Archiv für Mai 8th, 2014

Etihad liegt die “Welt” zu Füßen

Sie wollen wissen, wie supertoll und megaluxuriös das “fliegende Hotelzimmer” wird, das die Fluggesellschaft Etihad Airways plant? Nun, dann können Sie sich entweder das 90-sekündige Werbevideo des Unternehmens anschauen, oder Sie investieren ein bisschen mehr Zeit und lesen diesen Artikel beim Onlineauftritt der “Welt”:

Das Werbevideo können Sie sich danach immer noch anschauen — die “Welt” hat es am Ende des Textes freundlicherweise gleich eingebettet, für alle Fälle.

Aber das ist eigentlich nicht nötig, denn nach der Lektüre des 5.000 Zeichen langen Textes werden Sie ohnehin schon längst überzeugt sein von der unschlagbaren Grandiosität der Etihad-Luxus-Suite. Die “Welt” gibt sich jedenfalls größte Mühe, kein einziges der vielen fantastischen Details zu vernachlässigen.

Schon die ersten beiden Sätze machen die Marschrichtung klar.

Wer dachte, mit der First Class sei der ultimative Luxus im Linienflugzeug bereits erreicht, muss sich von der arabischen Etihad Airways eines Besseren belehren lassen. Denn der neue Wohnraum “The Residence” fängt dort an, wo die First aufhört.

(Im Original liegt hinter “‘The Residence'” ein Link zur Unternehmensseite.)

Der “Gipfel des Genusses”, meint die “Welt”, werde

eine immerhin fast zwölf Quadratmeter große Wohnfläche sein, die ein Maß an Luxus und Privatsphäre bieten wird, wie es sonst nur in Privatjets vorgefunden wird.

“Das Wohnzimmer” sei

unter anderem mit einem 1,50 Meter breiten Zweisitzersofa (ausklappbar zu einem Liegesofa), ausklappbaren Ottomanen, Intarsien-Esstisch, gekühlter Minibar und 32-Zoll-TV-Bildschirm ausgestattet.

“Im Schlafbereich” stehe

ein 205 mal 120 Zentimeter großes Doppelbett mit Leselampen und Stimmungslicht, ein Nachtschrank, Kleiderschrank, hinterleuchtete holzgeschnitzte Wände und ein 27-Zoll-Fernseher.

Und das “private Duschbad” ermögliche

eine vier Minuten währende Dusche sowie Toilette, Waschtisch mit Kosmetikspiegel und Föhn.

Wir erfahren, dass jedem Gast “ein persönlicher Butler zur Verfügung” steht und dass diese “qualifizierten Servicekräfte” an der “Londoner Savoy Butler Academy speziell geschult” werden.

Wir erfahren, dass ein “‘Fünfsterne-Verpflegung'” dazugehört und der Chefkoch “auf Wunsch eine persönliche Menüplanung berücksichtigt”. Dass der Fluggast “mit luxuriöser Bettwäsche, Schlafanzug” und anderem Schnickschnack “umsorgt” wird. Dass sich “ein spezielles VIP-Reise-Concierge-Team um die Top-Gäste” kümmert und “dafür sorgt, dass jedes Reisedetail, einschließlich Bodentransport, Küche und Annehmlichkeiten, optimal auf die Anforderungen des Gastes zugeschnitten sind.”

Dann folgen Angaben zum Preis, zu den geplanten Strecken, den kooperierenden Flughäfen, den angepeilten Terminen und den Platzkapazitäten des Flugzeugs.

Anschließend darf der Etihad-Chef noch persönlich erklären, dass diese “neuartigen Wohnräume” die “Erwartungen von Flugreisenden in Bezug auf Bordkomfort und Luxus nachhaltig verändern [werden]”. Und die Konkurrenz darf er auch noch niedermachen erwähnen:

Mit Blick auf Mitbewerber um begehrte First-Class-Passagiere wie die Golf-Rivalen Emirates und Quatar Airways, aber auch Singapore Airline und British Airways habe man sich entschlossen, die größten “First Class Suites” anzubieten.

Aber auch das ist noch lange nicht alles.

Und so plant der Carrier neben dem Top-Produkt “The Residence by Etihad” auch noch eine Vielzahl weiterer Service-Veränderungen.

Die kürzen wir aber jetzt mal ab.

… “First Apartments” (neun Stück in einer 1-1-Anordnung also mit nur einem Gang) … 1,60 Meter hohen Schiebetür … Liegesessel … Ottomane … Full-Flat-Bett mit einer Länge von 2,03 Metern … gekühlte Minibar … persönlicher Waschtisch … schwenkbarer TV-Monitor zur Nutzung vom Sitz oder vom Bett aus … 74 Prozent größere Grundfläche als die aktuellen, preisgekrönten First Class Suites … verbesserte “First Suite” … acht Suiten (in 1-2-1-Anordnung) … großen Sitz … Ottomane … Full-Flat-Bett von 2,05 Metern Länge … lassen sich die Armlehnen zurückschieben … können zwei Suiten in eine Einheit mit Doppelbett umgewandelt werden … gekühlte Minibar … 24-Zoll-TV-Monitor … 20 Prozent mehr persönlichen Platz bieten … direkten Zutritt zum Gang … Full-Flat-Bett mit einer Länge von 2,05 Metern …

… und so weiter.

Der Artikel ist (inklusive Etihad-PR-Video und zehnteiliger Klickstrecke) vergangenen Montag erschienen, im redaktionellen Bereich des Online-Ablegers der “Welt”.

In der Print-Ausgabe, zumindest in der “Welt kompakt”, suchte man ihn vergeblich. Dort wurde stattdessen auf die klassische Weise für “The Residence” geworben — per Anzeige über drei ganze Seiten.

Bei den Fluggesellschaften gebe es einen “Kampf um die zahlungskräftige Klientel”, schreibt die “Welt” noch. Gut für die, die ihre Verbündeten schon gefunden haben.

Mit großem Dank an Micky M. und Sébastien Z.

The Curious Case of John Doe

Mensch, dieser John Doe hat wirklich schon einiges erlebt.

Viele, viele Bücher hat er bereits geschrieben, ist in unzähligen Filmen und Serien aufgetreten, man hat Lieder über ihn komponiert und Kunstwerke nach ihm benannt.

Und jetzt auch noch das:

Der mittlerweile 25-jährige Brite John Doe verklagt [den Regisseur Bryan Singer und einen Produzenten] wegen sexuellen Missbrauchs. […] Doe war damals 14!

Die besten Freunde von John Doe — das erwähnt Bild.de nicht — sind übrigens Alan Smithee und Max Mustermann.

Mit Dank an Meik.

Bild  

Deutsche Äpfel dicker als EU-Birnen

Wenn “Bild”, wie gestern, so etwas auf der Titelseite verkündet:

Dann lässt das Gerumpel der “Bild”-Leserschaft nicht lange auf sich warten:

Aber bevor Sie jetzt den Rechner runterfahren und schon mal ins Wochenende gehen (“Sollen doch die Pleite-Staaten für uns schuften!”), lassen Sie uns kurz auf Folgendes hinweisen: “Bild” redet Unsinn.

Das Blatt behauptet:

In Wahrheit beziehen sich die 40,6 Wochenstunden aber ausschließlich auf Vollzeitbeschäftigte (das hat Bild.de an anderer Stelle auch selbst geschrieben). Der angegebene EU-Durchschnitt bezieht sich aber auf alle Erwerbstätigen (inklusive Teilzeit). Und deren durchschnittliche Arbeitszeit lag in Deutschland bei 35,3 Wochenstunden.

Eigentlich hätte die Schlagzeile also heißen müssen:

Deutsche arbeiten 1,9 Std. weniger als EU-Durchschnitt

Oder auch:

Griechen arbeiten 6,8 Std. mehr als Deutsche

Die griechischen Erwerbstätigen lagen nämlich weit über dem Schnitt und kamen auf stolze 42,1 Stunden. Aber das verschweigt “Bild” natürlich lieber ganz.

Mit Dank an Sebastian und Christopher R.

Spiegel-Affäre, Dieter Lenzen, Izitru

1. “Die Spiegel-Affäre”
(ardmediathek.de, Video, 98:39 Minuten)
Der Fernsehfilm “Die Spiegel-Affäre” greift die Verhaftung von Rudolf Augstein und Mitarbeitern des “Spiegels” 1962 auf, nachdem in der Ausgabe 41/1962 der Text “Bedingt abwehrbereit” erschienen war.

2. “betr. Interview mit Dieter Lenzen”
(planet-interview.de, Jakob Buhre)
Dieter Lenzen, Präsident der Universität Hamburg, streicht bei der Autorisierung eines Interviews mit ihm mehrere Antworten sowie die entsprechenden Fragen: “Nachdem wir gegenüber Lenzen ankündigten, zumindest unsere Fragen vollständig zu publizieren, drohte man uns, das Interview komplett zurückzuziehen.”

3. “IZITRU ‘Whenever the truth matters’?”
(rheker.wordpress.com)
Sascha Rheker testet die von “Spiegel Online” vorgestellte App Izitru, die angeblich “Fotofälschungen enttarnt”.

4. “Nicht Google, Europa ist das Problem”
(futurezone.at, Gerald Reischl)
Gerald Reischl schaltet sich in die von der FAZ initiierte Debatte um die von Google ausgehenden Gefahren ein: “Warum sollte eine euro-politisch entwickelte Suchmaschine erfolgreich sein und plötzlich Google Paroli bieten können? Konsumenten nutzen ein Produkt nur dann, wenn sie es hilfreich und gut finden. Zu glauben, dass Konsumenten aus Europa eine europäische Entwicklung einer amerikanischen vorziehen würden, um den eigenen Kontinent zu stärken, entspricht leider nicht der Realität, sondern ist der Wunsch von EU-Politikern. Europa sollte lieber die Voraussetzungen dafür schaffen, dass auf diesem Kontinent Innovation möglich ist und sich erfolgreiche Unternehmen gründen können.”

5. “Gewalt-Statistik: So nahm die Falsch-Behauptung ihren Lauf”
(kurzpass.ch, Daniel Ammann)
Nach einem Artikel in der “Sonntagszeitung” übernehmen die Nachrichtenagentur SDA und weitere Medien deren Interpretation von Statistiken zur Gewalt rund um Schweizer Fußballstadien. Daniel Ammann klärt den Sachverhalt direkt mit dem Bundesamt für Statistik.

6. “Der Unsinn des einsamen Gary”
(jetzt.sueddeutsche.de, Nadja Schlüter)