1. Ausländer raus aus meiner Wahl (taz.de, Hengameh Yaghoobifarah)
„Bild“ läuft mal wieder zu großer Form auf, was das Schüren von Ressentiments anbelangt: Zuerst die Geschichte über eine Flüchtlingsfamilie, die monatlich über 7.000 Euro vom Staat bekommt, nun die Empörung über Ausländer, die via SPD-Mitgliederentscheid über das Wohl und Wehe der Republik entscheiden. Hengameh Yaghoobifarah befindet: „… genau das lesen die Bild-Leser_innen gerne, die sich in der herbeifantasierten Position der deutschen Opfer von Merkels Politik wohl fühlen. Und jetzt können sie dank Reichelt das Märchen über die bösen Ausländer, die den demokratischen Deutschen die Wahl verpfuschen – und sich sozusagen in ihre Politik „einmischen“ — weitererzählen.“
Weiterer Lesetipp: “Die ‘Bild’ hat eine Kampagne gegen Ausländer in der SPD gestartet” (“Vice”)
2. Der Dopingjäger (republik.ch, Ariel Hauptmeier)
Ende 2014 sorgte Hajo Seppelts Film “Geheimsache Doping — Wie Russland seine Sieger macht” für weltweites Aufsehen. Ermittlungen begannen, Funktionäre traten zurück oder flohen, Athleten wurden gesperrt, Organisationen suspendiert und zwei Jahre später die russischen Leichtathletinnen und -athleten von den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro ausgeschlossen. Ariel Hauptmeier hat eine überaus spannende und lesenswerte Reportage über das Entstehen der Reportage geschrieben.
3. Mehr Sex in die seriöse Tagespresse! (jetzt.de, Katja Lewina)
Katja Lewina ist es gewohnt, für ihre Texte über Sex angegangen zu werden. Nun hat sich der „Zeit“-Kolumnist Harald Martenstein einen ihrer Texte vorgeknöpft. In einem Kommentar antwortet sie Martenstein und allen anderen Kritikern: „Wann immer jemand behauptet, dass wir zu viel über Sex reden, beweist das nur, dass wir noch lange nicht genug darüber geredet haben. Es bedeutet, dass dieses Thema noch nicht so alltäglich und leicht ist, dass die Menschen es mit einem milden Lächeln abtun könnten, anstatt sich darüber zu ereifern.“
4. Quintessenz einer Karriere (deutschlandfunk.de, Arno Orzessek)
Der BGH hat entschieden, dass das inzwischen eingestellte Magazin „People“ (Bauer-Verlag) ein Foto des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff veröffentlichen durfte, das diesen beim Einkaufen im Supermarkt zeigt. Im „Deutschlandfunk“ wendet sich Arno Orzessek in einer Glosse direkt an Wulff: „Wer sich so wild entschlossen an die Regenbogen-Presse heranschmeißt wie Sie, aber wegen eines läppischen Einkaufswagen-Fotos vor Gericht zieht, der verdient es, in einem Atemzug mit Lothar Matthäus und Boris Becker genannt zu werden… Besagt doch das kleine Medien-Einmaleins: Dem Boulevard hingeben und zugleich seine Unschuld bewahren, das klappt nie.“
5. Wie Zeitungen Podcasts machen (journalist-magazin.de, Kathi Preppner)
Podcasts wurden anfangs von den großen Medienhäusern belächelt oder schlicht nicht wahrgenommen. Das hat sich geändert: Mittlerweile bieten viele große Verlage eigene Produktionen an. Für den „Journalist“ haben sich die Hörfunk-Experten Sandra Müller und Thomas Becht durch das Angebot der Medienunternehmen gehört.
6. Warum wir nicht gendern (blog.zeit.de. Meike Dülffer)
Wenn es um Männer, Frauen und Menschen anderen Geschlechts geht, verzichtet „Zeit Online“ auf Gendersternchen, Binnen-I oder den Unterstrich in Substantiven. Wie stattdessen vorgegangen wird, erklärt Textchefin Meike Dülffer und wendet dabei eine pfiffige Guerilla-Taktik an.
1. Am Rande geht’s um Pressefreiheit (taz.de, Christian Rath)
Ende 2016 ist ein neues BND-Gesetz in Kraft getreten, das dem deutschen Auslandsgeheimdienst die globale Überwachung von Kommunikation gestattet. Dagegen klagen nun sechs investigative Journalisten aus England, den Niederlanden, Slowenien, Mazedonien, Aserbaidschan und Mexiko sowie die in Frankreich ansässige Zentrale von “Reporter ohne Grenzen” und ein Menschenrechtsanwalt aus Guatemala. Christian Rath, rechtspolitischer Korrespondent der „taz“, ist zwiespältig, was die Einordnung der Klage anbelangt. Selbst wenn die Klage Erfolg hätte, wäre nur wenig gewonnen: „Wer als Journalist die Kommunikation mit Informanten schützen will, müsste sie weiterhin verschlüsseln. Schließlich gibt es international ja noch viele andere Geheimdienste, die die Datenströme filtern.“
2. Woher kommt die Liebe der deutschen Journalisten zu Macron? (nzz.ch, Benedict Neff)
Benedict Neff beschäftigt sich in der „Neuen Zürcher Zeitung“ mit der Liebe vieler deutscher Journalisten zu Frankreichs Staatspräsident: „Macrons Europa-Begeisterung begeistert niemanden mehr als die deutschen Journalisten. Sie träumen wie er von einer vertieften, grösseren EU mit mehr Transfermilliarden von Berlin nach Brüssel. Wenn Deutschland mehr in die EU einzahlt, wird die EU solidarischer und Deutschland zum besseren Deutschland. Der Nationalstaat verliert an Bedeutung, und die Ausstrahlung Brüssels, dieses kolossalen Kunstwerks europäischer Bürokratie, nimmt weiter zu.“
3. Historische Fake News – Die Brutkastenlüge (mdr.de, Video, 4:23 Minuten)
In Folge 4 der Reihe „Historische Fake News“ geht es um die sogenannte Brutkastenlüge. Die Erfindung einer PR-Agentur, um in der US-Öffentlichkeit Stimmung für den Irak-Krieg zu machen. Randnotiz: Dieselbe Agentur hätte auch viel Geld damit verdient, den Menschen klar zu machen, dass Rauchen wohl gar nicht so gefährlich ist. Oder Asbest. Oder Fracking …
5. Polizeimeldung: “Beim Driften mit dem Auto Fußgänger schwer verletzt” (facebook.com, Sascha Lobo)
Sascha Lobo kommentiert eine offizielle Mitteilung der Polizei Berlin über einen Verkehrsunfall. Er kritisiert die verharmlosende und beschönigende Wortwahl der Polizei, aber auch unseren Umgang mit dem Thema Auto: „Mein Vorwurf richtet sich weniger an die Polizei — obwohl die Pressestelle hier mal ihre Position überprüfen könnte — sondern an eine Gesellschaft, die rund um das Auto nicht bereit ist, Realitäten anzuerkennen und so zu benennen, wie es bei jeder anderen Technologie der Fall wäre: Eine nicht geringe Zahl an Männern benutzt in diesem Land das Auto als Waffe.“
6. Chaostage (sueddeutsche.de, Viola Schenz)
Finanzielle Ungereimtheiten, eine Razzia im Verlagsbüro, ein wegen sexueller Belästigung freigestellter Verlagsvorstand und Verstrickungen mit einem umstrittenen evangelikalen Pastor: Beim amerikanischen Nachrichtenmagazin „Newsweek“ geht es zu wie in einer Netflix-Serie. Das Chaos in Verlag und Redaktion stehe für den langsamen Niedergang einer ganzen Reihe politischer US-Zeitschriften, so Viola Schenz in der „SZ“.
ACHTUNG, ACHTUNG! DIESER BEITRAG ENTHÄLT SCHLECHTE WITZE UND BEGRIFFE, DIE KINDER LAUT “BILD” UND BILD.DE “VERSAUEN” KÖNNEN!
Jörg Schulz und Stephan Kürthy machen sich ernsthaft Sorgen um “unsere Kinder”. Und die zwei “Bild”-Autoren haben auch schon einen Schuldigen ausgemacht, der “unsere Kinder” in Gefahr bringt — der “Kinderkanal” von ARD und ZDF:
Der “KiKa” soll nämlich daran Schuld sein, dass Jugendliche jetzt rausfinden können, dass der Penis auch mal “Latte” und die Vagina “Muschi” genannt wird. Oder dass Engländer zu Hoden “balls” sagen, während Brüste in Spanien “limones” genannt werden.
Nächster Aufreger um den Kinderkanal von ARD und ZDF. So finden sich auf der KiKA-Homepage zwei “Fremdsprachen-Spickzettel”.
► Thema: “Brüste und Vagina international” und “Penis und Hoden international”.
Mit kleinen Zeichnungen versehen, will der KiKA spielerisch “Lust auf Angeberwissen” wecken und schreibt dazu: “Wie wär’s mit einem Fremdsprachen-Spickzettel für geläufige Bezeichnungen von Brust und Vagina bzw. Penis und Hoden? Weil wir sehr gelacht haben und auch noch etwas dazulernten, wollten wir dir das nicht vorenthalten. Denn ganz ehrlich: ein bisschen Spaß muss sein.”
Der Spaß liest sich dann u.a. so: Euter für Brüste, Loch für Vagina, Peitsche für Penis und Liebeskartoffeln für Hoden.
Nein! Donnerwetter!
Die Empörung auf Seiten der “Bild”-Medien ist deswegen so scheinheilig und unglaubwürdig, weil sie — Überraschung! — selbst gerne mal über “Latten” und “Muschis” und “Eier” und “Glocken” berichten. Und das auch nicht einfach nur so im normalen Programm bei “Bild” und Bild.de, sondern speziell für eine ganz ähnliche Zielgruppe wie die des “KiKa” (beim öffentlich-rechtlichen Sender definiert man diese für die “Fremdsprachen–Spickzettel” als “Zuschauer auf ihrem Sprung zwischen Kindsein und Erwachsenwerden”).
Eine Oma geht zum Metzger und bestellt eine Salami. Der Metzger: “Am Stück oder in Scheiben?” Da reißt die Oma ihren Rock hoch und fragt: “Ist das ‘ne Pussy oder ein CD-Player?”
Gehen zwei Nutten durch Mainz. Meint die eine: “Mainz ist ein Drecksloch.” — Meint die andere: “Meins auch.”
Was ist der kleinste Dom der Welt? — Der Kondom. Kann nur einer drin stehen. Und sogar die Glocken hängen draußen!
“Pussy”, “Loch”, “Glocken”, “Latte”, “Eier”, “Muschi”, “Vorbau”, “Holz vor der Hütte” — all das finden Jörg Schulz und Stephan Kürthy beim “KiKa” ganz schlimm und gefährlich. Als ihre “BYou”-Kollegen “unsere Kinder” mit denselben Begriffen “versaut” haben, hatten sie offenbar nichts einzuwenden.
Vermutlich ist es Schulz und Kürthy letztlich auch völlig egal, dass diese Begriffe beim “KiKa” auftauchen. Es dürfte einfach eine günstige Gelegenheit gewesen sein, die laufende Kampagne gegen den Kindersender fortzuführen.
1. Getarnt als Gamer: Einblicke in eine rechtsradikale Troll-Armee (netzpolitik.org, Markus Reuter, Anna Biselli)
„Discord“ ist eigentlich eine Anwendung, die für die gleichzeitige Nutzung während des Spielens von Computerspielen entwickelt wurde. Doch in dem Gaming-Chat-Dienst tummeln sich auch zwielichtige Gestalten. Netzpolitik.org berichtet über die rechtsradikale Formation „Reconquista Germanica“, die von dort aus eine als Gamer getarnte Troll-Armee befehlige.
2. Geil, ein echter Krimi! (uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
In der „Ostsee-Zeitung“ wird der Fall eines aus bislang ungeklärter Ursache verbrannten Mannes wie folgt eingeleitet: „Eine Nacht nach der Ausstrahlung des jüngsten Teils der Stralsund-Krimireihe im ZDF läuft die Polizei am Sonntag in der Hansestadt wieder zur Form auf: Diesmal nicht im Film, sondern in Wirklichkeit. Das hier ist keine Fiktion.“ Boris Rosenkranz berichtet über eine Reportage, „die einerseits die Wirklichkeit betont, diese andererseits aber als Krimi-Szene schildert“.
3. Österreichs Rundfunk sagt „Nein“ zu Facebook (handelsblatt.com, Hans-Peter Siebenhaar)
Wie „Medien-Kommissar“ Hans-Peter Siebenhaar in seiner Kolumne berichtet, fordert der österreichische ORF-Manager Thomas Prantner eine Kehrtwende im Umgang mit Facebook. Der öffentlich-rechtliche Sender wolle nicht gratis zum Aufstieg des Konzerns beitragen. „Sollte der ORF mit seinem Vorhaben in Europa Schule machen, hätte das für Facebook durchaus ernste Folgen. Denn im Newsfeed von Facebook sollen künftig vor allem qualitative Medieninhalte erscheinen, die von den Mitgliedern des sozialen Netzwerkes geteilt werden. Gibt es aber weniger Inhalte der wichtigen Medienplattformen zu teilen, fehlen dem Newsfeed spannende und exklusive Inhalte.“
4. “Weißer Rauch” über dem Bundestag? (deutschlandfunk.de, Christoph Sterz)
Der „Deutschlandfunk“ hat sich mit dem Experten für Phrasen, Binsen und Wortgeklingel Udo Stiehl über Politiker-Floskeln und Politikberichterstattung unterhalten. Stiehl haben es besonders die schiefen Bilder angetan: „Wenn Sie eine “Mietpreisbremse” nehmen – das ist ja alleine schon ein konstruiertes Wort von der Politik: Die “Mietpreisbremse” bremst angeblich was, nun soll sie verändert werden, weil sie gar nicht so wirklich bremst. Und dann heißt es, die “Mietpreisbremse wird verschärft”. Mit einer scharfen Bremse haben Sie gar nichts davon, weil dann quietscht die allenfalls.“
5. Weil uns keine Zeit mehr für Scheinheiligkeit bleibt – Unser offener Brief an die Konrad-Adenauer-Stiftung (genderequalitymedia.org)
Die Konrad-Adenauer-Stiftung hatte in ihrem „politischen Salon“ zu einer umstrittenen Veranstaltung eingeladen: “Gender, Instrument der Umerziehung? (PDF) Bereits in der Einladung tauchten Formulierungen auf wie „Wer heute Mann ist, kann sich morgen als Frau definieren. Dass diese auf Selbstoptimierung ausgerichtete Ideologie, die in ihrer verkürzten Logik die Familie negiert, mit dem christlichen Menschenbild nichts zu tun hat, ist offenkundig.“ Dies hat die Initiative „Gender Equality Media“ auf den Plan gerufen, die sich mit einem offenen Brief an die Veranstalter wendet: „Drei Tage sind vergangen liebe Konrad-Adenauer-Stiftung, die wollten wir euch geben, damit ihr angemessen reagieren könnt, euch eine Antwort ausdenken könnt. Gekommen ist nichts. Daher nun hier, unser offener Brief an euch, mit viel Gefühl statt nur mit Zahlen, weil ihr hier kein wissenschaftliches Thema, sondern Menschenleben angegriffen habt.“
6. Sollte wohl lustig sein – ist es aber nicht (ndr.de, Video, 0:51 Minuten)
„Zapp“ kritisiert einen Beitrag der “heute-Show“, in dem diese sich über den stotternden AfD-Sachverständigen Dieter Amann lustig macht. Amann hatte die Anwesenden zuvor über seinen Sprachfehler aufgeklärt. Mittlerweile hat sich Oliver Welke für die „heute-Show“ bei dem AfD-Sachverständigen entschuldigt. Die Redaktion habe keine Kenntnis von der Sprachbehinderung gehabt. Die AfD fordert eine öffentliche Entschuldigung in der nächsten Sendung und nutzt den Vorgang zur Stimmungsmache gegen das öffentlich-rechtliche Fernsehen.
Es ist schon beeindruckend, wie die “Bild”-Medien es immer wieder hinbekommen, grausig ungenau und fehlerhaft über Flüchtlinge und Asylbewerber zu berichten. Gerade erst wieder, am Samstagabend bei Bild.de …
… und gestern in “Bild am Sonntag”:
“BamS”-Autor Lars Petersen hat den Text geschrieben und er scheint sich wirklich große Mühe gegeben zu haben, möglichst viel Irreführendes und Falsches darin unterzubringen.
Was in den Überschriften erstmal nicht klar wird: Es handelt sich bei der “Flüchtlingsfamilie” nicht etwa um eine Frau, einen Mann und ein Kind oder eine vierköpfige Familie, sondern um eine Mutter mit neun Kindern. Die 7300 Euro verteilen sich also auf zehn Personen.
Diese zehnköpfige Familie hat am 21. März 2017 einen Bescheid vom Landratsamt Leipzig bekommen, in dem ihr staatliche Leistungen gewährt werden: in der Summe eben für etwas mehr als 7300 Euro pro Monat. Der Bescheid tauchte, über welche Wege auch immer, vor einigen Tagen im Internet auf, drehte die große Runde durch den flüchtlingsfeindlichen Kosmos und landete anscheinend auch bei “BamS”-Autor Petersen.
Die 7300 Euro, die Bild.de und “Bild am Sonntag” plakativ in ihre Titelzeilen gepackt haben, dürften — sofern der Bescheid nicht gefälscht ist — stimmen. Doch schon die Worte “bekam” und “kassierte” in den Bild.de-Überschriften sind bedenklich. Man kann sie schließlich so verstehen, dass die Flüchtlingsfamilie die ganze Summe bar ausgezahlt bekommen oder dass der Staat sie ihr in dieser Höhe überwiesen hat. Doch weder das eine noch das andere stimmt. Tatsächlich hat die Familie deutlich weniger (Bar-)Geld pro Monat bekommen. Der Landkreis Leipzig hat eine Pressemitteilung zu dem im Internet aufgetauchten Bescheid herausgegeben. Darin steht unter anderem:
Die Bescheide des Amtes sind so aufgebaut, dass eine Gesamtsumme zwar berechnet wird, aber die Kosten für die Unterbringung in einem Asylwohnheim nicht an die Bewohner geht. Die Kosten für die Unterbringung einer zehnköpfige Familie in einer Gemeinschaftseinrichtung können monatlich durchaus über 4000 Euro betragen. Darin sind dann bereits alle Nebenkosten enthalten, ähnlich einem Studentenwohnheim oder einer anderen möblierten Unterkunft. Zudem ist auch die soziale Grundbetreuung enthalten. Diese Summe bekommt die Familie nicht ausbezahlt, der Betrag wird von der ausgewiesenen Gesamtsumme abgezogen.
Zur Verfügung, konkret als Barscheck, steht jedoch nur ein wesentlich kleinerer Betrag. Dieser entspricht dem Sozialhilfesatz, der allgemein bekannt sein dürfte. Es kommt hier auch kein Kindergeld hinzu!
(Hervorhebungen im Original.)
Also gerade mal Sozialhilfe-Niveau (wie viel das genau ist — dazu später mehr) und die Unterbringung in einer “Gemeinschaftseinrichtung”.
Die Pressemitteilung des Landratsamts Leipzig zitiert Lars Petersen in seinem Text sogar. Er und seine Redaktion wissen also, dass die Flüchtlingsfamilie nie 7300 Euro pro Monat ausbezahlt bekommen hat, sondern ein Großteil schon vorher abgezogen wurde. Dass die Überschrift diesen Umstand in ihrer verkürzten Form nicht wiedergibt, ist ziemlich problematisch, denn es handelt sich bei dem Bild.de-Artikel um einen “Bild plus”-Inhalt. Dadurch erfahren nur Abonnenten, dass die Frau und ihre Kinder nicht monatlich 7300 Euro bar auf die Hand bekommen haben. Und auch die meisten Leute, die unter dem Facebook-Post der “Bild”-Redaktion (bis jetzt über 7700 Mal geliket, über 2700 Mal geteilt, über 2400 Mal kommentiert) wütende Kommentare hinterlassen haben, dürften diesen Fakt nicht kennen. Dort wird schon “ein neuer Führer” gefordert, es werden Ausländer als Feindbilder gepflegt (“Und wieder werden Ausländer bevorzugt”) und die Armen gegen die ganze Armen ausgespielt (“Tja und hier Sammeln unsere Leute Pfandflaschen . Du darfst eben alles sein , nur nicht Deutscher.”).
Man kann nun streiten, wie fahrlässig die Formulierungen “bekam” und “kassierte” in den Schlagzeilen sind. Im Text wird es dann jedenfalls richtig abenteuerlich. Direkt am Anfang schreibt Petersen:
Weil ihr Asylverfahren länger als 15 Monate dauerte, bekam eine zehnköpfige Flüchtlingsfamilie monatlich 7300 Euro vom Staat.
Und ein paar Sätze später:
Grund für den hohen Betrag: Nicht nur die Anzahl der Familienmitglieder, sondern auch die langsame Bearbeitung des Falls im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF).
Das ist irreführend. Die Dauer der “Bearbeitung des Falls im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge” ist nicht das entscheidende Kriterium für die Höhe der staatlichen Leistungen. Das Asylbewerberleistungsgesetz regelt in Deutschland, wann Asylbewerbern welche Gelder und welche Leistung zustehen. Für den Fall der zehnköpfigen Familie, über die Lars Petersen schreibt, ist Paragraph 2 wichtig:
Abweichend (…) ist das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die sich seit 15 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.
Durch diesen Paragraphen erhalten Asylbewerber, die sich seit 15 Monaten in Deutschland befinden, eine sogenannte “Analogleistung”, deren Höhe sich am “Zwölften Buch Sozialgesetzbuch”, der Sozialhilfe, orientiert. Wer zu den “Leistungsberechtigten” zählt, steht in Paragraph 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes. Und dort sind nicht nur diejenigen aufgezählt, deren Asylverfahren länger als 15 Monate dauern, sondern zum Beispiel auch Asylbewerber, deren Anträge bereits abgelehnt wurden und die sich nur mit einer Duldung in Deutschland aufhalten. Mal rein theoretisch: Wäre das “BaMF” beim Asylantrag der zehnköpfigen Familie, über die Petersen berichtet, schneller gewesen und hätte den Antrag beispielsweise schon nach acht Monaten abgelehnt und eine Duldung ausgesprochen, würden der Familie nach insgesamt 15 Monaten in Deutschland ebenfalls Leistungen in Höhe von 7300 Euro zustehen. Das Tempo des Bundesamtes ist dabei irrelevant.
Nicht nur irreführend, sondern völlig falsch ist folgende Behauptung von Lars Petersen:
Laut Paragraf 2 Asylbewerberleistungsgesetz steht Flüchtlingen, die länger als 15 Monate auf ihren Bescheid warten und sich in der Zeit nichts zuschulden haben kommen lassen, Sozialhilfe zu. Dann erhöhen sich die staatlichen Leistungen auf das Doppelte
15 Monate auf den Bescheid warten und, zack!, “die staatlichen Leistungen” verdoppeln sich? Nein, sie steigen in einem viel geringeren Maße. An dieser Stelle muss man sich das Asylbewerberleistungsgesetz noch etwas genauer anschauen. Und man sollte der Übersicht halber drei Fälle unterscheiden:
Fall 1: eine Person, die innerhalb der ersten 15 Monate in Deutschland in einer Aufnahmeeinrichtung lebt. Fall 2: eine Person, die innerhalb der ersten 15 Monate in Deutschland außerhalb einer Aufnahmeeinrichtung lebt, zum Beispiel in einer Gemeinschaftseinrichtung. Fall 3: eine Person, die länger als 15 Monate in Deutschland und außerhalb einer Aufnahmeeinrichtung lebt, zum Beispiel in einer Gemeinschaftseinrichtung.
Für Fall 1 beschreibt Paragraph 3, Absatz 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes die “Grundleistungen”. Diese setzen sich aus dem “notwendigen Bedarf” (Nahrung, Unterkunft, Heizung, Kleidung und so weiter) und dem “notwendigen persönlichen Bedarf” (Handykosten, S-Bahn-Tickets, mal ins Kino gehen und so weiter) zusammen. Der “notwendige Bedarf” soll in der Regel durch Sachleistungen gedeckt werden — zum Beispiel ein Bett und Essen in der Aufnahmeeinrichtung oder Kleidung aus einer Ausgabestelle. Der “notwendige persönliche Bedarf” wird häufig in Form eines Taschengeldes in bar ausgezahlt. Für einen alleinstehenden Erwachsenen etwa sind das aktuell 135 Euro im Monat, für einen Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren 76 Euro.
In Paragraph 3, Absatz 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes geht es um Fall 2:
Bei einer Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen (…) sind (…) vorrangig Geldleistungen zur Deckung des notwendigen Bedarfs nach Absatz 1 Satz 1 zu gewähren.
Das heißt: Der Erwachsene, der innerhalb der ersten 15 Monate in Deutschland zum Beispiel in einer Gemeinschaftseinrichtung lebt, bekommt nicht nur die 135 Euro für den “notwendigen persönlichen Bedarf” ausbezahlt, sondern auch Bargeld für den “notwendigen Bedarf”. Das sind 219 Euro pro Monat extra. Insgesamt bekommt ein alleinstehender Flüchtling innerhalb der ersten 15 Monate in Deutschland also monatlich 354 Euro vom Staat, wenn er außerhalb einer Aufnahmeeinrichtung lebt. Dazu werden unter anderem auch noch Kosten für die Unterkunft übernommen.
Die zehnköpfige Flüchtlingsfamilie, über die die “Bild”-Medien berichten, dürfte im März 2017 von Fall 2 zu Fall 3 gewechselt sein: Sie waren schon vorher in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht, allerdings waren sie nun berechtigt, die “Analogleistung” zu beziehen, weil sie sich seit 15 Monaten in Deutschland aufhielten. Bei dieser Änderung sollen sich laut Lars Petersen “die staatlichen Leistungen auf das Doppelte” erhöhen. Das ist Nonsens. Stattdessen steigt die Summe bei einem alleinstehenden Erwachsenen von bisher 354 Euro auf 416 Euro. Auch hier kommt noch die Übernahme der Kosten für die Unterkunft hinzu, die — wie in der Pressemitteilung des Landratsamts Leipzig zu lesen ist — mitunter recht hoch sein können.
So viel zu dem Unfug, den Lars Petersen (der vor einem Monat übrigens schon Unfug über Flüchtlinge in Deutschkursen verbreitet hat) in seinem Text unterbringen konnte. Ganz am Ende zitiert der “BamS”-Autor noch Kai Wegner, der für die CDU im Bundestag sitzt:
Der Berliner Bundestagsabgeordnete Kai Wegner (45, CDU) fordert nun eine Gesetzesänderung: “Es ist ein Skandal, dass unsere Sozialhilfe manchen Flüchtlingsfamilien Einkünfte ermöglicht, von denen Normalverdiener nur träumen können. Hier fehlt mir jedes Verständnis. Die Gesetze müssen schnellstmöglich angepasst werden. Das Asylbewerberleistungsgesetz muss für das gesamte Verfahren gelten — egal, wie lang es dauert.”
Noch einmal extra für Wegner:
Das Asylbewerberleistungsgesetz gilt bereits “für das gesamte Verfahren”. Es handelt sich nur um unterschiedliche Paragraphen. Die 7300 Euro sind nicht die monatlichen “Einkünfte” der zehnköpfigen Flüchtlingsfamilie. Es handelt sich um die Summe, die der Staat für sie im Monat ausgibt, zum größten Teil für eine Unterkunft. Jede deutsche Mutter mit neun Kindern im selben Alter würde als Sozialhilfeempfängerin genauso viel und dieselben Leistungen bekommen wie die Flüchtlingsfamilie. Es handelt sich hier schließlich um die Sicherung des Existenzminimums, die jeder Person zusteht, ob sie nun aus Afghanistan oder aus Arnsberg stammt. Und die Familie, über die Lars Petersen schreibt, lebte sicher nicht in Saus und Braus. Sie lebte zu dem Zeitpunkt, als der Bescheid ausgestellt wurde, in einer Gemeinschaftsunterkunft und auf Sozialhilfe-Niveau. Das ist wahrlich das komplette Gegenteil von allem, auf das man neidisch sein könnte.
Die Kollegen von “Mimikama” haben die Sache mit dem Bescheid vom Landkreis Leipzig schon sehr früh aufgeklärt, lange bevor sie in den “Bild”-Medien aufgetaucht ist.
Mit Dank an Florian K., Theo H., Heiko und @gegenRechts84 für die Hinweise!
1. “Bild”-Chefin sagt tschö (taz.de, Peter Weissenburger)
Das Modell Doppelspitze war einmal: Die „Bild“-Chefredakteurin Tanit Koch hat den internen Machtkampf verloren und verlässt Axel Springer. Übrig bleibt Julian Reichelt als Boss von Print und Online. Tanit Koch hatte sich am Freitag mit deutlichen Worten von den Mitarbeitern verabschiedet: „Wenn zwei Menschen professionell nicht harmonieren, lässt sich das eine Zeitlang durch Kompromisse ausgleichen. 2017 war davon geprägt, bis meine Kompromissbereitschaft an ihre Grenzen gelangte.“
Weitere Lesetipps: Medienkennerin Ulrike Simon kommentiert den Vorgang auf Horizont.net mit “Es war an der Zeit”, und Martin Kaul schreibt Tanit Koch seinen zweiten Brief: “An meine Brieffreundin Tanit”.
2. Was steckt hinter der Twitter-Amnestie der Frankfurter Polizei? (netzpolitik.org, Matthias Monroy)
Das Verhalten der Polizei auf Twitter wird teils überschwänglich gelobt, teils heftig kritisiert. Letzteres liegt daran, dass das polizeiliche Auftreten auf Twitter häufig undurchsichtig und ungeregelt scheint. Einige Social-Media-Teams würden ohne Rechtsgrundlage und Verfahrensregelungen agieren, so Matthias Monroy auf netzpolitik.org. Monroy hat einschlägige Erfahrungen: Er wurde von der Polizei Frankfurt auf Twitter blockiert. Ein Vorgang, der von Rechtsexperten als Eingriff in die Informationsfreiheit bewertet wird.
3. Wie die FAZ Äpfel mit Birnen vergleicht (stefan-fries.com)
Die „FAZ“ spricht in Zusammenhang mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gerne von „Staatsfunk“ und „Zwangsgebühr“. Dieser Sprachgebrauch sei nach der Einschätzung von Stefan Fries zurückgegangen, die Artikel zum Thema seien dennoch tendenziös. So hätte „FAZ“-Medienredakteur Michael Hanfeld mit falschen Zahlen operiert und den Eindruck erweckt, der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm fordere unverschämt viel Geld.
4. Sabotage am Förderband der Realität (republik.ch, Anja Conzett & Simon Schmid & Christof Moser & Constantin Seibt)
Als “die Geschichte eines Totalversagens” beschreibt “Republik” die Vorgänge um die altehrwürdige Schweizerische Depeschenagentur SDA. Der Streik dort zeige die ganze Misere der Schweizer Verlage. Der Artikel erzählt die spannende Geschichte des Niedergangs nach, bei der man lernen kann, wie man es nicht machen sollte: „Sparen ohne Strategie, ohne Leidenschaft und Investitionen. Ausdünnung der eigenen Produkte und Marken. Auflösung der Reserven. Angriff auf die eigenen Grundlagen wie Redaktionen, Glaubwürdigkeit, systemrelevante Institutionen wie SRG oder SDA. Und dann der erbitterte Kampf aller gegen alle um ein paar Franken, Vorteile oder Werbeanteile.” Weiterer Lesetipp: “‘Wir sind die Hauptakteure gegen Fake-News'” (Medienwoche, Adrian Lobe) mit einem “Blick in den Maschinenraum” von weltweit führenden Nachrichtenagenturen wie AP, AFP, dpa, “Reuters” und “Xinhua”.
5. Journalistik: Zeitschrift für Journalismusforschung (journalistik.online)
“Journalistik” nennt sich eine neue Publikation zum Thema Journalismus. Die Herausgeber schreiben im Editorial: “Anders als in den angelsächsischen Ländern, wo es eine ganze Reihe von Zeitschriften für “journalism studies” gibt und sogar wissenschaftliche Spezialorgane u. a. für Geschichte des Journalismus, journalistische Berufsethik oder literarischen Journalismus, fehlt den deutschsprachigen Ländern bisher eine Fachzeitschrift der Journalistik, die das Profil der Disziplin schärft. Deutschsprachige Journalismusforscherinnen und -forscher sind auf kommunikationswissenschaftliche Zeitschriften ohne Berufsbezug oder auf Praxisjournale angewiesen. Um diese Lücke zu füllen, starten wir die Zeitschrift “Journalistik”.”
6. Spanien empört sich über einen ironischen Text (faz.net, Hans-Christian Rößler)
Ein britischer Autor hat in der „Sunday Times“ ironisch über die Spanier gewitzelt. „Kommen Sie immer zu spät, außer ein Stier greift Sie an“, lautete seine erste Empfehlung. Andere, meist klischeebefrachtete Weisheiten über die Spanier folgten, zusammen mit dem Ratschlag , seine Landsleute sollten dort ihre „angelsächsischen Vorstellungen von Höflichkeit, Diskretion und Anstand vergessen“. Der darauf einsetzende Shitstorm war immens: Nach einer vergeblichen Klarstellung hätte sich der Autor nicht mehr anders zu helfen gewusst, als sein Twitter-Konto zu löschen.
Schaut man sich die Überschriften verschiedener deutscher und österreichischer Medien zu den neuesten Entwicklungen zum Tod von Schauspielerin Natalie Wood an, könnte man ja fast meinen, dass ihr früherer Ehemann Robert Wagner offiziell als Verdächtiger gilt:
As we’ve investigated the case over the last six years, I think he’s more of a person of interest now.
Wagner gelte als die letzte Person, die Wood vor deren Verschwinden gesehen hat. Aber: “Person of interest” bedeutet nicht automatisch, dass Wagner als Verdächtiger gilt. Den Begriff benutzen die Ermittlungsbehörden in den USA für Personen, bei denen sie vermuten, dass diese Informationen besitzen, die für einen Fall hilfreich sein könnten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass aus einer “person of interest” ein Verdächtiger wird. Nur ist man als “person of interest” nicht automatisch Verdächtiger.
A sheriff’s department spokesperson told NBC News that Wagner has remained a person of interest, and there has been no change in the status of the case. An investigation into Wood’s death was reopened in 2011 after police sought to interview witnesses about claims of foul play, but it was never classified as a criminal case and no one has ever been charged.
Mit Dank an James B. und @Dabo_612 für die Hinweise!
1. Karaoke im Landtag: Wie ein AfD-Politiker einen Artikel von uns als seine eigene Rede verkaufte (netzpolitik.org, Ingo Dachwitz)
Im Schweriner Landtag hat ein AfD-Abgeordneter einen alten Artikel von netzpolitik.org vorgetragen und dabei so getan, als ob es seine eigenen Gedanken seien. Anscheinend, ohne auch nur annähernd zu wissen, wovon er da gerade spricht: „Er liest die komplette Rede ab — und zwar so, als würde er den Text zum ersten Mal sehen. Was der AfD-Politiker eigentlich sagen will, weiß er offenbar selbst nicht recht. Dem NDR sagt er später, er habe den Redeauftrag „kurzfristig“ übernommen — zwei Tage vorher. Ein Mitarbeiter habe den Text für ihn geschrieben. „Dumm gelaufen“ sei das.“
2. Tendenziöse Berichterstattung (1ppm.de, Johannes Mirus)
Im „Spiegel“ erschien ein Artikel über Manipulation in der Marktforschung: “Wie Umfragen gefälscht und Kunden betrogen werden” . Die Autoren hatten sich bei ihrer Recherche u.a. an den Unternehmensberater Johannes Mirus gewandt, der höchst unzufrieden damit ist, was der „Spiegel“ aus seinen Aussagen gemacht habe: „Leider nicht das erste Mal, dass ich mich als Stichwortgeber missbrauchen lasse, um Berichterstattung zu untermauern, die genau das Gegenteil von dem fördert, was ich für richtig halte. Ich muss dringend lernen, bei Gesprächen mit der Presse vorsichtiger zu werden und auch mal ein Gespräch abzulehnen bzw. zu beenden.“
3. Auf das Lob (deutschlandfunk.de, Silke Burmester)
Silke Burmester ruft in ihrer Kolumne zum Lob auf: “Schreiben Sie mal eine Mail oder einen Brief an den Journalisten, die Journalistin, den oder die Sie am meisten schätzen. Schreiben Sie, rufen Sie an und sagen Sie, wie wichtig Ihnen diese Arbeit ist, wie fröhlich Sie diese macht oder wie sehr sie Sie berührt. Sagen Sie, was man einem Menschen sagt, der Aufmunterung vertragen kann.”
4. Ach Gottchen, RB Leipzig (journalist-magazin.de, Matthias Daniel)
„Ach Gottchen, RB Leipzig“ seufzt „journalist“-Chefredakteur Matthias Daniel und meint damit die Autorisierungspraxis des Fußballclubs. Diese habe ein tolles Interview mit Ralf Rangnick, dem Sportdirektor des Fußballklubs RB Leipzig, kaputt gemacht. Daniel: „Das ganze Ärgernis Autorisierung fängt ja schon damit an, dass in der Regel gar nicht mehr der Gesprächspartner selbst sein Interview autorisiert, sondern PR-Berater oder Pressestellen schrauben an den Manuskripten herum, bis alles Lebendige herausgequetscht ist.“
5. Kritik am Königshaus ist tabu (de.ejo-online.eu, Johanna Mack)
Es ist schlecht bestellt um die Pressefreiheit in Jordanien. Laut Verfassung herrscht in Jordanien Meinungs- und Redefreiheit. Dennoch könnten Journalisten wegen ihrer Aussagen verhaftet und sogar vor ein Militärgericht gestellt werden. Besonders empfindlich ist man, wenn es um das Königshaus geht: Kritik an der königlichen Familie sowie „die Verletzung arabisch-islamischer Werte“ seien verboten. Auch Berichte über Korruption würden mit hohen Geldstrafen geahndet werden können.
Aber man stelle sich das mal vor: Irgendein Holzkopf kommt auf die Idee, die Namen und Adressen all der Restaurants zu veröffentlichen, in die Julian Reichelt gern zum Mittagessen geht. Oder eine Liste rauszubringen mit den Clubs, in denen der “Bild”-Oberchef regelmäßig feiert. Oder, noch schlimmer, ein Foto samt Ortsbeschreibung von dem Haus zu posten, in dem Reichelt im Penthouse wohnt.
Julian Reichelt würde sich vermutlich heftig beschweren, immerhin passte ihm schon die Veröffentlichung einer groben Schätzung seines Gehalts nicht, weil das seine Familie in Gefahr bringe. Julian Reichelt würde sich völlig zu Recht beschweren, und wir würden ihm zustimmen, auch wenn es Julian Reichelt ist.
Zum Glück passiert sowas ja nicht so häufig, weil genügend Leute Anstand haben und die Privatsphäre anderer Menschen respektieren, auch von den Personen, die prominent in der Öffentlichkeit stehen. Außer die Leute von “Bild” und ihr Chef Julian Reichelt — die haben diesen Anstand offenbar nicht.
Seit drei Tagen gibt es eine neue Serie bei “Bild”, Bild.de und “Fußball Bild”. “Kosmos der Klubs” ist ihr Titel, und sie soll der Leserschaft verraten, “wo Sie die Spieler Ihres Vereins treffen können”. In Folge 1 ging es um den FC Bayern München …
… in Folge 2 um Eintracht Frankfurt …
… heute dann in Folge 3 um den HSV:
Und weil es insgesamt 18 Bundesligavereine gibt, ist zu befürchten, dass uns noch mindestens 15 weitere Folgen erwarten.
Neben längst Bekanntem (die Fußballer aus München gehen häufig in die Praxis von Dr. Müller-Wohlfahrt, wenn sie verletzt sind — oho!) veröffentlichen die “Bild”-Medien im “Kosmos der Klubs” auch Dinge, die bisher sicher nicht jeder wusste und die vielleicht auch nicht jeder wissen sollte: Wo der neue HSV-Trainer Bernd Hollerbach öfters Pizza isst. Wo Jérôme Boateng “super-zarte Steaks” verdrückt. Die Lieblings-Discos der Spieler des FC Bayern. Zu welchem Inder Alex Meier häufig geht. In der Folge über Eintracht Frankfurt zeigt die Redaktion ein Foto eines Hochhauses und schreibt dazu: “Auch hier wohnen Spieler.”
Bei Bild.de kommt man an diese Informationen nur, wenn man ein “Bild plus”-Abo hat. Oder anders gesagt: Julian Reichelt und seine Mitarbeiter versuchen, mit dem Privatleben anderer Menschen Kasse zu machen.
1. Berliner CDU-Fraktion nutzte Fahndungsfoto illegal für Überwachungswerbung (netzpolitik.org, Markus Reuter)
Wer am lautesten nach Sicherheit und Überwachung ruft, nimmt es manchmal mit den Gesetzen selbst nicht so genau, schreibt Markus Reuter auf „netzpolitik.org“. Ein aktuelles Beispiel sei die Berliner CDU-Fraktion. Diese habe Gesetze übertreten, um für mehr Videoüberwachung zu werben und unerlaubt ein Bild einer „BVG“-Überwachungskamera verwendet. Die BVG hat dafür wenig Verständnis („Die CDU hat sich strafbar gemacht“). Daraufhin hätten die CDU und auch ein Abgeordneter die Bilder aus allen Online-Veröffentlichungen gelöscht. Das gedruckte Heft, in dem man das Bild illegal nutzt, um das Volksbegehren für mehr Videoüberwachung zu bewerben, wurde aber offenbar weiter verbreitet.
2. Schluss mit kryptischer Werbung für Kryptowährung (zeit.de, Eike Kühl)
Beim Thema Kryptowährungen ist viel Abzocke im Spiel. Viele dubiose Anbieter nutzen den Bitcoin-Hype aus, um ordentlich Kasse zu machen und schalten dazu fragwürdige Anzeigen auf Facebook. Dies wird von Facebook nun unterbunden. Eike Kühl erklärt den Zusammenhang und die Interessenlagen.
3. Im Kampf für die eigene Wahrheit (faktenfinder.tagesschau.de, Stefanie Dodt)
Der rechte Medienaktivist James O’Keefe ist für seine fragwürdigen Methoden bekannt. Mit dem “Project Veritas” will er etablierte Journalisten vorführen, indem er verdeckte Ermittler aus seinem Mitarbeiterstab auf sie ansetzt. Diese versuchen das Vertrauen der Person zu erschleichen und sie im privaten Umfeld in Gespräche über Politik zu verwickeln. Die Mitarbeiter sind mit versteckten Kameras ausgerüstet, die Aufnahmen landen im Netz… Weitere Informationen im Medienmagazin „Zapp“. Dort erzählt O`Keefe wie er arbeitet, wer sein Idol ist – und wer sein Feindbild: die übermächtigen Medien.
4. Die Mediatheken gefährden die Filmwirtschaft (zeit.de, Alfred Holighaus)
Aktuell entscheiden die Ministerpräsidenten der Länder darüber, ob ARD und ZDF ihre Mediatheken weiter ausbauen dürfen. Was für den Zuschauer ein Fortschritt wäre, erfüllt die Filmproduzenten mit Sorge. Alfred Holighaus, Präsident der „Spio“, der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft, sieht darin gar den Niedergang des deutschen Films: „Wer ARD und ZDF einen Ausbau ihrer Mediatheken auf Kosten der Filmproduzenten, ihrer Co-Finanziers und der Urheber erlaubt, trägt dazu bei, dass deutsche Film- und Fernsehproduktionen schlechter werden.“ Es geht dabei, wie sollte es anders sein, um Geld.
5. Autoritäre Logik (taz.de, Christian Mihr)
Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ hat Verfassungsbeschwerde gegen das neue BND-Gesetz eingereicht. RoG-Geschäftsführer Mihr: „Das neue Gesetz für den Bundesnachrichtendienst folgt einer autoritären Logik: Es dreiteilt das Menschenrecht auf Pressefreiheit abhängig von der Nationalität. Deutsche sollen angeblich nicht überwacht werden, EU-Bürger nur mit Einschränkungen, und der Rest der Welt ist vogelfrei. Sonderrechte für Journalisten? Gibt es gar nicht.“
6. Ich habe einen Tag Kika geguckt, um herauszufinden, warum Alice Weidel ihn abschaffen will (vice.com, Lisa Ludwig)
Lisa Ludwig hat sich einen Tag „Kika“ angeschaut, um herauszufinden, worin eine eventuelle Bedrohung liegen könnte. Eine Bedrohung, die vor allem von der Fraktionsvorsitzenden der AfD, Alice Weidel, wahrgenommen wird. Nach einem ganzen Tag vor der „Kika“-Glotze konstatiert Lisa Ludwig: „Wenn dieser Sender irgendwann mal abgeschaltet wird, dann nicht, weil er seiner jungen Zuschauerschaft abwaschbare Wohlfühlwerte wie Freundschaft oder eine positive Lebenseinstellung vermittelt. Das wirkliche Problem, liebe Alice Weidel, sind nicht die wenigen Kinder mit Migrationshintergrund, die zwischen den ganzen weißen Mittelschichts-Kids gezeigt werden. Das wirkliche Problem sind diese verdammten singenden Tiere.“