Die Bundesliga-Fußballer von Borussia Dortmund haben am Samstagabend 0:5 gegen den FC Bayern München verloren. Für die schwache Leistung kann man die Mannschaft, die nun auf Platz 2 der Tabelle steht und weiterhin alle Chancen auf die Meisterschaft hat, sachlich kritisieren. Oder man lässt Franz Josef Wagner so einen Brief schreiben:
Der “Bild”-Briefonkel erklärt die BVB-Spieler zu einem Fall für die Psychiatrie, weil sie mal schlecht gespielt haben.
Kurz nach dem Suizid von Torwart Robert Enke, zitierte die “Süddeutsche Zeitung” Walter M. Straten, der damals stellvertretender Sportressortleiter bei “Bild” war und heute dort Sportchef ist. Auch Stratens Boulevardblatt sei …
nach dem Enke-Tod nicht einfach so zur Tagesordnung übergegangen. Über vieles sei diskutiert worden, auch über Noten, und man sei schließlich zu dem Ergebnis gekommen, bei der Benotung so weiter zu machen wie bisher, sagt Straten. Auch in seiner Redaktion soll es zu einem etwas sensibleren Umgang mit den Zensuren kommen: “Wir werden wohl mit extremen Noten etwas vorsichtiger sein”, sagt der stellvertretende Bild-Sportchef. Man werde sich einmal mehr überlegen, “ob der Spieler, der eine klare Torchance vergeben hat, oder der Torwart, der den Ball hat durchflutschen lassen, eine Sechs bekommt oder eine Fünf reicht”.
Das entpuppte sich schon damals sehr schnell als heiße Luft. Es blieb heiße Luft. Und es ist heute noch heiße Luft:
Ein tatsächlich sensiblerer Umgang mit Fußballern und deren Leistungen könnte sich aber nicht nur in rücksichtsvolleren Noten widerspiegeln, sondern auch in der Art, wie man über sie spricht und schreibt. Die “Bild”-Medien bezeichnen Spieler gern als “Flaschen”, als “Versager”, als “Müllhalde”, als “Deppen”. Und das immer und immer wieder. Hier mal nur die Fälle, die uns in den vergangenen zwei Monaten begegnet sind:
1. April:
1. April:
Ohne das Mittelfeld-Duo wird’s für Stuttgarts Offensiv-Schlaffis (erst 26 Treffer) nun noch schwieriger.
31. März:
25. März:
17. März:
14. März:
11. März:
Warum Klos seine Versager wachrütteln will?
6. März:
Erwartet werden personelle Konsequenzen. So sollen einzelne Versager aus dem Kader fliegen. Heißer Kandidat: Amine Harit.
5. März:
4. März:
3. März:
Elf junge Männer, verkleidet als Fußballprofis! Leider waren die 96-Trikots kein Karnevalskostüm …
Viele dieser Versager werden wir in der 2. Liga nicht wiedersehen — zum Glück.
3. März:
1. März:
Klar ist: Für den BVB kommen die Augsburger Abwehr-Schlaffis genau richtig!
1. März:
Als Malocher-Vorbild für die Mainz-Versager!
24. Februar:
23. Februar:
Nach dem Abpfiff eskalierte es: Ein Pfeiffkonzert, üble Beschimpfungen und Bierbecher prasselten auf die 0:3-Versager nieder.
22. Februar:
Der Trainer hatte diese Woche einmal mehr Schwerstarbeit zu leisten: Als Übungsleiter, der seinen gut bezahlten Profis wie bei den F-Junioren die Ballan- und -mitnahme erklären muss (BILD berichtete). Und als Psychologe, der Versager-Köpfe wieder frei bekommen will.
17. Februar:
Das war bei 96 in Hoffenheim nicht der Fall. Sonntag gegen Frankfurt muss die Versager-Truppe ein anderes Gesicht zeigen
7. Februar:
Samstag (15.30 Uhr) steigt DAS ultimative ABSTIEGS-ENDSPIEL. 96 – Nürnberg. Letzter gegen Vorletzter. Die Heim-Schlaffis gegen die Auswärts-Deppen.
Am 5. März veröffentlichte Bild.de einen Artikel über “Die unheimliche Macht der Fußball-Ultras”. Darin auch diese Geschichte:
In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Entgleisungen der Ultras. 2016, Hannover hatte gegen Köln 0:2 verloren, rasteten die 96-Fans komplett aus: In der Nordkurve wurden die Profis vom eigenen Anhang gnadenlos niedergemacht. Der blanke Hass schlug ihnen entgegen: “Versager!”, “Wir stechen Euch ab!”, “Wir schlitzen Euch auf!”.
“Wir stechen Euch ab!” und “Wir schlitzen Euch auf!” wird die Bild.de-Redaktion wohl niemals schreiben. Aber mit “Versager!” ist sie beim gnadenlosen Niedermachen schon mal gut dabei.
Dazu auch:
Mit Dank an alle Hinweisgeber!
Nachtrag, 9. April: Es gibt noch zwei weitere Aspekte zu Franz Josef Wagners Brief an die “Liebe Borussia”, auf die uns mehrere Leserinnen und Leser hingewiesen haben. Wagner schreibt “Ihr habt gespielt wie Tote” und meint damit eine Mannschaft, die vor nicht allzu langer Zeit einen Bombenanschlag überlebt hat. Das kann man mindestens makaber finden.
Außerdem gibt es bei Wagners blödem Spruch mit der Psychiatrie, in die die BVB-Spieler müssten, noch eine andere Seite: Menschen mit psychischen Erkrankungen, die tatsächlich in eine psychiatrische Einrichtung müssen, um in einer mitunter lebensbedrohlichen Situation Hilfe zu bekommen. Dies mit einer schwachen Leistung von Profifußballern gleichzusetzen, trägt zur Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen bei.