Archiv für Mai 21st, 2014

Bergpanorama am Stiel

Die heutige Titelgeschichte der “Welt Kompakt” lautet:

Auf in die Dolomiten

Für Joachim Löw und sein Team beginnt heute die heiße Vorbereitungsphase auf die WM. 27 Auserwählte müssen bis Ende Mai im Trainingslager in Südtirol schwitzen. Für das Bergpanorama […] dürften die Spieler kaum einen Blick haben

Und jetzt raten Sie mal — womit hat die “Welt Kompakt” diese Geschichte bebildert?

Mit einem Bergpanorama? Den Dolomiten?
Mit schwitzenden Fußballern? Nationalelf? Jogi Löw?
Copacabana? Zuckerhut? Samba-Tänzerinnen?

Nö. Sondern:

Klar, wer denkt da auch nicht sofort an den “Eisklassiker ‘Dolomiti'”?

Immerhin beruht die Zuneigung zwischen dem Axel-Springer-Verlag (“Welt”) und Langnese (“Dolomiti”) auf Gegenseitigkeit: Auf der “Dolomiti”-Verpackung im Kühlregal prangt seit dem Comeback des Eises das Logo der “Bild”-Zeitung. Warum? Weil “Bild”-Chef Kai Diekmann den Konzern angeblich erst auf die Idee gebracht hat, die Sorte wiederzubeleben. Zumindest erzählte “Bild” das im Februar so selbst:

2012 sprachen BILD-Chefredakteur Kai Diekmann und Unilever-Chef Harry Brouwer über die Generation Babyboomer, den geburtenstärksten Jahrgang der Deutschen […]. Auf Diekmanns Frage, warum das Dolomiti irgendwann nicht mehr produziert wurde, ließ Harry Brouwer bei Langnese (die Eissparte von Unilever) Marktforschung betreiben und nach der Original-Rezeptur für das Waldmeister-, Himbeer- und Zitronen-Eis suchen. […]

Mit dem Aufdruck “Comeback by BILD” bedankt sich Langnese beim BILD-Chef für seine Idee.

Der Verlag wiederum bedankte sich zurück und trommelt seither fleißig für das Eis — selbst dann, wenn es eigentlich um Fußball geht.

Rechtes für die Frau

Der Stange-Verlag, ein kleines Familienunternehmen an der Nordsee, ist (zumindest laut Eigenbeschreibung) der “Verlag für wirklich schöne und erfolgreiche Zeitschriften”. Die schönste und erfolgreichste von allen, das “Flaggschiff” des Hauses, ist das Blatt “aktuell für die Frau”, eine Frauenzeitschrift mit Ratgebern, Rezepten und harmlosen Klatschgeschichten.

Laut Verlag ist es mit über 230.000 verkauften Exemplaren “die klare Nr. 1 im Pressesegment der monatlichen unterhaltenden-serviceorientierten Frauenzeitschriften”. Und das nicht ohne Grund, denn das Heft “bietet einfach mehr!”, wie es unter dem Logo selbst verspricht:

Cover

So bietet es in der aktuellen Ausgabe zum Beispiel “42 herzliche Liebes-Grüße” zum Aufkleben, ein “großes Mondhoroskop”, die “10 besten Schlank-Tricks”, das “Leckerste mit Pasta & Hack”, Ratgeber gegen Rückenschmerzen und Werbung für die deutsche Nationalhymne.

Ganz recht: Zwischen Gemüsekuchen und Frauenkräutern plötzlich — Vaterlandsliebe.

Die ganzseitige Anzeige wurde vom Verein “Die Deutschen Konservativen” geschaltet, der 1995 vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wurde. Anführer des Vereins ist Joachim Siegerist, ein ehemaliger “Bild”-Redakteur und verurteilter Volksverhetzer.

Der Verein wettert gegen alles, was nicht rechts ist. Derzeit am liebsten gegen die “linke Meinungsvorschrift” in den Medien und die “Vernichtungskultur” der “political correctness”, gegen die “Gutmenschen”, “Muslimischen Sozialromantiker” und die “Gehirnwäsche der p.c.-Generation”. Ach, und Sarrazin “hat doch recht!”

Schon in den 80er-Jahren hatte der “Spiegel” über den “rechten Kreuzzug” der “Deutschen Konservativen” berichtet. Und schon damals hatten Siegerist und Kameraden — seinerzeit noch mit dem Vorgänger-Verein “Konservative Aktion” — eifrig Werbung für die deutsche Hymne gemacht:

Mehr als eine Million mal, rühmte sich die Konservative Aktion letztes Jahr, sei eine selbstproduzierte Schallplatte mit der Nationalhymne an den Mann gebracht worden – alle drei Strophen. “Deutschland, Deutschland über alles”. (“Spiegel”, 42/1986)

Heute wird sie an die Frau gebracht, “die schönste Hymne der Welt”. Auf seiner Internetseite schreibt der Verein:

Ein interessanter Test für Die Deutschen Konservativen e.V.: Erstmals werben Die Deutschen Konservativen e.V. mit einer Groß-Anzeige in einer typischen Frauenzeitschrift. In der neuen Ausgabe von “aktuell für die Frau” bieten wir in einer ganz seitigen Anzeige (Seite 65) die gedruckte Edel-Kassette mit dem “Lied der Deutschen” an.

Wie kann das sein? Wie schafft es ein solcher Verein mit einer solchen Anzeige in ein Friede-Freude-Frauen-Heft? Oder anders gefragt: Warum lässt die “wirklich schöne und erfolgreiche” “aktuell für die Frau” Werbung für diese rechte Truppe zu?

Chefredakteur, Herausgeber und Verleger von “aktuell für die Frau” ist Michael Stange. Laut Impressum ist er auch für die Anzeigen verantwortlich. Und er dürfte genau gewusst haben, mit was für einem Verein er es da zu tun hat. Er hat ihn nämlich mitgegründet.

Stange leitete in den 80ern schon die Jugend-Organisation der “Konservativen Aktion”. Nachdem er und Joachim Siegerist aus dem Verein geflogen waren, gründeten sie ihren eigenen — mit Sigerist als Chef und Stange als Stellvertreter. Und so begann er, der “rechte Kreuzzug” der “Deutschen Konservativen”.

Michael Stange, den der “Spiegel” 1988 noch einen“Rechtsradikalen” genannt hatte, war später Chefreporter bei “Bild”, heute leitet er den Stange-Verlag, das kleine Familienunternehmen an der Nordsee, mit seinen “wirklich schönen und erfolgreichen Zeitschriften”. Auf seiner Internetseite schreibt er:

Unser Verlag und unsere bekannten und erfolgreichen Zeitschriften gehören (anders als die meisten anderen Titel im deutschen Markt) nicht zu einem der großen und mächtigen Presse-Konzerne. Wir sind ein Teil derer, von denen die Politik immer zu recht sagt, dass sie das Standbein der deutschen Wirtschaft darstellen: Ein kleines, mittelständisches und inhabergeführtes Familienunternehmen, das sich mit einem tollen und engagierten Team noch um seine Leserinnen und Leser, Kunden und Geschäftspartner kümmert und Arbeitsplätze schafft und sichert, statt sie abzubauen. Deshalb drucken wir auch alle unsere Zeitschriften (auch anders, als so mancher Konzern) bei Druckerei-Partnern in Deutschland – und das soll auch so bleiben.

So retten Stange & Co. nicht nur die deutsche Hymne, sondern die deutsche Wirtschaft gleich mit. “aktuell für die Frau” bietet eben “einfach mehr!”

Mit Dank an topfvollgold-Leser Oliver K.

Nachtrag/Korrektur, 22.30 Uhr: Der Stange-Verlag sitzt nicht in Baden-Württemberg, wie wir zuerst geschrieben hatten, sondern in Friedrichskoog. In Baden-Württemberg sitzt die Redaktion der “aktuell für die Frau”. Danke an die Hinweisgeber!

Neuwagen, Bikinifotos, Fische

1. “Diese Bilder von Tausenden neuen Autos sind beeindruckend, die Geschichte dahinter wird dich zu Tränen rühren!”
(autokarma.de, Thomas Gigold)
Thomas Gigold liefert Hintergründe zum Artikel “Mega-Parkplätze: Sind das die größten Neuwagen-Müllhalden der Welt?” auf Focus.de.

2. “Zufälliges Bikinifoto neben Prominenten”
(medien-internet-und-recht.de)
Das Oberlandesgericht Karlsruhe bestätigt den Unterlassungsanspruch, nicht aber den Geldentschädigungsanspruch einer Frau, die sich im Hintergrund eines in “Bild” abgedruckten Fotos im Bikini wiederfindet.

3. “Tote Fische reden nicht”
(nzz.ch, Tom Felber)
“In dubio pro reo” spricht das Obergericht Zürich einen 26-Jährigen “vom Vorwurf der Gehilfenschaft zu mehrfacher Drohung gegen ‘Blick’-Journalisten” frei.

4. “Der liquide Newsroom als Zentrale”
(t3n.de, Luca Caracciolo)
Ein Interview mit Jochen Wegner, Chefredakteur von Zeit.de: “Hochwertiger Journalismus funktioniert für uns als Geschäftsmodell ausgesprochen gut – auch im Digitalen. Vor zehn Jahren haben viele Experten erklärt, dass Branding-Werbung ohnehin eine Lüge sei und im Internet nie Erfolg haben werde. Das Gegenteil ist heute der Fall. Manche Luxusmarken etwa fangen jetzt erst an, nach hochwertigen Umfeldern im Netz zu suchen. Und wir wachsen mit diesem Trend.”

5. “Wollen wir Journalismus nur bezahlen, wenn wir ihn hinter Gitter bringen?”
(stefan-niggemeier.de)
Muss Journalismus zwingend hinter eine Schranke, damit die Leser dafür zu bezahlen bereit sind? Stefan Niggemeier schreibt: “Wir kaufen für unsere Ecke im Büro einen Ventilator, lassen aber, wenn es heiß ist, niemand anderes dort sitzen, die hätten sich ja selber einen Ventilator kaufen können? Und wenn sich nicht vermeiden lässt, dass auch andere etwas von der Kühlung abbekommen, verzichten wir lieber ganz auf den Ventilator?”

6. “++ EIL! BREAKING! ++ Online-Nachrichten immer hysterischer!!! ++ EIL! BREAKING! ++”
(der-postillon.com)