Zu Besuch bei Gujer, Zukunft von “Buzzfeed”, Fragerecht per Los

1. Wie war ich?
(republik.ch, Daniel Ryser)
Daniel Ryser hat ein überaus lesenswertes Porträt des “NZZ”-Chefredakteurs Eric Gujer verfasst. Er hat ihn im Schweizer Stammhaus besucht und ist nicht davor zurückgeschreckt, Gujer auch mit unangenehmen Fragen zur wirtschaftlichen Entwicklung zu konfrontieren: “Gujer lächelt das mit einem Kopf­schütteln weg, und natürlich kann man durchaus sagen, dass es völlig unwesentlich ist, dass in meinen komplett vernachlässigbaren, in Bubbles erstickenden linken Zecken­kreisen niemand mehr die NZZ liest, weil man es zum Beispiel in einer Welt der Trumps, Erdoğans, Putins, Orbáns, Bolsonaros und Johnsons irgendwann als intellektuelle Beleidigung empfand, wöchentlich erzählt zu bekommen, dass wir offenbar — zumindest in der Wahrnehmung an der Falkenstrasse — kurz vor einer totalitären Diktatur eines queer­feministischen Regen­bogens stehen. Aber 30’000 verloren gegangene Print-Jahres­abos lassen sich womöglich doch nicht so einfach mit Bubble und ‘lesen einfach keine Zeitung mehr’ schönreden.”

2. Was wird aus der deutschen Redaktion?
(deutschlandfunk.de, Daniel Bouhs, Audio: 4:51 Minuten)
Vergangenes Jahr wurde “Buzzfeed News”-Chef Daniel Drepper noch als “Chefredakteur des Jahres” ausgezeichnet. Heute bangen er und seine Redaktion um die berufliche Existenz. Die “Buzzfeed”-Zentrale will seinen mit Lob und Preisen ausgezeichneten deutschen Ableger abstoßen. Man möchte meinen, dass sich deutsche Medienhäuser um das tüchtige Team reißen, doch die derzeitigen Aussichten seien ungewiss.

3. Rechtsextreme podcasten ungestört bei Spotify
(rnd.de, Matthias Schwarzer)
Rechtsextreme haben das Medium Podcast für sich entdeckt — um in der Corona-Krise die Deutungshoheit zu erlangen und um ihre Ideen unters Volk zu bringen. Matthias Schwarzer hat sich angeschaut beziehungsweise angehört, wie die Gruppierung “Ein Prozent” bei ihren Audio-Produktionen vorgeht und welche Köpfe hinter dem Netzwerk stecken.

4. Lotterie: Gewinner dürfen Fragen stellen
(verdi.de, Reiner Wandler)
Pressekonferenzen der spanischen Regierung finden derzeit online und vor leeren Stuhlreihen statt. Journalistinnen und Journalisten, die eine Frage stellen wollen, müssen auf eine Art Gewinnspiel hoffen: Nur wer ausgelost werde, könne per Videoschalte auf der Pressekonferenz zu Wort kommen. Dagegen richte sich nun der Widerstand zahlreicher Medienschaffender: Mittlerweile hätten über 400 von ihnen ein Manifest mit dem Titel “Die Freiheit zu fragen” unterzeichnet.

5. Podcasts zwischen Corona-Hype und Spotify-Monopol
(medienwoche.ch, Nick Lüthi)
Corona-Podcasts haben viel für die Akzeptanz des Mediums Podcast getan. Gleichzeitig versuche Spotify, eine marktbeherrschende Stellung zu erreichen, so Nick Lüthi in der Schweizer “Medienwoche”: “Befürchtungen gehen dahin, dass sich Spotify zu einem Gatekeeper entwickelt, vergleichbar mit der Rolle von Google oder Facebook im Netz. Noch ist es nicht so weit, aber Spotify geht den Weg in diese Richtung ziemlich zielstrebig. Dabei profitiert das Unternehmen auch von jenen Produzenten, die ihre Podcasts dort zum Abruf einstellen. Und das sind so ziemlich alle.”

6. “Misstrauen Sie dieser Video-Kolumne!”
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz, Video: 1:19 Minuten)
“Focus”-Kolumnist Jan Fleischhauer kommentiert die Video-Kolumne von Jan Fleischhauer. Boris Rosenkranz hat eine Video-Collage mit Fleischhauer-Sprech-Schnipseln arrangiert und lässt ihn unter anderem sagen: “Misstrauen Sie dieser Video-Kolumne! Bis irgendwann die Polizei kommt.”

Zum Würfeln: Beauty-Themen in Boulevardmedien

Zeitknappheit, Personalmangel, begrenzte Ressourcen …

Wir kennen die Probleme der Redaktionen nur allzu gut und haben dafür die Lösung: Mit unserem neuen Würfelspiel “Kurz vor Redaktionsschluss” lassen sich, jawoll, auch kurz vor Redaktionsschluss auf die Schnelle druckreife Teaser, kurze Artikel und fragwürdige Beautytipps erstellen.

Folge 6 unserer 16-teiligen Serie: Beauty-Themen in Boulevardmedien.

Das neue BILDblog-Würfelspiel Kurz vor Redaktionsschluss - nur viermal würfeln, schon haben Sie einen boulevardesken Beautyartikel beisammen - Schritt eins: Würfeln Sie die Oben-Drüber- Zeile - Schritt zwei: Würfeln Sie die Protagonistin - Schritt drei: Würfeln Sie Experten-Empfehlung eins - Schritt vier: Würfeln Sie Experten-Empfehlung zwei - Varainte eins: Geheimrezept gegen Cellulite: Angelina Jolie setzt auf ayurvedisches Wurstwasser und Lackierwalze mit Nutella! Variante zwei: Neuer Falten-Glätter: Gwen Stefani schwört auf laktosefreie Gesichtsmaske und Extensions aus Eselshaar! Variante drei: Wundermittel gegen Krähenfüße: Meghan Markle empfiehlt abgestandene Kamelmilch und Dracula-Gebiss aus Kaugummiautomat! Variante vier: Schminktipp für die Haut ab 70: Lena Gercke bevorzugt grobkörniges Schmirgelpapier und Lippen aus recycelten Fahrradschläuchen!  Variante fünf: Mega-Brüste dank Superfood: Gwyneth Paltrow vertraut auf Amazonas-Schlammpackung und homöopathisches Stinktier-Sekret! Variante sechs: Traum vom flachen Bauch: Kate Moss favorisiert holländische Gurkenmaske und Besuch beim Augenbrauen-Friseur!

Hier gibt es ein größeres JPG und hier ein größeres PDF zum Ausdrucken.

Am Freitag folgt Ausgabe 7.

Bisher erschienen:

Neue Fakten der “Storymachine”, Was für ein Aufzug, Sonja Zietlow

1. Streeck, Laschet, StoryMachine: Schnelle Daten, pünktlich geliefert
(riffreporter.de, Christian Schwägerl & Joachim Budde)
Die “Riffreporter” haben in einem längeren Lesestück die Vorgänge um das sogenannte “Heinsberg Protokoll” rekonstruiert. Eine lesenswerte Chronologie und Analyse mit erschreckenden Erkenntnissen: “Es ist Laschet, Streeck und StoryMachine gelungen, in der politischen Themen- und Prioritätensetzung neue Fakten zu schaffen und Aufmerksamkeit vom Lockdown auf den Exit umzulenken. Doch das PR-Bündnis hat einen Preis: Die Kritik an der Seriosität des Vorgehens.”

2. Traue keiner Statistik, …?
(spiegel.de, Marcel Pauly & Patrick Stotz)
Die Berichterstattung über das Coronavirus basiert häufig auf Zahlen. Doch welche Datenquellen und welche Messgrößen werden verwendet? Der “Spiegel” erklärt, woher die Daten kommen, wie aussagekräftig die Infiziertenzahlen sind, welche Kennzahlen für die Ländertabelle verwendet werden, und beantwortet weitere Fragen zum Umgang mit den Covid-19-Zahlen.

3. Was machen all diese Politiker in einem Aufzug?
(hessenschau.de)
Im ganzen Land heißt es Abstand halten, aber ausgerechnet die, die es besser wissen müssten, quetschen sich in einen proppenvollen Aufzug. Mit dabei: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, Kanzleramtsminister Helge Braun, Ministerpräsident Volker Bouffier, Regierungssprecher Michael Bußer (alle CDU) und Hessens Gesundheitsminister Kai Klose (Grüne), dazu noch mindestens sechs weitere Personen. Das Foto der irren Szene sorgte in den Sozialen Medien für allerlei Gesprächsstoff: von kritischen Anmerkungen bis hin zu spöttischen und lakonischen Bemerkungen.

4. Susanne Gaschke fragt sich, ob Corona der neue Hitler ist
(uebermedien.de, Jürn Kruse)
Gefallen sich die Deutschen tatsächlich “in 150-prozentigem Corona-Gehorsam”, wie von Susanne Gaschke in der “NZZ” behauptet? Jürn Kruse hat sich den Artikel absatzweise vorgenommen und die darin enthaltenen Vorwürfe und Unterstellungen (“Totalitarismus”, “Ermächtigungsgesetz”, “Unterwerfung”) seziert.

5. Forum Recht, Ausgabe “Don’t @ me” (1/2020)
(forum-recht-online.de)
“Forum Recht” ist ein rechtspolitisches Magazin, das vom Bundesarbeitskreis kritischer Juragruppen sowie einem Trägerverein herausgegeben und vor allem von Studierenden, Referendarinnen und Referendaren gefüllt wird. Die aktuelle Ausgabe widmet sich dem Thema Social Media: Wie agieren Menschen und staatliche Akteure in den Sozialen Medien? Und wie kann das Recht darauf reagieren? Das Heft steht jetzt zur freien Online-Lektüre bereit.

6. Sonja Zietlow irritiert mit Facebook-Posts zum Coronavirus
(rnd.de, Matthias Schwarzer)
In den vergangenen Tagen postete die prominente RTL-Moderatorin Sonja Zietlow (“Dschungelcamp”) allerlei Seltsamkeiten auf ihrem verifizierten Facebook-Kanal und lockte damit Verschwörungstheoretiker der unterschiedlichsten Couleur an. Am Ostersonntag veröffentlichte sie eine Liste mit Personen aus Medizin und Forschung, die ihrer Auffassung nach in der Gesellschaft als “Verschwörungstheoretiker” gelten würden. Das Problem: Viele davon hatten tatsächlich fragwürdige oder gänzlich widerlegte Aussagen über das Coronavirus verbreitet. “Wer nicht als Verschwörungstheoretiker gilt”, so Zietlow weiter in ihrem Post: “Prof. Dorsten (!), Lothar Wieler RKI, Bill Gates, Spahn.” Der Spuk scheint jedoch beendet, zumindest vorerst: Zietlows Facebookseite ist seit gestern Abend nicht mehr erreichbar.

Schoßhund-Fragen sind bei “Bild” Chefsache

Wenn der Außenminister der USA bei “Bild live” ein Interview gibt, dann ist das selbstverständlich Chefsache.

Screenshot Bild live - zu sehen sind Bild-Chefredakteur Julian Reichelt und US-Außenminister Mike Pompeo

Julian Reichelt durfte Mike Pompeo ein paar Fragen stellen. Und das hat der “Bild”-Chefredakteur genutzt — größtenteils um seine eigene Agenda abzuspulen: gegen Angela Merkel, gegen Heiko Maas, gegen die Berliner Landesregierung, gegen China.

Das schon mal vorweg: Keine der Fragen, die Reichelt in dem Interview unterbringen konnte, zielte auf mögliche Fehler oder Versäumnisse der US-Regierung in der Corona-Krise und die damit verbundene schlimme Lage in den USA. Keine Frage zu Donald Trumps Herunterspielen der Situation. Keine zu der späten Reaktion des US-Präsidenten auf das Coronavirus. Nicht mal ein vorsichtiges: “Hätte Ihre Regierung irgendetwas besser machen können, Herr Pompeo?”

Stattdessen: reichlich Suggestivfragen im Stile von “Derundder hat dasunddas gegen die USA gemacht. Ist das nicht schlimm?” Und, na klar: die Pflichten von Angela Merkel. Reichelt beginnt das Interview mit dieser Frage:

Amerika hat weltweit die meisten Toten in der Corona-Krise zu beklagen. Gibt es etwas, was das amerikanische Volk in dieser dramatischen Krise von Deutschland erwartet? Was ist Ihre Botschaft an Kanzlerin Angela Merkel?

Was für eine Verknüpfung: “die meisten Toten in der Corona-Krise” in den USA — was soll Angela Merkel jetzt liefern? Mike Pompeo steigt darauf nicht ein. Er lobt Deutschland und die Bundeskanzlerin als “großartige Partner”.

Weiter geht es mit mit Reichelts Frage zum deutschen Außenminister Heiko Maas, denn der hat es doch tatsächlich gewagt, die USA zu kritisieren:

Der deutsche Außenminister Heiko Maas hat die USA und China in einem Atemzug kritisiert. Er hat gesagt: China hätte zu autoritär auf die Corona-Krise reagiert, die USA hingegen hätten das Problem verharmlost. Macht es Sie ärgerlich, wenn die Diktatur China und die Demokratie USA in einem Atemzug so kritisiert werden?

Was soll Mike Pompeo darauf schon antworten? “Nee, finde ich super”? Stattdessen erzählt er, US-Präsident Trump habe “sehr starke Maßnahmen ergriffen, um unser Volk zu schützen.” Die chinesische Regierung hingegen hätte nicht schnell genug Informationen geliefert. Das sei “natürlich sehr bedauerlich”.

Wenn Reichelt ein wirkliches Interesse an dem Thema hätte, könnte er da natürlich mal nachhaken und anmerken, dass Donald Trump das Coronavirus noch verharmloste, als längst sehr hohe offizielle Infektionszahlen aus China bekannt waren. Macht er in seiner Schoßhundhaftigkeit aber nicht.

Dafür die nächste Suggestivfrage:

Die Berliner Regierung hat den USA sogar Piraterie vorgeworfen, fälschlich vorgeworfen, weil angeblich die USA Masken konfisziert haben sollten auf dem Weg nach Berlin, mussten sich später dafür entschuldigen. Sind Sie besorgt über diese Form von Anti-Amerikanismus in der deutschen Hauptstadt?

Es scheint, als gehe der “Bild”-Chef noch einmal die “Bild”-Aufregerthemen der vergangenen Tage durch, mit dem Ziel, die “Bild”-Positionen durch den US-Außenminister bestätigen zu lassen.

Nachdem Reichelt gefragt hat, ob es nicht eine Möglichkeit wäre, die “Zölle auf amerikanische Produkte in Deutschland oder in der EU zu senken, um die US-Wirtschaft weiter anzukurbeln”, geht es weiter mit der Bestätigung von Feindbildern:

Sie haben es selber gesagt: Diese Krise hat begonnen in Wuhan, China. Braucht es eine globale Debatte darüber, ob der chinesischen Regierung für die massiven Schäden, die weltweit angerichtet worden sind, eine Rechnung präsentiert werden muss?

Mike Pompeo lässt sich darauf nicht ein. Er antwortet (laut “Bild”-Simultanübersetzung), dass es mehr als eine solche “globale Debatte” brauche:

Wir müssen herausfinden: Wie konnte das passieren, um sicherzustellen, dass so etwas nie wieder passiert, oder wir zumindest das Risiko minimieren, dass so etwas je wieder passiert. Das ist wirklich essenziell: Dass wir verstehen, wo dieses Virus herkam, um das Risiko zu minimieren. (…) Es wird wirklich hohe Kosten geben. Und deswegen müssen wir sicherstellen, dass kein Land auf der Welt wieder der Ursprung einer solchen Krise sein kann.

Pompeo sagt nichts zu der “Rechnung” für die chinesische Regierung, nach der Reichelt gefragt hat. Also fragt der “Bild”-Chef noch mal:

Noch einmal: Soll China für diese Schäden, die dort entstanden sind, finanziell aufkommen?

Pompeo antwortet:

There will be a time when the people responsible will be held accountable. I am very confident that this will happen. At the moment, it’s absolutely necessary to focus on the current task in order to systematically restart the American, and then also the global, economy. There will be a time for assigning blame.

Also:

Es wird eine Zeit geben, in der die verantwortlichen Personen zur Rechenschaft gezogen werden. Ich bin sehr zuversichtlich, dass dies geschehen wird. Im Moment ist es absolut notwendig, sich auf die aktuelle Aufgabe zu konzentrieren, um die amerikanische und dann auch die globale Wirtschaft systematisch wieder in Gang zu bringen. Es wird eine Zeit für Schuldzuweisungen geben.

Daraus macht die “Bild”-Zeitung heute:

Ausriss Bild-Zeitung - US-Außenminister Pompeo im Bild-Intervier - Corona-Verantwortliche werden zur Rechenschaft gezogen

Bei Bild.de, wo die Redaktion eine englische Version des Artikels, der auch in der gedruckten “Bild” erschienen ist, veröffentlicht hat, klingt das etwas weniger vage:

Screenshot Bild.de - Bild interview with US Secretaroy of State Pompeo - China will be liable for the damage done by coronavirus

Die Aussage “China will be liable” hat hat sich die “Bild”-Redaktion ausgedacht.

Mit Dank an Gregor G. und anonym für die Hinweise!

Heinsberg und die “Storymachine”, Corona-Stillstand, 100 Jahre Kicker

1. Offene Fragen: Sportmanager Mronz und die Heinsberg-Studie
(sportschau.de, Niklas Schenk)
Rund um die sogenannte “Heinsberg-Studie” von Hendrik Streeck, Chefvirologe der Uni Bonn, tauchen allerhand Fragen auf, die nichts mit den medizinischen Ergebnissen zu tun haben, sondern sich auf einen Nebenaspekt beziehen: “Warum ist eine PR-Agentur an einer wissenschaftlichen Studie beteiligt? Wer hat [Michael] Mronz und seine Firma ‘Storymachine’ beauftragt? Wer bezahlt diese?”
Weitere Lesehinweise: Kritik und Zweifel an Studie aus Heinsberg (sueddeutsche.de, Kathrin Zinkant) und auf “Meedia” hat sich einer der “Storymachine”-Betreiber geäußert: “Heinsberg Protokoll”: Zum ersten Mal spricht Philipp Jessen über ein Storymachine-Projekt.

2. Im Stillstand der Städte
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Stadt- und Kulturmagazine trifft die derzeitige Lage besonders hart, da kaum noch Werbung für Veranstaltungen, Restaurants, Partys oder sonstige Events geschaltet wird. Boris Rosenkranz hat sich bei einigen Magazinen umgehört, wie sie mit der Krise umgehen.

3. Corona-Falschmeldungen erreichen ein Millionenpublikum
(sueddeutsche.de, Simon Hurtz & Hannes Munzinger)
Eine der “Süddeutschen Zeitung”, NDR und WDR vorliegende Analyse hat Videos und Artikel erfasst, die bei Faktenchecks als irreführend oder falsch gekennzeichnet wurden, und deren Ausbreitungswege ausgewertet. Die Corona-Krise mache Menschen besonders anfällig für Falschinformationen: Die betreffenden Videos würden millionenfach geklickt. Löschungen gälten in der Szene als besonderes Merkmal der Glaubwürdigkeit, und Faktenchecks könnten nur einen Bruchteil der Nutzerinnen und Nutzer erreichen.

4. Virale Propaganda
(netzpolitik.org, Daniel Laufer & Jan Petter)
Die rechte Szene habe ein Propagandaportal mit rechtsradikalen und rassistischen Botschaften gestartet, das sich vornehmlich an junge Leute richte und dabei auf die typischen Stilelemente wie Listen, Quizspiele und gut teilbare Grafiken setze. Recherchen von netzpolitik.org und “Bento” würden zeigen, dass der Gründer der Seite seit Jahren in der rechten Szene aktiv sei: “Er und seine Mitstreiter:innen haben nicht nur enge Verbindungen zu AfD-Politikern und der Jungen Alternative (JA), sondern auch ins rechtsextreme Milieu rund um die Identitäre Bewegung (IB) und zu anderen Medien, die teils vom Verfassungsschutz beobachtet werden.”
Weiterer Lesehinweis: Warum Rechtsextremisten Mythen zu Corona verbreiten (kattascha.de, Katharina Nocun).

5. Breitbart ist wieder da – und Facebook hilft tatkräftig mit
(nzz.ch, Marc Neumann)
Facebook stellt sich gern als Plattform dar, das alles Menschenmögliche gegen die Verbreitung von “Fake News” unternehme. Für Irritation sorgt da die Aufnahme des verschwörungstheoretischen und rechtsextremen Mediums “Breitbart” in das Nachrichtenangebot “Facebook News”. Wie immer hat man zur Verteidigung einen schön klingenden Grund zur Hand: Das Netzwerk wolle damit für “Standpunktdiversität” sorgen.

6. 100 Jahre Kicker: Ein Sportmagazin schreibt Geschichte
(ardmediathek.de, Andreas Kramer, Video: 41:24 Minuten)
Das Fußballmagazin “Kicker“ wird 100 Jahre alt. Anlässlich des runden Geburtstags berichtet eine TV-Doku über Geschichte, Gegenwart und Zukunft der bekannten Fußballzeitschrift. Was sind die Konstanten, was hat sich verändert? Der Beitrag ist eine bunte und abwechslungsreiche Collage mit vielen Informationen und Anekdoten aus der langen Historie.

“Sollten wir Fledermäuse ausrotten?” Nein.

Man sagt ja, es gebe keine doofen Fragen, nur doofe Antworten. Aber manchmal.

Screenshot Bild.de - Fledermäuse ausrotten? Fragen, die wir China stellen müssen

Der, nun ja, Gedanke hinter dieser Bild.de-Startseitengeschichte geht so: Gut möglich, dass das Coronavirus von einer Fledermaus, vielleicht über ein anderes Säugetier als Zwischenwirt, auf den Menschen übertragen wurde — also:

Screenshot Bild.de - Sollten wir Fledermäuse ausrotten?

Die “Bild”-Leute haben sogar einen Professor, den sie vorschieben können:

So oder so stellt der US-amerikanische Uni-Professor Scott Galloway (55) den Schutz von Fledermäusen infrage, geht noch weiter und spricht sogar eine Begrenzung der Zahl der Säugetiere an. Er schreibt beim Kurznachrichtendienst Twitter: “Vier von vier der tödlichsten Viren der letzten Zeit stammen von Fledermäusen: Ebola, SARS, MRSA und Covid.”

Während Scott Galloway von “limiting” spricht, also vom Begrenzen, wird bei Bild.de daraus gleich eine komplette Ausrottung der Fledermäuse. Im Original lautet Galloways Tweet:

Screenshot eines Tweets von Scott Galloway - I have questions: 1. will wet markets be banned 2. will eating bats be banned 3. four out of four of the deadliest viruses of late have come from bats (ebola, SARS, MRSA, covid). Sincere question: every species has a role, but are bats worth limiting as a species considering harms?

Scott Galloway ist tatsächlich, wie Bild.de schriebt, Professor. Allerdings nicht etwa für Virologie oder für Epidemiologie und auch nicht für Biologie oder für irgendetwas anderes zum Thema Passendes, sondern für Marketing. Das erklärt vielleicht, warum er so einen hanebüchenen Unsinn schreibt, den die “Bild”-Redaktion bedenkenlos wiedergibt: MRSA zählt nicht zu den “vier der tödlichsten Viren der letzten Zeit”, schlicht weil MRSA kein Virus ist. Bei Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus handelt es sich um Bakterien, die gegen Antibiotika resistent sein können. Sie zählen zu den sogenannten “Krankenhauskeimen”. Vielleicht meinte Galloway eigentlich MERS, das ein weiteres Coronavirus ist. Aber bis auf die Buchstaben M, R und S hat das eine mit dem anderen nicht so irre viel zu tun. Und eine Verwechselung würde aus Galloway nicht gerade einen Experten machen, den man zitieren sollte.

Die “Bild”-Leute scheinen solche Details aber nicht weiter zu jucken. Sie übersetzen einfach ohne irgendeine Einordnung und präsentieren Scott Galloway als vermeintlichen Fachmann für die Frage, ob man Fledermäuse wegen der Virusgefahr ausrotten soll.

Was dabei komplett fehlt im Bild.de-Artikel: die Konsequenzen eines solchen Schrittes. Fledermäuse haben eine wichtige Rolle im Ökosystem: Sie fressen viele Pflanzenschädlinge und haben daher einen enormen Wert für die Landwirtschaft. Außerdem bestäuben sie Blüten und verbreiten Samen. Würde man sie einfach ausrotten, was die “Bild”-Redaktion offenbar für einen möglichen Lösungsansatz hält, hätte das deutliche ökologische und ökonomische Folgen. Und auch für die Menschheit gäbe es im Alltag Nachteile: Wir wären viel mehr Mücken und anderen Insekten ausgesetzt.

In China gab es mal ein ähnliches Vorhaben wie das, das Bild.de heute ins Spiel bringt. Ende der 1950er-Jahre wollte man dort in der “Großen Spatzenkampagne” die Spatzen des Landes ausrotten. Die Folgen waren fatal: Riesige Heuschreckenschwärme, die, ohne ihren natürlichen Feind, den Spatz, ungehindert komplette Ernten auffressen konnten. Es verhungerten damals Millionen Menschen.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Zum Würfeln: Musikkritiken im Feuilleton

Zeitknappheit, Personalmangel, begrenzte Ressourcen …

Wir kennen die Probleme der Redaktionen nur allzu gut und haben dafür die Lösung: Mit unserem neuen Würfelspiel “Kurz vor Redaktionsschluss” lassen sich, jawoll, auch kurz vor Redaktionsschluss auf die Schnelle druckreife Teaser, kurze Artikel und ganze Besprechungen von neuen Songs und Alben erstellen.

Folge 5 unserer 16-teiligen Serie: Musikkritiken im Feuilleton.

Das neue BILDblog-Würfelspiel Kurz vor Redaktionsschluss - nur viermal würfeln, schon haben Sie eine komplette Musikkritik beisammen - Schritt 1: Würfeln Sie den Einleitungssatz - Schritt 2: Würfeln Sie das erste Kritikelement - Schritt 3: Würfeln Sie das zweite Kritikelement - Schritt 4: Würfeln Sie den Schlusssatz - Variante 1: Das apokalyptische Endzeitwerk paraphrasiert eine poetisch-nihilistische Eskapade und entwickelt eine Ästhetik der Durchlässigkeit: Die Musik zu einem Film, der nie gedreht wurde! Variante 2: Der dissonante No-Wave-Sound auf das Wiegenlied enthält Versatzstücke afroamerikanischer Musiktradition und oszilliert zwischen Eleganz und Quietschigkeit: ein Meisterwerk der Geschmackstransgression! Variante 3: Die ohrenbetäubend lapidare Soundlawine produziert ein dahintreibendes subsonisches, sinistres Rollen und trägt das ferne Echo einer dystopischen Welt: Zuckerwürfel-Pop am Ende des Regenbogens! Variante 4: Das fragrante und idiosynkratische Werk konstruiert düstere Tracks einer klerikalen Teufelsaustreibung und verweigert sich einer eindeutigen Genrezuschreibung: das in Musiknoten gegeossene Aufklärungsmanifest! Variante 5: Der Gattungs-Mix mit der modernen Klangästhetik erschafft futuristisch dahinwabernden Schaltkreis-Pop und verharrt zwischen Konstanz und Kontinuität: ein Schrei nach Liebe voller Wumms, Utopie und Eskapismus! Variante 6: Die groovende Selbstermächtigung für die Generation Z entfacht ein postfaktisches und redundantes Erhabenheitsgetöse und beschwört den Wunsch nach Katharsis herauf: ein aufgekratztes Sammelsurium von Ernst und Schäbigkeit!

Hier gibt es ein größeres JPG und hier ein größeres PDF zum Ausdrucken.

Am Mittwoch folgt Ausgabe 6.

Bisher erschienen:

Corona-Schub für Online-Angebote, Verbockt es nicht, Quarantäne-Keller

1. Hört auf mit den Stereotypen!
(journalist.de, Stella Männer)
“Während wir in Porträts über [Friedrich] Merz von seinem Hobby dem Fliegen erfuhren, lernten wir in Texten über [Annegret] Kramp-Karrenbauer, wie viele Kinder sie hat.” Die freie Journalistin Stella Männer hat in ihrer Masterarbeit die geschlechtsstereotype Diskriminierung von Frauen in Spitzenpositionen untersucht. Aus den daraus gewonnenen Erkenntnissen leitet sie acht konkrete Forderungen für einen besseren Journalismus ab.

2. Medien, verbockt es nicht!
(zeit.de, Rezo)
Der Youtuber Rezo beschäftigt sich in seiner aktuellen “Zeit”-Kolumne unter anderem mit dem Corona-Clickbait und erinnert die Medien an deren Verantwortung: “Wenn jemand auf etwas klickt, enttäuscht ist und es genervt wieder schließt, kommt nur eine Metrik an: ein Klick mehr. Wundervoll quantifizierbar, einheitlich vergleichbar, aber gerade deshalb oft völlig überbewertet und trügerisch. Den Verlust von Vertrauen und Respekt merkt man im Gegensatz dazu oft erst dann, wenn es zu spät ist. Und die Auswirkungen können drastisch sein, denn das Vertrauen, das man mit zehn guten Erfahrungen im Leser aufbaut, zerstört man mit einer schlechten wieder. ‘Wer einmal lügt’ und so.”

3. Werbung für Geldspiele: Transparenz sieht anders aus
(medienwoche.ch, Nick Lüthi)
Nick Lüthi kritisiert PR-getriebene Artikel über Schweizer Online-Casinos, die oftmals nicht klar als Werbung zu erkennen seien. Besonders auf Blick.ch würden immer wieder derartige grenzwertige Formate auftauchen. Lüthi plädiert für eine “Selbstverpflichtung auf klare Erkennbarkeit der Werbung”. Dies entspräche der liberalen Werbeordnung der Schweiz.

4. Ich bin immer ein bisschen unseriös.
(planet-interview.de, Jakob Buhre)
Jakob Buhre hat für “Planet Interview” mit der Autorin und Moderatorin Laura Karasek gesprochen. Es geht unter anderem um ihre Sendung “Zart am Limit”, Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung von Frauen in den Medien, zweischneidige beziehungsweise vergiftete Komplimente und ihre frühere Autorenschaft für “Bild”.

5. Moderation aus dem Quarantäne-Keller: CNN-Starreporter Chris Cuomo kämpft vor Millionenpublikum mit Corona
(meedia.de, Nils Jacobsen)
CNN-Reporter Chris Cuomo ist an einer Corona-Infektion erkrankt. Seit einer Woche berichtet er aus der privaten Keller-Quarantäne über den Verlauf der Erkrankung und schildert, was diese mit ihm psychisch mache. Zugeschaltet ist ein Arzt, der die Symptome medizinisch einordnet. Das Format werde von manchen Journalisten wegen der familiären Verbandelung Cuomos kritisiert: Chris Cuomo ist der jüngere Bruder von New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo.

6. Corona-Schub nicht nur im TV: n-tv.de überholt spiegel.de
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Dem aktuellen Geschehen geschuldet, sind die Besuchszahlen der großen Nachrichtenhäuser geradezu explodiert: Oft haben sich die Visits im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Leider konnten die spektakulären Online-Zuwächse viele Medienhäuser nicht vor der Kurzarbeit bewahren. Besonders eindrucksvoll hat sich übrigens n-tv.de entwickelt, das sich vor den “Spiegel” und direkt hinter Bild.de geschoben hat.

Atemschutzmasken-Wucherpreise im “Deal des Tages”

Unsere Redaktion durchforstet jeden Tag für Sie das Internet auf der Suche nach den besten Angeboten und präsentiert Ihnen an dieser Stelle den “Deal des Tages”. Egal, ob Sie ein echter Sparfuchs oder nur ein Hobby-Schnäppchenjäger sind, hier werden Sie jeden Tag auf das beste Angebot aufmerksam gemacht, das man zur Zeit im Internet finden kann.

Das ist doch mal ein toller Service, den die Redaktion der “Hamburger Morgenpost” bietet. Und was hat die “Mopo” heute für uns Hobby-Schnäppchenjäger und Sparfüchse?

Screenshot Mopo.de - Shoppingwelt - Mopo-Deal des Tages - FFP-2-Atemschutzmasken aus deutscher Online-Apotheke

Im Artikel steht dazu:

Atemschutzmasken sind in Zeiten von Corona zu einer echten Mangelware verkommen. Sie sind stets ausverkauft oder haben lange Lieferzeiten oder astronomische Preise.

Als Beleg für solch “astronomische Preise” bietet auch der “Mopo”-“Deal des Tages” einen: eine Maske soll 14,95 Euro kosten. Der Link, der zu der “deutschen Online-Apotheke” führt, ist ein Affiliate-Link. Das heißt: Die “Hamburger Morgenpost” dürfte an dem Wucher mitverdienen.

14,95 Euro ist noch einmal ein gutes Stück mehr als der Preis, den ein Team von WDR, NDR und “Süddeutscher Zeitung” genannt hat (13,52 Euro), um zu zeigen, dass FFP2-Atemschutzmasken sich in den vergangenen Wochen um circa 3000 Prozent verteuert haben. Eine Maske sei bis Mitte Februar für 45 Cent zu haben gewesen.

Die “Mopo”-Redaktion schreibt zu ihrem “Deal”:

Ein Deal im Sinne von einem echten Schnäppchen sind die Atemschutzmasken damit freilich nicht, aber in diesem Fall ist die Verfügbarkeit des Produkts schon eine Info wert.

Die Frage der Verfügbarkeit ist ja der nächste Punkt: In einer Zeit, in der deutschlandweit Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen verzweifelt auch nach solchen FFP2-Masken suchen, um ihr Personal bei der Arbeit schützen zu können, sollte eine Redaktion vielleicht nicht den privaten Kauf derartiger Masken promoten und dabei selbst noch ein bisschen abkassieren.

Bei Mopo.de kann man die teuren Atemschutzmasken immer noch finden, inzwischen allerdings nicht mehr als “Deal des Tages”. Die “Mopo”-Redaktion ist mit dem Angebot übrigens nicht allein: Auch beim Kölner “Express” und bei der “Kölnischen Rundschau” ist es online zu finden.

Mit Dank an Eric P. und @dan_hh für die Hinweise!

Nachtrag, 20:08 Uhr: Die “Mopo”-Redaktion hat bei Twitter mit mehreren Tweets auf unsere Kritik reagiert:

Screenshot eines Tweets der Mopo-Redaktion - Die Mopo-Redaktion findet diesen Deal genauso geschmacklos wie ihr, deshalb haben wir heute Nachmittag direkt interveniert, als uns der Artikel dazu von unserem Vermarktungspartner eingespielt wurde.
Screenshot eines Tweets der Mopo-Redaktion - Wir haben das Teaser-Element, das auf dieses mehr als zweifelhafte Angebot verweist, heute Nachmittag sofort von mopo.de entfernt. Der Artikel als solcher ist nach wie vor auch unter unserer Domain zu finden, weil er bei anderen Portalen nach wie vor online ist. Das ist technisch bedingt und ärgert uns wohl am meisten. Wir werden alles daran setzen, dass es in Zukunft zu so etwas nicht mehr kommt

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