Archiv fü 2012

Meinungsvielfalt, Illustrationen, Hannover 96

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Beim Leistungsschutzrecht hört die Meinungsvielfalt auf”
(stefan-niggemeier.de)
Die “Wetterauer Zeitung” erklärt einem Leser, warum sie seinen Leserbrief zum Thema Leistungsschutzrecht nicht veröffentlicht.

2. “Augen zu und durch!”
(danielgrosse.com)
Die “Leipziger Volkszeitung” illustriert einen Bericht über den neuen VW Golf VII mit einem Foto des VW Golf VI: “Wer auch immer die Bildunterschrift ‘Rauschende Weltpremiere: Der neue VW Golf 7. Foto: AFP’ eingefügt hat, er muss blind gewesen sein. Steht doch quasi direkt über der Autorenkennung im Nummernschild des gezeigten Golfs zu lesen: ‘Golf VI 2008-2012’.”

3. “Absurde Fotos zur Euro-Krise”
(spiegel.de, Friederike Ott)
Die Mühe von Fotografen, immer neue Symbolbilder für die Eurokrise zu finden: “Fotografen nennen diese Bilder Illustrationen. Sie sollen abstrakte Vorgänge visualisieren. Die meisten Krisen verschwinden nach einigen Wochen oder Monaten aus dem Fokus der Öffentlichkeit. Bei der Euro-Krise ist das anders.”

4. “Presserat prüft Verkauf von Kandidatenporträts in Lokalzeitung”
(aargauerzeitung.ch, Fabian Muster)
Kandidierende für das Aargauer Kantonsparlament können bei Lokalzeitungen des Verlags Effingerhof AG ein Porträt über sich kaufen: “Entweder schalten sie Inserate in der Höhe von 550 Franken [rund 455 Euro] oder bezahlen diesen Betrag direkt für einen Artikel über sich selbst.”

5. “Schwierige Dreharbeiten – Sanitäter behindern Kameramann”
(ndr.de, Video, 5:14 Minuten)
Ein Kameramann, der in und um Rostock Unfälle und Katastrophen filmt, kommt immer wieder in Konflikt mit Sanitätern und Polizisten.

6. “Zeuge Hannovas: Serienmörder, Hurensöhne und Arschlöcher”
(reesessportkultur.de, Klaas Reese)
Fans des Fußballvereins Hannover 96, Präsident Martin Kind, Serienmörder Fritz Haarmann und “Bild”.

Mit Hehlerei kennt Ralph Grosse-Bley sich aus

Heute auf Facebook: Ralph Grosse-Bley, Chefredakteur der Schweizer Boulevardzeitung “Blick”, ist stolz:

Raufende Chinesen, die den Kapitän von Flug LX 196 Zürich–Peking zur Umkehr zwingen: Das BLICK-Exklusiv-Video, das den älteren der beiden Chinesen leicht verletzt und schwer betrunken an Bord des Airbus A340 zeigt, war gestern der absolute Renner auf Blick.ch (siehe hier: http://bit.ly/TeVxG9)

Die Mini-DV-Kassette mit den Filmaufnahmen hatten BLICK-Reporter im Rahmen unfangreicher Recherchen am Montag von einem Schweizer erhalten, der mit an Bord war.

Gut, “der absolute Renner” dürfte das Video gewesen sein, weil die Leser unter der Überschrift “Schlägerei im Swiss-Airbus: Was wirklich geschah — Passagier filmte Chinesen, Augenzeugin spricht” vermutlich ein Video von einer ordentlichen Schlägerei erwartet hatten und nicht eines von Menschen, die nach einer Schlägerei (oder wonach auch immer, das geht aus dem Video nicht hervor) irgendwo rumstehen.

Aber darum soll es hier nicht gehen.

Ralph Grosse-Bley ist nämlich auch empört:

Im Lauf des Dienstags tauchte das Video dann auch auf der Website von 20 Minuten auf – mit einem Quellenhinweis auf eine zweifelhafte britische Website.

Wie geht das? Diese Website funktioniert ähnlich wie Youtube: Jeder kann aufschalten, was er will, zum Beispiel auch, was er gerade irgendwo im Internet geklaut hat. Etwa das exklusive BLICK-Video aus dem Swiss-Airbus.

Die Macher von “20 minuten.ch” finden das geklaute Video rein zufällig auf der britischen Website – und schon ist es bei ihnen online, mit Hinweis auf die zweifelhafte Website. Natürlich wissen sie, woher das Video in Wahrheit stammt, aber das spielt keine Rolle in der Online-ist-allesgratis-Philosophie.

Es sind Hehler, keine Journalisten. Hehler machen Geschäfte mit geklauter Ware. Journalisten recherchieren selbst.

Ja, diese verdammte Online-ist-allesgratis-Philosophie. Da kann Ralph Grosse-Bley sicherlich so einiges drüber berichten.

Zum Beispiel die Geschichte von Charley, dem Küken:

Youtube-Hit: Küken Charley geht mit seinem Besitzer joggen. Das Enten-Küken Charley begleitet seinen Besitzer auf Schritt und Tritt. Sogar beim Joggen ist es dabei. Das Video ist vom April 2010, wurde aber erst jetzt zum Youtube-Hit.

Das Video wurde zum YouTube-Hit und die Journalisten von blick.ch haben es offensichtlich bei YouTube heruntergeladen, mit ihrem Logo versehen und auf dem eigenen Server hochgeladen.

Oder dieses Video von einem Torwart-Tor aus der 2. Schweizer Liga:

Sonntagsschuss in der 2. Liga: Das Goalie-Goal des Jahres kommt aus der Schweiz. Gelegentlich lohnt es sich, auch einen Sonntagsausflug in die unteren Fussball-Ligen der Schweiz zu machen.

Das ist ist “ein Hit” auf YouTube, “hat schon über 140’000 Klicks eingeheimst” — und läuft jetzt mit der Originalmusik und dem Logo von footmag.ch, nur ergänzt um das Logo von blick.ch auf blick.ch.

Oder der betrunkene russische Baggerfahrer:

Russland: Betrunkener Baggerfahrer rammt 7 Autos. Etwas zu tief ins Glas geschaut hat dieser Baggerfahrer in Russland. Und das wird ihn wohl teuer zu stehen kommen.

Montag auf YouTube, heute bei blick.ch.

Oder dieser Beinahe-Unfall, bei dem offenbar sogar egal ist, wo er stattfand:

Brilliantes Ausweichmanöver: Lastwagen verhindert Horror-Crash

Vorher schon im Internet zu sehen gewesen.

Oder, ganz aktuell, die Schülerin, die ihren Lehrer tritt:

Volltreffer: Schülerin wehrt sich gegen aggressiven Lehrer. Eine Schülerin wird vor versammelter Klasse von ihrem Lehrer beschimpft und beleidigt. Als er sie auch noch mit dem Finger stupst reicht es ihr. Sie tritt entschlossen zu - und trifft!

Das Video macht seit gestern auf LiveLeak und YouTube die Runde und ist heute schon bei blick.ch zu sehen.

Ja, dieses Internet. Jeder kann “aufschalten”, was er will, zum Beispiel auch, was er gerade irgendwo im Internet geklaut hat.

Mit Dank an André H.

Neue Presse, Talkshows, iPhones

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Zu viel Boulevard?”
(journalist.de, Jan Söfjer)
“Mit anspruchsvollem Boulevard” will die “Neue Presse” in Hannover “Bild” Marktanteile abluchsen. “Die Neue Presse wurde grundlegend verändert: große Schlagzeilen, größere Bilder, eine zweite Seite mit Meinung und Analyse statt Auslandsnachrichten.”

2. “Drama, Scherben, Wunderheilung – Klischees der Behinderung in Film und Fernsehen”
(leidmedien.de, Laura Gehlhaar)
“In der bekanntesten Seifenoper Deutschlands Gute Zeiten, schlechte Zeiten ‘landet’ im Durchschnitt alle vier Jahre ein männlicher Schauspieler durch irgendwelche Unfälle im Rollstuhl. Blass geschminkt und mit hängender Visage wird dann der große Frust gespielt. Nach absehbarer Zeit erfolgt dann endlich die Wunderheilung. Der Leihrollstuhl kann zurückgegeben werden. Der Serienalltag kann weitergehen.”

3. “The Good, the Bad and the Ugly”
(blog.persoenlich.com, Roger Schawinski)
Roger Schawinski sieht in den meisten Talkshows heute “bloss eine weitere Form von Reality-Fernsehen, bei der inhaltlich massiv eingegriffen wird”. “Da komponieren grosse Redaktionen Sendungsabläufe, die scheinbar spontan entstehen. Zwar werden damit verblüffende Diskurse oder Abläufe verhindert. Aber das nimmt man locker in Kauf. Wichtiger ist, dass der Moderator alles im Griff hat und das Erkenntnis- und Klamaukniveau mithilfe der zusätzlichen Redaktionsstimme im Ohr subtil steuern kann.”

4. “Sex mit der Chefetage: Wie man professionell Artikel verkauft”
(blog.tagesanzeiger.ch/deadline, Constantin Seibt)
Constantin Seibt gibt Tipps, wie man als freier Journalist Artikel an Redaktionen verkauft. “So etwa herrscht in Wochenzeitungen gern am Montag Verzweiflung. Die Diensthabenden haben die Wochenendleere im Kopf und die halbleere Zeitung vor Augen. In Tageszeitungen sind der Freitag und der Montag die grossen Kaufrauschtage: Freitags müssen gleich zwei Nummern geplant werden, Samstag und Montag. Und am Montag herrscht dann Sorge und Ebbe.”

5. “WDR-Magazin Markt und @-yet GmbH stellen iPhone-Sicherheit in Frage”
(macnotes.de, Alexander Trust)
Alexander Trust zweifelt, dass neue iPhones so manipuliert werden können, wie das in einem Beitrag der WDR-Sendung “Markt” gezeigt wird. “Die Frage bleibt, ob der Journalist Reifferscheid und der WDR hier auf die ‘Plausibilitäts-Keule’ von @-yet hereingefallen sind, die ihnen auf Kosten der GEZ-Gebührenzahler – ich bin einer -, ein X für ein U vorgemacht haben.”

6. “Dear Websites”
(makeuseof.com, englisch)

Bild.de sucht sich einen Golf

Heute Abend präsentiert Volkswagen in Berlin erstmals seinen neuen Golf. Ein Glück! Zumindest für denjenigen aus der Bild.de-Redaktion, der die Aufgabe hatte, die heutige “10 um 10”-Klickstrecke zu füllen.

Wo sich die Mitarbeiter nämlich sonst regelmäßig irgendwelche bizarren Fakten zu irgendwelchen bizarren Themen aus den Fingern saugen müssen (wie etwa in den letzten Tagen “Die zehn wichtigsten Sadomaso-Begriffe”, “10 Exoten unter den Verkehrszeichen”  oder “10 Tiere, die wahre Sexmonster sind”), war das Thema heute also vergleichsweise harmlos:

Die 10 Golf-Fakten zum Staunen
Vielleicht ein wenig zu harmlos für den verantwortlichen Bild.de-Mitarbeiter, denn offenbar hat er sich bei der Zusammenstellung der Fakten nicht allzu große Mühe gegeben.

Bild.de bewirbt die Klickstrecke im Teaser jedenfalls so:

Zehn originelle Fakten, Tipps oder Ideen rund um ein Thema – lassen Sie sich jeden Morgen zehnfach überraschen.

HEUTE: Unbekannte Fakten zum VW Golf

Am heutigen Abend enthüllt VW in Berlin die siebte Generation des VW Golf. Das Kompaktmodell ist das mit Abstand wichtigste (und meistverkaufte) Auto der Wolfsburger.

BILD.de hat zehn unbekannte Fakten zum Golf zusammengetragen: oben in der Galerie!

So weiß Bild.de etwa, dass bis heute “weltweit rund 29 Millionen Fahrzeuge dieser Baureihe verkauft” wurden, dass der Golf I die “mit Abstand meistverkaufte Generation ist”, dass die Cabrioversion des Golf I als “Erdbeerkörbchen” verspottet wurde, dass der Golf “den Käfer als meistgebautes VW-Modell” ablöste, dass das Modell ursprünglich “Blizzard” heißen sollte, dann aber doch nach dem Golfstrom benannt wurde, und so weiter.

Oder anders gesagt: Die “originellen” und “unbekannten” Fakten sind weder originell noch unbekannt, sondern alles Dinge, die man genauso gut in der Wikipedia nachlesen kann.

Mit Dank an Johannes K.

Wo ein Willis ist, ist auch eine Story

Wer sich im Internet irgendwo anmeldet, bekommt häufig einen Text vorgelegt, der ausgedruckt in etwa die Ausmaße des Telefonbuchs von Chicago aufweisen würde. Solche Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind in der Regel so lang und sprachlich so ermüdend, dass es gut sein kann, dass man einem Anbieter sein Erstgeborenes abtritt oder der Zerstörung des Planeten Merkur zustimmt, wenn man blindlings einfach auf “OK” klickt.

Der Schauspieler Bruce Willis hat aber, wenn man Medienberichten trauen darf, offenbar irgendwie die Geschäftsbedingungen des iTunes Store, dem Musikportal des Unterhaltungsgeräteherstellers Apple, durchgearbeitet und dabei festgestellt, dass er seinen Töchtern im Falle seines Ablebens gar nicht seine digitale Musiksammlung vererben könnte. Seitdem ist er auf einer Mission, um für die Freiheit der iTunes-Nutzer und gegen Apple zu kämpfen.

Man darf diesen Medienberichten natürlich nicht trauen, auch wenn stern.de ein bisschen naiv referiert:

Das berichten übereinstimmend die britischen Boulevardzeitungen “The Sun” und “Daily Mail”.

Die “Sun” und die “Daily Mail” sind als Quellen ungefähr so seriös wie der Freund des Schwagers einer Arbeitskollegin oder das nordkoreanische Staatsfernsehen.

Die “Daily Mail” schrieb zum Beispiel am Sonntag:

Bruce Willis sieht man eigentlich eher, wenn er Explosionen entkommt und Terroristen bekämpft, um die Welt zu retten.

Sein letzte Kampf allerdings führt ihn in die deutlich leisere Welt des Gerichtssaals — obwohl er sich immer noch einem beeindruckenden Gegner stellt.

Es heißt, der Hollywood-Actionheld überlege, juristisch gegen den Technologiegiganten Apple vorzugehen, weil er seinen Töchtern seine digitale Musiksammlung hinterlassen möchte.

(Übersetzung von uns.)

Das klingt so vage, dass die “Daily Mail” das Gleiche vermutlich über jede andere Person hätte schreiben können, ohne dass sie dabei unkonkreter hätte werden müssen.

Die “Daily Mail” schreibt von verschiedenen Plänen, mit denen Willis “angeblich” sein Vorhaben umsetzen will. Aber woher sie ihre angeblichen Informationen hat, das schreibt sie nicht.

Das einzige wörtliche Zitat im Artikel stammt dann auch gar nicht von Bruce Willis:

Anwalt Chris Walton sagte: “Viele Leute werden überrascht sein, wenn sie erfahren dass all die Lieder und Bücher, die sie über die Jahre gekauft haben, ihnen tatsächlich gar nicht gehören. Es ist ganz natürlich, dass man sie an eine nahestehende Person weitergeben will.”

(Übersetzung von uns.)

Diesen Chris Walton zitiert auch die “Sun”. Außerdem hat sie herausgefunden, dass Willis’ Downloads “Berichten zufolge Klassiker von den Beatles bis zu Led Zeppelin enthalten”.

An dieser Stelle hätte man stutzig werden und sich fragen können, warum die Musiksammlung eines 57-Jährigen eigentlich so viele Downloads mit der Musik seiner Jugend enthalten soll — das dürfte Willis doch noch alles auf Vinyl oder CD haben.

Aber warum nachdenken, wenn “Sun” und “Daily Mail” übereinstimmend über den Fall schreiben?

Bild.de:
WEIL ER SEINE MUSIKSAMMLUNG VERERBEN MÖCHTE: Bruce Willis legt sich mit Apple an

krone.at:
Bruce Willis fordert mehr Rechte an Musiksammlung

oe24.at:
Bruce Willis will iTunes von Apple verklagen

kurier.at:
Bruce Willis will Apple wegen iTunes klagen

heute.at:
Wegen iTunes: Bruce Willis will Apple verklagen

20min.ch:
Verklagt Bruce Willis Apple — wegen iTunes?

“Focus Online”:
Rechtsstreit um iTunes-Musiksammlung: Bruce Willis will Apple verklagen

“Focus Online” hatte es sogar geschafft, sich nicht auf “Sun” und/oder “Daily Mail” zu berufen, sondern auf das Trashmeldungaufbereitungsportal pressetext.com, wo sie den britischen Anwalt, den die “Daily Mail” (etwas undeutlich) als Experten befragt hatte, gleich zu “Willis’ Rechtsanwalt” gemacht hatten.

Dann passierte gestern etwas Unvorhergesehenes: Ein Twitter-User gab Bruce Willis’ Ehefrau Emma einen Rat, wie er seinen Töchtern ganz leicht den Zugang zu den iTunes-Songs sichern konnte — und Emma antwortete schlicht, die ganze Geschichte sei gar nicht wahr:

Einige Medien wie stern.de, 20min.ch und zdnet.de aktualisierten daraufhin ihre Artikel, andere wie “Focus Online” veröffentlichten einfach einen weiteren Artikel zur Frage, was eigentlich nach dem Tod mit der iTunes-Bibliothek passiert.

Wiederum andere Medien wie “Welt Online” veröffentlichten nach dem Dementi heute einfach irgendwelche feuilletonistischen Aufsätze, als sei nichts geschehen:

Warum Bruce Willis Apple verklagen will: Der Actionstar will seine Musiksammlung einmal vererben. Doch nach seinem Tode gehören die Dateien wieder Apple. Nun erwägt Bruce Willis eine Klage. Sein Tun ist von erhabener Sinnlosigkeit.

Am Nachmittag brachte “Welt Online” dann dieses “Update”:

Update: Inzwischen hat sich die Ehefrau von Bruce Willis, Emma Heming-Willis, bei Twitter zu Wort gemeldet und die Meldung, Bruce Willis würde Apple verklagen wollen, wörtlich als “nicht wahre Geschichte” bezeichnet.

“Inzwischen” im Sinne von “gestern”.

Charles Arthur hat die Geschichte der offensichtlichen Falschmeldung für das Technikblog des “Guardian” aufgeschrieben und hat eine gleichermaßen alberne wie plausible Erklärung:

Lasset also die Suche für den Ursprung dieser Geschichte beginnen. Es gibt einen Artikel vom 23. August auf Marketwatch, der eine seltsame Ähnlichkeit aufweist — aber es gibt dort keine Erwähnung einer Anfechtungsklage. Es geht nur um Nachlässe und Testamente (“Estates and Wills”).

Was uns zum erschaudernden Innehalten bringt: könnte es sein, dass jemand die Erwähnung von “Estates and Wills” sah und dachte, es seien “estates and Willis”?

(Übersetzung von uns.)

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Nachtrag, 18.10 Uhr: Am späten Nachmittag, als die Geschichte so richtig schön “durch” war, legte die “Financial Times Deutschland” in ihrem Internetauftritt nach:

iTunes-Musiksammlung: Bruce Willis trickst Apple aus

Der Text erzählt die bekannte Mär, nach der Bruce Willis Apple verklagen wolle, und endet mit diesem bemerkenswerten Absatz:

Seine Ehefrau Emma Heming ließ auf Twitter zwar dementieren, Willis selbst wolle Apple verklagen. Ein User schlug ihr daraufhin eine denkbar simple Lösung vor: “Sag Bruce doch einfach”, schreibt RichieD, “er soll seinen Töchter seine iTunes Passwörter geben. Dann wird er ewig leben.”

Ein “doch” folgt auf das “zwar” nicht mehr.

Mit Dank an Stefan G.

Talkshows, Unique Content, Drogen

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Das Versagen der großen Schule”
(faz-community.faz.net, Marina Weisband)
Marina Weisband appelliert an die Journalisten: “Traut uns mehr zu. Hört nicht immer nur auf unsere Erwartungen. Vergesst nicht, dass wir letztlich das erwarten, was ihr uns vorsetzt. Was wir gewöhnt sind. Ihr könnt die Welt wirklich verbessern.”

2. “Gespräch statt Talkshow”
(funkkorrespondenz.kim-info.de, Rupert Neudeck)
Rupert Neudeck macht sicht Gedanken über die vielen Talkshows im deutschen Fernsehen: “Maischberger und Reinhold Beckmann bilden insofern eine große Ausnahme unter den Moderatoren, als sie zum Nutzen ihrer Sendungen kein Publikum im Studio sitzen haben. Das allein macht diese beiden Talkshows schon zu einer Besonderheit. Denn es ist sehr erholsam, dass hier eben nicht ein Publikum durch ständiges und immer gleichstarkes Klatschen jedem Gesprächsteilnehmer signalisiert, ‘jeder hat ja so recht’, wie Tucholsky sagte.”

3. “‘Wer Google austrickst, lädiert unseren Ruf'”
(meedia.de, Alexander Becker)
Stefan Plöchinger, Chefredakteur von Sueddeutsche.de, im Interview zu den Klickzahlen deutscher Zeitungsportale: “All das, was man Unique Content nennt, ist zentral für lang- statt kurzfristigen Erfolg. Das ist es, was ich mit publizistischer Idee meine. Wer sie hat und verfolgt, baut seine Marke im digitalen Raum dauerhaft auf.”

4. “Lost in Translation auf Farsi”
(ftd.de, Silke Mertins)
Eine Rede von Mohammed Mursi wird in iranischen Medien falsch übersetzt: “Der Dolmetscher des staatlichen Fernsehens und Radios tauschte in der simultan auf Farsi übersetzten Rede ‘Syrien’ kurzerhand durch ‘Bahrain’ aus – schon passte es wunderbar. Auch an anderer Stelle wurde die Ansprache des Ägypters ideologisch verbessert.”

5. “Were the fake football agent’s transfer rumours any more flaky than the usual ones?”
(newstatesman.com, Steven Baxter, englisch)
Steven Baxter macht sich Gedanken über den Text von @FootballAgent49: “When you think about it, why would a football agent bother to tweet his secret deals to Twitter when it could jeopardise his earnings?”

6. “Die neuen Drogenerfahrungen sind da!”
(wahrheitueberwahrheit.blogspot.ch, Thomas)

Schrödingers Terrorfürst

Vergangene Woche verkündete Bild.de unter vermeintlicher Berufung auf ein Enthüllungsbuch, dass Osama bin Laden sich “vermutlich” bzw. “offenbar” selbst erschossen hätte. Einige deutschsprachige Medien, vor allem online, schlossen sich dieser These an (BILDblog berichtete) und ruderten anschließend mehr oder weniger gelungen zurück (BILDblog berichtete auch hier).

Heute unternahm die gedruckte “Bild” einen neuen Versuch, die bisher durchgesickerten Informationen aus dem Buch nachzuerzählen:

Das hat alles soweit auch ganz gut geklappt — doch bei Bild.de steht jetzt sowohl die Online-Fassung des richtigen Artikels als auch immer noch die Behauptung, der Ex-Navy-Seal “enthülle”, bin Laden habe Selbstmord begangen.

Ein bisschen verirrt

Wichtig im Journalismus ist ja auch, dass man dramatische Überschriften nicht gerade mit völlig albernen Artikelanfängen konterkariert.

Praktisch heißt das, dass auf so eine Schlagzeile …

Auf hoher See verirrt: Küstenwache rettet Schauspieler Russell Crowe

… vielleicht besser nicht so ein Text folgt:

“Eine Seefahrt, die ist lustig, eine Seefahrt, die ist schön” heißt es in einem beliebten Volkslied …

Das dachte sich wohl auch Schauspieler Russell Crowe (48), als er mit einem Begleiter und einem Kajak in See stach. Weniger lustig war da allerdings, dass die beiden von der Küstenwache gerettet werden mussten.

Andererseits ist bei dem Text, der dann noch folgt, eigentlich sowieso alles egal.

Bild.de schreibt, der Schauspieler und ein Bekannter (das Wort “Bekannter” ist mit dem Werbelink einer Partnervermittlung unterlegt) seien am Samstag mit einem Kajak von der Ortschaft Cold Spring Harbor bei New York aufgebrochen:

Bei Sonnenuntergang hatten sie sich verirrt und einem Boot, das sich auf Patrouille befand, ihre Not signalisiert. Zu viel geträllert und den Kurs aus den Augen verloren, lieber Russell?

Die Kajakfahrer seien zum Schiff der Küstenwache gepaddelt, an Bord geklettert und zurück nach Huntington Harbor gefahren, sagte Robert Swieciki, ein Sprecher der US-Küstenwache.

Darüber hinaus hatte Swieciki gegenüber der Press Association noch etwas gesagt, was die ganze Geschichte (“Auf hoher See verirrt”!) schon ein bisschen unspektakulär erscheinen ließ:

“Er brauchte nur ein bisschen Hilfe, er hatte sich nur ein bisschen verirrt”, sagte Swieciki. “Es war eigentlich keine richtige Rettung, eher eine Mitfahrgelegenheit.”

(Übersetzung von uns.)

Außerdem waren die beiden mit ihrem Kajak nicht auf hoher See (mehr als 200 Seemeilen von der Küste entfernt) unterwegs, sondern im Long Island Sound, einer Förde, wo sie offenbar immer in Küstennähe blieben.

Aber gut, man muss es natürlich nur in die richtige Relation setzen:

Puh, noch mal Glück gehabt! Schauspiel-Kollege Tom Hanks (56) zeigte in “Verschollen” wie ein Ausflug auf hoher See auch ausgehen kann und man NICHT gefunden wird. Doch in dieser Hauptrolle hätte sich der Australier sicherlich ungern im echten Leben gesehen.

Mal davon ab, dass Schauspiel-Kollege Tom Hanks das natürlich nur gespielt hat, ist der “Ausflug auf hoher See” in “Verschollen” der Absturz eines Transportflugzeugs, den Hanks’ Charakter als einziger überlebt. Er rettet sich auf eine einsame Insel, auf der er mehrere Jahre lebt. Also irgendwie was ganz anderes.

Crowe, der sich zu Dreharbeiten auf Long Island aufhält, bedankte sich über Twitter bei seinen Helfern.

Das gleiche Twitter übrigens, auf dem Crowe kurz darauf auch noch mal geschrieben hatte, er habe sich nicht verirrt:

Mit Dank an Matthias M.

Clint Eastwood, Behindertenwitze, IVW

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Warum ich mir eine (vermutlich) einmalige Gelegenheit entgehen lasse”
(qlod.org, Nilzenburger)
Nilzenburger erklärt, warum er eine Einladung in die Sendung “Achtung, Computer! Macht uns das Internet dumm?” von “Günther Jauch” zurückgewiesen hat: “Spitzer geht es zu keinem Zeitpunkt um eine Diskussion, genausowenig wie es ihm um eine Lösung geht. Spitzer geht es wahrscheinlich nicht mal so sehr um unsere Kinder. Spitzer geht es nur um eins: Sein Buch zu verkaufen.” Siehe dazu auch “Omg, lol!” (spiegel.de, Ole Reißmann).

2. “Der neue Dämonisierungsjournalismus”
(begleitschreiben.net, Gregor Keuschnig)
Gregor Keuschnig geht auf drei Berichte von deutschen Journalisten über den Auftritt von Clint Eastwood (youtube.com, Video, 11:49 Minuten) an der Republican National Convention ein: “Die Unterstellung von Senilität und/oder Rassismus ist nichts als abstoßender Gesinnungsjournalismus. Man mag sich nicht ausdenken, wozu diese Journalisten zu anderen Zeiten fähig gewesen wären (ihre Indoktrinierung hätte nur anders verlaufen müssen). Sie sind zu nüchternen Analysen nicht in der Lage, weil sie hoffnungslos parteiisch sind. Daher muss jeder Andersdenkende, der nicht ihr Weltbild vertritt, dämonisiert werden.”

3. “Von Handicap-Helden, Judo-Zwillingen und dem Stelzenmann “
(absolutobsolet.blogspot.de)
Anlässlich der Paralympics in London macht Bild.de eine Klickstrecke mit Behindertenwitzen.

4. “Qualität versus Tricks”
(ploechinger.tumblr.com, Stefan Plöchinger)
Stefan Plöchinger, Chefredakteur von Sueddeutsche.de, schreibt über die Tricks von Zeitungsportalen, um IVW- und AGOF-Rankings zu optimieren. “Wir wollen nachhaltig Reichweite aufbauen, wie Spiegel Online und auch bild.de das über die Jahre geschafft haben. Mit Tricks allein wären sie nicht Marktführer geworden, sie sind es dank einer publizistischen Idee, die man im Fall von bild.de freilich nicht teilen muss.”

5. “PR-Firma zahlt Journalisten: Im Couvert steckten 500 Franken”
(sonntagonline.ch, Hanspeter Bürgin)
Schweizer Journalisten lassen sich von einer PR-Firma mit rund 400 Euro bezahlen: “PR-Mann Fässler verteidigt sein Geschäftsmodell: ‘Ich verstosse gegen keine Gesetze und Richtlinien.’ Er bestätigt ohne Umschweife, Journalisten von Tamedia, NZZ und az entschädigt zu haben. Ob diese die 500 Franken behalten, in eine Redaktionskasse einbringen oder an eine gemeinnützige Organisation spenden, sei nicht seine Sache.”

6. “BILD versteht Jan Böhmermanns Humor nicht”
(alexkordsblog.wordpress.com)

Ottmar Hitzfeld, China, Zapp

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Das Internet war eine Episode der Freiheit”
(perlentaucher.de, Thierry Chervel und Anja Seeliger)
Der Perlentaucher verzichtet aufgrund des vom Bundeskabinett beschlossenen Leistungsschutzrechts für Presseverleger auf die Feuilletonrundschau: “Der Jubel der Medien über das Leistungsschutzrecht offenbart zugleich ihren Funktionsverlust als Träger der freien Öffentlichkeit. Journalisten hatten nicht den Mut, sich gegen diesen Angriff auf die Öffentlichkeit zu wehren.”

2. “Die Scheinargumente für ein Leistungsschutzrecht”
(stefan-niggemeier.de)
Stefan Niggemeier geht auf die Scheinargumente ein, die Verleger für dieses Gesetz vorbringen. “Keine Verfassungsgrundsätze, keine Rechtsprinzipien, nicht der Schutz des sogenannten ‘geistigen Eigentums’, sondern die schlichte Tatsache, dass zur Zeit im Internet das Betreiben einer Suchmaschine lukrativer ist als das Erstellen journalistischer Inhalte.”

3. “Untragbares Doppelmandat”
(nzz.ch, Elmar Wagner)
Ottmar Hitzfeld, Trainer der Schweizer Fußball-Nationalmannschaft, schließt einen mehrjährigen Vertrag mit dem Verlag Ringier, der unter anderem die Boulevardzeitung “Blick” herausgibt: “Es irritiert, dass Hitzfeld nicht bis nach seiner Amtszeit zugewartet hat, ein solches Engagement einzugehen. Denn die neue Position ist besonders heikel für ihn – vergleichbar etwa mit dem Finanzminister, der nebenbei auch noch eine Bank berät.” Siehe dazu auch “Hitzfeld und Ringier – eine unheilige Allianz” (tageswoche.ch, Florian Raz)

4. “Von Pressefreiheit fehlt oft jede Spur”
(tagesschau.de, Video, 3 Minuten)
Christine Adelhardt über die Freiheit der Presse in China, ein etwas längerer Bericht hier (ndr.de, Video, 6:45 Minuten).

5. “Axel Springers ‘Leitlinien zur Sicherung der journalistischen Unabhängigkeit’ gelten auch für freie Journalisten”
(danielgrosse.com)
Daniel Große erhält Post von der Axel Springer AG.

6. “Die fünfte Kontrollinstanz”
(youtube.com, Video, 3:32 Minuten)
Ein Treffen von Medienjournalisten anläßlich des 10. Geburtstags der medienkritischen Sendung “Zapp”.

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