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Björn bricht, Snowden-Interview, Morenos Erlebnisse

1. Höcke bricht ZDF-Interview ab und droht
(zdf.de, David Gebhard & Dominik Rzepka)
Der thüringische AfD-Vorsitzende Björn Höcke hat ein Interview mit dem ZDF abgebrochen. In dem Gespräch ging es unter anderem um Höckes Bedeutung für die Bundes-AfD und um seine Sprache. Das ZDF hatte AfD-Abgeordneten Höcke-Äußerungen vorgelegt und sie gefragt, ob es Höcke- oder Hitler-Zitate seien. Nach zehn Minuten unterbrach Höckes Sprecher: “Das geht so nicht. Sie haben jetzt Herrn Höcke mit Fragen konfrontiert, die ihn stark emotionalisiert haben” und schlug vor, das Interview “noch mal von vorne” zu wiederholen. Das abgebrochene Interview mit Björn Höcke in voller Länge gibt es hier zu sehen, das Interview in Schriftform hier.
Weiterer Lesehinweis: Katja Thorwarth hat für die “Frankfurter Rundschau” das ARD-Sommerinterview mit dem AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland besprochen: “Gauland hätte im Vorfeld eigentlich Zuschauerfragen beantworten sollen, hatte darauf aber keine Lust. “Warum muss ich sozusagen in ein schwarzes Loch gucken?”, sollte sich der AfD-Mann später rechtfertigen, den erzürnte, dass er die Fragen nicht im Vorfeld zur Einsicht bekam. Wohl, damit er sich seine Phrasen zurecht legen kann, doch es sind ja gerade die spontanen Antworten gefragt — offensichtlich eine Überforderung für Gauland. Allerdings ist “Fragt selbst!” fester Bestandteil der Sendung, und konsequenterweise hätte das Erste den AfD-Fraktionsvorsitzenden ausladen müssen, immerhin hatten sich alle anderen Politiker bislang jenem Part gestellt.”
Außerdem lesenswert Philipp Peyman Engel von der “Jüdischen Allgemeinen”: Warum wir nicht mit der AfD sprechen: “Mit Politikern, die den Holocaust als »Vogelschiss der Geschichte« und das Holocaustmahnmal in Berlin als »Schande« bezeichnen, gibt es für uns nichts zu besprechen. Eine Partei mit einem gefährlichen Scharfmacher samt bester Neonazi-Kontakte als Landeschef disqualifiziert sich ohnehin von ganz alleine — und hat alle Fragen damit bereits selbst beantwortet.”

2. Was wäre die Gesellschaft ohne Whistleblower?
(deutschlandfunk.de, Stefan Fries & Stefan Koldehoff, Audio: 67:42 Minuten)
Der Deutschlandfunk hat ein längeres Interview mit Edward Snowden geführt. Darin geht es unter anderem um staatliche Überwachung, die Notwendigkeit von Aufklärung und Whistleblowing sowie Snowdens Lebensgeschichte: “Erst, nachdem ich immer tiefer in die Regierung gekommen bin, nachdem ich die Leiter nach und nach hinaufgestiegen bin, erst nachdem ich zur CIA und NSA gegangen bin, nachdem ich mit diesen Systemen lange gearbeitet habe, hatte ich denn die Perspektive, hatte ich die Möglichkeit zur Selbstreflexion, dass ich mich fragen konnte: Was habe ich eigentlich mit dieser Arbeit gemacht? Was macht meine Regierung? Es hat nicht den Zweck, die Menschen zu befreien, sondern zu unterdrücken. Es ging um die Kontrolle. Es ging nicht darum, die Demokratie zu schützen, sondern leider eigentlich, die Demokratie zu gefährden im Endeffekt. Wenn wir uns unsere Werte anschauen: Wir zerstören genau das, was wir gerne schützen möchten.”

3. Der Stoff, der den Journalismus verändert hat
(sueddeutsche.de, Ralf Wiegand)
Dem Journalisten und freien Autor des “Spiegel” Juan Moreno ist es zu verdanken, dass die Fälschungen von Claas Relotius aufgedeckt wurden. Nun hat Moreno ein Buch über seine Erlebnisse geschrieben. Der Fälschungsskandal ist das eine, der Umgang damit das andere: Man möchte nicht in Morenos Haut gesteckt haben, als man ihm beim “Spiegel” durchaus brutal und arrogant zu verstehen gab, dass man ihn jederzeit feuern könne.

4. “Das ist kein Spaß mehr”: Klenk stellt Entschädigungsantrag gegen Jeannée und “Krone”
(derstandard.at)
“Falter”-Chefredakteur Florian Klenk wehrt sich nun auch gerichtlich gegen den gedruckten Hass-Post des österreichischen “Krone”-Kolumnisten Michael Jeannée. Siehe dazu auch Klenks Tweet: “Ich bringe Klage gegen Jeanne und die Krone ein. Ich beantrage eine strafrechtliche Verurteilung von Jeannee wegen übler Nachrede und den höchsten Entschädigungsbetrag, den das MedienG hergibt. Je 50.000 € von Krone Verlag und Krone Multimedia. Ja, wird bei Obsiegen gespendet.”

5. Presserat rügt Sensationsberichte über Schwertmord
(stuttgarter-nachrichten.de)
Der Deutsche Presserat hat Berichte der “Bild”-Medien über den sogenannten Stuttgarter Schwertmord als übertrieben sensationell und respektlos gerügt. Vor allem die Täterperspektive wird kritisiert: “So habe die Redaktion auf der Titelseite ein Foto des mutmaßlichen Mörders mit erhobenen blutigen Armen gezeigt und sei damit Gefahr gelaufen, sich zum Werkzeug des Verbrechers zu machen. Auch die identifizierende Darstellung des Opfers sei nicht vom Informationsinteresse der Öffentlichkeit gedeckt. Zu sehen war ein Porträtfoto des Mannes vor der Tat, daneben ein verpixeltes Bild des Sterbenden in einer Blutlache.”

6. “Angry German Kid”: Wie ein Internetvideo das Leben eines Teenagers zerstörte
(rnd.de, Matthias Schwarzer)
Matthias Schwarzer erzählt die tragische Geschichte eines Jugendlichen nach, der auf Youtube als “Angry German Kid” bekannt wurde. Sie beginnt 2006, als der damals 13-Jährige ein gespieltes Brüllvideo von sich aufnimmt und auf die Plattform hochlädt, das bei “Focus TV” landet — der Startpunkt einer für den Youtuber äußerst unheilvollen Entwicklung.

“Bild” duldet schwulenfeindliche Hetze

In Russland wird der Film über das Leben von Elton John offenbar nur in einer zensierten Version zu sehen sein, wenn er diese Woche dort in die Kinos kommt. Das berichten Journalisten, die “Rocketman” vorab sehen konnte. Demnach seien unter anderem “alle Szenen mit Küssen, Sex und Oralsex zwischen Männern” von der Vertriebsfirma herausgeschnitten worden.

Bild.de berichtet auch über diesen Vorgang und hat den Artikel zum Thema bei Facebook geteilt. Im Kommentarbereich auf der “Bild”-Facebookseite gibt es seitdem größtenteils Jubel: “Richtig!”, “Gut so!”, “Gute Idee”, “Ich verstehe die Russen.”, “Sollte aber komplett verboten werden”. Von “Homowahn” ist da die Rede, von “schwuppen kamelle”, von “Homo scheisse”. “Schwule-nein danke!” kommentieren “Bild”-Leserinnen und -Leser und: “Das ist die Version die ich mir ansehen würde. Danke! Spart mir den Kotzkrampf!”

Manche gehen aber noch ein bisschen weiter. Ein Nutzer bringt den inzwischen abgeschafften Paragraphen 175 des Strafgesetzbuches ins Spiel, der noch bis 1994 sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte und das Leben vieler, vieler Menschen zerstörte:

Screenshot eines Facebook-Kommentars - gut anders gesagt ich muss keinerlei Verständnis für solche Neigungen haben. Schließlich handelt es sich hier um eine spezielle Lebensweise und die war in Deutschland schon seit langem fragwürdig. Warum gab es sonst den Paragraphen 175. Da hat sich jemand was bei gedacht.

Ein anderer bezeichnet Homosexualität als “trend krankheit”:

Screenshot eines Facebook-Kommentars - Also meine kinder haben verstanden das homosexualität wine trend krankheit ist.

Und einer will “DIESE KRANKHEIT” gleich ganz “VERNICHTEN”:

Screenshot eines Facebook-Kommentars - RICHTIG SO!!!! DIESE KRANKHEIT MUSS VERNICHTET WERDEN

Diese Kommentare sind seit Tagen online, ohne dass die “Bild”-Redaktion eingreift.

Mit Dank an Fabian für den Hinweis!

Nachtrag, 4. Juni: Auf die Nachfrage eines BILDblog-Lesers hat die “Bild”-Redaktion nun reagiert und den größten Teil der homophoben Kommentare gelöscht. Sie schreibt dazu im Kommentarbereich der “Bild”-Facebookseite:

Nein, solche Kommentare sind nicht normal, zutiefst verachtenswert und werden von uns nicht geduldet. Hier haben wir auf jeden Fall zu spät reagiert, zumal bei einer überschaubaren Gesamtzahl an Kommentaren. Wir sind dabei, Kommentare zu löschen und auch Nutzer zu bannen. Liebe Grüße.

Mit Dank an Marco S. und Sebastian K.!

Bis sich die Balken biegen (7)

Wenn heute niemand aus der SPD-Führung Verantwortung für das Ergebnis bei der Europawahl übernimmt, und keiner der Parteioberen zurücktritt, könnte das daran liegen, dass sie im Willy-Brandt-Haus möglicherweise nur den “Tagesspiegel” lesen. Denn auf dessen heutiger Titelseite haben die Sozialdemokraten gestern starke 4,8 Prozentpunkte hinzugewonnen. Die Grünen sind hingegen große Verlierer:

Ausriss Titelseite Tagesspiegel - Union 2019 mit 28,1 Prozent, 2014 mit 35,3 - Grüne 2019 mit 20,8, 2014 mit 27,3 - SPD 2019 mit 15,5, 2014 mit 10,7 - AfD 2019 mit 10,9, 2014 mit 7,4 - FDP 2019 mit 5,6, 2014 mit 7,1 - Linke 2019 mit 5,5, 2014 mit 3,4 - Sonstige 2019 mit 13,6, 2014 mit 8,8

Die linken, dickeren Säulen geben bei jeder Partei das Ergebnis der Hochrechnung des ZDF von gestern Abend um 22:25 Uhr an. Diese Werte stimmen soweit. Die rechten, schmaleren Säulen sollen das Ergebnis der Europawahl 2014 darstellen. Und da ist einiges falsch.

Die 27,3 Prozent von vor fünf Jahren, die der “Tagesspiegel” den Grünen zuschreibt, gehören eigentlich zur SPD. Und genauso andersherum: Die 10,7 Prozent, die laut “Tagesspiegel” die SPD 2014 erreicht hat, gehören zu den Grünen. Bei AfD, FDP und Linken ist das Durcheinander noch etwas größer: Die 7,4 Prozent aus 2014 gehören zur Linken, die 7,1 Prozent zur AfD und die 3,4 Prozent zur FDP. Die AfD hat im Vergleich zu 2014 also etwas stärker dazugewonnen als in der “Tagesspiegel”-Grafik angegeben, die FDP hat nicht Prozentpunkte verloren, sondern gewonnen, die Linken hingegen haben nicht gewonnen, sondern verloren.

Der Ursprung dieses multiplen Fehlers dürfte darin liegen, dass der “Tagesspiegel” in der Grafik nicht auf die sich ändernde Rangliste der Parteien reagiert hat. Zum Beispiel bei der FDP: Die war 2014 noch sechststärkste Kraft mit 3,4 Prozent. Während die Partei mit ihren 5,6 Prozent gestern auf Platz 5 vorrückte, hat die “Tagesspiegel”-Redaktion die 3,4 Prozent der FDP von 2014 auf Platz 6 stehen lassen — und so den Linken zugeordnet, die auf diesen Rang abgerutscht sind. Genauso lassen sich die falschen 2014-er-Werte von Grünen, SPD und AfD erklären.

Immerhin fängt die Überschrift auf der “Tagesspiegel”-Titelseite die fehlerhafte Grafik etwas ab: “Grüne jubeln, Groko stürzt ab”.

Nachtrag, 17:28 Uhr: Ein BILDblog-Leser schreibt uns, dass auf der Titelseite seiner “Tagesspiegel”-Ausgabe eine korrekte Wahl-Grafik zu sehen sei.

Der Screenshot, den wir weiter oben verwenden, stammt aus der E-Paper-Version. Und auch bei der gedruckten Variante gibt es Exemplare mit der fehlerhaften Grafik.

“Bild” und das Busunglück auf Madeira: wenig Pixel, kräftiges Blut

Während die “Bild”-Redaktion zum Busunglück auf Madeira schon mal über die Ursachen spekuliert …

Screenshot Bild.de - Bus-Drama auf Madeira: 29 Deutsche tot! Rätsel um Ursache - Hat das Gaspedal geklemmt? Identifizierung der Opfer dauert bis Samstag

… den Überlebenden auf den Fersen ist …

Screenshot Bild.de - Deutsches Ehepaar überlebte - Wir beide waren angeschnallt, andere flogen um uns herum

… und die “Todeskurve von Madeira” besucht …

Screenshot Bild.de - Bild am Unglücksort - Die Todeskurve von Madeira

… wollen wir noch einmal auf die Fotos zurückkommen, die “Bild” und Bild.de zu dem Unfall gezeigt haben und immer noch zeigen. Und vor allem auf die (fehlende) Verpixelung der tödlich verunglückten Personen.

Gleich auf mehreren Fotos waren gestern Abend bei Bild.de Leichen zu sehen. Die Redaktion verzichtete anfangs auf jegliche Unkenntlichmachung. Angehörige dürften ihre Verwandten, die dort auf den Bildern leblos vor dem zerstörten Bus lagen, erkannt haben, vermutlich noch bevor sie von offizieller Seite über deren Tod informiert wurden. Im Laufe des Abends begannen die Bild.de-Mitarbeiter, diese Fotos halbherzig zu verpixeln: Die Gesichter der Verstorbenen wurden unkenntlich gemacht, die Körper und die Kleidung blieben erkennbar. Manche Aufnahmen, auf denen die Leichen ebenfalls zu sehen waren, blieben komplett ohne Verpixelung.

Währenddessen erschien eine überarbeitete Variante des “Bild”-E-Papers von heute. In einer ersten Version spielte der Unfall auf Madeira noch gar keine Rolle, nun war er das Aufmacherthema auf der Titelseite. Auf Seite 3 veröffentlichte “Bild” ein riesiges Foto, das tote Menschen auf dem Gestrüpp vor dem verunglückten Bus zeigt. Während bei Bild.de die ersten Leichen verpixelt wurden, brachte “Bild” das große Foto komplett ohne Unkenntlichmachung:

Ausriss Bild-Zeitung - Foto des verunglückten Busses
(Die Unkenntlichmachung stammt von uns.)

Bei Bild.de nahm die Verpixelung anschließend zu. Inzwischen sind dort die Körper nicht mehr zu erkennen. Das “Bild”-E-Paper wurde auch noch einmal aktualisiert — dort sind nun die Gesichter der Leichen verpixelt, mehr nicht.

Vergleicht man dasselbe Unfallfoto, das “Bild” und Bild.de in der Berichterstattung verwenden, fällt außerdem auf, dass “Bild” bei der Blutspur auf dem Dach des Busses nachgeholfen hat:

Vergleich zwischen den Bildern in Bild und bei Bild.de - es ist zu erkennen, dass die Blutspur in Bild kräftiger ist

Als würde das Grauen nicht schon reichen.

Aber zurück zur (fehlenden) Unkenntlichmachung. Wir haben bei der “Bild”-Redaktion nachgefragt, warum Bild.de und “Bild” bei der Verpixelung der Fotos so unterschiedlich vorgegangen sind. “Bild”-Sprecher Christian Senft hat auf unsere Anfrage nicht reagiert.

Dafür hat er aber vor gut einem Jahr auf eine andere Anfrage von uns geantwortet. Wir wollten damals wissen, warum “Bild” das Gesicht eines früheren Entführungsopfers (ein Sohn eines bekannten Unternehmers), das eine geistige Behinderung hat, ohne Verpixelung zeigt, während Bild.de es verpixelt. Christian Senft schrieb darauf lediglich:

herzlichen Dank für den Hinweis, das hat keinen Grund, das Foto wird online wieder entpixelt.

Bei “Bild” finden sie so eine Antwort vermutlich ziemlich cool.

“Wie erkläre ich’s meinem Kind”? So am besten nicht!

Bei FAZ.net gibt es die Rubrik “Wie erkläre ich’s meinem Kind?”, die Redaktion verspricht dort “einfache Antworten auf kniffelige Fragen”. Zum Beispiel: “Warum wir eine Gänsehaut bekommen”. Oder: “Wann die Menschen zu lesen begannen”. Die aktuellste Ausgabe der “einfachen Antworten” hat FAZ.net bei Twitter gestern Abend so angekündigt:

Screenshot eines Tweets von FAZ.net - Bei der Reichspogromnacht vor achtzig Jahren war es ein bisschen wie bei jeder Prügelei auf dem Schulhof: In der Gruppe werden selbst friedlichste Menschen manchmal brutal. Warum Gewalt ansteckend sein kann

Die Reichspogromnacht, bei der “es ein bisschen wie bei jeder Prügelei auf dem Schulhof” gewesen sein soll? Ein Nazi-Verbrechen mit vielen Todesopfern, Verhaftungen Unschuldiger, brennenden Synagogen und zerstörten Geschäften jüdischer Mitbürger, bei dem “es ein bisschen wie bei jeder Prügelei auf dem Schulhof” gewesen sein soll? Die FAZ.net-Redaktion hat den Tweet später aus guten Gründen gelöscht und “für die verkürzte Darstellung und den ungewollten Vergleich” um Verzeihung gebeten (wobei wir uns durchaus fragen, was an einem Vergleich von Schulhofprügeleien und Novemberpogrom eine “verkürzte Darstellung” sein soll und wie ein “ungewollter Vergleich” in einem per Hand verfassten Tweet landet).

Tweet gelöscht, um Entschuldigung gebeten — also wieder alles in Ordnung? Leider nicht. Denn erstens findet man den grausigen Vergleich noch immer auf FAZ.net.* Und zweitens ist der dazugehörige Text zwar längst nicht so schlimm wie die Ankündigung bei Twitter, diskussionswürdig ist er trotzdem.

Im Artikel von Julia Schaaf geht es hauptsächlich um Gruppendynamiken, um Mitläufer und Mittäter und um die Frage, “warum Gewalt ansteckend sein kann”. So steht es auch in der Überschrift:

Screenshot FAZ.net - Wie erkläre ich es meinem Kind? Warum Gewalt ansteckend sein kann

Schon klar: Schaafs Text richtet sich an Kinder und muss allein daher etwas vereinfachen. Zur Veranschaulichung hätte sie sicher einige konkrete Beispiele finden können. Etwa die Ausschreitungen rund um den G20-Gipfel, wo wohl auch Menschen an Plünderungen teilgenommen haben, die vermutlich nicht mit dieser Absicht ins Hamburger Schanzenviertel gefahren sind und sich erst vor Ort dazu entschieden haben mitzumachen. Oder die Prügeleien bei Fußball-Welt- beziehungsweise -Europameisterschaften.

Stattdessen wählte Schaaf die Reichspogromnacht. Und da liegt bereits das Problem: Die Wahl dieses Beispiels für eine Erläuterung des Phänomens Gruppendynamik reduziert eines der schlimmsten Verbrechen der deutschen Geschichte auf diesen Teilaspekt. Dadurch verschiebt sich der Fokus bei der Betrachtung der Reichspogromnacht im Artikel. Schaaf schreibt, “dass sich unter die plündernden Horden ganz normale Jugendliche mischten” — ihr Hauptthema lautet schließlich: Gruppendynamik. Doch das trifft den Kern nicht: Die Reichspogromnacht war eine staatlich organisierte Aktion, landesweit konzertiert, propagandistisch vorbereitet, antisemitisch motiviert, mit einer menschenverachtenden Ideologie versehen. Gruppendynamiken haben bestimmt auch eine Rolle gespielt, aber nicht die entscheidende.

So bleibt auch im Artikel der unglückliche Dreiklang: Reichspogromnacht – Gruppendynamik – Schulhofkeilerei. Im überarbeiteten Teaser heißt es bei FAZ.net:

In Gruppen kann es manchmal passieren, dass selbst friedliche Menschen brutal werden. Das ist vor achtzig Jahren passiert, und ab und zu passiert es heute sogar auf dem Schulhof.

*Nachtrag, 13:42 Uhr: Die Redaktion von FAZ.net hat reagiert und nun auch diese Stelle aktualisiert.

“Bild”-Chef Reichelt ganz stolz: Es stimmte fast alles

Gerade in der Konditorei: Ja, gut, das sei schon ein ärgerlicher Fehler, so der Meister, dass er und sein Team beim Teig für die Sahnetorte Gips statt Mehl genommen haben, und dass sich in dem Glas, auf dem Salz steht, kein Zucker befindet, nun ja, das hätte vielleicht auch auffallen können. Aber sonst sei das alles Top-Qualität! Ach, warum die Creme so merkwürdig schmeckt? Das könne daran liegen, dass sie Rasierschaum statt Sahne verwendet hätten. Aber sonst stimme so gut wie alles.

So würde es klingen, wenn Julian Reichelt seine Ware nicht als “Bild”-Chefredakteur unter die Leute bringen würde, sondern als Konditor.

Drüben bei Twitter rühmt er sich damit, dass seine Redaktion nur ein paar grobe Schnitzer in einem Artikel untergebracht hat — abgesehen davon habe “so gut wie alles” gestimmt in der “BILD kennt den geheimen Ablauf”-Geschichte über Stefan Raabs Bühnencomeback. Zur Erinnerung: Das Raab-Team hatte auf der “TV Total”-Facebookseite einem “Bild”-Beitrag deutlich widersprochen. Der Artikel sei in großen Teilen schlicht erfunden.

Das ist also der journalistische Anspruch von “Bild” unter Julian Reichelt: Ist doch super, wenn “so gut wie alles stimmt”:

Screenshot eines Tweets von Julian Reichelt - Vor wenigen Tagen dementierte TV total die Bild-Berichterstattung über Stefan Raabs Comeback als frei erfunden und in Teilen erfunden. Hier sieht man nun, dass so gut wie alles stimmte (die Schalte zu ProSieben war ein ärgerlicher Fehler).
Screenshot eines weiteren Tweets von Julian Reichelt - Online haben wir berichtet, dass auch die Heavy Tones auftreten würden. Auch das stimmt. Das Dementi von TV Total zu der Geschichte in Bild ist in weiten Teilen frei erfunden.

Leider stimmt nicht mal Reichelts “so gut wie alles stimmt”. Da der “Bild”-Chef von sich aus nur den “ärgerlichen Fehler” mit der “Schalte zu ProSieben” anspricht, helfen wir ihm — mit Blick auf den Auftritt von Stefan Raab gestern Abend in Köln — gern noch einmal auf die Sprünge:

Nein, Lena Meyer-Landrut war nicht, wie von “Bild” angekündigt, Teil der Show.

Nein, Aaron Troschke war nicht, wie von “Bild” angekündigt, Moderator der Show.

Nein, es waren nicht, wie von “Bild” angekündigt, 20.000 Zuschauer, sondern rund 14.000.

Nein, es gab keine “Aufarbeitung verschiedener Ereignisse der letzten Wochen”, wie von “Bild” angekündigt.

Nein, Raab gab keinen “(beruflichen) Rückblick auf seine TV-Abstinenz”, wie von “Bild” angekündigt.

Nein, Raab sprach nicht, wie von “Bild” angekündigt, “über seine zukünftigen Pläne”.

Mathias Döpfner sagte neulich in einem Interview zur angeblichen neuen Fehler-Kultur bei “Bild”:

Und was ich toll finde: Dass Julian Reichelt, wenn er Fehler macht, sich dafür entschuldigt und sofort Transparenz herstellt.

Dem Springer-Chef könnte ein Konditor Reichelt vermutlich auch ein Stück Sahnetorte andrehen.

Wie es bei Stefan Raabs Bühnencomeback tatsächlich war:

“Nichts anderes als übelste Propaganda”

Robert Habeck, Bundesvorsitzender der Grünen, twitterte vorgestern zur anstehenden Landtagswahl in Bayern das hier:

Screenshot eines Tweets von Robert Habeck - Sonntag wählt Bayern. Endlich gibt es wieder Demokratie in Bayern. Eine Alleinherrschaft wird beendet. Demokratie atmet wieder auf. Damit das möglich wird, geht zur Wahl und wählt mit beiden Stimmen Grüne Bayern!

Das ist ziemlicher Unfug. Der Satz “Endlich gibt es wieder Demokratie in Bayern” ist schlicht falsch. Die absoluten Mehrheiten der CSU waren immer durch Wahlen demokratisch legitimiert.

Habecks Aussage störte auch “Bild”-Chef Julian Reichelt:

Screenshot eines Tweets von Julian Reichelt - Die Grünen beenden den Wahlkampf in Bayern mit einer gefährlichen Botschaft, die nichts anderes ist als übelste Propaganda: Es gäbe keine Demokratie in Bayern, sondern Alleinherrschaft. Wer so über frei gewählte Demokraten spricht, kriminalisiert sie und ihre Wähler.

Ihm missfiel offenbar beides: Habecks Behauptung, es gäbe keine Demokratie in Bayern, und der Begriff “Alleinherrschaft” — jedenfalls zitiert er ihn extra noch einmal.

Schaut man mal bei Bild.de nach, wofür Reichelt ja verantwortlich ist, findet man einen recht aktuellen Artikel, in dem etwas über eine “Alleinherrschaft” der CSU in Bayern stand:

Screenshot Bild.de - Bei der Landtagswahl 2008 musste die CSU dann nicht nur einen dramatischen Absturz von 60,7 auf 43,4 Prozent verkraften, sondern auch, was für sie noch schlimmer war, den Verlust der jahrzehntelangen Alleinherrschaft.

Sicher, es gibt einen Unterschied zwischen Habecks Aussage zur “Alleinherrschaft”, die er in den Zusammenhang mit einer vermeintlich fehlenden Demokratie bringt, und der Aussage zur “Alleinherrschaft” von Bild.de, die erstmal nur die absolute Mehrheit der CSU überspitzt umschreibt. Und dennoch: In der “Bild”-Redaktion hielten sie es offenbar mal nicht für “übelste Propaganda”, von einer CSU-“Alleinherrschaft” zu sprechen.

Robert Habeck hat bereits gestern eingeräumt, dass sein Tweet “einer zu viel” gewesen sei. Das Vorgehen der Bild.de-Mitarbeiter steht im Kontrast zu dieser transparenten Reaktion des Politikers: Sie haben — nachdem mehrere Personen Julian Reichelt auf den “Alleinherrschaft”-Artikel hingewiesen haben — einmal mehr klammheimlich gehandelt. In ihrem Text steht nun, ohne weiteren Hinweis:

Screenshot Bild.de - Bei der Landtagswahl 2008 musste die CSU dann nicht nur einen dramatischen Absturz von 60,7 auf 43,4 Prozent verkraften, sondern auch, was für sie noch schlimmer war, den Verlust der jahrzehntelangen alleinigen Regierung.

Sollte es den Leuten bei Bild.de wirklich wichtig sein, dass bei ihnen nicht von einer “Alleinherrschaft” der CSU die Rede ist, dann können sie gern auch noch mal hier

Screenshot Bild.de - In den Umfragen liegt die CSU aktuell bei 36 Prozent: Adé Alleinherrschaft!

… und hier aufräumen:

Screenshot Bild.de - Dem CSU-Chef und bayerischen Ministerpräsidenten ist die Rückeroberung der CSU-Alleinherrschaft spektakulär gelungen.

Gaulands Gastbeitrag, Maffay und der “Spiegel”, “Bild” scheißt drauf

1. Der Wolf im “FAZ”-Pelz
(taz.de, Sophie Spelsberg)
In der Samstagsausgabe der “FAZ” erschien ein Gastbeitrag des AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland. Sophie Spelsberg kritisiert die Zeitung dafür: “Sie hat Gauland durch ihren Namen etwas Wertvolles verliehen: Legitimität. Dass unter der seriösen FAZ-Hülle ein Rassist und Nationalist schreibt, ist schnell vergessen, wenn der Beitrag selbst gar nicht so böse klingt. Wessen Meinung in der “Zeitung für Deutschland” erscheint, der kann so schlimm nicht sein. Dieser Rückschluss ist gefährlicher als der Beitrag selbst.”
Eine andere Sichtweise hat Jakob Augstein bei “Spiegel Online”. Es lohne sich durch den “sofort aufkommenden Empörungsnebel” zu sehen: “Gauland hat nämlich einen klugen Text über die deutsche — und die westliche — Misere geschrieben. Aber aus seinen richtigen Gedanken zur Elitenkritik zieht er dann die falschen Schlüsse.”

2. Medien wie ⁦@SPIEGELONLINE⁩ übernehmen ungeprüft Zahlen von ⁦@BILD⁩
(twitter.com/UlrichKelber)
Der Bundestagsabgeordnete Ulrich Kelber kritisiert einen bei “Spiegel Online” erschienenen Beitrag: “Medien wie ⁦@SPIEGELONLINE⁩ übernehmen ungeprüft Zahlen von ⁦@BILD⁩, hier zu MdB-Diäten. Würden 460 Mio € stimmen, bekämen wir pro Monat 54.000 €. Nutzt doch mal Taschenrechner-Programm. Plausibilitätsprüfung. 1. Stunde Journalismusschule :-(“. Die Botschaft ist augenscheinlich angekommen: “Spiegel”-Parlamentsreporter Florian Gathmann wenige Stunden später: “Haben das korrigiert”.

3. UPDATE: SPIEGEL gegen Maffay – 5:0
(spiegel.de)
Peter Maffay hat den “Spiegel” mit diversen Unterlassungs- und Gegendarstellungsverfahren überzogen, weil er sich an der Berichterstattung über die Peter-Maffay-Stiftung und deren Arbeit auf Mallorca störte. Dies verlief bislang juristisch wenig erfolgreich, um nicht zu sagen sehr erfolglos. Nun gibt es ein letztes Nachspiel: Maffay soll 5.000 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung zahlen, andernfalls würde Anklage gegen ihn erhoben. Es geht dabei um eine im Raum stehende Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung und eine laut Angaben des “Spiegels” dem Künstler äußerst entgegenkommende Staatsanwaltschaft.

4. Regierung muss Mord aufklären
(reporter-ohne-grenzen.de)
Reporter ohne Grenzen (ROG) fordert die Behörden in Bulgarien auf, den Mord an der Fernsehjournalistin Viktoria Marinova unverzüglich aufzuklären und Journalisten besser zu schützen. “Der Mord an Viktoria Marinova steht für einen erschreckenden Trend: Immer häufiger werden auch in der Europäischen Union Journalistinnen und Journalisten ermordet, weil sie unangenehme Themen ansprechen”, so ROG-Geschäftsführer Christian Mihr: “Die EU darf nicht wegschauen, wenn die Regierungen in den entsprechenden Ländern unfähig oder unwillig sind, investigative Reporter zu schützen.”
Weiterer Lesehinweis: Wer steckt hinter dem Mord an der bulgarischen Journalistin? (faz.net, Michael Martens)
Und außerdem das “Deutschlandfunk”-Gespräch mit Christian Schult vom “European Center For Press & Media Freedom” (Audio, 5:39 Minuten).

5. Floskel des Monats: grünes Licht
(journalist-magazin.de, Sebastian Pertsch & Udo Stiehl)
Die Experten von der Floskelwolke nehmen sich die strapazierte Wendung vom “grünen Licht” vor: “Das grüne Licht ist ein Synonym für Zustimmung oder Genehmigung — und gelegentlich wäre es doch wunderbar, dies nüchtern in Nachrichtentexten so zu formulieren.”

6. Die beklopptesten Stellen aus dem bekloppten “Hitler-Interview” der Bild
(vice.com, Matern Boeselager)
“Bild” hat die Nachkommen von Adolf Hitlers Halbneffen in den USA aufgestöbert (BILDblog berichtete), mit Gaga-Fragen belästigt und aus einem Nichts ein Interview geschnitzt, das sie als Sensation auf die Titelseite gehoben haben (“Letzter Hitler bricht sein Schweigen”). Matern Boeselager nennt es “einen der bizarrsten Texte, die je in der deutschen Sprache verfasst wurden” und konstatiert: “Egal, wie deutlich du machst, dass du einfach nur in Ruhe gelassen werden und nichts mit deinem unsäglichen Halb-Vorfahren zu tun haben willst — die Bild scheißt drauf. Genauso, wie sie auch drauf scheißt, dass du nicht “Hitler” heißt und auch nie “Hitler” geheißen hast — sie wird dich einfach “Hitler” nennen.”

EU bringt Internet in Gefahr, Buhrows Klatsche, Williams-Karikaturenstreit

1. Diese Überschrift dürfen Sie künftig nicht mehr zitieren
(zeit.de, Lisa Hegemann)
Gestern beschloss eine Mehrheit im EU-Parlament entgegen aller Kritik von Fachleuten und fast einer Million Unterschriften von skeptischen Bürgern die EU-Urheberrechtsreform. Entsprechend groß ist das Entsetzen bei den Medienbeobachtern.
“Zeit Online”-Redakteurin Lisa Hegemann schreibt: “Die Lobbyarbeit ist aufgegangen: Die EU-Urheberrechtsreform belohnt die Verlage. Für uns alle ist sie desaströs. Die freie Verbreitung von Informationen ist in Gefahr.”
Muzayen Al-Youssef kommentiert im “Standard”: “Die Verschärfung des Urheberrechts fördert Zensur und zeigt, dass das EU-Parlament Netzaktivisten, IT-Koryphäen und Bürger ignoriert hat.”
Patrick Beuth kommentiert bei “Spiegel Online”: “Die Mehrheit der EU-Abgeordneten hat mit ihrer Zustimmung zur Urheberrechtsreform bewiesen, dass sie das Internet nicht versteht — und an magische Lösungen für technische Probleme glaubt.”
Und Richard Gutjahr spricht auf Facebook von einem “Ausverkauf des Journalismus”.
Es gab im Vorfeld jedoch auch Äußerungen von Befürwortern, wie den Beitrag der “SZ”-Größe Heribert Prantl. Einen Kommentar, den Stefan Niggemeier auf “Übermedien” als “Verleumdung im Dienst der Aufklärung” bezeichnet.

2. Eine 22-seitige Klatsche für Tom Buhrow
(sueddeutsche.de, Hans Hoff)
Als eine “22-seitige Klatsche für Tom Buhrow” bezeichnet “SZ”-Kolumnist Hans Hoff den Abschlussbericht zum Umgang des WDR mit Vorwürfen der sexuellen Belästigung. Mit der Erstellung des Berichts war die ehemalige Gewerkschaftsvorsitzende Monika Wulf-Mathies betraut worden. Und die gibt dem Sender schlechte Noten: Der WDR brauche dringend einen Kulturwandel, eine Verbesserung des Betriebsklimas und mehr gegenseitige Wertschätzung.
Weiterer Lesehinweis: Nur die Spitze des Eisbergs (taz.de, Wilfried Urbe).

3. “Eingeimpft” im MedWatch-Check Teil 2: “Wenn ungeimpfte Kinder sterben, ist das Schicksal”
(medwatch.de, Hinnerk Feldwisch Drentrup)
Nach einer Recherche von “MedWatch” kommen in Dokumentarfilm “Eingeimpft” fragwürdige Forscher zu Wort, die Gelder von Anti-Impf-Lobbyorganisationen erhalten. “MedWatch” hat Produzenten, Geldgeber und weitere Experten um eine Bewertung gebeten.

4. Zeitung verteidigt umstrittene Serena-Williams-Karikatur
(spiegel.de)
Nach dem Wutausbruch der Tennisspielerin Serena Williams im Finale der US Open erschien in der australischen “Herald Sun” eine vielfach kritisierte Karikatur: Der Zeichner Mark Knight hatte die Tennisspielerin als wutschnaubende Schwarze mit dicken Lippen, breiter Nase und großem Hinterteil gezeichnet. Tausende Menschen, darunter auch Promis wie die Autorin J.K. Rowling, warfen der Zeitung darauf unter anderem Rassismus vor. Das Blatt stellte sich jedoch hinter ihren Zeichner und druckte die Karikatur erneut ab, diesmal sogar auf dem Titel.
Weiterer Lesehinweis: Ebenfalls auf “Spiegel Online” kommentiert Hannah Pilarczyk: “In dieser Karikatur stecken diverse rassistische Stereotype. Ob sie absichtlich benutzt wurden oder nicht, ist egal: Einem Profizeichner darf so etwas nicht passieren.”

5. Erdogan nimmt Geisel
(jungewelt.de, Alp Kayserilioglu & Joan Adalar)
In der Türkei ist ein weiterer kritischer Journalist verhaftet worden: der österreichische Autor Max Zirngast, der dort seit 2015 Politikwissenschaften studiert. Vielleicht störten sich die türkischen Behörden an Zirngasts Engagement für eine alternative Sommerschule für Kinder aus armen Familien, vielleicht an seinen politischen Publikationen. Was ihm genau zum Vorwurf gemacht wird, sei jedoch unklar.
Weiterer Lesehinweis: Im österreichischen “Standard” erzählt der Journalist und Türkei-Kenner Markus Benrath von einer Begegnung mit Zirngast, dem “baumlangen, sympathischen Steirer” in Ankara.

6. “Jetzt bin ich halt der Ottlitz”
(mediummagazin.de, Jens Twiehaus)
Stefan Plöchinger ist in der Medienwelt ein bekannter Name: Er war Digital-Chef der “Süddeutschen Zeitung” und ist vor Kurzem als Leiter der Produktentwicklung beim “Spiegel” in die Geschäftsleitung aufgestiegen. Doch viele werden sich umgewöhnen müssen, denn Plöchinger heißt jetzt Ottlitz. Das “Medium Magazin” hat sich bei ihm danach erkundigt, wie es dazu gekommen ist, dass er seinen branchenbekannten Namen abgelegt hat.

Eins ist sicher: “Bild” macht Angst

“Die neue Serie”, die heute in “Bild” und bei Bild.de gestartet ist, ist eigentlich schon eine ganz alte: Es geht um die “Bild”-Kernkompetenzen Angsthaben und Angstmachen. Nur dass die Redaktion den Artikel etwas anders überschrieben hat:

Ausriss Bild-Zeitung - So unsicher ist Deutschland - Neue Serie in Bild: Die Wahrheit über Verbrechen und Gewalt

Auch Bild.de hat die UNsicherheit in Deutschland auf der Startseite extra noch mal gelb hervorgehoben (die Antwort, wie unsicher Deutschland ist, gibt es nur für “Bild plus”-Abonnenten):

Screenshot Bild.de - Neue Serie in Bild: Die Wahrheit über Verbrechen und Gewalt - So unsicher ist Deutschland

Den Anlass für ihre “Verbrechen und Gewalt”-Serie nennt die Redaktion direkt im ersten Satz:

Jeder dritte Deutsche fühlt sich in seinem Land nicht mehr sicher!

Nun könnte man diesem Drittel der Deutschen erklären, dass es sich bei ihrem Unsicherheitsgefühl um ein subjektives Empfinden handelt, und dass das subjektive Empfinden der zwei anderen Drittel der Deutschen eher mit den Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) des Bundeskriminalamts zusammenpasst. Vor allem, was das “nicht mehr sicher” angeht. Denn das beinhaltet ja auch, dass sich diese Leute mal sicher gefühlt haben, nun aber “nicht mehr”.

Schaut man sich die PKS für das Jahr 2017, auf der die “Bild”-Serie hauptsächlich beruht, selbst an, erkennt man den genau gegenteiligen Trend: Es gab im vergangenen Jahr weniger erfasste Straftaten als ein Jahr zuvor. Deutlich weniger: 2017 waren es 5.761.984, 2016 noch 6.372.526. Ein Rückgang von 9,6 Prozent. Zur Wahrheit gehört auch, dass 2015 und 2016 recht hohe Werte vorlagen. Aber: Mit den knapp 5,76 Millionen Straftaten waren es 2017 so wenige wie seit 1993 (6.750.613) nicht mehr. Die Gewaltkriminalität mit Morden, Raubdelikten und Körperverletzungen ist gesunken (minus 2,4 Prozent), die Straßenkriminalität ist gesunken (minus 8,6 Prozent), die Diebstahlkriminalität ist gesunken (minus 11,8 Prozent), es gab weniger Beleidigungen (minus 7,7 Prozent). Die Wirtschaftskriminalität ist hingegen gestiegen (plus 28,7 Prozent), genauso die Fallzahl der Vergewaltigungen, sexuellen Nötigungen und Übergriffe, wobei das Bundeskriminalamt darauf hinweist, dass “aufgrund der Änderungen im Sexualstrafrecht” ein Vergleich mit dem Vorjahr nicht möglich sei.

Solche Details und auch die Zahl der “Straftaten insgesamt” in Deutschland nennen die “Bild”-Medien nicht — und damit natürlich auch nicht den Rückgang der Straftaten. Das ist schon ein bisschen merkwürdig: Zum Start einer Serie über “Verbrechen und Gewalt” in Deutschland erzählt die Redaktion nicht, wie viele Verbrechen und wie viel Gewalt es in Deutschland überhaupt gibt. Stattdessen handelt Teil 1 von den Opfern von “Verbrechen und Gewalt”. Im für morgen angekündigten Teil 2 soll es um die Täter gehen. Damit scheint sich die “Bild”-Redaktion am Aufbau der PKS zu orientieren — nur dass dort vor Band 2 (“Opfer”, PDF) und Band 3 (“Täter”, PDF) noch Band 1 (“Fälle, Aufklärung, Schaden”, PDF) mit den “Straftaten insgesamt” kommt.

Stattdessen betrachten “Bild” und Bild.de zum Start also die Opfer. Polizei-Gewerkschafter und Hardliner Rainer Wendt darf natürlich was dazu sagen, die “Bild”-Redaktion hält den Aufwand überschaubar, indem sie vom Bundeskriminalamt bereits herausgearbeitete Trends und zusammengefasste Beobachtungen abschreibt, und wenn sie aus der Statistik dann doch mal eine eigene Erkenntnis zieht, ist diese eher verwirrend als erhellend:

Ausriss Bild-Zeitung - Die meisten Opfer sind 21 bis 59 Jahre alt - dazu ein Tortendiagramm mit Opfer insgesamt: 1008510, unter 6 Jahren: 10035, 6 bis 13 Jahre: 58785, 14 bis 17 Jahre: 84071, 18 bis 20 Jahre: 88834, 21 bis 59 Jahre: 704139, 60 Jahre und älter: 62646

Es ist nicht so überraschend, dass eine Gruppe mit 39 Jahrgängen (21 bis 59 Jahre) deutlich größer ist als Gruppen mit drei (18 bis 20 Jahre) oder vier Jahrgängen (14 bis 17 Jahre). Rechnet man aber die Opferzahl auf Opfer pro Jahrgang runter (was gerade bei so großen Spannen wie 21 bis 59 Jahre selbstverständlich zu recht ungenauen Ergebnissen führen kann), sieht es schon anders aus: Bei den 21- bis 59-Jährigen sind es durchschnittlich 18.055 Opfer pro Jahrgang, bei den 18- bis 20-Jährigen 29.611 und bei den 14- bis 17-Jährigen 21.017.

Um den insgesamt 1.008.510 Opfern zumindest ein paar Gesichter zu geben, haben die “Bild”-Medien drei konkrete Beispiele rausgesucht: Eine Frau, bei der ein Albaner ins Haus eingebrochen ist, eine Familie, die zusammengeschlagen wurde, Tatverdächtige: zwei Serben und ein Syrer, sowie eine alte Frau, die verprügelt und ausgeraubt wurde, Täter unbekannt.

Fünf Täter/Tatverdächtige, vier davon Ausländer, einer unbekannt. Es kann ein unglücklicher, die Tatverdächtigen-Statistik verzerrender Zufall sein, dass “Bild” diese Auswahl so getroffen hat. Es kann aber auch kein Zufall sein. Und man glaubt weniger an einen Zufall, wenn man die Ankündigung für den morgigen Serien-Teil 2 liest:

Ausriss Bild-Zeitung - Lesen Sie morgen in Bild: Junge Männer oder Flüchtlinge - das sind die größten Tätergruppen!

Wir verraten gern schon heute: Flüchtlinge sind nicht die größte Tätergruppe.

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