet über die bedenkliche Marktkonzentration und Marktaufteilung durch Verlagskooperationen und Aufkäufe.

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4. Aktivisten fordern neues Format vor der “Tagesschau”
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider, Audio: 5:04 Minuten)
In einer Petition samt Crowdfunding setzt sich die Projektgruppe “#Klima vor 8” für mehr Klimaberichterstattung ein: “Wir fordern, in den fünf Minuten vor der Tagesschau abwechselnd zu ‘Börse vor 8’ eine Sendung auszustrahlen, die sich den Themen Umwelt-, Klimaschutz und Nachhaltigkeit widmet – wir fordern #Klima vor 8!” Nachdem das notwendige Geld eingesammelt wurde, sollen nun Pilotfolgen gedreht werden, die man dem Sender vorlegen wolle. Der Deutschlandfunk hat sich umgehört, wie die Aktion bei Experten und Senderverantwortlichen ankommt.

5. “Wir müssen den Leuten zuhören”
(journalist.de, Ute Korinth)
Ute Korinth hat sich mit dem US-amerikanischen Medien-Experten Jeff Jarvis unterhalten. In dem Interview geht es vor allem um die Auswirkungen der Corona-Krise auf den Journalismus. Von staatlichen Subventionen für die angeschlagene Medienbranche hält Jarvis wenig: “Ich glaube, das ist gefährlich. Und hier muss ich nochmal auf die Unterschiede bezüglich des Marktes, der Regierung und der Kultur zu sprechen kommen. In den vergangenen Jahren, als die Leute gesagt haben, der Staat sollte die Medien hier in Amerika unterstützen, habe ich darauf eine Zwei-Wort-Antwort gegeben: Donald Trump. Es läuft mir ein kalter Schauer den Rücken herunter, wenn ich daran denke, dass er die Kontrolle über das Geld und das Schicksal von Medien hat. Als Antwort für meine europäischen Freunde, die sagen, wir haben ZDF und BBC, habe ich zwei Worte: Boris Johnson.”

6. Fotograf bringt mit seinen Aufnahmen Polizisten in Bedrängnis
(berliner-zeitung.de, Alexander Schmalz)
Der Foto- und Videograf Julian Stähle erlitt gleich doppeltes polizeiliches Unrecht: Zunächst wurde er während seiner Arbeit von Polizisten verletzt und danach wegen angeblichen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte angeklagt. Sein Glück, dass die Speicherkarte seiner (zerstörten) Kamera die ihn entlastenden Beweisbilder konserviert hatte. So konnten die Aufnahmen vor Gericht gezeigt werden – mit drastischen Konsequenzen für den Fortgang der Verhandlung: “Als die Bilder im Gericht gezeigt wurden, soll bei den Polizisten sofort die Stimmung gekippt sein, berichteten Zeugen. Als Stähles Anwalt daraufhin kritische Fragen stellte, brach der Beamte, der seinen Kollegen gedeckt hatte, im Zeugenstand zusammen. Der Polizist musste mit einem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht werden. Der Fotograf wurde freigesprochen.”

Spekulationen zum Täter von Hanau: Warum “Bild live” der letzte Mist ist

Gestern gegen 22 Uhr dringt ein bewaffneter Mann im hessischen Hanau in eine Bar ein und erschießt mehrere Menschen. Dort und an einem weiteren Tatort, zu dem der Täter fährt, sterben neun Personen. Später entdeckt die Polizei in einer Wohnung zwei weitere Leichen: die des Täters und die von dessen Mutter. Die Bundesanwaltschaft soll von einem “Verdacht einer terroristischen Gewalttat” sprechen. Ein Bekennerschreiben spricht dafür, dass es sich bei dem Täter um einen Rassisten handelt.

Gegen 1:30 Uhr startet die erste “Bild live”-Sondersendung zur “Bluttat in Hanau”.

Ein kommentiertes Protokoll.

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Moderator Moritz Wedel sagt zu Beginn der Sendung:

Die Informationen derzeit unübersichtlich. Wir versuchen, das, was wir zur Stunde wissen, für Sie zu dieser späten Stunde zusammenzufassen.

Das Versprechen “was wir zur Stunde wissen” werden er und seine “Bild”-Kollegen in den kommenden knapp 43 Minuten nicht ansatzweise einlösen können.

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“Bild”-Reporter Tobias Bayer ist in Hanau. Er erzählt von seinen Erlebnissen vor Ort. Offenbar hat er ein paar Angehörige der Getöteten belästigt befragt:

Ich habe mit einigen Angehörigen sprechen können. Die Stimmung hier deutlich aggressiv. Man drohte mir, das Handy aus der Hand zu schlagen. Da sind Emotionen im Spiel. Das waren wohl auch Angehörige von mutmaßlich Toten hier. Da muss man das auch, denke ich, verstehen und richtig einordnen können.

Zum “Täterumfeld” sagt er:

Ich habe aus relativ gut unterrichteten Quellen in Hanau hier erfahren — aber ich muss dazu sagen: Das sind nur Spekulationen –, dass es sich hier bei dem Täterumfeld um Russen handeln könnte.

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Moderator Moritz Wedel will wissen: “Beschreib uns das Milieu bitte etwas: Was ist das für ein Stadtteil? Was ist das für eine Straße? Könnte vielleicht das Umfeld dieser Shisha-Bar Schrägstrich Sportsbar auf irgendwelche Motive oder Hintergründe dieser Tat hindeuten?”

Reporter Bayer weiß, dass das, was er nun antwortet “alles nur reine Spekulation” ist — und spekuliert dann wild rum:

Das ist jetzt zu diesem Zeitpunkt alles nur reine Spekulation. Ich habe aber aus mehreren Quellen erfahren, dass es eben bei den Opfern mit ziemlich großer Sicherheit um kurdischstämmige Menschen handeln soll. Das bestätigt auch mein Bild, das ich hier vor Ort sehe. Die Menschen, die hier stehen und weinen. Einige sind zusammengebrochen. Da mussten die Rettungssanitäter noch mal helfen und die Menschen beruhigen. Die Menschen, die ich hier sehe, sind eben vermehrt Menschen mit Migrationshintergrund, mutmaßlich türkischem, was ich so sprachlich höre: türkische Sprache, aus dem arabischen Sprachraum kommend. Also türkische und kurdische Menschen, die unter den Opfern sein sollen. Und eben es gibt auch Quellen, die behaupten, dass die Täter aus mutmaßlich russischem Umfeld kommen sollen. Es gibt auch Anwohner, aber das halte ich für viel zu früh, zumindest Spekulationen, dass es aus einem sehr rechtsradikalen Milieu eine Tat sein könnte. Einfach aufgrund der Tatsache, dass es um Shisha-Bars geht. Aber ich glaube, das ist viel zu früh, um das einzuordnen.

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“Bild”-Chefreporter Frank Schneider wird zugeschaltet und erzählt, dass man ja noch gar nicht wisse, ob die Angriffe an den zwei Tatorten nacheinander stattfanden oder gleichzeitig. Und er spricht auch von Organisierter Kriminalität. Da hakt Moderator Wedel nach: “Frank, wenn Du jetzt ein bisschen Hanau einschätzen musst: Ist das, Du hast von Organisierter Kriminalität gesprochen, ist das ein Hotspot in der Region?” Das könne er so nicht sagen, antwortet Schneider, speziell was die angegriffenen Bars angeht. Aber:

Wenn jetzt möglicherweise diese Bars von Menschen betrieben werden, die Streit mit anderen haben, oder es geht da um Vormacht, worum auch immer, oder eben Schutzgelderpressung. Es kann ja auch sein, dass die Betreiber der Bars schlicht und ergreifend kein Schutzgeld bezahlen wollten. Das wäre dann natürlich, wie gesagt, eine Qualität, die hat es in Deutschland so noch nicht gegeben. Aber das wären jetzt alles reine Spekulationen.

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Währenddessen blendet die “Bild”-Redaktion ein:

Screenshot Bild live - Möglicherweise zwei Schießereien gelichzeitig

Auch an anderen Stellen in der Sendung fällt der Begriff “Schießerei”. Das ist wahrlich nicht der schlimmste Aspekt an dieser Sondersendung, die die “Bild”-Redaktion zusammengezimmert hat, aber passend ist das Wort nicht.

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“Bild” hat Hanaus Bürgermeister Claus Kaminsky am Telefon. Er sagt:

Meine Aufgabe sehe ich im Moment eher, dafür zu plädieren, dass wir Ruhe und Besonnenheit an den Tag legen. Und auch wildes Spekulieren, in welche Richtung auch immer, hilft uns im Moment überhaupt nicht weiter.

In welche Richtung ein solche Hinweis wohl zielt? Moderator Wedel will dann gleich Informationen zu den Opfern. Kaminsky sagt, dass er lieber verlässliche Informationen der Polizei abwarten will.

***

Reporter Tobias Bayer ist wieder dran:

Ich habe mich ein bisschen weiterbewegt. Hier hinter mir sieht man direkt die gelbe Wand. Ich weiß nicht, ob man es im Dunklen so gut erkennen kann. Da ist wohl die Shisha-Bar, um die es gehen soll. Man sieht sogar eine Aufschrift: […]. Eine kleine Leuchtreklame “Open” leuchtet da. Dieses “Open” gilt nun natürlich nicht mehr.

Moderator Moritz Wedel fragt schon wieder: “Was ist das für ein Viertel, für ein Stadtteil dort, wo sich der Tatort befindet?”

Bayer antwortet:

Hanau ist eine relativ beschauliche Stadt in Hessen. Natürlich bekannt auch ein bisschen für die relativ hohe Kriminalität. Ähnlich wie Offenbach oder Darmstadt gibt es hier gewisse Milieus und soziale Schichten hier. Ich würde mal von einer nicht gutbürgerlichen Stadt sprechen, sonder eher eine etwas prekärere Lage vor Ort und in den Stadtteilen eher eine höhere Arbeitslosigkeit und deswegen sozial eine eher schwache Stadt. Aber die Menschen sind trotzdem irritiert, dass das in ihrem Hanau passiert ist.

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“Bild”-Redakteur Florian von Heintze steht im “Bild live”-Studio. Er sagt: “Die Täter oder der Täter, man kann aber von mehreren Tätern wohl ausgehen, sind flüchtig.”

Und:

Es hat sich noch nicht bestätigt, dass es sich bei der Auseinandersetzung oder bei den Angriffen, muss man schon sagen, auf diese Bars um Auseinandersetzungen im kriminellen Milieu gehandelt hat. Es war zunächst auch die Rede von möglichem rechtsextremen Hintergrund. Das ist aber auch alles noch Spekulation. Es verdichten sich allerdings dann doch wohl die Hinweise darauf, dass es eher im kriminellen Milieu sich abspielt das Ganze.

***

Nun erzählt wieder Reporter Tobias Bayer über den möglichen Hergang am Tatort, an dem er gerade steht. Seine Ausführungen beendet er mit: “Aber all das bisher unbestätigte Informationen, ganz wichtig, reine Spekulation.”

***

Moderator Wedel will wieder über die Hintergründe sprechen:

Tobi, jetzt ist natürlich die Frage: Welche Hintergründe könnten diese Taten haben? Ist es ein Verbrechen im Milieu? Ist es ein Anschlag aus dem rechten Lager? Was glauben oder was fühlen die Menschen zumindest vor Ort? Glauben oder wissen kann man ja zu dieser Stunde wohl kaum sagen, aber was hörst Du so? Das hat ja auch viel damit zu tun, in welchem Milieu sich diese Straße, dieser Bereich der Stadt befindet.

Bayers Antwort:

Es gab hier die Angst, dass es sich um einen rechtsradikalen, einen rechtsextremen Anschlag handeln könnte, weil eben zwei Shisha-Bars oder Bars mit Shisha-Konsum aufgesucht wurden, wo ja vermehrt auch immer Menschen sind mit, muslimische Menschen öfters auch vorzufinden sind. Aber die meisten Spekulationen, die ich bisher wahrnehmen konnte, gehen eher in die Richtung, dass es sich um eine Milieutat handeln könnte. So soll es sich bei den Tätern mutmaßlich um Russen handeln.

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Die Redaktion zeigt ein Video, auf dem Schüsse des Täters zu hören sein sollen. Moderator Wedel mutmaßt, dass dort “offensichtlich Sanitäter” zu sehen sind, und sagt:

Das Ganze noch nicht verifiziert, aber so verbreiten sich die Videos im Netz jetzt nach dieser schrecklichen Tat und geben einen Einblick auf das, was passiert sein könnte in Hanau

Und “Bild” verbreitet mit.

***

Der beste, vielleicht einzige journalistische Moment der “Bild live”-Sendung: Auf die Frage, was er zu einem angeblich gefassten Täter berichten kann, antwortet Reporter Tobias Bayer:

Dazu liegen mir momentan noch keine gesicherten Erkenntnisse vor. Der Polizeisprecher ist noch nicht vor Ort, der Pressesprecher der Polizei, der macht sich gerade hier auf den Weg. Und sobald ich den bekommen kann, werde ich das versuchen, dass wir auch mit ihm sprechen können.

***

Frank Schneider ist noch mal dran. Moderator Moritz Wedel will von ihm wissen, “in welchem Milieu” sich die Tat abgespielt haben könnte. Schneider:

Ja, wie ich vorhin schon gesagt habe: Das Milieu kann eigentlich nur sein, dass es möglicherweise um Delikte geht im Drogenmilieu oder es geht um Schutzgelderpressung. Was genau die Hintergründe sind, kann man natürlich momentan noch nicht sagen, weil man nicht weiß, was in diesen Bars genau passiert, welche Kundschaft dort verkehrt, was es für Vorfälle vielleicht in jüngster Vergangenheit gab. Das muss man jetzt im Einzelnen klären.

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Das war’s dann auch.

Natürlich ist es leicht, im Nachhinein schlauer zu sein und zu wissen, dass es nicht “Russen” waren, die da geschossen haben; dass es nicht um “Schutzgeld” oder ums “Drogenmilieu” ging; dass man nicht “von mehreren Tätern wohl ausgehen” kann. Es wäre aber auch leicht, nicht so viel zu spekulieren, wenn man noch nicht so schlau ist. Und vor allem wäre das verantwortungsvoll.

Stattdessen aber kritisieren “Bild”-Mitarbeiter wie Paul Ronzheimer die öffentlich-rechtlichen Sender, die den Ereignissen nicht mit Live-Sendungen hinterherhecheln und mit ihrer Breaking-News-Raterei Falschinformationen verbreiten. Auf die Kritik, dass es bei “Bild” lediglich “pure Spekulation zum Tathintergrund im Livestream” gebe und dass das “kein seriöser Journalismus” sei, antwortete Ronzheimer, dass er diesen ganzen, oben protokollierten Murks für eine tolle Sendung hält:

Sehe ich anders, das war eine hochprofessionelle Sendung, u.a. mit Augenzeugen und Live-Interview des Bürgermeisters.

Weist man ihn dann darauf hin, dass seine Redaktion “hochprofessionell” über völlig falsche Tatmotive spekuliert, entgegnet Ronzheimer nur:

BILD war das erste Medieum, das über den rechtsradikalen Hintergrund berichtet hat heute morgen.

Es ist zu befürchten, dass er das tatsächlich für ein gutes Argument hält.

  • Drüben bei “Übermedien” spricht Stefan Niggemeier die Parallelen zur Berichterstattung über eine Mordserie an, die sich später als die Morde des NSU entpuppten. Außerdem hat er einen Worst-of-Zusammenschnitt der “Bild live”-Sendung erstellt.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Begeben Sie sich ins Sturm-Chaos, “für BILD!”

Julian Reichelt will mit “Bild TV” “Deutschlands ersten User Generated Channel” aufbauen. Und dafür braucht seine Redaktion natürlich, um mal im Jargon zu bleiben, User Generated Content. Zum Beispiel, wenn sie in einer “Bild live”-Sendung über das Sturmtief Sabine und das damit verbundene “WETTER-CHAOS” berichten will:

Screenshot Bild.de - Filmen Sie für uns das Wetter-Chaos

Der Sturm kommt! Orkantief Sabine trifft am Sonntag auf den Norden Deutschlands — und fegt dann über das ganz Land!

Wenn Sabine wütet, kommt mit ihr Chaos: Abgedeckte Dächer, umgeknickte Bäume, zerstörte Fassaden — alles möglich. Sind Sie Augenzeuge? Haben Sie spektakuläre Fotos oder Videos aus dem Auge des Sturms? Dokumentieren Sie, wie das Orkantief bei Ihnen wirbelt, für BILD!

Greifen Sie zum Smartphone, fotografieren und/oder filmen Sie, was bei Ihnen vor Ort passiert. Sind Bäume umgestürzt oder Dächer abgedeckt? Sind Sie vielleicht sogar selbst Sturm-Opfer?

Wer wollte nicht schon immer mal für ein bisschen “Bild”-Berühmtheit die Gefahr eingehen, von einem Ast erschlagen oder einem umherfliegenden Dachziegel getroffen zu werden? Von einer Bezahlung für die Fotos und Videos ist im Bild.de-Artikel nicht die Rede.

Weiter hinten im Text, nachdem die Redaktion bereits beschrieben hat, was man wie und mit welchen Angaben wohin senden soll, schickt sie noch eine Alibi-Warnung hinterher:

UND GANZ WICHTIG: BRINGEN SIE SICH BEI DEN AUFNAHMEN NICHT SELBST IN GEFAHR!

Schon klar: Man soll “zum Smartphone” greifen und fleißig “fotografieren und/oder filmen”. Man soll “für BILD” dokumentieren, “wie das Orkantief bei Ihnen wirbelt”. Man soll “aus dem Auge des Sturms”, mit dem “Chaos” komme, Material liefern, das “Bild” dann kostengünstig verwursten kann. Aber in Gefahr soll man sich bitte, bitte nicht bringen.

Mit Dank an Marcel und @doestrei für die Hinweise!

Bis sich die Balken biegen (10)

Vielleicht braucht man bestimmte Medikamente, die derzeit nicht geliefert werden können, um dieses Balkendiagramm aus der Wochenendausgabe der “Eßlinger Zeitung” verstehen zu können. Ohne blickt man jedenfalls nicht ganz durch:

Ausriss aus der Eßlinger Zeitung - In den Apotheken kommt es trotz des Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung von 2019 zu Lieferengpässen bei bestimmten Medikamenten. Wie sind Ihre Erfahrungen? - dazu Balken, die überhaupt nicht zu den dargestellten Prozentwerten passen

Mit Dank an Thomas für den Hinweis!

“Bild” berichtet über den Unfall in Südtirol: “HABT IHR SIE NOCH ALLE?”

Die “Bild”-Medien berichten seit einigen Tagen ausgiebig über einen Unfall in Südtirol, bei dem sieben Menschen starben, und der Fahrer stark alkoholisiert war. Dabei läuft sehr vieles sehr schief.

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Auf der heutigen “Bild”-Titelseite zeigt die Redaktion Fotos der Opfer und des Unfallfahrers:

Ausriss Bild-Titelseite - Horror-Unfall in Südtirol - Die jungen Leben zerstörte der Totraser - Und dieses Auto machte er zur Waffe

Die Unkenntlichmachung bei drei der Opfer und beim Fahrer stammt von uns, die beim Opfer ganz rechts stammt von “Bild” (dazu später mehr). Das zweite Opferfoto von links, das “Bild” heute auf Seite 1 und auf Seite 3 unverpixelt zeigt und das auch bei Bild.de auf der Startseite unverpixelt zu sehen war, zeigt allerdings eine Frau, die mit dem Unfall rein gar nichts zu tun hat. Sie war nicht in Südtirol und vor allem: sie lebt.

Gestern Abend schrieb sie bei Facebook (nur für Freunde öffentlich zu sehen):

LIEBE BILD? Wie kann das passieren? Ich bin am Leben und es wird wahllos ein Bild vor gefühlt 8 Jahren ins Netz gestellt obwohl ich nicht betroffen bin? HABT IHR SIE NOCH ALLE? schlimm genug dass ihr mit der Story Kohle verdient!

Bild.de hat das Foto inzwischen ausgetauscht und zeigt nun zum selben Opfernamen ein unverpixeltes Foto einer anderen Frau. Im “Bild”-E-Paper war das Foto noch lange zu sehen. Inzwischen sind auch dort die Fotos auf der Titelseite und auf Seite 3 ausgetauscht. An Tankstellen, in Bäckereien und an Kiosken liegen hingegen weiter Hunderttausende “Bild”-Exemplare aus, auf deren Titelseiten eine lebende Frau mit unverpixeltem Foto für tot erklärt wird.

Wir haben bei “Bild”-Sprecher Christian Senft nachgefragt, wie es zu dem Fehler kommen konnte. Er hat uns bisher nicht geantwortet.

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Die “Bild”-Medien zeigen Fotos von vier weiteren Personen, bei denen es sich um Menschen handeln soll, die bei dem Unfall gestorben sind. Als Quellenangabe gibt die Redaktion für alle “PRIVAT” an, was nichts anderes heißen dürfte als: Bei Facebook oder Instagram per rechter Maustaste zusammengeklaubt.

Außerdem geht “Bild” sehr unterschiedlich bei der Unkenntlichmachung vor: Manche Fotos sind verpixelt, andere nicht. Bei den zwei Personen, die verpixelt sind, steht in den Bildunterschriften:

Ausriss Bild-Zeitung - Auf Wunsch der Eltern hat Bild sein Foto verpixelt und Auf Wunsch der Familie hat Bild das Foto verpixelt
(Unkenntlichmachung durch uns.)

Eines der Fotos zeigt einen Mann, das andere eine Frau. Bei dem Mann ist die “Bild”-Redaktion ziemlich inkonsequent: Im Blatt ist sein Gesicht entsprechend der Bildunterschrift verpixelt, auf der Titelseite hingegen nicht — zumindest in der E-Paper-Ausgabe. Bei der gedruckten “Bild” ist sein Gesicht zumindest in Berlin auch auf der Titelseite verpixelt. Nachdem wir “Bild”-Sprecher Senft in unserer Mail auf die fehlende Verpixelung auf Seite 1 aufmerksam gemacht haben, hat die Redaktion es auch im E-Paper überall verpixelt.

Wir wollten von Christian Senft wissen, ob “Bild” und Bild.de bei den Eltern aller Opfer nachgefragt hat, ob diese mit einer Foto-Veröffentlichung — gepixelt oder ungepixelt — einverstanden sind. Er hat uns bisher nicht auf unsere Frage geantwortet.

Und wir haben Senft gefragt, ob “Bild” die Eltern und Familien, die in den Bildunterschriften erwähnt werden, vor der Veröffentlichung der Fotos gefragt hat, ob das verpixelte Zeigen ihres Kindes für sie in Ordnung ist — oder ob diese sich bei “Bild” melden mussten, nachdem die Redaktion die Fotos bereits unverpixelt veröffentlicht hatte, um wenigstens noch die Verpixelung zu erreichen.

Auch darauf hat Christian Senft nicht geantwortet. Es spricht aber vieles dafür, dass die Familien intervenieren mussten, damit die Fotos ihrer Kinder nachträglich verpixelt werden: Der oben bereits erwähnte Mann, dessen Foto die “Bild”-Medien “auf Wunsch der Eltern” verpixelt haben, war gestern Nachmittag noch ohne Unkenntlichmachung auf der Bild.de-Startseite zu sehen:

Screenshot Bild.de - Suff-Fahrer raste J. in den Tod
(Unkenntlichmachung durch uns.)

Entweder haben die Eltern sich umentschieden (erst unverpixelt in Ordnung, dann nur verpixelt in Ordnung). Oder die “Bild”-Redaktion hat einfach, ohne zu fragen, das Foto unverpixelt veröffentlicht, und die Eltern mussten aktiv werden.

Ganz ähnlich bei der Frau, deren Foto “Bild” “auf Wunsch der Familie” verpixelt hat: Anfangs war ein Foto, das sie zeigt, bei Bild.de verpixelt, dann nicht mehr und nun wieder.

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Wir haben “Bild”-Sprecher Senft gefragt, ob die Eltern und Familien der Opfer, deren Fotos nicht verpixelt sind, einer unverpixelten Veröffentlichung zugestimmt haben, oder ob sie sich bisher einfach nicht gegen die unverpixelte Veröffentlichung gewehrt haben. Auch darauf bekamen wir keine Antwort.

Die Veröffentlichung des Fotos der Frau, die “Bild” fälschlicherweise für tot erklärt hat, spricht dafür, dass die “Bild”-Medien niemanden vorher gefragt haben — denn wer stimmt schon einer (unverpixelten) Veröffentlichung zu, wenn man überhaupt nichts mit dem Fall zu tun hat?

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Viele Beiträge zum Thema hat Bild.de hinter die Paywall gestellt. So auch diesen “MIT VIDEO”:

Screenshot Bild.de - Um 16.55 Uhr postete J. noch ein Video aus dem Hexenkessel - Knapp neun Stunden später war sie tot
(Unkenntlichmachung des Namens und der Person in der Mitte durch uns. Unkenntlichmachung der beiden Personen außen durch Bild.de.)

Nicht nur, dass die Redaktion sich private Videoaufnahmen einer verstorbenen Person besorgt — sie versucht dann auch noch, damit ein paar Abos zu verkaufen und Geld zu machen.

***

Um an Informationen zu kommen, scheinen die “Bild”-Medien nicht nur die Profile der Opfer in den Sozialen Netzwerken zu durchforsten — offenbar behelligen sie auch deren Familien. Bei Reddit schreibt ein User:

Heute hab ich plötzlich eine Nachricht von einer Freundin bekommen, dass eines der Opfer der Bruder ihres Freundes ist. Ich kannte den verstorbenen Bruder nicht persönlich, aber dafür ihren Freund und war auch wenn ich nicht viel mit ihm zutun habe zutiefst geschockt.

Was mir allerdings dann erzählt wurde lässt mir echt den Kragen platzen. Anscheinend haben irgendwelche fuckig Reporter von der Bildzeitung wie auch immer herausgefunden, wo die Angehörigen des verstorbenen wohnen und noch am selben Tag angeschellt, die Familie bedrängt und nach einem Interview gefragt. Wie kann man so fucking dreist sein? Man kriegt die Nachricht von der Polizei, dass dein Sohn/Bruder gestorben ist und am selben Tag kommt die scheiß Bildzeitung zu dir nach Hause und fragt nach einem Interview, damit sie aus der Tragödie anderer Menschen Material für ihre scheiß Titelseite haben um Leute zu ködern ihre scheiß Zeitung zu kaufen?

Außerdem haben uns mehrere BILDblog-Leserinnen und -Leser geschrieben, dass sie Verwandte der Opfer kennen. Sie alle sagen, dass die Berichterstattung der “Bild”-Medien für die Familien nur schwer zu ertragen sei.

***

Neben den Fotos der Opfer veröffentlichen “Bild” und Bild.de auch mehrere unverpixelte Fotos des Unfallfahrers. Online ist sein Gesicht seit mehreren Tagen durchgängig auf der Startseite zu sehen. Dass der Mann derzeit “als psychisch nicht stabil gilt”, berichten die “Bild”-Medien zwar; ein Grund, seine Fotos nur verpixelt zu zeigen, ist das für sie aber offensichtlich nicht. In einem Video zeigte Bild.de sogar eine unverpixelte Aufnahme, während ein Reporter erzählt, dass der Mann gerade in eine psychiatrische Einrichtung eingeliefert wurde.

Wir haben den “Bild”-Sprecher gefragt, ob die Redaktion eine Erlaubnis des Mannes hat, seine Fotos ohne Unkenntlichmachung zu zeigen. Christian Senft hat darauf nicht geantwortet.

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“Bild” und Bild.de hauen alles zu dem Fall raus, was sie in die Finger bekommen. Zwei Titelseiten sind zu dem Unfall in Südtirol schon erschienen, im Blatt zwei Doppelseiten, weit mehr als ein Dutzend Artikel bei Bild.de und dazu online mehrere Live-Sendungen. Es wirkt ein bisschen wie ein weiterer Probelauf für den geplanten “Bild”-TV-Sender: Wie groß können alle “Bild”-Kanäle auf einmal ein Thema machen?

Dafür sind 14 (!) Autorinnen und Autoren im Einsatz. Mit ihrer Arbeit sorgen sie dafür, dass Familien, die gerade einen geliebten Menschen verloren haben, sich in ihrer Trauer auch darum kümmern müssen, dass das Schicksal ihres Kindes, ihres Bruders oder ihrer Schwester nicht gnadenlos von einer Boulevardredaktion ausgeschlachtet wird.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Nachtrag, 8. Januar: Von “Bild”-Sprecher Christian Senft haben wir nach wie vor keine Antworten auf unsere Fragen bekommen. “DWDL” hat er heute allerdings geantwortet:

Gegenüber DWDL.de äußerte sich Springer-Sprecher Christian Senft am Mittwoch jedoch zu der Foto-Panne: “Aufgrund eines bedauerlichen Fehlers in der Herstellung ist bei der umfassenden Berichterstattung von ‘Bild’ zum tragischen Unfall in Südtirol in der gedruckten Zeitung ein falsches Foto für eines der Unfallopfer erschienen. Wir haben dafür bei der betroffenen Familie um Entschuldigung gebeten und das Foto online sowie im E-Paper sofort ausgetauscht. Insofern uns die Familien darum gebeten haben, wurden die Fotos der Opfer bei der Berichterstattung verpixelt.”

Eine Antwort auf die Frage, weshalb sich “Bild” überhaupt dazu entschlossen hat, Fotos der Opfer unverpixelt zu drucken, gab es nicht.

Nachtrag, 9. Januar: Für eine Bitte um Entschuldigung oder wenigstens eine Korrektur, dass die Redaktion eine falsche Person für tot erklärt hat, war in “Bild” bisher leider kein Platz.

Bild  

Unfallursache: Frau

Im baden-württembergischen Gerlingen ist, hehe, in der Nacht zu Mittwoch ein Auto, prust, in eine Hauswand gekracht, und, gleich kommt die Pointe, am Steuer saß, zwinkerzwinker, eine Frau!

Oder wie “Bild” schlagzeilt:

Ausriss Bild-Zeitung - Morgens um 4 Uhr und eine Frau am Steuer - dazu ein Foto des zerstörten Unfallwagens

Ja, doch, die “Bild”-Redaktion bewegt sich noch immer auf dem Niveau von eigentlich längst eingemotteten Stammtischkloppern wie “Frau am Steuer, das wird teuer”: Es sei “keine Bombe” gewesen, die dort am Unfallort eingeschlagen ist, …

sondern ein BMW. Mit einer Frau (26) am Steuer, morgens um 4 Uhr.

In den 43 Zeilen, die der Artikel aus der Stuttgart-Ausgabe der “Bild”-Zeitung umfasst, war zwar Platz für eine Beschreibung der “großen Steinbrocken”, die nun “auf dem schönen, weißem Ledersofa liegen”, und für den Hinweis, dass die Fahrerin “in einer Linkskurve (…) die Kontrolle über ihren Wagen” verlor; die wahrscheinlichen Unfallursachen passten aber leider nicht mehr hinein. Neben zu hoher Geschwindigkeit dürfte das vor allem Alkohol gewesen sein. Das zuständige Polizeipräsidium Ludwigsburg schreibt in seiner Pressemitteilung jedenfalls:

Vermutlich infolge von Alkoholeinwirkung und nicht angepasster Geschwindigkeit ist die 26-jährige Fahrerin (…) von der Fahrbahn abgekommen (…)

Bei der Autofahrerin stellten Polizeibeamte Anzeichen von Alkoholeinwirkung fest und veranlassten die Entnahme einer Blutprobe.

Bei “Bild” machen sie daraus lieber: Unfallursache: Frau.

Mit Dank an @Medienfestival für den Hinweis!

Wenn “Bild” “Terror” sagt, dann soll auch “die Politik” “Terror” sagen

Nur einen Tag, nachdem ein Mann im hessischen Limburg absichtlich mit einem Lkw in mehrere Autos gefahren sein soll und dabei acht Menschen verletzt hat, schrieb “Bild”-Parlamentsbüro-Leiter Ralf Schuler:

Zusammengeschobene Autos, verletzte Menschen, ein zerbeulter LKW:

Die Szenerie in Limburg ruft direkt Erinnerungen an ISIS-Anschläge hervor.

Und Schuler blieb auf der ISIS-Fährte:

In ihrem Propagandamagazin “Dabiq” und in Ansprachen ihres früheren Sprechers al-Adnani hatte die Terrororganisation ihre Anhänger zu Anschlägen mit Fahrzeugen aufgerufen.

Mit “Erfolg”:

► Am 14. Juli 2016 ermordete der Dschihadist Mohamed Lahouaiej Bouhlel mit einem Lkw in Nizza 86 Menschen.

► Am 19. Dezember 2016 desselben Jahres erschoss Anis Amri einen Lkw-Fahrer und ermordete mit dem Fahrzeug anschließend elf Menschen auf dem Berliner Breitscheidplatz.

► Auch der in Limburg festgenommene Syrer soll mehrfach versucht haben, einen Lkw zu kapern, bis es ihm am Montag schließlich gelang und er mehrere Menschen verletzen konnte.

Ein LKW, ein Syrer, Schulers “Erinnerungen an ISIS-Anschläge” — der Vorfall in Limburg kann doch nur ein islamistischer Terroranschlag gewesen sein. Und so fragten Ralf Schuler und “Bild” vorwurfsvoll in ihrer Überschrift:

Ausriss Bild-Zeitung - Immer wieder ist von gestörten Einzeltätern die Rede - Warum fürchtet die Politik das Wort Terror?

Der Grund, warum “die Politik” in dem Fall nicht sofort von “Terror” sprach, dürfte die Frage nach dem Motiv gewesen sein, die zu dem Zeitpunkt, als Schulers Text erschien, nicht eindeutig beantwortet werden konnte. Eine Woche später stellte sich heraus, dass der Verzicht auf “das Wort Terror” eine gute Wahl war: Die Ermittler konnten keine Anzeichen für einen terroristischen Hintergrund feststellen und keine Verbindungen des Tatverdächtigen zur islamistischen Szene finden. Die Tat in Limburg war kein Terror.

Bei “Bild” und Bild.de war da schon längst vom “Terror-Fahrer von Limburg” und vom “mörderischen Terror-Anschlag”, dem das Land “offenbar mit viel Glück” entgangen sei, die Rede. Warum auch recherchieren oder die Ermittlungsergebnisse abwarten, wenn die Tat in Limburg die Redaktion an die Taten in Nizza und am Berliner Breitscheidplatz erinnert und sie so in ihren Vorurteilen bestätigt?

Natürlich wäre es die Aufgabe von Journalisten, auch bei “Bild”, die Leserschaft aufzuklären, dass die Motivlage nicht eindeutig ist und dass bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein müssen, etwa ein politischer oder religiös-fanatischer Hintergrund, damit eine Tat als Terroranschlag gilt, anstatt auf Politiker loszugehen, die lieber Ermittlungen abwarten und nicht wild spekulieren. Yassin Musharbash beispielsweise erklärte bei “Zeit Online” ausführlich, warum die Tat in Limburg für die ermittelnden Behörden nicht als Terror gilt:

Im konkreten Fall fehlen noch wichtige Details. Es ist zum Beispiel bisher nicht bekannt, dass der Täter von Limburg irgendwelche Verbindungen in die islamistische Szene hatte. Derzeit gehe man mangels anderer Spuren davon aus, dass es sich um die Aktion eines gestörten Menschen handeln könnte, sagen Ermittler. Trotzdem darf man davon ausgehen, dass seine Tat durch entsprechende Taten von islamistisch motivierten Attentätern motiviert war. Aber reicht das, um die Tat zu einem islamistischen Anschlag zu machen?

Man kann diese juristische Perspektive mit dem Argument ablehnen, aus Sicht der Opfer mache es keinen Unterschied, ob er Islamist ist oder nicht. Aber eine solche Blickweise verwässert die Trennschärfe — und stellt in letzter Konsequenz in Frage, ob man den Begriff Terrorismus überhaupt noch verwenden soll. Wenn man ihn verwendet, ist es jedenfalls nicht sinnvoll, ihn von der ideologischen Motivation zu trennen.

Doch anstatt aufzuklären, kräht “Bild”, die Politik traue sich nicht, von Terror zu sprechen — bei einem Fall, der laut der Ermittler mit Terror nichts zu tun hat. Anstatt auf gesicherte Fakten zu warten, will die Redaktion schon wissen, dass es Terror war — und tut so, als würde “die Politik” sich vor dieser vermeintlichen Erkenntnis “drücken”. Ralf Schuler schreibt:

Doch zur Wahrheit gehört auch: Die Politik drückt sich noch immer vor dem Eingeständnis, dass mit der Massenmigration seit 2015 auch Kriminelle nach Deutschland gekommen sind und spricht deshalb lieber über Einzelfälle als über das Terror-Problem.

… als würde auch nur eine Partei ernsthaft behaupten, unter den Menschen, die seit 2015 nach Deutschland gekommen sind, seien keine Kriminellen gewesen. Und als hätten Politikerinnen und Politiker in den vergangenen Jahren im Parlament, in Interviews, in TV-Talkshows nicht ausgiebig über ein Thema gesprochen: die Kriminalität von Zugewanderten.

Ralf Schulers Vorwurf auf falscher (Terror-)Grundlage an “die Politik” wurde beim Axel-Springer-Verlag übrigens von oberster Stelle abgesegnet. Springer-Chef Mathias Döpfner schoss ein paar Tage später in dieselbe Richtung:

Wenn in Limburg ein zuvor gestohlener Laster acht Autos rammt, dabei neun Menschen verletzt, danach der zuvor mehrfach straffällige Täter aussteigt und nach Zeugenberichten “Allah” gerufen haben soll, dann sprechen Politiker von einem “verwirrten Einzeltäter”, ARD und ZDF berichten über den Fall zunächst fast gar nicht und sprechen dann von einem “Lkw-Vorfall”.

Wie schlimm falsch das alles ist, hat Stefan Niggemeier drüben bei “Übermedien” aufgeschrieben.

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