Archiv für August 1st, 2019

Und wer schützt uns vor Katastrophen wie “Bild”?

Es gibt bei “Bild” eine Art Bullshitsiegel, und das sieht so aus:

Von: Ralf Schuler

Wenn man diese Zeile über einem Artikel liest, kann man mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass mit dem Text etwas nicht stimmt. Denn wie kaum ein zweiter Name steht Ralf Schuler für die Unfähigkeit, selbst einfachste Fakten zu recherchieren. Oder, je nachdem, für die Böswilligkeit, Fakten zugunsten der Knalligkeit einer Story zu verzerren oder zu verschweigen.

Was es davon ist, ist nachher oft nicht mehr auszumachen, vermutlich sind die Übergänge mitunter auch fließend.

Nachdem Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer vor gut einer Woche mit der Idee für Aufsehen gesorgt hatte, Soldaten in Uniform kostenlos Bahn fahren zu lassen, und das nicht etwa in einem exklusiven “Bild”-Interview getan hatte, sondern in ihrer ersten Regierungserklärung im Paul-Löbe-Haus, wollte “Bild” natürlich noch mit einer eigenen spektakulären Meldung aufwarten. Und so berichtete Ralf Schuler nur einen Tag später exklusiv:

Screenshot BILD.de: Debatte um Gratis-Bahn-Tickets für Soldaten - THW-Chef fordert Freifahrten für ALLE Uniformträger

Nachdem Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (56, CDU) kostenlose Bahn-Fahrten für Soldaten in Uniform gefordert hat, fordert der Präsident der THW Bundesvereinigung, Marian Wendt (34, CDU), kostenlose Fahrten für ALLE Uniformträger!

„Jeder Uniformträger sollte in Deutschland kostenlos Bahn fahren, wenn er diese trägt. Ohne großes bürokratisches Hin- und Her“, sagte Wendt zu BILD.

Auch Feiern wie Eidesleistungen oder Beförderungen sollten öffentlich stattfinden, so Wendt.

Und Schuler wurde nicht müde zu betonen, dass es der THW-Chef persönlich war, der das gefordert hatte, und zwar in “Bild”!

(…), sagt der THW-Chef zu BILD.

Marian Wendt (34, CDU) ist nicht nur THW-Chef, sondern auch Bundestagsabgeordneter

Der 34-Jährige sitzt nicht nur auf dem Chefsessel der größten deutschen Katastrophenschutz-Organisation, sondern auch für die CDU im Deutschen Bundestag.

Nun. In Wahrheit sitzt Marian Wendt nicht auf dem Chefsessel der größten deutschen Katastrophenschutz-Organisation. Er ist nicht der THW-Chef. Er ist, wie man in wenigen Sekunden herausfinden kann, Präsident des “THW-Bundesvereinigung e.V.”. Das wiederum ist eben nicht die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk, sondern der “Dachverband der bundesweiten THW-Fördervereine auf Landes- und Ortsebene”.

Auf dem “Chefsessel” des THW sitzt nun mal dessen Präsident, Albrecht Broemme, der auch nicht Mitglied des Bundestages ist.

Das heißt, entweder hat Ralf Schuler es nicht hingekriegt, das selber herauszufinden, oder er hat es herausgefunden und verschwiegen. Aber “Präsident der bundesweiten THW-Fördervereine auf Landes- und Ortsebene fordert Freifahrten für alle Uniformen” wäre ja auch nicht so schön knackig gewesen.

Wie dem auch sei – leider gibt es in Deutschland immer noch viele Medien, die Ralf Schuler für einen glaubwürdigen Journalisten halten, und so landete die Geschichte (auch dank freundlicher Unterstützung der dpa) ruckzuck überall:

ZDF: Feiern von Polizei und Feuerwehr: THW-Chef will mehr Anerkennung - Münchner Merkur: THW-Chef fordert mehr Anerkennung für Helfer und ein Zuckerl für "Uniformträger" - Stern: THW-Chef: Feiern von Polizei und Feuerwehr öffentlich machen

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Kollegahs Würstchen-Mentoring, Empörungslust, DHLs “Fan-Fotos”

1. Exklusiv: Undercover bei Kollegahs Alpha-Armee
(vice.com, Daniel Drepper & Paul Schwenn & Johann Voigt)
Der Rapper Kollegah hat ein Online-Coaching-Programm aufgelegt, das er “Alpha Mentoring” nennt. Recherchen von “Vice” und “BuzzFeed News” zeigen nun, was dahinter steckt — allerlei kruder Unsinn und wilde Verschwörungstheorien: “Unter anderem behauptet er, die Weltordnung sei ein “Pyramidensystem” und die Menschen an der Spitze bekämen direkte Instruktionen vom Satan höchstpersönlich. Experten, die wir mit unseren Recherchen konfrontieren, nennen das Programm unseriös, sprechen von “klarer Täuschung”, von einer Guru-Bewegung und von Gehirnwäsche.”

2. Leser per Klick anlocken
(sueddeutsche.de, Jacqueline Dinser)
Das österreichische Nachrichtenportal oe24.at ist auf eine Strategie gekommen, die man getrost als Verzweiflungstat einstufen kann: Man zahlt den Nutzerinnen und Nutzern Geld für ihre Klicks, hofft dabei auf mehr Reichweite und höhere Anzeigenerlöse.

3. Wenn Empörung zur Lust wird
(spiegel.de, Sascha Lobo)
Sascha Lobo schreibt über die schwierige Gemengelage von Provokation und Reaktion: “Gegenruhm durch Empörungslust ist gleichzeitig das PR-Konzept der AfD und das Bindeglied zwischen Identität und Öffentlichkeit, es ist aber auch konstitutives Element der sozialen Medien, wie wir sie heute kennen, mit dem sich die Erfolge der Rechten erklären lassen. Gegenruhm durch Empörungslust bedeutet, soziale Anerkennung nicht durch Lobpreisung der eigenen Anhänger zu bekommen, sondern durch wütenden Widerspruch der Gegner.”

4. Wie Überschriften unsere Wahrnehmung von Nachrichten dominieren
(twitter.com, Kevin Kühnert)
Kevin Kühnert weist auf Twitter auf eine Schlagzeile der “Berliner Zeitung” hin, die eine “neue Hiobsbotschaft” verkündet: “Entscheidender Techniktest am BER wird verschoben”. Beim näheren Hinklicken wird klar, um welchen Zeitraum es sich dabei handelt, aber lest selbst …

5. Hohn für die Pressefreiheit
(taz.de, Steffen Grimberg)
Vergangenes Jahr behinderte die Polizei auf Betreiben des auf traurige Weise berühmt gewordenen “Hutbürgers” die Arbeit von Journalisten. Hat die Polizei daraus gelernt, gab es mittlerweile ein Umdenken? Leider nicht, wie Steffen Grimberg findet: “Wer meinte, die Vorkommnisse bei der Pegida-Demonstration in Dresden vor knapp einem Jahr hätten für ein grundsätzliches Umdenken gesorgt oder für eine intensivere Auseinandersetzung mit der Presse- und Berichterstattungsfreiheit in den Schulungen der Bundespolizei, liegt leider falsch.”

6. Das passiert, wenn DHL seine Kund*innen um Fan-Fotos bittet
(jetzt.de)
Der Paketzusteller DHL hat einen Fotowettbewerb gestartet: Unter dem Hashtag #DHLFotowettbewerb sollen Menschen ihr “DHL Fanfoto” posten. Einsendungen gab und gibt es reichlich. Viele von Menschen, die man nicht unbedingt als “DHL Fans” bezeichnen würde. “Jetzt” zeigt einige schöne Beispiele einer verunglückten Social-Media-Kampagne.