Nach dem 5:0-Auswärtssieg des FC St. Pauli bei Alemannia Aachen am Montagabend ist ein St.-Pauli-Fan sechs Meter in die Tiefe gestürzt. Er wurde in ein künstliches Koma versetzt und ist offenbar noch nicht außer Lebensgefahr.
Weil man sich vielleicht nicht so gut vorstellen kann, wie es aussieht, wenn ein Mensch gerade sechs Meter tief aufs Betonpflaster gefallen ist, oder einfach, weil Fotos des Opfers auf dem Markt waren, veröffentlichten Bild.de und Express.de Bilder, die den Fan in einer Blutlache zeigten. Bei Bild.de war er auf dem Bauch liegend von der Seite zu sehen, auf dem Foto bei Express.de lag er auf der Seite, die Tätowierungen auf seinem der Kamera zugekehrten Rücken waren gut zu sehen.
Beide Bilder sind inzwischen aus den Artikeln verschwunden, was unmittelbar mit dem zusammenhängen dürfte, was die “Aachener Nachrichten” gestern schrieben:
Die Alemannia stellt der Familie [des Mannes] nach Angaben von Pressesprecher Thorsten Pracht “einen renommierten Hamburger Medienanwalt” auf Vereinskosten zur Verfügung, der zunächst auf Unterlassung der Veröffentlichung der Bilder des gestürzten Mannes klagen soll, die im Internetauftritt von zwei Boulevardzeitungen zu sehen sind.
Das rigorose Vorgehen gegen die Konkurrenz hielt die “Hamburger Morgenpost” aber offensichtlich nicht davon ab, heute ein Drittel ihrer Titelseite mit dem gleichen Foto zu füllen, das Express.de verwendet hatte. Direkt darüber: Ein Foto des Mannes vor dem Unfall, darunter sein Spitzname.
Im Innenteil der “Morgenpost” findet sich dann ein Foto des Fanblocks, in dem das Opfer als einzige von etwa 50 Personen notdürftig anonymisiert wurde — und gleich daneben eine unverpixelte Nahaufnahme, die den Fan beim Feiern zeigt.
Im Artikel unterhalb des Fotos erklärt die “Morgenpost”:
Gestern bat der Klub darum, die Profis nicht zu den Vorfällen zu befragen. Die MOPO kam dieser Bitte selbstverständlich nach.
Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.
Nachtrag, 17:15 Uhr: Die Unterseite im Internetauftritt der “Hamburger Morgenpost”, auf der man sonst jeden Tag das aktuelle Titelbild in zweifacher Ausführung betrachten kann, sieht seit dem Nachmittag so aus:
2. Nachtrag, 20. August: Auf ihrer Internetseite veröffentlicht die “Morgenpost” heute mehrere erboste Leserbriefe, in denen die Veröffentlichung des Fotos vom Unfallort scharf kritisiert wird.
Darüber schreibt die Redaktion:
Liebe Leser, das Titelfoto vom verunglückten St. Pauli-Fan […] löste bei den Anhängern teilweise heftige Reaktionen aus. Es war nicht unsere Absicht, Gefühle zu verletzen. Wir wünschen […] gute Besserung und seiner Familie viel Kraft. DIE REDAKTION
Gefühle wollte man also nicht verletzen — mit den Persönlichkeitsrechten sah es da offenbar etwas anders aus.
Man darf aber auch wirklich nichts glauben, was so im Internet steht:
Bild.de berichtete gestern über eine “Hacker-Attacke” auf die Website des Fußballbundesligisten Borussia Dortmund (in der Printausgabe war es gar eine “dreiste Hacker-Attacke”): Dort waren in der Rubrik “Mannschaft” für kurze Zeit die Daten des Bayern-Stürmers Luca Toni zu sehen gewesen.
Alles nur ein Scherz. Ein Unbekannter war wohl in den Server eingedrungen und hatte die Falschmeldung auf der Homepage platziert.
Was Bild.de nicht schrieb: Dort wären nicht nur Tonis Daten zu finden gewesen, sondern die jedes beliebigen Bundesliga-Spielers seit 1965. Die IT-Abteilung von Borussia Dortmund erklärte uns auf Anfrage, dass die angezeigten Daten aus einer externen Datenbank stammten, in der jeder Spieler eingetragen ist, der jemals in der Bundesliga gespielt hat.
Wenn man die Pfadangabe im Browser entsprechend veränderte, konnte man diese Daten auf der BVB-Website sehen. Mitglieder eines BVB-Fanforums hatten am Mittwoch genau das zur gegenseitigen Erheiterung getan — unter anderem mit Christopher Katongo, dem längst verstorbenen Hans Auernhammer und eben Luca Toni.
Auch der Hinweis “Die unterschriebene Autogrammkarte von Luca Toni liegt leider noch nicht vor, wird aber so schnell wie möglich nachgeliefert…” hätte sich (natürlich mit entsprechendem Namen) bei jedem Spieler gefunden, der nicht beim BVB unter Vertrag steht.
Wäre das Laden von externen Inhalten ein Hacker-Angriff, hätte Bild.de vor zwei Jahren auch einen gehabt. Also nichts mit einer “Falschmeldung auf der Homepage” oder “einem Unbekannten”, der “in den Server eingedrungen” war. Vor allem aber auch nichts mit einer solchen Montage:
Die hatte Bild.de der Einfachheit halber in Ermangelung spannender Fotos nämlich gleich selbst gemacht.
Das wiederum war dem Sportinformationsdienst (sid) nicht klar, als er gestern nicht nur die Behauptung vom Hackereingriff weiterverbreitete, sondern ihr auch noch die völlig falsche Überschrift “Hacker zieht Toni BVB-Dress an” gab.
Und damit war die Geschichte nicht mehr aufzuhalten: Sie stand beim Sportportal spox.com, auf Handelsblatt.com und Focus.de und unter einer anderen sid-eigenen Überschrift bei 11freunde.de. Für die Netzeitung handelt es sich um “eine höchst peinliche Angelegenheit” und die niederländische Website “Soccerway” überspannt den Bogen gleich richtig:
“Luca Toni joins Borussia Dortmund, it’s official.” This is the news many German fans woke up to this Friday, only to find out that it had all been the work of a rather inventive hacker.
The headline appear on the official website of Borussia Dortmund. To add to the hoax, the hacker included a picture of Toni wearing a Borussia jersey.
Das schwedische “Aftonbladet” bebilderte seine Meldung zum Thema gleich mit einem Screenshot von Bild.de und auch die renommierte italienische Sportzeitung “Gazzetta dello Sport” ließ es sich nicht nehmen, über den “Fall” zu berichten.
Mit Dank an die Hinweisgeber.
Nachtrag, 25. Juli, 00:15 Uhr: Bild.de hat sich zu einer kleinen (jetzt natürlich etwas späten) Überarbeitung der Bildunterschrift entschieden, den Rest des Artikels aber unverändert gelassen:
Nachtrag, 27. Juli: Bereits am Samstag hat “Welt Online” (wo man die Geschichte vom Hacker-Angriff auch verbreitet hatte) in einem Artikel klargestellt, was wirklich geschehen ist.
Alle anderen hier verlinkten Medien bleiben nach wie vor bei ihrer Darstellung — bzw. der von “Bild” und dem sid.
Gibt es Einsicht beim Portal sueddeutsche.de, dem Ersteller von Klickgalerien wie “Die 100 besten Biere der Welt“? – “Bilder über Bilder, Artikel, die sich über zehn Seiten schleppen, weil man nach drei Hauptsätzen schon weiter klicken muss, Sudoku, Wissenstests – der Ideenreichtum im Online-Journalismus scheint groß. Der Grund dafür ist einfach: Klicks bringen Geld, theoretisch zumindest. Denn jede Seite, die ein Internetbesucher aufruft, wird gezählt und ist deswegen vermarktbar. Doch die Online-Währung könnte sich ändern, ein bisschen zumindest.”
“Die Redakteure bei der Washington Post sind entsetzt. Die Marketingabteilung der renommierten Zeitung wollte Lobbyisten Zugang zur Redaktion verschaffen – gegen viel Geld.”
Ein Text über die Mobilitätsseiten der Zeitungen, die zu 97% “vom motorisierten Individualverkehr, sprich vom Privat-Pkw, dominiert” werden. Grundlage dafür ist eine Studie (pdf) der Deutschen Engergie-Agentur dena. Bereits der erste Satz der Pressemitteilung dazu könne man aber “so aus der Studie nicht ablesen”.
Werner D’Inka, einer der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, glaubt, dass Journalismus “”eben keine Heimwerker-Beschäftigung” sei und spricht “professionelle Filter und die Korrekturinstanz einer versierten Redaktion” an: “Kritik übte der FAZ-Herausgeber an Zeitungsverlagen, die dazu übergingen, ‘ihre Seiten von Leichtlohntruppen füllen zu lassen’.”
“Wer für einen Bericht von normaler Länge sich auch von renommierten Tageszeitungen (wie zum Beispiel der ‘Neuen Zürcher Zeitung’) mit 150 Euro abspeisen lassen muss, dem vergeht diese Art Journalismus ganz schnell, es sei denn, sie wird als Liebhaberei betrieben.”
“Bürgerreporter als wichtige Stütze, Arbeitsbedingungen schwierig. Die Blogger-Szene im Iran ist seit Jahren kritisch aktiv. Und derzeit bietet das Web 2.0 selbst renommierten Medien die einzige Möglichkeit, an authentische Informationen zu kommen.”
Robin Meyer-Lucht war am Medienforum NRW und an einer Veranstaltung zum “Ende des Journalismus” in Berlin und kriegte “das Gefühl, ein Mediensystem im Abstieg zu besichtigen”, denn: “Wirklich zentrale Fragen für neue Öffentlichkeitsstrukturen, wie beispielsweise eine Link-Ethik, werden nicht aufgegriffen. Das Internet als Leitmedium und der Veränderungsbedarf aller Medieninstitutionen werden noch immer unter den Vorzeichen und mit der Sprache des klassischen Systems verhandelt. ”
Bernd Graff, stellvertretender Chefredakteur von sueddeutsche.de, nennt die Piratenpartei die “politische Vertretung” von Pirate Bay. Doch so ist es nicht: “Piratenpartei und Pirate Bay entstammen derselben Bewegung, sind aber nicht direkt miteinander verbunden.”
Zwanzig Regeln für Journalisten bei Twitter. Von 1. “Denke, bevor du twitterst. Du kannst einen unbesonnenen Tweet nicht löschen” über 5. “Sei menschlich; sei ehrlich; sei offen; sei aktiv” bis zur 13. “Twittere nicht, wenn du wütend oder betrunken bist.”
Es ist eine sensationelle Geschichte, die die “Westdeutsche Allgemeine Zeitung” (“WAZ”) da vor zwei Wochen im Essener Lokalteil versteckt hatte: die eines Jungen, neben dem ein Meteorit einschlug, als er auf dem Weg zur Schule war.
Auf Fotos zeigte der 14-jährige Gerrit in der “WAZ” den etwa erbsgroßen Meteoriten; den Krater, den dieser beim Aufprall in der Asphaltdecke hinterließ, und eine Brandnarbe auf dem Handrücken, die er selbst beim Einschlag davongetragen hat.
Ob die Geschichte tatsächlich stimmt, lässt sich schwer sagen: Sie klingt sehr unwahrscheinlich, ist aber nicht unmöglich. Experten sind sehr skeptisch, sich aber auch uneins. Wir haben mit den Eltern des Jungen Kontakt aufgenommen, aber die möchten mit keinem Medienvertreter mehr sprechen.
Andere Medien haben offenbar nicht einmal den Versuch unternommen, der Geschichte auf den Grund zu gehen, und schrieben lieber munter ab, was woanders stand: “Bild” fasste den “WAZ”-Artikel kurz zusammen, hielt sich dabei aber noch an die bisher bekannten Fakten und übertrieb es lediglich bei der Überschrift:
Dann kam “Central European News” ins Spiel, eine in Wien ansässige Nachrichtenagentur, die sich offenbar darauf spezialisiert hat, deutschsprachige Meldungen ein bisschen aufgeplustert nach Großbritannien zu verkaufen (wie im vergangenen Jahr die Geschichte von Josef Fritzl und seiner Hautcreme).
Britische Medien berichteten anschließend so über den Fall:
Wie man auf die Zahl von 30.000 Meilen pro Stunde (48.280 km/h) kommt, ist schwer nachvollziehbar: Beim Eintritt in die Atmosphäre sind Geschwindigkeiten von bis zu 260.000 km/h denkbar, unten auf der Erde würde ein Meteorit aber nur noch mit Fallgeschwindigkeit (etwa 200 km/h) ankommen, wie der Scienceblogger Phil Plait anmerkt.
Der “Daily Telegraph” wusste aber sowieso mehr als alle anderen:
[Gerrit] said: “At first I just saw a large ball of light, and then I suddenly felt a pain in my hand.
“Then a split second after that there was an enormous bang like a crash of thunder.”
“The noise that came after the flash of light was so loud that my ears were ringing for hours afterwards.
“When it hit me it knocked me flying and then was still going fast enough to bury itself into the road,” he explained.
Damit wissen wir immerhin, wie viel Energie so ein Aufprall auf dem Weg von Essen nach England aufnimmt, denn in der “WAZ” war der Junge noch so zitiert worden:
“Erst habe ich nur einen großen, weißen Lichtkegel gesehen. Meine Hand hat weh getan, dann hat es geknallt.” […]
“Nachdem ich das weiße Licht gesehen habe, habe ich an meiner Hand etwas gespürt. Ich denke, dass mich der Meteorit gestreift hat. Vielleicht war es aber auch nur die Hitze”, berichtet er und zeigt den Rücken seiner linken Hand. Die rund zehn Zentimeter lange Brandwunde überdeckt bereits eine Kruste. “Das Geräusch, das folgte, klang wie das Reißen einer Steinplatte und war ziemlich laut”, erinnert sich Gerrit und deutet auf den kleinen Kreis aufgeplatzten Asphalts zu seinen Füßen.
Die “WAZ” hatte in einem weiteren Artikel Ansgar Korte von der Essener Walter-Hohmann-Sternwarte erklären lassen, wie man herausfinden könne, ob es sich tatsächlich um einen Meteoriten handele. Korte sagte uns auf Anfrage, er habe zum Zeitpunkt des Interviews nichts von dem konkreten Fall gewusst und halte diesen im Nachhinein auch nicht für glaubwürdig.
Entsprechend vorsichtig hatte sich der Experte auch in der “WAZ” geäußert:
“Ist es tatsächlich ein echter Meteorit, dann hat das Exemplar sogar einen gewissen Wert für Sammler und Mineralogen.”
Oder auf … ähm, Englisch:
Ansgar Kortem, director of Germany’s Walter Hohmann Observatory, said: “It’s a real meteorite, therefore it is very valuable to collectors and scientists.”
Auch sonst war der “Telegraph” sehr früh allen anderen voraus:
Chemical tests on the rock have proved it had fallen from space.
Dabei wird der Stein nach unseren Informationen zur Zeit zwar in München untersucht. Ein Ergebnis steht aber noch aus.
Der Artikel im durchaus renommierten “Daily Telegraph” war der Startschuss für eine internationale Karriere der Meldung: AmerikanischeMedien bezogen sich auf den “Telegraph”-Artikel, die Geschichte erreichte u.a. Rumänien, die Türkei, Brasilien, Vietnam und die Ukraine. “Sky News” verbreitete die gleichen falschen Zitate, woraufhin die australische Nachrichtenseite news.com.au aufschrieb, was Korte “Sky News” erzählt haben soll.
Und nachdem sich erst kaum jemand in Deutschland für Gerrit und den Meteoriten interessiert hatte, näherte sich die Geschichte letzte Woche dann wieder ihrem Ursprungsort.
Zunächst machte sie einen kurzen Zwischenstopp beim österreichischen “Standard”, der mit dieser beeindruckenden Quellenangabe aufwartete:
Doch was nach reiner Fiktion klingt, hat sich tatsächlich so zugetragen, berichtet die britische Zeitung Telegraph.
Merkur-online.de:
“Die Chance, diesen Vorfall zu überleben, steht eins zu einer Million. Gerrit Blank aus Essen hat seine Chance genutzt – und die ganze Welt reißt sich um die Geschichte.
Bald schrieben Zeitungen über die Attacke aus dem All. Die Geschichte schwappte über die Landesgrenzen, nach Großbritannien und in die Türkei. Sogar ein australisches Nachrichtenmagazin schreibt über Gerrit Blank, der sich derzeit von seiner Verletzung erholt. (…)”
In erstaunlicher Meta-Form (siehe Kasten) schlug die Geschichte vergangenen Montag schließlich im Online-Auftritt des “Münchner Merkurs”, der “Allgemeinen Zeitung”undanderen* auf, wo man sich sogleich an eine Rückübersetzung einzelner Zitate machte:
“Meine Ohren haben noch Stunden danach geklingelt”, beschreibt der Schüler.
*) Der wortgleiche Text, der ursprünglich auch im Online-Angebot der “Hessisch-Niedersächsichen Allgemeinen” gestanden hatte, ist dort inzwischen verschwunden.
Am Tag danach “mußten Berliner Zeitungsleser glauben, daß Benno Ohnesorg von seinen Kommilitonen umgebracht worden sei”, schrieb der “Spiegel” im Juni 1967.
Unter der Schlagzeile “Blutige Krawalle: 1 Toter!” berichtete die “Bild”-Zeitung an jenem 3. Juni 1967:
Ein junger Mann ist gestern in Berlin gestorben. Er wurde Opfer von Krawallen, die politische Halbstarke inszenierten. (…) Ihnen genügte der Krawall nicht mehr. Sie müssen Blut sehen. Sie schwenken die Rote Fahne, und sie meinen die Rote Fahne. Hier hören der Spaß und der Kompromiss und die demokratische Toleranz auf. Wir haben etwas gegen SA-Methoden.
Die Schwesterzeitung “Berliner Morgenpost” meldete immerhin:
Ein Kriminalbeamter feuerte im wirren Tumult und in dem unübersehbaren Handgemenge einen Warnschuß ab.
Und Schwesterzeitung “Welt am Sonntag” erklärte am folgenden Tag ihren Lesern, warum ein Kriminalbeamter “von seiner Schußwaffe Gebrauch gemacht” hatte:
Er war von den Demonstranten in einen Hof abgedrängt, dort festgehalten, getreten und mit Messern bedroht worden.
Noch einen Tag später titelte “Bild”:
Studenten drohen: Wir schießen zurück — Sanfte Polizei-Welle
Der “Bild”-Reporter sagte laut “Spiegel” hinterher:
“Ich schäme mich für meine Zeitung. Das mit dem Zurückschießen hat mit keinem Wort in meinem Artikel gestanden. Das haben die erst in der Redaktion dazugedichtet, um eine knallige Überschrift zu kriegen.”
* * *
Thomas Schmid, früher selbst in der Studentenbewegung tätig, inzwischen aber Chefredakteur der “Welt”, schreibt in seinem heutigen Leitartikel, in dem er den “alten Kämpen” vorwirft, sich “an ihren Mythos” zu “klammern”:
Kein Zweifel (…), dass in den überhitzten Jahren 1967 und 1968 einige Blätter dieses Hauses sich im Ton vergriffen und die Demonstrierenden auch verunglimpften. [Aber:] Die Blätter des Axel Springer Verlages haben — was wir belegen werden — über die 68er-Bewegung sehr viel differenzierter berichtet, als es im Schreckbild von der “hetzerischen Springerpresse” vorgesehen ist.
Das eingeschobene “was wir belegen werden” wird als Ankündigung einer internen Untersuchung interpretiert. Vielleicht holt Schmid aber auch nur ein altes Papier aus dem Schrank. Denn der Verlag ließ schon vor über 40 Jahren eine solche Untersuchung mit demselben Ziel anfertigen (rechts): Sie sollte vor allem den Vorwurf entkräften, alle Springer-Zeitungen hätten einheitlich undifferenziert über die Studenten und den Tod Ohnesorgs berichtet. Zu genau diesem Ergebnis kam hingegen eine wissenschaftliche Untersuchung des renommierten Publizistik-Wissenschaftlers Walter J. Schütz.
* * *
In der “Süddeutschen Zeitung” erklärt Marek Dutschke, der jüngste Sohn von Rudi Dutschke, warum er ausgerechnet in der “Bild”-Zeitung forderte, man solle prüfen, ob die Stasi mit dem Attentat auf seinen Vater 1968 zu tun habe.
SZ: Bislang hätte man kaum für möglich gehalten, dass ein Dutschke mit der Bild-Zeitung spricht, nach den Kampagnen des Blattes gegen Ihren Vater.
Dutschke: Das stimmt. Aber die Bild-Zeitung hat Einfluss in Deutschland, und wenn man den für eigene Forderungen nutzen kann, finde ich es okay. Interessant aber ist doch zu sehen, wie Bild heute mit dem Fall Ohnesorg umgeht, das Motiv ist ja durchschaubar: Indem sie die Geschichte jetzt auf die Stasi konzentriert, kann sie von der eigenen historischen Schuld ablenken, denn Bild hat ja die Stimmung gegen die Studenten angefacht und das Klima des Hasses erzeugt.
Luca Toni, Mittelstürmer beim FC Bayern, hat in seiner italienischen Heimat ein Interview gegeben. Natürlich ging es dabei auch um die Situation beim FC Bayern und die Diskussion um dessen Trainer Jürgen Klinsmann. Also fragte der Interviewer den Fußballer, wie es denn weitergehe in München, dass es Gerüchte über potentielle Nachfolger gebe und dabei auch der Name eines italienischen Trainers gefallen sei — ob er denn dazu etwas sagen wolle.
So richtig wollte Toni anscheinend nicht, denn sein erster Satz in der Antwort lautet:
“Nein, ich weiß nicht, was passieren wird. Jetzt werden wir sehen, ob sie [die Bayern] mit Klinsmann weiter machen wollen.”
Danach sagt er etwas, was vermutlich sogar jeder Fußball-Laie unterschreiben würde:
“Ich denke, es wird viel vom Ende der Saison abhängen. Dann wird der Verein sehen.”
Und schließlich sagt er noch, so diplomatisch wie es eben geht, über den durchaus renommierten Trainer und Landsmann Mancini folgendes:
“Es ist klar, wenn ein italienischer Trainer kommen würde — so gut wie Mancini — ich denke, es kann dem Ganzen nur gut tun und auch den Bayern!”
Man würde also dem Interview nicht unrecht tun, wenn man es so zusammenfassste: Luca Toni weiß nicht, wie es in der Trainerfrage in München weitergeht. Und er hält Italiener im Allgemeinen und Mancini generell für gute Trainer (was keine sonderlich exotische Meinung ist).
Das liest sich indessen aktuell in vielen deutschen Medien ganz anders. “Bild”, dem Bayern-Trainer in herzlicher gegenseitiger Abneigung verbunden, titelt:
Konsequenterweise lässt Bild.de die User aktuell schon mal über den bevorzugten neuen Bayern-Trainer abstimmen. Die Möglichkeit, für Klinsmann zu votieren, ist dabei erst gar nicht vorgesehen.
Die ‘Bild”-Überinterpretation wird eifrig übernommen:: Bei T-Online behauptet man, Toni habe sich “bereits Gedanken über einen Nachfolger gemacht” und “empfiehlt einen italienischen Landsmann”. Bei sport1.de geht man sogar soweit zu behaupten, Toni habe Mancini als “Ideallösung genannt” (das behauptet nicht mal “Bild”). Und schließlich geriet Toni sogar “ins Schwärmen”, als er auf Mancini angesprochen wurde, zumindest dann, wenn man sport.de (rtl.de) glaubt.
Ziemlich untergegangen ist in der Toni-schwärmt-von-Mancini-Euphorie, dass sich auch noch ein anderer Spieler des FC Bayern zu Wort gemeldet hat. In der “Süddeutschen Zeitung” steht heute:
“Klinsmann macht derzeit eine schwere Phase durch. Die ganzen Attacken treffen ihn persönlich, aber auch uns Spieler und den gesamten Verein (…) In den letzten sieben Partien werden wir uns für ihn zusammenreißen. Um deutscher Meister zu werden, müssen wir alle zusammenhalten.”
H. Sf. macht im Krimi, den ganz Deutschland jeden Sonntagabend zu verfolgen scheint, Veränderungen aus. “Es dominieren, mit wenigen Ausnahmen, Gutmenschen, Allesversteher und Betroffenheits-Betschwestern”: “Die Bösen sind meist Immobilienhändler, Baulöwen, Chefärzte, renommierte Juristen, Diamantenhändler, Grossgrundbesitzer oder, ganz schlimm, Angehörige von Burschenschaften.”
“Wenn die Anzeigenerlöse und die Abo-Zahlen zurückgehen, muss jeder Verleger sparen. Das hat nicht unbedingt einen Qualitätsverlust zur Folge, kann es aber haben. Alles ist besser als betriebsbedingte Kündigungen. Dann können Sie nicht mehr selbst aussuchen, wen Sie entlassen. Dann geht es nicht mehr nach Qualifikation. Dann können Sie zumachen.”
Christian Jakubetz traf kürzlich auf Zeitungsvolontäre und ihm ist “fast die Luft weggeblieben”: “Eine Gruppe (aus ganz unterschiedlichen Häusern), für die es selbstverständlich war, dass es keinen Ausbildungsplan gibt, keinen Redakteur, der sich um sie kümmert, kein Feedback, keine Anleitung, einfach nichts, außer: mach mal.”
Oswald Sigg, abtretender Vizekanzler in der Bundeskanzlei, im Gespräch: “Der Medienschaffende ist heute eher – so denke ich – seinem Unternehmen verpflichtet, als einer irgendwie gearteten öffentlichen Aufgabe.”
Ein Interview aus der Holtzbrinck-Familie: “Bernd Ziesemer: Wie wird das Verhältnis der beiden unabhängigen Verlagsgruppen zueinander künftig aussehen? Dieter von Holtzbrinck: Freundschaftlich, eng, partnerschaftlich, familiär. Stefan von Holtzbrinck: Genau.”
(schneiderinechtzeit.blogspot.com, Markus Schneider)
“Das Phänomen Schweizer Familie besteht womöglich darin, dass diese Zeitschrift einen andern Zugang zu den Themen findet. Sogar zu einem Thema wie der öden Wirtschaftskrise. Da publiziert sie Artikel wie diesen hier.”
Davon, dass “Bild” (links) noch großspurig behauptet hatte, die Baupläne würden “auch die allerletzten Holocaust-Leugner” widerlegen und eine Gaskammer zeigen, in der “Menschen vergast werden sollten”, steht in “Bild” (rechts) nichts mehr.
Als “Bild” die Baupläne (die ihr nach Eigenaussage “zugänglich gemacht” wurden, laut “Welt” jedoch von “Bild” gekauft worden waren) im vergangenen November abdruckte und Nachrichtenagenturen und Medien die ebenso voreiligen, wie eitlen und offensichtlich falschen “Bild”-Behauptungen um die Welt trugen, sagte der renommierte Auschwitz-Forscher Robert Jan van Pelt der jüdischen Nachrichtenagentur JTA:
“Jeder verbreitet denselben Unsinn, und die [Holocaust-]Leugner haben großen Spaß, weil es zeigt, wie leichtgläubig die Leute sind.”
Nachtrag, 21 Uhr: Bei der heutigen Eröffnung der von “Bild” und “Welt” präsentierten Ausstellung in der Berliner Axel-Springer-Passage wurde die Entlausungsanlange mit “Gaskammer”, um die “Bild” sträflicherweise noch im November so viel Aufhebens gemacht hatte, mit keinem Wort erwähnt. Robert Jan van Pelt sagte, als er die kleine Ausstellung anschaute, über den Bauplan der Entlausungsanlage: Dies sei “eines der am wenigsten interessanten Exponate der ganzen Ausstellung”.* Seine Frage an “Bild”-Chef Kai Diekmann, von wem und für welche Summe “Bild” die Pläne gekauft hatte, wollte Diekmann nicht beantworten.
*) Historisch richtig heißt es nun im Begleittext des “Gaskammer”-Plans:
Plan einer Entlausunganlage vom November 1941. Schon in den ersten Plänen für das KZ Birkenau sind zwei Entlausungsanlagen eingezeichnet, mit je einer mehr als hundert Quadratmeter großen Gaskammer. Für die Desinfektion der Kleidung von KZ-Insassen ist das zuviel. Der Plan weist auf den systematisch geplanten Massenmord hin. Denn für die Entlausung der Kleidung von hundertausenden Ermordeter ist die Kapazität richtig berechnet. (…)
2. Portrait von Don Alphonso (meedia.de, Stefan Winterbauer)
“Gratuliere! Zwei Drittel der deutschen Alphablogger bloggen somit nicht mehr über die FAZ”, schrieb perlentaucher.de über die Meldung, dass Blogger Don Alphonso nun gegen Bezahlung ein Blog auf faz.net schreibt. Stefan Winterbauer hat die “Kunstfigur” besucht und mit ihr Torte gegessen.
3. “Blogs als Zeitungen, Magazine, Bücher” (upload-magazin.de, Jan Tißler)
Ein Blick auf einige Projekte, die das Internet ausdrucken: “Eigentlich logisch, dass jemand die schönsten Stücke herausschöpft und irgendwie bewahren will – ob nun in einer digitalen ‘Blogbibliothek’ oder als gedrucktes Werk.”