Archiv für Juni 15th, 2012

Nichts besonderes

Studenten sind ein faules Pack. Das hat man bei Bild.de schon immer gewusst. Und was gibt es Schlimmeres als faule Studenten? Genau: Die von diesen amerikanischen Elite-Unis. Die sind nämlich nicht nur faul und dumm, sondern auch noch verwöhnt.

Alles nur Klischees, denken Sie? Mag sein. Aber bei Bild.de gehört das Aufwärmen und anschließende Rausposaunen solch abgedroschener Vorstellungen immer noch zum Tagesgeschäft. Und Meldungen wie diese kommen da wie gerufen:

Elite-Studenten kriegen eins auf den Deckel

So freute sich Bild.de gestern. Im Text heißt es:

Eigentlich sollte es eine Lobrede auf den Absolventenjahrgang einer US-Elite- Uni werden: Englisch-Lehrer David McCullough nutzte jedoch die Gelegenheit, um gegen seine verwöhnten Ex-Studenten noch mal ordentlich vom Leder zu ziehen!

“Ihr wurdet verhätschelt, verwöhnt, umschwärmt, geschützt und in Luftpolsterfolie gesteckt”, polterte Englisch-Lehrer McCullough gleich zu Beginn seiner zwölfminütigen Brand-Rede. Sein knallhartes Fazit über die Elite-Studenten: “Ihr seid nichts Besonderes!”

Endlich sagt also mal jemand die Wahrheit über die Bengels von der Elite-Uni. Und zwar kein geringerer als ihr eigener Dozent. Was für eine Steilvorlage für die Klischeeaufwärmer von Bild.de.

Allerdings: Bei den “Studenten” handelt es sich in Wahrheit gar nicht um Studenten, sondern um Schüler. Genau genommen um “Seniors” einer High School, die gerade ihren Abschluss (vergleichbar dem Abitur) gemacht haben. Der Lehrer hatte die ungewöhnliche Rede Anfang Juni bei der Abschlussfeier seiner Schule gehalten, um den Schülern ihren privilegierten Start ins Leben klarzumachen. (Warum jemand, der an einer Elite-Uni unterrichtet und Abschlussreden hält, ein “Lehrer” sein soll, weiß vermutlich auch nur Bild.de.)

Viele Medien berichteten schon vor einigen Tagen darüber. Auch ABC News hat darüber in einem Artikel berichtet, auf den Bild.de verlinkt.

Dort heißt es im ersten Satz:

Kritiker waren schockiert, als David McCullough einer Abschlussklasse von High School Seniors erzählte, dass sie “nicht besonders” seien, aber die Schüler und Eltern der Schule in Wellesley, Massachusetts stellen sich hinter ihren Lieblingslehrer.

(Übersetzung und Hervorhebung von uns.)

Die Redakteure von Bild.de hätten die Quellen, auf die sie sich berufen, also nur genau lesen müssen. Haben sie aber nicht. Endlich mal ein Klischee, das stimmt.

Mit Dank an Thomas G., Stefan und AachenFalko.

Nachtrag, 15.55 Uhr: Bild.de hat aus den “Elite-Studenten” unauffällig “Elite-Schüler” und aus der “US-Elite-Uni” eine “US-Elite-Schule” gemacht.

Leistungsschutzrecht, SEO, DJV

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Digital kastriert”
(lawblog.de, Udo Vetter)
Der (der “Süddeutschen Zeitung” vorliegende!) Referentenentwurf zum Leistungsschutzrecht für Presseverlage (PDF-Datei) bestätigt für Udo Vetter die schlimmsten Befürchtungen: “Das Papier ist ein Konjunkturprogramm für Rechtsanwälte. Gleichzeitig ist es ein Kniefall vor der Verlegerlobby. (…) Fast überflüssig zu erwähnen, dass das Leistungsschutzrecht die neue Meinungsfreiheit bedroht.” Gegenteilig sieht das natürlich der prominenteste Verfechter dieses Verlegerrechts, Christoph Keese von Axel Springer, im Beitrag “Vier Gründe, warum Blogger das Leistungsschutzrecht nicht fürchten sollten”. Siehe dazu auch “Von Pressetexten sollten künftig besser alle die Finger lassen” (zeit.de, Kai Biermann).

2. “Ich breche eine Lanze für dieses Leistungsschutzrecht”
(ralfschwartz.typepad.com)
“Der deutschen Blogosphäre kann nichts Besseres passieren als das neue Leistungsschutzrecht. Hut ab vor den Verlagen und der Politik, die uns endlich zwingen, wenn wir es schon nicht freiwillig tun, innovativ, relevant, distinktiv und einzigartig zu werden.”

3. “Weit weit oben”
(journalist.de, K. Antonia Schäfer)
Wie viele Presseverlage mit hohem Aufwand und Tricks wie Republishing Suchmaschinenoptimierung betreiben, um noch mehr Besucher von Websites wie Google News erhalten. “Werden Journalisten beim Thema SEO an sich schon wortkarg, schließen sie, wenn die Rede aufs Republishing kommt, komplett die Schotten. Denn wer vorgibt, einen neuen Artikel vorweisen und ins Netz stellen zu können, tatsächlich aber nur altes Zeug aufwärmt, kann sich kritischen Fragen nach der Qualität nicht entziehen.”

4. “Oli Kahn, kein Twitter-Titan”
(stern.de, Christoph Fröhlich)
Im ZDF versucht man, zu twittern: “Jeannine Michaelsen erklärte das Prinzip Twitter so: ‘Wir folgen Harald Schmidt. Und deswegen kann Harald Schmidt jetzt auch lesen, was wir schreiben.’ Das ist doppelt falsch: Erstens können Leute, denen man folgt, die eigenen Postings nicht lesen. Und was noch viel peinlicher ist: Hinter dem angeblichen Harald Schmidt steckt nicht der ehemalige Sat1-Comedian, sondern der Internet-Showmaster Rob Vegas.” Siehe dazu auch “Der Twitter-Vorfall im ZDF deckt viel mehr auf als eine Accounteinrichtung” (kaithrun.de) und “Oli Kahns erstes Mal” (blog.zeit.de/sport-blog).

5. “Bite the hand that feeds you”
(juliane-wiedemeier.de)
Der Deutsche Journalistenverband DJV lädt ein nach Brüssel: “Zwei Nächte im Hotel, inklusive Frühstück, Transfers und ein lekker Mittagessen werden also bezahlt, und zwar, man ahnt es schon, nicht von einem der Verbände, die brauchen ihr Geld schließlich für wichtigere Dinge, sondern, das wird netter Weise immerhin dazugesagt: Von der EU-Kommission. Was sicherlich hervorragend mit dem Ziel der Reise einhergeht, ‘Sprechern oder Vertretern der Kommissare auf den Zahn (zu) fühlen’.”

6. “Uefa-Fehler führt Millionen in die Irre”
(stern.de, Katharina Miklis und Felix Haas)
Fußball: Eine vor dem EM-Spiel Niederlande gegen Deutschland aufgezeichnete und ins live übertragene Spiel hineingeschnittene Szene “beeinflusst die Wahrnehmung und verfälscht den Eindruck”.